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Sex Ü60

So bewahren Sie sich Lust und Liebe. Der Ratgeber für ein erfülltes Sexualleben

von Andrea Micus (Autor:in)
192 Seiten

Zusammenfassung

Guter Sex kennt kein Alter! In einer funktionierenden Partnerschaft hört Erotik nicht einfach auf. Und doch ändert sich für die Generation 60plus einiges: Versagensängste oder das Gefühl, nicht mehr attraktiv zu sein, sind häufige Lustkiller. Dazu kommen Handicaps durch Krankheiten oder die Scheu, offen über sexuelle Wünsche zu sprechen. Dieser Ratgeber spricht gesellschaftliche Vorbehalte und gesundheitliche Probleme offen an und bietet alltagstaugliche Tipps für ein lustvolles Leben über 60. Der aktuelle Ratgeber zum Thema Sex im Alter: offen, einfühlsam und 100 % hilfreich.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


„SO GUT WIE JETZT WAR
MEIN SEX NOCH NIE!“

Knapp 22 Millionen Menschen sind bei uns über 60 Jahre alt. Sie nennen sich Best Ager, gründen engagiert Geschäfte und umreisen neugierig die Welt. Die Werbung plant die immense Kaufkraft dieser Altersgruppe begeistert in ihre Etats ein und das Netz hat die Silver-Surfer mit großer Freude für sich entdeckt. Modemagazine küren Senior-Models und auf den Fernsehbildschirmen sind neuerdings Moderatoren zu sehen, die man bis vor wenigen Jahren noch sang- und klanglos in den Ruhestand geschickt hätte. Große Unternehmen holen ihre bereits ausrangierten Rentner vom Abstellgleis zurück, weil sie das Fachwissen der Senior-Experten schätzen.

Die Generation 60 lebt auf der
Überholspur!

Statt sich zur Ruhe zu setzen, wollen sie mit Vollgas in die zweite Lebenshälfte starten und damit immer schneller, weiter, höher hinaus. Früher sang Curd Jürgens „60 Jahre und kein bisschen weise.“ Heute könnte man das „weise“ durch „leise“ ersetzen. Der runde Geburtstag wird zur Startrampe. Die Gesellschaft zieht mit. Nur bei einem Thema herrscht das große Schweigen. „Sex“ und „60“ passen nicht so richtig zusammen. Irgendwie mag man damit nichts anfangen. „Muss das noch sein?“, denken die Jüngeren, und hinter vorgehaltener Hand fragen sie, „Können die überhaupt noch?“

Dabei ist die Frage überflüssig. Denn nichts spricht dagegen, dass Sex mit 60, 70 und 80 Jahren genau so viel Spaß macht wie mit 20, 30 und 40 Jahren. Nur will das keiner so richtig wissen. Bis auf die, die über 60 sind. Die interessiert das brennend. Sie wissen aus Erfahrung, was Sex ihnen alles gibt: Liebe und Bindung, Genuss und Wohlbefinden, Lebensfreude und Gesundheit. Und sie sehen überhaupt nicht ein, warum ausgerechnet sie von „der schönsten Sache der Welt“ lassen sollten, nur weil sie nicht mehr jung und knackig sind. Sie wollen nicht von der Lust ausgegrenzt werden, ausgerechnet jetzt, wo Sex allgegenwärtig ist. Und so melden sie sich auch hier zu Wort. Vor einigen Jahren noch vorsichtig und verschämt, mittlerweile immer eindringlicher. Seht her, wir sind zwar nicht mehr so frisch wie ihr, aber wir bekommen auch mit, was alles möglich ist.

Denn noch nie war Sex so sichtbar und leicht verfügbar wie heute. Man spricht offen darüber, selbst nur locker Bekannte tauschen leger ihre Vorlieben aus. In den Medien ist Sex auf allen Kanälen präsent. Die Werbung hat den Spruch „Sex sells“ verinnerlicht und noch nie so viel aufreizend nackte Haut präsentiert wie heute. Eindeutige Begriffe surren jedem um die Ohren und wenn man abends durch die Sender zappt, muss man bei manchen Kanälen besonders schnell auf die „Weiter“-Taste drücken, damit man nicht rot anläuft. Ein mächtiger Stromkonzern macht zur Familienfernsehzeit mit einem Spot Furore, in dem die halbwüchsige Tochter ihre Eltern beim Sex überrascht und die „in- flagranti“-Ertappten nur locker lächelnd „Guten Abend“ murmeln.

„Alter ist irrelevant, es sei denn, du bist eine Flasche Wein.“

Joan Collins

Auf jedem PC kann man Hardcore-Pornos herunterladen, und 14-jährige Enkelkinder unterhalten sich auf dem Schulweg über Cunnilingus und Fellatio wie früher über Legosteine und Kuscheltiere. Woher sie schon in diesem Alter ihr Fachwissen haben, ist klar. Das Internet macht’s möglich. Jeder kann sich alles via Netz auf den Bildschirm holen. Häufig nicht mal freiwillig. Kennen Sie das auch? Sie tippen arglos zweideutige Begriffe ein und plötzlich blitzen eindeutige Bilder auf, die Sie eigentlich gar nicht sehen wollen. Muss das alles so sein?

Die sexuelle Befreiung ist längst auch eine Befreiung von der Schamgrenze, die uns Menschen eigentlich als Hindernis vor uns selbst schützt. Jetzt ist sie in der medialen Aufmerksamkeitsballerei untergegangen und wir müssen ohne sie auskommen. Denn wie und wie oft es unsere Prominenz, egal ob aus Politik, Film oder Sport gern macht, kann man jeden Morgen in diversen Medien gleich nachlesen oder sehen. Sex ist natürlich. Okay. Unsere Verdauung auch, und doch erzählen wir nicht pausenlos darüber. Besonders den heute 60ern stößt das unangenehm auf. Sie haben ja eine ganz andere Geschichte als die heute 40-Jährigen. Nicht vergessen: Die sexuelle Befreiung der Gegenwart ist noch recht frisch. Erinnern Sie sich an den Aufruhr, der die noch junge Bundesrepublik erfasste, weil Hildegard Knef 1951 in dem Film „Die Sünderin“ einen Augenblick lang unbekleidet auf der Kino-Leinwand zu sehen war? In den 50er-Jahren glaubten noch 17-Jährige, dass sie durch einen innigen Kuss schwanger werden könnten. Doch dann kam die Studentenrevolution mit dem lockeren Treiben der Kommune 1 um Rainer Langhans und Uschi Obermeier als Hauptdarsteller. Aus der Zeit stammt auch der Spruch „Wer zweimal mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment“, der bis heute überlebt hat. Es gab Oswald Kolle und den „Schulmädchenreport“, und so wusste in den 70er-Jahren der Großteil der Gesellschaft, dass es da noch etwas anderes gibt als Küssen und Petting in den Umkleidekabinen der Schwimmbäder. Sexuelle Aufklärung war gut und wichtig. Man durfte über etwas sprechen, das nicht nur der Erhaltung der Menschheit dient, sondern auch Spaß macht. Frauen nahmen ihre Körperlichkeit wahr, äußerten Wünsche und entdeckten selbstbewusst ihre Sexualität. Und dann rollte die Sexualisierungswelle mit der Wucht eines Tsunamis über uns hinweg. Als 1972 „Der letzte Tango in Paris“ mit Marlon Brando und Maria Schneider erschien, wurden in Frankreich die Kinobesucher mit Infotafeln vor „besonders delikaten“ Bildern gewarnt und in Italien die Hauptdarsteller zu Bewährungsstrafen verurteilt. 1992 erregte Sharon Stone in dem Triller „Basic Instinct“ die Welt, weil sie sich bei einem Verhör ohne Slip präsentierte.

