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Einatmen. Ausatmen. Mutter sein.

Die nervigsten Situationen im Familienalltag - und wie du sie löst. Endlicher weniger müde, kraftlos und gereizt

von Julia Scharnowski (Autor:in)
216 Seiten

Zusammenfassung

Machen wir uns nichts vor: Der Familienalltag ist stressig. Manchmal ist es das Kind, das einem den letzten Nerv raubt, manchmal sind es Konflikte mit anderen Verwandten oder die täglichen Haushaltsaufgaben – und oft ist es einfach der Stress im eigenen Kopf. Wie Mütter im hektischen Familienleben ihre innere Kritikerin im Zaum halten, wie sie sich Auszeiten verschaffen, Kraft tanken und Stress abbauen, zeigt Julia Scharnowski in ihrem neuen Ratgeber. Zusätzlich liefert sie wertvolle Impulse, um in 30 Tagen noch mehr runterzukommen – von Atemübungen über kleine Meditationen bis hin zu liebevollen Selbstfürsorge Ritualen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Wir müssen uns nichts vormachen: Der Familienalltag ist oft stressig – vermutlich viel stressiger, als jede von uns es sich vor der Geburt ihres ersten Kindes jemals hätte vorstellen können. Stress, und insbesondere was uns stresst, ist höchst individuell. Denn die Stressoren, also die Reize, die in uns eine Stressreaktion auslösen, hängen mit unseren Erfahrungen und Prägungen zusammen – und die sind bei jedem von uns einzigartig.

Dennoch haben wir alle gemeinsame Schnittpunkte und haben Ähnliches erlebt. Einige von uns sind vielleicht sogar unter vergleichbaren Umständen aufgewachsen. Kurzum: In vielen Punkten, die uns innerlich auf die Palme bringen, können wir einander verstehen. Außerdem haben viele Stresssituationen – ich nenne sie an dieser Stelle mal Panikräume – die gleichen oder ähnliche Ausgänge, ganz egal, was den Stress ursprünglich ausgelöst hat.

Stress kann im Alltag auf vielerlei Weise auf uns einprasseln: Es gibt Stressoren, die in Gestalt unseres Kindes zu uns finden, im Verhalten anderer geliebter Menschen oder durch Außenstehende. Es gibt also Situationen, die uns den letzten Nerv rauben, in denen das eher durch äußere Umstände und Abläufe bedingt ist. Dann ist da allerdings noch der Stress, der weder durch Konflikte mit anderen Menschen noch durch Umstände wie eine Wohnung voller Wäscheberge und Spielplatzsand ausgelöst wird. Es ist der Stress in uns selbst: Gedanken und Gefühle, die dafür sorgen, dass eine eben noch völlig gelassene und freundliche Frau in den Motzmama-Modus verfällt, laut wird und Haare raufend Fluchtgedanken hegt.

Deswegen sortieren wir die verschiedenen Stressquellen in diesem Buch, bündeln Situationen unter Oberbegriffen und strukturieren alles so klar wie möglich, damit du schon anhand des Inhaltsverzeichnisses schnell die Lösungen findest, die du brauchst, um das Stresslevel deines Alltags sofort zu senken – denn wir alle wissen: Zeit ist die kostbarste Ressource einer Mutter.

Du findest zu jeder Situation neben einer allgemeinen Beschreibung zudem Hinweise auf mögliche Ursachen, damit du mittelfristig etwas Konkretes in eurem Familienalltag verändern kannst. Ich habe für dich zudem so viele Strategien und Tipps wie möglich gesammelt, die du anwenden kannst, um sofort mehr Entspannung in die jeweilige Situation zu bringen. Dieses Buch soll dich durch das aufregende und facettenreiche Mamaleben begleiten und dir immer dann zur Seite stehen, wenn du in anstrengenden Momenten eine schnelle und gleichsam dauerhafte Lösung brauchst.

Stress lässt sich am effektivsten und nachhaltigsten senken, indem wir unsere grundsätzliche Verfassung stabilisieren und stärken. Dazu benötigen wir vor allem Pausen, Zeit zum Auftanken und Strategien, um aufgestauten Stress und Druck abzubauen. Weil Zeit – wie ich bereits angemerkt habe – im Mamaleben knapp ist, brauchen wir kurze Impulse, die sich gut in den Alltag integrieren lassen.

Um eine familienkompatible Art des Auftankens und der Selbstfürsorge kennenzulernen und diese dauerhaft in dein Leben zu holen, habe ich in diesem Buch außerdem eine Challenge für dich vorbereitet. Mit ihr erlebst du 30 Tage lang, wie bereits wenige Minuten, die du am Tag in dich investierst, nachhaltige Veränderung bringen und zur spürbaren Verbesserung deines Wohlbefindens beitragen können. Ich habe die Challenge so gestaltet, dass du sie jederzeit und ohne großen Aufwand durchführen kannst.

Bevor wir starten, noch eine wichtige Botschaft vorab: Wir alle haben Stress und erleben Situationen, die in uns die Knöpfe betätigen, die uns aus der Haut der kultivierten Frau und Mutter fahren lassen und die Palme hinaufjagen. Wir alle kennen die Schlucht, die an manchen Tagen zwischen den Reaktionen, die wir uns von uns wünschen, und unserem tatsächlichen Verhalten klafft.

Wir sind Menschen. Wir machen Fehler, wir scheitern, wir lernen dazu und wir machen weiter. Wir sind Mamas. Wir wachsen jeden Tag über uns hinaus und sind nicht nur darauf bedacht, uns mit aller Kraft um unsere Familie zu kümmern, sondern bemühen uns auch noch jeden Tag darum, ein bisschen „besser“ zu sein als gestern. Besser im Sinne von ein bisschen gelassener, ein bisschen geduldiger und noch ein bisschen liebevoller, als wir es ohnehin schon sind.

Das ist die größte, aufregendste, wichtigste, schönste und nervenaufreibendste Aufgabe unseres Lebens, und wir machen das großartig! Vielleicht denkst du dir: „Na toll, wenn ich es so großartig mache, warum halte ich dann dieses Buch in den Händen?“ Die Antwort lautet: Weil du jeden Tag unermüdlich nach Wegen suchst, um euer gemeinsames Leben angenehm und liebevoll zu gestalten. Sich Anregungen zu holen, sich neuen Wegen zu öffnen und den eigenen Horizont für andere Möglichkeiten und Perspektiven zu weiten, ist eine Stärke und ein kraftvoller Schritt.

Wenn wir uns einen Computer mit einem neuen Betriebssystem zulegen, dann scheuen wir uns nicht, ins Handbuch zu gucken, stundenlang im Internet zu recherchieren oder uns 25 Tutorials anzuschauen, die uns den Umgang damit erleichtern. Wieso erwarten wir dann, dass wir ohne wirkliche Grundkenntnisse verstehen, wie wir selbst, wie unser Körper und unser eigenes Betriebssystem eigentlich funktionieren? Wenn wir uns allerdings erlauben, uns besser kennenzulernen und zu verstehen, was gerade in uns vorgeht, wenn wir mal wieder kurz davor sind, an die Decke zu gehen, dann sind wir schon ein ganzes Stück weiter.

Es ist also gut, dass du diesen Ratgeber in den Händen hältst und wir jetzt zusammen neue Wege gehen. Bevor wir loslegen, nimm bitte das Buch in die linke Hand und strecke deinen rechten Arm aus. Drehe die Handfläche deiner rechten Hand nach oben, führe sie zu deiner linken Schulter, lege sie dort ab und dann klopfe fünfmal sanft, aber nachdrücklich: Du machst einen großartigen Job!

 

STRESS IM FAMILIÄREN MITEINANDER

In diesem Abschnitt betrachten wir die Situationen, die uns Mamas so oft herausfordern, erforschen mögliche Ursachen und lernen, wie wir möglichst gelassen bleiben können, auch wenn die Gefühle stürmen und wüten. Der Fokus liegt hierbei auf Stress und Reibereien, die im familiären Miteinander auftreten können, etwa wenn du das Gefühl hast, niemand hört auf dich, oder deine eigene Zündschnur so kurz ist, dass du ständig ungewollt an die Decke gehst.

Emotionale Schieflagen im Familienalltag

Aus heutiger Sicht würde ich es so formulieren: Bevor ich Kinder bekommen habe, wusste ich, dass es Gefühle gibt. Seitdem ich Mutter bin, erlebe ich sie – bei meinen Kindern, aber auch bei mir selbst. Und zwar mit einer Intensität, von der ich vorher nicht ahnte, dass es sie gibt. Das gilt für angenehme ebenso wie für unangenehme Gefühle.

Im Familienalltag sind es nicht nur die Gefühlsausbrüche unserer Kinder, die uns zuweilen überraschen und über uns hinwegtoben wie ein Gewittersturm. Schon im Babyalter meiner Söhne in schlaflosen Nächten, spätestens dann aber in der Autonomiephase und im Vorschulalter, durfte ich zudem immer wieder Bekanntschaft mit meinen eigenen starken Emotionen machen. Und dann gibt es da ja auch noch den Partner, der – Überraschung! – ebenfalls einen ganz eigenen Gefühlshaushalt mitbringt. Wenn in Familien mehrere emotionale Wetterfronten aufeinanderprallen, dann kann es manchmal ganz schön wild zugehen.

Gefühle – das sind diese Dinger, die viel intensiver geworden sind, seitdem wir Mamas sind: Wir lieben mit einer Intensität, die wir vor der Geburt unseres Kindes nicht gekannt haben. Wir blicken in Abgründe der Sorge und der Angst, die uns in dieser Tiefe früher unbekannt waren. Wir spüren Wut mit einer Hitze, die uns fürchten lässt, dass sie alles in Flammen setzen kann.

Mit Kindern wird einfach alles mehr, auch die Intensität dessen, was wir empfinden. Es geht viel weiter nach oben ins Angenehme und gleichzeitig viel weiter nach unten in die Bereiche, die wir eigentlich nicht so gerne fühlen und lieber vermeiden würden. Die gute Nachricht ist: Mit ein wenig Übung und einer guten Portion Achtsamkeit im Alltag können wir Herr unserer Emotionen werden.

