Lade Inhalt...

Ratgeber Beckenbodenschwäche

Welche medizinischen Behandlungsmöglichkeiten es gibt. Was man selbst für einen starken Beckenboden tun kann. Gegen Harn- uns Stuhlinkontinenz lässt sich etwas tun!

von Priv.-Doz. Dr. Stefan Riss (Autor:in) Univ.-Doz. Dr. Barbara Bodner-Adler (Autor:in)
176 Seiten

Zusammenfassung

Harn- und Stuhlinkontinenz sowie weitere Beckenbodenerkrankungen gehören zu den großen Tabuthemen unserer Gesellschaft – und das, obwohl sehr viele Frauen ab Mitte 30 aufgrund einer Beckenbodenschwäche davon betroffen sind. In ihrem Ratgeber hebt das Expertenteam aus Wien die Sprachlosigkeit endlich auf und zeigt Therapiemöglichkeiten – denn gegen Harn- und Stuhlinkontinenz lässt sich etwas tun! Die Autor*innen erklären verständlich und empathisch,wie Beckenbodenschwäche entsteht, welche Beschwerdenmit ihr einhergehen, welche medizinischen Behandlungsmöglichkeiten es gibt und was man selbst für einen starken Beckenboden
tun kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


VORWORT

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

Beckenbodenerkrankungen kommen sehr häufig vor. Sie betreffen sowohl Frauen als auch Männer. Selbst junge Menschen können Beschwerden entwickeln, die mit dem Beckenboden in Verbindung stehen.

Erkrankungen des Beckenbodens sind sehr vielseitig. Betroffene können unter anderem an Stuhlverlust, Entleerungsproblemen, Harnverlust oder sexuellen Problemen leiden. Das sind alles sehr intime und persönliche Themen. Darüber zu reden fällt vielen Menschen verständlicherweise schwer. Dementsprechend fühlen sich Betroffene oftmals einsam und isoliert.

Das wollen wir ändern: Mit diesem Buch wollen wir helfen, das Tabuthema zu enttabuisieren. Wir möchten Wissen vermitteln und Ihnen dadurch die Angst nehmen, über Beckenbodenbeschwerden zu sprechen. Expertinnen und Experten geben einfache und verständliche Antworten auf wichtige Fragen: Was ist eigentlich der Beckenboden? Welche Erkrankungen gibt es und wie können diese erfolgreich behandelt werden?

Sie werden am Ende des Buches merken, dass es viele Wege gibt, mit einer Beckenbodenerkrankung umzugehen. Neben der klassischen und häufig notwendigen medizinischen Behandlung werden wir auch andere Möglichkeiten aufzeigen. Tatsächlich können Sie vieles selbst tun, um eine Verbesserung Ihrer Beschwerden zu erreichen. Stichworte sind hier Ernährung, Training und Achtsamkeit.

Ihr Ihre
Stefan Riss Barbara Bodner-Adler

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch widmen wir unserem Kollegen und Freund Nikolaus Veit-Rubin, der einen wichtigen Anteil daran hatte, dass dieses schöne Buchprojekt verwirklicht wurde.

Die Expertinnen und Experten

image

Stuhlinkontinenz und Verstopfung

Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Riss, Fellow of the Royal College of Surgeons (FRCS)

Stefan Riss ist Facharzt für Allgemeine Chirurgie und Viszeralchirurgie und Spezialist für Darm- und Beckenbodenchirurgie. Er ist Oberarzt und assoziierter Professor an der Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie der Medizinischen Universität Wien und leitet die dortige Beckenbodenambulanz. Stefan Riss ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen.

image

Harninkontinenz bei der Frau

Assoc. Prof. Univ.-Doz. Dr. med. Barbara Bodner-Adler

Barbara Bodner-Adler ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Spezialistin für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie. Sie ist Oberärztin und assoziierte Professorin an der Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie an der Universitätsfrauenklinik Wien und leitet die dortige urogynäkologische Ambulanz.

image

Harninkontinenz beim Mann

Dr. med. Michael Rutkowski, Fellow of the European Board of Urology (FEBU)

Michael Rutkowski ist Facharzt für Urologie und Spezialist für funktionelle Urologie. Er ist Oberarzt am Landesklinikum Korneuburg und leitet das dortige Beckenbodenzentrum. Außerdem ist er Vizepräsident der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich MKÖ und Vorsitzender der ÖGU Arbeitskreises für Blasenfunktionsstörungen.

Dr. med. Ghazal Ameli

Dr. med. Ghazal Ameli ist Assistenzärztin für Urologie am Landesklinikum Korneuburg. Ihre klinische und wissenschaftliche Tätigkeit konzentriert sich mehrheitlich auf die männliche Inkontinenz und Inkontinenzchirurgie.

Ernährung bei Beckenbodenschwäche und bei Obstipation

Barbara A. Schmid

Barbara A. Schmid ist Diaetologin mit ernährungspsychologischem Schwerpunkt. Sie ist seit 2001 als Spezialistin für ernährungsmedizinische Therapien in eigener Praxis in Wien tätig. Sie ist Dozentin an der Fachhochschule für Diaetologie und hält Vorträge in In- und Ausland.

Bewegung bei Beckenbodenschwäche

Katharina Meller

Katharina Meller ist Physiotherapeutin mit dem Schwerpunkt Beckenbodenrehabilitation. Sie ist Bereichsleitung der physikalischen Therapie, Ergotherapie und Logopädie im Göttlicher Heiland Krankenhaus in Wien, Koordinatorin des fachlichen Netzwerks Gynäkologie und Geburtshilfe, Urologie, Proktologie sowie Vortragende im In- und Ausland und Lehrtherapeutin für Physiotherapeuten.

Achtsamkeit und Mitgefühl bei Beckenbodenschwäche

Klaus Kirchmayr

Klaus Kirchmayr ist Achtsamkeitscoach und -ausbilder, Hochschuldozent und Berater in Wien. In seinen Kursen lernen die Teilnehmer die Trainingsprogramme MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) und MBCL (Mindfulness-Based Compassionate Living) kennen, mit deren Hilfe es gelingt, besser mit Stress und Schmerzen umzugehen. Die Methode wird in deutschen und österreichischen Kliniken angewandt.

BECKENBODENSCHWÄCHE – SPRECHEN WIR DARÜBER!

Eine Beckenbodenschwäche ist nichts, wofür man sich schämen müsste – viele Menschen sind davon betroffen. In diesem Kapitel erfahren Sie, was der Beckenboden ist und welches seine Aufgaben sind, warum er manchmal nicht mehr funktioniert, wie wir es gern hätten, und welche Beschwerden in diesem Zusammenhang am häufigsten auftreten können. Die gute Nachricht: Sie sind nicht allein, und Sie können etwas dagegen tun.

Der Aufbau des Beckenbodens

Im Grunde ist es nicht ungewöhnlich, wenn der Beckenboden im Lauf des Lebens etwas von seiner Stabilität einbüßt. Es handelt sich schließlich zunächst um ein Muskelgeflecht, dessen Kraft wie die aller anderen Muskeln auch mit der Zeit abnimmt. Weitere Faktoren kommen hinzu, die eine Beckenbodenschwäche, auch Beckenbodendysfunktion genannt, zu einem Problem machen, das in Deutschland viele Millionen Menschen betrifft.

Doch obwohl das Thema Beckenbodenschwäche so viele Menschen beschäftigt, ist es immer noch mit einem Tabu belegt. Niemand spricht gern darüber, viele Menschen fühlen sich durch ungewollten Harn- oder Stuhlverlust belastet und verbergen ihre Probleme, ja trauen sich aus Scham nicht einmal, eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen. Dabei stehen heute die verschiedensten Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Viele Menschen wissen jedoch nicht einmal, was der Beckenboden ist und wo er liegt, ja viele Männer wissen nicht einmal, dass auch sie einen Beckenboden haben. Aufklärung darüber und ein offener Umgang mit dem Thema Beckenbodenschwäche sind der erste Schritt zu einer gelingenden Therapie, denn Beckenbodenschwäche lässt sich in sehr vielen Fällen beheben oder zumindest verbessern – Sie selbst können viel dafür tun.

