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Palliative Begleitung bei Menschen mit Demenz

Professionell begleiten, einfühlsam kommunizieren, kompetent handeln

von Tanja Frank (Autor:in)
240 Seiten
Reihe: Pflege Praxis

Zusammenfassung

Was macht „gutes“ Sterben bei Menschen mit Demenz
aus? Was können Pflege- und Betreuungskräfte tun, um
die letzte Lebensphase einfühlsam und kompetent zu
gestalten?
Die palliative Begleitung Demenzbetroffener ist eine
besondere Herausforderung für die Mitarbeiter in der
Pflege und Betreuung. Achtsamkeit und Menschlichkeit
sind ebenso erforderlich wie kompetentes Fachwissen
und praktische Strategien.
Dieses Buch zeigt, welche Besonderheiten die letzten
Lebenswege von Menschen mit Demenz häufig kennzeichnen,
wo ihre wichtigsten Bedürfnisse liegen und
was Pflegende, Betreuende und Angehörige für die
bestmögliche Versorgung tun können.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Danke

Mein Dank gilt allen Betroffenen und ihren Angehörigen. Von Ihnen konnte ich vieles lernen und an Ihnen durfte ich vieles anwenden.

Mein Dank geht auch an die vielen unermüdlichen und motivierten Mitarbeitenden in diesem Bereich. In zahlreichen Seminaren in über 13 Jahren konnte ich voller Bewunderung feststellen, wie viele interessierte, motivierte und zugewandte Mitarbeiter*innen aus Pflege und Betreuung sich in der Kranken- und Altenpflege engagieren. Viele lieben ihre Arbeit und gehen mit großem Engagement und Freude in ihren Dienst.

So vielfältig, wie Sie im Einzelnen sind, so unterschiedlich sind Ihre Talente, die Sie in Ihre Arbeit mit hineingeben – zum Wohle und zur Freude der Menschen mit Demenz und deren Angehörigen.

 

 

 

 

 

Widmung

Ich widme dieses Buch meinem Mann und meinen Kindern.

Einleitung

In Deutschland leben nach jüngsten epidemiologischen Schätzungen rund 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Jeder dieser Menschen ist einzigartig. Alle möchten eine gute Lebensqualität haben. Sie möchten frei von Angst, Schmerzen, Unruhe und anderen Beschwerden viele schöne Momente erleben, in einer Umgebung, in der sie sich sicher und wohl fühlen. Wenn das Lebensende näherkommt, kann dies zu Verunsicherung bei den Betroffenen und deren An- und Zugehörigen führen. Es kommen Fragen auf:

Was kann ich noch tun?

Was sollte ich vielleicht jetzt lassen?

Was kommt auf mich zu?

In diesem Buch erhalten Sie einen Einblick, was beim schwerkranken und sterbenden Menschen mit Demenz geschieht, wie körperliches, psychisches, soziales und spirituelles Leiden am Lebensende aussehen und gelindert werden kann. Immer wieder kommen Sie als Mitarbeitende im Alltag in eine ethisch problematische Situation, ein sog. Dilemma, und sind ratlos. Um Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen eine möglichst gute und beschwerdefreie Zeit am Lebensende zu ermöglichen, brauchen Sie neben Fachwissen eine empathische und wertschätzende Haltung. Das Handeln der Begleitenden findet auf der Grundlage von Menschlichkeit und Mitgefühl, Respekt und Achtsamkeit statt.

So kann es gelingen, dass Sie sich den Bedürfnissen und Wünschen der Betroffenen annähern und eine Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Hier sind zwei Kompetenzen gemeinsam gefordert: Fachwissen und Haltung. Nur in dieser Kombination werden Pflegende und Betreuende einen Zugang zu Menschen mit Demenz finden und deren Lebensqualität erhalten oder steigern können. Gehen Sie ohne diese Haltung mit viel Fachwissen auf sie zu, werden Sie nur bis zu einem gewissen Punkt gelangen und dann scheitern. Ebenso ist Haltung allein, ohne das grundlegende Fachwissen, nicht ausreichend, um den Bedürfnissen von Demenzerkrankten gerecht zu werden.

Vielleicht ahnen Sie jetzt schon, dass es keine allgemein gültigen Antworten auf die oben gestellten Fragen gibt und Sie immer wieder die bestmögliche Lösung für die jeweilige Situation suchen müssen. Jedes Sterben ist einzigartig und erfordert ein genaues Hinschauen, was gewünscht, erleichternd und unterstützend sein könnte. Den letzten Schritt muss der Sterbende allein gehen, Sie können ihn dabei begleiten und, so gut es Ihnen möglich ist, hilfreich sein. Immer im Bewusstsein, dass Sie nie alles wissen und erklären können und manchmal unsicher bleiben, ob es richtig ist, was Sie gerade tun.

Auch bundesweit setzen sich Menschen und Institutionen seit 2008 mit dem Thema Betreuung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase auseinander. So entstand 2010 die »Charta zu Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland«. In fünf Leitsätzen formuliert sie Aufgaben, Ziele und Handlungsbedarfe, um die Betreuung Schwerkranker und Sterbender zu verbessern. 2.351 Organisationen und Institutionen sowie 27.550 Einzelpersonen – darunter auch zahlreiche Politiker*innen aller Ebenen – haben die Charta bislang unterschrieben.

Die Hospiz- und Palliativbewegung ist bis heute maßgeblich mit der britischen Pionierin Dame Cicely Saunders verbunden. Ihr Ziel war es, unheilbar kranken Menschen ein würdiges, selbstbestimmtes und schmerzfreies Leben zu ermöglichen. Cicely Saunders hat bis zu ihrem Tod 2005 mit 87 Jahren das Wissen um Symptomlinderung und guter Schmerztherapie vorangetrieben. Mit ihrem persönlichen multiprofessionellen Hintergrund als Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin war es ihr immer ein Anliegen, dass keine dieser Professionen allein das Ziel einer guten Lebensqualität in dieser besonderen Lebensphase erreichen kann. Das multiprofessionelle Team ist ein zentrales Merkmal der Hospiz- und Palliativarbeit.

1967 eröffnete Cicely Saunders in London das erste moderne Hospiz, St. Christopherus. Dort kümmerte sich ein multiprofessionelles Team und Ehrenamtliche um Schwerkranke und Sterbende. Cicely Saunders hatte die großen Probleme von Menschen mit unheilbaren Krebserkrankungen, deren belastende körperliche, spirituelle und psychosoziale Beschwerden im Blick.

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»Auch wenn wir an der grundsätzlichen Situation sterbender Menschen wenig ändern können – wir können versuchen, ihnen in dieser schwierigen Phase ihres Lebens beizustehen. Alle unsere Bemühungen müssen also an den Bedürfnissen unserer Patienten orientiert sein.«*

* http://www.hospizarbeit-bielefelder-sueden.de/ueber-uns/

Die aus der Schweiz stammende Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross veröffentlichte 1969 in den USA ihr Buch »Interviews mit Sterbenden« und erregte damit weltweit Aufsehen. Sie beschreibt darin die Sterbephasen und wesentliche Erkenntnisse aus ihrer Arbeit mit Sterbenden und deren Angehörigen. Wie war die Entwicklung in Deutschland? Pioniere aus Tübingen setzten erstmals in den 1970er Jahren Erfahrungen anglo-amerikanischer Pflegeeinrichtungen in der Tropenklinik Paul-Lechler Krankenhaus um, in der ich später dann viele Jahre selbst gearbeitet habe. 1983 eröffnete in Köln an der chirurgischen Universitätsklinik die erste Palliativstation, kurz darauf 1986 das erste stationäre Hospiz in Aachen. Inzwischen gibt es in Deutschland rund 1.500 ambulante Hospizdienste, ca. 230 stationäre Hospize für Erwachsene sowie 17 stationäre Hospize für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, ca. 330 Palliativstationen in Krankenhäusern, drei davon für Kinder und Jugendliche.1 230 stationäre Erwachsenen-Hospize mit im Durchschnitt je ca. 10 Betten, also ca. 2300 Hospizbetten, versorgen pro Jahr ca. 30.000 Menschen. Aktuell arbeiten 361 Teams in der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV)2, 34 davon für Kinder und Jugendliche3. Bis 2018 haben nahezu 12.346 Mediziner die Zusatzausbildung Palliativmedizin absolviert.4 Mehr als 120.000 Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich, bürgerschaftlich und hauptamtlich und unterstützen die Arbeit für schwerstkranke und sterbende Menschen.

Hier hat in den vergangenen Jahren also eine intensive Entwicklung stattgefunden. Das alles dient dazu, Menschen in ihrer letzten Lebensphase dort zu unterstützen, wo sie wünschen zu leben und zu sterben. Menschen mit Demenz leben und sterben vorrangig zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung oder in einem Altenheim. Für sie ist nur in Ausnahmefällen ein Hospizplatz oder das SAPV-Team vorgesehen. Deshalb muss die Begleitung dort, wo sie leben und sterben sehr gut sein. Das Konzept der »Palliative Care« dient hierfür als Grundlage für die Begleitung der Schwerkranken und Sterbenden und deren Angehörige.

In diesem Bild steckt auch der ganzheitliche Ansatz des Konzeptes. Wenn Heilung nicht mehr möglich ist, geht es um Linderung von Beschwerden auf körperlicher, spiritueller, sozialer und psychischer Ebene. Das kann eine Profession allein nicht leisten, deshalb ist der multiprofessionelle Ansatz von so großer Bedeutung. Jeder trägt auf seine Weise seinen Teil zur Verbesserung der Situation bei. Das hat auch die WHO erstmals 1990 in ihrer Definition eines ganzheitlichen Betreuungskonzeptes öffentlich gemacht. 2002 überarbeitete die WHO die Definition.

Definition Ganzheitliches Betreuungskonzept von Schwerkranken und Sterbenden

Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durchfrühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.

Palliativ Care

ermöglicht Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen,

bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an,

beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzögerung des Todes,

integriert psychologische und spirituelle Aspekte der Betreuung,

bietet Unterstützung, um Patienten zu helfen, ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tod zu gestalten,

bietet Angehörigen Unterstützung während der Erkrankung des Patienten und in der Trauerzeit,

beruht auf einem Teamansatz, um den Bedürfnissen der Patienten und ihrer Familien zu begegnen, auch durch Beratung in der Trauerzeit, falls notwendig,

fördert Lebensqualität und kann möglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen,

kommt frühzeitig im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen Therapien, die eine Lebensverlängerung zum Ziel haben, wie z. B. Chemotherapie oder Bestrahlung, und schließt Untersuchungen ein, die notwendig sind um belastende Komplikationen besser zu verstehen und zu behandeln.*

* Vgl. https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/WHO_Definition_2002_Palliative_Care_englisch-deutsch.pdf

Die Formulierung wurde also sehr offengehalten, damit neben Tumorerkrankungen auch weitere lebensbedrohliche bzw. -verkürzende Erkrankungen, wie z. B. Demenz, fortgeschrittene Herz-, Lungen-, Leber- oder Nierenerkrankungen und andere chronische neurologische Erkrankungen, z. B. der schwere Schlaganfall, Morbus Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose, nicht von diesem ganzheitlichen Ansatz der Betreuung ausgeschlossen bleiben. Das war eine wichtige Entwicklung auch in Deutschland. In der Praxis haben Sie es immer wieder mit Menschen zu tun, die mehrere der oben genannten Erkrankungen haben und eine entsprechend ausgeprägte Symptomlast erleben. Sie benötigen eine palliative Begleitung. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) appelliert deshalb an die Verantwortlichen aus Politik, Gesundheitswesen und Behandlungsteams, sich dieser wichtigen Aufgabe der besseren palliativen Versorgung der wachsenden Gruppe von Menschen mit Demenz anzunehmen.5

1.1Was ist Palliative Geriatrie?

Palliative Geriatrie leitet sich aus dem Konzept von Palliative Care ab. Sie hat zum Ziel, hochbetagten Menschen bis zuletzt ein beschwerdefreies und würdiges Leben und Sterben zu ermöglichen. Schmerzen, belastende körperliche Symptome sowie soziale und seelische Nöte werden wahrgenommen und gelindert.

Palliative Geriatrie erfordert ein ganzheitliches Betreuungskonzept für Betroffene und Betreuende.

