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Das Anti-Burnout-Buch für Pflegekräfte

Einfache Übungen und wirkungsvolle Tipps für jeden Tag. So funktioniert die eigenverantwortliche Burnout-Prophylaxe

von Jennifer Melcher (Autor:in)
260 Seiten
Reihe: Pflege Praxis

Zusammenfassung

Die „systemrelevanten“ Pflegekräfte sind eine bedrohte
Spezies – kaum eine andere Berufsgruppe ist so gefährdet,
wenn es um Burnout geht. Neue Strukturen
müssten her, sensiblere Führungskräfte, bessere Arbeitsbedingungen.
Doch das alles ändert nichts am
Grundsätzlichen: Ein Burnout ist (immer auch) selbstgemacht!
Gängige Burnout-Theorien nehmen Vorgesetzte in die
Pflicht. Und scheitern damit kläglich. Mit dem richtigen
Führungsstil und einem „guten“ Arbeitsumfeld werden
Mitarbeiter keineswegs gesund und glücklich.
Jennifer Melcher nimmt Pflegende in die Pflicht, endlich
auch sich selbst zu pflegen. Und das mit mindestens
ebenso viel Hingabe und Aufopferung wie bei ihren
Patienten. Von der Selbsterkenntnis über Zielsetzungen
bis hin zur individuellen Strategie in Sachen Anti-
Burnout. Jede Pflegekraft braucht Hilfe, Anleitungen,
Übungen und Checklisten, um schnell aus der Burnout-
Falle zu kommen. Und die liefert dieses Buch.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Ein herzliches Dankeschön

meinen Seminarteilnehmer*innen, die das Konzept der eigenverantwortlichen Burnout-Prophylaxe mit ihren Fragen, Beispielen und Anregungen mitentwickelt haben. Ohne euer großes Wissen und eure persönlichen Erfahrungen wäre dieses Buch nicht entstanden.

meinen Eltern, weil ihr mich Eigenverantwortung gelehrt habt, indem ihr meinen Fähigkeiten vertraut habt.

meinen Kindern, weil ihr mich erdet und mir immer wieder zeigt, was im Leben wirklich wichtig ist.

meinem Mann, weil du an mich glaubst!

Vorwort

Bei der gesellschaftlichen Diskussion über Burnout wird stets das wirtschaftliche und gesellschaftliche Ausmaß thematisiert. Das Problem des Burnouts wird daran festgemacht, wie viele Krankentage, Arbeitsunfähigkeitsmeldungen oder Berufsunfähigkeiten gemeldet werden und wie groß der dadurch entstandene wirtschaftliche Schaden ist. Unterm Strich geht es also darum, was ein Burnout kostet.

Zu den Kosten, die dem Arbeitgeber durch die Personalausfälle entstehen, kommen die Kosten, die den Krankenkassen für ambulante und stationäre Therapien, Tagesgelder, Reha-Zeiten etc. entstehen. Auch die Rentenkasse wird belastet, z. B. durch Frühverrentung wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit. Zu all diesen Punkten finden sich zahlreiche Statistiken. Geordnet nach Wohngegend, Alter, Geschlecht, Berufsgruppen oder ähnlichen Kriterien wird hier der genaue wirtschaftliche Schaden durch die Diagnose Burnout ermittelt. Daraus lässt sich dann für jedermann ableiten: Ja, da steckt ein großes Problem.

Die Zahl der Betroffenen ist riesig (je nach Statistik spricht man von bis zu einem Drittel der Berufstätigen), der finanzielle Schaden noch viel höher. Ein ernsthaftes Problem für die Wirtschaft. Da muss gehandelt werden. Und genau so läuft es dann auch: »Irgendjemand muss irgendetwas dagegen unternehmen.« Am besten Vater Staat. Die Politik muss sich dieser Misere annehmen. Natürlich sollten auch die großen Unternehmen ihren Teil beitragen, sie sind ja praktisch »die Wirtschaft«. Arbeitgeber und Unternehmer müssen sich bemühen, ein besseres Umfeld für ihre Angestellten zu schaffen, damit diese nicht krank werden.

In den Statistiken treten die Betroffenen als Zahlen auf, als große anonyme Masse. Spätestens jedoch, wenn Sie selbst oder ein nahestehender Mensch unter Burnout zu leiden beginnt, stellen Sie fest, dass es um mehr geht, als um Zahlen oder Fälle. Es geht um Ihr eigenes Leben. Das Burnout betrifft eben nicht irgendeine »Zahl« in einer Statistik, sondern diesen einen lieben Freund, der so gern Fußball gespielt hat und – im Tausch gegen ein kühles Blondes auf der Terrasse – immer ein offenes Ohr für einen hatte. Es betrifft die liebevolle Mutter, die für ihre drei Kinder der Mittelpunkt des Universums war und für ihre Kollegen ein Fels in der Brandung.

Es trifft Menschen, die plötzlich nicht mehr wie früher sind. Vielleicht noch körperlich anwesend, mit etwas Glück auch noch halbwegs handlungsfähig, aber irgendwie nicht mehr sie selbst. Es geht um das eigene Leben. Um Ihr Leben. Ganz konkret um Sie, so wie Sie hier (vermutlich) sitzen und lesen.

Nicht der Staat, nicht die Pflegedienstleitung, nicht die Bereichsleitung – Nur Sie allein sind am Zug, wenn es um Ihr psychisches Wohlbefinden geht.

Dieses Buch möchte Ihnen einen Weg zeigen, sich selbst gesund zu erhalten, damit Sie Ihr Leben – wie auch immer es gerade aussehen mag – gesund und zufrieden bestreiten können. Damit Sie Ihre Ziele erreichen, unabhängig davon, wo diese angesiedelt sind, und mit Eigenverantwortung ganzheitlich und dauerhaft gesund bleiben.

Dabei hege ich keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit oder Perfektion. An der Entstehung dieses Werkes haben hunderte Seminarteilnehmer* innen – oft unbewusst – mitgewirkt, indem sie ihre Sorgen, Probleme, aber auch Lösungsansätze mit der Gruppe geteilt haben.

Sie werden sicherlich feststellen, dass nicht alles, was ich schreibe, für Ihr Leben von Relevanz ist. Stellen Sie sich daher die folgenden Seiten wie ein Buffet vor: Sie können sich umschauen und das auswählen, was für Sie gerade passt. Aber seien Sie bitte auch neugierig, probieren Sie ab und an auch mal etwas Neues aus. Und wenn es Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt Spaß macht, kommen Sie zurück und probieren etwas anderes.

Wichtig Gebrauchsanweisung

Natürlich können Sie das Buch einfach von vorn bis hinten durchlesen. So lange Sie es vorher kaufen und nicht gleich in der Buchhandlung verschlingen, ist das aus meiner Sicht völlig in Ordnung.

Um wirklich davon zu profitieren, empfehle ich Ihnen jedoch, mit dem Buch zu arbeiten. Auf den folgenden Seiten finden Sie regelmäßig Übungen, die überwiegend schriftlich erfolgen sollen. Nehmen Sie sich diese Aufgaben wirklich vor, denn erst durch sie werden Sie den ganzen Mehrwert ernten, der in diesen Seiten steckt. Das heißt, es kommt jede Menge Schreibarbeit auf Sie zu.

Unsere Gedanken sind flüchtig, unsere Gefühle ebenso. Was Sie niederschreiben, bleibt erhalten. Es wird real. So wissen Sie dank Ihrer Einkaufsliste später im Supermarkt noch immer, was Sie alles besorgen wollten.

Am leichtesten lässt sich das Geschriebene in Ihren Bewusstseinsebenen verarbeiten, wenn es handschriftlich festgehalten wurde. Sie haben mehr Bezug zu Worten, bei denen Sie jeden Buchstaben mit einer eigenen kleinen Bewegung aufs Blatt gebracht haben, als zu solchen, bei denen Sie »anonyme« Tasten gedrückt haben.

Wenn Sie in Ihrem Leben darüber hinaus etwas verändern möchten, ist es hilfreich, sich ein besonders schönes Notizbuch zuzulegen, in das Sie Ihre wichtigsten Erkenntnisse schreiben können. Natürlich können Sie auch gleich Ihre Übungen hineinschreiben. So ein Buch werden Sie immer wieder zur Hand nehmen, vervollständigen und erneut lesen.

Doch am wichtigsten ist: Seien Sie ehrlich zu sich, um den größtmöglichen Nutzen für sich zu haben! Was Sie niederschreiben, müssen Sie niemandem zeigen. Hauptsache, Sie machen sich immer wieder bewusst, dass nur Sie allein Ihre Worte »hören« können.

Eine kleine »Warnung« an Sie, liebe Leser*innen

Bevor Sie sich diesem Buch widmen, möchte ich Sie, wie in Europa dank zahlreicher Normen üblich, vor den Gefahren des Inhaltes warnen: Der Inhalt meines Buches widerspricht in großen Teilen der gängigen Meinung über Entstehung, Ursachen, Behandlung und Prophylaxe eines Burnout.

Wenn Sie also auf der Suche nach Stufenmodellen und Standards sind, werden Sie in diesem Werk erfolglos bleiben. Auch mit dem Modell des »Work-Life-Balance« mache ich kurzen Prozess. Ich beraube Sie, liebe aufmerksame Leser*innen, außerdem jeder Möglichkeit, die Verantwortung für Ihre eigene psychische wie physische Gesundheit an Dritte (Vorgesetzte, Führungskräfte, Staat etc.) abzugeben.

Sind sie darüber hinaus gewillt, mein Buch nicht nur als Gute-Nacht-Lektüre zu nutzen, sondern tatsächlich damit zu arbeiten, müssen Sie mit Veränderungen in Persönlichkeit, Sichtweisen und bekannten Denkmustern rechnen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere Menschen das bemerken werden. Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Anlässe finden, sich zu ärgern und so Aggressionen abzubauen. Außerdem müssen Sie evtl. mit einer Verminderung Ihrer Freizeit, durch die Reduktion von Krankentagen, rechnen.

Sollten Sie dennoch Lust auf ein Abenteuer haben, blättern Sie getrost um und machen Sie sich auf zu neuen Ufern.

Geschlechterneutralität und Berufszugehörigkeit

Zugunsten der besseren Lesbarkeit verzichte ich in diesem Werk weitgehend darauf, zu gendern. Ich bemühe mich, geschlechtsneutrale Personenbeschreibungen zu verwenden. Sollte dies aus inhaltlichen Gründen nicht möglich sein, bitte ich Sie, darüber hinwegzusehen.

Gleiches gilt für Bezeichnungen wie »der Patient«. Natürlich gilt diese Wortwahl stellvertretend auch für Bewohner*innen, Kund*innen, Klient*innen und alle anderen zu betreuenden Menschen.

Auch bei den Pflegenden verzichte ich aus praktischen Gründen auf die korrekten Berufsbezeichnungen. Der Inhalt gilt gleichermaßen für Betreuungskräfte, Pflegehelfer*innen, Pflegeassistent*innen, Pflegefachassistent* innen, diplomierte Gesundheits- und Krankenschwestern/- -pfleger*innen, staatlich examinierte Gesundheits- und Krankenschwester/- pfleger*innen, Master of Science in sämtlichen pflegerischen belangen, staatlich examinierte Altenpflegefachkräfte, Behindertenbegleiter*innen, Hebammen und Entbindungshelfer, Heilerziehungspfleger*innen, Sozialassistent* innen, Alltagsbegleiter*innen etc. Die Liste ist schier endlos.

In welcher Branche auch immer Sie arbeiten: Fühlen Sie sich willkommen, verstanden und angenommen.

Einleitung

Machen wir eine kleine Zeitreise: Es ist August 2009. Wir befinden uns in einem Maximalversorgungs-Krankenhaus im Osten Deutschlands. Es ist meine sechste Nachtschicht in Folge und der zwölfte Dienst ohne Ruhetag. Noch ein paar Stunden, dann habe ich ein Dutzend Diensttage voll und erhalte meinen vom Gesetzgeber vorgeschriebenem freien Tag, bevor ich erneut elf Tage am Stück auf der Akutchirurgie eingeteilt bin.1 Dann habe ich ganze vier Tage frei! Das heißt natürlich, wenn nicht irgendwas dazwischen kommt, eine meiner Kolleginnen krank wird oder aus sonstigen Gründen ausfällt.

