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Tatort Schule

Was tun bei Mobbing, Erpressung, Körperverletzung, Beleidigung oder sexuellen Angriffen? So kann Ihr Kind mit Gefahr und Gewalt in der Schule umgehen. Sonderkapitel zu Mobbing und Gewalt im Internet

von Martin Kohn (Autor:in)
184 Seiten

Zusammenfassung

Schulkinder sind ganz unterschiedlichen Gefahren ausgesetzt: Mobbing in der Klasse, Erpressung, Körperverletzung, sexuelle Angriffe. Zudem werden Internet und Handys immer häufiger missbraucht, um Gewalt und Beleidigungen zu verbreiten. Dieses Buch hilft Ihnen, Probleme Ihres Kindes frühzeitig zu erkennen und richtig zu reagieren, wenn Ihr Kind bereits zum Opfer geworden ist.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Martin Kohn
 
 
 
 
 

Tatort Schule

 
 
 
Was tun bei Mobbing, Erpressung, Körperverletzung,
Beleidigung oder sexuellen Angriffen?
So kann Ihr Kind mit Gefahr und Gewalt
in der Schule umgehen


 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 
978-3-86910-741-7  
ISBN der gedruckten Originalausgabe: 978-3-86910-622-9
ISBN des PDF-eBooks: 978-3-86910-742-4

 

 

Martin Kohn ist Mitglied der Schulleitung eines Gymnasiums und entwickelte verschiedene Methoden zum Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen und ihren Eltern sowie zur Stärkung potenzieller Opfer von Gewalt. Er ist Internet- und Medien-Coach und Experte für Erziehungsfragen für das Nachrichtenmagazin „Focus“ und die Zeitschrift „LISA Schule & Familie“. Als freier Redakteur schreibt er für die Zeitschrift „Schule & Co.“.

 
 
 
 

 
© 2012 humboldt

Eine Marke der Schlüterschen Verlagsgesellschaft mbh & Co. KG,
Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover
www.schluetersche.de
www.humboldt.de

 
Autor und Verlag haben dieses Buch sorgfältig geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

 
Lektorat: Angelika Lenz, Steinheim a. d. Murr
Covergestaltung: DSP Zeitgeist GmbH, Ettlingen
Titelfoto: Inmagine/Designpics; Shutterstock/Maridav

Vorwort

Zwanzig gegen einen,
bis das Blut zum Vorschein kommt.
Ob mit Stöcken oder Steinen,
irgendwann platzt jeder Kopf.
Das nächste Opfer ist schon dran,
wenn ihr den lieben Gott noch fragt:
„Warum hast Du nichts getan,
nichts getan?”

Die Toten Hosen: „Hier kommt Alex“ (aus dem Album „Ein kleines bisschen Horrorschau“, 1988)

Ein 15-jähriger Schüler schlägt seinem Mitschüler in einer Berliner Hauptschule mit einem Kartenständer den Kopf blutig.

Zwei Mädchen drohen einer Thüringischen Gesamtschule einen Amoklauf an.

Ein Schüler aus Bayern wird ins Krankenhaus eingeliefert, weil er von drei Klassenkameraden auf dem Schulhof zusammengeschlagen worden ist.

Drei Schlagzeilen, drei Bundesländer. Ein Thema.

Aggressivität und Respektlosigkeit machen sich zunehmend an deutschen Schulen breit. Die Gewaltbereitschaft gegen Personen und Sachen nimmt zu: Schüler werfen mit Gegenständen nach den Lehrern, treten Türen ein, zünden Knallkörper und spielen Fußball mit Papierkörben. Allein in Berlin hat sich die Zahl der gemeldeten Gewaltvorfälle in den vergangenen fünf Jahren mehr als vervierfacht. Eine besonders negative Profilierung schafft besondere Anerkennung in der Peergroup, der Gruppe der Gleichaltrigen. Und negative Schlagzeilen über die eigene Schule spornen weiter an.

Die Gesellschaft schreckt immer dann auf, wenn es zu einem besonders heftigen Vorfall gekommen ist; gerade erst waren die Ereignisse in Erfurt in den Hinterköpfen verschwunden, als das Entsetzen durch den schrecklichen Amoklauf in Winnenden neuen Auftrieb erhielt.

Und immer wieder stellt sich die Frage nach dem Warum.

„I don’t like Mondays“ gab die damals 16-jährige Brenda Ann Spencer als Begründung dafür an, dass sie am 29. Januar 1979, einem Montag, aus dem Fenster ihres Schlafzimmers in San Diego auf dem gegenüberliegenden Schulhof den Schulleiter und den Hausmeister erschoss sowie acht Schülerinnen und Schüler verletzte. Fassungslos von der Grundlosigkeit der Tat komponierte Bob Geldof aus ihren Worten den größten Hit der Boomtown Rats, der dieses Ereignis zum Thema machte.

