Lade Inhalt...

Wie wir die Eltern werden, die wir sein wollen

Mit dem Kind wachsen. Gegenseitig vertrauen. Raus aus der "So wollte ich nie werden"-Falle!

von Ulla Nedebock (Autor:in)
192 Seiten

Zusammenfassung

„Wenn ich mal Mutter bin, mache ich alles anders!“ – „So wie mein eigener Vater will ich als Papa nie sein!“ – Viele Eltern haben Sorge, dass sie als Mutter oder Vater nicht so sein können, wie sie es sich wünschen.
Was, wenn die Erziehungshaltung der eigenen Eltern oder die dort erlebten Rollenmuster und Verhaltensweisen sich ungewollt einschleichen?
Wie kann man sich davon freimachen und einen eigenen Erziehungsstil finden? Wie erkennt man seine Trigger und befreit sich von Schutzstrategien und hemmenden Glaubenssätzen? In ihrem neuen Ratgeber zeigt Ulla Nedebock den Weg zu einer authentischen Erziehungshaltung, die auch durch schwierige Phasen hilft und Basis für eine tragfähige Eltern-Kind-Beziehung ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Ein Buch für Mütter, Väter, Großeltern, Erzieher*innen und Betreuer*innen

Die meisten Ratgeber für Eltern werden von Müttern gekauft, zumindest gilt das für Deutschland. Doch selbstverständlich richtet sich dieses Buch genauso an Väter sowie Großeltern und andere Menschen, die Kinder betreuen. Jede und jeder wird davon profitieren, wenn sie oder er sich Gedanken darüber macht, wie eine gute und beständige Beziehung zu Kindern gelingen kann. Bedauerlicherweise leidet die Lesbarkeit, wenn man korrekt gendert, und ich bitte um Verständnis dafür, dass ich der leichteren Lesbarkeit wegen nicht durchgehend gendere. Bitte fühl dich einfach mit angesprochen.

Dieses Buch hat eine lange Geschichte
image

Ich versuche, sie kurz zu machen, versprochen. Als ich das erste Mal Mutter wurde, habe ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, was das bedeutet. Ich habe mich darauf gefreut, dass mit unserem Baby etwas schönes Neues beginnen würde für meinen Mann und mich. Dass dies zeitweise herausfordernd werden würde, gehörte einfach zum Paket dazu. Und ja, es wurde herausfordernd, und ja, es wurde schön.

Inzwischen ist dieses erste Kind über 20 Jahre alt, und ihre zwei Schwestern sind auch schon ziemlich groß. Über die Jahre habe ich gemerkt, dass „Mutter sein“ mich verändert hat. Immer wieder bin ich mitgewachsen mit meinen Kindern. Das hatte ich so nicht erwartet. Kinder entwickeln sich, das weiß man ja, aber dass ich auch wachsen musste, wenn unsere Beziehung stabil und innig bleiben sollte, das war mir nicht klar.

Heute weiß ich, dass es genau so sein muss. Kinder wachsen, und wir als Eltern auch. Das ist eine Herausforderung und gleichzeitig ein Geschenk. Das Lernen hört nie auf.

Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen!

ELTERNSEIN IST EINE HERAUSFORDERUNG – UND EIN GESCHENK

Warum benehme ich mich so und nicht anders im Familienleben? Und wie könnte es besser gehen? Warum regen mich manche Sachen bei meinen Kindern maßlos auf? Merke ich überhaupt, was da gerade abläuft? Welche Rolle spielen meine eigene Erziehung und mein Elternhaus dabei? Warum will ich manches unbedingt „besser“ machen? Um all das geht es in diesem Buch und ich hoffe, du hast eine Menge Aha-Erlebnisse und findest Antworten auf Fragen, die dich beschäftigen.

Bestimmt gibt es Situationen, in denen du wie ein wildgewordenes Kaninchen reagierst. Dann erkennst du dich selbst kaum wieder in dem, was du sagst und was du tust. Hinterher tut es dir leid, du ärgerst dich über dich selbst und hast ein schlechtes Gewissen. Meistens passiert es, wenn man nicht weiterweiß. Beobachte dich das nächste Mal, wenn du nicht mehr normal redest, sondern laut wirst. Sagst du Sachen, die du nie sagen wolltest? Reagierst du heftiger, als du es eigentlich möchtest? Oder machst du es wie deine Mutter oder dein Vater? Tatsächlich ist es so: Wenn wir uns in die Enge getrieben fühlen, fallen wir – unbewusst – in Verhaltensmuster zurück. Das sind oft sehr alte Muster. In ruhigen Momenten sind wir uns klar darüber, dass sie nicht gut sind, aber reflexartig flüchten wir uns hinein, weil uns in stressigen Moment keine Alternativen zur Verfügung stehen. Wir sind in der Situation gefangen und können irgendwie nicht anders. Doch du wirst sehen: Es geht anders und du kannst das schaffen.

In welchen Situationen jemand mit einem Muster reagiert, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Vielleicht kommt dir eine der folgenden Situationen bekannt vor? Dein Sohn kommt nach Hause, schmeißt im Flur die Jacke auf den Boden und verzieht sich in sein Zimmer. Du hörst das und brüllst ihm etwas nach, so wie fast jeden Tag. Oder deine Tochter traut sich schon wieder nicht, das Eis selbst zu bestellen. Oder dein Partner zieht die Augenbrauen hoch, genau wie dein Vater, wenn du etwas erzählst.

Wenn so etwas passiert, löst das ein Gefühl aus. Das passiert einfach so, darüber denkst du in diesem Moment nicht nach. Dieses Gefühl ist stark und negativ, du willst es nicht haben. Deshalb fällt deine Reaktion heftig aus, viel heftiger, als der Anlass es verdient hat.

Das klingt jetzt vielleicht so, als wollte ich dir deswegen einen Vorwurf machen. Das will ich sicher nicht. Erstens machen wir das alle, und zweitens geht es in diesem Buch nicht darum, dir ein schlechtes Gewissen zu machen. Im Gegenteil, ich hoffe, das Buch macht dir das Leben leichter. Denn ich stelle dir verschiedene Strategien vor, wie du es schaffst, Verhaltensmuster zu bemerken und abzulegen. Du wirst nach und nach erkennen, was solche Reaktionen auslöst, und du wirst herausfinden, wie du anders, angemessener, reagieren kannst. Du wirst sehen, dass es bessere Wege gibt mit kleinen und großen Problemen in der Familie umzugehen als manche, die du bisher gegangen bist. Gleichzeitig wirst du feststellen, dass du vieles sehr gut meisterst. Das alles hat viel damit zu tun, wo du herkommst und das hast du dir nicht ausgesucht. Aber du kannst wählen, wo es in Zukunft hingehen soll. Egal, wie deine Kindheit und Jugend verlaufen ist, du kannst jeden Tag neu entscheiden, wie du Familie leben möchtest.

Damit sind wir schon mitten im Thema: Die meisten unserer Verhaltensmuster stammen aus unserer eigenen Kindheit. Darum schauen wir in diesem Buch auch zurück Wie war das bei dir früher? Wie bist du erzogen worden? In welchem Umfeld bist du aufgewachsen? Wer hat dich früher getröstet, wenn du traurig warst? Was fandest du immer unmöglich? Mit wem konntest du immer so viel lachen? Was war wichtig in deinem Elternhaus? Und schließlich: Wie kannst du mit all diesem Wissen zu dem Vater, zu der Mutter werden, die du sein möchtest?