Beckenbodenschwäche lässt sich in sehr vielen Fällen beheben oder zumindest verbessern.

Sie haben vielleicht schon öfter in Ihrem Bekanntenkreis Sätze gehört wie „Mein Beckenboden scheint sehr schwach zu sein“ oder „Mein Beckenboden wurde bei meiner letzten Geburt stark in Mitleidenschaft gezogen.“ Dabei stellen Sie sich sicher die Frage: Was genau ist eigentlich der Beckenboden, woraus besteht er, welche Organe und Strukturen gehören dazu und wo bestehen die Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Damit Sie Ihren Beckenboden besser verstehen können – sei es im Zusammenhang mit Erkrankungen in dem Bereich oder um gezielt Übungen durchführen zu können –, ist es wichtig, Aufbau und Anatomie des Beckenbodens kennenzulernen.

Aufbau und Anatomie

Entwicklungsgeschichtlich haben die Beckenbodenmuskeln zwei unterschiedliche Ursprünge. Ein Teil der Muskeln leitet sich von den Schwanzmuskeln ab, während der andere Teil von der embryonalen Kloake (Kloakenringmuskulatur) abstammt. Aus den Schwanzmuskeln ist die Verschluss- und Haltemuskulatur des Enddarms entstanden, während sich die Verschluss- und Haltemuskulatur des Urogenitalsystems aus der Kloakenverschlussmuskulatur entwickelt hat.

In Ruhe passt sich der Grundtonus des Hauptmuskels des Beckenbodens, des Musculus levator ani („Heber des Afters“), dem Druck im Bauchraum an und wirkt diesem entgegen, wodurch er nicht nur das Absinken der Beckenorgane verhindert, sondern auch den unwillkürlichen Harn- und Stuhlverlust.

Bei einer angespannten, also intakten Beckenbodenmuskulatur, wobei hier der Levator ani die größte Rolle spielt, hat der Bänderapparat im kleinen Becken eine rein stabilisierende Funktion. Bei einer willkürlichen Erschlaffung oder (verletzungsbedingten) Schwächung der Beckenbodenmuskulatur ist die Halterung der Beckenorgane jedoch von diesen Bändern abhängig. Das heißt, wenn die Muskelkraft ab- oder ausfällt, sind die Beckenorgane einem größerem Druck der Organe ausgesetzt. Ohne die Unterstützung der Beckenbodenmuskulatur führt dieser Zustand nach einiger Zeit zu einer Überdehnung der Bänder, was letztendlich einen Verlust ihrer Zugkraft zur Folge hat.

Die folgende Abbildung zeigt Ihnen schematisch die Knochen und Bänder des Beckenbodens sowie die entsprechenden Öffnungen. Anhand dieses Bildes lässt sich die Komplexität des Beckenbodens leicht erkennen.

Bei Störungen dieses komplexen Zusammenspiels innerhalb des Beckenbodens kann es zu Problemen kommen, die sich in unterschiedlichen Symptomen äußern können. Funktioniert beispielsweise der Verschluss nicht, so kommt es zur Inkontinenz, die sich in Form eines Harn- oder auch Stuhlverlusts äußern kann. Ist die Haltefunktion betroffen, so werden Beschwerden im Sinne eines Senkungsgefühls oder Vorfalles auftreten.

Der weibliche Beckenboden

Der weibliche Beckenboden besteht im Wesentlichen aus der Beckenbodenmuskultur. Diese wiederum fungiert als untere Begrenzung der Beckenhöhle. Die Hauptaufgaben der Beckenbodenmuskulatur bestehen zum einen in einer Haltefunktion, das heißt dem Halten der Beckenorgane im sogenannten kleinen Becken, dem unteren Teil des Beckens. Anders ausgedrückt: Sie stabilisiert die Organe und verhindert, dass sie sich nicht absenken bzw. „aus der Scheide fallen“. Des Weiteren hat die Beckenbodenmuskulatur auch die Aufgabe einer Schließfunktion, wodurch ein unwillkürlicher Harn- oder Stuhlverlust vermieden wird. Der Beckenboden mit all seinen Strukturen und Organen hat also zwei wichtige Funktionen:

das „Halten“ der Organe

das willkürliche Verschließen von Enddarm, Harnröhre und Scheide

Damit dies alles gut funktionieren kann, ist ein Zusammenspiel von Muskulatur, Bindegewebe, Faszien, Bändern und der knöchernen Anteile des Beckens erforderlich. Neben den muskulären Anteilen des Beckenbodens werden die Beckenorgane nämlich auch durch Bindegewebsstrukturen an ihrem Platz gehalten. Dabei wird der Beckenboden in drei Kompartimente unterschieden:

vorderes Kompartiment: Blase und Harnröhre

mittleres Kompartiment: Scheide und Gebärmutter

hinteres Kompartiment: Enddarm

Zu den Organen im kleinen Becken der Frau zählen:

Harnblase, Harnröhre

Scheide, Gebärmutter

Enddarm

Die Harnblase befindet sich vor der Gebärmutter und dem Darm und unmittelbar hinter dem Schambein. Ihre Funktion besteht darin, den aus den Nieren über die beiden Harnleiter kommenden Harn zu sammeln, zu speichern und bei Bedarf, spätestens aber bei voller Fülle, über die Harnröhre auszuscheiden. Wichtig zu wissen: Sie können Ihre Beckenbodenmuskulatur steuern, nicht aber die Harnblase selbst.

Die Harnblase ist ein Hohlorgan und besteht aus drei Schichten:

einer inneren Schleimhautschicht (Urothel)

einer Muskelschicht (Detrusormuskel), die es der Blase ermöglicht, sich unwillkürlich beim Füllen zu dehnen und beim Harnlassen zusammenzuziehen (kontrahieren), sowie

einem sogenannten serösen Überzug, der die Grenze zum Bauchraum darstellt

Die links stehende Abbildung zeigt Ihnen die Harnblase sowie die Beziehung zu ihren Nachbarorganen.

Der männliche Beckenboden

Der männliche Beckenboden ist muskulär im Wesentlichen vergleichbar aufgebaut wie bei der Frau. Die Schließmuskulatur ist allerdings in der Regel stärker ausgeprägt. Was sich natürlich unterscheidet, sind die Beckenorgane und die äußeren Geschlechtsteile.

Die Harnblase beim Mann mündet in die Harnröhre, die nachvollziehbarerweise einen längeren Verlauf hat als die weibliche. Die Harnröhre wiederum steht in Verbindung mit der Samenröhre, die die Flüssigkeit der Bläschendrüse transportiert. Auch die Samenfäden aus dem Hoden gelangen über den Samenleiter dorthin.

Die kastaniengroße Prostata, auch Vorsteherdrüse genannt, umfasst ringförmig die Harnröhre und gibt ebenso ein Sekret in die Röhre ab.

Unterschiede zwischen Mann und Frau

Interessanterweise finden wir nicht nur innerhalb des Beckenbodens, sondern auch im Bereich des knöchernen Beckens Unterschiede zwischen Mann und Frau. Das Becken der Frau ist niedriger, breiter und weiter, während beim Mann das Becken höher, schmaler und enger ist. Diese funktionelle Anpassung des weiblichen Beckens dient dem Geburtsvorgang.