Gefühlsausbrüche bei kleinen und großen Menschen

„Meine Güte noch mal, es ist doch nur eine Banane! Sie schmeckt nicht anders, nur weil sie durchgebrochen ist!“ Vermutlich ist jeder von uns dieser oder ein ähnlicher Satz schon mal herausgerutscht. Du kannst die Banane auch durch ein Butterbrot ersetzen, das du in den Augen deines Kindes falsch durchgeschnitten hast. Vielleicht hast du auch schon deine einschlägigen Erfahrungen mit Krisen gemacht, die durch ein zerflossenes Eis oder einen zu krümeligen Keks ausgelöst wurden.

Du hast den Eindruck, dein Kind rastet von jetzt auf gleich emotional komplett aus. Die Intensität seines Geschreis erscheint dir viel zu extrem, du erreichst es nicht mit deinen beschwichtigenden Worten, und eigentlich willst du nur noch, dass augenblicklich Ruhe herrscht.

Wenn mein kinderloses Ich vor zehn Jahren eine Zeitreise in die Zukunft unternommen hätte und Zeuge einer solchen Szene mit einem meiner Söhne geworden wäre, dann wäre es höchstwahrscheinlich entsetzt gewesen. Verständlich, denn von außen betrachtet kann eine solche Situation unmöglich normal sein.

Und doch ist sie es. Das kindliche Gehirn braucht viele Jahre, um zu reifen. Es kann weit bis ins Grundschulalter dauern, bis unser Nachwuchs in emotionalen und stressigen Situationen Zugriff auf das rationale Denkvermögen hat. Wenn dein Kind also wegen einer scheinbaren Lappalie komplett ausrastet, dann kannst du dir jegliche Form der Argumentation sparen, denn sie wird nicht zu ihm durchdringen. Jetzt ist das Runterfahren des Stresszentrums im Kopf gefragt – sowohl bei deinem Kind als auch bei dir.

Wenn dein Kind noch sehr klein ist, kann es während eines Gefühlsausbruchs mit Logik nichts anfangen. Es braucht einen erfahrenen Kapitän, der mit ihm durch den Sturm seiner Gefühle segelt. Es hatte nun einmal eine ganz genaue Vorstellung von der Banane und hat vermutlich noch nicht den Weitblick, um zu erkennen, dass diese Banane nicht die einzige in seinem Leben bleiben wird. Deshalb ist jetzt gerade Enttäuschung pur angesagt, und es wird von diesem Gefühl regelrecht überrannt.

Bleibe in so einem Moment bei deinem Kind, körperlich und mental: Gehe auf Augenhöhe und benenne, was du wahrnimmst, ohne es zu bewerten: „Du bist total traurig/wütend/außer dir.“ So spiegelst du dein Kind, und durch dieses Spiegeln wird es ihm gelingen, sich selbst besser zu verstehen, und seine aufgewühlten Gefühle können sich beruhigen. Erst wenn der Sturm vorüber ist, ist es sinnvoll, rational über die Stabilität und den Geschmack von Bananen zu sprechen.

Solche Szenen sind anstrengend, das steht außer Frage. Wenn es dir aber gelingt, dein Kind dabei einigermaßen geduldig und einfühlsam zu begleiten, dann leistest du einen riesigen Beitrag zu seiner gesunden seelischen Entwicklung. Es lernt seine Gefühle kennen und merkt, dass alle Gefühle ihre Berechtigung haben und dass sie sich auch wieder beruhigen, wenn wir sie anerkennen, benennen und zulassen. Es wird sich als stimmig und ganz erleben. So unterstützt du es darin, ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln.

Lerne deine Gefühle besser kennen

Wenn du möchtest, kannst du einmal die folgende kleine Übung ausprobieren: Beobachte in den nächsten Tagen, welche Gefühle du angenehm findest. Achte auf Emotionen, die dich nicht stören, die einfach da sein dürfen und die du vielleicht deswegen kaum bewusst zur Kenntnis nimmst. Beobachte außerdem, welche Gefühle du unangenehm findest und lieber vermeidest.

Richte dann deine Aufmerksamkeit darauf, wie du die jeweiligen Gefühle bewertest. Denn in unserer Bewertung liegt die Ursache, warum wir mit manchen Empfindungen solche Schwierigkeiten haben. Gefühle sind eigentlich neutral, sie sind weder gut noch schlecht, sondern einfach Empfindungen und Reaktionen auf Botenstoffe in unserem Körper. Ein Gefühl ist ein Gefühl. Erst durch unsere Bewertung als positiv oder negativ werden sie für uns entweder neutral, angenehm oder eben sehr schmerzhaft.

Oft sind es die starken Gefühlsausbrüche unseres Kindes, die uns anstrengen und die wiederum starke emotionale Reaktionen in uns auslösen. Wenn wir uns aber bewusst machen, dass wir selbst es in der Hand haben, wie wir das in uns aufsteigende Gefühl bewerten, dann ist bereits der erste Schritt hin zu mehr innerer Ausgeglichenheit getan.

Wege im Gehirn: vom Trampelpfad zur Autobahn

Vielleicht hast du im Zusammenhang mit deinem Kind bereits Folgendes festgestellt: Es reicht nicht aus, etwas einmal zu sagen oder einen Gefühlsausbruch einmal zu begleiten, damit dein Kind verinnerlicht, wie es seine Gefühle beruhigen und anders kanalisieren kann.

Wenn du dein Kind emotional begleitest, dann macht es eine Erfahrung, die in Form einer neuronalen Verknüpfung im Gehirn verankert wird. Diese frische Verknüpfung sieht in etwa so aus, als wäre jemand einmal durch etwas höheres Gras gelaufen. Der Ablauf einer solchen Situation muss sich also viele Male wiederholen, bis in der neuronalen Wiese im Gehirn deines Kindes ein Trampelpfad entsteht.

Aus dem Trampelpfad wird ein Weg, aus dem Weg eine Straße und aus der Straße irgendwann eine Autobahn. Je öfter unsere Wege im Gehirn benutzt werden, desto besser werden sie ausgebaut. Über eine gut ausgebaute Nervenbahn lässt sich dann ein bestimmtes Verhalten blitzschnell abrufen. Irgendwann wird das bei deinem Kind der Fall sein, doch das kann einige Zeit dauern.

Ebenso sind auch die Bahnen in unseren erwachsenen Köpfen entstanden, über die sich gewohnte und impulsive Reaktionen seit vielleicht schon sehr, sehr vielen Jahren ihren Weg suchen. Du darfst also nicht nur geduldig mit deinem Kind sein, wenn es um das Einüben neuer Strategien geht. Sei auch nachsichtig mit dir selbst.

Oft erwarten wir von uns, ein Verhalten bereits in dem Moment zu ändern, in dem wir es verstanden und uns für eine andere Strategie entschieden haben. Dann sind wir frustriert und von uns selbst enttäuscht, wenn wir insbesondere unter Stress doch wieder in alte Muster verfallen: Ich wollte doch nicht mehr losschreien und Türen zuschlagen!

Unser Gehirn liebt schnelle, effiziente Wege, also bevorzugt es die Autobahnen unter den neuronalen Verknüpfungen – vor allem, wenn es schnell gehen muss. Dabei ist es ihm egal, ob das Verhalten, das dabei herauskommt, angemessen oder ungünstig ist. Jedes Mal, wenn es uns Erwachsenen also gelingt, anders zu reagieren, als unser eingefahrenes Muster es vorgibt, können wir uns selbst auf die Schulter klopfen. Dann haben wir wieder einen großen Beitrag zum Ausbau des neuen nervlichen Wegenetzes in unserem Kopf geleistet.

Trigger: warum die Theorie so viel leichter ist als die Praxis

Das klingt jetzt alles erst einmal ganz einfach: den eigenen Körper wahrnehmen, Gefühle regulieren und unser Kind begleiten. Doch warum ist das in der Praxis oft so viel schwieriger?

Vielleicht hast du schon einmal von dem Begriff „Trigger“ gehört. Ganz sicher hast du aber schon einmal eine Situation erlebt, in der durch irgendetwas eine starke emotionale Reaktion in dir ausgelöst wurde – etwas, das dich von jetzt auf gleich auf die Palme bringt, ohne dass du weißt, was genau da eigentlich gerade vor sich geht. Irgendwer oder irgendwas scheint einen Knopf in dir gedrückt oder einen Hebel betätigt zu haben, und schon nimmt die Achterbahnfahrt der Gefühle ihren Lauf.

Das kann das Verhalten eines anderen Menschen – vielleicht deines Kindes – gewesen sein, ein Geräusch, ein Geruch, ein Gedanke oder ein Gefühl. Diese wirken als Reize auf uns ein, die nicht einfach so von unserem inneren System durchgewunken und verarbeitet werden, sondern stattdessen eine Stressreaktion auslösen. Denn sie berühren in unserer Erinnerung sogenannte Triggerpunkte.

Triggerpunkte tragen wir alle in uns. Sie sind gewissermaßen die Narben alter, schmerzhafter Erfahrungen, die wir in der Regel in unserer eigenen Kindheit gemacht haben. Wenn du beispielsweise als Kind einmal großen Ärger für dein Geschrei in einer „Bananensituation“ bekommen hast, dann kann es sein, dass dich das in einen inneren Aufruhr versetzt hat und du dich als kleiner Mensch sehr geängstigt hast. Solche Situationen geschehen schnell und zumeist auch ohne böse Absicht. Sie können einfach passieren, auch wenn unsere Eltern und unsere engsten Bezugspersonen sich noch so viel Mühe gegeben haben, immer alles richtig zu machen.

Das Gehirn speichert diese Erfahrung als schlimm und verunsichernd ab und versieht das dazugehörige Gefühl gewissermaßen mit dem Etikett „Möchte ich nie wieder erleben“. Es kann dann passieren, dass durch einen Reiz – in unserem Beispiel dein schreiendes Kind – die alte Erfahrung angestoßen wird. Das versetzt dein Gehirn in einen Alarmzustand, woraufhin es eine Stressreaktion auslöst.

