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Erfolgsstrategien für die Mitarbeiterführung in der Pflege

Vorbehaltsaufgaben zuordnen – Assistenzkräfte einsetzen - Arbeitsbedingungen optimieren

von Nicole Ott (Autor:in)
132 Seiten

Zusammenfassung

Motivation allein genügt nicht.
Vergessen Sie das alte "Weiter so"!." Schalten Sie um auf "Ab jetzt geht`s anders!" In diesem Buch findet sich eine Fülle von erfolgreichen Strategien zur modernen Mitarbeiterführung in der Pflege. Allesamt clevere Tipps, direkt aus der Praxis, also erprobt und kurzfristig mit einfachsten Mitteln umsetzbar. Damit lassen sich z. B. die großen Probleme lösen:
Das Dilemma des Schichtdienstes,
die Organisation der pflegerischen Vorbehaltsaufgaben und
der Einsatz von Assistenzkräften.
Noch mehr Motivation war gestern. Heute geht es um gute Arbeitsbedingungen und die fangen bei der Selbstführung der Vorgesetzten an. Erst dann gelingt es, Teams strategisch aufzubauen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf umzusetzen und Ziele nachhaltig zu erreichen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Die sehr gute Mitarbeiterführung ist in der Pflege möglich

Die Mitarbeiterführung ist heute eine der wichtigsten Aufgaben von Pflegefachkräften. Ich schreibe hier absichtlich zuerst allgemein von Pflegefachkräften, denn bereits eine reguläre Schichtleitung trägt heutzutage eine große Verantwortung. Die direkte Anleitung und Beaufsichtigung von Pflegehilfs- und Assistenzkräften, die Verantwortung für eine fachlich fundierte Versorgung und Betreuung aller Pflegekunden und das Sicherstellen eines reibungslosen organisatorischen Ablaufs der Schicht ist eine komplexe und fordernde Aufgabe. Denn nicht erst seit der Corona-Pandemie wissen wir, dass Pflegekräfte systemrelevant sind.

Das umfangreiche professionelle Know-how in vielen unterschiedlichen Bereichen ist bei der Führungskraft von heute gefragt. Und je höher Ihre Position ist – von der normalen Pflegefachkraft bis zur Schichtleitung, über die Wohnbereichs- oder Gruppenleitung, hin zur Pflegedienstleitung und schließlich zur Einrichtungsleitung oder Geschäftsführung – desto anspruchsvoller werden die Aufgabenbereiche. Die Führung von Mitarbeiter*innen gehört dabei immer, und in den letzten Jahren immer stärker, zu den unverzichtbaren Kernbereichen. Den Spagat zu finden zwischen Antreiber und Kontrolleur, gleichzeitig aber auch Verständnis zeigen und die soft skills der Mitarbeiter im Blick haben – das ist komplex und nicht immer einfach zu bewerkstelligen.

»It’s a people’s business!«

Im Mai 2010 war der damalige Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann in der ZDF-Sendung »Maybritt Illner« zu Gast. Er wurde gefragt, ob es ethisch vertretbar sei, dass manche seiner Bankmitarbeiter*innen Millionen im Jahr verdienen. Wo denn da die Nachhaltigkeit bliebe. Jemand, der mit einem Jahr Arbeit bereits so viel verdient hat, dass er theoretisch bis an sein Lebensende nie mehr arbeiten müsse, dem sei die längerfristige Verantwortung für sein Tun doch gleich, oder? Ackermann gab die lapidare Antwort: »It’s a people’s business!« Übersetzt: Gute Leute zu bekommen, sei sehr, sehr schwierig. So hänge etwa das Investmentgeschäft maßgeblich von den richtigen Mitarbeiter*innen und den richtigen Köpfen ab. Da es davon nur wenige wirklich Gute gäbe, könnten diese entsprechende Gehälter in Millionenhöhe fordern.

Komplexe Anforderung und steigende Belastungen

Ist eine solche Entwicklung nicht längst auch in der Pflegebranche angekommen? Natürlich nicht in Bezug auf die Gehälter, aber in Bezug auf das »people’s business«? Haben wir nicht auch immer weniger richtig gute Fach- und Führungskräfte? Ich meine – leider ja. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Zum einen leidet die Pflege seit Jahren an einem extremen Personalmangel. Wo generell zu wenig Personal ist, sind zwangsläufig auch zu wenig Führungskräfte auf dem Markt.

Zum anderen sollte uns diese Zahl zu denken geben: Eine engagierte Pflegefachkraft verlässt im Durchschnitt nach 7–8 Jahren für immer den Beruf.1 Nicht, weil die Schicksale der Pflegekunden sie so sehr belasten und auch nicht, weil die Arbeit mit anderen beteiligten Partner*innen wie Ärzt*innen oder Angehörigen so anstrengend ist, sondern weil sie ausgebrannt und müde ist. Ausgebrannt und müde vor allem deshalb, weil sie so oft am Ende des Arbeitstages das Gefühl haben, »eigentlich heute gar nichts geschafft zu haben!« Permanente Unterbrechungen im Alltag, tausend To do’s, die am besten gestern erledigt werden sollten, stetig steigende Anforderungen und hochkomplexe fachliche Anforderungen führen dazu, dass Pflegekräfte häufig alles hinschmeißen (möchten).

Ende April 2021 veröffentlichte der DBfK eine interessante diesbezügliche Pressemitteilung, in der die aktuellen Erkenntnisse zum »Pflexit« nach gut einem Jahr Corona-Pandemie folgendermaßen zusammengefasst wurden: »Den »Pflexit«, an den laut der jüngsten Umfrage des DBfK etwa 30 Prozent der Pflegenden häufig denken, haben viele Kolleg*innen schon längst vollzogen. Das zeigt eine aktuelle Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen und SOCIUM der Universität Bremen, die sich mit der potenziellen Rückgewinnung von Pflegenden beschäftigt. Covid-19 macht das nicht einfacher: Mehr als 30 Prozent der in der Krankenpflege und gut 15 Prozent der in der Langzeitpflege Beschäftigten geben bei der Befragung an, dass die Pandemie ihre diesbezügliche Bereitschaft mindert. Und an eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen infolge der Pandemie glauben nur 4 Prozent. Diese Desillusionierung wundert Martin Dichter, den Vorsitzenden des DBfK Nordwest, nicht. »Mit einem Prämienpflästerchen hier und einer Mindestlohnerhöhung dort ist es eben nicht getan. Wir brauchen deutlich überzeugendere Maßnahmen – z.B. ein Bruttoeinstiegsgehalt von 4000 Euro. Für die Gesellschaft wertvolle Tätigkeiten – und dazu gehört die berufliche Pflege in erster Linie – brauchen eine leistungs- und verantwortungsgerechte Vergütung und gesunde Arbeitsbedingungen. Beides ist in der beruflichen Pflege aktuell nicht vorhanden.« Dichter verweist in diesem Zusammenhang auf die Top-10 der Wiedereinstiegskriterien für »Pflexiteers« aus der Bremer Untersuchung:

Wertschätzung durch Vorgesetzte

Zeit für qualitativ hochwertige Pflege

Bedarfsorientierte Personalbemessung

Sensibilität von Vorgesetzten für Belastungen in der Pflege

Tarifbindung

Mehr Zeit für menschliche Zuwendung

Garantie, an freien Tagen nicht arbeiten zu müssen

Betriebliche Interessenvertretung

Höheres Grundgehalt

Höhere Zulagen für besondere Tätigkeiten

»Das sind die entscheidenden Stellschrauben, an denen die Politik drehen muss«, fordert Dichter. »Damit kämen nicht nur Berufsaussteiger/innen zurück, so könnte man auch viele Pflegende zum Aufstocken der Arbeitszeit bewegen«. Hier gibt es der Studie zufolge enormes Potenzial, denn die Teilzeitquote im Land Bremen beläuft sich auf ca.52 % im Krankenhaus, 69 % in der stationären und 79% in der ambulanten Pflege. Hinzu kommen die Abbrecherquoten unter den Auszubildenden bzw. Berufsanfänger/innen: 25% brechen ab und weitere 25 % verlassen den Pflegeberuf in den ersten fünf Jahren nach der Ausbildung. »Auch hier müssen wir genau hinschauen«, sagt Dichter. »Offensichtlich werden junge Pflegende demotiviert, so dass eine berufliche Karriere in der Pflege keine Option ist. Damit wird die Hoffnung auf sinkenden Pflegepersonalmangel durch steigende Ausbildungszahlen zunichte gemacht.«

Werfen Sie mit mir einen kurzen Blick in die Vergangenheit eines Seniorenpflegeheims. Die Bereichsleitungen im Haus schreiben jeden Monat die Dienstpläne für ihre Teams, die Pflegedienstleitung überprüft diese und gibt sie frei. So weit, so gut und deutschlandweit das übliche Procedere. Aber irgendwann funktionierte dieses System nicht mehr! Was war geschehen? Was musste jetzt passieren? Ich sprach darüber mit der PDL Andrea.