Unsere Stationsleitung ist redlich bemüht, allen Wünschen gerecht zu werden, uns Ruhetage zu gönnen und Wunschfreitage zu ermöglichen, aber auch sie kann nur mit den vorhandenen (personellen) Mitteln arbeiten. Als sie mich vor zwei Tagen anrief, weil ich an meinem einzigen freien Tag doch noch eine Nacht einspringen sollte, hörte ich das tiefe Bedauern und die Verzweiflung in ihrer Stimme. Ich wusste, dass sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hatte, bevor sie meine Nummer wählte. Ich habe sie nicht im Stich lassen wollen.

Also stehe ich in dieser Nacht auf Station C1, einer 33-Betten-Station, auf der, wie auf allen Stationen des über 2000 Betten fassenden Hauses, natürlich mehr Patienten untergebracht sind: 35 sind es heute Nacht. Die Überzähligen werden einfach in den Zimmern »dazu geschoben.« Zierliche Pflegekräfte sind jetzt klar im Vorteil, denn in den Zimmern bleibt nur gut 30 cm Gangbreite.

Die Nachtdienste absolviere ich allein. Eine Krankenschwester2 auf – wenn es gut läuft – 35 Patienten. Dabei läuft der OP-Betrieb die ganze Nacht. Es vergeht keine Nacht ohne Neuzugänge, die über die Notaufnahme akut auf die Station überstellt werden. Frisch operierte Patienten werden – da der Aufwachraum nachts nicht besetzt ist – direkt auf die Station zurückverlegt. 30-minütige Vitalkontrolle, regelmäßige Analgesie, intravenöse Therapie, Verbandkontrolle… – das passt auch noch mit rein. Die Anordnungen erfolgen telefonisch, nicht ganz rechtskonform, aber in der Praxis nicht anders handhabbar.

Außerdem stelle ich im Nachtdienst die Medikation für den kommenden Tag. Für 35 Menschen. Da ist Konzentration erforderlich. Bekommt der richtige Patient das richtige Medikament? Ist es die korrekte Dosierung zur richtigen Uhrzeit? Nun wissen die Pflegebedürftigen auf meiner Station natürlich nichts von meinen Mühen, haben ihre eigenen Sorgen und Wünsche und klingeln, um diese erfüllt zu bekommen. Ich wechsle Wäsche, leere Katheter, verabreiche Medikamente, erneuere Infusionen. Bei zwei Patienten laufen die venösen Zugänge para, was bedeutet, dass die Kanüle aus der Vene gerutscht ist und die Infusionsflüssigkeit eine ordentliche Schwellung am Arm verursacht. Hier muss der Zugang entfernt, der Arm gekühlt und die Infusion neu angelegt werden.

Die Stunden eilen dahin. Es gibt noch so viel zu tun: Akten wegsortieren, Verbandwagen auffüllen, Materialien für den Tagdienst vorbereiten. Montagnachts müssen die Verbandmaterialien auf Sterilität geprüft werden, dienstagnachts werden die Infusionslager gereinigt. Jeder Nachtdienst ist mit eigenen Aufgaben gespickt. Und unaufhörlich läutet der Patientenruf.

Es ist 05:30 Uhr morgens. In 30 Minuten beginnt die Dienstübergabe. In dieser Nacht waren es vier Neuzugänge, davon zwei frisch operiert. In einem halben Dutzend Patientenakten kleben kleine, gelbe Notizzettel, die den ausgelaugten Mediziner daran erinnern sollen, die telefonisch angewiesenen Medikamente noch schriftlich anzuordnen.

In einem der Versorgungsräume liegt ein Verstorbener, ein 78-jähriger Herr. Sein Tod war abzusehen und so war es wenig überraschend, als ich bei meinem Durchgang gegen 01:00 Uhr sein Zimmer betrat und ihn leblos vorfand. Aus Pietätsgründen habe ich ihn in einen Versorgungsraum geschoben. Da beide diensthabende Mediziner die ganze Nacht im OP verbracht haben, soll die Totenschau vom Arzt des Tagdienstes übernommen werden. Als ich den diensthabenden Arzt am Telefon frage, ob es denn kein Problem sei, wenn der Totenschein erst so lange nach dem Ableben ausgestellt wird und ob ich nicht vielleicht einen Internisten bitten soll, zur Totenschau zu kommen, schreit er durchs Telefon, was ich denn für ein Problem hätte? Der Mann sei tot, und daran würde sich bis zum nächsten Morgen wohl kaum etwas ändern. Dann wird es still in der Leitung, er hat einfach aufgelegt.

Die letzte halbe Stunde meines Dienstes bricht an. Ich habe noch 17 Blutentnahmen auf dem Tisch. Außerdem muss ich noch alles dokumentieren, denn »was nicht dokumentiert ist, ist nicht gemacht«.

06:15 Uhr, Feierabend. Ich sitze im Umkleideraum im Keller, atme tief durch und weiß: »Ich liebe diesen Stress!« Das ist mein absoluter Traumberuf. Ich finde es großartig, mit so vielen verschiedenen Menschen zu tun zu haben. Von 18 bis 80 und darüber hinaus. Mit jungen Menschen, mit denen man blödeln und Spaß haben kann, genauso wie mit älteren Semestern, an denen ich die ganze Palette der Pflege anwende.

Es motiviert mich, wenn ich fünf Dinge gleichzeitig tun muss und nicht einmal für eine davon genug Zeit ist. Ich freue mich irrsinnig, wenn ich am Ende des Dienstes feststelle, dass ich es doch geschafft habe. Ich liebe die medizinische Komponente des Berufes, in der so viel Fachwissen und Können steckt. Blutabnehmen und Venenzugänge legen, Harnkatheter und Magensonden setzen, Nähte und Drainagen entfernen, ZVD messen oder beim Legen der Thorax-Drainagen assistieren. Nur die Dokumentation, die wird wohl nie mein bester Freund.

Bei all dem Stress kann ich mir nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu tun. Ich glaube nicht, dass mich eine andere, vielleicht weniger stressige Aufgabe, mit geregelten Arbeitszeiten und freien Wochenenden, so erfüllen könnte.

Von Burnout keine Spur. Oder bin ich schon in der ersten Phase?

_________________

1 Laut gesetzlicher Regelung war es möglich, im Pflegeberuf bis zu 12 Tage am Stück zu arbeiten, dann musste der Arbeitgeber einen freien Tag ermöglichen. Zwischen zwei Diensten mussten 10 Stunden Freizeit liegen, jeder Dienst dauerte 8,5 Stunden, inkl. 30 Minuten Pause.

2 Tatsächlich habe ich meine Ausbildung als »staatlich examinierte Gesundheits- und Krankenschwester « abgeschlossen. Seither gab es immer wieder Umbenennungen. Der Einfachheit (und des Stolzes) halber bleibe ich bei dem Begriff »Krankenschwester«, wobei ich natürlich auch die männlichen Krankenpfleger meine.

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1.1Die Definition

Hurra, nach Jahrzehnten mit unterschiedlichen Definitionen von Burnout hilft nun die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit einer Definition weiter.

Definition Burnout

»Burnout ist ein Syndrom, das aus chronischem Stress am Arbeitsplatz entsteht, der nicht erfolgreich bewältigt wird.« Ab Januar 2022 steht diese Definition im aktuellen internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten, dem ICD-11.

* https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/icd/icd-11/ (eigene Übersetzung)

Doch diese Definition greift zu kurz. Ein Burnout kommt nicht nur vom Arbeitsstress. Auch wer keiner bezahlten Arbeit nachgeht, kann ein Burnout erleiden. Die Pflege von Angehörigen, die Kindererziehung – auch dabei kann ein Burnout entstehen.

Bei einem Burnout handelt sich um einen Oberbegriff (ein Syndrom, wie die WHO sagt), der zahlreiche, zum Teil ganz unterschiedliche Erkrankungen in sich vereint. Das ist praktisch, denn so kann annähernd jede psychische Einschränkung und Verminderung des Wohlbefindens, vor allem in Bezug auf den Arbeitsplatz, die sonst keine passende Namensgebung findet, als Burnout eingeordnet werden.

Das ist aber auch ein Problem: »Das Hauptproblem besteht darin, dass es keine klare Definition von Burnout gibt. Es ist nicht möglich abzugrenzen, wer zu den Betroffenen gehört und wer nicht. So ist schon unter Experten unklar, worüber genau eigentlich diskutiert wird. Das führt dazu, dass jeder, der sich erschöpft, lustlos, depressiv oder sonstwie krank fühlt, von sich behaupten kann, unter einem Burnout zu leiden. Der Begriff wird manchmal geradezu inflationär verwendet. Wir sprechen hier also über ein nur vage einzugrenzendes Problem, unter dem jeder etwas anderes versteht.«3

Auch die Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern und Befindlichkeiten ist bei ähnlichen und gleichen Symptomen nicht klar gegeben. Es gibt keine klare Grenze zwischen Burnout und Depression, Stress, Erschöpfung, Demotivation, Leistungsabfall oder Arbeitsunzufriedenheit, Lustlosigkeit, psychosomatischen Störungen oder Überforderung.4

Tatsächlich hat schon Herbert Freudenberger darauf hingewiesen, dass ein Burnout bei jedem Mensch unterschiedlich in Erscheinung treten kann. Eine Diagnose anhand der vorliegenden Symptome zu stellen, ist somit (auch offiziell) nicht möglich.5 Nun haben wir ja auch keine Möglichkeit, den »Burnout-Titer« im Labor zu bestimmen oder in der Bildgebung einen karierten Schatten im Frontallappen festzustellen.

Es stellt sich also die Frage, wie es möglich ist, jährlich allein im deutschsprachigen Raum zehntausendfach Menschen die Diagnose Burnout zu stellen. Man könnte fast den Eindruck bekommen, jeder Zustand von Schwäche und Abgeschlagenheit, aber auch zahlreiche psychosomatischen Probleme, die anders nicht einzuordnen sind, werden kurzerhand zum Burnout ernannt. »Nicht erfolgreich verarbeiteter Stress bei der Arbeit« – wer hat den nicht manchmal?

Aber Burnout klingt viel besser als etwa »Depression«. »[Der Burnout] löst bei den Mitmenschen Mitleid und Hilfsangebote aus, man gewinnt sogar eine gewisse Achtung, weil man die schwierigen Umstände so lange aushalten musste «, beschreibt etwa Seidel die Situation treffend.6

1.2Die Symptome

Festgestellt werden kann ein Burnout schlussendlich nur über den Ausschluss anderer Erkrankungen bei vorliegenden Symptomen.

Doch auch mit welchen Symptomen bzw. in welcher Form so ein Ausgebranntsein in Erscheinung tritt, ist im hohen Grad unterschiedlich. Praktisch jede psychische Verfassung, die von der Norm abweicht, findet sich auch unter den Burnout-Symptomen. Das beschreibt auch der Experte Matthias Burisch, der in seinem Fachbuch 130 Symptome nennt.7 Hier einige Beispiele, damit Sie sich selbst ein Bild machen können.

Im Bereich der Psyche kommt es etwa zu abnehmender Leistungsfähigkeit, emotionaler Erschöpfung, Angst vor dem Scheitern, Gefühl der Überforderung, Energiemangel, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Entscheidungsunfähigkeit, weniger Fantasie und Initiative, Gleichgültigkeit, Langeweile, Desillusionierung, Neigung zum Weinen, Ruhelosigkeit, Verzweiflung, Vorwürfe gegen andere, Verlust an Empathie, Zynismus, Partnerschafts-/Familienprobleme, Gefühl von mangelnder Anerkennung, Ärger, Unzufriedenheit, Gereiztheit, Mattheit und Erschöpfung, Niedergeschlagenheit, Misstrauen.