Palliative Geriatrie unterscheidet sich von den palliativen Angeboten für Tumorpatienten.

Alte und sterbende Menschen sind oft nicht mehr in der Lage, ihre Bedürfnisse allgemein verständlich zu formulieren. Sie sind zu krank, zu schwach, zu müde oder oft zu sehr kognitiv eingeschränkt, um sich mitzuteilen. Hinzu kommen häufig schwere körperliche Einschränkungen. Deshalb liegt ein Schwerpunkt der Arbeit in einer gelingenden Kommunikation und dem Aufbau einer guten Beziehung. Dazu ist es erforderlich, genau zu beobachten und empathisch zuzuhören. Im Mittelpunkt steht der Mensch, nicht seine Diagnosen. Um seine Beschwerden zu lindern, braucht es ein fachlich und menschlich kompetentes, interdisziplinäres Team, bestehend u. a. aus Pflegenden, Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen, Physiotherapeut*innen, Ergotherapeut* innen, Logopäd*innen, Seelsorgern, Betreuungskräften, Mitarbeiter* innn anderer Berufsgruppen sowie ehrenamtlichen Sterbebegleiter* innen.

Palliative Geriatrie ist ein Betreuungsansatz, der sowohl kurative, rehabilitative als auch palliative Maßnahmen vereint und sich gegen Lebensende immer mehr zugunsten palliativer Angebote verschiebt. Palliative Geriatrie kann überall dort, wo Menschen mit einer Form der Demenz leben oder sich vorübergehend aufhalten, umgesetzt werden: Zuhause, in Wohngemeinschaften, im Krankenhaus, im Altenheim oder im Hospiz. Palliative Geriatrie will die Selbstbestimmung alter Menschen mit und ohne Demenz stärken und ihnen ermöglichen, »das zu sein und zu tun, was sie für wertvoll halten.«6 Das Sterben und der Tod sind ein Teil des Lebens und die palliative Geriatrie akzeptiert dies und fördert Lebensqualität bis zum Sterben- ohne das Sterben zu verlängern. Immer im Sinne des Betroffenen.

Fazit Palliative Geriatrie

Palliative Geriatrie hat laut Fachgesellschaft Palliative Geriatrie* zum Ziel, die Individualität hochbetagter Menschen zu respektieren, sie nicht in ein Versorgungsschema zu pressen und ihre Lebensbiografie zu würdigen und wertzuschätzen. Im Mittelpunkt steht der Mensch, mit seinem Umfeld, seinen Zielen, Wünschen, Werten, Bedürfnissen und Ressourcen und seinem Recht auf empathische Zuwendung.

* Vgl. https://www.palliative-geriatrie.de

1.2Ist Palliative Care gleichzusetzten mit Sterbebegleitung?

Aus den oben genannten Definitionen wird deutlich, dass eine Palliative Begleitung ein Angebot ist, das schon lange vor dem Sterbeprozess der Menschen, die von einer lebensbedrohlichen Krankheit betroffen sind, beginnt.

Definition Lebensbedrohliche Erkrankung

Unter einer lebensbedrohlichen Erkrankung versteht man eine Erkrankung, die das Leben verkürzt, gefährdet oder mit einem Risiko verbunden ist, zu sterben, sowie eine Erkrankung, bei der keine Heilung oder Behandlung mehr möglich ist und die zum Tode führt.

Palliative Care ist in jeder Phase der unheilbaren Erkrankung – auch bei Demenz – möglich. Die Frage »wer braucht wann wovon wie viel« muss immer wieder neu gestellt und die Angebote angepasst werden. Es ist eine Lebensbegleitung bis zuletzt und sie beginnt beim alten Menschen z. B. dann, wenn seine akuten oder chronischen Beschwerden und sein psychisches, soziales oder spirituelles Leiden zunehmen. Palliative Begleitung kann auch dann erforderlich sein, wenn sich die Familie, der Hausarzt oder die Pflegenden vor zunehmenden Fragen und Herausforderungen bezogen auf die weitere Versorgung und Begleitung gestellt sehen. Ein bis dahin vielleicht stabiles System gerät ins Wanken. Was gilt es unterstützend zu tun? Die palliative Begleitung beginnt für manche dann, wenn eine Krise eintritt und die Endlichkeit spürbar näher rückt, das kann ein wiederholter Krankenhausaufenthalt oder der Umzug ins Altenheim sein. Sterbebegleitung ist ein Teil von Palliative Care. Zuvor findet eine ganzheitliche Lebensbegleitung statt.

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1 https://www.dhpv.de/zahlen_daten_fakten.html

2 https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/17067.php

3 https://www.deutscher-kinderhospizverein.de/

4 https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/17066.php

5 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (2007): Bessere palliative Versorgung von dementiell Erkrankten. https://www.dgpalliativmedizin.de/category/15-stellungnahmen-2007.html

6 Böck K, Heimerl K, Kojer M, et al., FGPG (2019): Grundsatzpapier »Autonomie und Selbstbestimmung in der Palliativen Geriatrie«. https://www.fgpg.eu/grundsatzpapier-zur-palliativen-geriatrie/, S. 5

Palliative Care ist ein ganzheitlicher, interprofessioneller Betreuungsansatz, der auch multimorbiden, hochbetagten Menschen mit Demenz bis zuletzt ein gutes Leben ermöglicht und Angehörige in dieser oft schweren Lebensphase unterstützt. Die Betroffenen sind zunehmend auf Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen und dankbar, wenn sie auf Menschen treffen, die empathisch, wertschätzend und kompetent sind. Das ist in jedem Betreuungssetting die Grundlage für eine gelingende Begleitung. Grundsätzlich gilt es herauszufinden, was die Bedarfe und Bedürfnisse der Betroffenen und deren Zugehörigen sind. Was sind ihre Wünsche? Was macht die Situation aus Sicht der Betroffenen leichter? Was ist fachlich hilfreich und wie können Sie sie unterstützen?

Aus diesen Antworten heraus können Sie Pflegeziele entwickeln, die die Lebensqualität erhalten oder verbessern können. Das ist ein sich stetig verändernder Prozess im Verlauf der Erkrankung. Die Zielsetzung ist regelmäßig wieder neu zu überprüfen. Es geht um eine Orientierung an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen mit Demenz.

Dazu brauchen Sie als Betreuende und Pflegende gute Kenntnisse der Krankheitsbilder und deren mögliche Entwicklung, insbesondere des Krankheitsbilds der Alzheimer-Krankheit und anderer Demenzen. Sie müssen grundsätzlich Freude daran haben, mit Menschen mit Demenz zu arbeiten. Zielführend ist auch vorausschauendes Handeln und eine gute Wahrnehmungsfähigkeit. Ihre Ruhe und Gelassenheit im Umgang mit den Betroffenen und deren Zugehörigen ermöglichen eine gelingende Zusammenarbeit, ebenso Ihre persönliche Haltung der Akzeptanz und des Respekts. Ihre eigene Auseinandersetzung mit den Themen Leiden, Sterben, Tod und Endlichkeit ist eine weitere Grundvoraussetzung für den Umgang mit Menschen am Lebensende. Täglich begegnen Sie den Fragen, Ängsten und Gefühlen der Betroffenen und deren Angehörigen. Immer wieder werden Sie sich fragen, ob Sie richtig gehandelt und die passenden Worte gefunden haben.

Das Krankheitsbild Demenz bringt einige Herausforderungen im Arbeitsalltag für Sie mit sich. Die Kommunikation ist erschwert, das Verhalten kann Sie herausfordern, die Länge der Erkrankung oder die veränderte Wahrnehmung. Sie werden es mit Menschen zu tun haben, die eine ständige Unruhe verspüren, das Haus verlassen oder nach Hause wollen (obwohl sie sich vielleicht genau dort befinden). Immer wieder kommt es zu Abwehrverhalten, das Sie vielleicht nicht einordnen können; zu Konflikten in Bezug auf Willen und Wohl und Selbstbestimmung und teilweise sogar zu tätlichem Verhalten sich selbst oder anderen gegenüber. Die Angehörigen können eine Herausforderung sein: mit ihren Ansprüchen und Vorstellungen einer »guten« Begleitung. Das Thema Schmerz und andere Beschwerden richtig einzuschätzen und zu lindern fordert das ganze Team. Immer wieder werden Sie spüren, dass Ihnen ein hohes Maß an Flexibilität abverlangt wird und das häufig unter Zeitdruck. Altenheime, Krankenhäuser, aber auch ambulante Pflegedienste sind nicht immer vollumfänglich auf Menschen mit Demenz und ihren Lebensrhythmus eingestellt. Und das, obwohl es diese Krankheit nun schon so lange gibt und sie sogar sehr verbreitet ist.

2.1Die Rolle der Pflegenden in der ambulanten Pflege

Der häufigste Sterbeort von Menschen mit Demenz ist laut einer Studie das eigene Zuhause (42,2 Prozent) gefolgt vom Pflegeheim (26,9 Prozent) und Krankenhaus (20,4 Prozent).7 Im Gegensatz zu den USA, Belgien und den Niederlanden u. a. ist dies in Deutschland ein beachtlich hoher Anteil. Die meisten Menschen antworten auf die Frage, wo sie sterben möchten, mit »zu Hause«, das bedeutet in ihrer vertrauten Umgebung. Um diesem Wunsch zu entsprechen, ist eine gute Zusammenarbeit mit den Angehörigen, dem Hausarzt, den Ehrenamtlichen des Hospizdienstes und allen Beteiligten rund um den an Demenzerkrankten extrem wichtig.

Definition AAPV = Allgemeine ambulante Palliativversorgung

… dient dem Ziel, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung von Palliativpatienten so weit wie möglich zu erhalten, zu fördern und zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in ihrer gewohnten Umgebung, in stationären Pflegeeinrichtungen bzw. stationären Hospizen zu ermöglichen.*

* https://www.dgpalliativmedizin.de/images/DGP_GLOSSAR.pdf

»Allgemeine Palliativversorgung wird durch diejenigen Grundversorger und Spezialisten erbracht, die Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten betreuen und über ein fundiertes Grundwissen und entsprechende Basisfertigkeiten in palliativen Behandlungskonzepten verfügen. Im Rahmen der Allgemeinen Palliativversorgung werden Patienten mit einzelnen Symptomen und wenig komplexen Problemen versorgt. Die allgemeine Palliativversorgung ist nicht an spezifische strukturelle Voraussetzungen gebunden. Zu der allgemeinen Palliativversorgung gehört in erster Linie die kontinuierliche Versorgung durch Haus- und Fachärztinnen und -ärzte und Pflegedienste in Zusammenarbeit mit weiteren Berufsgruppen (z. B. Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen, Therapeutinnen und Therapeuten) und den ambulanten Hospizdiensten. Aber auch die stationären Pflegeeinrichtungen und allgemeinen Krankenhäuser gehören dazu. Der überwiegende Teil schwerstkranker und sterbender Menschen wird in der Regel in der allgemeinen Palliativversorgung betreut. Fachberufe im Gesundheitswesen, z. B. Pflegende und Ärztinnen und Ärzte die häufiger in Palliativsituationen involviert sind, deren Haupttätigkeitsfeld jedoch nicht die Palliativversorgung ist, können dennoch eine weiterführende Qualifikation in Palliativversorgung erworben haben und können dadurch eine zusätzliche Expertise anbieten. Diese Fachkräfte können allgemeine Palliativversorgung anbieten und leisten8

In der ambulanten Palliativversorgung vermitteln Sie als Pflegefachkraft mit Ihrer Kompetenz und ihrem Fachwissen allen Beteiligten Sicherheit. Ihr Ziel sollte es sein, den Wünschen und Bedürfnissen Schwerkranker und Sterbender gerecht zu werden. Angehörige wollen sich darauf verlassen können, dass sie jederzeit kompetente pflegerische Unterstützung erhalten. Hier ist Ihr vorausschauendes Wissen um mögliche Komplikationen und Ihre hilfreichen Anregungen, wie damit umgegangen werden kann, von großer Bedeutung. Oft liegen dem unermüdlichen Einsatz und Engagement von Angehörigen der Wunsch oder manchmal auch das Versprechen zu Grunde: »Ich werde alles dafür tun, dass du zu Hause leben und sterben kannst.« Dieses Versprechen kann nicht immer eingehalten werden. Manchmal sind die Zeiträume zu lang, das eigene hohe Alter oder andere Umstände hinzugekommen.