Was waren die Probleme bei Eurer Dienstplanung?

»Der übliche Weg – die Bereichsleitungen schreiben die Dienstpläne, ich prüfe, ob auch alle arbeitsrechtlichen Vorgaben eingehalten wurden und gebe sie frei – hat immer weniger funktioniert. Gründe gab es dafür viele: Meine Bereichsleitungen haben mir immer öfter berichtet, dass sie kaum noch zu ihrer normalen Arbeit kommen. »Ich mache den ganzen Tag fast nichts anderes mehr als Dienstplanung! Kompensation bei kurzfristigen Ausfällen, Diskussion mit meinen Mitarbeitern, warum der Kollege XY einen so viel besseren Dienstplan bekommen hat und ein immer größeres ›Wunschkonzert‹ von zunehmend mehr Beschäftigten blockieren meine wertvolle Arbeitszeit!«, erzählte mir beispielsweise unsere Bereichsleitung Evi.

Und ich musste ihr recht geben: Während wir früher mit einem Früh-, einem Spätund einem Nachtdienst ausgekommen sind, hat sich schon seit Jahren abgezeichnet, dass das nicht mehr den Bedürfnissen unserer Mitarbeiter entspricht. Eine Kollegin ist alleinerziehend und kann erst frühestens um 08.30 Uhr ihren Dienst beginnen. Ein anderer Mitarbeiter möchte wegen seines Bio-Rhythmus nur Spätdienst arbeiten. Eine dritte Kollegin pflegt ihre Eltern und kann deshalb schlecht am Wochenende arbeiten. Wie Evi formulierte: Das ›Wunschkonzert‹, also die individuellen Bedürfnisse jedes Mitarbeiters, nahm immer mehr Raum ein. Hinzu kam fast gleichzeitig die massive Zunahme pflegefachlicher Anforderungen: Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade, die Einführung des Strukturmodells bei gleichzeitig immer weniger guten Fachkräften – all das brachte unser System komplett an seine Grenzen.«

Wie habt Ihr darauf reagiert?

»Du musst Dir das Ganze als Prozess vorstellen – wenn man tagtäglich seiner normalen Arbeit nachgeht, nimmt man zwar viele Dinge wahr, aber es fehlt oft der neutrale Blick von außen, der einzelne Erkenntnisse bündelt, zusammenfasst und Lösungen sucht. An dieser Stelle kamst ja du damals mit an Bord und hast uns unterstützt.«

Ich erinnere mich sehr gut an eure damalige Situation. Ihr hattest mich zur Hilfe gerufen, weil ihr mit der Umstellung eurer alten AEBDL-Pflegeplanungen auf die SIS® nicht weitergekommen seid. Im Gespräch haben wir dann recht schnell rausgefunden, dass der Hauptgrund dafür die mangelnden Zeitressourcen bei den Leitungskräften war. Deine Bereichsleitungen, deren Vertretungen und auch Du als PDL ward gefühlt nur ans Thema Dienstplan gebunden – für etwas anderes fehlte Euch Zeit und Kraft. Wir haben dann recht schnell herausgefunden: Lösen wir das Thema Dienstplan auf, lösen sich viele andere Anforderungen und Konflikte auch. Weißt Du noch, was wir als ersten großen Schritt gemacht haben?

»Als wäre es gestern gewesen: Wir haben in einer gemeinsamen Runde zusammengetragen, was meine Bereichsleitungen und ich an Kernaufgaben haben und was generell im Unternehmen aufgrund unserer Rolle von uns erwartet wird. Ich sehe die immer länger werdende Liste noch gut vor mir! Die einzelnen Spiegelstriche haben gar nicht mehr aufgehört:

die qualitativ hochwertige pflegerische Versorgung jeden Tag sicherstellen,

komplexer werdende Neuaufnahmen von multimorbiden Pflegekunden durchführen,

palliative Versorgungen durchführen,

Arztvisiten vorbereiten, durchführen und nachbereiten,

Medikamente richten,

Angehörigenberater sein,

Mitarbeiterausfälle abdecken,

neueste Entwicklungen in der Pflegebranche wie eben die Einführung des Strukturmodells begleiten,

und, und, und

Du hast uns danach gesagt, wir sollten diese Riesenliste auf uns wirken lasse und dann realistisch überlegen, ob überhaupt ein Mensch all diese Aufgaben hundertprozentig und zu seiner eigenen Zufriedenheit jemals wird erledigen können. Unsere Antwort kam schnell: Nein, das würde nicht mal Superwoman schaffen! Also haben wir überlegt: Welche Aufgabe stresst uns alle im Alltag am meisten und frisst die meiste Zeit? Die einhellige Antwort: Die Dienstplanung! Immer komplexere Dienstpläne anhand der Mitarbeiterbedürfnisse schreiben und die Abdeckung der Dienste bei Arbeitsunfähigkeiten regeln waren die wichtigsten Punkte. Du hast uns dann noch zusätzlich auf diese drei Gedanken gebracht:

1. Ist es betriebswirtschaftlich sinnvoll, wenn jede Bereichsleitung lediglich ihren Bereich bei der Dienstplanung betrachtet?

2. Kann eine moderne Form der Dienstplanung nicht auch ein tolles Instrument werden, um Mitarbeiter*innen zu gewinnen und zu binden?

3. Haben wir Pflegefachkräfte eigentlich eine Ausbildung für Dienstplanung gemacht oder eine für qualitativ hochwertige Pflege?

Abschließend war es ganz logisch für uns, dass wir uns ein System erarbeiten, indem der Themenkomplex Dienstplanung (mit allem was dazu gehört – Personalrecruitings, Instrument der Mitarbeiterzufriedenheit, Standby-Diensten etc.) an eine Stabsstelle übergeht. Und das im besten Fall so gut, dass wir Leitungskräfte in der Pflege nie mehr etwas davon hören – die Zentrale Einsatzplanung, kurz ZEP (image Kap. 2.2), war geboren!«

Der Weg zur mustergültigen Implementierung dieser ganz neuen Stelle war nicht immer einfach, aber am Ende eine wirkliche Erfolgsgeschichte! Ich konnte in den letzten Jahren die Idee in vielen weiteren Einrichtungen umsetzen und nicht eine hat die Einführung der ZEP seither bereut. Wie sind dabei deine Erfahrungen Andrea?

»Seit wir die ZEP eingeführt haben, kommen Bewerber*innen von sich aus auf uns zu und sagen im Vorstellungsgespräch schon mal: »Ich habe gehört, bei Euch kann man zeitlich arbeiten, wie man will?« – Ich muss dann immer lachen! Ganz so ist es nicht, aber klar: Durch unsere ZEP sind wir wesentlich flexibler geworden und haben die individuelle Dienstplanung nach den eigenen Bedürfnissen sogar zu unserem Markenzeichen gemacht. Daran sieht man gut, wie Du schon gesagt hast: Wir Führungskräfte müssen uns immer wieder fragen: Was brauchen meine Mitarbeiter*innen eigentlich gerade? Und daran sollten wir ansetzen.«

Soweit die PDL Andrea. Wie denken Sie darüber? Lesen Sie im zweiten Kapitel des Buches mehr über die ZEP und halten Sie sich immer wieder vor Augen: Gute Mitarbeiterführung ist nicht etwas, was man naturgemäß kann oder nicht kann. Eine professionelle Mitarbeiterführung kann – und sollte! – jede Führungskraft lernen und sich aneignen. Den ersten Schritt haben Sie mit dem Kauf des Buchs getan! Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit der Lektüre der erfolgreichen Strategien und hoffe, Sie können ganz viel davon in Ihrem Berufsalltag umsetzen.

Gut zu wissen: Bevor Sie Ihre Mitarbeiter*innen führen wollen, sollten Sie zuerst bei sich ansetzen. Nur wer sich selbst gut führt, kann auch andere begeistern und leiten. Im ersten Kapitel dreht sich deshalb alles um Ihre persönliche Rolle als Leitungskraft. Los geht’s!

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1 https://www.dbfk.de/manifest/

»Wer sich selbst nicht führt,
kann das auch bei anderen nicht tun –
Selbstführung tut not.«

1.1Entwickeln Sie ein (neues) Rollenbewusstsein

Eine Rolle ist die Summe der von einer Person erwarteten Verhaltensweisen, die auf das Verhalten anderer Personen abgestimmt ist. Jede Rolle existiert unabhängig vom Rollenträger. Sie besteht aus allgemeinen Erwartungen, die der Rolleninhaber erfüllen muss. In der Pflegebranche erleben wir es häufiger, dass ein bislang gleichrangiger Kollege plötzlich in eine höhere Position aufsteigt, etwa von der normalen Fachkraft zur Bereichsleitung. Oder ein Kollege geht von der Position der Bereichsleitung direkt in die Position der Pflegedienstleitung. Ist es Ihnen auch so ergangen?

Bei allen neuen fachlichen Herausforderungen, die plötzlich auf einen zukommen, wird der Wechsel in die neue Rolle oft nicht richtig bewusst wahrgenommen. Das bereitet den Nährboden für spätere Konflikte.