Du findest in diesem Buch Geschichten von Vätern und Müttern, die es, so wie du, gut machen wollen mit ihren Kindern, und die, so wie du, manchmal merken, dass es gerade nicht rund läuft. Die Beispiele drehen sich um kleine und große Kinder und du wirst dich beim Lesen hier und da wiedererkennen. Es sind Geschichten aus dem ganz normalen Familienalltag, der gelegentlich große Herausforderungen an uns alle stellt. Ich möchte dir zeigen, dass du nicht allein bist und dass es machbare und sinnvolle Wege gibt, sich als Elternteil souverän zu verhalten, die Beziehungen in der Familie zu stärken und gemeinsam als Familie zu wachsen.

In allen Kapiteln gibt es Checklisten und Kästen, die zur Orientierung dienen, in denen ich etwas kurz zusammenfasse und zu denen du bei Bedarf mal schnell vor- oder zurückblättern kannst. Außerdem gibt es Kästen mit Fragen, und ich hoffe, du hast Spaß daran, dich dabei noch besser kennenzulernen.

Blick zurück

Wir wissen es eigentlich, aber wir machen uns nicht so oft Gedanken darum: Die ersten Jahre unseres Lebens sind prägend. So entstehen in der Kindheit Glaubenssätze, also Überzeugungen, die wir von wichtigen Bezugspersonen, hauptsächlich den Eltern, aber auch von Lehrern, Geschwistern oder anderen für uns wichtigen Menschen übernehmen. Solche Glaubenssätze beeinflussen unser Denken, Fühlen und Verhalten. Sie sind in großem Maße dafür verantwortlich, wie sehr wir mit uns und unserem Leben zufrieden sind und was uns wichtig ist. Sie sind dafür verantwortlich, wie wir uns und andere Leute bewerten und auf Ereignisse reagieren. Mit Glaubenssätzen sind oft starke Emotionen verbunden, die zu bestimmten Verhaltensmustern führen. Diese Verhaltensmuster sind, kurz gesagt, Strategien, um mit Gefühlen klarzukommen. Und wir brauchen solche Strategien, denn wir fühlen andauernd etwas, wenn wir mit anderen Menschen zu tun haben und etwas erleben.

All das, was wir aus unserer Kindheit und Jugend mitgenommen haben, all diese Prägungen und Überzeugungen werden in der Psychologie als das innere Kind bezeichnet. Wir haben es immer dabei, wir sind uns dessen nur nicht bewusst.

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich glaube, dass es uns weiterbringt, sich mit den Prägungen aus der Kindheit zu beschäftigen. Einfach deswegen, weil wir uns dabei weiterentwickeln, Ballast abwerfen und das Leben noch mehr genießen können.

Wenn wir dann selbst Eltern werden, ist das innere Kind immer noch dabei. Nur weil wir jetzt „Papa“ oder „Mama“ heißen, bedeutet das ja nicht, dass wir das innere Kind irgendwo zwischen schwanger werden und Geburtstermin abgelegt hätten. Und dann – das hast du sicher auch bemerkt – werden auch die Erziehungsmethoden der eigenen Eltern interessant. Denn häufig übernehmen wir diese, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Oder wir lehnen bestimmte Methoden ab und versuchen bewusst, das Gegenteil zu machen.

Du siehst, da gibt es eine Menge zu entdecken. Es lohnt sich, dein inneres Kind kennenzulernen und mehr über dich zu erfahren. Wenn dir das zu „psychomäßig“ klingt, ist das vollkommen okay. Dann lies einfach mal weiter und schau, ob dir hin und wieder jemand begegnet, den du wiedererkennst.

Starke Gefühle heute und früher

Von außen betrachtet reagierst du in schwierigen Momenten auf das Verhalten deines Kindes, deines Partners oder eines anderen Menschen. Aber oft ist nicht das, was sich vor dir abspielt, für deine Reaktion verantwortlich, sondern das Geschehen löst bestimmte Gefühle in dir aus, die vielleicht gar nicht so recht dazu passen. Doch sie bringen dich dazu, auf eine bestimmte Weise zu reagieren. Es gibt also einen Auslöser, einen Reiz, der dich in ein starkes Gefühl hineinkatapultiert. Diesen Auslöser nennt man auch Trigger – bestimmte Themen und Situationen triggern eine Reaktion. Im Folgenden findest du einige Beispiele dafür, wie wir auf eine alltägliche Situation unangemessen reagieren, weil sie uns antriggert.

Dein Kind weint, du findest das übertrieben und sagst: „Stell dich nicht so an!“

Beim gemeinsamen Abendessen gibt es Streit. Du sagst gar nichts mehr, du fühlst dich hilflos und klein.

Im Supermarkt zischst du dein Kind wütend an: „Du legst das jetzt sofort zurück, sonst knallt’s!“

Eure Tochter will sich für das Familienfest nicht „anständig“ anziehen. Deine Partnerin kann sich gar nicht beruhigen und schreit durchs Treppenhaus.

Dein Kind will nicht teilen und du schimpfst: „Mit dir muss man sich ja schämen.“

Das Zeugnis deines Kindes ist nicht ganz so gut wie im letzten Jahr und du kommentierst: „Von dir hätte ich mehr erwartet!“

Eure Kinder werfen sich beim Abendessen unappetitliche Schimpfworte an den Kopf. Dein Partner steht wortlos auf und isst in der Küche weiter.

Das Fußballtraining macht deinem Kind keinen Spaß mehr. Du sagst: „Tu es für mich!“ oder: „Du enttäuscht mich!“

Dein großes Kind wird laut. Du erschrickst und entschuldigst dich.

Dein Kind hat gezockt, anstatt Hausaufgaben zu machen, und du schimpfst: „Du raubst mir den letzten Nerv. Für die nächsten zwei Wochen hast du Computerverbot!“

Ich sage es noch mal: Es geht nicht darum, dass du dich jetzt schlecht fühlst, weil du dich vielleicht hier und da wiedererkennst. Es geht darum, in Zukunft anders, nämlich wertschätzend und angemessen zu reagieren. Denn aus solchen Situationen entstehen oft unschöne – und unnötige – Konflikte, die eure Beziehungen mit dem Partner und mit den Kindern belasten. Das veranschaulicht die folgende Episode aus dem Familienalltag. Ein kurzer Wortwechsel zwischen Eltern löst eine Kettenreaktion aus. Von jetzt auf gleich ist die Ausflugsstimmung gekippt und alle haben schlechte Laune.

Seltsamerweise kenne ich niemanden, der bei der Bemerkung „Du hörst dich an wie deine Mutter“ erfreut aufsieht und sagt: „Oh, das ist schön!“ Stattdessen gehen die meisten Frauen in die Luft. Diese Bemerkung triggert etwas. Das liegt natürlich daran, dass dieser Satz eigentlich immer benutzt wird, um jemanden zu kritisieren. Er ist das, was man gemeinhin ein Totschlagargument nennt. Trotzdem spielt da noch etwas anderes eine Rolle: Die meisten Mütter, die ich kenne (egal, ob sie ein gutes oder ein schlechtes Verhältnis zu ihren eigenen Müttern haben), fühlen sich dadurch mit ihrer Mutter in eine Schublade gesteckt. Und zwar in die Schublade mit all den Verhaltensweisen, die sie an ihrer Mutter nicht mochten oder mögen. Der Spruch ist zwar unfair, aber er zeigt uns auch etwas. Wir wollen uns von den negativen Erfahrungen aus unserer Kindheit abgrenzen, wollen es „besser“ machen oder zumindest anders.