Das Netz, das Sie um den Kranken und seine Angehörigen bilden, ist im ambulanten Bereich oft sehr überschaubar. Hier sind Sie als Pflegefachkraft zusammen mit dem Hausarzt in der allgemeinen Palliativversorgung die Hauptakteure. Sie sind ein Ansprechpartner, der täglich ins Haus kommt. Immer wieder werden hierbei Ihre Einschätzung und Expertise als Pflegefachkraft erfragt:

Welche medizinische oder pflegerische Unterstützung wird benötigt?

Ist das jeweils auch zu Hause leistbar?

Sind die Angehörigen überlastet und benötigen mehr Unterstützung?

Ist die Begleitung zu Hause nicht länger machbar?

Welche weiteren Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für die Angehörigen und den Erkrankten?

Wichtig für Sie ist dabei, im Gespräch zu bleiben und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Hier auch den Willen und das Wohl des Menschen mit Demenz immer im Blick zu haben, ist eine bleibende Herausforderung. Sie wissen nicht, was Sie heute erwartet, wenn Sie in den Haushalt kommen. Je nach Situation kann das sehr belastend sein. Auch der Gedanke, dass sie nach Ihrer Arbeit wieder wegfahren und vorerst niemand da ist. Die Angehörigen benötigen eventuell Zuspruch von Ihnen oder eben auch konkrete Entlastung. Wenn die Begleitung zu Hause aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr gut gelingt, sollte das keinesfalls als Versagen der Angehörigen bewertet werden. Vielmehr können Sie im Gespräch anerkennen, wie lange ein Leben zu Hause ermöglicht wurde. Als Pflegefachkraft sind Sie nicht nur täglich mit den Angehörigen, sondern auch regelmäßig mit dem Hausarzt im Kontakt. Er sollte die Entscheidung für ein Leben zu Hause mittragen und bereit sein, Hausbesuche zu machen. Das bedeutet ein hohes Maß an persönlicher Einsatzbereitschaft für den Hausarzt. Sollte es sich um einen sehr aufwändigen, stark symptombelasteten Patienten handeln, muss nach Rücksprache und auf Anordnung des Hausarztes noch ein Spezialisiertes ambulantes Palliativteam (SAPV) hinzugezogen werden.

Spezialisierte Angebote der Palliativversorgung erfordern einen Teamansatz, der ein multiprofessionelles Team mit einer interdisziplinären Arbeitsweise kombiniert. Die Teammitglieder verfügen über spezifische palliativmedizinische Qualifikation und Erfahrung und sollten ihr Tätigkeitsfeld überwiegend oder ausschließlich in der Palliativversorgung haben. Die 24-Stunden Verfügbarkeit muss gewährleistet sein. Alle Patienten mit einer fortschreitenden unheilbaren Erkrankung sollten Zugang zu Angeboten der spezialisierten Palliativversorgung haben, die sich proaktiv aller Symptome ihrer Erkrankung sowie der Auswirkung dieser Symptome auf die Patienten und deren Familien/Betreuer annehmen.

Patienten mit komplexen Bedürfnissen der palliativen Versorgung benötigen ein breites Spektrum an therapeutischen Interventionen zur Symptomlinderung. Spezialisierte Palliativversorgung wird beispielsweise durch Palliativstationen, Palliativdienste oder SAPV-Teams erbracht, Ziel ist die Linderung von komplexen körperlichen Symptomen und von psychosozialen oder spirituellen Problemen und deren Auswirkungen auf Patienten und Zugehörige. Patienten mit komplexen Bedürfnissen der palliativen Versorgung benötigen ein breites Spektrum an therapeutischen Interventionen zur Symptomlinderung. Alle Patienten mit einer fortschreitenden unheilbaren Erkrankung und nicht ausreichend durch die allgemeine Palliativversorgung behandelbaren Symptomen sollten Zugang zu Angeboten der spezialisierten Palliativversorgung haben.10

Angesichts der Fülle an Aufgaben in der SAPV sind gute Absprachen aller Beteiligten wichtig, damit die täglichen Besuche gleichmäßig auf den Tag verteilt werden, ohne eine zu große Belastung für den Betroffenen und seine Angehörigen zu sein. Für diese Absprachen muss Zeit eingeplant werden. Ob eine Begleitung bis zum Tod zu Hause möglich ist, hängt also von vielen Faktoren ab und ist regional, je nach Hausarzt, verfügbarem Netzwerk und Familie, je nach Krankheitsverlauf und Beschwerdelast, immer individuell zu betrachten. Wenn der Wunsch und Wille beim Demenzkranken und seinen Angehörigen geäußert wird und es mit den gegebenen Strukturen möglich erscheint, sollte eine häusliche Begleitung bis zuletzt ermöglicht und versucht werden. Sie sind hier als Pflegefachkraft Bezugsperson für den Erkrankten, Ansprechpartnerin, Brücke nach Außen, Organisatorin und Netzwerkerin der einzelnen Beteiligten und sicher immer wieder auch als Prellbock für Emotionen eine wichtige Person für alle Beteiligten. Das ist eine hohe Anforderung, der Sie sich hier stellen. Meist ist das weder Ihnen noch Ihren Vorgesetzten bewusst. Hinzu kommt in der ambulanten Pflege, dass Sie Problemsituationen allein vor Ort lösen müssen und erst einmal keine Kollegen hinzuziehen können. Gleichzeitig geraten Sie immer wieder auch in sehr emotional aufgeladene Situationen und nicht selten stehen Sie selbst unter Zeitdruck, was die Lage nicht gerade entspannt. Als Kraftquelle lohnt es sich, immer wieder in den Blick zu nehmen, dass es der Wunsch des Betroffenen ist, zu Hause in seiner gewohnten Umgebung zu sein.

2.2Die Rolle der Betreuenden in der ambulanten Pflege

Ihre Rolle als Alltagsbegleiterin/Betreuungskraft ist es, die Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen stundenweise zu Hause im Alltag zu begleiten und wenn gewünscht und möglich zu aktivieren. Durch Ihre stundenweise Beschäftigung, die keine pflegerischen Tätigkeiten beinhaltet, sondern eine Unterstützung bei der Alltagsgestaltung darstellt, tragen Sie wesentlich zur Lebensqualität der Menschen mit Demenz bei. Das können Gespräche, kurze Spaziergänge, kleine Hilfen bei Haushaltstätigkeiten, gemeinsames Einkaufen oder kleine Tätigkeiten im Garten sein, gemeinsam der Lieblingsmusik lauschen oder den Lieblingskuchen backen und essen. Indem Sie Ruhe und Sicherheit ausstrahlen schaffen Sie Inseln der Freude und Entspannung. In erster Linie geht es um den Betroffenen, dass er schöne Momente erleben kann, sich sicher und geborgen fühlt, spürt, dass seine Wünsche und Bedürfnisse wahrgenommen werden und auf ihn eingegangen wird. Angehörige sind entlastet, wenn es ihren Partnern, Eltern auch während ihrer Abwesenheit gut geht.

Als Alltagsbegleiter*in/Betreuungskraft helfen Sie bei Verrichtungen des täglichen Lebens, wirken unterstützend und aktivierend, sorgen für eine geliebte Mahlzeit und unterstützen den Demenzerkrankten und seine meist auch schon hochaltrigen Angehörigen. Sie sind für mehrere Stunden mitten im Leben und Alltag und dadurch eine wichtige Bezugsperson und Ansprechpartnerin für den Demenzerkrankten und seine Angehörigen. Da ist es hilfreich, wenn Sie gut zuhören können. Immer wieder werden Sie mit Fragen konfrontiert, auf die Sie keine Antworten haben und an andere verweisen müssen. Gut, wenn Ihnen dabei Ihre Aufgaben und Ihre Rolle im unterstützenden Netz klar sind und Sie das kommunizieren.

Es gibt Tage, an denen Sie den Eindruck haben, Sie können jetzt nicht gehen, Ihre Unterstützung wird noch über die vereinbarte Zeit hinaus benötigt. Auch hier sind klare Absprachen und ein gutes Zusammenarbeiten mit anderen im Unterstützungsnetzwerk hilfreich. Sie sind eine wichtige Vertrauensperson für die Angehörigen, die manchmal kaum noch Kontakte außerhalb des Pflegealltages haben. Auch das kann sehr mühsam und auch bereichernd sein.

2.3Die Rolle der Pflegenden im Krankenhaus

Auch wenn ein stationärer Aufenthalt im Krankenhaus für Menschen mit Demenz in der Regel sehr belastend ist, lässt er sich nicht immer vermeiden. Menschen mit Demenz leiden besonders unter der unruhigen Atmosphäre, dem ständigen Personalwechsel, der neuen Umgebung, den unbekannten Personen und Handlungen. Häufig reagieren sie daher mit Angst, Unruhe, erhöhter Verwirrtheit, wollen zurück nach Hause, rufen nach ihren Angehörigen, essen und trinken nicht, schlafen schlecht oder gar nicht, wandern umher und suchen den Ausgang, um der für sie sehr belastenden und stress auslösenden Situation zu entkommen. Manche, die nicht mehr mobil sind, ziehen sich zurück, schließen die Augen und reagieren nicht auf das Umfeld, als wollten sie sich vor den vielen neuen und nicht vertrauten Eindrücken schützen. All dies stellt eine besondere Herausforderung an Sie als Pflegende dar. Ein Krankenhausalltag ist nicht immer ausgelegt auf die Bedürfnisse eines Menschen mit Demenzerkrankung. Gleichzeitig leidet aber fast jeder fünfte Patient über 65 Jahren11 an Demenz, was mit einer erhöhten Komplikations- und Sterberate einhergehen und zu deutlich längeren Aufenthalten führen kann.12 Eine große Herausforderung für Sie als Pflegende ist der deutlich höhere Zeitaufwand in der Pflege. Das sehen die Strukturen nach wie vor nicht vor. Die akuten Problemsituationen stehen in starkem Widerspruch zum Zeitdruck. Erschwerte Kommunikation, das Spannungsfeld zwischen Wille und Wohl, Fürsorge und Selbstbestimmung – teilweise verbunden mit Abwehrverhalten – fordert Sie im Krankenhausalltag ganz besonders. Zudem ist das Krankenhaus als Organisation an Gesundheit, Rehabilitation und maximaler Lebensverlängerung orientiert und eine palliative Kultur ist jenseits von Palliativstationen selten implementiert. Gleichzeitig weiß man aus aktueller Forschung, dass eine demenzsensible Unternehmensstruktur für eine nachhaltige Veränderung bei der Behandlung und Versorgung von Menschen mit Demenz sorgen kann.

Definition Palliativstation

»Palliativstationen sind auf die Behandlung und Betreuung von Palliativpatienten spezialisierte Abteilungen innerhalb eines Krankenhauses, die eine Versorgung (einschließlich Kriseninterventionen) für Patienten mit komplexen Symptomen und Problemen anbieten. Palliativstationen nehmen Patienten auf, deren medizinischer Zustand (körperlich, psychologisch, sozial und spirituell) eine stationäre spezialisierte multiprofessionelle Palliativversorgung erfordert. Das Ziel der Palliativstationen ist es, krankheits- und therapiebedingte Beschwerden zu lindern und, falls möglich, den Zustand des Patienten zu stabilisieren sowie den Patienten und seine Angehörigen psychologisch, sozial und spirituell so zu unterstützen, dass die Entlassung nach Hause oder die Verlegung in eine andere Versorgungsstruktur möglich wird. Die wesentlichen Dienstleistungen sollten 24 Stunden pro Tag an 7 Tagen pro Woche verfügbar sein.«*

* www.dgpalliativmedizin.de/images/DGP_GLOSSAR.pdf, S. 16; www.dgpalliativmedizin.de/neuigkeiten/definitionen-zur-hospiz-und-palliativversorgung.html; www.dgpalliativmedizin.de

Menschen mit Demenz und ohne eine Tumorerkrankung werden meist nicht auf einer Palliativstation aufgenommen und kommen so im Krankenhauskontext bislang selten zu einer ganzheitlichen palliativen Versorgung. Umso wichtiger ist Ihre Kompetenz als Pflegefachkraft, sowohl im Umgang mit Menschen mit Demenz als auch im palliativgeriatrischen Kontext im Krankenhaus. Hier können Sie als Pflegefachkraft für Menschen mit Demenz positiven Einfluss nehmen. Gleichzeitig wird es strukturell erforderlich sein, dem erhöhten Pflege- und Zeitbedarf dieser Patienten gerecht zu werden. Ermutigend ist dazu die am 1. Juli 2020 von der Bundesregierung beschlossene Nationale Demenzstrategie. Ein wichtiges Handlungsfeld ist »die medizinische und Pflegerische Versorgung von Menschen mit Demenz weiterentwickeln.«13 So soll die allgemeine Palliativversorgung besser auf die Bedürfnisse sterbender Menschen mit einer Demenz abgestimmt werden. Das könnte in der Umsetzung bedeuten, dass Zeitvorgaben an die Situation der meist verlangsamten Menschen mit Demenz angepasst werden.