Während dein Kind also emotionalen Stress erlebt, steckst du vielleicht selbst mitten im Gefühlssturm. Dann ist es umso wichtiger, dir dessen bewusst zu werden, dir klarzumachen, dass die Situation gerade zwar nervig, aber nicht bedrohlich ist, und dich mit deinem Körper zu verbinden. Etwa durch bewusste Atmung oder das Konzentrieren auf ein Körperteil wie zum Beispiel deine Füße. Denn so komplex dein Gehirn auch ist, es kann nicht gleichzeitig bewusst etwas wahrnehmen und die Stressreaktion weiter ausleben.

Besonders kritische Tage

Es gibt diese Tage, an denen es nicht viel braucht, um an die Decke zu gehen. Das kennen wir von allen Familienmitgliedern: von Kindern, Papas und von Mamas. Es sind diese Tage, an denen wir vielleicht schon mit dem falschen Bein aufstehen, an denen wir insgesamt ungeduldiger und impulsiver sind.

Wenn wir genauer hinschauen, erkennen wir oftmals, dass diese Tage nicht einfach so aufkreuzen: Vielleicht waren wir Eltern an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden zu lange wach und sind müde. Möglicherweise hat unser Kind schlecht geschlafen oder hat in der Kita oder Schule etwas erlebt, das es bedrückt. Eventuell gibt es aber auch gerade einen Umbruch im Alltag, der uns aus dem Gleichgewicht bringt, oder eine tiefer liegende Ursache, eine Unzufriedenheit, die unsere Gewohnheiten auf den Kopf stellt.

Zuweilen reicht es auch schon aus, dass innerhalb einer Familie automatisch eine bestimmte Anzahl an einzigartigen Menschen zusammenkommt – einzigartige Menschen mit einzigartigen Bedürfnissen, Stimmungen und Gefühlen.

Die Art und Weise, wie es uns gelingt, mit mehr oder weniger ärgerlichen und enttäuschenden Situationen im Alltag umzugehen, bezeichnen wir als Frustrationstoleranz. Sie bestimmt, wann genau der Punkt erreicht ist, an dem das Fass überläuft und wir explodieren. Diese Schwelle ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, kann aber je nach Situation und Tagesform auch innerhalb einer Person variieren.

Wir stärken sie zum Beispiel, wenn wir als Kinder Enttäuschungen erleben, uns vertraute Personen dann aber dabei begleiten, die entstehenden Gefühle auszuhalten. Dass diese Eigenschaft jedoch auch ein Stück weit von der jeweiligen Persönlichkeit eines Menschen abhängt, steht außer Frage. Zudem brauchen Kinder viele Jahre, um zu lernen, mit den Gefühlen umzugehen, die durch Frustration ausgelöst werden. Und welcher Erwachsene kennt es nicht, wenn einem an einem Tag mit kurzer Zündschnur eine heftigere Reaktion entfährt, als wir es uns wünschen oder von uns erwarten?

Was also tun, wenn ein solcher „Zündschnurtag“ eintritt? Schauen wir uns dazu einmal an, wer in der Familie die Nerven verlieren kann und was wir dann konkret tun können.

Dein Kind hört einfach nicht

Kennst du diese Situation: Du redest und redest, aber dir hört anscheinend niemand zu? Wenn meine Söhne auf Hochtouren laufen, frage ich mich manchmal, ob ich vielleicht aus Versehen unsichtbar – oder besser gesagt, unhörbar – geworden bin. Es gibt Momente, da dringe ich einfach nicht zu ihnen durch.

In solchen Momenten kann es passieren, dass Gefühle wie Wut und Hilflosigkeit in uns Mamas aufsteigen. Heute weiß ich, dass diese Gefühle eine Botschaft sind. Sie wollen uns darauf hinweisen, dass eines unserer seelischen Grundbedürfnisse verletzt ist. Aber das erklärt einem in der Regel leider niemand; wir müssen es selbst herausfinden.

Uns ist in solchen Situationen oft nicht bewusst, dass da vor uns kein erwachsener Mensch steht, von dem wir ein ähnliches Maß an Einfühlungsvermögen und ähnliche Verhaltensweisen erwarten können wie von uns selbst. Alle Menschen handeln im Rahmen ihrer Möglichkeiten – auch Kinder. Diese Möglichkeiten sind andere als unsere. Vielleicht ist die Aufmerksamkeit deines Kindes gerade auf etwas vollkommen anderes gerichtet.

Manchmal neigen wir Eltern nämlich dazu, mit unseren Anliegen einfach so „hereinzuplatzen“, ohne darauf zu achten, ob unser Kind gerade in irgendetwas anderes vertieft ist. Das ist verständlich, schließlich haben wir immer ganz schön viele Programmpunkte auf unserer Agenda und möchten so viele wie möglich davon abarbeiten.

Oft sind es zu viele, sodass wir das Gefühl für uns selbst, für Erschöpfung, aber eben auch manchmal für unser Kind verlieren. Das ist vollkommen normal in unserer hektischen Zeit, aber es muss nicht so sein. Mit dem Lesen dieser Zeilen schaffst du dir bereits ein neues Bewusstsein für diese Zusammenhänge; damit ist schon viel erreicht. Detaillierte Tipps und Inspirationen, wie du deine täglichen Verpflichtungen in den Griff bekommst, findest du im Kapitel „ Generalüberholung für deine To-do-Liste“.

Du kannst zum Beispiel in einem ersten Schritt damit beginnen, deine täglichen Aufgaben um ein bis drei Punkte zu reduzieren. Das erfordert ein wenig Übung und den Mut, loszulassen. Dabei kann dich die Frage unterstützen, wie wichtig eine bestimmte Aufgabe wirklich ist. Du darfst da sehr ehrlich zu dir sein: Musst du tatsächlich so viel schaffen und erledigen oder willst du es? Das ist ein feiner, aber sehr bedeutender Unterschied, der dich von Hilflosigkeit, Passivität und Überforderung zurück in den Bereich von Einfluss und Kraft holt.

Ordnung, Leistung und das Abarbeiten von Aufgaben kann uns auf der einen Seite Sicherheit geben, doch wenn der Fokus darauf zu stark wird, können wir auf der anderen Seite enormen (und ungesunden) Druck aufbauen. Wenn es dir gelingt, wirklich wichtige von weniger wichtigen Aufgaben zu unterscheiden und einen Teil davon loszulassen, auf später zu verschieben oder abzugeben, dann verringerst du diesen Druck. So schaffst du dir innerlich Raum, um bewusst wahrzunehmen, wie es dir und deinem Kind gerade geht.

Achte außerdem darauf, ob es bei deinem Kind gerade passt, oder ob in ein paar Minuten ein günstigerer Moment ist. Es kann auch sehr hilfreich sein, erst mal auf das einzugehen, was dein Kind gerade tut, und es gewissermaßen in dieser Situation abzuholen. Vielleicht sagst du so etwas wie „Oh, was malst du denn da gerade?“ oder im Falle wild spielender Kinder: „Hey, ihr habt aber viel Energie, ihr müsst wohl gerade ordentlich toben.“

Wenn es extrem aktiv ist, dann kann es mitunter sehr mühsam sein, zu deinem Kind durchzudringen. Du kannst probieren, ein wenig mit in sein Spiel einzusteigen und es von hoher Aktivität in etwas ruhigere Gewässer zu begleiten. Wenn gerade wildes Toben angesagt ist, dann geht zum Beispiel gemeinsam auf die Jagd und übt euch im leisen Anschleichen und Auf-die-Lauer-Legen. So wird es automatisch ruhiger.

Das erfordert ein bisschen Geduld, manchmal etwas Kreativität und natürlich Kraft. Aber wenn deine Akkus einigermaßen geladen sind und dir in solchen Augenblicken ein anderer Umgang mit deinem Kind gelingt, entspannt das nicht nur die gesamte Situation – ihr stärkt zudem eure Beziehung und du wirst feststellen, dass die spielerische Lösung auch in dir Anspannung lösen kann.

Dein Kind hört trotz allem nicht zu

Kinder wollen grundsätzlich kooperieren. Das heißt, sie möchten intuitiv ihren Beitrag zu einem harmonischen Miteinander leisten. Schließlich sind wir Menschen Gemeinschaftswesen – auch die kleinsten. Dennoch können einem reibungslosen Miteinander von Eltern und Kind noch einige Einflussfaktoren im Weg stehen.

Vielleicht ist das Bedürfnis deines Kindes gerade ein anderes. Dann stellt es sich in diesem Moment nicht gegen dich, sondern tut etwas für sich. Von uns wird dieses Verhalten aber schnell als Aufsässigkeit bewertet. Das geschieht oftmals aufgrund von alten Überzeugungen, die noch aus der Erziehung früherer Generationen in uns mitschwingen, etwa: Es will nur seine Grenzen austesten.

Solche Sätze erzeugen Angst in uns, selbst wenn sie nur flüchtig durch unseren Kopf huschen. Wir denken daraufhin vielleicht Dinge wie „Wenn ich das jetzt durchgehen lasse, dann macht mein Kind das immer so“ oder „Mein Kind muss mir und anderen Menschen Respekt entgegenbringen“.

Selbst in den Köpfen der modernsten und aufgeschlossensten Eltern flammen derartige Gedanken manchmal auf. Das ist absolut verständlich, und dafür muss sich niemand schämen. Doch wir dürfen unserem Kind einen Vorschuss an Vertrauen geben. Denn wenn wir ein respektvolles Miteinander vorleben, wird unser Kind dieses automatisch erlernen und für sich übernehmen. Zudem kann in oder nach solchen Situationen eine kleine Evaluation hilfreich sein: Wie respektvoll sind wir mit unserem Kind gewesen, und haben wir darauf geachtet, wie wir es ansprechen?

Dein Kind kooperiert nicht: müde oder gekränkt?