Beispiel Neue Rolle, andere Erwartungen

Die Pflegekraft Katja ist es gewohnt, während ihrer Dienste regelmäßig mit ihren Bereichskolleg*innen eine Rauchpause einzulegen. Als sie einige Monate später in die Position der PDL aufgestiegen ist, verlangt die Geschäftsführung von ihr, die ausufernden Rauchpausen im Unternehmen in den Griff zu bekommen. Katja schreibt eine entsprechende Dienstanweisung. Jetzt sind ihre früheren Kolleg* innen sauer: »Der ist wohl die neue Position zu Kopf gestiegen! Jetzt will sie uns verbieten, was sie selbst immer gemacht hat!«

Das Beispiel zeigt deutlich auf, dass jede Rolle mit unterschiedlichen Erwartungen verbunden ist. Erwartungen, die der Rollenträger an sich selbst hat, aber auch Erwartungen, die andere mit der Rolle verbinden. Im Fall von Katjas Kolleg*innen besteht die Erwartung darin, dass die PDL als Vorbild anders agieren sollte als ein normaler Kollege.

Als Leitungskraft haben Sie gemäß Ihrer Position eine bestimmte Rolle inne. Erschwerend kommt hinzu, dass Sie im Alltag noch viel mehr Rollen innehaben. Als (Leitungs-) Teamkolleg*in, als Ehepartner, als Mutter/Vater, als Kind Ihrer Eltern, als Vereinskollege etc. Experten2 sind der Meinung, dass kein Mensch mehr als sieben Rollen gut ausfüllen kann. Überprüfen Sie einmal, welche Rollen Sie alle innehaben: Kommen Sie auf mehr als sieben? Dann sollten Sie überlegen, ob es Rollen gibt, die Sie vielleicht sogar ablegen können.

image Übung

Ihre Rollen

Rollenerwartungen und -konflikte wird es immer geben. Ihre Aufgabe als Leitungskraft besteht darin, sich der Erwartungen von außen bewusst zu werden und Ihre eigenen Erwartungen herauszufinden. Gelingen kann Ihnen das mit dieser siebenschrittigen Übung:

1. Notieren Sie: Welche Führungsrolle im Unternehmen habe ich inne?

2. Was erwarte ich in dieser Rolle von mir selbst? (Möchten Sie z. B. immer gerecht handeln oder erwarten Sie von sich, dass Sie das größte Fachwissen zu einer bestimmten Thematik haben?)

3. Wie kann es mir gelingen, meine eigenen Erwartungen zu erfüllen? (Gut eignet sich dafür ein Brainstorming und/oder die Rücksprache mit einem persönlichen Coach.)

4. Notieren Sie alle relevanten Gruppen (z. B. ehemalige direkte Arbeitskolleg*innen, die neuen Kolleg*innen im Leitungsteam oder externe Kooperationspartner wie Behörden und Firmen, mit denen Sie es in Ihrer Position zu tun haben.)

5. Schreiben Sie auf, welche Erwartungen an Ihre Rolle von diesen verschiedenen Gruppen an Sie geknüpft werden. Was erwarten all diese Menschen von Ihnen?

6. Wie kann es Ihnen ab sofort gelingen, die Erwartungen der einzelnen Gruppen zu erfüllen?

7. Stellen Sie einen Plan zur Umsetzung Ihrer herausgefundenen Maßnahmen auf und versuchen Sie, ihn im Arbeitsalltag umzusetzen: Ein Beispiel:

Ich bin Bereichsleitung im Unternehmen.

Um diese Rolle gut auszufüllen, erwarte ich von mir, dass ich immer ein offenes Ohr für meine Mitarbeiter*innen habe. Zusätzlich muss es mir gelingen, zwischen dem Anspruch der Geschäftsführung und den Wünschen und Bedürfnissen meiner Mitarbeiter eine gute Balance herzustellen.

Da ich in der Rolle der Bereichsleitung noch recht neu bin, wünsche ich mir persönliche Unterstützung, um die oben genannten Ziele zu erreichen. Eine erfahrene und gute Bereichsleitung als Coach an meiner Seite ist mir für die ersten Monate wichtig.

Eine relevante Gruppe sind meine ehemaligen Arbeitskolleg*innen, die mich nun als neue Vorgesetzte akzeptieren sollten.

Meine ehemaligen direkten Arbeitskolleg*innen wünschen sich, dass ich für sie kämpfe und ihre Interessen durchsetze. Dafür brauche ich ausreichende Zeitfenster zur direkten Kommunikation, aber auch zur anschließenden Umsetzung der Anliegen.

Mein Zeitplan:

Jeden ersten Montag im Monat möchte ich zwei Stunden mit meinem persönlichen Coach sprechen. Dabei ziehen wir uns beide aus der direkten Arbeit heraus und nehmen uns Zeit zur Reflexion.

Für meine Mitarbeiter*innen biete ich jeden Mittwoch von 10.00–11.00 Uhr eine feste Sprechstunde an; hier können Sie die Rücksprache mit mir suchen und mir ihre Anliegen mitteilen.

1.2Weiten Sie Ihren Horizont

Ihre Mitarbeiterin Melanie möchte ihren Urlaub verschieben und bittet Sie um ein Gespräch. Ihrem Mitarbeiter Karsten fällt auf, dass die Reinigungsqualität im Haus zum wiederholten Male ungenügend ist und er fordert Sie auf, etwas zu unternehmen. Der Steuerberater klingelt durch und möchte den Jahresabschluss mit Ihnen besprechen. Das sind alles wichtige Aufgaben, die erledigt werden müssen. Aber achten Sie darauf, dass Sie von solchen Aufgaben nicht aufgefressen werden.

Als Leitungskraft müssen Sie Aufgaben nicht nur erledigen, sondern selbst eine Agenda setzen:

1. Welche Zukunftsthemen erwarten Sie und Ihr Team?

2. Welche aktuellen Entwicklungen sind in Ihrer Branche zu beobachten?

3. Wie positionieren Sie sich nach außen, z. B. gegenüber externen Kooperationspartnern wie der Heim- und Pflegeaufsicht oder dem MDK zu bestimmten Themen?

Um diese drei Leitfragen gut beantworten zu können, braucht es immer wieder Ihren gezielten Rückzug aus dem Alltag. Verschaffen Sie sich Freiräume für »Denk-Zeit«. Manche eigenen Positionen zu bestimmten Fachthemen müssen sich im Laufe der Zeit immer weiter klären und reifen, ehe sie öffentlich spruchreif sind. Eine solche Weiterentwicklung funktioniert nicht nebenbei im hektischen Arbeitsalltag. Zum Denken brauchen Sie Ruhe, Zeit und Muße.

Ziehen Sie sich in Ihrer Denk-Zeit gezielt an einen ruhigen und inspirierenden Ort zurück. Das kann z. B. die hausinterne Bibliothek sein, wenn Sie Fachzeitschriften oder Fachbücher lesen möchten. Das kann aber auch der Park gegenüber sein, wenn Sie ein kniffeliges Problem durchdenken möchten und gerade am Arbeitsplatz nicht weiterkommen. Der Rückzug auf diese (höhere) Metaebene ist von entscheidender Bedeutung, um Ihre Aufgabe als Agenda-Setzer zu erfüllen. Sie können z. B. die Qualität in Ihrer Einrichtung oder in Ihrem Team gezielt von außen betrachten:

Welches Qualitätsniveau haben wir bereits erreicht?

Was möchte ich im nächsten halben Jahr mit meinen Mitarbeiter*innen umsetzen?

Erinnern Sie diese beiden Fragen an den Pflegeprozess? Richtig, auch bei Ihrer regelmäßigen Analyse sollten Sie zuerst den Status quo betrachten – was haben Sie erreicht, was läuft gut? Danach widmen Sie sich dem aktuellen Handlungsbedarf – was läuft noch nicht gut, wo sollten Sie nachbesseren? Und zum Schluss definieren Sie Fernziele:

»Nächstes Jahr um diese Zeit sollte XY erreicht sein.«

»Im Jahr 2023 möchte ich diese Vision … umgesetzt haben!«

Nach dem Denkprozess geht es mit den kleinteiligen To-do’s weiter, z. B. der Rücksprache mit Ihren leitenden Mitarbeiter*innen, der Entwicklung von Projektplänen etc. Aber am Anfang müssen zuerst die grundsätzliche Richtung und die grundsätzlichen Ziele definiert sein. Um diese herauszufinden und zu filtern braucht es Ihren weiten Horizont und Ihre gezielte Denk-Zeit.

1.3Strukturieren Sie Ihre To-do’s und optimieren Sie Ihre Arbeitszeit

Schwimmen Sie auch manchmal vor lauter Aufgaben, die jetzt gleich und am besten gestern erledigt sein sollten? Fragen Sie sich manchmal am Ende eines Arbeitstages, was Sie heute eigentlich geleistet haben? Keine Angst, mit diesen Gefühlen sind Sie nicht allein. Viele Führungskräfte in der Pflege haben nie richtig gelernt, wie man systematisch strukturiert und priorisiert.