Auch allgemeine körperliche Unzulänglichkeiten, wie sie in Begleitung fast jeder psychischen Erkrankung, aber auch bei zahlreichen physischen Krankheiten, auftreten, werden als Indiz für das Vorliegen eines Burnouts herangezogen. Da finden sich z. B. Engegefühl in der Brust, Atembeschwerden, Rückenschmerzen, Übelkeit, Schwächegefühl, Schlafstörungen, sexuelle Probleme, Tinnitus, Herzrasen, Magenkrämpfe.

Keines dieser Symptome ist auch nur im Geringsten spezifisch. Auch eine Häufung der Symptome, wie sie bei der Diagnose anderer Erkrankungen hergenommen wird, ist in diesem Fall nicht aussagekräftig.

Ist es nicht tatsächlich sogar eher so, dass ein Teil dieser Symptome als normale Charaktereigenschaften durchgehen? Wie viele (kerngesunde) Menschen sind »nah am Wasser gebaut« (Neigung zum Weinen), haben Angst zu scheitern, treffen nur schwer Entscheidungen, sind fantasielos oder haben wenig Eigeninitiative? Nicht jeder ist empathisch (Verlust an Empathie), manch einer in seinem ganzen Wesen Zyniker und frei von Eigenverantwortung (Vorwürfe gegen andere), misstrauisch, ängstlich oder chronisch unzufrieden.

1.3Phasen des Burnout

Die unterschiedlichen Erscheinungsformen und oft gegensätzlichen Symptome der Erkrankung lassen sich mit den verschiedenen Schweregraden bzw. Ausprägungen beim Fortschreiten eines Burnouts erklären. So wird in der Fachliteratur generell davon ausgegangen, dass ein Burnout in mehreren Phasen verläuft, deren zeitliche Intervalle jedoch variieren, und die auch nicht zwingend in der vorgegebenen Reihenfolge ablaufen müssen.8

Burisch teilt die Symptome anhand eines sieben Stufen Modells ein und bestimmt somit auch die Schwere und das Fortschreiten der Erkrankung (image Tab. 1).

Tab. 1: Burnout-Phasen nach Burisch*

Phase Vorrangige Erscheinungsform
Phase 1 Extrem viel Energie und Ehrgeiz
Phase 2 Reduziertes Engagement und Rückzug
Phase 3 Depression, Aggression, Schuldzuweisung
Phase 4 Abbau und schwindende Leistungsfähigkeit
Phase 5 Verflachung, Desinteresse und Gleichgültigkeit
Phase 6 Psychosomatische Erkrankungen
Phase 7 Verzweiflung und Burnout
* Vgl. Burisch 2010

Freudenberger spricht sogar von zwölf Stufen eines Burnouts9 und Müller- Timmermann nennt fünf Phasen auf dem Weg zum Burnout.10

Nun ist es nicht schwer, etwa die sieben Phasen von Burisch im eigenen Leben wiederzufinden, wenn man bedenkt, dass die Abfolge in keinem eingegrenzten Zeitraum stattzufinden hat. Wenn Sie sich mit einer Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität, Gleichgültigkeit und wenig Eigeninitiative in Stufe fünf bei Burisch befinden, wird auch der schlechteste Psychiater in Ihrem Lebenslauf eine Zeit finden, in der Sie sich beweisen wollten, motiviert waren und am liebsten die Welt aus den Angel gehoben hätten. Auch wenn das 20 Jahre her ist.

Sehen Sie? Da waren schon die ersten Anzeichen! Schon damals waren Sie in Phase eins der Abwärtsspirale. Sicher hatten Sie in der Zeit dazwischen auch eine Phase, in der Sie nicht gut auf sich selbst geachtet haben, sich mit Kaffee über den Tag retten, energielos waren und am liebsten nur geschlafen hätten – kurzum: Phase vier. Oder Sie hatten einfach gerade Beziehungsstress, haben Nachwuchs bekommen oder es war ein kalter, ungemütlicher Herbst.

1.4Risiko: die anderen

Das klassische Burnout-Konzept kennt eine Reihe von Risiken, die Betroffene für ein Ausbrennen prädestinieren. Zwar geht man generell davon aus, dass es sowohl in der Persönlichkeit des Einzelnen wie auch in Arbeits- bzw. Umwelt zu Schwierigkeiten kommen muss, um solch eine Krankheit auszulösen, doch es besteht noch immer die Annahme, dass die Hauptursache in der Umwelt zu suchen ist: »Beim Burnout wird den äußeren Umständen, also besonders den Arbeitsbedingungen, ein wesentlicher Anteil am Entstehen zugesprochen. «11… »Der Umwelt muss sogar eine sehr bedeutende Rolle zukommen, wenn die Beobachtung richtig ist, dass der Burnout-Prozess erst in den letzten Jahrzehnten in erheblicher Zahl vorkommt.«12

Umweltfaktoren gibt es viele, z. B. Zeitarbeit, geringer Handlungsspielraum, negatives Betriebsklima, wenig soziale Unterstützung durch die Vorgesetzten, geringe Arbeitszufriedenheit, häufige Unterbrechungen während der Arbeit, Konflikte am Arbeitsplatz, hohe Anforderungen, hohe Arbeitsdichte, prekäre Einkommen, Schichtarbeit, Überstunden, mangelnde Gerechtigkeit.13

Noch besser bringt Matyssek die gängige Burnout-Theorie auf den Punkt: »Die Hauptursache für hohe Krankenstände ist das Führungsverhalten. Das Verhalten der Vorgesetzten beeinflusst das Wohlbefinden der Mitarbeiter am stärksten.«14

Entsprechend ist es natürlich auch an den Führungskräften und ferner am Unternehmen und am Staat, eine geeignete Prophylaxe zu schaffen. Die Leitungsebene hat dafür Sorge zu tragen, dass der einzelne Mensch gesund bleibt. Anknüpfungspunkte gibt es laut Scharnhorst »am individuellen Arbeitsplatz, im gesamten Unternehmen und auf gesellschaftlicher Ebene.«15

Dann folgen selbstverständlich kluge Maßnahmen: mitarbeitergerechte und gesundheitsförderliche Führung, menschengerechte Arbeitsgestaltung, Partizipation der Mitarbeiter bei Planungen und Entscheidungen, Stärkung der Fähigkeiten der Mitarbeiter beim Umgang mit Stress, soziale Unterstützung der Mitarbeiter16, persönliche Berufsziele der Mitarbeiter kennen und berücksichtigen, Einarbeitung neuer Mitarbeiter oder bei neuen Aufgaben, Über- und Unterforderung entgegenwirken, konkrete und realistische Arbeitsziele vereinbaren, regelmäßige und ausreichende Kommunikation, Gefühl der Wertschätzung vermitteln, positive Leistung anerkennen.17

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Ein zentraler Punkt beim Burnout ist es, wenn Sie die Verantwortung für Ihre eigene Gesundheit an andere abtreten. »Wenn Sie das Gefühl haben, dass sich trotz Maßnahmen »von oben« nichts an Ihrer Situation ändert, wenden Sie sich an den Betriebsrat. Seine Aufgabe ist es, im Rahmen der Arbeitsschutzvorschriften auch, eventuelle psychische Fehlbelastungen der Mitarbeiter zur Sprache zu bringen.«*

* Seidel 2012

1.5Die klassische Burnout-Prophylaxe funktioniert nicht

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Info

1974 prägte der Psychologe und Psychoanalytiker Herbert Freudenberger den Begriff »Burnout«, samt Erklärungs- und Stufenmodell, prophylaktischen und therapeutischen Ansätzen.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich viele kluge Köpfe daran gemacht, Freudenbergers Behauptung zu stützen, zu belegen und zu erweitern. Das war nicht sonderlich schwer, denn die Aussagen Freudenbergers sind so allgemein gehalten, dass sich eine Vielzahl von Menschen in diese Kategorie einordnen lassen. (Ich kenne übrigens niemanden, der versucht hat, das Konzept zu widerlegen).

Heute steht uns ein konkreter Fahrplan zur Verfügung, der genau regelt, welche prophylaktischen Maßnahmen durch den Staat, Arbeitgeber, Führungskräfte und den einzelnen Menschen vorgenommen werden müssen, um die Zahl der Burnout-Betroffenen zu senken.

Auch in der Praxis werden diese Regeln fleißig umgesetzt: Kaum ein Mitarbeiter, der nicht mindestens ein Anti-Burnout-Seminar besucht hat. Bereits in den Ausbildungsstätten und an den Universitäten wird das Burnout thematisiert. Führungskräfte durchlaufen eine ganze Kaskade von Schulungen, um zu lernen, wie sie sich, vor allem aber ihre Mitarbeiter, vor einem Burnout schützen können.

Geändert hat sich – nichts. Die Zahl der von einem Burnout Betroffenen und Erkrankten steigt weiter. Ein Drittel der deutschsprachigen Bevölkerung soll betroffen sein. Je nach Berufsgruppe auch deutlich mehr. Das kann nur einen Grund haben: Wir tun noch zu wenig! Also noch mehr Schulungen, weniger Arbeitspensum, weniger Wochenstunden, mehr Verantwortung am Arbeitsplatz, mehr Mitbestimmungsrecht usw.

Doch die Zahlen steigen. Was tun wir? Jetzt haben wir bereits so viel investiert, da muss es sich doch endlich auszahlen! Also ran an die Work Life Balance, Yogastunden, Meditationsrunden, Wellnesswochenenden. Die Zahlen steigen weiter.

Was aber, wenn sich Freudenberg geirrt hat? Was, wenn das bisherige Konzept der Burnout-Prophylaxe einfach nicht hilft? Wenn es gar nicht zum erwünschtem Ziel führen kann, weil es schlicht auf falschen Grundannahmen gründet? Wenn die immer gleichen Anstrengungen zu keinem neuen Ergebnis führen, dann könnte es durchaus sein, dass es schlicht die falschen Anstrengungen waren.

Sie glauben, das könne nicht sein? Experten würden sich nicht so fundamental irren? Naja, jahrhundertelang sperrte man Menschen mit psychischen Erkrankungen einfach weg, nannte sie »geisteskrank« und hielt sie für unheilbar. Wer psychisch erkrankt war, wurde gar als behindert angesehen. Von damals sehr angesehen Experten.

1.6Ihre Eigenverantwortung ist gefragt

Nun sind Sie in einer schwierigen Situation. Sie haben sich mit Ihren Problemen bei der Lebensbewältigung an einen Mediziner gewandt und tragen seither den Burnout-Stempel. Nun kann so eine Diagnose ja etwas sehr Tröstliches sein. Doch mit einem Burnout verbinden wir Merkmale wie langwierig, hohe Rückfallquote, schwer zu therapieren, endet gehäuft in der Frühverrentung.

Während Sie noch vor ein paar Stunden einfach nur müde, abgeschlagen und chronisch genervt waren, haben Sie jetzt ein riesiges Problem, dass Sie so schnell nicht mehr, vielleicht sogar nie mehr, lösen werden. Zur Erinnerung: Sie sind in dieser Zeit nicht drei Stufen in der Burnout-Skala weitergerutscht. Sie waren lediglich beim Arzt und haben eine Diagnose bekommen.

Was das mit Ihnen und Ihrem Leben, vor allem aber mit Ihren Heilungschancen macht, erklärt sich im Kapitel »selbsterfüllende Prophezeiungen« (image Kap. 4.3). Hier nur so viel: Eine müde Phase überstehen Sie vermutlich problemlos. Sie nehmen sich einige Zeit aus den zusätzlichen Aufgaben heraus, nutzen diese Freizeit, um wieder aufzutanken und in ein paar Wochen wissen Sie nicht mal mehr, wie genau sich eigentlich alles zugetragen hatte.

Wenn Sie hingegen jeden Morgen mit dem Wissen aufwachen, Burnout-Patient zu sein, Ihren Freunden, Ihrer Familie und Ihren Arbeitskollegen davon erzählen und somit ohne Umschweife diese neue Rolle als Ihre akzeptieren, wird Ihr Unterbewusstsein Sie pflichtbewusst dabei unterstützen, dieser Rolle auch gerecht zu werden.

Natürlich müssen Sie Ihre Probleme ernst nehmen und nicht darauf warten, dass sie von allein wieder verschwinden. Doch ich möchte Sie ermutigen, eigenverantwortlich zu bleiben.