Im Gegensatz zum männlichen Becken ist der Beckenboden bei der Frau ausgedehnter und weniger steil, aber auch schwächer ausgebildet. Zusätzlich ist die Last durch die drei Kompartimente auf den weiblichen Beckenboden größer. Auch sind Schwachstellen im Musculus levator ani häufiger bei Frauen zu finden. Ebenso besteht durch die Scheide eine weitere Öffnung und somit eine potenzielle weitere Schwachstelle. Diese anatomischen Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtern ermöglichen einerseits die Geburt, während sie auf der anderen Seite mit einer erhöhten Anfälligkeit für eine mögliche Beckenbodenschwäche einhergehen.

Im Gegensatz zum männlichen Becken ist der Beckenboden bei der Frau ausgedehnter und weniger steil, aber auch schwächer ausgebildet.

Durch eine Beckenbodenschwäche kann es zur Ausprägung verschiedener Krankheitsbilder, z. B. Senkung (Beckenorganprolaps), Harnverlust, Stuhlverlust oder auch zu anderen Anomalien der unteren Harnwege oder des Magen-Darm-Traktes kommen.

Die Beckenbodeninsuffizienz oder Beckenbodenschwäche ist ein komplexes Krankheitsbild und von einer großen Anzahl an Risikofaktoren abhängig. Weil Frauen im Gegensatz zu Männern um ein Vielfaches häufiger von einer Beckenbodeninsuffizienz betroffen sind und die Probleme bei Männern anders gelagert sind, liegt der Schwerpunkt bei der Behandlung auf Frauen. Informationen speziell für Männer finden Sie ab Seite 60.

Risikofaktoren für eine Inkontinenz

Natürlich stellen sich nun folgende Fragen: Wann bekommt man eigentlich einen schwachen Beckenboden? Bekommt jeder mit zunehmendem Alter ein Beckenbodenproblem? Gibt es Risikofaktoren oder gibt es Faktoren, die mich vor einer Beckenbodenschwäche schützen?

Neben groben Kenntnissen der Anatomie ist es also auch wichtig, über Risikofaktoren Bescheid zu wissen, da ein Großteil dieser Risikofaktoren vermeidbar ist und Sie dadurch aktiv Ihren Beckenboden schützen können.

Harninkontinenz

Man unterscheidet bei Harninkontinenz prinzipiell zwischen geburtshilflichen Risikofaktoren, das heißt, alles, was im Rahmen von Schwangerschaft und Geburt negativ auf den Beckenboden einwirken kann, und nichtgeburtshilflichen Risikofaktoren, wie sie auch für Männer gelten.

Geburtshilfiche Risikofaktoren

Ein dominanter Risikofaktor für einen später schwachen Beckenboden ist die Anzahl der vaginalen Geburten. Das Risiko, im späteren Leben eine Senkung zu entwickeln, liegt nach zwei Geburten bei zirka 8,4 Prozent und das relative Risiko steigt bei mehr als vier Geburten bereits auf 10,9 Prozent an.

Obwohl das Risiko einer Senkung mit der zunehmenden Geburtenanzahl deutlich ansteigt, ist es dennoch möglich, dass Senkungsbeschwerden auch als Folge einer langen beschwerlichen Geburt oder eines Geburtstraumas bereits nach dem ersten Kind auftreten. Ursächlich für die Verletzung bzw. Zerstörung der Beckenbodenmuskulatur oder eines Nervs können beispielsweise eine Zangengeburt, ein langer beschwerlicher Geburtsverlauf oder auch ein sehr großes Kind sein. Sollte während der Entbindung eine ausgeprägte Geburtsverletzung (z. B. eine Verletzung des Schließmuskels bzw. ein hochgradiger Dammriss) entstanden sein, kann diese den Vorfall der Beckenorgane im späteren Leben ebenfalls begünstigen.

Umstritten bleibt allerdings, ob ein Kaiserschnitt im Vergleich zur vaginalen Geburt das Risiko für eine spätere Beckenbodenschwäche senken kann. Man weiß aus verschiedenen Untersuchungen mittlerweile, dass nicht nur die Geburt, sondern auch die Schwangerschaft per se einen belastenden Einfuss auf den Beckenboden hat. Dies ist insofern nachvollziehbar, als es in der Schwangerschaft durch die hormonelle Umstellung zu zahlreichen Veränderungen kommt. Dies betrifft einerseits die gesamten Muskel- und Bindegewebsstrukturen: Der Muskeltonus nimmt ab, die Bandverbindungen im kleinen Becken werden nachgiebiger. Andererseits wirkt auch die vermehrte Gewichtszunahme in der Schwangerschaft auf den Beckenboden ein.

Ein geplanter Kaiserschnitt schützt zwar nicht mit Sicherheit vor einer späteren Beckenbodenschwäche wie Harnverlust, allerdings konnten zahlreiche Studien belegen, dass Frauen nach vaginalen Geburten tendenziell häufiger Harn verlieren als nach einem Kaiserschnitt.

Weitere Risikofaktoren

Lebensalter Aber nicht nur die Schwangerschaft, Anzahl der Geburten usw. ist ein Risikofaktor für einen schwachen Beckenboden, auch das Alter per se trägt einiges dazu bei – und das gilt gleichermaßen für Frauen und Männer. Wir wissen heute sehr gut, dass Beschwerden des Beckenbodens wie Harnverlust oder Senkungsbeschwerden mit steigendem Alter stark zunehmen, wobei vermutlich die Kombination aus Alter und Östrogenabfall im Alter (durch die Wechseljahre) die Beckenbodenproblematik begünstigt. Der sogenannte Altersgipfel von Patientinnen, die mit einer Senkung operiert werden, liegt im Durchschnitt zwischen 71 und 73 Jahren.

Der Großteil der Beckenbodenprobleme kündigt sich also in den Wechseljahren an. Diese können durch unangenehme Beschwerden geprägt sein, sodass bei manchen Frauen eine Hormonbehandlung (sogenannte Hormonersatztherapie) zur Linderung der Symptome erforderlich ist. Sollte bei Ihnen zur Behandlung von Wechselbeschwerden eine Hormonersatztherapie notwendig werden, so ist es wichtig zu wissen, dass sich unter dieser Therapie die Beschwerden eines Harnverlusts noch verstärken oder überhaupt neu auftreten können. Im Gegensatz dazu wirkt der Einsatz lokaler Östrogene – in Form von Cremes, Zäpfchen oder Pessaren – durchweg positiv auf den Beckenboden.

Risikofaktoren beim Mann sind neben altersbedingten Veränderungen der Blase, Prostata und Beckenbodenmuskulatur auch Folgen von Prostataoperationen.

Leider ist die Schwäche des Beckenbodens meistens kein singuläres Problem, das leichter behoben oder vermieden werden könnte, als wenn mehrere Risikofaktoren auf den Beckenboden einwirken. Die meisten Beckenbodenschwächen sind multifaktoriell, das bedeutet, dass viele verschiedene Risikofaktoren existieren, die im Laufe des Lebens ungünstig auf den Beckenboden einwirken können.

Genetische Veranlagung Neben den genannten geburtshilflichen Risikofaktoren (Anzahl der Geburten, traumatische Geburt, Geburtsverletzungen, Schwangerschaft) sowie dem Alter kann auch eine positive Familienanamnese ein Risikofaktor sein: Wenn beispielsweise schon Ihre Mutter oder Ihr Bruder mit einem schwachen Beckenboden zu kämpfen hatten, so scheint das Risiko für Sie als Verwandte ersten Grades ebenso erhöht zu sein. Auch schwere körperliche Arbeit – beispielsweise in einem landwirtschaftlichen Beruf – oder das lange Stehen und das Heben schwerer Lasten über viele Jahre schwächt zusätzlich den Beckenboden und trägt wesentlich dazu bei, im Laufe der Jahre eine Senkung zu entwickeln.