Wenn Tom und Nina aus dem Beispiel verstanden haben, was beim anderen abläuft, könnten beide sich das nächste Mal anders verhalten. Tom könnte den provozierenden Seitenhieb auf die Schwiegermutter unterlassen und stattdessen gleich sagen, dass er die Drohung mit dem Eisverbot nicht sinnvoll findet. Nina könnte sich Gedanken darüber machen, warum der Satz „Du hörst dich an wie deine Mutter“ sie so wütend macht. Für sie ist es demnach wichtig, sich zu überlegen, wie es ihr gelingt, Lukas vor dem Losfahren anzuschnallen und gleichzeitig ruhig und souverän zu bleiben. Denn offensichtlich fühlt sie sich in diesem Moment in ihrer Rolle als Mutter angegriffen, von ihrem Sohn und von ihrem Mann.

Eltern, ein Beruf ohne Ausbildung

Du hast dieses Buch gekauft, weil du nicht so ganz zufrieden bist mit deiner „Performance“ als Mutter oder Vater, das nehme ich jetzt mal so an. Okay, du machst also manchmal Sachen, die du nie machen wolltest, und sagst Sätze, die du nie sagen wolltest. Das macht dich sympathisch. Eltern sind auch nur Menschen. Aber wahrscheinlich fändest du es gut, diese Dinge würden dir seltener passieren. Damit du zu der Mutter oder dem Vater werden kannst, wie du es dir wünschst, hilft es, zu durchschauen, wie deine Kindheit dich geprägt hat. Keine Sorge, ich habe nicht vor, deine Kindheit mit dir „aufzuarbeiten“. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass man gute und schlechte Sachen aus der Kinder- und Jugendzeit mit sich herumträgt. In der Psychologie spricht man, wie vorhin erklärt, von Prägungen.

In der Tabelle findest du eine Reihe von Aussagen. Lies sie durch und entscheide ganz spontan, ob du der jeweiligen Aussage zustimmst oder ob du sie ablehnst. Kreuze dementsprechend Ja oder Nein an. Manchmal weißt du möglicherweise nicht gleich, was du ankreuzen sollst. Dann schau mal, ob du schneller atmest oder ob du ein Engegefühl hast, vielleicht auch ein Druckgefühl im Bauch. Wichtig ist, dass du schnell und sozusagen aus dem Bauch heraus entscheidest, ob du eher bei Ja oder bei Nein bist.

Prägungen aus der Kindheit

  JA NEIN
Ich mag keinen Streit.    
Familie muss zusammenhalten.    
Mir hat auch keiner geholfen.    
Wenn ich es nicht mache, macht es keiner.    
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.    
Du bist deines Glückes Schmied.    
Wir sind füreinander da.    
Ich fühle mich verantwortlich.    
Ich mach mir Sorgen, wie das Kind zurechtkommen soll.    
Mutig aufzustehen ist wichtig.    
Es ist okay, anders zu sein.    
Immer muss man erst schimpfen.    
Alle trampeln auf mir rum.    
Streiten kann man lernen.    
Familie zu haben ist wunderbar.    
Man kann schließlich nicht alles haben.    
Ich verstehe nicht, von wem das Kind das hat.    
Ohne mich geht hier alles den Bach runter.    
Ich schaff das schon.    
Alles hat einen Sinn.    
Immer dieses Genöle, das nervt.    
Jeder Mensch ist einzigartig.    
Wir haben alle unsere Macken.    
Bei uns zu Hause gab’s sowas nicht.    
Ich bin stolz auf mein Kind.    
Lachen und Weinen, beides ist wichtig.    
Ich habe kein Recht, mich zu beklagen.    
Reden hilft.    

Lies dir in Ruhe durch, bei welchen Sätzen du spontan Ja angekreuzt hast. Überrascht dich das an der einen oder anderen Stelle? Oder gehören einige davon zu deinem Alltag?

Sich der eigenen Prägungen bewusst zu werden ist der erste Schritt, um nur das Gute zu behalten. So kannst du dich von nicht so guten Erziehungspraktiken deiner Eltern verabschieden, die in der Beziehung zu deinen eigenen Kindern nichts zu suchen haben. Du kannst deine Verhaltensmuster ändern, die auf alten Glaubenssätzen beruhen. In diesem Buch schlage ich dir dafür verschiedene Strategien und Lösungen vor.

Elternsein hat viel mit Learning by Doing zu tun. Aber wir schauen uns natürlich vieles ab und machen es nach. Es ist sinnvoll, die vielen guten Sachen, die du als Baby, Kind und Jugendliche in deinem Elternhaus erleben durftest, weiterzugeben. Genauso sinnvoll ist es, sich mit den nicht so guten Sachen zu beschäftigen und darauf zu achten, sie nicht weiterzugeben.

Wenn wir uns nicht mit unserer Vergangenheit beschäftigen, kann uns das im Alltag im Weg stehen. Mir ist wichtig, klarzumachen, dass es hier nicht um eine therapeutische Aufarbeitung von schweren Kindheitstraumata geht, dafür gibt es hervorragende Psychotherapeuten und Psychologen. Ich gehe bei meinem Buch davon aus, dass du eine „normale“ Kindheit hattest, aus der du gute und schlechte Erfahrungen mitgenommen hast, aber keine traumatischen. Falls doch, dann freue ich mich natürlich, wenn du dieses Buch liest und es dich weiterbringt, aber betrachte es nicht als Ersatz für eine Therapie, sondern suche dir bitte professionelle Hilfe.

Deine Kinder erinnern dich an deine Kindheit

Wenn du selbst Mutter oder Vater wirst, kommst du in kritischen Momenten der Kindererziehung mit einem Teil von dir in Kontakt, den du sorgsam weggesperrt hast. Denn wir haben gelernt, uns vor bestimmten Gefühlen zu schützen – Angst, Eifersucht, Bedürftigkeit, Verzweiflung, Einsamkeit, Wut. In manchen Situationen bedroht das Verhalten unseres Kindes unseren Schutzpanzer gegen diese Emotionen. Ja, wir legen uns tatsächlich alle einen Schutzpanzer zu. Manche von uns verstecken sich dahinter und wünschen sich, dass alles schnell vorübergeht. Andere halten ihn kampfbereit vor sich und gehen zum Angriff über. Warum machen wir das? Weil wir fürchten, unangenehme Gefühle wieder zu spüren, die wir als Kind hatten. Deswegen wollen wir uns lieber nicht in die Gefühle unseres inneren Kindes einfühlen und greifen auf ein Muster zurück. So ein Muster ist eine Flucht vor Emotionen, die uns aus dem Gleichgewicht werfen könnten.

Vernunft ist da eine bewährte Möglichkeit. Wir haben schlichtweg kein Verständnis für das Verhalten der anderen, lehnen damit natürlich auch ab, uns in deren Gefühlswelt hineinzuspüren. Fühlen wir uns sogar sehr bedroht, reagieren wir stärker: mit Wut, Enttäuschung oder Hysterie. Sich darüber klar zu werden, ist gut für uns und für die Beziehung zu unseren Kindern. Denn die Strategien, die wir uns zurechtgelegt haben – im Folgenden nenne ich sie der Psychotherapeutin Stefanie Stahl folgend Schutzstrategien – sind zwar vordergründig nützlich, lassen jedoch oft keine echte Beziehung zu.

Du willst es besser machen

Warum benehme ich mich so und nicht anders im Familienleben? Und wie könnte es besser gehen? Was bringt das für das Familienleben? Warum regen mich manche Sachen bei meinen Kindern maßlos auf? Warum verletzt mich manches so tief? Merke ich überhaupt, was da gerade abläuft? Warum geht mir etwas Bestimmtes, wie er/sie mit unseren Kindern umgeht, bei meinem Partner derart auf die Nerven? Welche Rolle spielen meine eigene Erziehung und mein Elternhaus dabei? Warum will ich manches unbedingt „besser“ machen? Und warum reagiert mein Partner manchmal wie ein kleines Kind?

