Zusammenfassung
Der perfekte Einstieg in die Fotografie: Kaum jemand schafft es, so schnell und verständlich komplexes Fotowissen zu vermitteln wie Marcus Boos. Von den Basics über die Bildgestaltung bis zum richtigen Licht – sein Ratgeber ist vollgepackt mit Tipps, Inspirationen und Spaß am Fotografieren. Wie beeinflussen Blende oder Verschlusszeit meine Fotos? Was gibt es bei der Bildgestaltung zu beachten? Worüber sollte ich mir schon vor dem Fotografieren Gedanken machen? In diesem Ratgeber schlummert das geballte Wissen, um aus Anfängern gute Fotografen zu machen.
Mit vielen Fotos zum Erklären, Inspirieren und Nachmachen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Hallo Marcus hier von Marcusfotos.de! So begrüße ich meine Zuschauer in meinen Videos über Fotografie auf YouTube. Auch dich möchte ich so begrüßen. Ich werde dich einfach duzen, das machen Hobbyfotografen untereinander so, da geht es nicht besonders förmlich zu!
Dieses Buch habe ich so geschrieben, wie ich es mir selber wünschen würde. Ich mag es, wenn komplizierte Dinge simpel erklärt werden, so dass ich die Grundzüge verstehe und selber ausprobieren kann. Ich brauche diese Erfahrung am eigenen Leib, um etwas zu verinnerlichen. Wenn es klappt, freue ich mich wie ein Schneekönig und es packt mich der Ehrgeiz. Dann wandle ich das Gelernte ab, um zu schauen, was passiert. Dabei entdecke ich oft, dass alles vielleicht noch etwas komplexer ist als zunächst gedacht, aber das ist dann kein Problem mehr. An der Fotografie gefällt mir besonders, dass es eines der wenigen Hobbys ist, die Technik und Kreativität verbinden. Deswegen geht es in diesem Buch auch nicht nur um Einstellungen und technische Daten, es geht auch um die Gestaltung von Fotos und die Regeln und Hilfsmittel, die uns dabei helfen können.
Ganz wichtig für mich ist alles immer auszuprobieren, denn nur vom Lesen oder Videos Anschauen hat noch niemand Fotografieren gelernt!
Also: Lad den Akku, mach die Speicherkarte leer und los geht’s!
Dein
Marcus Boos
DIE KAMERA
In der Fotografie geht es nicht ohne etwas Technik. Wenn du die aber einmal verstanden hast, eröffnet sie dir viele Möglichkeiten.
Grundeinstellungen
Gute Grundeinstellungen der Kamera helfen uns dabei, immer schnell einsatzbereit zu sein. Mit der Zeit findest du deine persönlichen Grundeinstellungen, die deinem eigenen Stil beim Fotografieren entgegenkommen. Ich habe mir angewöhnt, immer wenn ich die Kamera nach einem Shooting verstaue, alle Einstellungen, die ich verändert habe, wieder auf meine Grundeinstellungen zurückzustellen.
Auch für dieses Buch möchte ich gemeinsame Grundeinstellungen festlegen. Alle Beispiele bauen auf diesen Einstellungen auf, und ich erkläre nur noch, welche ich verändert habe, um ein bestimmtes Foto zu machen.
Bitte stell deine Kamera also auf folgende Werte. Das Handbuch deiner Kamera hilft dir dabei.
Kameramodus | A/Av (Blendenpriorität) |
ISO | 100 |
ISO-Automatik | aus (wenn vorhanden) |
Blende | 5.6 |
Weißabgleich | automatisch |
Belichtungsmessung | Mehrfeld- bzw. Matrixmessung |
Autofokus | an |
Basics: Zeit, Blende und ISO
Um ein richtig belichtetes Foto zu erhalten, muss genau die richtige Menge Licht durch ein Objektiv auf einen Sensor fallen. Das klingt doch eigentlich ganz einfach, oder? Ist es auch, wenn du dich von den ganzen Fachbegriffen und Zahlen nicht verrückt machen lässt!