Übergewicht Wir müssen uns aber auch vor Augen halten, dass unser Lebensstil seinen Teil zur Entwicklung einer Beckenbodenschwäche beitragen kann. Speziell Übergewicht und Nikotinkonsum stehen an erster Stelle der Lifestyle-Faktoren in der Risikoskala des Harnverlusts.

Vor allem das Körpergewicht der Frau ist schon in „jungen“ Jahren von Bedeutung. So weiß man aus verschiedenen Untersuchungen, dass sowohl das Gewicht vor einer Schwangerschaft als auch eine rasche Gewichtszunahme während der Schwangerschaft sowie ein zu hoher Body-Mass-Index (BMI) nach der Geburt einen eindeutigen Zusammenhang mit einem Harnverlust aufweisen. Ein BMI > 30 (hier spricht man schon von Adipositas) gilt als besonders ungünstig. Eine ausgewogene Ernährung bzw. Diät hat erwiesenermaßen einen positiven Effekt auf das Harninkontinenzrisiko. Mehr dazu finden Sie im Kapitel „Das können Sie selbst tun“ ab Seite 127.

Nikotin Auch das Rauchen kann, neben den allgemein bekannten Risiken, negative Auswirkungen auf den Beckenboden haben. Entwickeln Raucher beispielsweise nach Jahren des Nikotinkonsums eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), wirkt sich diese durch den ständig erhöhten Druck im Bauchraum und den chronischen Hustenreiz zusätzlich negativ auf den Harnverlust aus bzw. begünstigt diesen.

Wie Sie sehen, existieren zwar zahlreiche unterschiedliche Risikofaktoren, allerdings handelt es sich bei einem Großteil davon um vermeidbare Faktoren, die jederzeit von Ihnen selbst korrigiert werden können.

Stuhlinkontinenz

Das Auftreten einer Krankheit exakt vorauszusagen, ist kaum möglich. Jedoch lässt sich das Risiko errechnen, ob sich eine bestimmte Erkrankung entwickelt. Viele Studien konnten z. B. klar feststellen, dass Rauchen schädlich ist und die Wahrscheinlichkeit deutlich steigert, an Lungenkrebs zu erkranken. Dementsprechend gibt es auch Faktoren, die mit dem Auftreten eines unkontrollierten Stuhlverlusts zusammenhängen.

In der US-amerikanischen Wisconsin Family Health-Umfrage wurden telefonisch 6959 Menschen über ihren Gesundheitszustand befragt. Die Autorinnen und Autoren fanden heraus, dass das höhere Alter, das weibliche Geschlecht, ein schlechter Allgemeinzustand und die körperliche Beeinträchtigung unabhängige Risikofaktoren für das Auftreten einer Stuhlinkontinenz waren. Andere Untersuchungen nannten die Entfernung der Gallenblase und der Gebärmutter und Durchfall als Faktoren, die einen unkontrollierten Verlust von Stuhl begünstigen.

Was können Sie tun, um eine spätere Stuhlinkontinenz zu vermeiden? Klar ist, nicht jeder Risikofaktor lässt sich ausschalten. Wir altern nun einmal, und auch das Geschlecht ist genetisch vorgegeben. Gallenblase oder Gebärmutter werden in der Regel ebenso nicht leichtfertig entfernt. Wer jedoch einen möglichst gesunden und aktiven Lebensstil wählt und wer die Beckenbodenmuskulatur regelmäßig trainiert, hat gute Voraussetzungen, um auch im Alter weitgehend fit zu sein. Vielleicht senkt man damit auch das Risiko, ein späteres Beckenbodenproblem zu bekommen.

Leidet man an einer schweren und sehr belastenden Erkrankung, drängt sich häufig die Frage auf: Warum passiert das gerade mir? Tatsächlich können Betroffene den Eindruck gewinnen, dass sie allein mit ihrem Problem dastehen. Als Tabuthema wird Stuhlinkontinenz oft lieber verschwiegen, ja selbst in der eigenen Familie wird darüber nicht gesprochen. Die Medien öffnen sich nur langsam dem Thema.

Doch Tatsache ist: Der unkontrollierte Stuhlverlust ist keine Seltenheit. Seit vielen Jahren versuchen Forscherinnen und Forscher, verlässliche Daten darüber zu sammeln, wie häufig er vorkommt. Die meisten Befragungen wurden telefonisch oder in Briefform durchgeführt. Da allerdings viele Menschen selbst gegenüber ihrem Vertrauensarzt dieses Problem lieber verschweigen, ist davon auszugehen, dass eine solche Erhebung ein deutlich niedrigeres Auftreten beschreibt. Die Dunkelziffer ist sicherlich wesentlich höher. Eine besonders umfassende wissenschaftliche Arbeit hat mehrere Studien zusammengefasst. Hier kommen die Autorinnen und Autoren zu folgenden Ergebnissen: 0,8 Prozent der Männer und 1,6 Prozent der Frauen zwischen 15 und 60 Jahren waren von Inkontinenz in Form von festem und flüssigem Stuhl betroffen. Ab einem Alter von 60 Jahren stieg die Häufigkeit rasant an. Bei Frauen waren nun rund 6 Prozent betroffen, bei Männern rund 5 Prozent. Erwähnenswert ist, dass der Kontrollverlust über Winde hier noch nicht berücksichtigt wurde. Wir sprechen also von einem relevanten und häufigen Krankheitsbild.

Symptome eines schwachen Beckenbodens

Die ersten Assoziationen zum Thema Beckenboden sind meist „Urinverlust“ oder „Wichtig nach der Schwangerschaft“ oder „Das haben nur alte Menschen“. Das alles ist nicht falsch, spiegelt aber nur einen kleinen Anteil der möglichen Probleme wider.

Das Ausmaß der Symptomatik bei einer Beckenbodenschwäche oder Beckenbodendysfunktion ist sehr variabel und wird auch sehr unterschiedlich wahrgenommen. Im Folgenden sollen die häufigsten Beschwerden und Symptome kurz erläutert werden, bevor Sie ab Seite 33 ausführlich die jeweiligen Behandlungsmöglichkeiten kennenlernen.

Niemand muss mit Harninkontinenz leben!

Harnverlust, Harndrang und Harninkontinenz

Das Wichtigste voraus: Es gibt für die meisten Formen der Harninkontinenz einfache Behandlungsmöglichkeiten. Keine Frau und kein Mann muss sich damit abfinden, damit leben zu müssen.

Eine Beckenbodenschwäche kann sich im Symptom des Harnverlusts oder Harndrangs äußern. Verlieren Sie unfreiwillig Harn, so spricht man von einer Harninkontinenz. Die internationale Kontinenzgesellschaft (International Continence Society, ICS) definiert dies als jeden unwillkürlichen Harnabgang, das heißt, wenn es Betroffenen nicht möglich ist, Zeitpunkt und Ort der Harnausscheidung zu kontrollieren. Dabei geht der Harn entweder ständig oder nur in bestimmten Situationen tröpfchenoder strahlweise ab. Es handelt sich also nicht um ein eigenes Krankheitsbild, sondern ein Symptom für eine zugrunde liegende Erkrankung des Harnsystems.

Aufgrund der starken Tabuisierung des Themas Harnverlust schwanken die Häufigkeitsangaben zur Harninkontinenz in den wissenschaftlichen Studien weltweit. Man darf annehmen, dass etwa 10 Prozent aller erwachsenen Frauen mindestens einmal wöchentlich unwillkürlich Harn verlieren, während bis zu 45 Prozent über gelegentlichen Harnverlust berichten.

Wie Sie vielleicht schon selbst erleben mussten, wird das tägliche Leben durch den Harnverlust beträchtlich eingeschränkt. Die Lebensqualität leidet sehr darunter, und Aktivitäten, die man früher gern gemacht hat, z. B. Sport oder Theaterbesuche, werden oft komplett eingestellt.