Um all das geht es immer wieder, wenn du weiterliest. Ich hoffe, du findest persönliche Antworten auf Fragen, die dich schon länger beschäftigen. Vermutlich erkennst du in dem einen oder anderen Beispiel, das ich aufführe, dich oder deinen Partner wieder. Nimm das als Chance, nicht als Vorwurf. Es gibt fünf Gründe, warum ich das für wichtig halte:

1. Sich den unangenehmen Erinnerungen aus der Kindheit zu stellen ermöglicht dir, mit ihnen abzuschließen. Deine Persönlichkeit wird daran wachsen, du wirst im besten Sinne erwachsen.

2. Du ermöglichst es damit deinem Kind, eine eigenständige, runde Persönlichkeit zu werden, weil du deine Prägungen nicht unbewusst weitergibst.

3. Die Beziehung zwischen deinem Kind und dir wird stabiler, denn vor euch liegen noch viele gemeinsame Jahre, die euch immer wieder auf die Probe stellen. Wenn du weißt, wie du die Beziehung zu deinem Kind stärken und auch reparieren kannst, werdet ihr gut miteinander weiterwachsen.

4. Erziehungspartnerschaft wird einfacher, wenn man mehr darüber weiß, wodurch der oder die andere geprägt wurde. Das Verständnis füreinander wächst und man kann sich gegenseitig im persönlichen Wachstum unterstützen.

5. Der Austausch darüber, was euch als Eltern wichtig ist, wird euch weniger über Erziehungsthemen streiten lassen.

Die Schatten der Vergangenheit

Vieles von dem, wie du mit deinem Kind oder deinen Kindern umgehst, hast du unbewusst aus deinem Elternhaus übernommen und kannst es nicht so recht abschütteln. Mir ging es genauso, doch ich habe gelernt, dass es anders geht. Als Mutter oder Vater kann ich mich ändern, kann ich manches besser hinkriegen und souveräner sein im Familienalltag. Ich habe gelernt, dass mein inneres Kind mir gelegentlich Streiche spielt und mich Sachen machen und Dinge sagen lässt, die ich bei genauem Betrachten gar nicht so gut finde. Und ich habe verstanden, dass das innere Kind zu meiner Persönlichkeit gehört, aber dass ich heute erwachsen bin, im besten Sinne, und auch so sein und handeln kann.

Glaub mir, es lohnt sich, die eigene Kindheit und Jugendzeit genauer anzuschauen. Auch wenn die Zeit phasenweise schwierig war. Trotzdem kann man seine Eltern lieben und wertschätzen für das, was sie einem Gutes getan haben. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern um mehr Klarheit, darum, nicht festzustecken in Abwehr oder in Idealisierung. Denn das blockiert, und es ist gut, sich davon zu lösen. Wir werden später im Buch noch sehen, welch positive Auswirkungen es hat, ein realistisches Bild der eigenen Kindheit zu entwickeln und somit die eigene Persönlichkeit zu stärken.

In der Psychologie spricht man im Zusammenhang mit dem inneren Kind auch von Schatten und meint damit Persönlichkeitsaspekte, die uns nur teilweise oder gar nicht bewusst sind. Vielleicht kannst du mit dem Begriff „wunder Punkt“ mehr anfangen. Man erkennt seine Schatten häufig daran, dass man bei bestimmten Themen besonders emotional reagiert. Das können zum Beispiel Wut und Ärger sein oder innerer Rückzug. Auf jeden Fall geht es schnell und wir reagieren quasi automatisch so, „wir können nicht aus unserer Haut“. Du kannst solche Schatten aus dem Dunkel hervorholen, anschauen, sie anerkennen und „trösten“. Auf diese Weise gewinnst du die Kontrolle zurück und kannst erwachsen handeln.

Woher kommen die Schatten? Sie entstehen, wenn man sich durch etwas komplett überfordert gefühlt hat. Das, was einem passiert ist, konnte nicht richtig verarbeitet werden und wird verdrängt. Das kann die Trennung der Eltern sein, Mobbing, Einsamkeit oder ein anderer Schicksalsschlag. Die Gründe sind vielfältig, aber entscheidend ist, dass die durchlebten Gefühle, wie Angst, Wut oder Hilflosigkeit weggeschoben werden, weil sie zu schmerzhaft sind. Jedoch sind sie damit nicht weg, sondern sie lungern herum und warten nur auf den richtigen Moment, um wieder aufzutauchen und die Herrschaft zu übernehmen. Das sind dann die bereits beschriebenen Trigger.

Schuldgefühle bringen dich nicht weiter

Niemand kann Geschehenes ungeschehen machen. Du kannst es nicht ändern, wenn du dein Kind in letzter Zeit öfter mal angeschrien hast oder womöglich fester angepackt als nötig, dass du deinen Sohn heute morgen vor der Kita ungeduldig angemeckert hast. Das kannst du nicht rückgängig machen. Was passiert ist, ist passiert. Wahrscheinlich fühlst du dich deswegen schlecht und denkst, du wärst keine gute Mutter, zumindest manchmal. Wie schon gesagt: Schuldgefühle bringen nichts, nur ein neues Selbst-Bewusstsein bringt Veränderung. Also fühl dich nicht schlecht, weil manches bisher nicht gut gelaufen ist. Vergib dir selbst! Schau nach vorn, such neue Wege!

Dieses Buch will dir nicht noch mehr schlechtes Gewissen machen. Im Gegenteil, es will erleichtern, Schuldgefühle wegnehmen, positive Gefühle mitgeben. Es geht um viel mehr als um Selbstoptimierung, sondern darum, wie du Familienalltag leben willst. Was bisher nicht gut gelaufen oder total schiefgelaufen ist, kannst du heute nicht mehr ändern. Aber du kannst in Zukunft anders reagieren, handeln und die Beziehung zu deinen Kindern gestalten. Es bringt nichts, sich für Vergangenes schlecht zu fühlen, nur daraus zu lernen bringt dich voran.

Du kannst nur gewinnen, sei mutig

Im täglichen Trott und dem stressigen Hamsterrad bleibt wenig Raum für Überlegungen, warum man etwas tut, weshalb eine Situation eskaliert und warum die Kommunikation wenig wertschätzend ist. Dennoch: Du bist nicht zufrieden, wie es bei euch als Familie läuft. Das merkst du nicht nur in Konfliktsituationen, sondern auch abends, wenn du auf den Tag zurückblickst. Da verstärkt sich dein Eindruck, dass du und dein 15-jähriger Sohn sich zurzeit nicht gut verstehen und ihr immer weniger miteinander redet. Es kann auch sein, dass deine häufig quengelnde vierjährige Tochter dir tierisch auf die Nerven geht und du dich schwertust, ihr mit Liebe und Offenheit zu begegnen. Vielleicht zweifelst du auch an dir, weil du und dein achtjähriger Sohn sich fast jeden Nachmittag bei den Hausaufgaben schrecklich in die Haare kriegen. Oder deine Jüngste trödelt jeden Morgen so lange herum, bis du irgendwann nur noch rummeckerst oder schreist und dich anhörst wie deine Mutter. Vielleicht bist du dir auch mit deinem Partner nicht einig über bestimmte Grenzen im Familienleben und das zehrt an euren Nerven. In jedem Fall spürst du, wie sehr es nötig ist, die Verbindung zwischen dir und deinen Kindern auf ein tragfähiges und beständigeres Fundament zu stellen. Dazu möchte ich dir gratulieren. Ich finde es bewundernswert, wenn man trotz Alltagstrott und überfordernden Situationen an Beziehungen arbeitet, einfach, weil man spürt, dass es wichtig ist. Ich freue mich, dass du hier bist und weiterliest.