Diese Themen sind leider auch bei Weiterbildungen kein regelmäßig wiederkehrendes Thema und werden oft eher nebenbei abgehandelt. Erschwerend kommt hinzu, dass Pflegefachkräfte gern zuerst auf dem Appell-Ohr hören. Das führt schnell zu einer Situation, wie ich Sie kürzlich in einer stationären Pflegeeinrichtung erlebt habe.

Beispiel »Jetzt … sofort … zackzack!«

Die PDL Irina arbeitet in einer Einrichtung, die zu einer großen Kette gehört. Oft gesehen hat sie die Regionalleiter nicht. Doch heute – Irina ist gerade schnellen Schrittes zu einem Seniorenzimmer unterwegs – sieht sie zu ihrem Erstaunen den Bezirksleiter vor sich.

Er grüßt kurz und drückt ihr ein Formular in die Hand. Irina kann kaum einen Blick darauf werfen, da hört sie den Bezirksleiter auch schon sagen: »Diese Statistik müssen Sie in Zukunft jeden Monat vorbereiten. Ich erkläre Ihnen kurz, wie es geht, dann machen Sie die Auswertung allein fertig und schicken sie mir zum Drüberschauen. – Wo war nochmal ihr Büro?«

Ja, das muss man erst einmal durchatmen. Solche Überfälle, die den Eindruck vermitteln, dass von jetzt auf gleich diese und jene Sache sofort geschehen muss, haben Sie bestimmt auch schon erlebt. Hand aufs Herz: Was davon war wirklich so überlebenswichtig, dass es nicht auch noch hätte warten können? Denkt man einmal in Ruhe darüber nach, ist die Antwort in 99 Prozent der Fälle: Nichts davon.

Ich rate Ihnen sowohl Ihre regulären festen Aufgaben im Unternehmen, als auch akute, ungeplante Aufgaben mittels Kalendersystem oder Wiedervorlagemappe (WV-Mappe) zu strukturieren. Ich persönlich bin ein Fan von WV-Mappen und kann dieses Organisationssystem nur empfehlen. Wenn ich etwa einen Termin für eine Schulung am 10. September vereinbare, lege ich mir alle diesbezüglichen Unterlagen am 10. in die Mappe und mache mir folgende Wiedervorlagen:

10. August: Schulung vorbereiten und offene Fragen mit dem Veranstalter abklären,

10. September: Schulung durchführen.

Zerlegen Sie auf diese Weise Ihre Aufgaben in Einzelschritte und klaren Terminen, erarbeiten Sie sich im Laufe der Zeit einen sinnvoll strukturierten Tagesplan. Sie schlagen Ihre WV-Mappe jeden Morgen auf und sehen, was heute zu tun ist. Das hilft enorm, dass sich die Aufgaben nicht ballen und Sie nicht ins Schleudern kommen. Sehe ich etwa, dass am 10. August schon sehr viele To-do’s in der Mappe sind, verschiebe ich die Vorbereitung der Schulung auf den nächsten Tag. Zeit genug ist ja noch.

1.4Übernehmen Sie Verantwortung

Gerade wenn Sie erst kürzlich in eine Leitungsposition gewechselt sind, sollten Sie Ihre Stellenbeschreibung und Ihr Aufgabenprofil genau unter die Lupe nehmen. Für was genau sind Sie verantwortlich? Überprüfen Sie das zum einen anhand der schriftlichen Vereinbarungen und zum anderen anhand der Erwartungen, die in der Realität an Sie gestellt werden.

Zu Ihrem Aufgabenprofil gehört z. B. laut Stellenbeschreibung die Gesamtverantwortung für den Bereich Aus-, Fort- und Weiterbildung. Im Arbeitsalltag stellen Sie aber fest, dass in diesem Bereich noch viele andere Menschen involviert sind, so die Verwaltung, die für die Teilnehmerlisten und das Nachfassen zuständig ist, aber auch Fachkräfte mit Weiterbildung wie die Fachkraft für Medikamentenversorgung, die eigenständig ihre Schulung der Mitarbeiter organisiert etc. Jetzt sollten Sie klar absprechen und dokumentieren: Wer ist wem gegenüber weisungsbefugt? Was genau verbirgt sich hinter Ihrer »Gesamtverantwortung«? Mit einem strukturierten Plan Ihrer Zuständigkeiten vermeiden Sie spätere Missverständnisse von Anfang an.

Sind Ihre Aufgabengebiete und Verantwortlichkeiten definiert, sollten Sie überlegen, was das jeweils für die tägliche Arbeit bedeutet. Kein Chef wird Ihnen sagen, dass zur »Gesamtverantwortung Aus-, Fort- und Weiterbildung« gehört, sich regelmäßig über die Fortbildungsangebote von externen Dienstleistern zu informieren. Das versteht sich von selbst. Bekommt man neue Aufgaben übertragen und keine gute Einarbeitung oder Übergabe, fragt man sich als Neuling aber schon einmal: »Was gehört denn nun automatisch dazu? Was wird von mir erwartet?«

Als Praxishilfe können Sie sich bei dieser Frage an den beiden Säulen »Qualitätssicherung « und »Qualitätsweiterentwicklung« orientieren. 60 Prozent Ihrer Arbeit als Führungskraft sollten Sie mit Qualitätssicherung verbringen und 40 Prozent mit der Weiterentwicklung der Qualität im Unternehmen. Wenn Sie im also bisher lediglich verwaltet, also jedes Jahr den Fortbildungsplan geschrieben und sich rein um alles Organisatorische gekümmert haben, haben Sie bestenfalls Ihre Aufgabe der Qualitätssicherung erfüllt. Aber Qualitätsweiterentwicklung war noch kein Thema. Hier sollten Sie schleunigst überlegen, wie Ihnen diese auf diesem Gebiet gelingen kann.

Fazit 

Denken Sie immer daran: Sie sind als Führungskraft kein Sachbearbeiter, also kein reiner Verwalter. Sie sind aktiver Gestalter und das impliziert die Übernahme von der oben definierten umfassenden Verantwortung für das eigene Aufgabengebiet.

1.5Treten Sie souverän und selbstsicher auf

»Letzte Woche war ich bei einem Vortrag zum neuen Personalbemessungsgesetz. Ich konnte nur staunen, welche fundierten Rückfragen meine Kolleg*innen aus anderen Einrichtungen gestellt haben und habe teilweise nur Bahnhof verstanden. Ich hatte noch überhaupt keine Zeit, mich damit näher zu beschäftigen. Mein Eindruck war: Alle sind schon voll im Thema drin, nur ich noch nicht. Das hat mich sehr verunsichert «, berichtete mir neulich die Geschäftsführung einer stationären Einrichtung. Können Sie ihr das auch gut nachfühlen? Wir werden immer wieder mit Situationen konfrontiert, die uns verunsichern oder vielleicht sogar ratlos zurücklassen. Manches macht uns sauer und wütend, bei manchem werden wir euphorisch und wollen unserem Gegenüber am liebsten um den Hals fallen. Aber: Jede dieser Reaktionen wäre falsch! Machen Sie sich immer wieder bewusst: Von einer Leitungskraft wird weitgehend neutrales Verhalten erwartet. Sie stehen stets im Fokus der Öffentlichkeit und müssen so viele unterschiedliche Wahrnehmungen und Bedürfnisse bedienen, dass Sie mit einem in sich ruhenden und selbstsicheren Verhalten am besten fahren.

Würden Sie einen Mitarbeiter etwa bei einem positiven Arbeitsergebnis gleich um den Hals fallen, werden das alle Kolleg*innen, die das sahen, in Zukunft bei guten Leistungen auch erwarten. Reagieren Sie bei einem anderen Kollegen dann weniger euphorisch, besteht schnell die Gefahr, dass er es persönlich nimmt, deshalb: Treten Sie als Führungskraft immer zurückhaltend, selbstsicher und souverän auf.

Ein gutes Verfahren für das eigene Verhalten und Auftreten sind die drei Gesprächsgrundhaltungen nach Carl Rogers: Kongruenz – Empathie – Wertschätzung.

Kongruenz meint »Echt-sein«: Spielen Sie nichts vor und probieren Sie nicht, jemand anders zu sein. Sie sind wertvoll, so wie Sie sind – treten Sie deshalb immer als Sie selbst auf und spiegeln Sie Ihre Empfindungen und Gefühle ehrlich wider.

Empathie meint »Einfühlsam-sein«: Sich in sein Gegenüber einfühlen, den – vielleicht zur eigenen Position gegensätzlichen – Standpunkt verstehen und die Bedürfnisse seines Gegenübers auch zu berücksichtigen, ist eine wichtige Eigenschaft von Führungskräften. Wer versucht, auf Teufel komm’ raus immer den eigenen Standpunkt durchzusetzen, wird scheitern.