Ein unfreiwilliger Harnverlust kann unterschiedliche Ursachen haben und sich dementsprechend in vielfältigen Symptomen äußern. Man unterscheidet je nach vordergründiger Symptomatik folgende Formen:

Belastungs- oder Stressinkontinenz: Harnverlust bei Belastung und entsprechender Druckerhöhung im Bauchraum; typische Situationen: Husten, Lachen, Niesen, Bewegung, Treppensteigen usw.

Dranginkontinenz (überaktive Blase mit Harnverlust): Harnverlust mit einem gleichzeitigen nicht unterdrückbaren Harndrang. Typische Situationen sind das Aufsperren der Wohnungstüre, das Laufen eines Wasserhahns usw.

Überaktive Blase ohne Harnverlust: nicht unterdrückbarer Harndrang mit vermehrten Toilettengängen tagsüber (mehr als achtmal pro Tag), eventuell auch nächtliche Toilettengänge, aber ohne Harnverlust

Mischinkontinenz: eine Mischung aus beiden Formen (Belastungs- und Dranginkontinenz)

Überlaufinkontinenz: Harnverlust bei chronischem Harnverhalt und gefüllter Blase

Mehr dazu lesen Sie später auf den Seiten 34 und 60, wenn es um die Harninkontinenz bei der Frau und beim Mann geht.

Stuhlverlust

Stuhlverlust bedeutet, den Stuhl zu einem falschen Zeitpunkt und an einem falschen Ort ungewollt zu verlieren. Diese Erklärung ist so logisch wie oberflächlich – schließlich hat Stuhlverlust noch eine ganze Reihe weiterer Facetten.

Die Kontrolle über den Stuhl zu verlieren, kann schleichend erfolgen und beständig an Intensität zunehmen – etwa aufgrund eines schwächer werdenden Beckenbodens oder auch als Folge von Erkrankungen des Nervensystems. Dazu gehört unter anderem Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson. Auch traumatische Ereignisse wie eine Operation, die mit einer Verletzung von wesentlichen Nerven oder des Schließmuskelapparates einhergehen, können zu einem sofortigen Kontrollverlust führen.

Der Schweregrad der Stuhlinkontinenz kann ganz unterschiedlich ausgeprägt sein.

Wer eine leichte Form hat, verliert ungewollt Winde.

Ein mittelschwerer Grad an Inkontinenz liegt vor, wenn nur flüssiger Stuhl verloren geht, fester Stuhl aber gut kontrolliert wird.

Als schwere Form wird der Verlust von festem Stuhl bezeichnet.

Solche Einteilungen sind in der Medizin praktisch, denn dadurch können Patientengruppen kategorisiert und Behandlungsergebnisse vergleichbar gemacht werden. Das hilft und ermöglicht wissenschaftliche Untersuchungen. In der Praxis ist eine entsprechende Einteilung aber oft weniger bedeutsam: Es gibt Patientinnen und Patienten, die selbst die leichte Form der Stuhlinkontinenz wie den unkontrollierten Verlust von Winden als lebenseinschneidendes Problem empfinden. Das ist durchaus nachvollziehbar. Entweicht in der Öffentlichkeit unkontrolliert und womöglich sogar hörbar ein Wind, kann das sehr unangenehm sein. Die Situation verschlimmert sich, wenn so etwas häufig passiert, ja sogar zur Gewohnheit wird. Es ist also selbst bei dieser trotz offizieller Definition „milden Form“ verständlich, dass die Betroffenen eine ganz andere Beschreibung für das Problem finden würden. Für einige Menschen sind die Auswirkungen sogar so unangenehm, dass sie sich sozial zurückziehen.

Man unterscheidet eine aktive von einer passiven Stuhlinkontinenz:

Aktiver Stuhlverlust bedeutet, dass die Inkontinenz bewusst wahrgenommen wird. In der Praxis heißt das: Man spürt normal den Stuhldrang, aber schafft es nicht rechtzeitig auf die Toilette. Zu Hause passiert geht es vielleicht gerade noch gut, doch unterwegs wird die Sache schwieriger: Wer plötzlich eine Toilette benötigt, dem reicht die Zeit des Suchens oft nicht mehr aus. Es ist auch bei diesem Problem gut nachvollziehbar, dass Betroffene lieber zu Hause bleiben und sich leider zurückziehen.

Wenn auch noch die Wahrnehmung empfindlich gestört ist, spricht man von einer passiven Stuhlinkontinenz: Der Stuhlverlust wird erst wahrgenommen, wenn es bereits zu spät ist. Diese Variante ist besonders unangenehm, da es keine klaren Warnsignale gibt und ein solches Ereignis ständig auftreten kann. Ein ähnliches Beschwerdebild ist das Stuhlschmieren. Patientinnen und Patienten geben an, den Stuhl zwar gut kontrollieren zu können, beklagen aber oft eine „feuchte“ Situation im Afterbereich. Sie schaffen es zum Teil auch nur sehr schwer, sich nach dem Stuhlgang komplett zu reinigen.

Vorfall der Beckenorgane

Oft berichten Patientinnen, dass ihnen plötzlich eine Vorwölbung oder Ausbuchtung im Bereich der Scheide aufgefallen ist, die sich wie ein Ei anfühlt oder aussieht. Andere Frauen berichten wiederum über unangenehme, ziehende Unterbauchschmerzen oder Kreuzschmerzen mit einem Druckgefühl im Genitalbereich, ein ungewohntes Fremdkörpergefühl in der Scheide oder Schmerzen beim Verkehr.

Die Palette an Beschwerden kann also sehr groß und unterschiedlich sein. Allen Frauen gemeinsam allerdings ist, dass sie an einer Senkung – auch Prolaps oder Beckenorganprolaps genannt – leiden bzw. diese ursächlich für die oben beschriebenen Beschwerden ist.

Das lateinische Wort „Prolaps“ beschreibt das Abrutschen, Herunterfallen oder Tiefertreten eines Organes. Beckenbodenorgane sind die Gebärmutter, die Scheide und deren Nachbarorgane wie die Harnblase oder der Enddarm. Hierbei kommt es zu einem Verlust der Befestigung der Organe, was wiederum zu einem Abstieg in den Scheidenkanal führt. Unter einem Beckenorganprolaps versteht man also eine Veränderung der normalen anatomischen Verhältnisse.

Der Grund, weswegen die Beschwerden so vielseitig und unterschiedlich auftreten können, liegt daran, dass bei einer Senkung unterschiedliche Bereiche – die Kompartimente, siehe Seite 13 – betroffen sein können. Abhängig vom betroffenen Beckenbodenkompartiment und Schweregrad zeigen sich verschiedene Beschwerden, welche die Lebensqualität teilweise schwer beeinträchtigen können.

Bei einer Senkung im Bereich der vorderen Scheidenwand und Harnblase kann es zu einer Blasenentleerungsstörung kommen. Oft beschreiben Patientinnen, dass sie das Gefühl haben, die Blase nicht vollständig entleeren zu können. Durch die Menge an Harn, die immer wieder in der Harnblase verbleibt, kann es leichter zu Infektionen kommen, daher leiden diese Frauen auch häufig an immer wiederkehrenden Harnwegsinfekten.

Sind die hintere Scheidenwand und der Enddarm betroffen, also gesenkt, so äußert sich dies oft in einer sehr störenden Verstopfung. Auch das Gefühl, den Stuhl nicht vollständig entleeren zu können, ist ein unangenehmes Beschwerdebild. Oft verweilt man sehr lange auf der Toilette, um durch verstärktes Pressen eine vollständige Entleerung zu bewirken. Leider ist meist das Gegenteil der Fall, und das Problem verstärkt sich noch mehr, da durch das ständige Pressen die Senkung noch ausgeprägter wird.