In Konflikten zwischen dir als Mutter oder Vater und deinem Kind geht es fast immer darum, dass der/die eine was will und der/die andere nicht. Oder zumindest nicht gleich oder anders oder jetzt erst recht nicht. Bei kleinen Kindern sind das so alltägliche Sachen wie ins Bett gehen oder kein Gemüse oder mehr Schokolade oder länger Tablet spielen, bei größeren Kindern so alltägliche Sachen wie länger zocken, spät feiern gehen, der Markenpulli oder nicht helfen. Bisher hast du verschiedene Wege ausprobiert, wie du diesen oder jenen Konflikt löst, idealerweise zum Guten für alle. Doch du kennst das sicher: Manchmal steckt man einfach fest. Streit entzündet sich in wiederkehrenden Situationen und es geht einfach nicht voran. Du leidest darunter, dein Kind leidet darunter und eure Beziehung auch.

In diesem Buch zeige ich dir andere Wege. Sie führen dich gedanklich zurück in deine Kindheit und Jugend, in dein Elternhaus und die dort herrschenden Glaubenssätze. Ich möchte deinen Blick darauf lenken, dass du mit deinen Kindern bestimmte Verhaltensmuster durchspielst, die dir meist nicht bewusst sind. Einige davon bewähren sich und vertiefen eure Beziehung, in anderen steckst du schlichtweg fest. Hier kannst du etwas ändern. Probier es aus, du kannst nur gewinnen.

Bau jetzt ein Fundament für eure Familie

Familie ist etwas Langfristiges. Es ist keine Lebensphase, die irgendwann zu Ende geht. Ich möchte deinen Blick auch darauf richten, wie das große Ganze heute und in Zukunft aussehen soll. Wie willst du Familie leben? Was bedeutet es dir, gute Beziehungen zu deinen Kindern zu haben, jetzt und in 5, 10, 20, 30 Jahren? Ich weiß, das liegt nicht allein in deiner Hand, aber du kannst eine Menge dafür tun, dass ihr ein gutes Familienteam bleibt, dessen Mitglieder füreinander da sind, in guten wie in schlechten Zeiten.

Von Eltern mit Schulkindern höre ich oft den Satz „Wenn die Kinder erstmal aus dem Haus sind, dann …“ Ja, was dann? Hast du dann ein gutes Fundament gebaut? Habt ihr eine gute Beziehung zueinander aufgebaut? Sind deine Kinder runde Persönlichkeiten geworden? Habt ihr euch lieb, mit allen Schwächen und Stärken? Trefft ihr euch gerne wieder und lacht zusammen, feiert gemeinsam, weint zusammen, tröstet euch gegenseitig, unterstützt euch, wo es nötig ist?

Wäre das nicht schön, rückblickend festzustellen, dass man eine Menge richtig gemacht hat, dass man sich Mühe gegeben hat? So gesehen geht es in diesem Buch darum, in Kontakt zu bleiben oder ihn wieder herzustellen. Um Wärme, Liebesbeweise, Umarmungen, ums Einfach-da-Sein, Zuhören und Reden. Kurz: um die Qualität der Beziehungen zwischen euch. Denn Familie bleibt. Das wird dein Leben, das deines Partners, deiner Kinder und deiner Eltern maßgeblich beeinflussen.

Du machst es viel besser, als du denkst

Wärst du gerne eine perfekte Mutter? Oder ein perfekter Vater? Ich frage mich immer, was das sein soll. Perfekt liebevoll, perfekt geduldig, perfekt was? Die ganze Geschichte scheitert an zweierlei: Es gibt keine Definition dafür, was perfekte Eltern ausmacht, und es gibt keine perfekten Eltern. Zum Glück. Dennoch streben wir eigentlich alle irgendwie danach und fühlen uns schuldig, weil wir wissen, dass wir es nie sein werden. Was für ein Quatsch! Noch mal im Klartext: Als Eltern strebt man ständig nach einem Ideal, im Wissen, dass man es nie erreichen wird. Das ist die beste Voraussetzung, um nie zufrieden und immer wieder unglücklich zu sein. Gratulation! Willkommen im Club der Eltern! Mach dir stattdessen lieber klar: Fehlerfrei Kinder großzuziehen ist schlichtweg unmöglich – und auch nicht notwendig.

In der Perfektionismusfalle

Bist du gestern zu spät zum Abholen gekommen? Hast du heute Morgen schon rumgemeckert? Hast du diese Woche mehrfach „nur“ ein paar Riegel und einen ungeschnittenen Apfel in die Brotdose geschmissen? Na? Jetzt mal ehrlich! Niemand von uns ist perfekt. Das ist auch gut so, Ehrgeiz ist an sich nichts Schlechtes, entscheidend ist das Ausmaß. Du möchtest es gut machen, und das ist wichtig, denn dein Kind braucht dich und deine Bemühungen. Und natürlich hoffst du auf Anerkennung. Solange es keine Sucht nach Anerkennung ist und das Selbstwertgefühl ganz auf der Anerkennung durch andere beruht, ist das kein Problem. Aber wenn du merkst, dass dich die hohen Ansprüche häufig zum Ausrasten bringen, dann ist es ratsam, sie hier und da herunterzuschrauben. Gesunde Ernährung, ordentlicher Haushalt, glückliche Kinder, dabei fit und schön, und das alles gleichzeitig? Klingt gut, aber klingt auch nach Überforderung.

Auch wenn du dir dessen nicht immer bewusst bist: Für deine Kinder bist du ein Vorbild. Achte daher mal darauf, wie du über dich sprichst. Wenn du vor dem Spiegel stehst, wenn du das Essen auf den Tisch stellst usw. Schwingt da häufig ein „Nicht gut genug“ mit? Kann es sein, dass du manches davon von deiner Mutter oder deinem Vater übernommen hast? Und möchtest du das an dein Kind weitergeben?

Sara und ihr Vater kennen das schon. Wenn Kati vom Frisör kommt, ist sie nicht zu ertragen. Sie mäkelt an sich herum und egal, was man sagt, sie bekommt es in den falschen Hals. Am besten geht man ihr eine Weile aus dem Weg.

Allerdings hat Sara den Nagel auf den Kopf getroffen. Kati wiederholt das Verhalten, das sie von ihrer Mutter kennt und von klein auf erlebt hat. Diese war meist unzufrieden mit dem eigenen Aussehen, hat laut und oft darüber gesprochen, an sich selbst herumgemäkelt und sich schlecht gemacht. Wir alle machen das bis zu einem gewissen Grad, doch wir wissen auch, dass es uns eher unglücklich als glücklich macht. Mit solchem Gerede über Unzulänglichkeiten untergraben wir unser Selbstvertrauen. Da können noch so viele Leute sagen: „Hey, du siehst gut aus!“ Wenn unser innerer Kritiker permanent Signale sendet wie „Du bist nicht hübsch genug“ oder „Du bist nicht schlank genug“, dann leben wir das unseren Kindern vor.

Kati lebt nun ihrer Tochter Sara vor, dass sie nie so ganz zufrieden mit sich ist, es immer noch besser sein könnte. Sie hat das – unbewusst – von ihrer eigenen Mutter übernommen. Es ist leider so: Wir geben unsere inneren Stimmen an unsere Kinder weiter, die kritischen und die aufbauenden. Dessen sollten wir uns bewusst sein.