Wertschätzung meint respektvolles Verhalten. D. h. sein Gegenüber akzeptieren, und übrigens auch sich selbst. Carl Rogers definiert die beste eigene Grundhaltung mit: »Ich bin ok, du bist ok.« Sowohl »Ich bin nicht ok, du bist ok« als auch »Ich bin ok, du bist nicht ok« und auch »Ich bin nicht ok, du bist nicht ok« sind destruktiv und führen im zwischenmenschlichen Kontakt zu unnötigen Spannungen. Überprüfen Sie Ihre eigene Haltung: Gehen Sie mit der Einstellung »Ich bin ok, du bist ok« auf Ihre Gesprächspartner zu? Falls nicht, sollten Sie an Ihrer Grundhaltung arbeiten. Eine guter Tipp dafür ist beispielsweise die Rücksprache mit Ihrem persönlichen Coach: Fragen Sie sie oder ihn, wie er es schafft, sein Gegenüber zu akzeptieren, und natürlich auch sich selbst.

1.6Stellen Sie sich auch unangenehmen Aufgaben

Leiden Sie auch hin und wieder unter »Aufschieberitis«? Ganz besonders unangenehme Aufgaben schiebt man gern auf die lange Bank, oder noch besser: Man versucht, der Aufgabe gleich ganz aus dem Weg zu gehen. Das »noch besser« ist in diesem Fall ironisch gemeint, denn weder Aufschieben noch aus dem Weg gehen ist einer Führungskraft würdig. Als Führungskraft sind Sie auf den Respekt Ihrer Mitarbeiter*innen angewiesen. Vielleicht haben Sie es während Ihres beruflichen Werdegangs auch schon erlebt: Führungskräfte, hinter deren Rücken jeder Mitarbeiter den Kopf schüttelt, haben verloren. Sie gelten bestenfalls noch als »lame ducks«, also lahme Enten, die nur (noch) ihre Zeit absitzen, die sich aber weder durchsetzen noch etwas erreichen können.

Echte Führungspersönlichkeiten werden respektiert, weil sie sich z. B. auch vor unangenehmen Aufgaben nicht drücken. Ein Negativ-Beispiel aus der Praxis, das verdeutlichen soll, was ich damit meine: Eine stationäre Pflegeeinrichtung hat vorgegeben, dass die Schichtleitung im Früh- und im Spätdienst keine feste Gruppe an Pflegekunden mehr hat, die sie versorgt. Stattdessen lautet die Vorgabe der PDL: Am Morgen und am Abend versorgt die Schichtleitung immer fünf Pflegekunden des Bereichs. Welche fünf das sind, möge sie jeweils aufgrund ihrer fachlichen Einschätzung neu definieren, etwa der Pflegekunde, der gestern aus dem Krankenhaus kam oder der Pflegekunde, dessen Wunde sich verschlechtert hat. Manche Pflegefachkräfte des Bereichs konnten mit dieser Verantwortung nicht umgehen und teilten sich selbst jeden Tag die in der Versorgung leichtesten Pflegekunden. Die Pflegehilfskräfte des Bereichs durchschauten dieses Vorgehen sofort. Das Ansehen und der Respekt gegenüber den betreffenden Fachkräften waren schnell im Keller.

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie viel Selbstdisziplin und innere Stärke Sie als Führungskraft brauchen. Das bedeutet dann z. B. oft nicht, den leichten Weg zu gehen, sondern den fordernden. Als Rat für die Praxis lege ich Ihnen als Herz: Schieben Sie unangenehme Aufgaben nicht lange auf, sondern widmen Sie sich ihnen sofort. Je länger etwas Unangenehmes auf dem Schreibtisch liegt, desto größer werden der Druck und der eigene Widerwillen. Tatsächlich loszulegen und den ersten Schritt zu gehen wird in der Folge immer schwieriger. Deshalb: Erledigen Sie unangenehme Aufgabe sofort.

1.7Ernähren Sie sich gesund

Jede Führungskraft braucht gute Nerven und ein dickes Fell. Ernähren Sie sich von Fertiggerichten, Fast Food und Süßigkeiten stehen Ihrem Körper nicht die Nähr- und Ballaststoffe zur Verfügung, die er braucht. Die Folge? Sie werden schneller gereizt und dünnhäutiger. Studien deuten darauf hin, dass die Zusammensetzung der Nahrung auch unsere Emotionen wie Aggressivität oder Sozialverträglichkeit beeinflusst. 3 Legen Sie deshalb großen Wert auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Frühstücken Sie immer vor Ihrem Dienst, sodass Sie schon gestärkt auf der Arbeit ankommen. Gut eignen sich dafür z. B. ein belegtes Brot und ein Smoothie oder ein gesundes Porridge mit frischen Früchten. Nehmen Sie sich als Zwischensnack Reiswaffeln, Obst oder appetitlich geschnittenes Gemüse wie Möhren oder Kohlrabi mit. Bekommen Sie am Vor- oder Nachmittag trotz dieser Zwischensnacks Heißhunger auf Süßes, trinken Sie ein großes Glas warmes Wasser. Das füllt den Magen und kann Hungerattacken ebenso kompensieren wie etwa ein kurzes Aus-dem-Raum-Gehen. Richtige Heißhungerattacken halten selten länger als 15–20 Minuten an. Erledigen Sie in dieser Zeit doch bewusst etwas an einem Ort, an dem keine Süßigkeiten in greifbarer Nähe sind.

Essen Sie mittags auf der Arbeit warm, entweder in der eigenen Kantine oder außerhalb. Auch im Jahr 2020 war die Currywurst mit Pommes übrigens eines der beliebtesten Kantinenessen in Deutschland. Sie schmeckt ja auch echt gut, achten Sie nur bitte darauf, dass die Currywurst oder das beliebte SchniPPo (Schnitzel mit Pommes) nicht täglich auf Ihrem Speiseplan stehen. Öfter einmal einen Salat oder warmes Gemüse mit Nudeln und Kartoffeln ist ungemein bereichernd. Natürlich können Sie sich auch etwas vorkochen und zum Aufwärmen mitbringen, das ist meist sogar die gesündeste Art, jedoch ist es auch eine Zeitfrage. Am Abend zu Hause sollten Sie warm oder kalt essen, jedoch nicht ganz so reichlich. In der Nacht sollte Ihr Körper sich aufs Schlafen konzentrieren und nicht so sehr große Mengen von Essen verdauen.

Zu einer vollwertigen Ernährung gehört auch das Trinken: Trinken Sie über den Tag verteilt bitte nicht nur Kaffee, sondern auch viel Wasser, leichte Fruchtschorlen oder ungesüßten Tee.

1.8Achten Sie auf eine vorbildliche Pausenkultur

Der Tipp zur Ernährung leitet perfekt über zu einer vorbildlichen Pausenkultur. Wie machen Sie bisher Pause? Zwischen Tür und Angel oder im Rahmen eines gezielten Rückzugs, vielleicht sogar außerhalb des Unternehmens? Letzteres ist auf jeden Fall zu bevorzugen. Bei einigen der vorherigen Tipps haben Sie schon etwas von Ihrer Rolle und Ihrer Vorbildfunktion gehört. Diese gilt nicht nur für die Übernahme von Verantwortung oder für Ihr Auftreten, sondern auch für die Art und Weise, wie Sie Pause machen. Hektisch zwischen Tür und Angel oder vielleicht sogar an stressigen Tagen gar nicht? Das darf nicht sein. Nicht nur, weil es für Sie selbst nicht gut ist. Sondern auch, weil Sie ein Vorbild für Ihre Mitarbeiter*innen sind. Mag man es an manch stressigen Tagen auch noch so sehr glauben: Es stimmt nicht, dass keine Zeit für Pause ist. Ackert man nur durch, um möglichst viel zu schaffen, ist das ein Trugschluss, denn die Qualität der eigenen Arbeit leidet immer. An einem 8-stündigen Arbeitstag sind eine große oder zwei, drei kleine Pausen Voraussetzung, um produktive Arbeit zu leisten.

Gehen Sie deshalb mit gutem Beispiel voran und machen Sie bewusst und in Ruhe Pause. Nehmen Sie in dieser Zeit keine Anrufe und auch keine »Es-geht-ganzschnell- Gespräche« an. Es kann am Anfang sein, dass Sie Ihre Pausenzeit verteidigen, oder sogar gegen Widerstände durchsetzen müssen. Ich kann Ihnen versichern: Diesen Kampf, den Sie kämpfen, kämpfen Sie für alle Mitarbeiter*innen im Unternehmen. Denn wo einer Leitungskraft keine Regenerationszeit zugestanden wird, wird das auch bei einem Basis-Mitarbeiter nicht akzeptiert. Und das ist schlecht für ein Unternehmen. Bleiben Sie hartnäckig und konsequent. Nach einer Weile werden sich all Ihre Kolleg*innen daran gewöhnt haben und vielleicht verändert sich dadurch ja auch die ganze Pausenkultur in Ihrem Unternehmen. Das wäre klasse!