Auch das Gefühl der „weiten“ oder auch „klaffenden“ Scheide, das von vielen Frauen als sehr unangenehm und störend beim Geschlechtsverkehr empfunden wird, gehört zu den typischen Senkungsbeschwerden. Eine weite Scheide kann auch das Gefühl hervorrufen, dass sich zu viel Luft in der Scheide befindet oder ständig Luft entweicht.

Schmerzen beim Sex

Schmerzen bei oder während des Geschlechtsverkehrs, medizinisch als Dyspareunie bezeichnet, stellen häufig ein komplexes Beschwerdebild dar. Gerade im Rahmen solcher Beschwerden ist es wichtig, alle möglichen Ursachen dafür genau abzuklären und zu evaluieren.

Vor allem Frauen in den Wechseljahren leiden an diesen Symptomen. Dies lässt sich leicht erklären, da durch den Östrogenabfall vor allem die Schleimhäute betroffen sind und trocken sowie verletzlich werden – von dieser Trockenheit kann eben auch die Scheide betroffen sein. Eine sehr trockene Scheidenschleimhaut wird als sehr unangenehm bis schmerzhaft im Rahmen der vaginalen Penetration wahrgenommen. Auch können kleine Einrisse in der Scheidenschleimhaut die Schmerzen noch verstärken.

Zu erwähnen ist aber auch, dass Frauen mit einer Senkung diese während des Geschlechtsverkehrs noch deutlicher bzw. schmerzhaft spüren. Da das Sexualleben etwas sehr Intimes ist, sollte Ihr Arzt oder Ihre Ärztin eine Befragung nicht nur einfühlsam, sondern auch mithilfe von bewährten standardisierten Fragebögen zu diesem Thema vornehmen.

Blasenschmerzen

Neben den häufigen Senkungs- oder Inkontinenzbeschwerden gehören auch Blasenschmerzen zu möglichen Symptomen einer Beckenbodenschwäche. Blasenschmerzen verursachen häufig einen enormen Leidensdruck. Sie können während der Blasenfüllung, aber auch im Rahmen der Blasenentleerung auftreten. Auch kann der sehr unangenehme Blasenschmerz mit weiteren Symptomen wie vermehrter Drangsymptomatik, häufigem Wasserlassen und nächtlichem Urinieren kombiniert sein. Auch im Rahmen eines Infekts wie bei einem Harnwegsinfekt oder einer Blasenentzündung kann es zu Blasenschmerzen kommen. Diese Schmerzen werden direkt hinter dem Schambein lokalisiert.

Chronische Beckenschmerzen

Schmerzen im Becken oder im Unterbauch kommen häufig vor. Sie können stechend sein, stumpf oder vielleicht auch krampfartig auftreten. Sie können ständig vorhanden sein oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten über den Tag verteilt auftreten. Sie werden vielleicht nur für eine kurze Zeit von wenigen Minuten wahrgenommen oder sie dauern einige Stunden.

Wie Sie darauf reagieren, hängt natürlich auch von deren Intensität ab. Ein leichter Schmerz wird zwar registriert, hält uns aber selten davon ab, unsere Gewohnheiten zu ändern. Gern ignorieren wir ihn. Ist das Schmerzgefühl sehr intensiv, bleibt oft keine Wahl – man muss sich mit dem Problem beschäftigen. Ab einer gewissen Stärke ist die professionelle Hilfe einer Ärztin oder eines Arztes gefragt, der oder die eine Abklärung vornimmt und abhängig von der Ursache eine Therapie einleitet.

Interessant ist, dass für Schmerzen, und das gilt auch für den Beckenboden, häufig kein Grund gefunden werden kann. Die Behandlung richtet sich daher auf die Kontrolle der Beschwerden. Im einfachsten Fall werden Schmerzmittel verschrieben. Das Leben nimmt seinen gewohnten Lauf, über den Schmerz wird nicht weiter nachgedacht. Allerdings trifft das nicht immer zu. Manchmal hält der Schmerz an, die Schmerzmittel helfen nicht oder verlieren ihre Wirkung, sobald sie abgesetzt werden. Wenn dieser Zustand länger als sechs Monate dauert, spricht man von einem Chronischen Schmerzsyndrom.

Dieses Syndrom bezieht sich auch auf das Becken und den Unterbauch. Als obere Grenze wird oft der Nabel herangezogen. Es betrifft sowohl Männer als auch Frauen. Medizinisch wird außerdem zwischen menstruationsabhängigen und zyklusunabhängigen Beschwerden unterschieden. Einheitliche Definitionen gibt es nicht, deswegen ist auch schwer zu bemessen, wie häufig ein chronisches Schmerzsyndrom im Becken auftritt. Was jedoch auffallend ist: Bei bis zu 60 Prozent der Betroffenen kann keine Ursache für die Schmerzen gefunden werden. Was die Folge davon ist, erfahren Sie in den kommenden Kapiteln.

DIE BEHANDLUNGSMÖGLICHKEITEN

Beckenbodenbeschwerden können unterschiedliche Ursachen haben und sich in verschiedenster Ausprägung bemerkbar machen. Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin stehen zahlreiche Methoden zur Verfügung, um festzustellen, wo das Problem genau liegt. Welche medizinischen Maßnahmen es für welche Ausprägungen der Beckenbodenschwäche gibt und was Sie selbst tun können, um Ihren Beschwerden entgegenzuwirken, erfahren Sie in diesem Kapitel.

Harninkontinenz bei der Frau

Diagnose

Wie wir wissen, ist die Fähigkeit, die Blase zu kontrollieren, ein Meilenstein in der kindlichen Entwicklung. So ist es umso verständlicher, dass man besonders darunter leidet, wenn man später als erwachsener Mensch diese Kontrolle wieder verliert oder nicht mehr vollständig innehat. Viele Frauen ziehen sich aus Scham zurück und isolieren sich. Manche geben sogar ihre gewohnten und liebgewonnenen Tätigkeiten wie Theaterbesuche, Sport oder Reisen auf. Das ist immer wieder sehr schade zu hören, einerseits weil es zeigt, dass dieses Thema in unserer Gesellschaft noch immer mit einem Tabu belegt ist, andererseits aber auch, weil man etwas dagegen tun kann – sprich, es gibt sehr wohl Hilfe.

Frau K. wurde nach vielen Jahren Harnverlust bei mir vorstellig. Am Beginn unseres Gesprächs eröffnete sie mir, dass sie dachte, der Harnverlust gehöre eben zum normalen Altern dazu, da könne man ohnehin nicht mehr viel machen. Frau K. war zum damaligen Zeitpunkt 73 Jahre alt, eine rüstige aktive Dame, die gern auf Reisen ging und vor allem Kulturbesuche liebte. Als sie mit 71 Jahren erstmals die Oper aufgrund eines nicht unterdrückbaren Harndrangs, gefolgt von Harnverlust, akut verlassen musste, war sie nicht nur beschämt und verzweifelt, sondern stornierte auch ihre weiteren Opernbesuche, da sie dasselbe nicht mehr erleben wollte.

Als sie ein Jahr später für eine Premiere Karten von ihrer Tochter geschenkt bekam, wagte sich Frau K. doch noch einmal in die Oper, allerdings mit gemischten Gefühlen. Sie erzählte mir, sie habe an diesem Tag tagsüber fast gar nichts getrunken, um einen Harndrang in der Oper zu vermeiden. Dennoch kam es nach zwei Stunden Sitzen zu einem nicht unterdrückbaren Harndrang, den Frau K. nicht halten konnte. Die Sache war ihr so peinlich, dass sie beschloss, dass dies ihr letzter Besuch in der Oper war.