Manchmal gibt es aber auch Situationen, in denen dein Kind trotz allem Einfühlungsvermögen deinerseits nicht kooperiert und dir nach wie vor kein Gehör schenkt. Dieses Verhalten hat – wie alle menschlichen Verhaltensweisen – einen Grund.

Möglicherweise hat dein Kind an diesem Tag schon sehr viel kooperiert, ohne dass es dir bewusst ist. Es ist morgens zu der Zeit aufgestanden, die du und der Alltag vorgegeben haben, es hat sich angezogen, die Zähne geputzt und für den Tag fertig gemacht. Es war in der Kita oder in der Schule und hat sich dort für viele, viele Stunden an Regeln gehalten. Es ist gut möglich, dass dein Kind gerade einfach nicht mehr mit dir zusammenarbeiten kann, weil sein Kooperationsakku erschöpft ist. Abends fehlt Kindern zudem – genau wie uns auch – oft die Energie, um zu kooperieren und auf die Wünsche anderer einzugehen.

Wenn dein Kind nicht auf dich hört, obwohl du freundlich und einfühlsam bist und es ausgeruht und satt ist, dann kann es sein, dass es sich durch irgendetwas gekränkt, verärgert oder beschämt fühlt. Vielleicht gab es zu einem früheren Zeitpunkt einen Konflikt oder einen Wortwechsel zwischen euch, den du gar nicht wirklich zur Kenntnis genommen hast, den dein Kind aber noch mit sich herumträgt.

Dann ist sein Verhalten keine Retourkutsche. Es ist die einzige Strategie, die dein Kind im Rahmen seiner Entwicklung zur Verfügung hat, um dir zu signalisieren, dass es ihm nicht gut geht.

Wenn du eine Idee hast, woran es liegen könnte, dann sprich es an. Versuche, nicht zu bewerten, ob der Auslöser in deinen Augen vielleicht eine Lappalie war. Was für uns vermeintliche Kleinigkeiten sind, sind für unsere Kinder oftmals wichtige Punkte.

Frage dein Kind, ob es wütend auf dich ist oder ob etwas passiert ist, was dafür sorgt, dass es ihm gerade nicht gut geht. Du baust so eine Brücke zwischen euch. Oft kommt auf eine solche Nachfrage auch eine Antwort. Dann habt ihr eine Ebene, auf der ihr euch treffen und reden könnt. Kinder schmollen in solchen Augenblicken nicht einfach – sie wissen oft selbst gar nicht so genau, was in ihnen vorgeht, und brauchen einen Erwachsenen, der ihnen dabei hilft, ihre Gefühle zu benennen und gemeinsam aus der Situation zu kommen.

Dein Kind flippt ständig aus

Schuhe zubinden, Reißverschluss schließen, ein kleinteiliges Puzzle lösen oder ein kompliziertes Bauwerk kreieren: Etwas, was dein Kind seinem Alter entsprechend eigentlich schon ganz gut beherrscht, treibt es an diesem Tag zur Weißglut. Vielleicht klingt das für dich im ersten Moment unangenehm, aber: Alles steht und fällt mit deinen Kraftreserven. Denn wenn du selbst erschöpft und gereizt bist, dann wird dir das Verhalten deines Kindes ziemlich schnell enorm auf den Wecker gehen – verständlicherweise.

Überprüfe einmal schnell deine Basics: Hast du ausreichend getrunken, bist du satt und einigermaßen ausgeruht? Oder kannst du vielleicht schnell noch etwas für dein Wohlbefinden tun? In akuten Situationen hilft es zunächst, tief durchzuatmen und möglichst gut mit dir und deinem Körper in Verbindung zu bleiben. Wenn du merkst, dass heute grundsätzlich ein eher schwieriger Tag ist, dann sorge besonders gut für dich und deine Kraftreserven. Das muss gar nicht langwierig und mit hohem Aufwand verbunden sein.

Oft unterschätzen wir den Einfluss, den unser Körper auf unser Wohlbefinden, unsere Gelassenheit und unsere Geduld hat. Viele Strategien für eine gute und solide Selbstfürsorge sind simpel, aber sehr wirkungsvoll. Wenn du jeden Tag so gut wie möglich auf die folgenden drei Punkte achtest, kannst du dein Wohlbefinden und deine Belastbarkeit schnell steigern:

Nimm ausreichend Flüssigkeit zu dir. Wenn du oft vergisst, etwas zu trinken, dann erstelle eine Erinnerung in deinem Handy und sorge dafür, dass du immer ein Glas oder eine Flasche mit Wasser oder Tee griffbereit hast.

Nasche Nüsse, Gemüsesticks oder geröstete Kichererbsen anstatt Schokolade oder andere Süßigkeiten. Diese sind zwar oft schneller griffbereit, jagen aber den Blutzuckerspiegel schnell und rasant in die Höhe. Das sorgt dann für ein kurzzeitiges Hoch, im Nachhinein macht es uns aber eher müde und gereizt und wir brauchen schnell den nächsten „Kick“.

Aktiviere mehrmals am Tag deinen Körper: Recke und strecke dich, hüpfe auf der Stelle oder gehe ein paar Meter. Das macht dich wacher und löst Verspannungen.

Vielleicht hattest du auch bestimmte Erwartungen daran, wie beispielsweise euer Morgen oder Nachmittag ablaufen sollte. Nun macht dir aber das Gemüt deines Sprösslings einen Strich durch die Rechnung und du empfindest Enttäuschung und bist genervt. Das ist verständlich. Lass in dem Moment deine Erwartungen los. Manchmal ist eben der Wurm drin und nichts klappt so, wie wir es uns wünschen.

Um dich im Loslassen zu üben, kannst du dir ein Mantra zunutze machen. Mantras finden hauptsächlich im Hinduismus, im Buddhismus und beim Yoga Verwendung; den heiligen Formeln wird eine spirituelle Kraft zugesprochen. Doch wir können auch bestimmte „Mama-Mantras“ für unseren Alltag nutzen, indem wir uns selbst stärkende Worte zusprechen. Denn die Art und Weise, wie wir mit uns selbst sprechen, beeinflusst nachweislich, wie wir uns fühlen. Eines meiner liebsten Mama-Mantras für solche Tage und Situationen lautet: „Ich atme ein, ich atme aus, ich lasse los.“

Wenn du solche Sätze in deinem Kopf wiederholst und sie dazu noch mit der entsprechenden Atembewegung abstimmst, sprichst du dir selbst nicht nur Ermutigung und Entspannung zu, du regulierst auch deine eigenen Gefühle und fährst innerlich runter. Einatmen: „Ich atme ein.“ Ausatmen: „Ich atme aus. Ich lasse los.“ Den letzten Satz kannst du noch ein wenig mit in die kurze Pause ziehen, die vor dem nächsten Einatmen liegt.

Wenn das Verhalten deines Kindes in dir starke Gefühle wie Wut auslöst, dann atme tief in den Bauch ein und aus – das schickt deinem vegetativen Nervensystem das Signal, dass alles in Ordnung ist und fährt die Stressreaktion zurück. Dann versuche dir bewusst zu machen, dass sich die emotionalen Entladungen deines Kindes nicht gegen dich persönlich richten. Es bringt damit seine eigene Stimmung zum Ausdruck und signalisiert, dass es ihm nicht gut geht. Das tut es so gut es kann und mit den Strategien, die ihm bislang zur Verfügung stehen.

Schaffst du es, einigermaßen gelassen zu bleiben? Dann spiegele deinem Kind, was du wahrnimmst: „Wow, du bist gerade ganz schön genervt.“ Jeder von uns – und insbesondere Kinder – wollen gesehen und ernst genommen werden. Insbesondere in emotionalen Situationen hilft uns ein solches wertungsfreies Spiegeln durch einen anderen Menschen dabei, uns selbst besser zu verstehen und uns entsprechend zu beruhigen.

Wenn dein Kind noch sehr jung, also im Kleinkind- oder Kitaalter ist, dann kann es sein, dass du es für einige Zeit durch den Gefühlssturm begleiten musst, bis sich sein emotionales Gehirn beruhigt hat und es wieder Zugriff auf sein rationales Denkvermögen hat. Dieses ist bei sehr kleinen Kindern ohnehin noch nicht ausgereift.

Wenn die Gefühle also Achterbahn fahren, dann bringt es nichts, rational zu argumentieren, denn dein Kind ist gar nicht in der Lage, deine Worte aufzunehmen. Wir kennen das selbst auch: Wenn wir zum Beispiel gerade sehr wütend oder aufgebracht sind, dann machen es die rationalen Einwände anderer oft nur noch schlimmer. Für logische Analysen ist immer noch genug Zeit, wenn dein Kind sich wieder etwas beruhigt hat.

Jedes Verhalten hat einen Grund

Mamasein ähnelt ziemlich oft akribischer Detektivarbeit. Doch es lohnt sich, nach der Ursache für das Verhalten deines Kindes zu forschen. So kommt man nämlich idealerweise miteinander ins Gespräch, stärkt die Beziehung und findet eine Lösung, anstatt sich genervt, enttäuscht und unverstanden hinter Fronten zu verschanzen.

Wenn dein Kind also an einem Tag oder in einer Phase permanent ausflippt, dann wird es einen Grund dafür geben – auch wenn dieser für dich zunächst nicht offensichtlich ist. Dieser Aspekt wird dir in diesem Buch noch häufiger begegnen, denn unsere erwachsene Interpretation des Verhaltens unserer Kinder führt ziemlich oft zu Missverständnissen und noch mehr Stress.

Manchmal können es simple Auslöser wie Müdigkeit oder Hunger sein, die dein Kind ungeduldig und leicht reizbar machen. Das kennen viele von uns schließlich selbst: Sind wir hungrig oder müde, fehlt uns die Kraft, unsere Impulse gut zu kontrollieren.