Wenn wir lernen, die Stimme unseres inneren Kritikers bewusst zu hören, können wir dagegen angehen. Wenn sich diese innere kritische Stimme das nächste Mal meldet, dann stelle dir vor, es ist ein kleiner, lästiger Troll, der auf deiner Schulter sitzt und dir all diese Dinge einflüstert. Schüttle ihn einfach ab. Lass ihn hinter dir und wende dich lächelnd den schönen Dingen zu.

Bewerten ist vergeudete Lebenszeit

Wir kennen sie alle. Wir treffen sie auf dem Spielplatz, in der Krabbelgruppe, beim Elternabend, bei Partys, im Büro, beim Einkaufen, im Restaurant. Wir hören, was sie sagen, wie sie es sagen, wie sie mit ihren Kindern umgehen, wie sie auftreten. Und wir haben verschiedene Schubladen für sie: die ewig jammernde Überforderte, der „Ich bin toll, weil mein Kind toll ist“-Prahler, die verschmuddelte Gelassene, die Helikoptermama, die ständig Unzufriedene, die null Geduldige, der unendlich geduldige Säusler, die immer Perfekte. Dir fallen bestimmt noch ein paar andere Mutter- und Vatertypen ein. Manche davon gehen dir schlichtweg auf die Nerven, andere beneidest du und manche zählen zu deinen Freundinnen.

Ich glaube, dass keine und keiner von uns immer derselbe Muttertyp oder Vatertyp bleibt. Zumindest dann, wenn wir uns immer mal wieder von außen beobachten, ehrliches Feedback ernst nehmen und uns mit unserem inneren Kind befassen. Denn dann entwickeln wir uns weiter, wachsen in unserer Persönlichkeit und somit auch in unserer Rolle als Mutter oder Vater.

SOUVERÄNE ELTERN

Als souveräne Mutter und souveräner Vater nehmen wir unsere Rolle an, kennen unsere Trigger und sind in der Lage, uns nicht davon steuern zu lassen. Wir haben eine Vorstellung davon, wie unser Familienleben aussehen soll und welche Werte wir unseren Kindern vermitteln wollen. Wir schauen jedes unserer Kinder an und gehen so mit ihm um, wie es ihm und uns guttut. Wir sind verlässlich, echt, können vergeben und uns entschuldigen. Wir zeigen Respekt und fordern Respekt ein. Wir fressen nicht alles in uns hinein, aber wir maulen auch nicht dauernd rum und belasten unsere Kinder nicht ständig mit unserer Meinung.

Doch sich weiterzuentwickeln und selbstbewusster in unserer Persönlichkeit und damit auch in unserer Rolle als Mutter oder Vater zu werden, ist nicht immer so einfach. Gerade wenn wir an uns selbst zweifeln oder eher unsicher sind, entwickeln wir bestimmte Strategien, um uns zu schützen und sicher zu fühlen. Deine Selbstschutzstrategie erkennst du, wenn du dir anschaust, wie du auf andere Mütter oder Väter reagierst. Wie bewertest du sie? Was denkst du über ihr Aussehen, ihr Verhalten, ihren Umgang mit den Kindern?

Stelle dir vor, deine Nachbarin sitzt am Samstagnachmittag im Garten, trinkt Kaffee und liest ein Buch. Sie erzählt dir, dass ihr Mann mit den vier Kindern über das Wochenende zu Verwandten gefahren ist. In welcher Reaktion erkennst du dich wieder?

„Da stimmt wohl was nicht in der Beziehung.“

„Das schlage ich meinem Mann auch vor, gleich heute Abend.“

„Das könnte ich nicht.“

„Ganz schön egoistisch. Der arme Mann. Und die Kinder!“

„Wozu hat die überhaupt Kinder gekriegt?“

Na? Wo hast du innerlich genickt? Ich muss gestehen, dass ich früher eher in der Kritikfalle gelandet bin. Ganz einfach deswegen, weil ich mich dann wie die bessere Mutter fühlte, die sich aufopfert, und nicht so egoistisch ist. Doch seien wir ehrlich, da war eine ordentliche Portion Neid dabei. Irgendwann habe ich gemerkt, was ich da mache. Ich kritisiere eine Mutter dafür, dass sie sich Freiräume nimmt und sie auch noch genießt. Allerhand! Das will ich auch, habe ich irgendwann gedacht, und mir ebenfalls Freiräume genommen. Ich bin zu Wochenendseminaren gefahren, zu Buchmessen oder habe Freundinnen getroffen. Ich sage dir, damit lebt es sich deutlich besser. Meine Kinder bekamen nach einem Wochenende oder nach einem Tag, ach, auch schon nach einem Abend „Freiheit“ eine entspannte und heitere Mutter zurück. Der Mythos vom ewigen Mutterglück fällt uns allen auf die Füße, den Vätern auch. Wir sollten uns also bemühen, unseren eigenen Weg zu finden, anstatt uns zu vergleichen.

Sich vergleichen frisst Energie

Eltern stopfen sich gegenseitig in Kategorien, um sich selbst zu definieren und besser zu fühlen. Die berufstätige Mutter belächelt die Nachbarin, die den ganzen Tag mit den Kindern zu Hause ist und trotzdem jammert. Die Mutter, die nicht außerhalb arbeitet, sondern ihre Familie managt, hält die andere für egoistisch und findet, dass sie ihre Kinder vernachlässigt. Gleichzeitig rechtfertigen beide – meist ungefragt – ihre Lebensumstände und ihre Wahl. In Facebook-Gruppen kommt es zu Grabenkämpfen zwischen Müttern, die sich alles Mögliche vorwerfen: „Du erfüllst alte Rollenstereotype und untergräbst unseren Kampf für Gleichberechtigung.“ „Du bist neidisch darauf, dass ich so viel Zeit mit meinen Kindern verbringen kann.“ „Du überbehütest deine Kinder.“ „Du vernachlässigst deine Kinder.“

Väter machen das auch: Der hochmotivierte Manager hat kein Verständnis dafür, dass der Kollege in Elternzeit geht, seine Karriere aufs Spiel setzt und den Tag mit Windelnwechseln und auf dem Spielplatz verbringen will. Der Fulltime-Vater sieht voraus, dass der karrieresüchtige Nachbar nie eine gute Beziehung zu seinen Kindern aufbauen wird. Die Klischees sind zahlreich und gerne rechtfertigen wir damit unsere Art zu leben. Auch hier geht es um Selbstschutz, denn natürlich fürchten berufstätige Eltern, den innigen Kontakt zu ihren Kindern zu verlieren, und leiden permanent unter einem schlechten Gewissen gegenüber der Familie. Und die Fulltime-Mutter oder der Vater in Elternzeit machen sich Gedanken, ob sie ihre Kinder vielleicht zu sehr an sich binden und später keinen guten Job mehr finden. Jede Variante von Elternsein bringt große Herausforderungen, Ängste und Enttäuschungen mit sich.

Leider haben wir diese schlechte Angewohnheit, uns ständig mit anderen zu vergleichen. Der eine macht etwas besser, die andere macht etwas schlechter. Unsere innere Stimme bewertet andauernd. Ob in Krabbelgruppen, beim Elternabend, auf dem Spielplatz, beim Schulfest, ständig vergleichen und bewerten wir. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass du das auch tust. Ich jedenfalls ertappe mich immer wieder dabei, wie ich andere Mütter und ihre Kinder in Schubladen stecke. Inzwischen bemerke ich es oft und pfeife mich dann selbst zurück.