Hast du schon mal ein Glas Bier gezapft? Ich bin Kölner, hier lernt man das schon als Kind. Und es hat dem zehnjährigen Marcus geholfen, furchtbar langweilige Familienfeiern mit einer spannenden Beschäftigung zu überleben. Beim Zapfen eines Bieres kommt es auch darauf an, ein Glas mit der richtigen Menge an Bier zu füllen. Du kannst den Zapfhahn unterschiedlich weit aufziehen und so bestimmen, wie viel Bier strömt. Wenn du nun genau die richtige Zeit abpasst, ist das Glas exakt bis zum Eichstrich gefüllt. Damit ist die Aufgabe erfüllt! Prost!
Wenn du etwas ehrgeiziger bist oder die Bestellungen der Onkel und Tanten nachlassen, weil die Optik des Getränks doch etwas hinter den Erwartungen zurückbleibt, dann lernst du schnell, dass die richtige Abstimmung der Zapfhahnstellung und der Zeit, die das Bier fließt, zu einem perfekten Ergebnis mit toller Schaumkrone führt.
Ob ich damals heimlich probiert habe? Was denkst du wohl!? Ein Foto zu belichten, ist nicht schwieriger, und noch dazu gibt es Automatiken, die uns dabei helfen.
Die Blende und der Kameramodus A/Av
In meinem Bier-Beispiel habe ich den Zapfhahn benutzt, um die Menge an Bier zu regulieren, die in das Glas strömt. In der Kamera macht das die Blende: Sie kann unterschiedlich weit geöffnet werden und so mehr oder weniger Licht auf den Sensor fallen lassen. Öffnest du sie sehr weit, wird in kurzer Zeit genug Licht auf den Sensor gespült! Hältst du sie dagegen geschlossen, tröpfelt das Licht sinnbildlich ganz langsam in die Kamera und es dauert, bis genügend Licht angekommen ist.
Im Kameramodus A bzw. Av bestimmst du, wie weit die Blende geöffnet werden soll. Die Kamera bestimmt dann automatisch die benötigte Zeit für die Belichtung.
Die Blendenzahl ergibt sich aus dem Verhältnis der Brennweite zur Öffnungsweite der Optik. Am Objektiv wird eine Blendenreihe verwendet, deren benachbarte Werte, durch den Bezug zum Durchmesser der Öffnung, immer im Verhältnis 1:√2 ≈ 1:1,4 stehen. Super, oder? Wir Fotografen lieben eigenartige Zahlenwerte, und mit der Blende lernst du jetzt auch die ersten kennen. Wenn du Mathematiker bist, findet du das sicher klasse, mir macht es Kopfschmerzen! Zum Glück ist das aber auch nicht wichtig. Jedenfalls entsteht auf diese wundersame Weise unsere Blendenreihe:

Eine Blendenreihe, hier aber nur die vollen Schritte
Wie du sehen kannst, ist bei Blende f/2.8 die Öffnung am größten und es kann viel Licht durch, beim nächsten Schritt, f/4, wird schon so viel von der Blende verdeckt, dass nur noch die halbe Menge an Licht auf den Sensor gelangt. Bei f/8 ist es nur noch halb so viel wie bei f/5.6 usw. Vereinfacht kannst du dir also merken: Je größer der Wert, den du an der Kamera für die Blende einstellst, desto weniger Licht kommt durch.
Vielleicht hast du schon entdeckt, dass an deiner Kamera die Blendenreihe gar nicht bei f/2.8 beginnt, sondern z. B. erst bei f/3.2? Das hängt mit der Qualität der Objektive zusammen. Preiswertere Objektive haben oft eine „schlechtere“ Anfangsblende. Zusätzlich kannst du auch nicht bei jeder Brennweite die offenste Blende benutzen, sondern musst dich, beispielsweise bei 55 mm, mit Blende f/5.6 begnügen. Das soll uns aber erst mal nicht stören.
AUFBLENDEN UND ABBLENDEN
Wenn du Fotografen zuhörst, kommt hin und wieder die Aussage „Ich würde da noch ein bisschen aufblenden“ oder „Oh, bei diesen Lichtverhältnissen sollten wir dringend abblenden“. Aufblenden bedeutet dabei, mehr Licht durchzulassen, also die Blende zu öffnen, z. B. von einer Blende f/8 auf eine Blende f/5.6 zu wechseln. Abblenden ist genau das Gegenteil.