Vielleicht erinnerst du dich auch noch an die Entwicklungssprünge, die dein Kind als Baby durchgemacht hat. Auch in diesen Phasen war es eventuell oft tagelang schlecht drauf und hat scheinbar erst einmal Rückschritte gemacht. Wenn der Sprung dann vollzogen war, herrschte wieder Sonnenschein und dein Kind beherrschte eine neue Fähigkeit. Auch älteren Kindern können Phasen der Weiterentwicklung und des inneren Umbruchs aufs Gemüt schlagen.

Zu einem anderen Zeitpunkt steckt dann vielleicht etwas mehr dahinter: ein Streit in der Kita oder der Schule, oder unser Kind fühlt sich von uns nicht gesehen. Insbesondere Letzteres kann eintreten, selbst wenn wir das Gefühl haben, unserem Sohn oder unserer Tochter ausreichend Aufmerksamkeit zu schenken. Ich gehe in dem Kapitel „Die Bedeutung von Aufmerksamkeit und Zuwendung“ detailliert auf dieses Thema ein.

Vielleicht gab es auch vor einiger Zeit einen kleineren oder größeren Umbruch in eurem Leben: etwa einen Kita- oder Schulwechsel, einen Umzug oder irgendeine andere Veränderung. Diese kann in deinen Augen auch schon eine Weile zurückliegen und abgehakt sein. Es ist dennoch möglich, dass dein Kind noch daran zu knabbern hat und sich das durch sein Verhalten zeigt: Es weiß sich nicht anders zu helfen und kann dir (noch) nicht anders signalisieren, dass es ihm nicht gut geht.

Auch die Geburt eines Geschwisterkindes ist ein großer Umbruch im Leben eines kleinen Menschen. Unabhängig davon, ob das erstgeborene Kind sein neues Geschwisterchen offensichtlich liebt und als Familienmitglied akzeptiert, kann es innerhalb des ersten Jahres nach der Geburt und auch noch weit darüber hinaus zu einem inneren Konflikt bei dem älteren Kind kommen. Tipps zum Umgang mit einer solchen Situation findest du im Kapitel „Zanken, Hauen, Eifersucht: Geschwisterstreit“.

In Zeiten, in denen uns unser Kind „schwierig“ erscheint, neigen wir dazu, uns eine negative Brille aufzusetzen. Dann ist es beinahe so, als würde unsere Wahrnehmung gefiltert und wir würden all die Situationen, in denen wir mit dem Nachwuchs aneinandergeraten, überdeutlich und verstärkt wahrnehmen.

Wenn wir da nicht gegensteuern, kann es sein, dass darüber all die wunderbaren kleinen Begebenheiten, die gerade gut laufen, in den Hintergrund geraten. Dann bekommen wir ein verzerrtes Bild – von unserem Kind und von der Gesamtsituation.

Wir tun uns und der Beziehung zu unserem Kind einen riesigen Gefallen, wenn wir uns in einer solchen Situation bewusst auf das Gute fokussieren und es in unserer Wahrnehmung wie mit einer Lupe vergrößern: jedes Kooperieren, jedes freundliche Wort, jeden Moment, in dem unser Kind zum Anbeißen hinreißend ist. Das bringt uns innerlich ins Gleichgewicht, lässt uns wohlwollender sein und kurbelt die Ausschüttung von Oxytocin an, dem sogenannten Kuschelhormon. Dies stärkt die Bindung zu unserem Kind, verhindert, dass wir nachtragend reagieren, reduziert Stress und entspannt uns. Unter www.momtowow.de/zusatzmaterial findest du eine kurze Meditation, in der du dich mit diesem Gefühl verbinden kannst.

Du verlierst die Geduld

Auch auf dich können die Dinge, die ich in den Abschnitten zuvor über dein Kind geschrieben habe, zutreffen. Oftmals sind wir darauf konditioniert, zu funktionieren und bloß kein auffälliges oder unbequemes Verhalten an den Tag zu legen. Schließlich haben wohl die meisten von uns in ihrer Kindheit gelernt, sich anzupassen, die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren und unangenehme Gefühle zu unterdrücken. Wir erwarten von uns selbst einen reibungslosen Betriebsablauf und tun uns schwer damit, uns vermeintliche Schwächen ein- sowie Zeit zuzugestehen, um bestimmte Geschehnisse zu verarbeiten oder uns in neue Situationen einzufinden.

Schau deshalb genau hin: Gab es in den vergangenen Tagen, Wochen oder Monaten irgendetwas, das dich aufgewühlt, gekränkt, besorgt oder anderweitig emotional berührt hat? Wir Mamas managen Tag für Tag so viel, sind für andere da und haben häufig den Anspruch, niemals ins Wanken zu geraten. Dabei ist es ein Irrtum, dass wir nur dann gut für andere da sein können, wenn wir uns keine Schwächen und Gefühle wie Verunsicherung zugestehen.

Unsere Kinder dürfen uns sehr wohl in einem gewissen Maß der Verunsicherung erleben, und wir dürfen sie ihrem Alter entsprechend daran teilhaben lassen, wie es uns geht und wie wir konstruktiv mit derartigen Ereignissen umgehen. Sie werden daraus für ihr eigenes Leben lernen.

Wenn es tiefe Einschnitte in deinem Leben gab, wie etwa den Verlust deines Arbeitsplatzes, den Tod eines geliebten Menschen, eine Trennung oder Vergleichbares, dann kann es immer gesund und hilfreich sein, sich die professionelle Unterstützung eines Coaches oder Therapeuten zu holen.

In einer Stresssituation brauchst du in den meisten Fällen erst einmal einen Notausgang. Der führt über dein Körpergefühl. Je eher du erkennst, dass dein Stresspegel ansteigt, desto eher kannst du die Situation unterbrechen: Verlasse dafür kurz den Raum, sofern dein Kind auch ohne Aufsicht in Sicherheit ist. Gehe raus aus der Situation, nimm drei tiefe Atemzüge und sammele dich. Achte anschließend bewusst auf deinen Körper. Vielleicht weißt du auch jetzt gerade, wie es sich in etwa anfühlt, wenn du in die Stressspirale gerätst. Ansonsten beobachte dich in der nächsten emotionsgeladenen Situation einmal selbst:

Wo fühlst du die Anspannung in deinem Körper?

Welche Regionen deines Körpers fühlen sich eng an?

Wo spürst du Druck?

Welche Muskeln spannen sich an?

Wie fließt dein Atem?

Welche Gedanken jagen durch deinen Kopf?

Du kannst dir deine Stressreaktion wie einen Weg vorstellen, der in engen Kurven auf einen steilen Berg hinaufführt: Selten werden wir von null auf hundert steil nach oben katapultiert. In der Regel schrauben wir uns – bildlich gesprochen – über einen gewissen Zeitraum hinweg immer weiter in Richtung Decke. Meistens ist die Situation, in der wir dann tatsächlich ausflippen, gar nicht der eigentliche Auslöser dafür, dass wir plötzlich lospoltern. Sie ist der altbekannte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Wenn du also durch ein wenig Beobachtung die Kurven deines Weges auf den Stressgipfel besser kennenlernst, kannst du üben, aus der Situation auszusteigen: körperlich und räumlich – aber auch mental, indem du dir bewusst machst, dass die Situation gerade zwar nervig, aber nicht bedrohlich ist.

Nimm schwierige Phasen an – und hole dir Unterstützung

Gestehe auch dir selbst Tage und Phasen zu, in denen es dir nicht gut geht. Jede von uns erlebt Zeiten, in denen sie mit (noch mehr) Herausforderungen zu kämpfen oder Schwierigkeiten zu bewältigen hat; das ist vollkommen okay und natürlich. Hole dir so viel Unterstützung, wie du bekommen kannst: von deinem Partner, von der Familie, von Freundinnen oder öffentlichen Angeboten.

Wir Mamas haben oft das Gefühl, dass wir alles allein schaffen müssen. Doch das ist ein Trugschluss. Wir zeugen unsere Kinder nicht allein, und wir müssen sie auch nicht vollkommen allein großziehen. Darauf sind wir als soziale Gruppenwesen gar nicht ausgelegt. Auch für die Kinder ist es wichtig und gesund, mehr als nur eine verlässliche Bezugsperson zu haben. Für viele Menschen ist es eher ein Privileg als eine Bürde, andere zu unterstützen – insbesondere, wenn es um die Kinder geht.

Wir dürfen also unsere Ängste, anderen zur Last zu fallen, ein Stück weit loslassen. Dabei kann es hilfreich sein, uns selbst einmal ehrlich zu fragen, ob wir denn ganz sicher wissen, dass beispielsweise die eigenen Eltern oder die des Partners uns nicht gerne unterstützen, oder ob das nur ein Gedanke in unserem Kopf ist. Wenn wir es nicht sicher wissen, können wir nachfragen. Das erfordert vielleicht ein wenig Überwindung, aber oftmals dürfen wir in offenen Gesprächen mit Verblüffung feststellen, dass all unsere Sorgen unbegründet waren.

In den allermeisten Fällen sorgt es für eine stärkere Verbindung und schafft tiefere Beziehungen, wenn wir uns unseren Mitmenschen gegenüber öffnen und verletzlich zeigen. Wenn wir also die Sorge haben, jemandem zur Last zu fallen, und ein offenes Gespräch suchen, um diese Sorge gegebenenfalls auszuräumen, ist es hilfreich, auf ein paar Aspekte zu achten:

Wenn wir von uns und unseren Gefühlen sprechen, dann sollten wir das mithilfe von Ich-Botschaften tun. Sie schildern unser Empfinden und unsere Eindrücke, anstatt unserem Gegenüber vielleicht unbeabsichtigt einen Vorwurf zu machen. Anstatt etwa zu sagen „Du gibst mir das Gefühl, dass du keine Lust hast, einen Nachmittag auf mein Kind aufzupassen“ können wir sagen „Ich habe die Sorge, dass ich zu viel von dir verlange, wenn ich dich bitte, mich zu unterstützen. Ich habe Angst, meine Bitte könnte unangemessen sein. Kannst du mir bitte sagen, ob ich damit richtig oder falsch liege?“.

Es ist immer hilfreich, konkret nachzufragen, um unsere Sorgen auszuräumen, und dabei das Verhalten des anderen nicht zu bewerten, sondern unsere eigenen Empfindungen zu kommunizieren.