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Tipp

Statt sich also in eine langwierige Standardtherapie zu begeben und dabei Ihre Verantwortung an andere (Unbekannte) abzutreten, könnten Sie z. B. sich selbst fragen:

Was brauche ich ganz konkret,

damit es mir besser geht?

damit ich mich wieder wohl fühle?

damit ich wieder schlafen kann, engagiert bin...?

Was kann ich für mich tun?

Wie können andere mich dabei unterstützen, damit ich in meiner Energie mit meinen Mitteln mein Ziel erreiche?

Es geht um Persönlichkeitsstärkung, aber nicht darum, andere allein für Ihren Zustand verantwortlich zu machen.

Wenn Sie sich diese Fragen stellen, sind die sogenannten Anfangsstadien eines Burnouts lediglich Phasen in Ihrem Leben, in denen es nicht so gut läuft.

So gesehen ist Burnout nicht nur ein Risiko, sondern auch eine Chance, neue Erfahrungen mit und für sich selbst zu machen, Ihrem eigenen Leben eine neue Richtung zu geben, neue persönliche Ziele zu formulieren. Es bietet jedem, der das möchte, eine unglaubliche Chance, sich weiter zu entwickeln. Damit Sie diese Chance nutzen können, empfehle ich Ihnen,

dass Sie sich als Mensch,

Ihre eigenen Lebenshintergründe,

Ihre Lebenseinstellung und

Lebensziele evaluieren.

Vor diesem Hintergrund spreche ich deshalb auch eher von einem Knockout als von einem Burnout. Was ausgebrannt ist, kann sich nicht neu entzünden – es sei denn, Sie sind ein Phönix und entstehen aus der Asche wieder neu. Bei einem Knockout sind Sie auf die Bretter geschickt worden, aber Sie können wieder aufstehen!

»Es gilt herauszufinden, was dazu geführt hat, dass das persönliche Stresssystem eine Zwangspause für den ganzen Organismus eingelegt hat. Dabei darf kein einziger Lebensbereich ausgespart bleiben. Dies ist dringend nötig, um zu verhindern, dass das Stresssystem den Pausenmodus gleich wieder einstellt – also der Knock-out-Zustand wieder schneller da ist, als er gegangen ist.«18

1.7Burnout: Warum die Pflege so betroffen ist

Die klassische Burnout-Theorie (image Kap. 1.4) kennt eine einfache Antwort auf die Frage, warum vor allem Pflegende so stark von psychischen Erkrankungen betroffen sind: Sie haben im Übermaß Stress, Schichtdienst, einen unregelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus. Dazu kommen wenig Entscheidungsfreiheit und ein großes hierarchisches Gefälle.

»Der Mangel an Personal sorgt für Belastung. Ein Pfleger muss anstelle von einem Patienten im Schnitt 13 Patienten in der Tagschicht versorgen. Nachts steigt die Zahl auf 19. Diese Umstände sorgen für Erschöpfung«, schreibt etwa das Magazin Krankenpflege digital.19

Drei Punkte sprechen gegen dieses Erklärungsmodell:

1. Zum einen müssten bei dieser Annahme alle Mitarbeiter eines Bereiches gleichermaßen von den psychischen Folgen betroffen sein. Das ist in der Praxis jedoch nicht der Fall.

2. Zum anderen sind auch andere, artverwandte Berufsgruppen, wie z. B. der Fachbereich der Psychotherapie, überdurchschnittlich häufig vom Burnoutsyndrom betroffen. Hier aber finden sich sehr wohl geregelte Arbeitszeiten. Wohingegen das Personal in der Gastronomie unter ganz ähnlichen, wenn nicht sogar noch extremeren Situationen den Berufsalltag meistert. Trotzdem kommt der völlige Erschöpfungszustand statistisch betrachtet im Gastgewerbe weit seltener vor, als bei den vorher genannten Psychotherapeuten.20

3. Als dritten Punkt gegen die üblichen Theorien ist anzuführen, dass Menschen, die ein Burnout erleiden, eine starke Neigung zu anderen psychischen und psychosomatischen Erkrankungen aufzeigen. Auch neigen solche Menschen dazu, trotz erfolgreicher Therapie zu einem späteren Zeitpunkt erneut der Krankheit zu erliegen, selbst wenn ein Wechsel des Arbeitsplatzes in ein deutlich weniger stressiges Umfeld vollzogen wurde.

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Der tatsächliche Grund für die Häufung der Burnout-Symptomatik im Pflegeberuf – ebenso wie in anderen helfenden Berufszweigen – liegt neben dem Stress und den oft schwierigen Arbeitsbedingungen in speziellen Charakterzügen, die Menschen in diesem Bereichen besonders häufig aufweisen.

1.7.1 Warum man in die Pflege geht

Fragt man Menschen nach ihrer Ambition, im Pflegeberuf zu arbeiten, erhält man etwa als Antwort:

Weil Helfen meine Berufung ist.21

Weil es mir das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles zu tun.

Weil ich gerne Menschen helfe. 22

Aufgrund der Dankbarkeit, die man zurückbekommt.

Weil die Patienten sich freuen, wenn ich da bin.23

Weil ich weiß, dass jeder einzelne von uns gebraucht wird … von den Leuten, die auf uns angewiesen sind.24

Pflegende sind allzu oft Menschen, die alles geben, sich aufopfern und ihre eigenen Bedürfnisse hinten anstellen. Der Wunsch zu helfen und die Anerkennung und Dankbarkeit dafür zu erhalten, etwas zu leisten, andere Menschen ein bisschen glücklicher zu machen und darin Erfüllung zu finden, sich wohl zu fühlen, weil andere, oft Fremde, sich wohl fühlen, das alles zeigt spezielle Charakterzüge, die in helfenden Berufen überdurchschnittlich häufig anzutreffen sind. Doch gerade diese Einstellung, die Sie als Pflegende so wertvoll und gesellschaftlich wie menschlich unersetzlich macht, kann sich rasche negativ auf die eigene Gesundheit auswirken.

1.8Der »Burnout-Charakter«

Wenn ich an dieser Stelle über den »Burnout-Charakter« schreibe, meine ich damit keinesfalls einen bestimmten Charakter im Sinne des Wortes. Vielmehr handelt es sich um zahlreiche Charaktereigenschaften, die, jede für sich genommen, wenig bedenklich sind, die aber zusammengenommen einen Menschen formen, der besonders Burnout-gefährdet ist.

Dabei handelt es sich um eine »Ergänzungsreihe«, wie Sigmund Freud sie beschrieben hat.25 Freud erklärte, dass der Mensch nicht auf Grund einer einzelnen Ursache krank wird. Vielmehr ist ein komplexes Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren für die Entstehung und den Ausbruch einer Krankheit verantwortlich. Auf der körperlichen Ebene heißt das z. B., dass Veranlagung, Ernährung, Beziehung, Beruf, Lebensstil usw. zusammenwirken, um eine Krankheit auszulösen.

Geht es um psychische Überlastung, bedeutet das: Ein stressiger Job, Personalmangel und Führungsfehler allein reichen nicht aus, um einen Burnout hervorzurufen. Es bedarf auch anderer Faktoren, wie z. B. einem geringen Selbstwertgefühl, einer »Opferhaltung«, hinderlicher Denkfallen, Pessimismus oder einer geringen Resilienz, um den Akku tief zu entladen.

Wie gesagt, es gibt eine Reihe von Charaktereigenschaften, die Helfende besonders häufig an den Tag legen und die sich negativ auf ihre psychische Gesundheit auswirken können, eben jene Charakterzüge, die wahrscheinlich auch Sie motiviert haben, in die Pflege zu gehen.

1.8.1 Orientierung an den Bedürfnissen anderer Menschen

Es liegt in der Natur des Berufes: Pflegende arbeiten mit und am Menschen. Zumeist fremde Personen sind also Dreh- und Angelpunkt ihrer Tätigkeit und der Mittelpunkt ihres Handelns. Für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit ist es für die Mitarbeiter in Hilfsberufen unerlässlich, sensibel auf die Emotionen dieser Menschen zu reagieren.

Viele Tätigkeiten im Beruf beruhen auf Reaktion und Interaktion. Pflegende reagieren auf den Zustand, die Bedürfnisse und Wünsche anderer Personen. Sie nehmen mit Empathie und Beobachtung wahr und interagieren mit jedem Menschen individuell. Dies führt allzu häufig dazu, dass es immer wichtiger zu sein scheint, was andere Menschen, vor allem die Patienten, über den Pflegenden denken. Der Wunsch nach Anerkennung wächst und wird dann und wann übermächtig.

Das Bedürfnis nach Wertschätzung, sei es von Seiten der zu Pflegenden, deren Angehörigen oder Führungskräften muss immer wieder gestillt werden. Somit werden die Menschen, an denen der Beruf ausgeübt werden sollte, ebenso zur Energiequelle wie auch zu Energiesaugern.

1.8.2 Hohes Engagement

Große Ideale und hohe Erwartungen an sich selbst, der Wunsch, etwas bewirken, wirklich helfen zu wollen, den Unterschied auszumachen – Schon in den Bewerbungs- und Aufnahmegesprächen zur Pflegeausbildung sind diese Werte allgegenwärtig. Was in der Theorie so wundervoll klingt, wird in der Praxis oft zum Problem. Tatsächlich sind diese völlig überzogenen Anforderungen an die eigene Person, aber auch an den Beruf, in der Realität nicht zu erfüllen.

Trotz aller Mühen wird nicht jeder Mensch zufrieden und glücklich sein. Es wird Personen geben, die undankbar sind, die die angebotene Hilfe ablehnen, chronisch krank bleiben oder viel zu jung sterben. Dazu ist es schwierig, die Arbeit auch mal »liegen zu lassen«, denn die »Arbeit«, das sind Menschen. Da wird zurückgesteckt, wo eigentlich schon nichts mehr geht, schließlich wartet da jemand auf Hilfe.

Auch im privaten Umfeld neigen Pflegende zu erhöhtem, manchmal auch übertriebenem Engagement. So finden sich viele 40-Wochenstunden-Schichtarbeiter noch in zahlreichen Ämtern in Vereinsvorständen, Elternzirkeln und bei sozialen Veranstaltungen wieder. Hier wird auch noch das letzte bisschen Freizeit für den Dienst am Menschen geopfert.

Nicht zu unterschätzen ist auch die Zahl derer, die neben ihrer beruflichen Tätigkeit in der Pflege auch im privaten Umfeld Angehörige zu betreuen und umsorgen haben. Angehörigenpflege gilt dabei als besonders energieraubend. Es gibt praktisch keinen Feierabend und keinen freien Tag, besonders wenn der Pflegebedürftige im selben Haus lebt.

1.8.3 Unsichere Erfolge

Trotz der besten Pflege, zahlreicher Überstunden und jeder Menge Herzblut sterben Menschen. Trotz aller Mühen, Erklärungen und Infozetteln halten sich manche Menschen einfach nicht an die für ihre Genesung wichtigen Vorgaben.

In helfenden Berufen geht es nicht um Fallzahlen oder Monatsumsätze (ausgenommen: die Leitungsebene). Hier wird mit echten Menschen gearbeitet, mit denen Sie sich identifizieren, mit denen Sie hoffen und bangen. Menschen, die Sie an die eigenen Großeltern oder den Lieblingsonkel erinnern. Es kann noch so viel Zeit und Arbeit investiert werden, am Ende gibt es manchmal doch keinen Erfolg. Eine Tatsache, die für viele Pflegekräfte eine zusätzliche psychische Belastung darstellt.

1.8.4 Fazit

Es gibt noch eine ganze Reihe von Persönlichkeitsmerkmalen und Charaktereigenschaften, die Pflegekräfte auszeichnen:

negatives Selbstbild,

wenig Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen,

häufiges Grübeln,

Festhalten an der Opferrolle,

fehlende Ziele,

Denkfallen und häufige Sorgen,

negative Glaubenssätze,

sich für die eigenen Fehler zu verurteilen,

fehlende Empathie für die eigene Person, Missachten der eigenen Bedürfnisse

1.9Burnout? – Knockout!