Dir ist bestimmt auch schon aufgefallen, dass z. B. zwischen f/5.6 und f/8 bei deiner Kamera noch mindestens ein weiterer Schritt liegt. Bei den meisten modernen Kameras sind es sogar zwei. So kannst du die Blende einfach noch etwas feiner regeln.
Was bedeutet A bzw. Av?
Das A steht für das englische Wort „aperture“, was übersetzt Blende bedeutet. Bei einigen Herstellern heißt dieser Modus auch Av für „aperture value“ also Blendenwert.
Viele Fotografen nennen diesen Modus „Blendenpriorität“ oder „Zeitautomatik“, denn wir legen fest, wie die Blende sein soll, und die Kamera bestimmt die Zeit automatisch. Das Moduswahlrad gibt also immer an, was wir selber bestimmen, und nicht, was die Kamera automatisch macht.
WANN BENUTZE ICH A/AV?
Die Blendenpriorität ist immer dann eine gute Idee, wenn es um Motive geht, die sich nicht schnell bewegen und wir gleichzeitig mit der Schärfentiefe spielen möchten. Typische Beispiele sind Porträts, Landschaften, Stillleben oder auch Makros.
Schärfentiefe
Die Blende hat aber noch einen Trick auf Lager: Sie beeinflusst die Schärfe des Fotos, um genau zu sein, die Schärfentiefe. Es gibt noch die Bewegungsunschärfe, aber um die kümmern wir uns später.
Schau dir mal dieses Foto mit den Bäumen an. Du erkennst sicher, dass Anne hier scharf abgebildet ist. Du siehst aber auch, dass hinter ihr Bereiche des Fotos unscharf sind. Das Foto hat also einen scharfen und einen unscharfen Bereich. Der Bereich des Bildes, in dem Anne steht, wird Schärfentiefe genannt. Würde Anne weiter hinten stehen, gäbe es auch vor ihr einen unscharfen Bereich.

Anne in der Schärfentiefe
Es gibt auch noch die Tiefenschärfe. Ist das nicht dasselbe? Das kommt darauf an, wen du fragst! Wenn dir mal langweilig ist, geh einfach mal zu einem Fotografen-Stammtisch und stell die Frage: „Hey, was ich als Anfänger nicht verstehe, heißt es jetzt eigentlich Schärfentiefe oder Tiefenschärfe?“ Das ist ein Riesenspaß! Vergiss aber das Popcorn nicht!
Für viele Fotografen sind Tiefenschärfe und Schärfentiefe dasselbe. Einige andere unterscheiden sehr wohl und nennen den Teil, der scharf ist und dessen Länge du auch messen und in Millimetern angeben könntest, Schärfentiefe. Die Tiefenschärfe ist für sie der Grad der Schärfe des Hintergrundes bzw. des Vordergrundes. Hier kannst du nicht messen, sondern nur unterscheiden zwischen wenig Schärfe oder viel Schärfe. Ich persönlich finde diese Unterscheidung gut, aber eigentlich weiß jeder, was gemeint ist, egal welchen Begriff du nun verwendest. Viel wichtiger ist, dass wir in Zukunft diesen Effekt der Blende kreativ nutzen können und dem Betrachter durch den Verlauf der Schärfe klarmachen können, worum es auf dem Foto geht und was genau das eigentliche Motiv ist.
Um die Schärfentiefe einsetzen zu können, müssen wir verstehen, wie wir sie beeinflussen können. Den ersten Faktor, die Blende, haben wir ja schon ermittelt. Eine offene Blende sorgt für eine geringere Schärfentiefe. Wir sollten also lieber eine Blende f/3.5 als eine Blende f/8 einstellen.
Der nächste Faktor ist der Abstand zwischen Motiv und Kamera. Je näher die Kamera am Motiv ist, desto geringer wird die Schärfentiefe. Diesen Effekt sieht man immer schön bei Makro-Aufnahmen, also Fotos von kleinen Dingen. Trotz einer weit geschlossenen Blende, wie z. B. f/11, die eigentlich ja viel Schärfentiefe ins Bild bringen sollte, ist der scharfe Bereich hier nur sehr klein.