Das Schicksal von Frau K. ist leider kein Einzelfall. Vielen Frauen geht es so, und es dauert oft sehr lange, bis sie endlich einen Experten oder eine Expertin aufsuchen, die ihnen helfen können. Wie wichtig es ist, dieses Problem offen anzusprechen, zeigen uns die vielen, oft sogar einfachen Behandlungsmöglichkeiten. Kein Mensch muss sich also damit abfinden, „damit“ leben zu müssen.

Der Harn wird durch einen Ventilmechanismus in der Harnblase gehalten, der geschlossen bleibt, bis bei Harndrang die Toilette aufgesucht wird. Dieser Ventilmechanismus besteht größtenteils aus der die Harnröhre umgebenden Beckenbodenmuskulatur unterhalb der Harnblase. Diese Muskulatur kann man grundsätzlich willkürlich steuern. Oft ist das Wahrnehmen dieser Muskeln aber nicht so einfach und braucht Unterstützung durch eine Physiotherapie.

Die Harnröhre, durch die der Urin von der Harnblase nach außen geleitet wird, ist bei Frauen etwa drei bis vier Zentimeter lang und endet im Scheidenvorhof. Die Verschlüsse wirken einem möglichen Druck vom Bauchraum auf die Blase entgegen. Ein solcher entsteht z. B. beim Heben, beim Husten oder Niesen.

Während sich die Harnblase füllt, registrieren die Nerven in der Blasenwand ständig den Füllungszustand und melden ihn ans Gehirn. Der Blasen- oder Detrusormuskel (Musculus detrusor vesicae, der „Austreiber der Harnblase“) entspannt und dehnt sich, die Beckenbodenmuskulatur bleibt in Spannung. Bei sich füllender Harnblase wird ein Harndrang empfunden, der jedoch unterdrückt werden kann, hauptsächlich durch zusätzliche Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur.

Wird die Entscheidung zur Entleerung getroffen, wenn Ort und Zeit als geeignet empfunden werden, sendet das Gehirn ein Signal an die Harnblase, genauer gesagt an den Blasenmuskel, sich zusammenzuziehen, um so den Harn auszutreiben und die Blase zu entleeren. Gleichzeitig entspannt sich die Beckenbodenmuskulatur, wodurch sich der Ventilmechanismus öffnet. Im Normalfall wird die Harnblase zwischen vier- bis achtmal pro Tag sowie gar nicht bis einmal pro Nacht entleert.

Ein gesundes sowie ungestörtes Zusammenspiel von Muskeln und Gehirn ist also die Voraussetzung für die Kontrolle über unsere Blasenfunktion. Wenn dieses Zusammenspiel von Muskeln und Nerven gestört ist, kann es zum unfreiwilligen Harnverlust kommen. Um Ihnen eine geeignete Hilfe anbieten zu können, muss zuerst eine genaue Abklärung mit dem Ziel erfolgen, eine Diagnose zu erlangen.

Anamnese

Am Anfang steht immer ein ausführliches Gespräch (Anamnese). Mir ist es hier besonders wichtig, dass mir die Patientin ihr Problem in ihren eigenen Worten schildert. Ich sage am Beginn eines Gesprächs: „Bitte beschreiben Sie mir in Ihren Worten, was Sie am meisten stört.“ Darüber hinaus ist es sinnvoll, dass die Abklärung durch einen Spezialisten erfolgt. Dies sollte optimalerweise eine Ärztin oder ein Arzt mit spezieller Ausbildung in der Beckenbodenmedizin sein – meist handelt es sich hier um Gynäkologinnen mit Schwerpunkt Urogynäkologie oder Urologen. Wichtig ist auch, dass bei Bedarf andere Berufsgruppen wie Pflegepersonal, Physiotherapeutinnen eingebunden werden.

Ihre Vorgeschichte ist ebenfalls von Interesse. Gefragt werden Sie immer nach Vorerkrankungen, Operationen und Medikamenteneinnahme, die einen Einfluss auf den Beckenboden im Allgemeinen und auf den Harnverlust im Speziellen haben können. Besonderes Augenmerk gilt hier Schwangerschaften (Anzahl, Dauer) sowie Geburten (Anzahl, Kaiserschnitte, vaginale Entbindungen, Geburtsgewicht). Man wird Sie auch genau nach den Aktivitäten und Situationen befragen, die zum Harnverlust führen.

In den meisten Fällen werden Sie angeleitet, ein sogenanntes Blasentagebuch auszufüllen. Ein Blasentagebuch können Sie ganz bequem zu Hause in Ruhe über zwei bis drei Tage ausfüllen. Sie notieren, welche Menge und Art an Flüssigkeit Sie zu sich nehmen (z. B. Wasser, Tee, Kaffee, Wein usw.), wie oft Sie die Toilette aufsuchen und wie viel Sie urinieren (Ihren Harn messen Sie mit einem Messbecher ab). Sie vermerken auch, bei welcher Gelegenheit und wann es zum unfreiwilligen Harnverlust kommt.

Manchmal sind auch speziell für dieses Krankheitsbild konzipierte Fragebögen hilfreich. Oft können dabei Situationen, die schwierig in Worte zu fassen sind, ausformuliert werden, und Patientin und Arzt oder Ärztin können die Veränderung der Antworten auf Standardfragen, z. B. vor und nach einer Therapie, vergleichen. Wichtig ist es, jedes Gespräch offen zu führen und mögliche Tabus auszuräumen.

Klinische Untersuchung

Im Anschluss an das Gespräch wird in den meisten Fällen eine gynäkologische Untersuchung durchgeführt. Sollte gleichzeitig eine Senkung bestehen, muss diese mit abgeklärt werden (siehe Seite 18). Auch der Beckenboden wird abgetastet und geprüft, ob er intakt ist (manchmal kann man einen Defekt in der Muskulatur nach Geburten tasten), wie gut er willkürlich angespannt (kontrahiert) werden und wie lange diese Anspannung gehalten werden kann.

In manchen Fällen ist eine erweitere Untersuchung erforderlich, um die richtige Diagnose stellen zu können. Bei der sogenannten Urodynamik oder urodynamischen Messuntersuchung (siehe auch Seite 57) werden zwei dünne Katheterschläuche mit Druckmessern in die Harnröhre und eventuell auch in den Enddarm eingeführt. Über den Blasenkatheter wird die Blase langsam aufgefüllt. Sie werden während der Blasenfüllung gebeten zu husten, um festzustellen, ob die dabei erzeugte Druckerhöhung im Bauchraum zu einem Harnverlust führt. Sobald die Blase ausreichend gefüllt ist, wird zusätzlich ein einfacher klinischer Stresstest im Sitzen und Stehen gemacht. Für Sie bedeutet dies, nochmals kräftig – bei voller Blase – zu husten. Dabei kann festgestellt werden, ob es bei nunmehr voller Blase zu einem Harnverlust beim Husten (Erhöhung des Blasendrucks) kommt. Wenn das so ist, ist der klinische Stresstest positiv und es besteht eine Belastungsinkontinenz.

Am Ende der Untersuchung können Sie dann Ihre Blase in eine spezielle Toilette mit Sensoren entleeren. Auf diese Weise kann man feststellen, ob die Blasenentleerung in Ordnung ist.

Die Urodynamik ist eine etwas aufwendigere, aber völlig komplikationslose und größtenteils schmerzfreie Untersuchung. Wir wenden sie vor allem dann an, wenn dadurch eine Zusatzinformation zu Ihrem bestehenden Krankheitsbild gewonnen werden kann.

Ultraschall

Ein Ultraschall wird ebenso nahezu immer durchgeführt. Dabei handelt es sich um ein bildgebendes Untersuchungsverfahren, mit dem sich die inneren Organe mithilfe von Ultraschallwellen auf einem Monitor sichtbar machen lassen. Im Rahmen der Ultra schalluntersuchung in der Urologie kann der gesamte Harnund Geschlechtsapparat einschließlich des Bauchraumes und der Prostata untersucht werden.