Zu Beginn dieses Kapitels habe ich mich bemüht, Ihnen die Unzulänglichkeiten der gängigen Burnout-Theorie näher zu bringen. Nun möchte ich Ihnen einen besseren Erklärungsansatz für den Zustand »Burnout« liefern. Ich habe vorhin schon kurz angesprochen, dass ich eher den Begriff »Knockout« bevorzuge.

Beim Begriff Burnout wird ja gern das Bild vom abgebrannten Streichholz genommen. Nun, keine Psychotherapie der Welt kann ein abgebranntes Streichholz noch einmal in die leuchtende Flamme verwandeln. Jedes brennende Zündhölzchen wird am Ende wohl oder übel abgebrannt sein. Es ist jedoch keinesfalls der natürliche Verlauf eines hart arbeitenden Pflegenden, der mit Feuer und Flamme in den Beruf geht und für seine Patienten brennt. Wir Pflegekräfte sind eher wie nachfüllbare Benzin-Feuerzeuge: Ab und an aufgefüllt können wir ewig brennen!

Zur Prophylaxe eben dieses Knockouts habe ich 2015 das Konzept der »eigenverantwortlichen Burnout-Prophylaxe« entwickelt.

Es geht um Ihre Verantwortung für sich selbst: Liebevoll auf sich selbst zu schauen, Empathie für sich zu haben und sich selbst mit eben dieser Aufopferungsbereitschaft und Zuneigung zu pflegen, die Sie den Hilfesuchenden entgegenbringen: Das ist der Weg zur dauerhaften Gesundheit und darüber hinaus zu mehr Zufriedenheit und Glück.

1.9.1 Es geht um Ihre Körper-Energie

Die zugrunde liegende Erkenntnis in der eigenverantwortlichen Burnout- Prophylaxe ist, dass ein Knockout nicht vom Stress kommt. Ein Knockout ist ein Missverhältnis der Körperenergien. Das klingt jetzt irgendwie fernöstlich-esoterisch, doch wie oft sagen wir: »Ich habe für nichts mehr Energie – ›Mein Akku ist leer‹.« Energie wird in unserer Welt, zwischen Smartphones, Elektroautos und E-Bikes immer wichtiger. Auch den Wert von Nahrungsmittel berechnen wir daran, wie viel Energie uns diese zuführen. Es ist also nicht schwer vorstellbar, dass Sie Energie brauchen, um denken, fühlen und handeln zu können.

Weil die Energie keine konkrete Form oder Farbe hat, möchte ich als Symbol einen Akku nehmen. Ganz konkret werde ich sie im Folgenden einfach als Batterie (image Abb. 1) darstellen.

Wir alle tragen einen Akku in uns, der im Tagesverlauf natürlichen Schwankungen unterliegt. Üblicherweise sind wir am Morgen nach einer erholsamen Nacht eher voll aufgeladen, später am Tag sinkt das Energieniveau. Am Wochenende sind wir vielleicht weiter oben, nach einer anstrengenden, arbeitsreichen Woche eher nicht mehr ganz bei 100 Prozent. Das ist stets individuell und auch altersabhängig. Im Urlaub laufen wir im vollen Bereich, im Vorweihnachtsstress vielleicht eher unter der 50-Prozent-Grenze.

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Abb. 1: Die Batterie als Symbol für Ihre Körper-Energie

Wichtig Harmonisch zwischen Auf und Ab

Im gesunden Zustand sind Energieabgabe und -aufnahme in etwa ausgeglichen. Im Großen und Ganzen bauen Sie die Energie, die Sie abgegeben haben, auch wieder auf. Im Alltag halten Sie sich im Bereich der oberen 60–70 Prozent auf.

Es gibt immer mal Phasen, die mit mehr Belastungen einhergehen. Zeiten, in denen der Akkustand deutlich unter die 50-Prozent-Marke fällt. Das fühlt sich nicht gut an. Da spüren Sie schon, dass Sie erschöpft sind, ausgelaugt, irgendwie müde.

Das sind die Phasen, in denen Ihr Neugeborenes nichts für Ihren Tag- Nacht-Rhythmus übrig hat; in denen die halbe Belegschaft im Krankenstand ist; der Tag, an dem ein Wasserrohrbruch Ihre neue Inneneinrichtung flutet. Kurz: die Phasen, in denen das Leben passiert. Die sind nicht schön und fordern Sie gewaltig, aber sie sind zu meistern. Im Nachhinein schaut man oft genug zurück und sagt sich: »So schlimm war es gar nicht« oder man lacht über die absurde Situation.

Problematisch wird es erst, wenn Sie Ihr Leben ständig in Energiearmut verbringen. Entweder, weil Sie so viel Energie verbrauchen, dass Sie kaum eine Chance haben, Ihre Ausgaben wieder wett zu machen oder weil Sie bei normalem Verbrauch zu wenig darauf achten, Ihren Akku wieder aufzuladen. Schlimmstenfalls sogar beides.

Im normalen Alltag können Sie ein gewisses Maß an Arbeit und Aufgaben erfüllen, ehe Sie eine Pause brauchen. Je mehr energieraubende Tätigkeiten Ihr Tag aufweist, desto schneller ist Ihr innerer Akku leer.

Sie haben die Wahl: Entweder Sie verbrauchen weniger Energie, geben also Aufgaben ab und stoppen die Energievampire. Oder Sie nehmen Zwischenladungen vor, indem Sie sich Erholung, Pausen, Mußestunden, gute Gedanken usw. gönnen.

Betreiben Sie hingegen Raubbau an Ihrer Lebensenergie, gehen über jedes Maß, beuten sich selbst aus und verzichten auf energieliefernde Zeiten, sinkt Ihr Energielevel immer weiter ab. Nach einiger Zeit wird Ihr Körper Sie auffordern, ihn wieder aufzuladen: Sie sind müde, ausgelaugt, kraftlos, demotiviert.

Wenn Sie Ihre Bedürfnisse weiterhin ignorieren, büßen Sie Funktionen ein: Sie können nicht mehr schlafen, haben Schmerzen, Ihr Immunsystem schwächelt, Sie werden anfällig für Infekte. Sie machen trotzdem weiter, fühlen sich physisch und psychisch zunehmend unwohler. Ihr Körper schreit Sie förmlich an: »Ich kann nicht mehr. Gönn mir endlich Ruhe.« Am Ende nimmt Ihr Körper Ihnen dann auch die Entscheidung ab. Um sich selbst zu schützen und sein Überleben zu sichern, folgt die Zwangsabschaltung. Die Medizin nennt das »Burnout«.

Viele Betroffene spüren ihren Akku dann das erste Mal und wundern sich, wenn Sie nach drei Wochen Pause schon nach dem ersten Arbeitstag abgekämpft und völlig erschöpft sind.

1.9.2 Bestimmen Sie Ihren Energiestatus

image Übung

Wie steht’s um Ihre Energie?

Wie ist es jetzt gerade um Ihre Energie bestellt? Sind Sie 100 Prozent geladen, voller Saft und Kraft, könnten Bäume ausreißen? Sind Sie bei 0 Prozent, kaum noch leistungsfähig? Oder irgendwo dazwischen? Wo stehen Sie, auf einer Skala von 0–100 Prozent?

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Bestimmen Sie auch, mit wie viel Prozent Ladung Sie morgens im Durchschnitt aufwachen und mit welchem Akkustand Sie abends zu Bett gehen (vorausgesetzt natürlich, Sie haben keinen Nachtdienst):

1. Energielevel morgens

2. Energielevel abends

Notieren Sie die Zahlen. Wenn es Ihnen leichter fällt, können Sie die Werte auch getrennt für freie Tage und Arbeitstage notieren. Sind Sie mit Ihrem Ergebnis zufrieden? Oder würden Sie gern einen höheren Level erreichen? Wenn Sie den Wunsch nach Veränderung haben, notieren Sie sich zusätzlich, welchen realistischen Akkustand Sie zu den jeweiligen Zeiten (aktuell, morgens, abends) gern erreichen würden.

Ihre Körperenergie unterliegt natürlichen Schwankungen. In einem gesunden Organismus bedeutet dies, dass die Energie im Alltag etwa im Bereich zwischen 30–90 Prozent schwankt. Die 100 Prozent erreicht nicht jeder Mensch jeden Tag. Voll geladen ist man normalerweise nach einer richtig erholsamen Nacht, oder wenn man sich gerade frisch verliebt hat.

Ebenso selten wird ein gesunder Mensch in den Bereich von 10–30 Prozent absinken. Das sind Ausnahmesituationen, in denen besonders viel Ärger anfällt, man selbst erkrankt oder die Krankenstände in der Abteilung schon seit Wochen auf Rekordhoch sind, oder bei einer Trennung/Scheidung/ Trauerfall.

Unter die 10 Prozent kommen Sie in Ihrem Leben hoffentlich sehr selten. In diesen krankmachenden Leerzustand bringen Sie eine eigene schwere Erkrankung bzw. ein schwerer Unfall, die schwere Erkrankung oder der Tod eines geliebten Menschen.

Auch ein Knockout ist ein Zustand unter 10 Prozent Energieniveau. In den Vorstufen geraten die Betroffenen wiederholt in den Niedrigenergie-Sektor, können ihn aber immer wieder ausgleichen. Je weiter die Probleme voranschreiten, desto länger hält der fatale Energiemangel an. Der »Endzustand « des Knockout entspricht einer dauerhaften Energiereserve von unter 10 Prozent. Viele Seminarteilnehmer*innen meines »After-Knockout- Seminars« erzählen mir, dass sie vor Ihrem Knockout immer länger gebraucht haben, um sich zu erholen. Wo anfangs noch eine erholsame Nacht gereicht hat, bedurfte es schon bald mehrere freie Tage, um sich wieder fit zu fühlen. Ein Seminarteilnehmer erzählte: »Kurz bevor ich krank wurde, war ich mit meiner Frau noch in Italien. Ich dachte, zwei Wochen nichts tun würden reichen, um mich wieder fit zu fühlen, doch schon nach dem ersten Arbeitstag habe ich mich völlig abgekämpft gefühlt. Da habe ich das erste Mal bemerkt, dass etwas nicht stimmt.«

1.9.3 Tanken Sie Energie

image Übung

So laden Sie Ihren Akku wieder auf

Nehmen Sie sich Zeit und finden Sie heraus:

Was lädt Sie besonders gut auf?

Was raubt Ihnen Energie?

Wo, wann und wie können Sie Kraft tanken?

Wobei verlieren Sie wenig, wo besonders viel Ihrer Lebenskraft?

Wann gibt es in Ihrem Leben reine Ladezeiten?

Wie oft und wie lange haben Sie die Möglichkeit, neue Kraft zu tanken, ohne Energie abgeben zu müssen?

Jeder von uns weiß, was unseren Akku wieder auf Vordermann bringt. Urlaub und Wellnesswochenenden, Schlaf, Yoga und Meditation. Sicher ist das alles förderlich, wenn Sie sich dabei wohl fühlen. Doch nicht jeder Urlaub bedeutet auch wirklich Entspannung und darüber hinaus reichen die gesetzlichen Urlaubstage allein nicht aus, damit wir uns ausreichend erholen.

Besser ist es, auch im Alltag immer wieder kleine »Zwischenladungen« vorzunehmen. Auftankpausen, in denen Sie sich an kleinen Dingen erfreuen, ein positives Weltbild hegen, sich Mußestunden genehmigen, mit Menschen zusammen sind, die Sie gern haben und sich mit guten Nahrungsmitteln versorgen. »Wir brauchen nicht mehr Wellness, wir brauchen eine andere Haltung.«26

1.9.4 Der Mythos von der Work-Life-Balance

Jeder von uns hat so seine Theorien darüber, was ihm Energie raubt: der stressige Job, die hohen Anforderungen im Beruf oder die Familie, die Kinder, finanzielle Schwierigkeiten, Ärger mit den Nachbarn, Schlafmangel, etc. Das sind alles Energieräuber – aber es gibt noch wesentlich mehr Diebe, die wir häufig übersehen. Viele kleine Energiesauger, die wie Handy-Apps im Hintergrund immer mitlaufen und unseren Akku leeren: Selbstzweifel, Ängste, ein negatives Selbstbild, Opferrolle, Sorgen oder negative Glaubenssätze etc.