Der Abstand zwischen Motiv und dem Hintergrund beeinflusst ebenfalls die Tiefenschärfe. Je weiter der Hintergrund weg ist, desto unschärfer wirkt er.
Soviel zur Theorie! Lass es uns praktisch ausprobieren!
EIN HINWEIS ZU EXIF-DATEN
Die Exif-Daten sind die technischen Daten zu einem Foto, wie Blende, Zeit und ISO. Diese Werte einfach 1 zu 1 zu kopieren, funktioniert jedoch meistens nicht! Andere Faktoren wie z. B. die Tageszeit oder das Wetter spielen auch eine große Rolle für die Belichtung des Fotos. Du kannst die Exif-Daten zur Orientierung benutzen, aber nicht wie ein Kochrezept.
Du brauchst:
Einen schönen, hellen Tag, eine Allee mit Bäumen und ein Motiv, z. B. ein Fahrrad, das du an einen der Bäume lehnst, oder ein Modell. Wenn du ein Stativ hast, kannst du die Fotos später besser vergleichen.
Die Idee:
Dein Motiv soll im scharfen Bereich des Fotos liegen, die Bäume dahinter (und ggf. die davor) sollen immer unschärfer sein, je weiter sie vom Motiv entfernt sind.
Die Einstellungen:
• basierend auf den Grundeinstellungen
• Brennweite: am besten zwischen 50 und 100 mm
• Blende: so offen wie möglich, z. B. f/5.6 oder offener
So wird’s gemacht:
Platziere dein Motiv und stelle deine Kamera darauf scharf. Mach ein paar Fotos und platziere dann dein Motiv am nächsten Baum. Behalte die Position der Kamera aber bei. Wie verändert sich die Verteilung der Schärfe auf den Bildern? Wie sind diese Fotos im Vergleich zur Übung auf den nächsten Seiten?
![]() | PROBLEME BEIM SCHARFSTELLEN? |
Schau einfach schon mal kurz in das Kapitel „Fokussieren“!
Du brauchst:
Diese Übung gehört zur vorherigen Übung, du hast also schon alles.
Die Idee:
Dein Motiv soll wieder im scharfen Bereich des Fotos liegen, die Bäume dahinter sollen nun aber auch möglichst scharf sein.
Die Einstellungen:
• basierend auf den Grundeinstellungen
• Brennweite: am besten zwischen 50 und 100 mm
• Blende: geschlossen, z. B. f/8, f/11, f/22 usw.
So wird’s gemacht:
Platziere dein Motiv und stelle deine Kamera darauf scharf. Mach ein paar Fotos und schließe deine Blende jedes Mal etwas mehr. Behalte die Position der Kamera aber bei. Bei welcher Blende ist auch der letzte Baum scharf?
Du brauchst:
Einen Ort mit vielen hellen Lichtern und ein Stativ.
Die Idee:
Die Öffnung der Blende ist nicht absolut rund, sondern hat dort, wo sich die Lamellen treffen, kleine „Ecken“. Das sorgt dank komplizierter Physik bei geschlossener Blende für einen Sternen-Effekt.
Die Einstellungen:
• basierend auf den Grundeinstellungen
• Brennweite: passend zu deiner Location
• Blende: recht weit geschlossen, z. B. f/22 oder mehr
So wird’s gemacht:
Mach auf einem Stativ ein Foto und prüfe, ob die Blendensterne schon zu sehen sind. Schließe die Blende immer weiter, bis du Sterne siehst, die dir gefallen.
![]() | BLAUE STUNDE |
Finde für dieses Foto per App oder Online-Rechner heraus, wann aktuell die sogenannte blaue Stunde in deiner Gegend ist. In dieser Zeitspanne bekommst du einen tollen tiefblauen Himmel.
Aber auch an klaren, sonnigen Tagen kannst du Blendensterne fotografieren, wenn du die Sonne mit ins Bild nimmst. Benutze aus Sicherheitsgründen den Live-View und vermeide es, die Kamera gezielt auf die Sonne zu richten. Lupe, Ameise – Kamera, dein Auge! Alles klar?

Du brauchst:
Herausgetrennte Seiten von ein, zwei alten Büchern, ein weiteres Buch, ein Modell und eine Leiter.