Ein Ultraschall der Harnblase lässt Aussagen über die Funktion der Harnblase zu, indem bei der Untersuchung die Harnblasenkapazität und der Restharn bestimmt werden. Hierzu erfolgt die Ultraschalluntersuchung zunächst bei einer gefüllten Harnblase, um etwa die Harnblasenwanddicke und das Fassungsvermögen zu bestimmen. Nach der Miktion (vollständige Entleerung der Harnblase) wird die Harnblase noch mal per Ultraschall untersucht, um die Restharnmenge zu bestimmen.

Der Ultraschall dient auch zur Erkundung der anatomischen Gegebenheiten von Harnblase, Harnröhre und Beckenboden.

Harnanalyse

Urin enthält zahlreiche nachweisbare Stoffe, deshalb ist die Harnanalytik ein wichtiger Teilbereich der Labormedizin. Mit einem Harnstreifen-Schnelltest kann man schnell und einfach einen Harnwegsinfekt ausschließen. Weist der Teststreifen rote Blutkörperchen (Erythrozyten) im Urin nach, kann das unter anderem auf eine Entzündung der Harnwege zurückzuführen sein. Für eine Entzündung der Blase oder der Niere spricht, wenn außerdem auch weiße Blutkörperchen (Leukozyten) im Urin zu finden sind. Der Nachweis von Nitrit sowie ein erhöhter ph-Wert sprechen für eine Infektion der Harnwege.

Für die Harnanalyse benötigt der Arzt meist den sogenannten „Mittelstrahlurin“. Beim Verdacht auf eine Entzündung der Harnröhre untersucht man auch die erste Portion des Harns.

Allgemeine Behandlungsmaßnahmen

Mit den angeführten Methoden wird Ihre behandelnde Ärztin zu einer Diagnose kommen und mit Ihnen verschiedene Therapiemöglichkeiten besprechen.

Wie Sie mittlerweile wissen, gibt es unterschiedliche Ursachen für eine Harninkontinenz. Sie äußert sich nicht nur in unterschiedlichen Symptomen, sie wird auch in verschiedene Formen unterteilt.

Das ist insofern wichtig zu wissen, da die Behandlung der einzelnen Formen oft gänzlich unterschiedlich sein kann.

Mit einem Harnstreifen-Schnelltest kann man schnell einen Harnwegsinfekt ausschließen.

image

Belastungsinkontinenz Als Belastungsinkontinenz, auch Stressinkontinenz genannt, wird ein unfreiwilliger Harnverlust bezeichnet, der bei erhöhtem Druck im Bauchraum auftritt. Dieser Druck wird dann auf die Harnblase übertragen. Die Belastungsinkontinenz ist vor allem ein mechanisches Problem: Der Druck im Bereich der Harnröhre ist zu gering, um dem Harnblasendruck entgegenzuwirken.

Die Harnröhre und die Harnblase werden von den Muskeln, Bändern und dem Bindegewebe des Beckenbodens unterstützt, sodass während der Belastung z. B. beim Husten oder bei sportlichen Aktivitäten durch entsprechende Kontraktion der Ventilmechanismus funktioniert und so vermieden wird, dass Urin abläuft. Wenn diese Muskeln schwach sind oder beschädigt, kann es zum unfreiwilligen Urinverlust kommen.

Man kann sich dazu einen Gartenschlauch vorstellen, durch den Wasser läuft und dessen Strahl unterbrochen wird, wenn man daraufsteigt. Ist der Untergrund hart (starker Beckenboden), hat man mit dem Tritt ein Widerlager, das dazu führt, dass sich der Schlaucht abklemmt. Ist der Untergrund weich (schwacher Beckenboden), kann man mit dem Tritt keine Kraft aufbauen und den Schlauch nicht abklemmen, das Wasser wird weiterrinnen.

Betroffene Frauen mit Belastungsharninkontinenz beschreiben typischerweise, dass sie beim Husten, Lachen, Niesen, beim Sport oder auch beim Treppensteigen oder jeglicher körperlicher Aktivität (manchmal nur bei einem Lagewechsel vom Sitzen ins Stehen) Harn verlieren. Dies ist für die Betroffenen meist sehr unangenehm, da der Harnverlust ohne Vorwarnung auftritt. In dieser verständlicherweise peinlichen Situation möchte man am liebsten im Boden versinken. Die gute Nachricht ist: Es gibt Hilfe und Therapiemöglichkeiten, um solchen Situationen entgegenzuwirken, die Sie ab Seite 49 kennenlernen.

Dranginkontinenz und überaktive Blase Kommt es hingegen zu einem unfreiwilligen Harnverlust, der von einem plötzlichen Harndrang begleitet wird oder dem ein plötzlicher Harndrang direkt folgt, spricht man von einer Dranginkontinenz oder auch einer überaktiven Blase.

Betroffene Frauen haben meist wenig Warnsymptome vor der nächsten Episode des plötzlichen Harnabgangs und können den Drang schlecht bis gar nicht zurückhalten. Typische Auslöser sind ein laufender Wasserhahn oder das Aufsperren der Wohnungstür. Betroffene berichten oft, dass sie jede Toilette in ihrem Umkreis genau kennen und diese schon beim Verlassen der Wohnung vor Augen haben.

Im Gegensatz zur Belastungsinkontinenz ist bei der Dranginkontinenz der Schließmuskel der Harnröhre intakt, jedoch führen motorische oder sensorische Störungen zu unkontrollierten Kontraktionen der Harnblase. Häufig ist die Dranginkontinenz ohne nachweisbare Ursache (= idiopathisch), sie kann aber auch im Rahmen einer neurologischen Erkrankung wie Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose auftreten. Eine Über empfindlichkeit der Blase kann auch durch Tumore, Harnwegsinfekte, Steinbildung oder Östrogenmangel entstehen.

Typische Auslöser sind der Dranginkontinenz sind ein laufender Wasserhahn oder das Aufsperren der Wohnungstür.

Neben der Dranginkontinenz kann auch eine überaktive Blase ohne Harnverlust auftreten. Dies bedeutet im Prinzip ein ähnliches Beschwerdebild, das geprägt ist durch einen nicht unterdrückbaren Harndrang, vermehrte Toilettengänge tagsüber, eventuell auch nachts, aber ohne Harnverlust. Betroffene berichten, bei einsetzendem Harndrang rasch eine Toilette aufsuchen zu müssen, um den Harn gerade noch halten zu können.

Mischinkontinenz Von einer gemischten Inkontinenz spricht man bei einer Kombination von Harnverlust bei nicht unterdrückbarem Harndrang und zusätzlichem Harnverlust bei Belastung, Husten oder Niesen. Bei genauerer Befragung geben allerdings viele Frauen das vordergründige Problem an, das im Alltag am meisten stört.

Die Behandlung der einzelnen Formen von Harninkontinenz kann oft gänzlich unterschiedlich sein, die folgenden Maßnahmen haben aber eine gewisse Allgemeingültigkeit.

Autoren

  • Priv.-Doz. Dr. Stefan Riss (Autor:in)

  • Univ.-Doz. Dr. Barbara Bodner-Adler (Autor:in)

Stefan Riss ist Facharzt für Allgemeine Chirurgie und Viszeralchirurgie und Spezialist für Darm und Beckenbodenchirurgie. Er ist assoziierter Professor und Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen. Derzeit ist er Oberarzt in der Abteilung für Allgemeinchirurgie der Medizinischen Universität Wien und leitet die dortige Beckenbodenambulanz. Barbara Bodner-Adler ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Spezialistin für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie. Sie ist Oberärztin in der Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie an der Universitätsfrauenklinik Wien und leitet die urgynäkologische Ambulanz.
Zurück

Titel: Ratgeber Beckenbodenschwäche