Alles noch harmlos, im Verhältnis zu dem, was wir heute mit „Feuchtgebiete“ und „Fifty Shades of Grey“ erleben können. Oder müssen? Es gibt nichts, was wir nicht gehört, gesehen und gelesen haben. Oder? Alle sexuellen Vorlieben, Besonderheiten und Paraphilien sind schon erzählt und dargestellt worden. Die unfassbar brutalen, aber auch die kuriosen. Wir lesen, dass es Menschen gibt, die es erregt, wenn sie Bäume sehen und dass manche nur Lust bekommen, wenn sie sich im Gedränge an fremden Menschen reiben. Alles ist möglich, Hauptsache, es macht Lust. Komisch nur, dass man die Lustgefühle bei den über 60-Jährigen am liebsten ausknipsen möchte. Normalität und Selbstverständnis von Sex im Alter sind im allgemeinen Jugendwahn unserer Gesellschaft schlichtweg untergegangen. Lange Zeit wollte man sich nicht vorstellen, dass Senioren Sex haben. Man wollte nicht wissen, ob sie es genauso leidenschaftlich wie Teenager miteinander treiben. Ob sich Oldies überhaupt vergnügen und wenn ja, was sie in den Betten treiben, darüber wurde nicht einmal spekuliert. Es wurde ganz einfach totgeschwiegen. Kinder mögen nicht darüber nachdenken, was ihren Eltern Lust bereitet und bei der Großelterngeneration spricht man schnell von „krank“ und „absurd“.

Sex Ü60 ist tabu, zumindest für die, die unter 60 sind.

Am liebsten haben wir Senioren, wenn sie die Enkelkinder hüten und möglichst wenig Aufsehen erregen. Gut, sie können auch arbeiten bis zum Umfallen. Wenn es sein muss, auch verreisen und ihre Renten verjubeln. Aber ihre Körperlichkeit sollen sie bitte mit dem runden Geburtstag ab 60 vergessen. Gerade wenn Frauen nicht dem gängigen Schönheits- und Jugendideal entsprechen, billigt man ihnen ein aktives Sexleben nicht zu. Nur die Jungen und Schönen dürfen sich atemlos auf den Laken rekeln. Über 60 ist man angezogen und fern der Lust. Sex bekommt einen Mitleidbonus und spielt sich höchstens in Urlaubszentren ab, in denen sich Frauen Liebhaber kaufen. Oder man tuschelt hinter vorgehaltener Hand, wenn sich grauhaarige Männer mit blutjungen Mädchen zeigen. „Klar, der ist reich!“, weiß dann jeder. Was auch sonst. Ohne Geld „tut“ es doch mit alten Menschen niemand mehr. Denn Sex und Falten, Orgasmen und Lebenserfahrung passen für die Jüngeren nicht zusammen.

Wie auch? Sie haben ja keine Bilder dazu im Kopf. In den Medien fallen die Hüllen in der Regel nur, wenn die Protagonisten jung und knackig sind. Wenn sich „die Alten“ lieben, hauchen sie sich vor der Kamera höchstens mal vorsichtig einen Kuss auf die Lippen. Licht aus! Schnitt. Gestöhnt wird nur bis Mitte dreißig. Leidenschaft bleibt den Jungen und Attraktiven vorbehalten. Dann muss sich ihr Umfeld darüber wenigstens keine Gedanken mehr machen. Alte, faltige Körper, die sich lustvoll umschlingen: „Igitt“ oder höflicher: „Nein danke!“ Aber auf jeden Fall will sich das keiner mehr vorstellen.

Aber mittlerweile melden sich die Alten zu Wort. Und nicht mehr leise, sondern sie sorgen gleich für Skandale. Denn die Vorstellung, Sex sei nur für die Jungen, ist seit einiger Zeit bei ihnen in Bewegung geraten.

2008 rüttelte Regisseur Andreas Dresen mit seinem Film „Wolke 9“ die Zuschauer auf. Darin zeigt er die verheiratete 70-jährige Inge, die sich auf eine Affäre mit dem sechs Jahre älteren Karl einlässt – mit tragischen Folgen. Doch bewegt haben die offenen Liebesszenen, die Dresen auf die Leinwand bringt. „Es hat mich angeödet, dass die Gesellschaft immer älter wird, es aber nicht die dazugehörigen Bilder gibt – Liebe und Sex hören ab einem bestimmten Alter scheinbar auf zu existieren“, sagte er in einem Interview.

Dazu passen auch die Erlebnisse der österreichischen Buchhändlerin Elfriede Vavrik. Sie fragt mit 79 Jahren bei ihrem Arzt nach einem Schlafmittel, und der rät ihr stattdessen zu Sex. Anfangs ist sie irritiert. Sie hatte nach zwei gescheiterten Ehen seit 40 Jahren keinen Sex mehr gehabt. Doch dann gibt sie eine Kontaktanzeige auf, bekommt circa 100 Zuschriften und befreit sich von den Moralvorstellungen ihrer Jugend und der aktuellen Spießigkeit und lässt sexuell nichts mehr aus. In ihrem Buch „Nacktbadestrand“ beschreibt sie frei ihre Erfahrungen und landete damit einen Bestseller.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb dazu: „Es hat schon einige Versuche gegeben, den Bucherfolg von „Feuchtgebiete“ zu wiederholen, aber noch keiner überschritt die Schamgrenze so entschieden wie dieser: Eine Achtzigjährige stürzt sich ins Sexleben und schildert ihre Erfahrungen ohne alle Hemmungen.“