Je mehr dieser kleinen Energiesauger Sie in sich beherbergen, desto größer ist der Effekt auf Ihren inneren Akku. Und so können diese Punkt leicht mehr als die Hälfte ihres Energieverbrauchs ausmachen. Es wird Zeit, dass Sie gut mit sich umgehen! (image Kap. 2)

Können Sie sich an das Gefühl erinnern, so richtig verliebt zu sein? An die Schmetterlinge im Bauch? Ist Ihnen in dieser Zeit nicht alles unglaublich leicht gefallen? Die Arbeit, der Haushalt, alles war bunter, wohliger und angenehmer? Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein frisch verliebter Mensch einen Knockout erleidet. Dabei ist die Arbeit noch immer dieselbe, und auch der Schichtdienst rotiert wie eh und je.

Vielleicht haben Sie aber auch schon die andere Richtung erlebt: eine schlimme Trennung oder Ehekrise. Plötzlich stellen Sie sogar Tätigkeiten, die Ihnen ansonsten ganz leicht fallen, vor schier unüberwindbare Herausforderungen. Selbst wenn Sie sich in dieser Zeit Urlaub nehmen, wird der Alltag schwer sein und von Erholung keine Spur. Hält so ein Zustand länger an, bedarf es nicht mehr viel, um Ihren Energiestatus auf unter 10 Prozent zu senken.

Hier setzt auch das Thema Work-Life-Balance (image Kap. 7) an. Das Konzept der Balance zwischen Leben und Arbeiten, ein Hauptpunkt in der klassischen Burnout-Prophylaxe, ist für mich ein Mysterium. »Im Kontext von Burnout wird viel von Work-Life-Balance gesprochen: Arbeit und Leben sollen sich von der gelebten Zeit, dem energetischen Aufwand und der verliehenen Bedeutung des Lebensbereichs auf längere Sicht gesehen immer wieder ausgleichen «, schreibt etwa Theo Jannet.27

Diese Annahme, die so oder ähnlich x-fach auftaucht, geht von zwei Annahmen aus, die ich für falsch halte: Sie setzt erstens voraus, dass Work (Arbeitsleben) und Life (Privatleben) zwei verschiedene, strikt voneinander getrennte Bereiche sind, was erfahrungsgemäß unmöglich ist. Die Arbeit gehört zum Leben dazu. Wenn Sie etwas Gutes essen möchten, haben Sie die Arbeit des Kochens, wenn Sie Ihr Privatleben genießen wollen, werden Sie wohl oder übel ab und an die Hausarbeit erledigen müssen und auch der Nachwuchs, der Inbegriff von »Leben«, bereitet Eltern jede Menge Arbeit.

Mein zweiter Kritikpunkt. Bei der Work-Life-Balance geht man davon aus, dass die Arbeit (»Work«) uns Energie raubt, während das Privatleben (»Life«) uns wieder auflädt und Erholung bereithält. Als Mutter kann ich Ihnen sagen: »Life« kann einem den letzten Nerv rauben, während die Arbeit oft die reinste Energieoase ist.

Ich bezweifle unterm Strich also stark, dass die Balance zwischen Leben und Arbeiten – vor allem im Pflegeberuf – überhaupt funktioniert. Zwar müssen wir im Schichtdienst zu jeder Tages- und Nachtzeit ran, aber sobald wir die Einrichtung nach Feierabend verlassen, sind wir wirklich weg von der Arbeit. Wer also seine Work-Life-Balance fördern möchte, sollte eher darauf achten, dass er nach Feierabend die Arbeit auch gedanklich niederlegt, und nicht noch mit nach Hause und ins Privatleben trägt.

Die Schweigepflicht ist uns hierbei sogar eine große Hilfe. Nehmen Sie Abstand davon, schwierige Patienten und nervige Angelegenheiten am Abendbrottisch zu diskutieren.

Wer ganz sicher gehen will, geht auch noch duschen, um sich den ganzen »Schmutz des Tages« abzuwaschen. Der versickert dann in den Leitungen und Sie können befreit und leicht ins »Life« starten.

Beispiel Lisa und die Work-Life-Balance

Ich habe selten so ein gutes Beispiel von fehlgeleiteter Work-Life-Balance gesehen, wie bei Lisa. Lisa war Anfang 40, als sie mein Seminar in einem Schweizer Privatkrankenhaus bereicherte. Als Gruppenleitung hatte sie die ideale Rolle für sich gefunden und wenn sie von ihren beiden Kindern im Volksschulalter sprach, leuchteten ihre Augen. Sie wirkte bodenständig, handelte und sprach überlegt und erweckte das Gefühl, fest im Leben zu stehen.

Als wir auf das Thema Work-Life-Balance zu sprechen kamen, teilte sie ihre Erfahrungen mit der Gruppe und mit ihrer Erlaubnis darf ich sie jetzt auch mit Ihnen teilen:

Seit zwei Teamkollegen an Burnout erkrankten, hatte man sich in Lisas Abteilung dazu entschlossen, mehr Prophylaxe zu betreiben. So meldete sich auch Lisa für ein Yoga-Seminar an, das sie seither (zu dem Zeitpunkt seit etwa anderthalb Jahren) jede Woche besuchte. Lisa berichtete uns, dass dieser Kurs für sie purer Stress sei. Zwar fand sie die Yoga-Übungen gut, die Gruppe war jedoch »der reinste Zickenclub, in dem es nur darum geht, wer welche Hose trägt, einen unvorteilhaften Ausschnitt hat oder sich lieber nicht so weit runter beugen sollte.« Das größere Problem war jedoch, dass der Donnerstagnachmittag immer Zeitdruck bedeutete. »Ich würde oft einfach gerne mit meinen Kindern zusammen sein und mit ihnen rausgehen oder schlicht nichts tun. Stattdessen muss ich zusehen, dass ich für die beiden jemand zum Aufpassen habe und rechtzeitig von A nach B komme.«

Auf meine Nachfrage, warum sie den Kurs noch immer besuchte, wenn es ihr doch augenscheinlich weder Spaß machte noch gut tat, sagte die sonst so selbstreflektierte Lisa mit fast kleinkindhafter Stimme: »Na, Work-Life-Balance ist doch so wichtig.«

Ich möchte mich an dieser Stelle keinesfalls gegen Yoga-Übungen, Meditation oder Wellnessübungen aussprechen. Mein Ziel ist es lediglich, Sie zu ermutigen, genau hinzusehen. Schärfen Sie Ihren Blick für das, was Ihnen wirklich gut tut, Energie liefert und somit zu mehr Wohlbefinden beiträgt. So erkennen Sie auch, in welchen Bereichen Sie sich lediglich einreden lassen, dass Ihnen etwas gut tut, obwohl es in der Umsetzung vielleicht nicht der Fall ist.

Ich möchte Sie ermutigen, sich bewusst Ihrem inneren Akku zu widmen und im Alltag immer wieder zu überprüfen:

Wo stehe ich gerade, wie viel Energie habe ich jetzt?

Was hat mir heute/jetzt besonders viel Energie entzogen?

Womit konnte ich mich gut erholen, wann habe ich Ruhezeiten?

Was gefährdet meine Körperenergie besonders?

Dann haben Sie auch die Chance, rechtzeitig gegenzusteuern, wenn Sie bemerken, dass Ihr Energiestand zunehmend sinkt.

_________________

3 Scharnhorst J (2012): Burnout. Präventionsstrategien und Handlungsoptionen für Unternehmen. Haufe, Freiburg im Breisgau, S. 13

4 Vgl. ebd.

5 Vgl. Freudenberger H (1974): Staff Burn-Out. Journal of Social Issues 1/1974. Wiley-Blackwell, Hoboken, S. 159–165

6 Seidel W (2012): Burnout. Erkennen, verhindern, überwinden. Humboldt, Hannover, S. 66

7 Vgl. Burisch M (2010): Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung. Springer, Heidelberg.

8 Vgl. Jannet T (2014): Kompass Burnout. Alles, was Sie für Ihren persönlichen Ausweg brauchen. Beltz, Weinheim.

9 Vgl. Freudenberger H (1974): Staff Burn-Out. Journal of Social Issues 1/1974. Wiley-Blackwell, Hoboken

10 Vgl. Müller-Timmermann E (2014): Ausgebrannt. Wege aus der Burnout-Krise. Herder, Freiburg im Breisgau.

11 Seidel W (2012): Burnout. Erkennen, verhindern, überwinden. Humboldt, Hannover, S. 10

12 Ebd., S. 66

13 Vgl. Sockoll I (2008): Psychische Gesundheit im Erwerbsleben. BKK Bundesverband, Essen.

14 Vgl. Matyssek A (2003): Gesundes Team – gesunde Bilanz. Universum, Wiesbaden.

15 Scharnhorst 2012, S. 29

16 Scharnhorst 2012, S. 245

17 Vgl. Stadler P, Spieß E (2003): Psychosoziale Gefährdung am Arbeitsplatz. Wirtschaftsverlag NW, Dortmund.

18 Kraemer H (2010): Soforthilfe bei Stress und Burn-Out. Kösel, München. S. 3

19 https://krankenpflege.digital/burnout-pflegekraefte-sind-besonders-gefaehrdet/

20 Scharnhorst 2012, S. 54–55

21 https://pflege-weil.de/

22 https://www.thieme.de/statics/dokumente/thieme/final/de/dokumente/tw_pflegepaedagogik/1.1_Professionelle_Pflege.pdf

23 https://archiv.bundesregierung.de/archiv-de/mediathek/videos/pflegen-macht-gluecklich-467168

24 https://www.rechtsdepesche.de/5-gute-gruende-in-der-pflege-zu-arbeiten/

25 https://www.psyonline.at/lexikon/psychoanalyse

26 https://www.youtube.com/watch?v=hmgkvz7ZXos

27 Jannet 2014, S. 133

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Wenn Sie etwas ändern möchten – und dazu haben Sie dieses Buch ja schließlich gekauft – müssen Sie bei sich selbst beginnen. Insofern beginnt der Praxisteil dieses Buches bei Ihnen höchstpersönlich. Bei dem, was Sie sind, was Sie ausmacht und wie Sie sich sehen.

2.1Selbstbild

Definition Selbstbild

Unter Selbstbild versteht man in der Psychologie das »Selbstkonzept, die Kognitionen und Gefühle, die man sich selbst gegenüber hat. Das Selbstbild entsteht sowohl durch die Selbstbeobachtung der eigenen Erlebnisse und des eigenen Handelns als auch durch die versch. Formen der Beurteilung durch andere (Lob, Tadel, Lohn und Strafe).«*

* Vgl. Selbstbild https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/selbstbild

Ihr Selbst-Bild ist also das Bild, das Sie von sich haben. Das heißt, immer wenn Sie das Wort »Ich« benutzen, um sich selbst zu beschreiben, sprechen Sie über Ihr Selbstbild. Dazu gehören alle inneren und äußeren Eigenschaften, die Sie an sich wahrnehmen. Wenn Sie also in den Spiegel schauen, wird das, was Sie sehen, von Ihrem Unterbewusstsein bewertet und es entsteht ein Selbstbild. Das gilt zum einen für körperliche Merkmale wie Größe, Gewicht, Haut-, Haar- und Augenfarbe, Proportionen oder Besonderheiten. Noch stärker trifft diese Einschätzung jedoch Ihre nicht sichtbaren Merkmale und Eigenschaften wie Kognitionen28, Gefühle oder Fähigkeiten. So halten Sie sich vielleicht für sportlich, musikalisch, talentiert, großzügig, mutig oder ängstlich, zaghaft, unbegabt etc.

Entscheidend ist, dass Ihr Selbstbild immer subjektiv ist, genauso wie die Beurteilungen, die Ihnen andere Menschen zukommen lassen: einsatzfreudig (oder nicht), teamfähig (oder nicht) etc.