Was können Sie tun, wenn Ihr Kind Opfer einer Gewalttat geworden ist? Wie können Sie im Vorfeld verhindern, dass Ihr Kind zum Opfer wird? Wie, dass es selbst zum Täter wird?

Das vorliegende Buch möchte Ihnen die Augen öffnen für die Realität an deutschen Bildungseinrichtungen. Es zeigt, dass die Situation in allen Bundesländern bedenklich ist, und zwar unabhängig vom Abschneiden bei internationalen Vergleichsstudien. Vor allem aber gibt Ihnen dieser Ratgeber Anregungen und Hilfestellungen, wie Sie als betroffene Eltern auf Gewalt an der Schule Ihres Kindes reagieren sollten und wie Sie Ihr Kind davor schützen können. Außerdem können Sie einiges dazu beitragen, dass Ihr Kind nicht „außer Rand und Band“ gerät und selbst zum Urheber der Gewalt wird. „Tatort Schule“ möchte Sie dabei unterstützen und gibt Ihnen neben grundlegenden Informationen zu Art und Ausmaß von Gewalt an deutschen Schulen sowie der Gefährdung Ihres Kindes auch eine Fülle von Tipps und Empfehlungen an die Hand, wie Sie als Eltern der Gewalt vorbeugen und was Sie konkret zur schulischen Situation Ihres Kindes beitragen können.

Zwar existieren weder Patentrezepte noch ist Erziehung ein Kinderspiel – trotzdem sind Sie als Mutter oder Vater den vielfältigen Ursachen von Gewalt keineswegs hilflos ausgeliefert! Insbesondere, wenn Sie einen guten Draht zu den Lehrerinnen und Lehrern pflegen, stehen die Chancen gut, Einstellungen und Verhaltensweisen Ihres Kindes positiv zu beeinflussen und Gewalt zu verringern.

Sie als Eltern haben es in der Hand, die Schulzeit Ihres Kindes zu einer Zeit ohne Ängste zu machen. „Tatort Schule“ zeigt Ihnen, wie es geht.

Martin Kohn

Hinweis

Dass in diesem Buch häufig Maskulina verwendet werden, die auch die weibliche Form mit einschließen, ist der leichteren Lesbarkeit des Textes geschuldet und stellt keine Diskriminierung von Frauen dar.

Jugendgewalt.
Fakten und Hintergründe

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In sämtlichen Medien (und nicht nur den einschlägigen) wird mit schöner Regelmäßigkeit über Jugendkriminalität und Gewalt an Schulen berichtet. Der Bundesverband der Unfallkassen spricht von mehr als 90000 gemeldeten Raufunfällen im Jahr, das sind rund 250 verletzte Schüler pro Tag.

Dabei gilt es zu bedenken, dass mehr als 80 Prozent der Gewaltvorfälle von den Opfern nicht angezeigt werden – aus Angst vor den Tätern, aber auch aus Scham. Viele Opfer schämen sich der Tat und geben sich selbst die Schuld daran, dass sie zum Opfer geworden sind. Fast zwei Drittel der Gewaltvorfälle zwischen Jugendlichen geschehen zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Dies hängt durchaus auch davon ab, inwieweit in der Kultur der Heranwachsenden Männlichkeit mit Dominanz und gewaltförmiger Durchsetzungsfähigkeit verbunden ist.

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Überraschend ist, dass Jugendliche, wie die Polizeiliche Kriminalstatistik (siehe rechts) zeigt, häufiger als Tatverdächtige registriert werden als Erwachsene. Mit anderen Worten: Von Jugendlichen gehen wesentlich mehr gewalttätige Aktivitäten aus als von Erwachsenen! Umfragen an Schulen haben gezeigt, dass zwei von drei Schülern im Jahr mindestens eine strafbare Handlung begangen haben. Ein Siebtel der Jugendlichen hat einen anderen Menschen bereits körperlich verletzt. Mit mehr als 80 Prozent der auffällig gewordenen Jugendlichen stellen allerdings diejenigen die große Mehrheit, die einen Diebstahl oder Sachbeschädigung begangen haben. Bei mehr als der Hälfte aller Tatverdächtigen unter 14 Jahren war Ladendiebstahl Anlass der polizeilichen Registrierung.

Eine Umfrage unter 4000 Bochumer Achtklässlern ergab, dass jeder fünfte Hauptschüler einen anderen Jugendlichen schon einmal so brutal verprügelt hat, dass dieser zum Arzt musste. An Gesamtschulen waren 14 Prozent und am Gymnasium immerhin noch 8 Prozent der Schüler an solchen Taten beteiligt.