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Info

Ihre Rolle als Pflegefachkraft ist im Krankenhaus geprägt davon, dass Sie für den Patienten und seine Angehörigen allein durch Ihre Präsenz direkte Ansprechpartner*in für alle Fragen sind. Angehörige haben meist viele Fragen zur aktuellen Situation und wie es weitergehen kann. Patienten haben in den jeweiligen Augenblicken Fragen, wo sie sich befinden, wie es weiter geht, was als nächstes kommt. Gerade Menschen mit Demenz brauchen jemanden, der ihnen Sicherheit vermittelt und ihnen ihre Angst und Unruhe nimmt, jemand der während des Aufenthalts eine Bezugsperson für sie ist.

Die enge Einbindung der Angehörigen ist zwingend erforderlich. Der Demenzkranke und seine Angehörigen sind als Einheit zu betrachten. Wenn es machbar ist, kann es hilfreich sein, dass Angehörige auch über Nacht bleiben. Wenden Sie sich an die Angehörigen, um an viele Alltagsinformationen zu kommen, die der Mensch mit Demenz womöglich selbst nicht erinnert und nicht (mehr) benennen kann. Je besser Sie Vorlieben, Abneigungen und Gewohnheiten kennen, desto leichter fällt es Ihnen, für Wohlbefinden zu sorgen. Im Krankenhaus werden Sie nie alle Wünsche und Vorlieben erfüllen können. Aber hier zählt schon der Versuch, und die Angehörigen zu bitten, vertraute Gegenstände, Kleider, Musik, Pflegeprodukte oder Lieblingsgetränke zu bringen, damit viel Vertrautes in dieser neuen Umgebung vorhanden ist.

2.4Die Rolle der Leitung

Als Leitung eines Wohnbereiches oder einer Station wird es Ihnen ein Anliegen sein, dass Palliative Care möglichst von allen Pflegenden, Betreuungskräften und Ehrenamtlichen gelebt und umgesetzt wird. Sie werden Expert*innen ausbilden, die ihr Wissen ins Team tragen. Damit dieses Expertenwissen auch umgesetzt werden kann, müssen die Strukturen dies ermöglichen. Wenn Kenntnisse aus Fortbildungen von Ihren Mitarbeitenden umgesetzt werden können, wirkt sich das sehr motivierend auf die Einzelnen und das Team aus. Geschieht das nicht, kann das zu Frustration und längerfristig zum Burnout führen.14 Das darf mit den meist sehr motivierten Mitarbeiter*innen, die sich für eine Palliative Care oder Demenz Weiterbildung interessieren unter keinen Umständen passieren. Dafür können Sie als Leitung sich einsetzen und schon im Vorfeld auf der Organisationsebene für Strukturen sorgen, die einen Veränderungsprozess ermöglichen. Sie wissen, dass dazu Abläufe, Investitionen und Konzepte überdacht und angepasst werden müssen. So kann die Implementierung von palliativen Ideen gelingen und ein ganzes Team motivieren. Gleichzeitig sollte dies neben der Alltagsroutine eingeplant sein und eventuell mit veränderten oder erweiterten personellen und materiellen Ressourcen erfolgen. Ihre Aufgabe ist es auch, dass Ehrenamtliche gut eingebunden sind und man Ihnen mit Wertschätzung begegnet.

Voraussetzung hierfür ist Ihre Haltung und Überzeugung, dass palliative Begleitung von Menschen mit Demenz in Ihrem Bereich wichtig, ja notwendig ist. Sie sehen den dazugehörenden Mehraufwand an Zeit, z. B. für Gespräche innerhalb des Teams, mit Angehörigen oder dem Betroffenen selbst.

2.5Die Rolle der Pflegenden in der stationären Altenpflege

Sie arbeiten in einem Bereich, in dem viele Menschen mit körperlichen Gebrechen und geistigen Einschränkungen leben und sterben. Die Bewohner kommen heute schon hochaltrig: Frauen mit durchschnittlich 84,2 Jahren und Männer mit durchschnittlich 80,4 Jahren.15 Die Zeit nach dem Einzug bis zum Tod hat sich in den letzten Jahren sehr verkürzt. In einer kleinen Studie in 32 Pflegeeinrichtungen wird die durchschnittliche Verweildauer für 2020 mit 24 Monaten angegeben. Knapp ein Fünftel stirbt nach Aussagen des Autors der Studie innerhalb der ersten vier Wochen nach dem Einzug.16 Dadurch sind Sie auch häufiger mit dem Sterben von Bewohnern konfrontiert. Das Pflegeheim ist ein Ort des Sterbens geworden. Selbstverständlich war dies schon immer so, aber nicht in dieser Intensität.

Der Anspruch, dass hochbetagte, demenziell erkrankte Menschen im Altenheim ein individuelles, selbstbestimmtes Leben führen können, ist hoch, in Leitbildern verankert, aber nicht immer umsetzbar mit den zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen. Das spüren Sie in Ihrem Arbeitsalltag sehr deutlich. Umso wichtiger ist es, Bewohner*innen schnell auch als palliativbedürftig zu erkennen und ganzheitlich zu begleiten, Wünsche und Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. Hierfür braucht es Fachkompetenz und eine Anpassung des Personalschlüssels an den gestiegenen Bedarf und Zeitaufwand, ähnlich wie in den stationären Hospizen. Immer mehr Pflegeheime implementieren Palliative Care in ihre Abläufe, ohne dabei allerdings den Personalschlüssel anzupassen. Teilweise ist der Fokus noch zu sehr ausschließlich auf Rehabilitation und Aktivierung ausgerichtet. Dies sollte mit Palliative Care ergänzt werden. Die grundlegende Frage ist: wer braucht wann wovon wie viel? Das ist ein individueller Abwägungsprozess aller Beteiligten.

Sie können Ihre Spielräume nutzen und mit Ihrer persönlichen Haltung der Wertschätzung und Achtsamkeit dem Bewohner die »soziale Teilhabe«17 ermöglichen, seinen Bedürfnissen nachkommen und seine Wünsche beachten. In dem Sie ihn nicht in ein festes Schema pressen, sondern immer wieder aufs Neue beginnen herauszufinden, was er denn heute möchte, was ihm heute gut tut.

Dafür ist Ihre einfühlsame Kommunikation eine unerlässliche Grundlage. Die gelingende Kommunikation mit Menschen mit Demenz ist Grundvoraussetzung dafür, dass Sie Wünsche, Bedürfnisse, Beschwerden und Emotionen erkennen und darauf reagieren können. Neben Ihrer Haltung ist Ihr Fachwissen zum Krankheitsbild der Alzheimer Demenz und anderen Demenzerkrankungen, Ihr Wissen um Palliative Care grundlegend wichtig. Sie sind die Person, die den Bewohner mit all seinen Eigenheiten und Vorlieben kennen lernt, viele Stunden und Tage und Wochen, gar Jahre mit ihm verbringen und sehr zu seiner Lebensqualität beitragen können. Indem Sie einen wertschätzenden Umgang mit Bewohnern pflegen, tragen Sie wesentlich zu einem angenehmen Alltag bei. Eine wichtige Aufgabe für Sie ist es, Ruhe und Sicherheit auszustrahlen. Gleichzeitig sind Sie wichtige Ansprechpartner für die Angehörigen, die viele Fragen und teilweise Sorgen um eine gute Betreuung haben. Immer wieder müssen Sie erst Vertrauen aufbauen und mit viel Geduld und vielen Gesprächen Ängste abbauen. Angehörige sind angewiesen auf Ihre Expertise und Erfahrung, nicht erst am Lebensende, sondern von Beginn an. Gleichzeitig sind An- und Zugehörige wichtige Bezugspersonen für den Bewohner und können Auskunft über seine Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen geben.

2.6Die Rolle der Alltagsbegleiter*innen/ Betreuungskraft in der stationären Altenpflege

Als Alltagsbegleiter*in/Betreuungskraft haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, ältere Menschen im Pflegeheim zu betreuen, sie sinnvoll zu beschäftigen und ihre Freizeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie führen Gespräche, hören zu, lesen vor und orientieren sich ausschließlich an den Wünschen, Vorlieben, Interessen, Fähigkeiten und Möglichkeiten der Bewohner*innen. Handlungsleitend ist die individuelle Begleitung und dabei kann Wissen um die Biografie hilfreich sein. Dies findet einzeln oder in einer kleinen Gruppe statt, je nach Bedarf der Bewohner*innen. So schaffen Sie Inseln der Freude und Entspannung. Hier können Sie Ihre persönlichen Stärken und Ihre Kreativität einbringen, den Alltag mitzugestalten, wenn das nur noch teilweise oder auch gar nicht mehr möglich ist für den Bewohner. Gleichzeitig gilt es in der Achtsamkeit zu bleiben und nicht seine eigene Vorstellung von Alltagsgestaltung dem Gegenüber aufzudrängen. Sie machen Angebote, die auch abgelehnt werden dürfen. Meist sind Sie ein wertvoller Begleiter im Alltag der Bewohner. Sie kennen seine Vorlieben und Befindlichkeiten, Stimmungen und Freuden. Darüber hinaus sind Sie auch eine Ansprechpartnerin für die Angehörigen, sowohl für deren Fragen als auch für deren eigenes Befinden.

Ihre Berufsgruppe ist relativ neu (2008) und inzwischen im Rahmen des Pflegestärkungsgesetzes 2015 etabliert. Das ist in manchen Einrichtungen noch heute spürbar und immer wieder gilt es hier genau hinzusehen, wo eine intensivere Zusammenarbeit auch in Form von gemeinsamen Übergaben grundlegend wichtig für Ihre Arbeit und die der Pflegefachkräfte ist. Sie müssen über die körperlichen Befindlichkeiten informiert sein und das Pflegeteam sollte Ihre Rückmeldung zu den bei Ihnen gemachten Beobachtungen von Veränderungen erhalten. Wie schon erwähnt ist Palliative Begleitung ein Ansatz, der auf dem Wissen, den Erfahrungen und den Kompetenzen aller beteiligten Berufsgruppen basiert.18 Sowohl für den stationären als auch für den häuslichen Bereich gilt: Erzählen Sie Angehörigen auch gerne von den schönen Dingen, die sich während des Tages ereigneten, denn das Bild am Abend kann häufig geprägt sein von Unruhe und Erschöpfung. Ganz im Sinne »Tue Gutes und rede darüber!« Angehörige werden dies dankbar zur Kenntnis nehmen und eventuell ein weniger stark ausgeprägtes schlechtes Gewissen haben, selbst nicht »gut genug« zu sorgen.

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Info

Das Ehrenamt – Die Stütze der Hospizbewegung

Zurzeit sind ca. 120.000 Menschen, die meisten davon ehrenamtlich, unter dem Dach des DHPV in der Hospizarbeit und Palliativversorgung tätig. Sie sind in ihrer Vielfalt unersetzlich in der Hospizarbeit und ohne sie könnten die Bedingungen für ein würdevolles Sterben nicht geschaffen und erhalten werden.*

* https://www.dhpv.de/themen_stationaere-altenpflege.html

2.7Die Rolle als Ehrenamtliche

Als Ehrenamtliche tragen Sie Ihren Teil zur Lebensqualität des Menschen mit Demenz allein schon durch Ihre Anwesenheit bei. Die Tatsache, dass Sie sich Zeit nehmen zuzuhören, ein Stück des manchmal mühsamen Weges mitzugehen, Freude in einen vielleicht sehr eintönigen Alltag bringen mit Ihrem Besuch, ist unverzichtbar. Neben den körperlichen Beschwerden gibt es die sozialen, psychischen und spirituellen Beschwerden, die manchmal zu kurz kommen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und wenn er im Rahmen seiner Erkrankung seine Bedürfnisse nach Nähe, Gesellschaft und Teilhabe nicht mehr selbst befriedigen kann, ist er angewiesen auf Menschen in seiner Umgebung, die dies Wahrnehmen und ihn dabei unterstützen.