Deine Bedürfnisse – was brauchst du gerade?

Wenn du dich als dünnhäutig, gereizt und ungeduldig erlebst, dann hat das einen Grund. Im trubeligen Familienalltag bleibt oftmals wenig Zeit übrig – so wenig, dass wir zuweilen nicht dazu kommen, uns selbst einmal aufrichtig und interessiert zu fragen, wie es uns gerade geht. Wir wirbeln von Aufgabe zu Aufgabe, von Termin zu Termin und von Bedürfnis zu Bedürfnis – doch selten geht es dabei um uns.

Vielleicht ahnen wir auch schon irgendwie, dass die Wurzel zu unserer Stimmung und damit auch der Schlüssel zur Lösung in uns liegen. Dennoch halten wir kaum freiwillig inne, um uns uns selbst und dem, was da gerade in uns los ist, zuzuwenden.

Die Gründe dafür? Vielleicht haben wir es nicht gelernt, uns in dieser Hinsicht um uns zu kümmern, oder wir haben es im Laufe unseres Heranwachsens verlernt. Möglicherweise ahnen wir, dass es schmerzhaft sein könnte, festzustellen, dass wir uns selbst und unsere Bedürfnisse stark zurückstellen. So stark, dass wir nicht einmal dazu kommen, uns bewusst zu fragen, wie es uns gerade geht.

Vielleicht steckt dahinter auch das Gefühl von Hilflosigkeit. Das kann entstehen, wenn uns bewusst wird, dass unser Leben gerade nicht in für uns gesunden Bahnen verläuft, wir jedoch nicht auf Anhieb eine Lösung für diese Herausforderung erkennen. Wie eine Schnecke ziehen wir lieber schnell den Kopf zurück in unser Häuschen oder strecken ihn gar nicht erst heraus.

Doch dann haben wir auch keinen Blick für Lösungsmöglichkeiten und Perspektiven. Denn Angst und Sorgen sind Gefühle, die unseren inneren Horizont verengen. Wir verharren dann im Istzustand und haben kaum eine Chance, die Veränderung herbeizuführen, die wir eigentlich so dringend bräuchten.

Dieses Verhalten ist logisch, denn unser Gehirn möchte uns vor noch mehr Unwägbarkeiten bewahren – und Veränderung bedeutet immer ein gewisses Maß an Ungewissheit, selbst dann, wenn unser Verstand eigentlich weiß, dass sie gut für uns ist.

Wenn du wieder mit dir in Verbindung trittst, dann ist das vielleicht erst einmal schmerzhaft, weil dann möglicherweise Gefühle aufsteigen, die schon lange gefühlt werden wollen. Wir alle brauchen Zuwendung und aufrichtiges Interesse – auch und insbesondere von uns selbst. Du darfst es betrauern, so lange nicht wirklich mit dir in Kontakt gewesen zu sein. Vielleicht hilft es dir, dich innerlich selbst dafür um Verzeihung zu bitten.

Selbst wenn sich diese Form der inneren Arbeit für dich zunächst fremd und ein wenig seltsam anfühlen mag, so ist sie doch hochwirksam und wird dir Trost und Stärke schenken. Stell dir selbst einmal die Frage, was du gerade brauchst. Was fehlt dir, um dich ausgeglichen, zufrieden, stark und zuversichtlich zu fühlen? Dein System kennt die Antworten. Alle Gefühle, die dabei auftreten, sind wichtig, natürlich und vollkommen in Ordnung. Nimm sie wahr und notiere sie. Das hilft dir dabei, sie zu ordnen und zu bewältigen.

Notiere dir außerdem alle Möglichkeiten, die dir einfallen, um deine Situation zu verändern und dafür zu sorgen, dass du das bekommst, was du gerade brauchst – ganz gleichgültig, wie unrealistisch und abwegig sie dir gerade erscheinen mögen. Es geht bei dieser Übung zunächst nur darum, deine Perspektive wieder zu öffnen, ins aktive Erleben der Gedanken zu kommen und dir klarzumachen, dass es theoretisch einen Ausweg gibt.

Erst im zweiten Schritt prüfst du, welche Möglichkeiten tatsächlich infrage kommen, um dein Bedürfnis zu erfüllen, und welche einzelnen Schritte für die Umsetzung nötig sind. Notiere auch diese so kleinteilig und detailliert wie möglich und suche dir anschließend die Option heraus, die du zuerst angehen möchtest. Plane sie genau und beginne dann mit der Umsetzung.

Ein Beispiel könnte sein, dir eine halbe Stunde am Tag nur für dich zu nehmen. Halte entsprechend fest, was du brauchst, um diese halbe Stunde realisieren zu können – auch emotional. Brauchst du die Sicherheit vonseiten deines Partners oder einer anderen Person, damit dir während dieser Zeit der Rücken freigehalten wird? Es ist immer gut, dir einen Verbündeten mit ins Boot zu holen, der dich unterstützt. Wir sind keine Einzelkämpferinnen, die alles allein schaffen müssen.

Familie ist ein Mannschaftssport – sie lebt davon, dass alle zusammenspielen und sich gegenseitig unterstützen. Sprich also mit Menschen aus deiner Mannschaft. Wenn dein Kind oder deine Kinder schon groß genug sind, um sie miteinzubeziehen, dann sprich auch mit ihnen – nicht, um dich für diese Zeit zu entschuldigen, sondern um ihnen zu erklären, dass es für dich wichtig ist, aufzutanken und Raum für dich zu haben. Sie werden dadurch von dir lernen, weil du ihnen auf diese Weise Selbstfürsorge vorlebst. Passe deine Erklärung ihrem Alter an – doch bereits Kleinkinder sind viel einsichtiger, als wir oftmals denken.

Plane deine Zeit für dich

Überlege dir ganz genau, was du während dieser Zeit für dich tun möchtest. Lege dafür im Zweifelsfall eine weitere Liste an, auf die du schauen kannst. Dann gerätst du nicht in die Verlegenheit, in deiner freien Zeit entweder spontan nicht zu wissen, was du tun möchtest, oder von einer Vielzahl an Ideen überfordert zu werden.

Mach die Liste also lieber nicht zu lang; drei bis fünf Punkte reichen aus. Lege auch den Ort und die Zeit fest, wo und wann deine Zeit für dich stattfinden soll. Strukturiere alles so klar wie möglich: Du möchtest Gymnastik oder Yoga machen? Dann organisiere die Matte und lege bequeme Kleidung raus. Du möchtest lesen? Dann such schon einmal dein Buch heraus. Du möchtest Tagebuch schreiben? Halte dein Notizbuch und einen Stift bereit.

Je besser du dich vorbereitest, desto mehr unterstützt du dein Gehirn dabei, eine starke Annäherungsmotivation und Vorfreude zu entwickeln. Annäherungsmotivation bedeutet, dass du dich auf etwas zubewegst, anstatt in eine Vermeidung zu gehen. Sie ist mit einer Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin verbunden, der deine Motivation weiter steigert und dich so bei der Umsetzung deiner Pläne unterstützt.

Vorfreude wirkt dabei noch wie eine zusätzliche Schubkraft, denn auch sie befeuert diesen Kreislauf aus Motivation und Dopaminausschüttung in deinem Kopf, was dir zu mehr Leichtigkeit verhilft und außerdem die angestrebte Veränderung tief in deinem Gehirn verankert. Es wird dir also leichterfallen, eine Routine für dich zu etablieren, und alles, was wir routiniert tun, kostet uns weniger Energie. So wird deine Selbstfürsorge zu einer Selbstverständlichkeit.

Vorbereitung und Motivation helfen dir außerdem dabei, das Phänomen zu überwinden, das wir gemeinhin als den „inneren Schweinehund“ bezeichnen. Das ist der Teil in uns, der es uns so schwer macht, etwas zu verändern, obwohl wir genau wissen, dass es besser für uns wäre. Er sorgt etwa dafür, dass wir mit dem Popo auf dem Sofa sitzen bleiben, anstatt endlich mal wieder Sport zu machen. Das tut er, indem er Gefühle wie Unsicherheit und Zweifel in uns auslöst, weil er sich vor Veränderung fürchtet. Nimm deinen kleinen, furchtsamen Schweinehund an die Pfote und sage ihm, dass er keine Angst haben muss: Du bist schließlich eine Mama und weißt, was du tust.

Bleib am Ball

Es wird auch immer wieder Tage oder sogar ganze Phasen geben, in denen sich etwas deiner Zeit für dich in den Weg stellt. Das ist ärgerlich, aber kein Drama – solange du dranbleibst und es immer und immer wieder angehst. Wenn du dir nicht sicher bist, was dir während deiner täglichen Auszeit guttun könnte, dann kannst du im Kapitel „Deine 30-Tage-Challenge“ viele unterschiedliche Achtsamkeitsund Auftankpraktiken ausprobieren und für dich genau das Richtige finden.

Vielleicht regen sich in deinem Kopf kritische Gegenstimmen, wenn du deine Pause planst und angehst. Möglicherweise meldet sich in deinem Bauch ein schlechtes Gewissen gegenüber deiner Familie oder du hast Angst, egoistisch zu sein, wenn du dir Zeit für dich nimmst. Weil das ein wirklich großes Thema für uns Mütter ist, das viel inneren Stress auslöst, gibt es dafür in diesem Buch das Kapitel „Schuldgefühle und Gewissensbisse“, in dem es ganz genau darum geht.

Lege nun dieses Buch einen Moment zur Seite und verfasse deine Möglichkeitenliste – du findest dazu auch ein kostenloses Arbeitsblatt unter folgendem Link: www.momtowow.de/zusatzmaterial. Erstelle die Liste selbst dann, wenn du erst einmal keine der Möglichkeiten nutzen und umsetzen möchtest. Du wirst merken, dass sich allein durchs Schreiben bereits etwas in dir in Gang setzt. Zudem bist du dann vorbereitet, wenn es ernst wird und du dich bereit für Veränderung fühlst.