Dresen und Vavrik räumen auf mit Vorurteilen, dass Sex im Alter sowieso nicht klappt, niemandem Freude macht oder schlichtweg nicht stattfindet. Die bisherige Wahrnehmung kippt aus der Spur. Dadurch macht sich in unserer sexualisierten Gesellschaft noch mehr Unsicherheit breit als bisher. Jeder hat sich bestimmt schon einmal eine oder mehrere Fragen gestellt. Bin ich normal? Erlebe ich genug? Bin ich verklemmt, weil ich mich nicht auf alles einlasse? Was verpasse ich eigentlich? Ist das, was ich mir wünsche, schon alles oder werden mir wichtige Informationen vorenthalten? Was ist, wenn ich irgendwann erfahre, dass die halbe Republik täglich multiple Orgasmen hat und ich mit zweimal Sex die Woche zufrieden bin? Und was ist, wenn ich einer Schimäre hinterherlaufe und immer glaube, dass Lust besser, intensiver, ausgefallener sein kann und ich vor lauter Experimentierfreude gar nicht dazugekommen bin, mich auf das zu konzentrieren, was ich längst habe? Die Botschaft ist klar: Wie man’s macht, macht man es verkehrt. Und kein Tag kommt mehr zurück. Jetzt stehen auch die Alten auf und feuern die mediale Aufmerksamkeit besonders heftig an. Dürfen sie oder dürfen sie nicht? Gibt es ein Alter, in dem Sex einfach keine Rolle mehr spielt? Oder macht man einfach so weiter wie bisher? Oder soll man jetzt richtig auf die Pauke der ekstatischen Körperlichkeit hauen, weil man nichts mehr zu verlieren hat? Die Gesellschaft möchte all das nicht wirklich ausdiskutieren. Aber 22 Millionen lassen sich nicht stillhalten. Sie wollen Antworten. Was jetzt?

Statistiken können auf der Suche nach Orientierung nur wenig helfen. Es gibt kaum Studien und Untersuchungen über das Liebesleben der Altersgruppe Ü60. Aber was es gibt, spricht eine deutliche Sprache. Zahlen belegen: Es herrscht keine Funkstille in deutschen Seniorenbetten. Nach einer Umfrage sind 82 % der Männer Ü60, die in einer Partnerschaft leben, bis in das hohe Alter sexuell aktiv, knapp 60 %, wenn sie ohne Partnerin leben. 100 % der Männer bis 69 gaben an, sexuelles Verlangen zu haben. Selbst nach dem 75. Lebensjahr waren das noch 80 %. Dazu passt die Aussage von Maximilian Schell, der in einem Interview sagte: „Als ich meinen Vater fragte, ob das mit den Frauen nicht bald aufhört“, sagte er: „Nein, das fängt mit 70 Jahren erst an!“ Und auch der 69-jährige Robert, ein Ingenieur, bestätigt: „Ich hatte meinen ersten Sex mit 16 Jahren und habe seitdem mindestens dreimal in der Woche Sex – bis heute. Ich merke an meinen Augen und an meinen Kniegelenken, dass ich älter werde. Aber ich merke es nicht an meinem Unterleib. Der ist in Schwung. Ich starte zwar nicht mehr so schnell durch wie früher“, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln und vergleicht sein Liebesleben mit einer Autobahnfahrt. „Früher habe ich Vollgas gegeben wie ein Rennfahrer auf dem Hockenheimring. Heute fahre ich mit Autopilot auf einem amerikanischen Highway. Vielleicht trügt mich die Erinnerung, aber ich sage heute: So gut wie jetzt war mein Sex noch nie.“ Eine weitere Umfrage besagt, dass in deutschsprachigen Ländern die Menschen Ü60 im Schnitt 78-mal im Jahr Sex haben, sich aber 61 % der Männer und 51 % der Frauen mehr Sex wünschen. Warum sie nicht öfter miteinander intim werden, liegt häufig daran, dass Frauen nicht so oft Lust haben. Das wiederum ist verständlich, denn nur 21 % gaben an, regelmäßig einen Orgasmus zu haben, im Gegensatz zu 72 % der Männer. Das Fazit muss dann lauten: Wenn das mit den Höhepunkten besser liefe, wären sie nur zu gern öfter dabei.

In einer englischen Studie der Universität Manchester sind 54 % der Männer und 31 % der Frauen sexuell bis ins hohe Alter aktiv, und damit sind die Menschen Ü80 gemeint. Und in einer Pariser Online-Untersuchung kam heraus, dass sich die Häufigkeit des Sexlebens zwischen 60 und 70 Jahren so gut wie gar nicht von der zwischen 40 und 60 Jahren unterscheidet. Deutlich weniger Sex haben die Menschen danach erst ab 75 Jahren.

Jetzt sind Sie baff, nicht wahr? Aber wenden wir uns mal von den Zahlen ab. Genaues wissen wir nämlich dadurch nicht, egal wie viel auch künftig gefragt wird. Vermutlich sagt nicht jeder Proband die Wahrheit. Männer mogeln sich bestimmt auch Ü60 gern in die Rolle der tollen Hengste und vermutlich gibt es doch mehr Schamgefühl, als uns die Medien weismachen wollen. Denn es gilt: Auch wenn man schon in viele Schlafzimmer sehen darf, die weitaus größte Zahl der Menschen lässt die Schlafzimmertür geschlossen. Was unter der Decke passiert, gilt als schützenswerte Intimsphäre. Erzählt wird also viel, prüfbare Zahlen sind dagegen selten. Und sie bedeuten dem Einzelnen auch wenig. Mit Zahlen, dass 68 % der Inder mit ihrem Sexleben sehr zufrieden sind, während 56 % der Italiener dagegen nur mäßig zufrieden sind, sollten wir uns nicht aufhalten. Man muss sie nicht auf der eigenen Festplatte im Kopf abspeichern. Sie sind null und nichtig. Wichtig ist aber, dass sich die Generation Ü60 lieben darf, wie und wo sie will, so oft und so lange wie es gefällt. Und dass sie das auch fleißig tut, habe ich in meinen zahlreichen Gesprächen bestätigt bekommen. Mein Fazit: Die Männer und Frauen Ü60 haben wirklich Spaß im Bett. Für sie ist es ganz natürlich, Sex zu haben. So natürlich, dass sie nicht ständig darüber reden müssen. Aber neugierig sind sie immer noch. Sie möchten schon wissen, wie sie in puncto Sex auf der Höhe bleiben, was man tun kann, damit beide glücklich sind und wie man mit den kleinen Stolpersteinen, die das Alter manchmal in den Weg kullert, umzugehen hat. Und dazu gibt es viele – auch praktische – Tipps, die helfen und leicht umzusetzen sind. Wussten Sie übrigens, dass regelmäßiger Sex in jedem Alter vor Krankheiten schützt und das Leben verlängert? Eine Studie der Universität Philadelphia kommt sogar zu dem Schluss: Je mehr Sex jemand hat, desto gesünder ist er. Und das gilt besonders für Senioren. Im Umkehrschluss heißt das, die Gesunden sind im Bett quietschfidel. Na, wenn das keine gute Nachricht zum Einstieg ist!