Sie als Ehrenamtliche haben das Privileg, nicht unter Zeitdruck zu sein, nichts Bestimmtes erledigen zu müssen und das ist spürbar. Gerade Menschen, die mit Demenz leben leiden sehr unter der immer schneller werdenden Welt um sie herum und genießen meist diese Form der Entschleunigung. Als Ehrenamtliche werden Ihnen Wünsche, Sorgen, Hoffnungen und Ängste anvertraut. Ohne dass Sie die konkrete Situation ändern können, tragen Sie im Zuhören zur Entlastung bei. Hierfür benötigen Sie selbst Stabilität, Mitgefühl und Einfühlungsvermögen und eine gute Beobachtungsfähigkeit. Sie sind meist nicht nur für den Erkrankten, sondern auch für Angehörige eine wichtige Unterstützung. Sie helfen die Unsicherheiten der Angehörigen mitzutragen. Vielleicht ermöglichen Sie den Angehörigen durch ihre Anwesenheit sogar eine kleine Pause, einen Spaziergang o. ä. und werden als große Entlastung angesehen.

Hierfür ist eine fachliche Ausbildung, in der auch Ihre eigene Auseinandersetzung mit Endlichkeit und Sterben stattfindet, hilfreich. Neben der Fähigkeit der Empathie braucht es auch die Fähigkeit sich abzugrenzen. Darüber hinaus benötigen Sie auch eine Anbindung an das Team. Sie sollten Klarheit über Ihr Tätigkeitsprofil und einen Ansprechpartner für Ihre Anliegen haben. Sie können ein Team gut ergänzen und gemeinsam viele kleine Wünsche der Betroffenen erfüllen. Meist sind Sie als Ehrenamtliche im Kontakt mit Ihresgleichen. Wenn Sie Ehrenamtliche einer Hospizgruppe sind, bringen Sie schon eine fundierte Grundausbildung und Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit mit, die Ihnen sehr hilfreich sein wird. So sind Sie auch an eine Gruppe angeschlossen und haben regelmäßig Supervision. Ihr vorrangiges Anliegen sollte es nicht sein, Fachkräfte zu entlasten, sondern vielmehr den Wünschen und Bedürfnissen des Erkrankten nachzukommen und Zeit zu schenken. In diesem Spannungsfeld werden Sie sich dennoch immer wieder vorfinden. Hier ist Transparenz wichtig. Sie begleiten die betroffenen Menschen und ihre Angehörigen, unterstützen das Team und sind die Verbindung in die Gesellschaft.19 Gerade, weil Sie sich freiwillig Menschen in Krankheit und am Lebensende zuwenden, machen Sie für die Begleiteten spürbar und sichtbar, dass sie mit ihren Angehörigen weiterhin ein Teil der Gesellschaft sind.

Wichtig Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

»Die Sorge für die Menschen in ihrer letzten Lebensphase und deren Begleitung und Betreuung am Lebensende geht uns alle an. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nur im Miteinander von Betroffenen, Angehörigen, Pflegeeinrichtungen, allen mit der Gesundheitssorge befassten Institutionen und letztlich allen Bürgern zu bewältigen.«*

* Geiter H (2019): Hospizarbeit in stationären Pflegeeinrichtungen. Der Hospizverlag, Esslingen, S. 49

2.8Die Rolle der Angehörigen

Als Angehörige übernehmen Sie in der Pflege und Begleitung eines Angehörigen meist die Hauptverantwortung. Neben all den schönen Momenten kann das eine sehr große Belastung sein. Meist geraten Angehörige ohne Vorbereitung in die Pflegesituation und wissen nicht, wie lange sie anhalten wird. Gerade bei der Demenz ist das ein schleichender Prozess und Unterstützungsangebote sind nicht immer gewünscht, auch wenn sie notwendig sind. Immer wieder hat der Betroffene das Gefühl, man wolle ihn bevormunden und er könne doch vieles noch selbst, auch wenn dem nicht mehr so ist. Abhängig davon, wie der Demenzerkrankte sich fühlt und verhält, kann es Sie viel Kraft und Geduld kosten. Vielleicht wissen Sie selbst auch noch nicht ausreichend genug über die Erkrankung und fragen sich häufig, wieso er/sie das gerade macht. Eine Demenz kann mit Herausforderndem Verhalten verbunden sein und Gefühle wie Ärger und Wut auf beiden Seiten auslösen. Dann kommt es zu Konflikten und vielleicht sogar zur Gewaltanwendung. Das ist eine große Belastung für alle Beteiligten.

Aus Studien ist inzwischen bekannt, dass häusliche Pflege Angehörige anstrengt und nicht selten krank machen kann. Vielleicht sind Sie noch berufstätig und versuchen Beruf und Pflege zu verbinden, was sich nicht in allen Berufen leicht vereinbaren lässt und von Ihnen selbst viel abverlangt. Das kann schnell zu einem Gefühl der Überforderung führen. Auf einmal sind Sie – im häuslichen Bereich sogar 24 Stunden – für die Belange des an Demenz Erkrankten zuständig. Sie sind nun hauptsächlich für alle Entscheidungen zuständig, die getroffen werden müssen. Manchmal spüren Sie Gewissenskonflikte und Schuldgefühle, fragen sich, ob es ausreicht, was Sie tun und blicken mit Sorge oder Angst in die Zukunft, was noch auf Sie zukommen wird. Sie haben Sorge, dem nicht gerecht werden zu können, was auf Sie zukommt und sehen sich mit dem Thema Abschied und Tod, auch ihrem eigenen, konfrontiert. Es ändern sich bisherige Beziehungen, vielleicht braucht der sonst immer starke Vater/Ehemann nun Ihre Unterstützung und Pflege, eine vollkommen neue Situation für sie beide.

Sie spüren Unsicherheit, wenn es darum geht, über die Krankheit, den Verlauf und später dann den Einzug in ein Altenheim zu sprechen, sollte die häusliche Versorgung nicht mehr machbar sein. Vielleicht nagt das Gefühl an Ihnen »versagt« zu haben, wenn der Einzug ins Altenheim unvermeidlich wird, obwohl Sie und Ihr Angehöriger sich das so nie gewünscht haben. Dann tauchen Fragen auf, ob die Versorgung im Altenheim gut sein wird und sich Ihr Angehöriger wohl fühlen wird? Hat er das Gefühl »ich werde abgeschoben«? Das wäre sehr schmerzlich für Sie und ließe Sie mit einem schlechten Gewissen zurück.

Meist gibt es für diese Aufgabe als Angehörige wenig Verständnis und Anerkennung in der Gesellschaft. Sicher gibt es inzwischen viele Unterstützungsmöglichkeiten gerade in der Häuslichkeit, aber dazu müssen Sie um diese Angebote wissen und Kapazitäten haben, sie anzunehmen oder sich darum zu kümmern. Das ist in einem kompakten Alltag nicht immer so leicht möglich. Wichtig für Sie zu wissen ist, dass Sie die wichtigste Bezugsperson für den Menschen mit Demenz sind. Das gilt im häuslichen Bereich beim Klinikaufenthalt und im Altenheim. Sie sind meist Experte für Ihren Angehörigen und kennen seine Vorlieben und Abneigungen. Sie sind sehr hilfreich, wenn es um das Verstehen von schwer zu deutendem Verhalten geht. Sie kennen Ihren Angehörigen gut und Ihnen sind Gewohnheiten bekannt. Auf dieses Expertenwissen sind alle anderen, also Ärzt*innen, Therapeut* innen, Pflegefachkräfte, Pflegehelfer*innen, Alltagsbegleiter*innen und Ehrenamtliche in den unterschiedlichen Settings angewiesen. Das ist so wertvoll, wenn sich ein Mensch mit Demenz nicht mehr selbst gut äußern kann und vielleicht seine Gewohnheiten nicht mehr erinnert.

__________________________

7 Escobar Pinzon LC et al. (2013): Todesumstände von Patienten mit Demenz. Symptombelastung, Betreuungsqualität und Sterbeort. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 110, Heft 12, 2013, S. 198

8 www.dgpalliativmedizin.de/images/DGP_GLOSSAR.pdf, S. 14; www.dgpalliativmedizin.de/neuigkeiten/definitionen-zur-hospiz-und-palliativversorgung.html

9 Vgl. ebd.

10 www.dgpalliativmedizin.de/images/DGP_GLOSSAR.pdf, S. 15; www.dgpalliativmedizin.de/neuigkeiten/definitionen-zur-hospiz-und-palliativversorgung.html

11 www.bosch-stiftung.de/de/publikation/general-hospital-study-ghost

12 Ebd.

13 https://www.nationale-demenzstrategie.de

14 Vgl. Knipping C (2006): Lehrbuch Palliative Care. Huber Verlag, Bern, S. 52

15 Alters-Institut (2015): Die Verweildauern sinken. https://alters-institut.de/verweildauer/, S. 5

16 Ebd.

17 www.fgpg.eu

18 Vgl. Fuchs C et al. (Hrsg.) (2012): Palliative Geriatrie. Kohlhammer, Stuttgart

19 Ebd.

Bevor ich zur palliativen Begleitung bei Menschen mit Demenz komme, möchte ich in aller Kürze noch ein paar Worte zum Symptomkomplex der Demenz sagen. Zu den wichtigsten Formen der Demenz gehören die Alzheimer- Krankheit, die gefäßbezogenen Erkrankungen des Gehirns (vaskuläre Demenz), die frontotemporalen Degenerationen sowie die Lewy-Körperchen- Demenz. Ca. 50–60 Prozent der Erkrankten sind von einer Alzheimer-Demenz betroffen, ca. 15 Prozent von einer vaskulären Demenz, unter Mischformen der Alzheimer und der vaskulären Demenz leiden ca. 10 Prozent und die weitere 20 Prozent der Betroffenen sind z. B. an Lewy-Body Demenz oder idiopathischem Parkinson-Syndrom erkrankt.

Definition Demenz

»Demenz (ICD-10-Code: F00-F03) ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens 6 Monate bestanden haben. Die Sinne (Sinnesorgane, Wahrnehmung) funktionieren im für die Person üblichen Rahmen. Gewöhnlich begleiten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation die kognitiven Beeinträchtigungen; gelegentlich treten diese Syndrome auch eher auf.

Sie kommen bei Alzheimer-Krankheit, Gefäßerkrankungen des Gehirns und anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn und die Neuronen betreffen.«*

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) (2016): S3-Leitline »Demenzen«, Heidelberg, Springer, S. 10

Der fortschreitende Verlust von geistigen Fähigkeiten bietet ein komplexes Symptombild: zunehmende Gedächtnisstörungen, Desorientiertheit und Denkstörungen, die Beeinträchtigung des Urteilsvermögens bis hin zu Persönlichkeitsveränderungen, Verlust von Alltagskompetenzen und körperlicher Abbau. Der Verlauf und die Symptome hängen von der Form der Demenz ab. Meist beginnt eine Demenz mit Stimmungsschwankungen und leichten Gedächtnisstörungen in Form von Vergessen von Erledigungen oder Verabredungen. Dies wird mit Merkzetteln von den Betroffenen zu Beginn ausgeglichen. Es folgen Störungen der Orientierung und mancher Alltagsfähigkeiten. Die Betroffenen leiden dann unter großer Verunsicherung, Hilflosigkeit, Angst bis hin zur Verzweiflung. Hier kommen im Laufe der Erkrankung noch körperliche Beschwerden hinzu. Demenz ist eine fortschreitende, unheilbare und zum Tode führende Erkrankung.