Dein Partner geht an die Decke

Genauso wie wir hat auch unser Partner manchmal Tage, an denen er besonders dünnhäutig ist. Und ebenso wie wir hat auch er spezielle Situationen mit eurem Kind, die ihn auf die Palme bringen und triggern. Das dürfen (und sollten) wir uns immer wieder bewusst machen.

Glücklicherweise zeigt der Familienalltag oft, dass eigentlich immer ein Elternteil gelassen bleiben kann, wenn der andere keine Kraft mehr hat, um ruhig zu bleiben. Wenn du in solchen Momenten diejenige bist, die noch mehr Energie für euer Kind hat, dann nutze das und greife deinem Partner unter die Arme.

Manchmal geht das nicht so ohne Weiteres, weil er sich dann vielleicht übergangen fühlt oder deinen Einsatz in der Situation als übergriffig bewertet und befürchtet, du würdest ihm seine Kompetenz absprechen. Dann kann es sein, dass ihn seine verletzten Gefühle noch wütender machen.

Manche Elternteile geraten in Stressmomenten angesichts des anwesenden Partners noch mehr in Aufruhr, weil sie sich beobachtet fühlen und Kritik fürchten. Vielleicht kann dein Partner gelassener bleiben, wenn er in dem Moment allein mit eurem Kind ist und die Situation auf seine Weise lösen kann. Vielleicht ist es nicht der gleiche Weg, den du wählen würdest, doch muss seiner deshalb nicht unbedingt schlechter sein. Lass ihm den Raum für eigene Lösungsstrategien.

Falls es zwischen euch doch einmal eskalieren sollte, dann hilft ein klärendes Gespräch, sobald sich der Rauch wieder verzogen hat. Vermeide hierbei Anschuldigungen und Spekulationen und sprich stattdessen von dir und deinen Motiven. Erkläre deinem Partner, dass du kein Kompetenzgerangel im Sinn hast, sondern ihn in dem Moment einfach nur entlasten möchtest, damit ihr gut durch die anstrengende Situation kommt. Trefft klare Absprachen, wie ihr euch in Zukunft verhalten möchtet. Die Verständigung durch ein kurzes „Übernimm du“ oder ein „Soll ich einspringen?“ kann wahre Wunder wirken.

Es muss vollkommen klar sein, dass ihr ein Team seid, das zusammenspielt und sich nicht gegenseitig die Kompetenz als Elternteil absprechen möchte. Ihr müsst euch natürlich vor eurem Kind nicht unbedingt immer einig sein – das wäre ein ziemlich hoher und utopischer Anspruch, der noch nicht einmal sonderlich positiv für euren Nachwuchs ist. Doch wenn es sowieso schon lodert, sorgen Konflikte zwischen euch obendrein für Zündstoff. Dann kann eine Art „Elternkodex“ dabei helfen, euch in Stressmomenten mit dem Kind gegenseitig zu unterstützen.

Entspannung ist der Schlüssel

All die Punkte, bei denen es um Einfühlungsvermögen, Geduld und Verständnis geht, erfordern von uns Müttern, dass wir uns noch ein bisschen mehr strecken, als wir es ohnehin schon jeden Tag tun, um unseren Alltag mit all seinen Anforderungen zu bewältigen. Das ist eine Fähigkeit, die die meisten von uns wohl seit der Geburt unseres Kindes perfektioniert haben, und oftmals sind wir in Wirklichkeit auch viel stärker, als wir annehmen. Doch auch die Kräfte der stärksten Alltagsheldin sind irgendwann einmal erschöpft.

Wenn es uns gelingt, jeden Tag kleine Entspannungs- und Kraftinseln in unser Familienleben zu integrieren, dann speisen wir nicht nur kontinuierlich unseren eigenen Akku, sondern tun auch sehr viel für die Beziehung zu unserem Kind und zu unserem Partner. Denn die Energie, die wir so gewinnen und aufrechterhalten, verschafft uns die Möglichkeit, anders zu reagieren als aus Erschöpfung, Überforderung oder Frustration heraus.

Du kannst dir das so vorstellen wie bei einem dieser großen Apothekerschränke mit den vielen, vielen Schubladen. Wenn du müde und kraftlos bist, dann klemmen die meisten von ihnen. Du kannst dann in einer stressigen Situation nur die eine auf die Schnelle aufziehen, die du seit Jahren – wahrscheinlich seit deiner Kindheit – benutzt. Bist du hingegen ein bisschen ausgeruhter und hast auch etwas für dich getan, dann hast du die nötige Kraft, um auch andere Schubladen zu öffnen. Somit hast du eine Vielzahl anderer Möglichkeiten zur Verfügung.

Wie du mit kleinen, leicht umsetzbaren Maßnahmen nachhaltig mehr Kraft in deinen Alltag integrieren kannst, üben wir im Kapitel „Deine 30-Tage-Challenge“ gemeinsam Schritt für Schritt.

Schimpfwörter, Beleidigungen und Befehlston

Gegenseitige Wertschätzung, Freundlichkeit und Respekt – das sind wohl Werte, die jedem in seiner Familie wichtig sind. Dann lernt unser Kind sprechen, entwickelt einen eigenen Willen, und ehe wir’s uns versehen stehen wir einem kleinen Wutzwerg gegenüber, der uns „blöde Kacka-Mama“ nennt. Vielleicht gehörst du zu den Müttern, bei denen da schon innerlich die Alarmglocken anspringen. Vielleicht kannst du es auch gelassener sehen, bis dann spätestens in der Kitaund Grundschulzeit auf einmal Wörter aus deinem Kind herauspurzeln, bei denen dir die Ohren rot anlaufen oder du dich tatsächlich persönlich angegriffen fühlst.

Die meisten Eltern kommen früher oder später an den Punkt, an dem sie denken: „Jetzt reicht es!“ Das noch halbwegs niedliche Kacka-Gebrabbel hat eine Qualität erreicht, die starke Gefühle in ihnen auslöst. Eine Grenze ist erreicht, so geht es nicht weiter. Kommt dir dieser Gedanke bekannt vor?

Wenn wir in solchen Situationen erst einmal bei uns selbst ein wenig genauer hinschauen, können wir entdecken, dass hauptsächlich Angst und Sorge hinter unserer Entrüstung stecken. Wir sind dann nicht im Hier und Jetzt bei unserem Kind und seinen bösen Wörtern, sondern gedanklich und emotional bereits in einer Zukunft, in der unser Kind keinen Respekt vor seinen Mitmenschen hat und keine Grenzen kennt. Das ist verständlich, da wir alle das Bedürfnis nach Harmonie und Verbundenheit in uns tragen.

Zudem wünschen wir uns für unser Kind nur das Allerbeste und dass es zu einem Menschen heranwächst, der glücklich seinen Platz in der Gesellschaft einnimmt. Das ist ein schöner und wichtiger Wunsch, der zeigt, wie viel uns unser Kind bedeutet. Natürlich möchten wir auch alle respektiert werden, und in uns wird als soziales Wesen ein Alarmsystem aktiviert, wenn jemand mit seinem Verhalten den Frieden und das Miteinander der Gruppe bedroht. Wenn dein Alarmsystem sehr feinfühlig ist, dann springt es bereits bei unflätigen Ausdrücken und Beschimpfungen an; andere werden erst unruhig, wenn das Kind haut, tritt oder beißt.

Wenn dein Kind Kraftausdrücke benutzt und fiese Dinge zu dir sagt, dann versuche, innerlich einen Schritt zurückzugehen und dir zunächst deiner eigenen Gefühle bewusst zu werden, bevor du reagierst. Was ist deine eigentliche Sorge in diesem Moment? Mach dir klar, dass es mehr braucht als ein paar dahingesagte Schimpfwörter, um aus einem wütenden Kind einen aggressiven und ungehaltenen Erwachsenen zu machen, der sich nicht in die Gesellschaft einfügen kann. Natürlich kannst und sollst du deinem Kind sagen, dass du nicht möchtest, dass es so mit dir redet oder derartige Ausdrücke benutzt. Doch in einem akuten Moment wird Gegendruck das Problem eher verstärken.

Lies dir gerne auch den Abschnitt „Dein Kind kommandiert dich herum“ in diesem Kapitel durch. Darin verrate ich dir eine kurze Übung, mit der ich mich binnen weniger Sekunden für schwierige Momente mit kleinen Kommandeuren wappne.

Darum benutzt dein Kind Schimpfwörter

Kinder experimentieren, um zu lernen. Das tun sie mit allem – auch mit Sprache. Schimpfwörter sind interessant, weil Kinder ganz genau wahrnehmen, dass sie damit Unbehagen in uns Erwachsenen auslösen und dass sie an eine Grenze gehen. Sie wollen uns damit zunächst einmal nicht zu nahetreten oder provozieren, auch wenn das oftmals unsere Interpretation ist. Sie sind einfach nur neugierig und möchten sich ausprobieren. Sie wollen und müssen ein Gespür dafür bekommen, was in ihren Mitmenschen los ist, welche Gefühle sie mit ihren Handlungen in anderen auslösen und wie ihr Umfeld tickt.

Sprache dient allen Menschen zudem dazu, Abgrenzung und Zugehörigkeit zu signalisieren. Wenn wir uns mal an unsere eigene Kindheit und Jugend zurückerinnern, kam spätestens mit der Pubertät eine Zeit, in der wir den Erwachsenen mit unserer Ausdrucksweise klar gezeigt haben, dass wir uns jetzt einer anderen sozialen Gruppe zugehörig fühlen als der Ursprungsfamilie: unseren Freunden.

NIMM EINE ANDERE HALTUNG EIN

Wenn wir uns von unserem Kind provoziert fühlen, tauchen schnell ganz bestimmte Sätze in unserem Kopf auf: „Er will nur seine Grenzen austesten“ oder: „Wenn ich mir jetzt auf der Nase herumtanzen lasse, macht sie das in Zukunft immer so!“ Dann hilft es, sich mit einem einfachen Satz bewusst zu machen, wie Kinder ticken: Sie tun nichts gegen uns, sondern für sich. Es gibt Zeiten, in denen wir uns das wie ein Mantra immer wieder sagen dürfen.