Sex macht nicht nur Spaß,
sondern auch jung

Mediziner bestätigen seit Langem, dass Sex jung hält. Denn der Körper ist so konstruiert, das ihm Sex einfach guttut. Man sollte ihn sich deshalb gönnen, möglichst regelmäßig und solange, wie es körperlich irgendwie geht, und sich über die positiven Folgen freuen.

Sex entspannt Alltagssorgen abschalten, alles um sich herum vergessen. Wie wunderbar! Wer seinen Körper regelmäßig sexuell auf Touren bringt, baut Stress ab. Die Erklärung ist einfach: Wenn wir sexuell erregt sind, steigt der Blutdruck, das Herz pocht und der Atem geht schneller. Der Körper arbeitet auf Hochtouren, bis zum Orgasmus. Danach folgt extreme Entspannung. Dieses körperliche „Fallenlassen“ baut Aggressionen ab und lockert verspannte Muskelgruppen. Das gilt übrigens auch, wenn die Partner nicht zum Höhepunkt kommen. Und danach rundet ein gutes Buch im Bett das Entspannungsprogramm ab. Klingt gut, nicht wahr?

Sex macht schlank „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann“, sang Trude Herr in den 60er-Jahren und wusste wohl, dass sie damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Sie hat Spaß und wird schlank. Ein prima Tipp der beliebten Sängerin und Schauspielerin. Anstatt eine Stunde zu joggen, sollten Sie sich lieber lustvoll im Bett rekeln! Denn beim Sex sind quasi alle Muskeln in Bewegung und so werden bis zu 350 Kilokalorien verbrannt! Zusätzlich stärken Sie Ihr Herz-Kreislauf-System – noch leidenschaftlicher fit werden geht wohl nicht!

Sex macht schön „Du siehst aber gut aus! Bist du verliebt?“ Wer so fragt, trifft den Nagel auf den Kopf. Bestimmt ging der guten Optik eine spannende Liebesnacht voraus. Beim Sex pumpt das Herz jede Menge Blut durch den Körper und bringt wichtige Nährstoffe dahin, wo sie am besten wirken können. Die Folge: Die Haut wird glatter, reiner und bekommt ein rosiges Aussehen. Die Haare werden seidiger und das Bindegewebe gestrafft. Wer wünscht sich das alles nicht? Also – viel Spaß bei der stimmungsvollen Schönheitskur!

Sex macht unempfindlicher gegen Schmerzen Auf Wolke sieben und ein Brummschädel passen nicht zusammen. Die Endorphine, die beim Orgasmus ausgeschüttet werden, machen nicht nur glücklicher, sondern auch schmerzunempfindlicher. Studien haben gezeigt, dass das Schmerzempfinden bis zu 70 % herabgesetzt ist – und zum Beispiel Kopfweh oder Magenschmerzen verschwinden. Statt Tabletten zu schlucken, genießen Sie besser die körperliche Liebe!

Sex schenkt erholsamen Schlaf Acht Stunden am Stück durchschlafen? Gerade bei Menschen Ü60 klappt das nicht mehr. Es sei denn … Beim Sex wird das Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet, das uns so wunderbar schläfrig und müde macht. Wer schlecht schläft, sollte es daher mal mit abendlicher Leidenschaft versuchen und sich erst danach wohlig ins Kissen kuscheln. Es hilft!

Sex stärkt die Immunabwehr Grippeviren aufgepasst! Jetzt geht es Euch lustvoll an den Kragen. Beim Sex kommt der Körper mit einer Vielzahl fremder Keime in Kontakt – dadurch wird die Immunabwehr trainiert. Eine Züricher Studie hat ergeben, dass sich die Konzentration an „Killerzellen“ im Blut unmittelbar nach dem Orgasmus verdoppelt hatte. Wer regelmäßig, etwa zwei- bis dreimal pro Woche, Sex hat, erhöht außerdem die Konzentration an Antikörpern im Speichel. Wer fleißig im Bett ist, steht die nächste Grippewelle spielend durch!

Sex reinigt Teure Salben und Massagegeräte kann man sich sparen. Es gibt Besseres! Sex regt die Lymphgefäße an, die danach besser und intensiver arbeiten. So können „Abbauprodukte“ schneller abtransportiert werden und damit keinen Schaden an Haut und Gefäßen anrichten. Faltenbildung und Cellulite werden deutlich abgemildert! Eine gute Nachricht für alle Frauen, die sich an ihren Dellen am Oberschenkel stören!

Sex macht schlau Von wegen Kreuzworträtsel und Sudoku. Weg mit dem Stift! Wer regelmäßig Sex hat, zeigt Studien zufolge eine bessere Konzentrations- und Gedächtnisleistung als sexuell nicht oder wenig aktive Zeitgenossen. Ursache: Sex regt die Gehirntätigkeit an und bringt die Zellen auf Trab. Und wer nicht genug hat, kann noch die Stellungen der indischen Liebesbibel Kamasutra auswendig lernen.

Sex hilft dem Rücken Die kleine Rückenschule war gestern, die Yogamatte kann auch mal im Schrank bleiben. Sex ist quasi Wirbelsäulengymnastik im Bett oder auch sonst wo – denn die typischen Bewegungen lockern Muskeln im Beckenbodenbereich. Sie können sich geschmeidiger bewegen, flexibilisieren Ihr Rückgrat und nehmen eine aufrechte Haltung ein – ideal für einen gesunden Rücken.

Sex beugt Herzbeschwerden vor Die Gefahren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen kennt jeder. Das Mittel dagegen nicht. Denn leider wird es nicht häufig verschrieben. Schade! Streicheleinheiten sorgen dafür, dass das Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet und das Stresshormon Cortisol abgebaut wird. Das wirkt sich positiv auf das Herz-Kreislaufsystem bzw. den Blutdruck aus. Die Gefahr eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls wird verringert!

Sex hält die Prostata gesund Eigentlich müsste er verordnet werden. Denn jede Ejakulation fördert das Ausschwemmen infektiöser Keime. Somit dient jeder Samenerguss der Reinigung der Prostata. Vorsicht: Bei einem Infektionsleiden sind Kondome wichtig, damit die Keime nicht in die Scheide der Frau eindringen können!