Es tut der Seele wirklich gut, wenn man ganz neidlos anerkennen kann, dass manche Eltern offensichtlich Kinder haben, die ihre Jacken an den Haken hängen, anstatt sie fallenzulassen. Oder wenn man nicht mit der Bekannten über den nervigen Sohn von Sonja ablästert, sondern die Leute einfach lässt, wie sie sind, und sich über Wichtigeres unterhält. Lästern, ob laut oder leise, vergiftet die Seele. Es sind negative Eindrücke, denen wir weniger Raum bieten sollten. Das gleiche gilt für harsche Selbstkritik. Probier mal folgendes aus: Streife dir morgens zehn Haargummis über das linke Handgelenk. Jedes Mal, wenn du dich oder andere negativ bewertest, wandert eines davon an das rechte Handgelenk. Wie lange dauert es, bis alle Haargummis rechts gelandet sind?

Glaubenssätze aufspüren

Anstatt andere zu bewerten oder dem inneren Kritiker zuzuhören, solltest du dich öfter mit deinen Glaubenssätzen und deinen Strategien zum Selbstschutz auseinandersetzen. Wie hängt das alles zusammen? Glaubenssätze wurzeln in unserer Kindheit. Wir haben sie von unseren Eltern übernommen, von anderen wichtigen Bezugspersonen, aber auch traumatische Ereignisse können einen Glaubenssatz prägen. Wir alle gehen mit diesen grundlegenden Überzeugungen durchs Leben, daran ist auch nichts verkehrt. Wichtig ist jedoch, sie immer wieder zu überprüfen, denn Glaubenssätze können uns unterstützen, aber auch blockieren.

Typische negative, blockierende Glaubenssätze sind:

Ich bin das nicht wert.

Ich bin ein Versager.

Ich kann das nicht.

Ich muss perfekt sein.

Das ist nichts für Frauen/Männer.

Hochmut kommt vor dem Fall.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.

Ich komme immer zu kurz.

Im Leben kriegt man nichts geschenkt.

Das kann nur schiefgehen.

Das Leben ist kein Wunschkonzert.

Geld verdirbt den Charakter.

Augen zu und durch.

Wer es zu etwas bringen will, braucht Ellenbogen.

Wer hoch hinaus will, wird tief fallen.

Seine Gefühle behält man besser für sich.

Wo viel Gefühl ist, ist auch viel Leid.

Man wird doch nur ausgenutzt.

Eigenlob stinkt.

Das haben wir schon immer so gemacht.

Ich bin und bleibe ein Verlierer.

Ich ziehe immer die Arschkarte.

Das bringt nichts.

Auf mich hört sowieso keiner.

Ich bin halt nicht so hübsch.

Ohne mich geht es nicht.

Ich kann halt nicht Nein sagen.

Das geht noch besser.

Da kann man nichts machen.

Ich bin eben undiszipliniert.

Träume sind Schäume.

Man kann eben nicht alles haben.

Typische positive, unterstützende Glaubenssätze sind:

Ich bin liebenswert.

Ich vertraue darauf, dass alles gut wird.

Das Leben meint es gut mit mir.

Ich kann das.

Ich schaffe das.

Ich bin wichtig.

Ich werde geliebt.

Es ist gut, wie ich das mache.

Ich habe die Kraft, mich zu verändern.

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ein Traum muss kein Traum bleiben.

Ich bin wertvoll.

Ich lasse los, was mir nicht guttut.

Ich verdiene mein Geld mit Spaß und Leichtigkeit.

Ich kann gut mit Geld umgehen.

Das Universum schickt mir, was ich brauche.

Abwarten und Tee trinken.

In der Ruhe liegt die Kraft.

Wenn eine Tür zugeht, geht woanders eine andere auf.

Alles hat einen Sinn.

Es liegt in meiner Hand.

Ich bin willkommen.

Das Leben ist leicht.

Man kann sich jeden Tag neu entscheiden.

Ich darf mich abgrenzen.

Es wird schon alles gut gehen. Ich habe Glück verdient.

Ich darf ich sein.

Welcher dieser Sätze hat dich besonders angesprochen? Fallen dir weitere Sätze ein, die du schon seit deiner Kindheit mit dir trägst und bisher vielleicht kaum hinterfragt hast? Oft hilft es auch, wenn du dich fragst, welches Verhalten deines Kindes dich am meisten nervt und wütend macht. Und dann versuchst du dich daran zu erinnern, was deine Mutter oder dein Vater gesagt haben, wenn du dieses Verhalten gezeigt hast.

Wenn du einige deiner Glaubenssätze herausgefunden hast, kannst du sie überprüfen: Passt er zu mir und meinem Partner, zu meinen Kindern, zu uns als Familie? Habe ich da je darüber nachgedacht? Bringt mich dieser Glaubenssatz weiter oder schränkt er mich ein? Gibt es einen Glaubenssatz, der positiv ist und zu mir passt? Welche Glaubenssätze möchte ich meinen Kindern weitergeben? Du wirst feststellen, dass solche Überlegungen dich dazu führen, welche Werte du wichtig findest und weitergeben möchtest. Aus der Gehirnforschung weiß man, dass Erfahrungen die Gehirnstrukturen verändern. Und es ist auch möglich, negative Glaubenssätze mit positiven Aussagen, sogenannten Affirmationen, zu überschreiben. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber bei häufiger Wiederholung und nach einiger Zeit verändern sich tatsächlich gewisse Hirnstrukturen. Glaubenssätze verstärken eben, was wir sehen und fühlen – positiv oder negativ.

Selbstschutzstrategien durchschauen

Wir alle haben uns bestimmte Strategien angewöhnt, um starke negative Gefühle wie Angst, Wut oder Hilflosigkeit nicht oder weniger zu spüren. Wir wollen vermeiden, uns unsicher oder sogar hilflos zu fühlen. Diese Strategien hat Stefanie Stahl in ihrem Buch „Das innere Kind will Heimat finden“ als „Selbstschutzstrategien“ bezeichnet – einen Begriff, den ich sehr treffend finde, daher werde ich ihn hier ebenfalls verwenden.

Ein äußeres Ereignis, zum Beispiel ein verärgerter Blick, ein großer Hund, ein Sturz oder ein Arztbesuch rufen in uns die Erinnerung an ein negatives Gefühl wach. Das kann eine heftige Reaktion auslösen, die von außen betrachtet in keinem Verhältnis zu dem Vorfall steht. Die Reaktion zeigt sich auch manchmal körperlich, zum Beispiel durch starkes Herzklopfen oder Bauchschmerzen. Um sich davor zu schützen, gibt es verschiedene Strategien, etwa Rückzug, Angriff, Kontrollstreben, Harmoniestreben, Perfektionsstreben. Diese Strategien sind uns im Allgemeinen nicht bewusst.

Solch eine unverhältnismäßig heftige Reaktion hat also oft mit einer Sache aus der Vergangenheit zu tun. Sich damit zu beschäftigen, klingt erstmal anstrengend. Das verstehe ich gut. Aber irgendwie hat es auch etwas von Detektivarbeit. Und außerdem ist es so: Wenn wir uns mit den Prägungen aus unserer eigenen Kindheit und Jugend beschäftigen, können wir so viel gewinnen. Vor allem gewinnen die Beziehungen zu unseren Kindern, unserem Partner und anderen Mitmenschen. Durch die Auseinandersetzung mit unseren Verhaltensmustern verstehen wir, was uns immer wieder in Schwierigkeiten bringt, was uns das Leben schwerer macht als nötig und was uns aufhält, so zu sein, wie wir es gerne wären.