Sie werden es schon erlebt haben: Ihre eigene Beurteilung und die anderer weichen häufig voneinander ab. Der scheinbar Arrogante hält sich selbst für ängstlich. Der Choleriker glaubt, er sei die Ruhe in Person. Die Teamkollegin hält sich selbst für fleißig, was alle anderen glatt verneinen würden. Selbst äußere Merkmale sind subjektiv. Ein 1,80 m großer Mann mag sich selbst eher klein fühlen, weil alle anderen in seiner Familie fast 2,00 m groß sind. Eine normalgewichtige Frau fühlt sich dick und unbeweglich, weil ihre Freundinnen alle sehr zierlich und agil sind. Für praktisch jedes körperliche und charakteristische Merkmal gibt es mindestens zwei Blickrichtungen. In den allermeisten Fällen ist Ihr Selbstbild einseitig und unterscheidet sich davon, wie andere Sie sehen.

Das große Problem am Selbstbild ist jedoch nicht die Subjektivität. Der Haken ist, dass Sie wahrscheinlich – wie die meisten Menschen – ein eher negatives Bild von sich und Ihren Eigenschaften haben. In Alltagssituationen neigen wir alle dank unserer Erziehung sogar dazu, unsere (gefühlt) negativen Eigenschaften hervorzuheben, vor allem natürlich vor uns selbst. Wir wurden einfach dazu erzogen, uns nicht selbst zu loben. Mit negativen Glaubenssätzen wie »Eigenlob stinkt« oder »Hochmut kommt vor dem Fall« wurden ganze Generationen von normalen Menschen in Grund und Boden reduziert. Auch die neutestamentliche Sicht »Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden« (Mt. 23,12) hat sich durchweg als wenig hilfreich erwiesen.

Ihr Selbstbild ist ein Sammelsurium, und zwar ein sehr altes. Alles, was Sie in Ihrem gesamten Leben gelernt, gehört oder erlebt haben, wo Sie erfolgreich waren oder erfolglos blieben, fließt in Ihrem Selbstbild zusammen. Ebenso natürlich all das, was andere Menschen in Ihrem Umfeld über Sie und zu Ihnen gesagt haben. Eine entscheidende Rolle haben hierbei Ihre Eltern bzw. die Person(en), die Sie aufgezogen haben. Mit der Pubertät ging dieser Einfluss an Ihre Freunde bzw. Ihre Clique über. Sie werden Sie kennen, all diese kleinen, oft unbedachten Bemerkungen, zum Teil sogar nonverbalen Signale, die Ihr Selbstbild nachhaltig beschädigt oder bestenfalls: gefördert haben.

Ein Teil ihres Selbstbildes geben Sie bereits preis, wenn Sie einem anderen Menschen zum ersten Mal begegnen. Indem Sie sich vorstellen, sich vielleicht selbst beschreiben, offenbaren Sie Ihrem Gegenüber ein Stück Ihres Selbstbildes. Natürlich werden Sie bei einem ersten Kennenlernen nur das von sich preisgeben, was Sie gern mögen oder worauf Sie stolz sind. Jemand, der sich alt fühlt, wird sein Alter wohl eher nicht nennen. Dafür fällt die berufliche Karriere vielleicht gleich im ersten Satz. Eine stolze Mutter spricht im ersten Gespräch gern von ihren Kindern, der frisch gebackene Ehemann erwähnt seinen neuen Familienstand, der begeisterte Sportler seine Erfolge.

Je nach Situation variiert das, was Sie von Ihrem Selbstbild nach außen tragen möchten. Während Sie sich bei Freundesfreunden als »Papa von drei frechen Kids« vorstellen, da Sie in Ihrer Rolle als Familienvater voll aufgehen, werden Sie die lieben Kleinen im Rahmen eines beruflichen Meetings eher nicht erwähnen. Hier sind andere Aspekte ihres Selbstbildes wichtig. Sie werden Ihre Position, Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten betonen.

2.2Selbstwert

Definition Selbstwert

»Als Selbstwert wird in der Psychologie die Bewertung der eigenen Person oder von Aspekten der eigenen Person bezeichnet, womit der Selbstwert die affektive Komponente des Selbst darstellt. (Stangl, 2021).«*

* Vgl. Stangl W (2021): Stichwort: Selbstwert. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik. https://lexikon.stangl.eu/7544/selbstwert/

Ähnlich dem Selbstbild ist auch der Selbstwert im Wortsinne selbsterklärend. Der Selbst-Wert (auch »Selbstwertgefühl«) gibt an, was Sie sich selbst wert sind, was Sie glauben, wert zu sein oder anders ausgedrückt: welchen Wert Sie sich selbst beimessen.

Selbstwert und Selbstbild hängen eng zusammen. Je besser Ihr Bild von sich selbst ist, desto höher werden Sie auch Ihren Selbstwert einschätzen. Entsprechend punkten Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit einem hervorragenden Selbstwert. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist wohl Donald Trump, der ehemalige US-Präsident.

Im Gegensatz zu Donald Trump, der sich offensichtlich für nahezu perfekt hält, muss ein hoher Selbstwert nicht immer bedeuten, dass sich jemand für perfekt oder fehlerfrei hält. Ein hoher Selbstwert heißt also nicht: »Ich bin ein absolut makelloser Mensch«, sondern: »Ich bin ein Mensch mit Stärken und Schwächen. Ich habe Fehler, aber ich bin trotzdem wertvoll.« Es geht also darum, inwiefern wir uns selbst akzeptieren.

Wer sich seiner Schwächen bewusst ist und diese akzeptiert, ist weniger anfällig für Manipulationen.

Beispiel »Ich wollte ein Teil des Teams sein«

Wie fatal sich ein schwaches Selbstwertgefühl auf die eigenen Energiereserven auswirken kann, schilderte Monika, als sie an einem meiner Seminare teilnahm. Als sie mit 22 aus dem Vogtland nach Köln zog, kannte sie in der Metropole niemanden. Entsprechend wichtig war es ihr, mit den neuen Kolleg*innen im Seniorenwohnheim gut auszukommen.

Ihre Aufgaben als Pflegehelferin waren vielfältig, trotzdem übernahm Monika immer mehr Arbeiten, die eigentlich nicht in ihren Aufgabenbereich gehörten. »Ich dachte, wenn ich eine gute Kollegin bin, werde ich auch bald eine gute Freundin sein«, erzählte sie beschämt. »Es hat lang gedauert, bis ich gemerkt habe, was da läuft. Ich war der Trottel für alle. Wenn es darum ging, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, Putzarbeiten zu erledigen oder das Stationsfrühstück mitzubringen, war ich gut genug. Und hinter meinem Rücken haben sie sich über mich lustig gemacht.« Sie erzählt auch von ihrer Unfähigkeit, die Situation zu ändern. »Selbst als ich es endlich gemerkt habe, habe ich mich nicht getraut, nein zu sagen. Ich wollte so gern ein Teil des Teams sein.«.

Monikas schwaches Selbstwertgefühl endete mit einem Knockout und fast vier Monaten Krankenstand, da war sie gerade einmal 25. Besonders beeindruckt hat mich ihre Selbstreflektion. »Anfangs war ich wütend auf die Kolleg*innen. Ich habe mich als Mobbingopfer gesehen, war der Meinung, dass sie mich bewusst ausgenutzt haben und fertig machen wollten. Erst nach und nach musste ich erkennen, dass sie mir eigentlich nichts Böses getan haben. Jeder ist halt froh, wenn er Arbeit abtreten kann. Der Gedanke, dass ich für mein Knockout selbst verantwortlich bin, war schlimm für mich. Ich habe mich schuldig gefühlt und an mir gezweifelt. Auch heute schaue ich noch ungern auf diese Zeit zurück. Ich lerne noch immer, wie ich selbst gut mit mir umgehen kann und dass ich nicht von anderen abhängig bin. Doch ich fühle mich inzwischen stärker und sicherer.«

Wer ein geringes Selbstwertgefühl hat, kann oft nicht Nein sagen, die eigenen Grenzen wahren oder die Reißleine ziehen. Menschen mit wenig Selbstwertgefühl wehren sich kaum gegen unzumutbare Umstände, sei es am Arbeitsplatz oder im Privatleben. Schließlich birgt ein klares Nein immer die Gefahr, dass die anderen einen dann weniger oder gar nicht mehr mögen. Selbstwertschwache Menschen brauchen andere Menschen, um sich wertvoll zu fühlen. Sie suchen ständig nach Anerkennung, nach Bestärkung, nach Unterstützung. Sie verbringen viel Zeit damit, Aufgaben zu erfüllen, die sie gar nicht erfüllen wollen oder können und verschwenden dabei ihre ganze Energie, ohne sich Zeit fürs Aufladen zu nehmen.

Lernen Sie, Nein zu sagen! Das ist eine der wichtigsten und energiesparendsten Aufgaben für Pflegende. Sie müssen abschätzen, wie es um Ihre Energiereserven bestellt ist und ggfs. höflich, aber bestimmt, Nein zu sagen.

Nicht die Stationsleitung trägt die Verantwortung dafür, wenn Sie regelmäßig aus dem Frei geholt werden. Sie selbst haben die Verantwortung für sich und Ihren Energiehaushalt.

image Übung

Wie steht es um Ihren Selbstwert?

Wissen Sie, was Sie selbst wert sind und können Sie sich selbst ausreichend wertschätzen? Die folgenden zehn Fragen der »Rosenberg Self-Esteem Scale « (RSES)*, hier in abgewandelter Form zur leichteren Selbsteinschätzung, können eine erste Bestandsaufnahme Ihres Selbstwertes liefern.

Ordnen Sie dafür jeder der folgenden zehn Fragen einen Wert zu.

1 – Trifft gar nicht zu.

2 – Trifft nicht zu.

3 – Weder noch.

4 – Trifft eher zu.

5 – Trifft voll zu.

Tab. 2 : Rosenberg Self-Esteem Scale

    1 2 3 4 5
 1 Alles in allem bin ich mit mir selbst zufrieden.          
 2 Es gibt vieles worin ich gut bin.          
 3 Ich besitze eine Reihe guter Eigenschaften.          
 4 Ich kann vieles genauso gut wie die meisten anderen Menschen auch.          
 5 Es gibt viel, worauf ich stolz sein kann.          
 6 Ich fühle mich die meiste Zeit nützlich.          
 7 Ich halte mich für einen wertvollen Menschen, jedenfalls bin ich nicht weniger wertvoll als andere auch.          
 8 Ich habe vor mir selbst Achtung und ich achte meine Bedürfnisse.          
 9 Alles in allem neige ich dazu, mich für einen guten Menschen zu halten.          
10 Ich habe eine positive Einstellung zu mir selbst gefunden.          

* Vgl. Rosenberg M (1965): Society and the adolescent selfimage.Princeton, NJ: Princeton University Press. Collani G, Herzberg PY (2003): Eine revidierte Fassung der deutschsprachigen Skala zum Selbstwertgefühl von Rosenberg (Kurzbeitrag). Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 24, 3–7.

Addieren Sie die Werte der Fragen, sodass Sie zu einer Summe zwischen 10 und 60 Punkten kommen.

Befinden Sie sich in einem Bereich zwischen 46 und 60 Punkten haben Sie vermutlich eine hohe selbstbezogene Wertschätzung. Sie können Ihre Fehler und Schwächen erkennen und mit ihnen umgehen.

Bei einem Wert zwischen 30 und 45 Punkten sollten Sie sich Ihren Selbstwert genauer ansehen. Wie können Sie sich Wertschätzung entgegenbringen, inwiefern sind Sie durch andere manipulierbar und an welchen Stellen raubt Ihnen Ihr überzogen selbstkritisches Verhalten Energie?

Ein Wert zwischen 10 und 29 Punkten zeigt ein schwaches Selbstwertgefühl an. Das bedeutet, dass Sie wenig oder keinen Respekt für sich selbst empfinden. Eine Ausgangslage, die Sie für andere manipulierbar macht, denn wer sich selbst wenig Wert beimisst, ist darauf angewiesen, Wertschätzung durch andere zu erfahren. Ein abwertender Umgang mit sich selbst und eine negative Fehlerpolitik sind Energieräuber und prädestinieren so für einen Knockout.