Typische Symptome einer Demenz:

Gedächtnisstörungen: beginnen mit dem Verlust der Fähigkeit Neues zu erlernen und betrifft später auch das Langzeitgedächtnis,

Orientierungsstörungen: zur Person, zum Ort, zur Situation, zum Raum, zur Zeit; eine neue, fremde Umgebung löst starke Verwirrung aus (Besuch bei Freunden, Aufenthalt im Krankenhaus), Betroffenen erkennen erst kürzlich gemachte Bekanntschaften nicht mehr; später erkennen sie auch vertraute Angehörige nicht und finden sich in ihrer gewohnten Umgebung nicht mehr zurecht,

Denkstörungen: die Konzentration ist sehr verkürzt, Nebengeräusche und Nebengespräche beeinträchtigen die Konzentration, manche haben eine veränderte Informationsverarbeitung, das Abstraktions- und Urteilsvermögen lässt nach,

Affektive Veränderungen: Stimmungsschwankungen, Depressivität, Missmut, stark schwankende Gefühle, Weinen bei geringstem Anlass, Reizbarkeit, Abwehrverhalten,

Antrieb: variiert, sehr gesteigert oder auch reduziert verbunden mit sozialem Rückzug

Werkzeugstörungen: Apraxie (Unfähigkeit Handlungen koordiniert und in der richtigen Reihenfolge auszuführen, z. B. Kämmen, Zähne putzen etc.), Agnosie (Störung des Erkennens, z. B. sie essen Blumen, weil sie sie nicht als solche erkennen) und Aphasie (zentrale Sprachstörung)

Wichtig ist die Diagnosestellung. Dazu wird eine Anamnese erhoben, Untersuchungen erfolgen, neuropsychologische Tests, z. B. der Mini-Mental Status Test, DemTect, der Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung. Es erfolgen Blutuntersuchungen, bildgebende Verfahren (MRT/CT) oder eine Liquordiagnostik. Die klinische Diagnose der Alzheimer- Krankheit ist in über 80 Prozent der Fälle zutreffend. Einen zuverlässigen Labortest für die Alzheimer-Krankheit gibt es bisher noch nicht. Mit endgültiger Gewissheit lässt sich die Diagnose der Alzheimer-Krankheit nur durch die Untersuchung des Gehirns nach dem Tod stellen. Demenzkranke Menschen haben das Recht, über ihre Diagnose in verständlicher Weise informiert und aufgeklärt zu werden, wozu auch eine Information des Schweregrades gehört:

Die leichtgradige Demenz ist gekennzeichnet von der Beeinträchtigung des Kurzzeitgedächtnisses. In der Regel sind Betroffene bei Alltagstätigkeiten noch selbstständig. Sie bemerken, dass sie etwas vergessen und das kann ihnen unangenehm sein, peinlich oder sogar eine Depression auslösen. So können sie sich an ein gerade geführtes Gespräch nicht mehr erinnern oder finden soeben abgelegte Gegenstände nicht mehr. Zusätzlich haben sie Wortfindungsstörungen. Anspruchsvolle Tätigkeiten sind nicht mehr möglich, unbekannte Umgebungen lösen Verunsicherung aus. Das Urteilsvermögen ist eingeschränkt, aber nicht aufgehoben, deshalb sollten die Betroffenen an Entscheidungen bezüglich ihrer Behandlung und Betreuung beteiligt werden.

Die mittelschwere Demenz ist gekennzeichnet von zunehmenden Einschränkungen des Gedächtnisses, Denkvermögen und der Orientierungsfähigkeit. Menschen mit Demenz erleben diese Verluste durchaus bewusst und es fällt ihnen zunehmend schwer, die Verluste zu kompensieren. Das selbstständige Leben ist nicht mehr ohne Unterstützung möglich, weil Alltagsfähigkeiten wie Einkaufen, Kochen oder Körperpflege nicht mehr allein gelingen. Einfache Tätigkeiten und Alltagsaktivitäten sind jedoch noch gut machbar. Viele Erkrankte haben aufgrund des abnehmenden Sprachvermögens zunehmend Schwierigkeiten, ganze Sätze zu formulieren. Ihr Umfeld versteht sie nicht mehr und das kann zu Frustration und Unverständnis auf beiden Seiten führen. Erinnerungen an lang zurückliegende Ereignisse verblassen. Die Betroffenen vergessen die Namen ihrer Kinder oder wissen ihren Beruf nicht mehr. Auch die Wahrnehmung der eigenen Krankheit geht verloren, sie fühlen sich teilweise gesund und jung, suchen ihren Arbeitsplatz, ihre Eltern oder Kinder, um die sie sich kümmern möchten oder die sie vermissen. Es kann in dieser Phase zu Unruhe kommen. Viele Betroffene haben den Drang zu laufen, folgen den Angehörigen auf Schritt und Tritt und stellen viele Fragen, meist immer dieselben. Teilweise fühlen sie sich gereizt, manchmal treten wahnhafte Vorstellungen auf sie würden eingesperrt, bestohlen oder betrogen. Das fällt zusammen mit ihrem zunehmenden Angewiesen sein.

Die schwere Demenz ist gekennzeichnet vom hochgradigen Veränderungsprozess der geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Sprechen ist beschränkt auf wenige Worte oder gar nicht mehr möglich. Sie sind nun auf Unterstützung oder Übernahme in allen Lebensbereichen angewiesen, da motorische Fähigkeiten verloren gegangen sind. In der Regel kommen Inkontinenz und Immobilität hinzu. Gehen ohne Hilfe ist nicht mehr möglich, sie sind auf den Rollstuhl angewiesen, verbringen viel Zeit im Sessel oder Bett und werden bettlägerig. Es treten Schluckstörungen auf und die Infekt anfälligkeit nimmt zu. Es ist sehr gut sichtbar, dass mit der Erkrankung eine geistige, körperliche und psychosoziale Belastung einhergeht und der an einer Demenz Erkrankte- und seine Angehörigen auf allen Ebenen unsere Unterstützung benötigt. Wieder einmal stellt sich die Frage wer braucht wann wovon wie viel?

Dies gilt für den Alltag, in jedem Augenblick und insbesondere in Krisen und am Lebensende, aber eben nicht erst dann! Das Wissen um die Krankheit mit allem, was sie mit sich bringen kann, verbunden mit der Tatsache, dass jeder Mensch mit Demenz eine einzigartige Person ist und auch so wahrgenommen werden möchte, ist die Grundlage im Miteinander. Das muss im ganzen Team gelebte Haltung werden. Der Mensch mit Demenz wird dies spüren und bei allem, was ihn belastet dies als wohltuend, bestärkend und tröstlich empfinden. Auch wenn er es vielleicht nicht mehr mit Worten ausdrücken kann. Womöglich zeigt er es Ihnen auf seine ganz eigene Art und Weise, wenn Sie achtsam hinschauen.

3.1Die palliative Begleitung bei Menschen mit Demenz

Palliative Begleitung sollte dann beginnen, wenn Beschwerden, wie z. B. Schmerzen, Unruhe, Angst und Atemnot oder Symptome körperlicher, spiritueller oder psychosozialer Art für den Betroffenen zu einer Belastung werden. Ziel ist jetzt nicht die Heilung, sondern die Erhaltung oder Wiederherstellung der Lebensqualität des Betroffenen. Hier gibt es meist nicht den einen Hinweis auf den richtigen Zeitpunkt, es sind mehrere Anzeichen. Ihre Aufgabe ist es, herauszufinden, was für den konkreten Menschen jetzt hilfreich und lindernd ist. Was könnte die momentane Situation verbessern? Aus diesen Antworten heraus werden gemeinsam Ziele entwickelt, die zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen. Hierbei gilt es zu bedenken, dass das ein sich stets ändernder Prozess sein kann und angepasst werden muss. Es geht darum, den Mensch mit Demenz in der Umgebung seiner Wahl zu begleiten. Es soll weder das Leben verkürzt noch verlängert werden und der Betroffene leitet das Handeln. Er bestimmt, was für ihn Lebensqualität bedeutet und die Begleitenden richten sich danach.

Wahrhaftigkeit, Offenheit und Wertschätzung sind Grundlage für ein vertrauensvolles Miteinander. Dies gilt auch für die Begleitung der Angehörigen. Wichtig ist, Menschen mit Demenz zu möglichst guter Lebensqualität zu verhelfen, damit sie frei von Angst, Unruhe, Schmerzen und anderen Beschwerden viele schöne Momente erleben, in einer Umgebung, in der sie sich sicher und wohl fühlen. Die Literatur zeigt viele Möglichkeiten, ab wann eine palliative Begleitung beginnen kann, hier einige Beispiele:

Laut der WHO-Definition je nach Symptomlast und unabhängig von einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung; kurative und palliative Maßnahmen gehen parallel auch frühe Integration (Early Integration) genannt.

Absehbare Lebenszeit, wobei dies gerade beim Krankheitsbild Demenz und/oder multimorbiden Patienten schwer einzuschätzen ist.

Überraschungsfrage (surprise question): »Wären Sie überrascht, wenn ihr Patient in den nächsten 6-12 Monaten versterben würde?«20

Allgemeine Indikatoren laut SPICT-DETM, einem Leitfaden zur Identifikation einer Palliativ-Bedürftigkeit:

(Mehrfache) ungeplante Krankenhauseinweisungen,

reduzierter Allgemeinzustand oder zunehmende Verschlechterung (z. B. Patient verbringt > 50 Prozent des Tages liegend oder sitzend),

Hilfebedarf im Alltag nimmt zu,

Pflegende Angehörige benötigen zunehmend Entlastung,

Gewichtsverlust in den letzten 3–6 Monaten, anhaltendes Untergewicht; geringe Muskelmasse,

belastende Symptome trotz angepasster Therapie der Grunderkrankung,

Patient (oder Angehörige) signalisieren den Wunsch nach Therapiezieländerung und palliativer Versorgung.21

3.1.1Die Umgebung muss sich anpassen

Es geht um eine ganzheitliche Begleitung der Betroffenen und Angehörigen, bei der sie auf allen Ebenen gehört und ernst genommen werden. Das bedeutet auch, dass manchmal eher weniger als mehr getan wird. Betroffene und Angehörige brauchen v. a. jemanden, der ihnen zuhört, sie entlastet und ihnen versichert, dass sie nicht allein gelassen werden. Verlässliche Bezugspersonen sind ebenso wichtig wie einfache Regeln und die Beibehaltung liebgewonnener Gewohnheiten, eine sichere und überschaubare Umgebung. Was sie hingegen nicht brauchen, sind verschlossenen Schränke und Türen, das beunruhigt sie und sie versuchen ständig, herauszufinden, was sich dahinter verbirgt. Da der Mensch mit Demenz sich nicht an seine Umgebung anpassen kann, muss diese sich anpassen, etwa durch bauliche und organisatorische Maßnahmen, die es einem Menschen mit Demenz ermöglichen, sicher und möglichst selbstständig zu leben. Menschen mit Demenz profitieren z. B. davon, wenn sie in gut ausgeleuchteten Räumen ohne Schattenbildung leben. Das gilt auch für Bodenbeläge, die möglichst hell, ohne Muster und Glanz, sein sollten.

3.1.2Die Pflege/Betreuung müssen sich anpassen

Laut Murray22 brauchen manche Betroffene und deren Familien vor allem zu Beginn der Erkrankung palliative Begleitung. Murray ist überzeugt, dass Menschen palliative Begleitung von der Diagnose bis zum Tod brauchen. Das ist ein hilfreicher Ansatz, denn gerade bei einer Demenz ist oft keine eindeutige Prognose zu stellen und deshalb erhalten viele Menschen mit Demenz keine palliative Begleitung. Die Frage ist mal wieder: Wer braucht wann wovon wie viel?

Eine wichtige Grundlage für Wohlbefinden und Sicherheit sind Rahmenbedingungen, die sich am Bedarf des Betroffenen ausrichten. Wie kann der Tagesablauf innerhalb der Familie oder der Einrichtung an Menschen mit Demenz angepasst werden? Versuchen Sie, den Alltag durch die Brille eines Menschen mit einer Demenz zu betrachten. Dann kommen Ihnen viele hilfreiche Ideen, mit denen Sie Sie viel zur Lebensqualität beitragen können – in allen Settings. Hier einige Beispiele, die Sie immer im Hinterkopf haben sollten: Menschen mit Demenz sind in der Lage, sich auf eine Tätigkeit einzulassen. Das bedeutet für Pflegende und Betreuende, dass Sie entweder sprechen oder etwas tun, es sei denn, Sie möchten Ihre Worte mit dem Tun verstärken. Irritierend ist es, wenn Sie sagen: »Ich komme gleich und wasche sie«, und währenddessen Tabletten oder Kaffee auf den Tisch stellen.