1.9Balancieren Sie Arbeits- und Privatleben klug aus

Für Sie ist es selbstverständlich, telefonisch erreichbar zu sein? Sie gehen auch am Abend noch einmal in Ihr berufliches E-Mail-Konto und bearbeiten schnell das Wichtigste? Sie haben auf der Arbeit immer eine offene Tür für Ihre Mitarbeiter*innen und sind stets ansprechbar? Das ist prima – aber in der Regel nur für Ihren Arbeitgeber...

In den letzten Jahren hat sich immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt, dass die permanente Erreichbarkeit von Führungskräften nicht zielführend ist.4 Eine gesunde Work-Life-Balance ist wichtig, um nicht permanent in einen Status der Überforderung zu kommen. Sie sollten bedenken, dass nicht nur die fachlichen Anforderungen immens gestiegen sind. Auch die Anforderungen im privaten Bereich sind in den letzten Jahren immer mehr geworden. Alles unter einen Hut zu bekommen, ist nicht einfach.

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Tipp

Um unnötigen Stress zu vermeiden, rate ich Ihnen, Ihr Arbeits- und Ihr Privatleben klug auszubalancieren. Das bedeutet vor allem eine strikte Trennung. Stellen Sie sich die Tür zu Ihrer Arbeitsstätte wie eine Schleuse vor. Sobald Sie dort durch die Tür gehen, sind Sie komplett auf Arbeit programmiert. Sie geben Ihr Bestes und sind mit voller Konzentration dabei. Verlassen Sie die Arbeit durch die Schleuse, dann sind Sie auf Privat/Freizeit programmiert. Lassen Sie die Arbeitsthemen hinter sich und beschäftigen Sie sich nicht mehr damit.

Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen: Aufregende Situationen oder wichtige Projekte werden Sie auch hin und wieder noch zu Hause beschäftigen. Das sollte aber die absolute Ausnahme sein! Grenzen Sie sich klar ab und unterstützen Sie beispielsweise kein selbstverständlich-eingeschlichenes System, das die private Erreichbarkeit jeder Leitungskraft voraussetzt. Oft suggeriert einem der Arbeitgeber, das so etwas in der eigenen Position doch selbstverständlich sei. Nein, das ist es nicht. Es ist nicht selbstverständlich, dass Kolleg*innen oder Mitarbeiter*innen Sie in Ihrer Freizeit mit Arbeitsthemen kontaktieren. Diese (unverschämte) Erwartungshaltung des Arbeitgebers sollten Sie konsequent durchbrechen.

1.10Optimieren Sie Ihre Arbeitszeit und machen Sie pünktlich Feierabend

Kennen Sie das auch? An manchen Tagen will die Arbeit einfach kein Ende nehmen: Konzepte müssen evaluiert werden, Gespräche mit Mitarbeiter*innen stehen auf der Tagesordnung, externe Kooperationspartner rufen an, Projekte sind weiter zu bearbeiten etc. Manchmal hat man als Führungskraft den Eindruck, dass der pünktliche Feierabend die Ausnahme ist. Doch Stopp: Das darf nicht die Regel sein! Mit ein paar einfachen Tipps gelingt es Ihnen ab sofort immer, Ihren Feierabend pünktlich einzuläuten. Denken Sie an Ihre eigenen Kraftreserven. Nur wer seine Arbeit pünktlich beendet, dem bleibt auch genug Zeit, sich zu erholen und seine Akkus wieder aufzuladen – und das brauchen Sie bei Ihrer fordernden Arbeit. Mit den richtigen Rahmenbedingungen, einer sinnvollen Eigenorganisation und der gezielten Nutzung des Endspur-Effekts sind Sie in Zukunft auf einem guten Weg, um mit den eigenen Kraftreserven gut umzugehen.

1.10.1 Schaffen Sie die richtigen Rahmenbedingungen

Verlässliche Handlungsanleitungen geben Sicherheit und sorgen für klare Abläufe im ganzen Unternehmen. Nehmen Sie Ihr Aufgabenprofil als Führungskraft unter diesem Fokus unter die Lupe und überlegen Sie anhand dieser drei Leitfragen:

1. Sind alle Dinge eindeutig geregelt?

2. Passiert es oft, dass »ganz plötzlich« jemand etwas von Ihnen möchte?

3. Gibt es zu den definierten Zeiten für Ihre Tätigkeit viele spontane Dinge oder können Sie den überwiegenden Teil vorausschauend planen?

Gerade an der vorausschauenden Planung sollten Sie gegebenenfalls arbeiten. Als Orientierung dienen dabei die folgenden Kennzahlen: 80 Prozent der täglichen Arbeit sollte im Voraus planbar sein und auch geplant werden. 20 Prozent Ihrer Zeit reservieren Sie für Spontanes. Stellen Sie anhand der drei Leitfragen nun aber fest, dass z. B. Sie in Ihrer reservierten Bürozeit fast nur mit spontanen Dingen, die überfallartig auf Sie einprasseln, beschäftigt sind, dann setzen Sie dort an: Versuchen Sie die Rahmenbedingungen so anzupassen, dass die 80/20 Prozent-Regelung erfüllt wird.

1.10.2 Perfektionieren Sie Ihre sinnvolle Eigenorganisation

Während aller Tätigkeiten ist es wichtig, dass Sie den Gesamtüberblick behalten. Und zwar sowohl über alle anfallenden Aufgaben als auch über die damit verbundenen organisatorischen Anforderungen. Ich komme in der Praxis am besten mit diesen zwei Instrumenten zurecht: Der Wiedervorlagemappe und einem täglichen To-do-Plan.

In der Wiedervorlagemappe (WV-Mappe) lege ich tagesaktuell alle wichtigen Informationen ab – und kümmere mich erst wieder um sie, wenn es nötig ist (image Kap. 1.3). Der tägliche To-do-Plan ergibt sich, wie der Name schon sagt, aus den tagesaktuellen Aufgaben in meiner WV-Mappe. Ich schlage die Mappe am aktuellen Tag auf und entnehme alle Aufgaben und To-do’s, die darin liegen.

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Tipp

Schreiben Sie auf einen Zettel, was Sie heute und bis wann erledigen. Alles, was Sie bis zum Feierabend nicht geschafft haben, verschieben Sie auf den nächsten Tag. So geht nichts mehr unter und Sie erschaffen sich selbst eine gute Tagesstruktur.

1.10.3 Nutzen Sie den Endspurt-Effekt

Sie kennen doch sicher den Spruch: »Der Weg ist das Ziel!« Wissenschaftler haben unlängst herausgefunden, dass wir ein Ziel eher erreichen, wenn wir den Weg dahin in einzelne kleine Etappen aufteilen. Das hat mit dem Endspurt-Effekt zu tun: Je näher wir dem Ziel kommen, desto mehr strengen wir uns an, es zu erreichen. Versuchen Sie also nicht, große Projekte an einem einzigen Tag komplett umzusetzen. Dies wird nicht funktionieren und Sie eher frustriert zurücklassen. Überlegen Sie sich dagegen ganz gezielt: Was ist heute mein übergeordnetes Ziel? Pünktlich Feierabend zu machen. Wie erreiche ich das? Indem ich meine Arbeit von Beginn an so strukturiere, dass ich realistisch bis zum Schluss mit allen Anforderungen fertig werden kann. Eine entsprechende Tagesplanung, wie eben vorgestellt, hilft dabei ungemein.

Wichtig Setzen Sie klare Grenzen

Ein ausgewogenes Geben und Nehmen ist unerlässlich für Ihren inneren Frieden und für den angestrebten pünktlichen Feierabend. Manchmal haben Sie Kapazitäten, um eine Zusatzaufgabe zu übernehmen – manchmal aber auch nicht. Kommunizieren Sie mit Ihren Vorgesetzten und Kolleg*innen offen und setzen Sie immer wieder klare Grenzen.

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2 Vgl. Seiwert L (2018): Wenn Du es eilig hast, gehe langsam. Campus, Frankfurt

3 Wissen aktuell: Der Kopf isst mit! – Wie Essen unser Denken beeinflusst. https://www.3sat.de/wissen/wissenaktuell/wissen-aktuell-der-kopf-isst-mit----wie-essen-unser-denken-beeinflusst-100.html

4 »Ausmachen, abschalten«. https://www.igmetall.de/im-betrieb/gesundheit-und-arbeitsschutz/ausmachen-abschalten

»Es gibt auch ein Dienstplanmanagement nach Bedarf!«

Ein strategisches Dienstplanmanagement musste schon immer viele verschiedene Anforderungen erfüllen: Es sollte eine zuverlässige Planung der Einsatz- und Freizeiten aller Mitarbeiter*innen garantieren, den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen möglichst entgegenkommen (Stichwort »Bezugspflege«), dabei arbeitsrechtliche Aspekte beachten und die wirtschaftlichen Belange des Unternehmens berücksichtigen. Im Pflegebereich war und ist diese Aufgabe seit Jahrzehnten traditionell bei den Wohnbereichsleitungen und der Pflegedienstleitung angesiedelt. Seit Mitte der 2000er Jahre zeichnet sich aber in vielen Einrichtungen immer deutlicher ab, dass es diesen Leitungskräften in der Pflege kaum mehr möglich ist, den ganzen oben genannten Aspekten gleichermaßen gerecht zu werden.