Doch Achtung: All das klappt nur verlässlich, wenn man sich beim Sex auch Zeit lässt. Denn der Körper braucht ein paar Minuten, bevor die Produktion der Botenstoffe angeregt wird.

Übrigens müssen sich Singles jetzt nicht um ihre Gesundheit sorgen. Auch wer sich allein vergnügt, kann seiner Gesundheit etwas Gutes tun. Sogar schon Fantasien zeigen Wirkung. Ein anregendes Gespräch oder ein spannender Flirt lösen im Körper Reaktionen aus, die den Hormonspiegel bereits in Wallung bringen.

Warum uns Sex so wichtig ist

Aber Sex ist mehr als ein Spaß machender Jungbrunnen. Die eigentliche Bedeutung von Sex besteht darin, dass er uns ein lebenswichtiges Bedürfnis erfüllt: den Wunsch nach Zugehörigkeit, Anerkennung und dauerhaftem, unzertrennlichem Miteinander.

Bestätigung gibt es durch ein Lob im Job, ein anerkennendes Schulterklopfen von Freunden, eine Umarmung von Kindern. Aber wirkliches dauerhaftes Angenommensein, echte Zugehörigkeit, gelebte Wertschätzung, das alles bekommt man nur in der intimen Partnerschaft zwischen zwei Menschen und damit in der Sexualität.

Sex ist also viel mehr als salopp gesagt ein „rein – raus“, das uns Freude macht. Es ist ein natürliches Grundbedürfnis. Denn die eigentliche, die tiefe Bedeutung von Sex ist Kommunikation, und zwar in der intimsten Form, die uns Menschen zur Verfügung steht. Wir begegnen, berühren, verbinden uns auf eine Art, die „exklusiv“ auf den anderen zugeschnitten ist. Deshalb ist Sex auch nie gleich, so wie auch zwei Menschen nie gleich sind. Wenn wir uns auf jemanden „ganz“ einlassen, wollen wir verschmelzen und „eins“ werden. Dieses innige, nahe, tiefe Miteinander geht nur auf diese intime Weise und deshalb ist uns Sex so wichtig und bedeutet uns auch viel mehr, als die Lust, die er uns bereitet.

Diese psychische Verbindung, dieses „Berühren der Seelen“, das ist das eigentliche Ziel, warum wir miteinander ins Bett gehen. Der Begriff Höhepunkt steht deshalb weniger für einen Knalleffekt oder eine Höchstleistung, sondern für ein entscheidendes Ereignis: Man kommt ganz hoch hinaus, was Zweisamkeit und Miteinander betrifft.

Oder noch einmal anders ausgedrückt: Wir Menschen sind lebenslang auf Bindung und Einigkeit aus. Wir wollen nicht allein sein und keine Einzelwesen bleiben. Lust ist auch allein denkbar. Wir können uns problemlos selbst befriedigen. Dank der wissenschaftlichen Entwicklung können wir auch allein Kinder zeugen. Das Einzige, was wir nicht allein hinbekommen, ist das Gefühl, geliebt und angenommen zu sein. Darum suchen wir nach einem Partner, mit dem wir zusammen leben und schlafen wollen.

KÜSSE UND PARTNERSCHAFT

Die körperliche Erfahrung von Bindung und Zweisamkeit macht uns stark, auch Unbilden des Lebens gemeinsam zu stemmen. Auch darum leben Menschen fast ihr ganzes Leben, viele Jahrzehnte miteinander in einer exklusiven Zweisamkeit. Der 86-jährige Franz und die 82-jährige Ursula aus dem norddeutschen Schleswig sind seit 65 Jahren ein Paar. Beide halten sich auch heute noch gern an den Händen, streicheln sich liebevoll über den Rücken, schmiegen sich beim Fernsehen ganz eng aneinander. „Sie ist meine zweites „Ich“, sagt Franz. „Wenn ich ihre Wärme spüre, ist das mein Leben“. Und Ursula sagt: „Ich lehne meinen Kopf immer gern an seine Brust, höre sein Herz schlagen und fühle mich eins mit ihm, so wie damals, als ich ihn mit 17 Jahren kennengelernt habe. Er ist mein Lebensmensch.“

Hautkontakt dämpft bis ins hohe Alter Stress und schafft Wohlbefinden. Das ist uns mitgegeben aus der Zeit, als wir uns als Baby an die Mutter kuschelten. Das bleibt für immer so. Die Krönung, der Höhepunkt innerer Verbundenheit und körperlicher Bindung, ist die Vereinigung, der Sex, der Lust schafft und die Bindung festigt. Darum wollen wir es lebenslang, immer.

Niemand ist für Sex zu alt

Sex macht also schön, ist wirkungsvoller als Pillen aus der Apotheke und teure Wundermittel, die uns ewige Jugend versprechen. Sex schenkt uns innige Zweisamkeit, die uns glücklich und lebensfroh macht. Es ist unser körpereigenes Anti-Aging-Potenzial, das wir nach Herzenslust ausschöpfen können.

Mit Sex haben wir den idealen „Kick“, um vorzeitiger Alterung vorzubeugen. Wir können uns körperlich und seelisch einfach und freudvoll regelmäßig „auf Trab“ bringen. Besser geht’s nicht. Und die Generation Ü60 hat das auch erkannt und beginnt, zu ihrer Lust zu stehen. Viele holen ganz bewusst nach, was in ihrer Jugend noch verpönt oder gar nicht erlaubt war. Sie sind experimentierfreudig und lieben bewusster, weil die Lebens-Uhr lauter tickt als bei jüngeren Menschen, und sie wissen, dass hier der Ausspruch gilt: wenn, dann jetzt! Sie wollen keine Zeit mehr verlieren, und wenn es sexuell Dinge zu erleben gibt, auf die sie jetzt Lust haben, dann bitte her damit, und zwar sofort. Und wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, bleibt es noch lange. Denn nach oben gibt es altersmäßig keine Grenze.

Die 77-jährige Renate erzählt: „Als ich jung war, durfte ich keinen Sex haben. Vor der Ehe „gehörte“ sich das nicht. Dann habe ich früh geheiratet und dachte, dass Sex so sein muss, wie er mit meinem Mann war. Heute weiß ich: Das war nichts Besonderes.“

Denn Renate hat noch spät erlebt, dass es Sex auch ganz anders gibt. Sie war schon Anfang 70, als sie ihren Körper ganz neu entdeckte und ihren ersten Orgasmus hatte. Seitdem kann sie nicht genug davon bekommen.