Die Idee:
Mit einer geringen Schärfentiefe lenken wir den Blick auf das Gesicht. Jedoch sollen die Buchseiten noch zu erahnen sein.
Die Einstellungen:
• basierend auf den Grundeinstellungen
• Brennweite: 50–85 mm
• Blende: recht weit offen, z. B. f/5
So wird’s gemacht:
Lege die Buchseiten kreisförmig aus und platziere dein Modell in der Mitte. Probiere verschiedene Blendeneinstellungen aus, bis dir die Unschärfe der Buchseiten und die Schärfe des Gesichtes gefallen.
Du brauchst:
Ein paar Spielzeugautos und ein Stativ.
Die Idee:
Durch den geringen Abstand zu den Autos wird die Schärfentiefe sehr gering, selbst bei einer sehr geschlossenen Blende.
Die Einstellungen:
• basierend auf den Grundeinstellungen
• Brennweite: 55 mm
• Blende: f/11
So wird’s gemacht:
Such dir einen schönen Platz mit einem relativ glatten Untergrund, vielleicht sogar mit einer Fahrbahnmarkierung. Achte auch darauf, dass es einen schönen Hintergrund gibt. Bring die Kamera sehr nah an den Boden. Ordne die Autos an und mache dein Foto.
![]() | TIPP |
Ich mache solche Fotos gern mit dem Stativ. So bleibt das Bild immer gleich, und ich kann kleine Änderungen viel kontrollierter durchführen, bis das Foto perfekt ist. Viele Stative kannst du umbauen, um nah am Boden zu fotografieren.
Die Verschlusszeit und der Kameramodus S/Tv
Das letzte Kapitel über die Blende war ja ein ganz schöner Brocken – schön, dass du noch hier bist! Ich verspreche dir, dieses Kapitel ist einfacher.
Im Kameramodus S bzw. Tv bestimmen wir die Verschlusszeit. Beim Beispiel mit dem Bier hatten wir ja gesehen, dass der Zapfhahn eine ganz bestimmte Zeitlang offen sein muss, um das Glas perfekt zu füllen. So ist das auch mit unserem Sensor, der das Foto aufzeichnet. Normalerweise hat die Verschlusszeit wenig Einfluss darauf, wie das Foto aussieht. Wenn der Verschluss lange genug offen war, ist das Bild im Kasten und auch hell genug. Anders sieht es aus, wenn wir etwas fotografieren, das sehr schnell ist, oder wenn wir absichtlich eine recht lange Verschlusszeit wählen. Aber was passiert da eigentlich?
Stell dir vor, eine Freundin von dir scheucht versehentlich ein Wespennest auf. Sie läuft panisch von einer Seite zur anderen, und das in einer ungeahnten Geschwindigkeit. Als hilfsbereiter Mensch greifst du natürlich sofort zur Kamera, um ein Foto zu machen. Denn eines ist ja klar, wenn die Wespen sie erwischen, dauert es lange, bis sie wieder so gut aussieht wie jetzt!
Mal angenommen, du stellst die Belichtungszeit auf zwei Sekunden und machst ein Foto. Dann stellst du fest, dass deine Freundin als unscharfer Streifen auf dem Foto ist. Warum ist das so? Zwei Sekunden sind recht lang. Etwa genauso lang, wie du brauchst, um „W-e-s-p-e-n-s-t-i-c-h“ zu sagen. Deine Freundin kann in der Zeit eine ganz beachtliche Strecke zurücklegen. Der Sensor sieht diese Bewegung und zeichnet an jeder Position etwas von ihrer panischen Flucht auf. Zwei Sekunden sind als Belichtungszeit also ungeeignet.
Wie weit kommt sie wohl in einer 1/500 Sekunde? Das ist nicht mal genug Zeit, um das W von „Wespenstich“ zu sagen! Deswegen kommt sie auch nicht weit, und unser Foto ist scharf!
Was lernen wir daraus? Wenn wir etwas Schnelles fotografieren möchten, brauchen wir eine kurze Belichtungszeit. So ist sichergestellt, dass sich unser Motiv nicht zu weit durch das Bild bewegt, während wir das Foto machen, und somit scharf auf dem Foto abgebildet wird. Bewegt sich unser Motiv nicht, ist die Belichtungszeit nicht wichtig und kann länger sein.