Warum ist das so? Was hat sich in der Arbeits- und Lebenswelt so gravierend verändert, dass der Spagat einer Führungskraft in der Pflege zwischen ihren Kernaufgaben und den Anforderungen eines soliden Dienstplanmanagements nicht mehr möglich ist? An erster Stelle ist hier sicher der allmähliche Generationenwechsel innerhalb der Arbeitnehmerschaft zu nennen.

Gegenwärtig ist davon auszugehen, dass der Bedarf und die Anforderungen an Fachkräften in Zukunft weiter zunehmen werden. Dies hat zur Folge, dass Sie sich als Arbeitgeber*innen zugkräftige Argumente überlegen müssen, weshalb die gesuchten Fach- und Führungskräfte ausgerechnet bei Ihnen arbeiten sollen – und nicht bei Ihrem Wettbewerber. Aktuelle Untersuchungen zeigen immer wieder auf, dass gerade jüngere Beschäftigte die Attraktivität ihres Unternehmens nicht mehr vorrangig nur über das Gehalt definieren. Das Arbeitgeber-Bewerbungsportal kununu.com hat im Jahr 2016 ausgewertet, nach welchen Arbeitgeberleistungen qualifizierte Bewerber* innen besonders häufig suchen: Mit Abstand am beliebtesten sind flexible Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodelle (51 Prozent) – und daran hat sich auch in den letzten fünf Jahren nichts geändert. Der Hauptgrund hierfür liegt auf der Hand: Ein starres Arbeitszeitmodell ist für immer mehr Mitarbeiter*innen nicht mehr mit ihrer individuellen Lebenssituation und -planung vereinbar. Der Gestaltungsanspruch, aber auch die Gestaltungserfordernis an das eigene Leben steigen.

Ihre Mitarbeiter*innen stellen in der Praxis immer mehr und immer größere Anforderungen an ein strategisches Dienstplanmanagement. Erleben Sie das auch so? Während es z. B. früher oftmals genügte, dass es einen Früh- und einen Spätdienst gab, sind heute Faktoren wie Kita-Öffnungszeiten, Gleitzeit, Home-Office oder Jahresarbeitszeitkonten für die Möglichkeit eines Sabbaticals zu bedenken. Arbeitgeber stehen dadurch in der Pflicht, flexible Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodelle anzubieten und Führungskräfte sind mit der Umsetzung betraut. Konkret sieht das manchmal so aus: Kürzlich begleitete ich ein Bewerbungsgespräch in einer stationären Einrichtung. Eine junge Frau bewarb sich um eine Stelle als Pflegehilfskraft. Im Gespräch sagte sie der PDL und mir, dass ihr die Einrichtung gut gefällt und dass sie gern in der Pflege arbeiten möchte. Dies sei ihr aber leider nur montags bis freitags von 8–12:00 Uhr möglich, denn sie habe ein kleines Kind und keinerlei familiäre Unterstützung.

Die PDL war aufgrund dieser mangelnden Flexibilität nicht wirklich geneigt, die junge Frau anzustellen, doch sie musste auch zugeben, dass sich Anfragen dieser Art mittlerweile zum Standard entwickelt haben, anstatt zur Ausnahme – auch und gerade in der Pflege. Die Folge: Solche Wünsche von Bewerber*innen stellen das Personalmanagement und den Dienstplanverantwortlichen natürlich vor immense Herausforderungen. Ganz unterschiedliche flexible Arbeitszeitmodelle miteinander zu kombinieren und dabei immer das große Ganze im Blick zu haben, ist mittlerweile eine so komplexe Aufgabe geworden, dass keine PDL oder Fachkraft das quasi nebenbei, neben all ihren anderen Aufgaben, erledigen kann.

2.1Achten Sie auf die Pflegefachlichkeit

Ein modernes Dienstplanmanagement ist heute nicht nur etwas Nettes, was Sie als guter Arbeitgeber leisten, weil Sie Mitarbeiter*innen gewinnen wollen, sondern etwas bitter Notwendiges. Führungskräfte in der Pflege haben in den letzten Jahren eine massive Zunahme ihrer fachlichen Aufgaben erlebt. Die aktuellen Entwicklungen in der Pflegebranche zeigen dies deutlich auf: Das Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation hat es sich zur Kernaufgabe gemacht, die nötige Dokumentation zu vereinfachen und zu reduzieren. Das ist aber nur möglich, wenn gut ausgebildete Fachkräfte dabei eigenverantwortlich entscheiden und entsprechende Prioritäten setzen können.

Die Notwendigkeit der guten Pflegefachlichkeit könnten noch viel weiter fortgeführt werden. Auch die MDK-Begutachtungen gemäß Pflegestärkungsgesetz II verlangen Ihren Pflegefach- und Führungskräften ein hohes fachliches Know-how ab. Seien wir ehrlich: Dafür sind Pflegefachkräfte auch ausgebildet worden. Ihre Kernaufgabe ist die Pflegefachlichkeit, und nicht das Kreieren von Diensten oder das tägliche Abdecken bei Krankheitsfällen. Es wird deutlich: Die Zunahme der fachlichen Anforderungen und Kernaufgaben Ihrer Pflegefachkräfte sind signifikante Herausforderungen für jeden Arbeitgeber. Um diesen adäquat begegnen zu können, gehört das immer komplexer werdende strategische Dienstplanmanagement in eine Hand. Die strategische Personaleinsatzplanung kann nicht mehr nebenbei erledigt werden. Sie braucht eine neue Wertigkeit in den Unternehmen der Pflegebranche.

2.2Die Zentrale Einsatzplanung (ZEP) – ein Erfolgsmodell fürs Personaleinsatzmanagement

Um Mitarbeiter*innen für und im Pflegeberuf zu begeistern, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Neben Faktoren wie der adäquaten Bezahlung ist die Dienstplanzufriedenheit von entscheidender strategischer Bedeutung, um Mitarbeiter*innen zu finden und zu binden. Neue Dienstzeiten zu kreieren, die individuell zur Lebenswirklichkeit von Bewerber*innen passen, und ein System zu finden, in dem freie Tage auch wirklich frei sind – das sind die wichtigsten Themen einer an den Mitarbeiter*innen orientierten Einsatzplanung. Die damit verbundenen Herausforderungen brauchen Zeit und Ressourcen, die eine eigene Stabstelle für die Einsatzplanung erfordern. »Ich kann mir unsere Personaleinsatzplanung gar nicht mehr ohne die ZEP vorstellen! Es ist nicht vorstellbar, dass wir Führungskräfte uns wieder um dieses Thema kümmern!«, erzählte mir neulich eine PDL. »Was mir am System ZEP besonders gut gefällt: Wir haben hier ganz einfach an den Basics der Mitarbeiter*innen angesetzt. Wenn ein Mitarbeiter an seinen freien Tagen Angst haben muss, dass das Telefon klingelt und er zur Arbeit gerufen wird, werden wir diesen Kollegen nicht dauerhaft in der Pflege halten können. Wenn wir uns dagegen bezüglich individueller Dienstzeiten, die auf die Bedürfnisse einzelner Mitarbeiter*innen zugeschnitten werden, flexibel zeigen, gelingt es uns, mehr Menschen für eine Tätigkeit in der Pflege zu begeistern.«

2.2.1 Implementieren Sie die ZEP als Stabsstelle

Zentrale Einsatzplanung (ZEP) – wie kann Ihnen die Umsetzung in der Praxis gelingen? Indem Sie die Zentrale Einsatzplanung als eigene Stabsstelle implementieren, die sich um die komplette Einsatzplanung in Ihrem Unternehmen kümmert. Das gelingt im besten Fall so gut, dass Pflegedienstleitungen, Wohnbereichsleitungen und Pflegefachkräfte damit im Alltag nichts mehr zu tun haben. Sie als Führungskraft werden von einem ungeliebten Thema spürbar entlastet. Mit der ZEP ist es nicht mehr nötig, das Abdecken der Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters parallel zur Neuaufnahme eines Pflegekunden zu managen. Oder die Zeit, die eine Pflegefachkraft gern in die palliative Versorgung eines Pflegekunden investieren würde, mit Diskussionen über gewährte und nicht gewährte Urlaubs- und Wunschfreitage zu verbringen. Das nimmt viel Druck aus Ihrem Alltag. Durch das Outsourcing dieses ganzen Aufgabenbereichs entstehen Zeitressourcen, die genutzt werden können, um die pflegerischen Kernaufgaben wesentlich stressfreier als bisher zu erledigen.