Renate ist erst in den letzten Jahren offen für raffinierten Sex geworden, worunter sie ganz individuell ungewöhnliche Stellungen versteht. Sie will jetzt die Lust richtig leben. Ihre Partner sucht sie sich nach dem Vorbild der österreichischen Erfolgsautorin Elfriede Vavrik mit Kontaktanzeigen und macht darin keinen Hehl daraus, um was es geht. Sie will keine Bindung. Die hatte sie mit ihrem Ehemann, dessen Bilder die ganze Wohnung schmücken. „Einen besseren bekomme ich nie wieder“, sagt sie und lächelt versonnen, als sie ein Urlaubsbild ansieht, aufgenommen bei einem Mallorca-Urlaub vor nunmehr zehn Jahren. Es war die letzte gemeinsame Reise. Zwei Wochen nach der Rückkehr starb ihr Mann an einem Herzinfarkt.

Sie will auch keine großen Gefühle. Die hatte sie von ihrem verstorbenen Mann und bekommt sie jetzt von ihren vier Enkelkindern. Auch möchte Sie keine aufwendige Freizeitgestaltung. Dafür hat sie ihre Freundinnen. Und um Anerkennung geht es ihr auch nicht. Die bekommt sie durch ihre beiden Ehrenämter bei der „Tafel“ und bei der „Telefonseelsorge“. Renate will nichts außer Sex. Und das nicht in einem biederen Umfeld wie einer Zweizimmerwohnung oder einer Alten-WG, sondern in schönen Hotels mit sympathischen und wohlsituierten Männern. Sie hat Sex mit verheirateten Geschäftsleuten, mit Beamten und Freiberuflern. Meistens sind ihre Liebhaber wesentlich jünger. „Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Mein Mann ist tot, meine Kinder bekommen davon nichts mit. Ich nehme mir, was mir guttut. Was ist schon dabei?“ Und warum haben gerade junge Männer an ihr Interesse? Renate lächelt: „Weil ältere Frauen wie ich tabulos sind!“ Bingo!

So wie Renate geht es vielen Frauen und Männern Ü60. Sie sind entweder verwitwet und schon längere Zeit Singles und interessiert daran, Liebhaber bzw. Liebhaberinnen zu haben, bereit, sich auf Abenteuer jenseits einer längeren Beziehung einzulassen. Sie sind offen für alle möglichen Spielarten.

Dabei steht die körperliche Lust bei den meisten allerdings nicht dauerhaft im Mittelpunkt. Sex als Sport oder pure Lustbefriedigung ist für alle Menschen, auch für die Ü60er, nie langfristig das Ziel. Sie machen, genau wie die jüngeren Menschen, irgendwann die Erfahrung, dass sie mit One-Night-Stands und Affären, egal wie aufregend sie auch sind, nicht die ersehnte emotionale Erfüllung finden. Gerade den heute älteren Frauen hat man ja in der Erziehung vermittelt, „eheliche Pflichten“ zu haben. Dafür bekommen sie Bindung und Sicherheit. Das haben sie verinnerlicht. Das wollen sie auch heute. Sowohl Frauen als auch Männer mögen gerade im Alter nicht dauerhaft auf die erfüllende Nähe durch Sex verzichten. Sie sehnen sich intensiv nach einem Menschen, zum Leben, Lieben und – ganz klar – für den Sex! Denn in dem Alter, mit der gewaltigen Lebenserfahrung, weiß man nicht nur, was man will, man weiß auch, was man nicht hat und was einem fehlt. Man möchte auch oder gerade jetzt Kraft finden aus dem anderen, aus dem sich Zeigen und Annehmen, dem nackt und zu zweit sein. Man möchte sich mit einem anderen Körper, einer anderen Seele verbinden und sich Innigkeit aufbauen, die sich wie ein wohlig-warmer Mantel gegen den Sturm des Lebens erweist. Egal wie oft man es schon versucht und erlebt hat und egal wie alt man ist.

Bei Verheirateten ist es sowieso ein Lebensmuster, das sie nicht verlassen. Sie „kommunizieren“ weiter über den Sex, egal wie alt sie sind. Das Bedürfnis, miteinander auf dieser Ebene „zu sprechen“ bleibt lebenslang gültig.

„Mein Mann war früher im Außendienst und oft tagelang unterwegs. Aber wenn er heimkam und wir uns abends im Bett liebten und später eng aneinander gekuschelt einschliefen, wusste ich immer, dass wir zusammengehören und uns nichts trennen kann“, erzählt die 72-jährige Rosemarie. Die körperliche intime Nähe hat ihr Sicherheit gegeben, dass die Beziehung stabil ist, und ihr geholfen, die Trennung auszuhalten. Bis heute ist der Sex für Rosemarie ein verlässlicher Indikator. „So lange mein Mann mit mir schläft, weiß ich, er gehört mir!“ Rosemaries gleichaltriger Ehemann Rudi bestätigt das. „Immer wieder intim sein schafft immer wieder den Zustand tiefster Vertrautheit. Davon zehren wir beide im Alltag, weil wir dadurch sozusagen auf einer anderen Ebene miteinander zusammen sind.“

Heißt das, Sex ist immer gleich? Mit 60 Jahren ist er also genauso schön wie mit 20? Nein, man kann es nicht vergleichen. Das Liebesleben ist nicht immer gleich, sondern verändert sich im Laufe des Lebens. Es gibt sexuelle Abschnitte, die in der Regel alle Menschen durchlaufen.

Sex mit 20 ist noch der Sex der Suchenden. Das meiste weiß man von anderen, aus dem Fernsehen, dem Internet und aus Zeitschriften. Man ist experimentierfreudig, denkt aber in erster Linie an die eigene Befriedigung. Man möchte wissen, was das ist, wovon alle sprechen. Sex ist wie die Ware, die man im Supermarkt kaufen kann, in vielen Spielarten und Variationen und man möchte zu der greifen, die einem am besten schmeckt. Doch meistens ist das Ergebnis enttäuschend. Viele junge Männer stürmen im Testosteronüberschwang schnell und unwissend los. Viele junge Frauen haben nie einen Orgasmus. Es gilt: Man nimmt, was man mitnehmen kann. Umgangssprachlich spricht man von „austoben“, bevor man eine feste, möglichst dauerhafte Bindung eingeht. Doch Zärtlichkeit, Innigkeit und Nähe, viel von dem, was eine erfüllte Sexualität ausmacht, findet in diesem Alter überhaupt nicht statt. Man hat ja kaum seinen eigenen Körper erlebt und soll sich dann schon mit einem anderen auseinandersetzen. Das schafft Ängste, Unruhe und ist der Grund, warum der Sex oft schnell vorbei ist. Das Licht bleibt zwar an, aber man versucht nur abzuarbeiten, was man gesehen und gehört hat, und von dem man glaubt, dass es glücklich macht. Eigene Kreativität ist Fehlanzeige. Stattdessen setzt man auf die Technik, die man in den Medien vermittelt bekommt.