Wenn wir die Kamera in der Hand halten, sorgt auch das für eine Bewegung, was dann als Verwackeln zu sehen ist. Dazu aber mehr im Kapitel über die Brennweite.
WANN BENUTZE ICH S/TV?
Die Zeitpriorität bzw. Blendenautomatik ist immer dann klasse, wenn Action vor der Linse ist! Schnelle Bewegungen können über eine kurze Belichtungszeit eingefangen werden. Typische Beispiele sind Sport, Tiere oder Wasser z. B. in Springbrunnen.
Du brauchst:
Eine Vase mit Dahlie, einen Tisch, einen hellen Hintergrund (z. B. weißen Karton), einen sehr hellen Tag oder eine künstliche Lichtquelle und etwas Wasser in einer Kanne.
Die Idee:
Eine kurze Belichtungszeit friert die Tropfen ein, die auf die Blüte treffen.
Die Einstellungen:
• Kameramodus: S/Tv
• Belichtungszeit: 1/250 s
• Brennweite: 50 mm
So wird’s gemacht:
Stelle alles auf wie auf dem Bild. Mach ein Probefoto noch ohne Wasser. Erst wenn alles passt, kommt das Wasser dazu. So hast du weniger Sauerei!
Der ISO-Wert – Probleme lösen und neue Probleme schaffen
Mit der Blende und der Belichtungszeit haben wir eigentlich schon alles, was wir brauchen, um unser Foto zu belichten. Früher, als noch mit analogem Film fotografiert wurde, gab es auch nur diese beiden Werte, die du hättest einstellen können. Jedoch gab es auch damals schon unterschiedliche Filme. Für den Strandurlaub hättest du einen ISO-100-Film mit geringer Empfindlichkeit benutzt, denn es war ja schön hell! Für einen Waldspaziergang vielleicht einen empfindlicheren mit ISO 400. Warum sind denn überhaupt unterschiedliche Empfindlichkeiten notwendig?
Wenn unser Wespen-Beispiel aus dem letzten Kapitel bei strahlendem Sonnenschein passiert, ist es überhaupt kein Problem, genug Licht auf den Sensor zu bekommen, selbst bei einer sehr kurzen Belichtungszeit von 1/500 s.
Passiert das aber in einem dunklen Wald, würde bei 1/500 s nicht genug Licht aufgenommen und das Foto damit zu dunkel. Wenn wir die Belichtungszeit jedoch verlängern, z. B. auf 1/60 s, dann ist unser Bild zwar nun hell genug, aber dafür wird unsere panische Freundin durch die Bewegung nur unscharf abgebildet. So oder so bekommen wir kein brauchbares Fotos von diesem Ereignis.
Unsere fotografischen Vorfahren konnten ja nun nicht schnell auf einen Film mit höherer Empfindlichkeit wechseln, denn war der Film erst mal in der Kamera, war man für 24 oder 36 Fotos an ihn gebunden. Die einzige Möglichkeit für unseren analogen Freund war zu rufen: „Lauf zum Licht!“, aber das war sicher auch nicht gerade gut für die Freundschaft! Digital haben wir es hier leichter. An modernen digitalen Kameras kannst du einfach mal eben die Empfindlichkeit verstärken und so auch bei weniger Licht beispielsweise eine kurze Belichtungszeit verwenden. Die ISO-Einstellung veränderst du also immer dann, wenn du ein Problem durch zu wenig Licht hast.
WARUM NICHT EINFACH IMMER EINEN HOHEN ISO-WERT?
Leider hat ein hoher ISO-Wert nicht nur Vorteile. Er verstärkt nicht nur das Licht, das wir haben wollen, sondern leider auch das Bildrauschen, das heißt, es gibt einen körnigen Effekt. Auch die Darstellung der Farben verschlechtert sich, je höher der ISO-Wert ist. Es macht also Sinn, ihn nur zu erhöhen, wenn es notwendig ist. Welcher Maximalwert zu empfehlen ist, hängt vom persönlichen Geschmack ab und von den Fähigkeiten der verwendeten Kamera.