Wünsche und Bedürfnisse werden Sie nur dann erfüllen können, wenn Ihnen eine gute Kommunikation gelingt. Das ist bis zuletzt eine Herausforderung und für alle beteiligten Professionen und Ehrenamtlichen eine zentrale Aufgabe. Der Betroffene wird evtl. nicht mehr durch Sprache kommunizieren können. Durch eine gute Beobachtung der von Demenz Betroffenen, zusammen mit einer geeigneten und geübten Kommunikation, können sie z. B. Schmerzen und andere Beschwerden frühzeitig erkennen und lindern. Essen und Trinken können schnell zu einem zentralen Thema innerhalb des Alltags werden. Vor allem Angehörige leiden sehr darunter, wenn Essen und

Trinken nicht mehr wie gewohnt eingenommen wird. Teilweise ist es auch für die Mitarbeitenden eine Belastung. Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto belastender empfinden es meist die Angehörigen. Das sollten Sie als Pflege- und Betreuungskräfte gut im Blick haben und aufgreifen.

3.2Individualität, Autonomie und Selbstbestimmung

Was wünschen sich Menschen, die mit einer Demenz leben von ihrem Umfeld? In erster Linie wünschen sie sich, weiterhin als einzigartige Persönlichkeiten gesehen zu werden. Sie erwarten Wertschätzung und Respekt, im Umgang und in der Sprache. Sie wollen als Individuen gesehen werden, mit Ressourcen, Fähigkeiten und einer eigenen Persönlichkeit. Sie sind keine Kinder und wollen auch nicht mit Kindern verglichen werden. »Wir sind keine Kinder. Wir blicken auf ein langes Leben mit Erfahrungen und Erinnerungen zurück, indem wir Werte und Haltungen entwickelt haben.«23

Der Psychogerontologe Tom Kitwood24 wies darauf hin, dass Menschen mit Demenz Angst davor haben, verlassen, erniedrigt und kontrolliert zu werden. Das kann verbunden sein mit dem Gefühl des Ausgeschlossenseins und des Gefangenseins, dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Liebe und Selbstverwirklichung. Die Angst, zur Last zu fallen, weil Fähigkeiten verlorengehen, kann Wut auslösen: Wut über die Demenz und die Reaktionen des Umfeldes. Durch diese Gefühle steht der Betroffene unter starkem Stress. Diesen nicht zusätzlich zu erhöhen, sollte das Ziel aller Beteiligten sein. Betroffene wollen verstehen, was ihr Gegenüber ihnen mitteilen möchte und verstanden werden. Sie brauchen Ihre Freundlichkeit und Toleranz, wenn sie nicht alles gleich verstehen oder umsetzen können. Um etwas zu verstehen, müssen sie womöglich mehrmals nachfragen. Sie wollen – wo immer möglich – Entscheidungen noch selbst treffen, stets einbezogen und informiert werden. Das sollte in einfacher Sprache geschehen, damit sie es auch verstehen können. Lehnen sie etwas ab, so sollten Sie das respektieren – bis zuletzt.

Menschen mit Demenz möchten möglichst vieles noch selbst tun, damit sie es nicht verlernen, auch wenn es sehr viel Zeit kostet. Das können Kleinigkeiten sein, z. B. das Gesicht waschen, vielleicht liebevoll unterstützt, aber fast selbstständig, im eigenen Tempo und im gewohnten lebenslang eingeübten Ablauf. Wird ihnen alles abgenommen, fühlen sich Menschen mit Demenz schnell lästig und überflüssig, ihre Selbstständigkeit geht mehr und mehr verloren und ihr Selbstwert verschlechtert sich. Sie wünschen sich freundliche Menschen, die sie nur so viel und in jenen Bereichen unterstützen, wo es erforderlich ist, möchten aber weiterhin alles tun dürfen, was noch selbstständig gelingt. Diese Selbstständigkeit muss handlungsleitend sein, nicht die Abläufe oder der Zeitdruck auf Seiten der Pflegenden. Hilfreich sind eine klare Struktur im Alltag und ein reduziertes Tempo. Menschen mit Demenz möchten auf keinen Fall wegen ihrer Erkrankung stigmatisiert werden. Es soll kein Zwang herrschen, die Selbstbestimmung ist ein sehr wichtiger Teil im Leben eines Menschen, unabhängig von einer Diagnose und sie gilt bis zum Tod. Menschen mit Demenz möchten in allen Belangen und Emotionen ernst genommen werden. Das Wissen um die Erkrankung und die damit zusammenhängende Tagesform ist grundlegend wichtig für alle Beteiligten. Was am Morgen noch mühsam war, kann am Nachmittag leicht von der Hand gehen.

Menschen mit Demenz erleben häufig, dass über und nicht mit ihnen gesprochen wird. Gerade im Kontext von Pflege, Arztbesuchen oder im Krankenhaus, vor allem im Beisein der Angehörigen: »Sprecht mit uns nicht über uns! Entscheidet nicht über unseren Kopf hinweg.«25 Sie wünschen sich weiterhin soziale Kontakte, auch wenn sie diese selbst nicht mehr initiieren können. Da sind sie vor allem am Lebensende sehr auf ihre Angehörigen und die Pflegenden und Umsorgenden angewiesen. Sie wollen spüren, dass sie nicht vergessen werden. Ihre Bezugspersonen sollen viel bei ihnen sein.

Im Grundsatzpapier der Fachgesellschaft Palliative Geriatrie26 wird von der »relationalen Autonomie« gesprochen. Das bedeutet, dass Menschen immer wieder im Leben und so auch in dieser besonderen Lebenssituation mit einer Form der Demenz in Abhängigkeiten oder im Angewiesensein auf andere leben. Gerade ältere Menschen mit einer Demenz sind zunehmend verletzlich und auf andere angewiesen. Dennoch schließt das den Wunsch nach Selbst- und Mitbestimmung nicht aus. »Palliative Geriatrie setzt sich dafür ein, dass hochbetagte Menschen bis zuletzt ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können.«27 Die Autorinnen betonen, dass es unerlässlich ist, alte Menschen ernst zu nehmen, auch mit ihrem Wunsch zu sterben. Der Angst vieler Menschen, vor dem Verlust ihrer Selbstbestimmung können Sie begegnen, indem Sie sie angemessen und würdevoll einbinden und begleiten. Es geht darum, den Betroffenen das Gefühl zu geben, sie seien gut so, wie sie sind, keine Last für ihre Angehörigen oder das Umfeld. Sie sollten das Gefühl haben, dass sie gern unterstützt werden. Sie dürfen alt, krank, gebrechlich und auf Unterstützung angewiesen sein, werden aber wertschätzend und liebevoll begleitet und unterstützt und können sich noch einbringen.

Im häuslichen Bereich ist dies sicher einfacher umzusetzen. Dennoch müssen sich Institutionen wie Krankenhäuser und Altenheime überlegen, wie sie sich an die Wünsche und Bedürfnisse der an Demenzerkrankten anpassen können. Der Betroffene selbst kann sich nicht immer an die Regeln und Abläufe anpassen. Der eine braucht zu seiner Lebensqualität z. B. ein sehr spätes Frühstück, nachdem er bis in den Morgen hinein geschlafen hat und ist es gewohnt sich am Abend statt am Morgen zu waschen. Sind Sie bereit, sich darauf einzulassen? Mehr noch: Können Sie das organisatorisch regeln? Dahin müssen alle Entwicklungen und Bestrebungen gehen, wenn die Leitbilder, die inzwischen in allen Einrichtungen und selbst in Krankenhäusern zu finden sind, auch gelebt werden sollen. Es bedarf einer nachhaltigen Veränderung der Institution.

3.2.1Die Hinwendung zum Menschen

Im Expertenstandard28 liegt der Fokus auf der Haltung der Pflegekraft. Sie nimmt den Menschen mit Demenz nicht als medizinisches Problem wahr, sondern stellt seine Person und deren Bedarfe in den Mittelpunkt. Wichtig sind die Beziehung und die daraus entwickelten individuellen Angebote, basierend auf dem personenzentrierten Ansatz von Kitwood. Tom Kitwood ist ein Verfechter dieser sehr deutlichen »Hinwendung zu den Betroffenen«29, bekannt geworden durch das sog. Dementia Care Mapping. Es beruht unter Anwendung einer Kombination aus Empathie und Beobachtungsgabe auf dem Versuch, den Standpunkt des Betroffenen einzunehmen. Das Konzept des person-zentrierten Ansatzes nach Kitwood lässt sich in jedem Kontext umsetzen, obwohl es hohe Anforderungen ans Personal und die Institutionen stellt. Schwerpunkte sind, »die Person, die Beziehung und den Erhalt der Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellen und nicht die Krankheit«.30 Wichtig ist die Konzentration auf den Erhalt der Persönlichkeit. Kitwood sieht nicht den Patienten mit Defiziten, sondern blickt auf die Person mit Ressourcen und Kompetenzen. Er beschreibt fünf wichtige Bedürfnisse von Menschen mit Demenz: Bedürfnis nach Bindung, Trost, Identität, Beschäftigung und Einbeziehung. Zentral sieht er das Bedürfnis nach Liebe (imageAbb. 1).

Nach Kitwood gibt es sog. Türöffner als Zugang zur Welt der Menschen mit Demenz:

Akzeptiere den Menschen so, wie er ist.

Lass ihn seinen Willen behaupten und seine Gefühle ausdrücken.

Biete Nähe und Wertschätzung.

Gib ihm die Möglichkeit, Selbstachtung zu erleben.

Fördere soziale Kontakte.

Biete Möglichkeiten, vertrauten Beschäftigungen nachzugehen.

Sinne stimulieren – lass ihn genießen und entspannen.

Humor.

Sichere Umgebung.

Dazu braucht es Mitarbeiter*innen und Angehörige, die in diesem Sinne handeln. Auch Kitwood betont, wie wichtig innere Stabilität, Ruhe, Gelassenheit, Flexibilität, Einfühlungsvermögen, Belastbarkeit, Kreativität und Humor als grundlegende Voraussetzungen für Menschen sind, die mit Demenzerkrankten arbeiten. Immer in der Haltung, dass sich die Institution dem Menschen anpasst, nicht umgekehrt. Kitwood war durch seine Studien davon überzeugt, dass gute Pflege Stress reduziert und Vitalität fördert. Sobald die Person sich jedoch abgewertet fühlt, verstärkt das ihre Angst, Wut und Trauer mit allen Konsequenzen.31 Es gibt noch weitere spezielle Konzepte für den Umgang mit Demenzerkrankten, von denen ich noch eines hervorheben möchte. Das Demenz Balance-Modell© von Barbara Klee-Reiter. Sie beschreibt es wie folgt: »Es ist eine Methode, die es möglich macht, Auswirkungen einer Demenzerkrankung auf das eigene Leben zu erfahren. Ziel ist es, über die Identifikation die Empathie Fähigkeit für die Bedürfnisse und das Verhalten von Menschen mit einer Demenzerkrankung zu erweitern und dadurch im Arbeitsalltag Erleichterung zu spüren.«32 Die Empathiefähigkeit aller Mitarbeitenden ist, wie schon mehrfach erwähnt, die Grundlage im Arbeitsalltag und Lebensalltag mit Menschen mit Demenz. Das Modell ermöglicht es den Mitarbeitenden oder Angehörigen, hinzuspüren und dadurch Mitgefühl zu entwickeln. Dies kann nicht über fachliche Informationen zum Krankheitsbild Demenz allein gelingen. Das Modell ist deshalb eine sehr hilfreiche Methode, Fachlichkeit mit Empathie zu verbinden, was ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann.