Wenn dein Kind dich als „Kackafurz-Mama“ – eine der Standardbeschimpfungen meiner Söhne – oder Schlimmeres betitelt, musst du nicht jubeln und das toll finden. Keiner von uns wird gerne beschimpft. Doch wenn Neugierde und Ausprobieren nicht die Ursache für sein Verhalten sind, dann gibt es garantiert einen anderen Grund.

Dein Kind weiß vermutlich längst, dass gewisse Ausdrücke in eurer Familie unerwünscht sind. Es hat also eine Botschaft für dich. Wenn es dir nun aller Genervtheit zum Trotz gelingt, mit deinem Kind in Verbindung zu kommen, dann kannst du eure Beziehung extrem stärken.

Wirft dein Kind also in gewissen Situationen mit Kraftausdrücken um sich, dann ist das eine Strategie, um dir mitzuteilen, dass es ihm gerade nicht gut geht und dass emotional etwas in ihm vorgeht, das es allein nicht bewältigen kann. Es hat ein unerfülltes Bedürfnis und kann dir dies nur durch sein gezeigtes Verhalten signalisieren.

Die Strategien unserer Kinder erscheinen uns oft nicht besonders günstig, bringen sie uns doch zunächst meist noch mehr gegen sie auf. Doch es sind die einzigen, die sie ihrem Alter und ihrer Entwicklung entsprechend zur Verfügung haben. Hätten sie sozial verträglichere Methoden, würden sie sie nutzen, denn auch unsere Kinder tragen das tiefe Bedürfnis nach Zugehörigkeit in sich.

Das kannst du tun

Fasse in solch einer Situation zunächst in Worte, was du wahrnimmst: „Du bist ziemlich wütend. Du ärgerst dich gerade total über mich.“ Oder etwa: „Ich sehe, du ärgerst dich gerade sehr über deine Schwester.“ Indem du für dein Kind in Worte fasst, was gerade mit ihm los ist, spiegelst du sein Verhalten. Es fühlt sich dadurch gesehen und verstanden – Aspekte, die jedem Menschen dabei helfen, seine Gefühle zu regulieren, sich selbst besser zu verstehen und sich zu beruhigen. Das ist nicht nur bei Kindern so.

Außerdem ermutigst du dein Kind so dazu, mehr von dem zu zeigen, was es so aufwühlt. Wenn dein Kind bereits etwas älter ist, wird es dir sehr wahrscheinlich dann schon sagen können, was eigentlich los ist. Vielleicht platzt es mit einem Vorwurf heraus: „Nie hörst du mir zu!“ Du magst das vielleicht anders sehen, doch das ist das aktuelle Empfinden deines Kindes.

Diskutiere nicht, fahre keine Gegenargumente auf, sondern gib wieder, was du gehört hast und was du aufnimmst: „Du sagst, ich höre dir nie zu, und das ärgert dich sehr.“ Ihr seid nun miteinander in Verbindung und könnt davon ausgehend nach Lösungen suchen. Es ging deinem Kind in diesem Beispiel nicht um eine akute Kränkung, sondern darum, dir zu zeigen, dass es sich nicht gehört fühlt. Hinter seinen Schimpfwörtern steht das Bedürfnis nach Verbindung.

Bleib deinem Kind stets zugewandt. Es ist nicht leicht, den folgenden Schritt zu tun, wenn man gerade hochgradig genervt vom unflätigen Wortschatz des eigenen Nachwuchses ist, doch ich habe die Erfahrung gemacht, dass er sehr hilfreich ist: Wenn dein Kind Kraftausdrücke benutzt, ihr aber nicht in einer akuten Streitsituation seid, dann kannst du so tun, als ob du dich verhört hättest. Einer meiner Söhne sagte ein Zeit lang sehr oft „Du Dummi“ zu mir. „Was, ich bin ein Flummi?“, fragte ich dann immer mit gespielter Entrüstung. Spätestens nach dem dritten Mal mussten wir beide laut lachen.

Manchmal hilft es auch, wenn meine Söhne und ich vereinbaren, jetzt eine oder zwei Minuten lang alle unflätigen Ausdrücke herauszurufen, die uns in den Sinn kommen – wie eine kathartische Entladung. Ich mache dann gewissermaßen den Raum dafür auf, sie schimpfen sich ein bisschen aus, müssen dabei irgendwann ziemlich lachen, weil sie es so aufregend finden, und es geht ihnen besser. Durch solche Aktionen sowie durch gemeinsames Lachen löst sich innere Anspannung, die eine häufige Ursache für auffälliges kindliches Verhalten ist.

Die Entwicklungspsychologin Dr. Aletha J. Solter liefert zu diesem Thema in ihrem Buch Spielen schafft Nähe – Nähe löst Konflikte weitere gute Ideen. Zum Beispiel könntest du mit deinem Kind vereinbaren, dass es dir die Kraftausdrücke ins Ohr flüstert, wenn ihr in der Öffentlichkeit unterwegs seid. Oft ist es nämlich die Sorge davor, was andere von uns denken könnten, die uns extrem reagieren lässt. Dabei dürfen wir zuweilen selbst einmal einen aufrichtigen und liebevollen Blick auf unsere Ausdrucksweise werfen. Insbesondere am Steuer ihres Autos vergessen viele Eltern gerne mal ihre guten Vorsätze in puncto Schimpfwörter – ich bin da keine Ausnahme.

Dein Kind kommandiert dich herum

Einer meiner Söhne hat ein sehr ausgeprägtes Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit. Das merke ich im Alltag zum Beispiel daran, dass er – wie viele andere Kinder auch – nach einigen „Neins“ sehr dringend etwas braucht, worüber er entscheiden kann. Oft kommen dann zum Beispiel Sätze wie: „Dann will ich jetzt eine Süßigkeit oder etwas auf dem Tablet gucken.“ Ganz ehrlich? Solche Situationen und Forderungen können total nerven, und sie haben mich echt wütend gemacht, bis ich verstanden habe, was eigentlich dahintersteckt.

Bis zu dieser Erkenntnis haben sie mich überfordert und getriggert, weil ich mein Kind schon auf dem besten Weg zum Zucker- und Medienjunkie sah. Heute weiß ich, dass er in dem Moment im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht hat, für sich zu sorgen. Er hat öfter ein Nein gehört, war vielleicht – je nach Tageszeit – müde von der Kita und brauchte etwas, um seinen inneren Stress auszugleichen. Dann sind seine Forderungen entweder ein Versuch, für Entspannung zu sorgen, oder er möchte in die Selbstwirksamkeit kommen, indem er etwas bestimmen darf. Er versucht, das Gefühl der Machtlosigkeit auszugleichen.

Eigentlich ist ein solches Verhalten ziemlich kompetent: Das Kind weiß unbewusst, was ihm Entspannung oder das Gefühl von Einfluss geben würde, und versucht dementsprechend, für sich zu sorgen. Wenn wir als Eltern erkennen, was tatsächlich hinter einem bestimmten Verhalten steckt, dann können wir es benennen und anders darauf reagieren.

Heute habe ich die Dynamik des Verhaltens meines Sohnes verstanden. Ich kann gelassener reagieren, spiegeln, was ich wahrnehme, und ihm entsprechende Angebote machen. Ich sage dann zum Beispiel: „Es nervt dich, dass ich so viel bestimmt habe. Komm, wir finden etwas, das du nun tun kannst.“ Oder: „Ich habe den Eindruck, dass du dich entspannen und ausruhen möchtest. Sollen wir zusammen ein Buch lesen oder ein Hörspiel hören?“

Damit wir uns richtig verstehen: In Maßen und dem Alter der Kinder angemessen gehören Medien zu unserem Alltag dazu. Angesichts der heutigen Technologie sehe ich es so wie mit dem Wasser: Wir können versuchen, unsere Kinder davon fernzuhalten, damit sie nicht ertrinken, oder wir bringen ihnen das Schwimmen bei.

Ich finde es auch vollkommen okay, sich mal mit den Kindern bei einer Serie oder einem Film zu entspannen. Aber nicht in einer Situation, in der ich erkenne, dass mein Kind gerade etwas anderes stresst. Denn dann ist es wichtig, ihm Wege aufzuzeigen, um anderweitig gut für sich zu sorgen und sein Bedürfnis zu erfüllen: Bewegung, Freude durch Spiel, Malen oder Atmen zum Beispiel. Auch Zucker und Naschereien verteufele ich nicht – in Momenten, die von Konflikten losgelöst sind.

„Jetzt sofort!“

Vermutlich gibt es keine Mama, die bei diesen oder ähnlichen Worten ihres Sprösslings innerlich nicht an die Decke geht. Von Erwachsenen sind wir es – in der Regel – nicht gewohnt, dass sie so mit uns sprechen, und wir selbst haben als Kinder eingeschärft bekommen, dass wir so mit niemandem zu sprechen haben. Der respektvolle Umgang miteinander ist eine wichtige Sozialkompetenz, das steht außer Frage. Allerdings lernt man sie besser aus dem Mitgefühl heraus anstatt durch Furcht vor Ärger oder Bestrafung.

Autor

  • Julia Scharnowski (Autor:in)

Julia Scharnowski ist Mutter von drei Söhnen, erfolgreiche Bloggerin, arbeitet als Eltern-Coach und ist ausgebildete Journalistin – ihre Community liebt sie für ihre offenen und ehrlichen Posts. Auf ihren Blogs „momtowow“ und „Doppelkinder“ berichtet sie unter anderem aus ihrem Familienalltag und verrät einfache Werkzeuge für ein kraftvolleres Mamaleben. In ihrem Podcast gibt sie tausenden Müttern Anregungen für ein entspannteres Erziehen. Außerdem schreibt sie Eltern-Kolumnen für Online-Magazine und hat im SWR mit Ihren Alltagstipps schon vielen Familien geholfen.
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Titel: Einatmen. Ausatmen. Mutter sein.