Später wird es auch nicht entspannter, weil Kinder, Stress und Mehrfachbelastungen hinzukommen. Und wer immer glaubt, funktionieren zu müssen, kann und will es nicht auch noch im Bett. Die Entspannung geht mit wachsender Verantwortung flöten und damit auch die Voraussetzung, Lust genießen zu können.

Doch die kommt zurück, wenn man älter wird, die Alltagsmühle sich langsamer dreht. Die Kinder sind groß, der Job nicht mehr so wichtig. Es wird einem gleichgültiger, was die Leute von einem denken und man kümmert sich wieder mehr um sich selbst.

Ältere Menschen wollen nicht mehr Marionetten sein, für Vorgesetzte den Kaspar machen, gefallen müssen. Sie haben Lust auf Authentizität. Man selber sein, sich so geben, wie man ist. Das schätzen sie als Profit des Alters. Sie kennen jetzt ihre eigenen Bedürfnisse und stehen auch dazu. Deshalb wird Sex in fortgeschrittenen Jahren immer besser. Die Menschen Ü60 sind selbstbewusst und durchsetzungsstark und haben im Laufe ihres Lebens gelernt, dass es beim Sex nicht um Höchstleistung, sondern um Einfühlung und Genussbereitschaft geht. Das haben sie den Jungen voraus und das ist die Trumpfkarte, die sie im Bett ziehen, und die das Mehr an Falten und Dellen ganz locker ausgleicht.

Darum ist der Sex im Alter
besser denn je!

Wir haben gelesen: Männer und Frauen sind mit Ü60 sexuell sehr interessiert. Wer in einer festen Ehe oder Partnerschaft lebt, kann sich perfekt ausleben. Aber auch Alleinstehende sind begehrt, sowohl von Gleichaltrigen als auch von jüngeren Partnern. Sie wissen, was es alles gibt und können – endlich – nachholen, was sie versäumt haben. Neugierig probieren sie alles aus, was geht, lassen sich auf Dinge ein, die gesellschaftlich verpönt sind. Mutig macht sie auch die Tatsache, dass sie unabhängig sind. Wenn sie Kinder haben, sind diese erwachsen und bekommen nicht mehr mit, was die Eltern treiben. Der Arbeitsplatz spielt meistens keine Rolle mehr, und auf die Meinung der „Leute“ pfeifen sie sowieso. Auch der körperliche Alterungsprozess kommt ihnen nicht mehr in die Quere – ab 60 steht man dazu, dass der Körper nicht perfekt ist.

Was zählt, ist die Orgasmusfähigkeit und der kann das sowieso alles nichts anhaben. Sie bleibt ein Leben lang erhalten. Viele Frauen berichten, dass der Höhepunkt mit zunehmendem Alter tiefer, länger und stärker wird. Allerdings nimmt die sexuelle Reaktionszeit im Laufe des Lebens ab. Das bedeutet: Es dauert einfach länger, bis sie zum Höhepunkt kommen. Weil das aber parallel auch für die Männer gilt, resultiert daraus kein Problem, sondern ein verlängertes Vorspiel. Und das kommt den Frauen zugute. Aber auch sonst hat das Alter Vorteile: Die Verhütung ist kein Thema mehr. Das führt zu einer neuen Freiheit und Ungezwungenheit. In „jungen“ Jahren schielen Männer sehr häufig auf Leistung, Durchhaltevermögen und Standhaftigkeit. Sie probieren in Bezug auf Partneranzahl, Sex-Stellungen oder Sex-Praktiken alles aus. Frauen machen nicht selten Dinge, die sie in Wirklichkeit gar nicht möchten, oder heucheln Gefühle, die sie vielleicht gar nicht empfinden. Ab 60 ist Schluss damit.

Der Druck ist weg. Stattdessen rückt die Zärtlichkeit in den Vordergrund. Die Lust und Liebe zum Partner steht im Mittelpunkt und der Wunsch, sich gegenseitig schöne Stunden zu schenken. Man weiß, was man will. Hat man also Ü60 den besten Sex des Lebens? Was die Lebensvoraussetzungen dafür anbelangt hierzu ein klares „Ja“.

Olga, eine 72-jährige Musiklehrerin aus Stuttgart, kann das bestätigen. Sie erzählt, dass sie erst mit 65 Jahren ihren ersten Orgasmus hatte. „Damals hatte ich mich nach 40 Ehejahren scheiden lassen. Sex kannte ich nur als Pflichtprogramm. Mein Mann hat sich nie darum bemüht, dass auch ich etwas davon habe. Er hatte seine Lust und basta. Ich war dazu da, sie ihm zu ermöglichen. Das Schlimme daran: Ich habe es mitgemacht und mir niemals Gedanken darüber gemacht. Ich dachte, das muss so sein. Er ist der Mann und Männer brauchen das.“ Während sie erzählt, schüttelt Olga plötzlich aufgebracht den Kopf. „Ich kann mir heute gar nicht mehr erklären, dass so etwas mit mir möglich war“, sagt sie jetzt laut, und ihre Stimme klingt aufgebracht. „Ich war in keiner Hinsicht ein abgepasstes Weibchen“, betont sie. „Ich habe immer gearbeitet und mein eigenes Geld verdient. Ich hatte eine eigene Musikschule und dadurch viel Anerkennung im Ort. Ich war immer eine sehr selbstbewusste Person. Nur im Bett, da habe ich mich über Jahrzehnte hinweg unsicher abfertigen lassen. Man glaubt es kaum, aber ich habe nicht einmal gesagt, was mir guttun würde.“ Die Ehe zerbricht, weil Olgas Mann eine andere Frau liebt, natürlich eine 15 Jahre jüngere. Er will die Trennung und Olga bleibt zurück, mit ihren unbefriedigenden Sex-Erfahrungen. Wie sie die ändert, erzählt sie locker, offen, ungezwungen. Drei Jahre hat sie nach der Trennung gebraucht, um auch im Bett selbstbewusst zu sein. Geschafft hat sie es durch Zufall. „Ich habe im ersten Jahr nach Gerds Auszug eine Reise nach Griechenland gebucht, genauer nach Kreta. Im Hotel hat mich ein junger Mann angesprochen. Als ich mich auf die Affäre mit ihm einließ, war es mehr aus Frust, weil ich den ganzen Tag allein am Pool lag und mit meinem Single-Status todunglücklich war. Alexis, so nannte er sich zumindest, erzählte mir etwas von Liebe auf den ersten Blick. Erst habe ich gelacht und seine Avancen weggewischt. Aber Alexis war hartnäckig, hat mich abends an die Bar eingeladen. Musik, Wein, Palmen, ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich dafür empfänglich bin. Aber ich war’s. Wir haben uns im Hotelgarten geküsst. Und als er mit seiner Zunge meine Ohrmuschel berührte, durchzuckte mich die Lust in einer Art, wie ich es noch nie erlebt hatte.“ Olga spürt seine suchenden Hände auf ihrem Po und sie wehrt sich nicht, als er ihr langsam über die Beine unter ihren Rock fährt. „Als er mir zwischen die Beine fasste, hatte ich das Gefühl, dass mich zum ersten Mal ein Mann dort berührte. Mein Mann war lieblos, fordernd, er hat nur geprüft, ob ich feucht genug war, dass er in mich eindringen konnte. Aber Alexis dachte nicht an seine Lust, sondern an meine. Eine Revolution.“ Olga ist durch den einfühlsamen, erotisch offenbar sehr versierten Mann so erregt, dass sie es nicht mehr mit ihm bis aufs Zimmer schafft. „Ich habe mich von ihm unter seinen drängenden Küssen an den Strand schieben lassen. Es war August und sehr heiß. Ich hatte nur ein Leinenkleid und einen Slip an. Er zog mich in den Sand, schob mir das Kleid hoch. Ich zog mir den Slip herunter, er streifte sich ein Kondom über sein erregtes Glied und dann spürte ich ihn in mir. In dieser Nacht hatte ich den ersten Orgasmus meines Lebens, am Strand, unter freiem Himmel, und obwohl ich in der Ferne Stimmen hörte, konzentrierte ich mich nur auf mich und meine Lust. Alexis schob mir den Finger zwischen die Zähne, damit ich darauf beißen konnte und nicht zu laut stöhnte.“