2.2.1 Ihr Weg aus der Selbstwertfalle

Welchen Unterschied macht es, ob andere Sie mögen? Wer sich selbst nicht mag, wird mit sich niemals glücklich werden. Selbst wenn die ganze Welt Ihnen zu Füßen liegt, der Chef Sie für den/die Mitarbeiter*in des Jahres hält und Ihre Kolleg*innen sich um Gespräche mit Ihnen reißen, werden Sie nicht glücklich sein, wenn Ihr Selbstwertgefühl eher schwach ausgeprägt ist.

Das trifft übrigens nicht nur Pflegekräfte. Selbst die Berühmtesten der Berühmten haben nicht unbedingt ein hohes Selbstwertgefühl. Elton John ist ein internationaler Star, verdient Millionen, erhielt von der Queen den Titel »Sir« und sang auf Dianas Beerdigung… Und doch ist er ein Künstler, der so viel Panik vor Auftritten hat, dass ihm vor jedem Konzert übel ist. Er nahm Drogen, trank zu viel Alkohol, hasste öffentliche Auftritte und war oft sehr unglücklich. »Das Singen an sich hat mir schon immer riesige Angst gemacht«, sagte er einmal in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit«29.

Der Weg aus der Selbstwertfalle klingt einfach: Verzeihen Sie sich, dass Sie ein unvollkommener Mensch sind! Das sind wir alle! Ein erster Schritt für mehr Einverständnis mit sich selbst, kann eine Bestandsliste Ihrer Werte sein. Werden Sie sich der Tatsache bewusst, dass Sie ein wertvoller Mensch sind. Denn: »Die wesentliche Voraussetzung für Glück, ist die Bereitschaft, der zu sein, der man ist«, sagte mal Erasmus von Rotterdam.

image Übung

Raus aus der Selbstwertfalle

In der Einleitung habe ich bereits erklärt, welchen Stellenwert das geschriebene Wort hat (image S. 12). Notieren Sie sich nun stichpunktartig die Antworten auf die folgenden Fragen. Mindestens zehn Antworten sollten Ihnen einfallen. Sie können sich für diese Übung viel Zeit lassen, die Liste zu einem späteren Zeitpunkt vervollständigen oder Freunde um Hilfe bitten. Wichtig ist aber: Es zählen nur positive Eigenschaften! Schreiben Sie nicht in Verneinungen (also etwa »Ich vertraue« statt: »Ich bin nicht eifersüchtig!«)

Wer sind Sie? Was zeichnet Sie aus?

Hier zählen Charaktereigenschaften (z. B. »Ich bleibe auch in stressigen Situationen ruhig«), Rollen (»Ich bin eine liebende Mutter, ein treuer Ehemann«) und mindestens drei körperliche Attribute (»Ich habe schöne Zehen, einen haarlosen Rücken, eine gesunde Leber«). Bitte bleiben Sie immer beim Positiven!

Was machen Sie gern?

Das können alltägliche Dinge sein, wie Handarbeit oder Hausarbeiten, Kleinigkeiten (etwa Singen, Spazierengehen oder die Nachbarskinder betreuen) oder große Sachen (ehrenamtliche Projekte, Nachbarschaftshilfe organisieren, Vereinsleitung). Das Wichtigste ist: Die Frage zielt nicht darauf ab, was Sie perfekt beherrschen, sondern was Sie gern tun. Sei es mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, statt mit dem Auto oder streifenfrei die Fenster putzen zu können.

Was sind Ihre positiven Eigenschaften?

Nennen Sie mindestens zehn Eigenschaften! Fragen Sie Ihre Freunde, Ihre Familie oder Ihre Kollegen danach, was Sie an Ihnen mögen. Sie werden überrascht sein, wie viele gute Eigenschaften denen einfallen!

Wenn Sie Ihre Liste fertig haben (die Sie jederzeit erweitern können), lesen Sie sie bitte laut vor. Ab sofort wird diese Auflistung der Begleiter Ihres Selbstwertgefühles sein.

Betrachten Sie diese Liste wie die konservative Therapie einer Fraktur am Unterschenkel. Ihr Selbstwert ist der gebrochene Knochen, diese Liste ist der Gips. Am Anfang benötigt Ihr Körper zur Reparatur noch einen Vollgips, d. h. Sie lesen mehrmals täglich die Punkte laut vor. Es folgt der Spaltgips: Sie kennen Ihre Liste fast auswendig, können sie gedanklich immer wieder durchgehen. Dann folgt die Schiene: Im Alltag, bei der Arbeit, in der Freizeit wird Ihnen immer wieder einfallen, welche positiven Eigenschaften Sie haben. Wenn ein Kollege Ihnen erzählt, in welcher Zeit er den Marathon am Wochenende erfolgreich absolviert hat und Sie sich gerade ärgern wollen, weil sie so unsportlich sind, fällt Ihnen prompt ein, dass keiner so tadellos Socken stopfen kann wie Sie (oder was auch immer Ihre ganz persönliche Liste hergibt).

Wie beim gebrochenen Knochen wird auch Ihr reparierter Selbstwert immer mal wieder ziehen oder in anstrengenden Situationen unangenehm zu spüren sein. Das ist in Ordnung. Vielleicht würden Sie beim Wandern gern noch einen leichten Stützverband tragen? Genauso können Sie sich vor einem selbstwertstressendem Thermenbesuch bewusst machen, was für schöne Zehen Sie haben, und dass es im ganzen Badetempel vermutlich kein zweites Paar Füße gibt, dass so perfekte, gerade Zehen hat…

2.3Selbstvertrauen

Definition Selbstvertrauen

Selbstvertrauen (oder auch Selbstsicherheit) bezeichnet das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Welchen Stellenwert hat Vertrauen in Ihrem Leben? Was bedeutet es überhaupt, wenn Sie sagen, Sie vertrauen einem anderen? Vertrauen, das heißt sich auf jemanden verlassen zu können, auf jemanden bauen zu können. Es bedeutetet aber auch, sich darauf verlassen zu können, dass Ihre eigenen Schwächen nicht gegen Sie verwendet werden, dass Ihr Gegenüber Ihnen Ihre Schwächen nicht vorhält. Vertrauen heißt, ein Geheimnis wahren zu können.

Wenn wir mit anderen Menschen zusammen sind, legen wir großen Wert darauf, ihnen vertrauen zu können. Je näher uns ein Mensch steht, je mehr Zeit wir mit ihm verbringen, desto mehr schenken wir ihm unser Vertrauen. Der Mensch, mit dem Sie die meiste Zeit verbringen, der Sie am besten kennt und mit dem Sie am häufigsten im Zwiegespräch stehen, sind Sie selbst. Wenn Sie sich auf einen Menschen uneingeschränkt verlassen können sollten, dann auf sich selbst.

Sie werden es schon ahnen: Ihr Selbstvertrauen hängt natürlich unmittelbar damit zusammen, welchen Wert Sie sich beimessen, wie hoch also Ihr Selbstwertgefühl ist. Viele Menschen haben nur sehr wenig Vertrauen in sich. »Ich kann das nicht.« – »Das schaffe ich nicht.« – »Das traue ich mir nicht zu!« So lauten typische Aussagen, wenn jemandem das Selbstvertrauen fehlt. Auch Menschen, die sich stets die Bestätigung anderer holen müssen, also den Partner fragen: »Glaubst du, ich schaffe das?« oder die Freundin um Auskunft bitten: »Denkst du wirklich, dass ich das kann?« bezeugen damit, dass sie anderen Menschen mehr Vertrauen entgegenbringen als sich selbst.

Wer sich selbst nicht vertraut, verrät sich selbst. Da hält sich jemand z. B. immer wieder seine Schwächen vor, verurteilt sich für jeden noch so kleinen Fehltritt. »Ich bin so dumm. Was musste ich mich auch wieder so blöd anstellen. Dass ich nie aufpassen kann!« Menschen mit geringem Selbstvertrauen demotivieren sich selbst, reden sich ein, etwas nicht zu können oder nicht zu schaffen: »Warum sollte ich das probieren, ich weiß, dass ich das nicht schaffe. Ich bin einfach nicht gut genug.« Entsprechend fallen auch die Ergebnisse ihrer Bemühungen oft eher nicht so gut aus. Eine schlicht selbsterfüllende Prophezeiung! Ein Teufelskreis entsteht (image S. 145).

Menschen, die sich selbst vertrauen, haben weniger Angst zu scheitern. Denn auch wenn nicht alles glatt läuft, ist jemand da, um sie aufzufangen. Jemand, dem sie vollends vertrauen: sie selbst.

Beispiel Die Sache mit dem Selbstvertrauen

Stellen Sie sich vor, Ihr Selbstbild tritt aus Ihnen heraus und wird zu einer Person. Es ist der Mensch, mit dem Sie zusammen leben. Dieser Mensch sitzt Ihnen auf der Couch gegenüber. Sie haben ein wichtiges Vorstellungsgespräch und sind entsprechend aufgeregt. Ihr Gegenüber, dem Sie vollends vertrauen, lächelt Sie an und sagt: »Du schaffst das. Ich weiß, du kannst sie alle überzeugen. Du wirst sie schon mit dem ersten Lächeln für dich gewinnen.« Aus einem solchen Gespräch gehen Sie gestärkt heraus, was sich auch positiv auf den Verlauf des Vorstellungsgesprächs auswirken wird. Später am Tag sitzen Sie Ihrem Selbstbild wieder gegenüber. Leider haben Sie den Job nicht bekommen. Sie kommen trotzdem gern nach Hause, da Sie wissen, hier wartet Liebe und eine vertraute Seele, die Sie auffängt. Das Gespräch könnte in etwa so verlaufen: »Beim nächsten Mal wird es sicher besser laufen. Schade, dass es nicht geklappt hat, aber vielleicht hatte es auch etwas Gutes. Hast du eine Idee, woran es gelegen hat? Könntest du beim nächsten Mal vielleicht etwas besser machen?« In diesem Umfeld fühlen Sie sich wohl.

Leider sieht die Realität oft anders aus: Mit einem geringen Selbstvertrauen lebt es sich in etwa so zusammen: Schon vor dem Termin ist die Motivation auf dem Tiefpunkt: »Willst du da wirklich hingehen? Die nehmen dich doch sowieso nicht. Die letzten zwei Mal bist du auch abgeblitzt. Du bist einfach nicht gut genug.« Das Vorstellungsgespräch verläuft entsprechend stressig. Sie sind angespannt, präsentieren sich zaghaft, reagieren auf Nachfragen eher ängstlich-genervt. Welcher Arbeitgeber aber will jemanden einstellen, der nicht mal selbst an seine Leistungen glaubt? Also quälen Sie sich zurück nach Hause, mit Fluchtgedanken und einem flauen Gefühl im Bauch. Daheim wartet der geringe Selbstwert schon auf Sie: »Ich habe es dir doch gleich gesagt! Du kannst es einfach nicht. Du hast mal wieder nur Blödsinn geredet. Das war überhaupt nicht überzeugend.«

Wenn ein realer Mensch sich Ihnen gegenüber so verhält, würden Sie (hoffentlich) schleunigst das Weite suchen. Doch vor sich selbst können Sie nicht fliehen, geschweige denn sich trennen. Es ist also wesentlich besser, wenn Sie sich ab sofort um ein Selbstvertrauen bemühen, mit dem Sie gern »in der gleichen Haut« leben.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842691179
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Oktober)
Schlagworte
Mental Load Pflege Burnout Falle Altenpflege Stress Depression

Autor

  • Jennifer Melcher (Autor:in)

Jennifer Melcher ist examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sie absolvierte Weiterbildungen im Bereich Lehramt, mittleres und basales Pflege- und Wundmanagement. Als Referentin und Rednerin (u.a. auf Pflegekongressen) lehrt sie die von ihr entwickelte eigenverantwortliche Burnout-Prophylaxe und setzt dabei auf schnell umsetzbare Methoden für den Alltag.
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Titel: Das Anti-Burnout-Buch für Pflegekräfte