Die ZEP sorgt dafür, dass Dienstpläne sinnvoll erstellt werden können, dass Arbeitsunfähigkeiten stressfrei abgedeckt werden und dass Familie und Beruf durch eine mitarbeiterorientierte Dienstplanung vereinbar werden. Der Stelleninhaber der Zentralen Einsatzplanung hat Zeit, bei Bedarf individuelle Dienstzeiten für Mitarbeiter*innen zu planen, z. B. für junge Eltern, die auf Zeiten der Kinderbetreuung angewiesen sind und vielleicht täglich nur von 08.00 – 12.00 Uhr in der Pflege arbeiten können.

2.2.2 Geben Sie der der Stabsstelle den richtigen Rahmen

In der Praxis haben sich ZEP-Stelleninhaber*innen sowohl in Teilzeit als auch in Vollzeit erfolgreich bewährt. Die Entscheidung über den zeitlichen Umfang der Stabsstelle beruht zum einen auf der Größe des Unternehmens und zum anderen darauf, welche Aufgaben die ZEP übernehmen soll. Kernelemente des Stellenprofils sind in jedem Fall die folgenden vier Aufgaben:

1. Dienstpläne für alle Funktionsbereiche der Einrichtung erstellen – unter Berücksichtigung der Stärken, Bedürfnisse und Entwicklungswünsche jedes einzelnen Mitarbeiters (Beachtung von sozialen Gesichtspunkten in der Personaleinsatzplanung),

2. Gesamtverantwortung für die jährliche Urlaubsplanung im Unternehmen,

3. Sicherstellung der täglichen Fachkraftbesetzung,

4. Organisation von Arbeitsunfähigkeitsmeldungen.

Als weitere mögliche Aufgaben (image Tab. 1) bietet sich die Gesamtverantwortung für die jährliche Fort- und Weiterbildungsplanung, das Sorgetragen für die taggenaue Arbeitszeiterfassung im Unternehmen oder die Berücksichtigung von ökonomischen Gesichtspunkten bei der Zuordnung der Mitarbeiter*innen pro Schicht mit dem Ziel einer optimalen Kosten-Leistungsrelation an.

Die Unterstützung bei der Weiterentwicklung einer Work-Life-Balance-orientierten Arbeitszeitgestaltung im Unternehmen kann ebenso in den Händen der ZEP liegen, wie auch das Mitwirken bei Ausschreibungen, Auswahlverfahren und Neueinstellungen von Bewerber*innen. Eine weitere mögliche Aufgabe ist die Implementierung oder Weiterentwicklung eines EDV-gestützten Dienstplanprogramms. Sie sehen an dieser Aufzählung: Damit die einzelnen Aufgabenbereiche eine gute Qualität haben, ist es nicht mehr möglich, diese als Führungskraft nebenbei mitzumachen. Dafür sind die Aufgaben zu komplex geworden.

Tab. 1: Mögliches Aufgabenprofil der Zentralen Einsatzplanung (ZEP)

Kernaufgaben
Dienstpläne für alle Funktionsbereiche der Einrichtung erstellen unter Berücksichtigung der Stärken, Bedürfnissen und Entwicklungswünschen jedes einzelnen Mitarbeiters. Beachtung von sozialen Gesichtspunkten in der Personaleinsatzplanung
Gesamtverantwortung jährliche Urlaubsplanung
Sicherstellung der täglichen Fachkraftbesetzung
Organisation von Arbeitsunfähigkeitsmeldungen
Mögliche weitere Aufgaben
Gesamtverantwortung für die jährliche Fort- und Weiterbildungsplanung
Sorgetragen für eine taggenaue Arbeitszeiterfassung im Unternehmen
Berücksichtigung von ökonomischen Gesichtspunkten bei der Zuordnung der Mitarbeiter pro Schicht mit dem Ziel einer optimalen Kosten-Leistungsrelation
Unterstützung bei der Weiterentwicklung einer balanceorientierten Arbeitszeitgestaltung im Unternehmen
Mitwirken bei Ausschreibungen, Auswahlverfahren und Neueinstellungen von Bewerbern
Implementierung oder Weiterentwicklung eines EDV-gestützten Dienstplanprogramms

Die positiven Resultate in der Mitarbeitergewinnung und -bindung sprechen für sich. Der Erfolg in der Praxis bestätigt das Konzept der Zentralen Einsatzplanung. Nachdem ich es vor einigen Jahren hauptsächlich entwickelt habe, um eine zuverlässige Planung der Einsatz- und Freizeiten aller Mitarbeiter*innen zu garantieren und gleichzeitig den massiven Zunahmen der fachlichen Aufgaben Rechnung zu tragen, haben mittlerweile gut 25 Einrichtungen in Deutschland das Modell in den letzten Jahren umgesetzt. Direkt aus der Praxis kann ich berichten, dass die Zahl der Ein- und Austritte von Mitarbeiter*innen kontinuierlich rückläufig ist. Neben der schon beschriebenen Entlastung von Führungs- und Fachkräften gibt es noch weitere positive Auswirkungen:

Die ZEP ist in der Lage, auch kurzfristige Neueinstellungen im Unternehmen gut zu strukturieren. Die Freistellung jener Kolleg*innen, die für die Einarbeitung verantwortlich sind, sorgt dafür, dass ein neuer Mitarbeiter ganz in Ruhe eingearbeitet werden, und stressfrei am neuen Arbeitsplatz ankommen kann.

Zusätzlich konnten deutlich sinkende Ausfallzeiten beobachtet werden. Natürlich sind Mitarbeiter*innen auch mit einer Zentralen Einsatzplanung weiterhin krank, das ist keine Frage. Wenn die ZEP es aber schafft, nur 20 Prozent der Arbeitsunfähigkeitsmeldungen abzufangen, die in Wahrheit keine sind, ist für den betroffenen Mitarbeiter und das Unternehmen viel gewonnen.

Insbesondere Situationen der Überforderung, zusätzlich gewünschte freie Tage oder kurzfristige Ausfälle, können mit ZEP aufgefangen werden. Eine engagierte ZEP entwickelt eine gute Kommunikationsbasis zu den Mitarbeiter*innen des Unternehmens und kann sich so individueller Nöte und Sorgen annehmen und kurzfristig über das Instrument Dienstplan den Bedürfnissen Rechnung tragen, sodass Mitarbeiter*innen in Notsituationen nicht mittels des gelben Scheins reagieren müssen.

Ein weiterer Vorteil der Zentralen Einsatzplanung besteht darin, dass die Einsatzplanung aufgrund des bereichsübergreifenden Überblicks noch flexibler werden kann.

Eine Zentrale Einsatzplanung lohnt sich in vielfältiger Hinsicht. Durch das sehr viel individuellere Dienstplanmanagement nimmt die Zufriedenheit von Mitarbeiter*innen bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen zu. Die Bindung zum Unternehmen wird gestärkt. Neue potenzielle Mitarbeiter*innen können durch das Alleinstellungsmerkmal einer Zentralen Einsatzplanung begeistert werden und so ihren Weg in das Tätigkeitsfeld Pflege finden.

2.3Dienstplanchecklisten erleichtern Ihre Arbeit

Ganz gleich, ob Sie sich für das Modell der Zentralen Einsatzplanung oder einen anderen innovativen Ansatz zur Personaleinsatzplanung entscheiden, ich empfehle Ihnen in jedem Fall, Dienstplanchecklisten zu führen. Diese erleichtern Ihre täglichen To-do’s um ein Vielfaches. Dienstplanchecklisten – was kann man sich darunter vorstellen? Entwerfen Sie pro Bereich, für den ein Dienstplan geschrieben wird, die Checkliste A und die Checkliste B. Auf der Checkliste A werden die gültigen Rahmendienstzeiten vorgegeben (image Tab. 2).

Tab. 2: Checkliste A - die gültigen Rahmendienstzeiten

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Jede Führungskraft, die den Dienstplan schreibt, weiß jetzt, dass sie im Frühdienst einer Fachkraft den F4 planen muss. Den zweiten F4-Dienst und die beiden F2-Dienste sind unter allen Hilfs- oder Assistenzkräften zu planen. Mit einer solchen Vorlage gelingt die Dienstplanung strukturiert und nach betriebswirtschaftlichen Kriterien.

Auf der Checkliste B halten Sie nun die individuellen Besonderheiten der Mitarbeiter* innen des Bereichs fest, z. B.:

Bereichsleitung Ina: Jeden Montag Büro für die Arztvisite planen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842691070
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Oktober)
Schlagworte
Lehr- und Lernmaterialien Altenpflege Qualität Qualitätsindikatoren Pflegemanagement Pflegedokumentation Qualitätsmanagement Pflegepraxis Versorgungsergebnisse Strukturmodell

Autor

  • Nicole Ott (Autor:in)

Nicole Ott ist Unternehmensberaterin für Einrichtungen im Gesundheitssektor. Als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, Qualitätsmanagerin und langjährige Leistungskraft kennt sie Abläufe in der Pflege von Grund auf. Ihr Fachwissen gibt sie bundesweit als Fachautorin und Dozentin der Erwachsenenbildung weiter.
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Titel: Erfolgsstrategien für die Mitarbeiterführung in der Pflege