Eine wichtige Grundeinstellung ist es, den Menschen so anzunehmen, wie er ist und dabei nicht gegen seine Defizite anzukämpfen. Vom Gedanken an Perfektionismus gilt es sich zu lösen. Jede Gelegenheit sollte genutzt werden, um die Selbstständigkeit im Alltag zu fördern. Das bedeutet auch, Gewohnheiten möglichst beizubehalten, das Tempo an den Betroffenen anzupassen, klare Tages- und Nachtstrukturen zu etablieren und nach Möglichkeit eine sinnvolle nützliche Beschäftigung anzubieten, so lange wie irgend möglich. Das gilt für alle Settings.

All das dient dazu, die Individualität, das Selbstwertgefühl und die Selbstbestimmung des Betroffenen zu erhalten. Gleichzeitig gehört zur Selbstbestimmung auch das Recht auf Ablehnung. Menschen mit Demenz äußern ihre Wünsche oft in einer nicht auf den ersten Blick verständlichen Weise, hier brauchen Sie viel Einfühlungsvermögen, Zugewandtheit und Kenntnisse einer angemessenen Kommunikation. Teilweise zeigen Ihnen die Betroffenen sehr deutlich, was sie sich wünschen und was nicht. Das können der zur Seite gedrehte Kopf, die zusammengepressten Lippen bei der Nahrungsaufnahme sein. Das kann die nachhaltige Abwehr bei der Körperpflege sein. Dies gilt es ernst zu nehmen, auch wenn es nicht in Ihre Abläufe passt. Gehen Sie nicht darauf ein, entwickeln die Betroffenen Misstrauen, Wut oder Frustration und ziehen sich zurück. Das sollten Sie mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln vermeiden, auch wenn das eine tägliche Herausforderung für Sie sein kann. Hierfür brauchen Sie Ruhe, Geduld und Gelassenheit, Flexibilität und Empathie, aber auch die richtigen Rahmenbedingungen.

3.2.2Die Rahmenbedingungen

Die Grundlage für diese Arbeitsweise ist einfach: eine gute Personaldecke. Die Schaffung dieser Rahmenbedingungen werden im Expertenstandard beschrieben: »Jeder pflegebedürftige Mensch mit Demenz erhält Angebote zur Beziehungsgestaltung, die das Gefühl, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein, erhalten und fördern.« Die Autor*innen des Expertenstandards betonen, dass »die Lebensqualität von Menschen mit Demenz eng verbunden ist mit ihren Beziehungen zu anderen Menschen.« Sie legen ebenso Wert auf einen person-zentrierten Ansatz. Es gilt das Ziel: Die Einrichtung fördert und unterstützt diese Haltung bei ihren Mitarbeitenden und sorgt für eine person-zentrierte Pflegeorganisation. Darüber hinaus stellt sie sicher, dass die Pflege von Menschen mit Demenz auf Basis eines person-zentrierten Konzepts gestaltet wird. Dabei geht es auch um Einbeziehung, Beratung und Information der Angehörigen. Darüber hinaus sorgt sie für einen »qualifikationsgemäßen Kenntnisstand aller an der Pflege Beteiligten«. Ebenso stellt die Einrichtung sicher, dass die Pflegefachkraft sowie andere an der Pflege Beteiligter ihre »Beziehungsgestaltung zu den Menschen mit Demenz reflektieren können«33. Das sind wichtige Grundvoraussetzungen für eine wertschätzende, achtsame und individuelle Begleitung von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen. So werden Rahmenbedingungen geschaffen für Mitarbeitende, den person-zentrierten Ansatz umsetzen zu können. Menschen mit Demenz werden in allen Settings davon profitieren.

3.3Kommunikation mit Menschen mit Demenz

Wie kann nun eine gute Kommunikation gelingen, dass Menschen mit Demenz Sie verstehen und verstanden werden und Begegnung möglich ist? Erschwerend sind die zunehmend eingeschränkten Möglichkeiten des Betroffenen, über Sprache zu kommunizieren. Gleichzeitig ist das jedoch die Verbindung zum Gegenüber, wichtig im Hinblick auf Linderung von Beschwerden, Schmerzen, Unwohlsein, Emotionen etc. Dies ist eine zunehmende Herausforderung in allen Versorgungsbereichen, gerade auch am Lebensende.

Grundsätzlich ist es unerlässlich, dass Sie sich Ihrer Sprache und Sprechweise sehr bewusst sind. Das hat mit Ihrer Haltung der konkreten Person gegenüber zu tun und zeigt sich auch im Umgang. Menschen mit Demenz verdienen einen respektvollen Umgang. Sie brauchen ein Umfeld, das Verständnis dafür hat, dass sie teilweise in einer nicht zugänglichen Welt leben, sich aber wünschen, ernst genommen zu werden. Es ist sicher immer wieder eine Herausforderung, gelassen und ruhig zu bleiben, nicht zu kritisieren, Streit und Machtkämpfe zu unterlassen. Es kann zu störenden oder gefährlichen Situationen kommen, in denen Sie unter allen Umständen Ruhe bewahren und respektvoll umlenken müssen. Menschen mit Demenz mögen keine Verbote und Einschränkungen, sie erleben im Alltag täglich ihre eigenen Grenzen. Wie jeder Mensch lieben sie es, gelobt zu werden und möglichst wenig Hinweise auf Fehler und Defizite zu erhalten.

3.3.1Die Beziehung lebt von der Kommunikation

Bei der Kommunikation geht es darum, eine gute Beziehung im Krankheitsverlauf zu erhalten oder aber – bei einem Wechsel in eine ambulante Begleitung, in ein Altenheim oder Krankenhaus – aufzubauen. Die Kommunikation ist von Beginn an die wichtigste Grundlage eines vertrauensvollen Umgangs und sie wird mit zunehmendem Fortschreiten der Erkrankung und den damit verbundenen Beschwerden immer bedeutsamer. Gelingt es nicht, eine Beziehung und eine Form der guten Kommunikation zu leben, wird es ein unerreichbares Ziel, körperliche, psychosoziale und spirituelle Beschwerden zu lindern. Genau das ist jedoch das Ziel. Deshalb ist die Kompetenz in der Kommunikation die Basis für eine gute palliative Begleitung von Menschen mit Demenz.

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Abb. 2: Die Folgen einer misslingenden Kommunikation (nach Kojer)

Kojer zeigt in dieser Abbildung (imageAbb. 2) sehr eindrücklich den Zusammenhang von Kommunikation und Behandlung oder Nicht-Behandlung. Wenn es Ihnen nicht gelingt, herauszufinden, was diesen Menschen im Moment stört, beängstigt oder sogar quält, werden Sie keine Behandlung oder andere Maßnahmen einleiten können. Das wiederum führt zu Leid, Angst, einem Gefühl des Verlassenseins und stellt eine Fehlbehandlung dar. Machen Sie sich immer wieder bewusst, unter welchen Einschränkungen Ihr Gegenüber kommunizieren muss. Es muss frustrierend sein, wenn es wieder und wieder nicht gelingt, seinen Wunsch oder seine Abwehr klar auszudrücken. Menschen mit Demenz sind maßgeblich darauf angewiesen, dass Sie mit Geduld und auf Augenhöhe, im angemessenen Tempo und mit Freude mit ihnen sprechen. Eine achtsame Kommunikation lässt sich lernen und ist für alle Beteiligten auch eine Stressreduktion.

Wichtig Der Hörsinn bleibt bis zuletzt erhalten

Gehen Sie immer davon aus, dass alles Gesprochene auch gehört wird und seien Sie achtsam. Der Schwerkranke und/oder Sterbende ist den Geräuschen, Klängen und Worten seiner Umgebung ausgeliefert, erst recht, wenn er eine Demenz hat und sich verbal nicht mehr äußern kann.

3.3.2Angemessen mit- und voneinander sprechen

Wie kann man angemessen mit Menschen mit Demenz sprechen? Darüber haben sich Mitglieder der deutschsprachigen Alzheimer- und Demenz-Organisationen Gedanken gemacht und einen Sprachleitfaden »Demenz« veröffentlicht34. Es geht den Autor*innen darum, eine angemessene Sprache zu wählen, wenn über oder mit Menschen mit Demenz gesprochen wird. So wurde der Begriff »Demenz« durch den Begriff »neurokognitive Störung« abgelöst, weil er nach Meinung der Autor*innen weniger stigmatisierend ist.

Die Haltung der Wertschätzung und des Respekts sollte sich in einer Sprache zeigen, die die Krankheit möglichst neutral beschreibt, wie etwa »Demenz« oder »eine Art/Form der Demenz« oder »kognitive Einschränkungen. Begriffe wie »dement« oder »Demente«, aber auch »senil« oder gar »verkalkt« sollten vermieden werden. Wichtig ist den Autor*innen auch, dass Auswirkungen der Symptome beschrieben werden, z. B.: »Frau M. hat Schwierigkeiten in der Orientierung« – »Sie findet ihr Zimmer nicht immer«.

Geeignete Begriffe im Zusammenhang mit psychischen und verhaltensbezogenen Symptomen können Begriffe wie »verändertes Verhalten« oder »Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse« und »unangemessene Reaktion (nicht Verhalten) « sein. Nicht verwendet werden sollten Begriffe wie z. B. »aggressiv« oder »schwierige Verhaltensweisen«. Sie weisen auch explizit darauf hin, dass der viel genutzte Begriff »herausforderndes Verhalten« aus Sicht von Menschen mit Demenz nicht mit der Absicht einhergeht, herausfordernd zu sein. Das kann mitunter so wirken, aber die Unterscheidung ist wichtig.35

3.3.3Wertschätzend kommunizieren

Wer merkt, dass seine Merkfähigkeit und das Kurzzeitgedächtnis nachlassen, empfindet Unsicherheit, Frustration, Angst und Stress. Im frühen Stadium einer Demenz versuchen Betroffene, diese kognitiven Einschränkungen zu kompensieren, aber das gelingt nicht auf Dauer und so wird ihre Erkrankung für das Umfeld sichtbar. Ein schmerzlicher Prozess. Eine Fähigkeit, die ein Leben lang gut funktioniert hat, verabschiedet sich Stück für Stück. Damit die Betroffenen sich nicht zurückziehen und verstummen, tun Sie etwas für den Menschen mit Demenz: Sie gehen in Beziehung zu ihm und lassen sich auf ihn ein. Für eine gelingende Kommunikation sind ganz praktische Dinge bedeutsam:

Sprechen Sie den Betroffenen von vorn auf Augenhöhe an, bleiben Sie im Blickfeld und halten Sie Augenkontakt.

Sprechen Sie den Betroffenen mit einem vertrauten Namen an, z. B. mit Vornamen, Spitznamen oder Mädchennamen; wichtig ist, dass sich die Person gemeint fühlt.

Sprechen Sie freundlich, zugewandt und mit klarer Stimme, achten Sie auf Ihren Tonfall.

Sprechen Sie in kurzen, einfachen Sätzen.

Wiederholen Sie Ihre Sätze stets im gleichen Wortlaut.

Artikulieren Sie langsam und deutlich.

Sprechen Sie lauter, wenn der Angesprochene schwerhörig ist.

Verwenden Sie, wenn möglich, bekannte Begriffe oder Dialekte.

Schaffen Sie eine ablenkungsfreie Atmosphäre

Sprechen Sie über etwas, das zu sehen ist.

Nutzen Sie Humor, aber vermeiden Sie Ironie!

Achten Sie darauf, dass Sie kongruent sind.

Achten Sie auf Ihre Gefühle, die mitschwingen.

Setzen Sie Körpersprache und Gestik ein.

Hilfreich ist es, die Gefühle des anderen zu verbalisieren.

Stellen Sie eindeutige Fragen und wiederholen Sie sie ggfs. mit denselben Worten.

Stellen Sie keine »Oder«-Fragen, auch keine W-Fragen (warum, wieso, weshalb).

Lassen Sie dem Betroffenen Zeit zu antworten und zu reagieren.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842691193
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Oktober)

Autor

  • Tanja Frank (Autor:in)

Tanja Frank ist Krankenschwester, Pain Nurse Plus, Palliative Care, Beraterin für Ethik im Gesundheitswesen und Mitarbeiterin im Palliativgeriatrischen Dienst. Als Mitglied der Expertenrunde Curriculum „Palliative Praxis“ der Robert-Bosch-Stiftung beschäftigt sie sich zudem intensiv mit dem Theorie-Praxis-Transfer von Palliative Care.
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Titel: Palliative Begleitung bei Menschen mit Demenz