Der ISO-Automatik-Modus
Stell dir vor, du möchtest beispielsweise auf einer Party spontan Schnappschüsse machen können, ohne über Einstellungen nachzudenken. Gleichzeitig möchtest du aber die Möglichkeit haben, mal schnell eben Blende und Belichtungszeit zu bestimmen. In solchen Situationen stelle ich immer den Modus M ein, den ich dir gleich noch vorstelle, und kombiniere ihn mit der ISO-Automatik. Jetzt kann ich z. B. die Belichtungszeit auf 1/200 s stellen, weil ich davon ausgehe, dass getanzt wird und ich diese Bewegungen nicht zu unscharf haben möchte. Gleichzeitig hätte ich gerne eine Blende f/4 für genügend Unschärfe im Hintergrund. Die ISO-Automatik wählt jetzt immer einen passenden ISO-Wert.
Leider haben nicht alle Kameras eine ISO-Automatik. Schau in dein Handbuch, und wenn deine Kamera das kann, solltest du sie auf jeden Fall mal ausprobieren.
Du brauchst:
Einen Nachtclub oder eine andere dunkle Umgebung, einen Plattenspieler oder ein anderes Motiv, das passt.
Die Idee:
Durch einen hohen ISO-Wert entsteht Rauschen, das meistens nicht erwünscht ist. Zu einigen Motiven passt es aber sehr gut.
Die Einstellungen:
• basierend auf den Grundeinstellungen
• Brennweite: passend zu deinem Motiv
• Blende: passend zu deinem Motiv
• ISO: Je nach Kamera sollte ab ISO 3200 gut sichtbares Rauschen entstehen.
So wird’s gemacht:
Probiere verschiedene ISO-Werte aus und teste, bis zu welchem Wert deine Kamera brauchbare Fotos liefert. Bei welchem Wert sieht das Rauschen noch angenehm aus und lässt sich als Stilmittel verwenden?
![]() | GROTTIGE FARBEN |
Ein sehr hoher ISO-Wert bringt neben dem Rauschen auch oft unschöne Farben aufs Bild. Eine einfache und beliebte Lösung ist es, das Foto kurzerhand zum Schwarz-Weiß-Bild zu erklären.
Der Modus P – Schnappschüsse ohne Nachdenken
Bis hierhin hast du schon eine ganze Menge gelernt. Du verstehst, wie die Blende, die Verschlusszeit und der ISO-Wert deine Fotos beeinflussen. Es gibt aber Fotografen, die verstehen das noch nicht. Für sie gibt es den „grünen“, den vollautomatischen Modus, in dem die Kamera wirklich alles automatisch macht. Nur zielen und abdrücken müssen sie noch. Selber beeinflussen können sie so sonst nichts. Der Kameramodus P, für Programmautomatik, ist ganz ähnlich. Hier wählt die Kamera eine Kombination aus Blende und Belichtungszeit, die eine richtige Belichtung erlaubt. Meistens kannst du über das Einstellrad unter verschiedenen Kombinationen auswählen. Im Modus P können wir aber z. B. den ISO-Wert selber einstellen. Auch der Weißabgleich kann hier von uns bestimmt werden, und im Gegensatz zur Vollautomatik klappt hier der Blitz nicht ständig automatisch auf.
WANN BENUTZE ICH P?
Die Programmautomatik ist immer dann praktisch, wenn du ohne viel Nachdenken Fotos machen möchtest, dabei aber z. B. selber über den Einsatz des Blitzes oder den ISO-Wert entscheiden möchtest. Immer dann, wenn die Situation nicht eindeutig für den Modus A/Av oder S/Tv spricht, ist P eine Überlegung wert.
Die Automatik beeinflussen – Belichtungskorrektur
So praktisch eine Automatik auch ist, sie hat trotzdem einen Nachteil: Sie wird stur ihre Vorstellung von „richtiger“ Belichtung durchsetzen. Doch wenn deine Vorstellung vom Bild etwas dunkler oder heller ist, dann gibt es zum Glück die Belichtungskorrektur.
Hier kannst du einfach über einen positiven Wert dein Foto heller machen oder über einen negativen Wert das Bild dunkler gestalten. Je nachdem, in welchem Modus der Kamera du dich befindest, steuert die Kamera dann die Belichtungszeit bzw. Blende entsprechend der Korrektur an.