In den folgenden Kapiteln wirst du an Beispielen anderer Mütter und Väter sehen, wie das Vergangene die Beziehung zum eigenen Kind beeinflusst. In Geschichten von anderen ist es leichter, bestimmte Verhaltensmuster zu erkennen, als bei sich selbst. Vielleicht erkennst du dich hier und da wieder und das gibt dir einen Anstoß, die Beziehung zu deinem Kind auf eine (noch) bessere Basis zu stellen. Ehrlicher und offener, tiefer und langfristiger.

Den Blick auf das Positive richten

Jeder von uns bringt einen Rucksack voller Kindheitserfahrungen mit. Schöne Rituale zum Beispiel, aber auch seelische Verletzungen. Heute können wir uns für einen erwachsenen Weg entscheiden, damit wir zufriedener durchs Leben gehen und, mit uns im Reinen sind. Damit wir uns als Mutter oder Vater mögen. Allerdings verlangt die Beschäftigung mit der Vergangenheit, mit den eigenen Werten und Glaubenssätzen ein bisschen Mut und ein gesundes Maß an Selbstbeobachtung. Auch Selbstkritik, ja, wobei der Blick immer nach vorne gehen soll. Es geht nicht darum, sich für Vergangenes schuldig zu fühlen, sondern sich in Zukunft mehr im Reinen mit sich selbst zu fühlen. Abends zu denken: „Das habe ich heute gut gemacht, dass ich nicht geschrien habe, als …“; „Wie schön, dass wir in Ruhe miteinander über das Problem … sprechen konnten“; „Toll, dass wir uns so schnell wieder vertragen haben“.

Du kannst deine Muster ändern

Wenn du dich von deinen alten Verhaltensmustern befreien willst, dann hilft es wenig, sich zu sagen: „Ich will das nicht mehr machen, sagen …“ oder: „Ich will nicht mehr so rumschreien, meckern, beleidigt sein, gemein sein …“. Vielmehr brauchst du eine Vision von dem, was du willst. Damit wir uns ändern können, müssen wir uns einen Zustand vorstellen können, den wir erreichen wollen. Wir brauchen etwas, woran wir uns orientieren, woran wir uns festhalten können. Deswegen wirst du in diesem Buch Beispiele dafür finden, wie Eltern in Verhaltensmustern agieren, und ich zeige dir Alternativen dazu.

Das Ziel ist, gewisse Handlungsmuster, Handlungsweisen und Reaktionsketten in uns, die wie nicht mehr wollen, zu „überschreiben“ und durch andere Strategien zu ersetzen. Es dauert seine Zeit, aber nach und nach werden die alten Muster ausgeixt, getippext, weg. Oft führt der Weg über Glaubenssätze, die wir durch positive Worte ersetzen. Es mag banal klingen, aber was wir glauben, bestimmt unser Tun.

Was sind gute Eltern?

Die Vorstellungen davon, was „gute Eltern sein“ in der Praxis bedeutet, gehen weit auseinander. Das erlebst du selbst in deinem engsten Freundeskreis und in deiner Familie, auch in Gesprächen mit Erzieher*innen und Lehrer*innen und erst recht, wenn du auf andere Kulturen schaust.

Aber wie findest du diese Vorstellung? Mütter und Väter, die über eine natürliche Autorität verfügen, die ihre Kinder selbstverständlich um etwas bitten oder ihnen etwas versagen, ohne dass es dauernd zu großem Streit oder Genöle kommt. Dabei wirken diese Kinder nicht wie Ja-Sager oder Duckmäuser. Im Gegenteil, es sind selbstbewusste und aufgeweckte Kinder. Für mich klingt das erstrebenswert und ich denke, die meisten von uns streben so einen Zustand an, einen Zustand von Gelassenheit.

Damit verbunden ist auch der Wunsch, besser mit seinen unperfekten Seiten zurechtzukommen, denn perfekt sein zu wollen ist wahnsinnig anstrengend. Viele von uns haben gelernt, dass man nur dann etwas wert ist, wenn man „alles richtig“ macht. Da ist ein ständiger Druck und erst recht, wenn du Mutter oder Vater geworden bist. Wenn du dich auf dieses Buch einlässt und die eine oder andere Sache ausprobierst, wirst du die Erfahrung machen, dass der Mut, unperfekt zu sein, sich auszahlt. Und zwar, weil eine echte und ehrliche Beziehung zu deinen Kindern (und deinem Partner) darauf beruht, dein wahres Ich zu zeigen. Glaub mir, deine Kinder merken es, wenn du dich hinter Schutzstrategien versteckst.

Mutter oder Vater zu sein ist eine Rolle, so wie Tochter oder Opa zu sein. Ob du deine Rolle authentisch lebst oder nur spielst, das merken alle, die näher mit dir zu tun haben. Deswegen solltest du dich damit beschäftigen, woher dein Rollenverständnis stammt. Hast du wirklich eine eigene Haltung entwickelt oder machst du einfach das nach, was andere als „gute Eltern sein“ bezeichnen?

Ich hoffe, ich kann dich dazu bewegen, zurückzuschauen und etwas über dich und einen Partner herauszufinden. Vielleicht merkst du im Alltag, wie viel leichter es sich lebt, wenn man die anderen weniger bewertet und auch mit sich selbst achtsam umgeht.

Behalte das Gute, probiere Neues aus

Auch wenn man sich im Alltag mit Kleinkindern manchmal nur durch den Tag rettet – Elternsein ist etwas Langfristiges. Es beginnt mit der Schwangerschaft und hört nie auf. Nie. Gar nie. Es ist eine Bindung fürs Leben. Deswegen ist es nur logisch, sich Gedanken darüber zu machen, wie diese Beziehung jetzt UND in Zukunft aussehen soll.

Wie stellst du dir euer Familienleben in ein paar Jahren vor? Denke in Ruhe über diese Frage nach. Nimm dir Zeit dafür und tritt ein paar Schritte zurück aus dem Alltagsdurcheinander. Vielleicht gehst du eine Runde alleine um den Block, vielleicht machst du einen Spaziergang mit einer guten Freundin, die nicht gleich kommentiert und Ratschläge gibt, sondern es versteht, einfach nur zuzuhören.

Eltern, zwei Menschen mit Vergangenheit

Erinnerst du dich noch daran, wie es war, als du mit deinem Partner, deiner Partnerin zusammengezogen warst und ihr euren ersten großen, also richtig großen Streit hattet? Als du gedacht hast: „Das kann doch nicht wahr sein, dass dieser Mensch, den ich so liebe, so denkt! Habe ich mich so in ihm getäuscht? Wie blind war ich denn?“ Und du hast geheult und warst drauf und dran, alles hinzuschmeißen.

Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, habt ihr geredet und dabei festgestellt, dass ihr unterschiedliche Vorstellungen davon habt, was wichtig ist im Leben, in der Partnerschaft, im Familienalltag. Denn natürlich bringt jeder Mensch verschiedene Wertvorstellungen in eine Beziehung mit, und damit hängen auch die persönlichen Glaubenssätze zusammen.

Spätestens, wenn man miteinander Kinder hat, zeigt sich, welchen Rucksack an Werten, Glaubenssätzen, guten und schlechten Erfahrungen jede und jeder in die Beziehung mitgebracht hat. Und spätestens dann kommt man nicht mehr darum herum, sich damit zu beschäftigen.

Autor

  • Ulla Nedebock (Autor:in)

Ulla Nedebock ist eine erfolgreiche Ratgeberautorin zu Erziehungsfragen. Sie hat über viele Jahre Mutter- Kind-Kurse geleitet und mit Verlagen Familien- und Erziehungsthemen entwickelt. Ulla Nedebock ist Mutter von drei Töchtern und arbeitet als Schreibcoach.
Zurück

Titel: Wie wir die Eltern werden, die wir sein wollen