Olga trifft Alexis in diesem Urlaub regelmäßig und Abend für Abend nimmt sie ihn mit auf ihr Zimmer. Dass sein Auto kaputt ist und er ohne die kostspielige Reparatur nicht zur Arbeit kommt und damit arbeitslos werden würde, versteht sie und hilft ihm aus. „Ich weiß nicht, ob es wahr war, aber ich weiß, dass es mir egal war. Denn dieser unglaublich gut gebaute Kerl hat mir meine Sexualität aufgemöbelt und das war jede Summe wert.“

Nach dem Urlaub weiß Olga, wie Sex sein kann, und sie sucht sich ihren Partner nicht nach Ansehen und Geld aus, sondern danach, ob das Sexleben mit ihm erfüllt ist. „Wer sexuell glücklich ist, lebt leidenschaftlicher, engagierter, lebensfroher. Ich bin mit über 70 Jahren jünger, fitter und lebensbetonter als mit 30, und es liegt daran, dass ich regelmäßig Orgasmen habe“, glaubt Olga. Sie hat nach drei Jahren voller sexueller Experimente noch einmal geheiratet, einen zwölf Jahre jüngeren Musiker. „Mein Mann spielt auf meinem Körper wie auf einem Klavier. Seine feingliedrigen Hände sind ein Traum. Aber ich weiß heute auch, wie ich meinen Partner verwöhnen kann. Wir schenken uns gegenseitig Lust. Hinlegen und warten, bis es vorbei ist, für mich kommt das nie wieder in Frage. Ich sage heute, was ich will. Genauso wie mein Mann das tut. Wir sind sexuell ein Team. Wie schön das ist, habe ich als Frau erst spät gelernt.“

ZEHN STÖRFAKTOREN,
DIE DER GENERATION
Ü60 DIE LUST AN DER
LUST NEHMEN

Viele Frauen Ü60 haben solche Erfahrungen wie Olga gemacht. Sie haben viel Lust in ihrem Leben verpasst und wollen jetzt endlich nachholen, was sie vermisst haben. Und sie können die Liebe auch rundherum genießen, wie alle Menschen in diesem Alter. Denn die Voraussetzungen sind dafür bestens. „Die Sexualität des Menschen verändert sich zwar mit den Jahren, aber sie bleibt auch im Alter genauso vielschichtig und individuell unterschiedlich, wie bei jungen Menschen“, sagt Diplom-Soziologe Carsten Brandenberg. Nach seinen Erfahrungen ändert sich am sexuellen Erleben nichts und Sexualität kann genauso genossen werden wie in jüngeren Jahren. Doch es gibt Störfaktoren, die die wunderbarsten Jahre der Lust anfällig machen und der Euphorie einen Dämpfer erteilen können.

1. Gesellschaftliche Probleme und mediale Aufmerksamkeit

Die sexuelle Revolution der 68er hat nur bei den Jüngeren die verstaubten Ansichten aus den Köpfen gepustet. Viele ältere Menschen haben das sexuelle Tabu bis heute verinnerlicht. Besonders Frauen haben damit zu kämpfen. Zur Erinnerung: In den 50er-Jahren herrschten strenge Moralvorschriften. Man hatte keinen Sex vor der Ehe, die Frauen gehörten an den Herd und wurden, wenn sie ein uneheliches Kind zur Welt brachten, regelrecht geächtet.

Frauen, die in diesen Jahren jung waren, haben diese Prägung und – viel entscheidender – häufig keinerlei andere sexuelle Erfahrung als die mit ihrem Ehemann.

Dazu kommen die Vorurteile, die uns die Medien bis heute vermitteln und die fest in den Köpfen verändert sind. Auf ein Buch mit dem Thema „Sex Ü60“ gehen die Reaktionen von „Das ist ja widerlich“ bis zu „Wie, machen die das noch?“

„Sex ist nur schmutzig, wenn er richtig gemacht wird.“

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783869105413
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
Erotik im Alter Liebesleben Sex im Alter Sex-Ratgeber Sex-Tipps Sexuelle Langeweile Wechseljahre

Autor

  • Andrea Micus (Autor:in)

Andrea Micus ist Expertin für Themen rund um Liebe & Partnerschaft. Mit ihren Büchern „Partnersuche Ü40“ und „Partnersuche Ü60“ hat sie Tausenden dabei geholfen, einen passenden Partner zu finden und dabei gezeigt, dass eine erfolgreiche Partnersuche keine Frage des Alters ist. Für „Sex Ü60“ wirft sie einen Blick in die Schlafzimmer der Generations 60+, spricht typische Probleme an und liefert alltagstaugliche Lösungsmöglichkeiten gleich mit.
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Titel: Sex Ü60