Wenn du nicht generell hellere bzw. dunklere Fotos haben möchtest, ist es wichtig, immer daran zu denken, die Korrektur wieder auszuschalten. Wie die Belichtungskorrektur in deiner Kamera funktioniert, findest du im Handbuch.
Kameramodus M – du hast die Macht
Hast du Blende, Belichtungszeit und ISO soweit verstanden? Dann wird es Zeit, den Fahrlehrer rauszuwerfen und ganz ohne die Hilfe der Automatik Fotos zu machen! Das bedeutet, dass du alle drei Werte so zueinander passend einstellst, dass die gewünschte Belichtung entsteht. Nur: Woher sollst du wissen, dass die Einstellungen passen? Eine Möglichkeit ist das Probefoto, aber es gibt mit der Belichtungswaage auch noch ein unmittelbareres Hilfsmittel.
PFUSCHEN IST ERLAUBT!
Gerade am Anfang passiert es leicht, dass du mit den Werten völlig neben der Spur bist und scheinbar bei der Belichtungswaage gar nichts passiert, wenn du die Einstellungen änderst. Hier hilft es, schnell mal eben in den Automatik-Modus zu wechseln und im Sucher oder auf dem Display zu schauen, welche Werte die Kamera benutzt hätte. Diese Einstellungen übernimmst du einfach im Modus M und experimentierst damit weiter.
Die übrigen Modi
Die meisten Kameras haben neben den hier erklärten Modi und der Vollautomatik noch weitere Spezial- und Szenenmodi. Die erkläre ich dir in diesem Buch nicht. Zum einen, weil sie von Kamera zu Kamera unterschiedlich sind, und zum anderen, weil sie nur Abwandlungen der der normalen Haupt-Modi sind. Kurz: Mit etwas Fotowissen benötigst du diese Modi schlicht nicht und kannst jedes Foto auch in den Haupt-Modi fotografieren.
Die Belichtungswaage
Die Belichtungswaage findest du bei den meisten Kameras am unteren Rand des Suchers, und auch auf dem Display wird sie eingeblendet. Es gibt in der Mitte einen Nullpunkt, der die technisch richtige Belichtung anzeigt. Ein Ausschlag nach links oder nach rechts steht dann für eine Überbelichtung (+) bzw. eine Unterbelichtung (–).
Jetzt wird es Zeit, dein Motiv ins Visier zu nehmen und dann auf den Ausschlag der Belichtungswaage zu achten. Ist sie z. B. im Minus, ist das Foto zu dunkel. Du kannst das beheben, indem du entweder die Belichtungszeit verlängerst, die Blende öffnest oder den ISO-Wert erhöhst. Für welche Lösung du dich entscheidest, hängt vom gewünschten Foto ab und ist einfach eine Erfahrungssache. Wichtig ist nur, dass du die Waage auf den Nullpunkt bringst und dann auslöst.
Du brauchst:
Eine Straße mit vielen Lichtern und ein Modell.
Die Idee:
Eine offene Blende lässt die Lichter im Hintergrund als schöne Kugeln erscheinen.
Die Einstellungen:
• Kameramodus M
• Brennweite: 50–150 mm
• Blende: möglichst offen, z. B. f/3.2
• Belichtungszeit: passend zur Brennweite, um Verwacklungen zu vermeiden
• ISO: passend zur Helligkeit deiner Location
So wird’s gemacht:
Positioniere dein Modell so, dass viele Lichter im Hintergrund zu sehen sind und gleichzeitig genug Licht auf dein Modell fällt. Das kann z. B. von einem Schaufenster, einer beleuchteten Werbetafel oder einer Laterne kommen. Stelle dann den ISO-Wert so ein, dass bei der gewünschten Blende und Belichtungszeit ein ausreichend helles Foto entsteht.
![]() | VIDEO-TIPP |
Etwas Ähnliches haben wir in diesem Video gemacht: http://marcusfotos.de/s/abendlicht |
![]() |
Details
- Seiten
- ISBN (ePUB)
- 9783869103990
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2017 (Februar)
- Schlagworte
- marcusfotos.de Video-Tutorial youtube Fototipps Erklärbär Fotofreak Foto-Workshop instagram Fotografie-Ratgeber