Ist Gewalt an Schulen ein Phänomen der heutigen Zeit?

Gewalt an Schulen gibt es, seitdem es Schulen gibt, allein die Wahrnehmung und die Intensität von Gewalt haben sich verändert. Früher (das heißt bis in die 1990er-Jahre) bestand der Großteil der an Schulen ausgeübten Gewalt aus aggressivem und von der Norm abweichendem Verhalten. Heute muss der Gewaltbegriff auf Mobbing, Schlägereien, Amok, „Happy Slapping“ und Cyberbullying erweitert werden. Hinzu kommt, dass Ereignisse wie ein Amoklauf ein gesteigertes Interesse überregionaler Medien finden. Lang und breit werden Täter- und Opfermuster analysiert, der Tathergang rekonstruiert und sämtliche Bekannte und Familienangehörige des Täters interviewt. Dies hat zur Folge, dass Täter zu Helden stilisiert werden (was immer wieder Trittbrettfahrer und Nachahmer auf den Plan ruft).

Warum tun die Schulen nichts dagegen?

Zwar hat Schule auch einen Erziehungsauftrag und prägt die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen nicht zuletzt durch den Unterrichtsstil, das Verhältnis zu den Lehrern sowie durch die Leistungsbewertung mit; dennoch lassen sich Erziehungsdefizite aus dem Elternhaus durch Schule nicht vollständig beseitigen. Ein erster Ansatz gegen Gewalt an Schulen muss also in der häuslichen Erziehung gefunden werden. Hier sind Sie als verantwortungsbewusste Eltern gefragt. Im Kapitel „Vorbeugen ist besser als heilen“ finden Sie im Abschnitt „Kinder stark machen gegen Gewalt“ praktische Ratschläge und Tipps, wie Sie Ihr Kind zu einem starken, friedliebenden Menschen erziehen.

Von Beleidigung bis Amoklauf.
Ein breites Spektrum

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Erinnern Sie sich an den Film „Die Feuerzangenbowle“? Da beschließt Heinz Rühmann als Johannes Pfeiffer – ein Jungschriftsteller, der sein Wissen bei einem Hauslehrer erwarb – aus einer Laune heraus, seine verlorenen Schuljahre nachzuholen. Heute wäre das eine schlechte Idee, wie der folgende Auszug aus „Drama des Alltags: Große Pause“ zeigt. Pfeiffers Sitznachbarn Atze, Kevin und Mehmet lassen ihn nämlich die Realität an deutschen Schulen hautnah erleben … Sein harmloser Vorschlag, im Chemieunterricht so zu tun, als wären alle Schüler betrunken, findet bei ihnen keinen Anklang:

Kevin: „So tun, als ob wir besoffen sind? Was isn das fürn Scheiß-Spaß?“

Kevin holt eine Kiste Adelskrone und Discounter-Wodka unter dem Pult hervor, Atze greift sich eine Flasche Bier und zieht sie weg, Kevin kümmert sich um den Schnaps, Pfeiffer guckt etwas irritiert.

Mehmet: „Alter, der letzte Vertretungsdingslehrer, das war Spaß, ich schwöre. Durch das halbe Zimmer geprügelt, in den Spind gesperrt und aus dem Fenster geworfen. Aber vorher hat er Handy gefressen. DAS war Spaß.“

Atze: „Der kam seitdem nicht wieder, oder?“

Kevin: „Nö. Also, um ehrlich zu sein, ich hab seitdem eigentlich gar keinen Lehrer mehr gesehen.“

Mehmet streut zwei Linien auf den Tisch, schnupft sie weg, schaut sich auf dem Handy Gewaltvideos an.

Pfeiffer (vorsichtig): „Ääh, … das ist jetzt vielleicht eine dumme Frage, aber das hier ist doch das Käthe-Kollwitz-Gymnasium?“

Behr, Stefan: „Drama des Alltags: Große Pause“, in: Frankfurter Rundschau vom 29. April 2006

Dass diese fiktive Situation an manchen Schulen real existierende Wirklichkeit ist, zeigte nicht zuletzt der Aufschrei des Kollegiums einer Berliner Hauptschule, der im März 2006 durch die Presse ging. In das Licht der Öffentlichkeit geriet die Rütli-Schule als „Terrorschule“, weil die Lehrer unter der Federführung der kommissarischen Schulleiterin gemeinsam einen Brief an die Schulaufsicht verfassten, in dem sie auf die äußerst brenzlige Situation an ihrer Schule sowie ihre Macht- und Hilflosigkeit aufmerksam machten. In dem „Brandbrief“ war von Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz den Erwachsenen gegenüber und einer zunehmenden Gewaltbereitschaft gegen Sachen die Rede: „Türen werden eingetreten, Papierkörbe als Fußbälle missbraucht, Knallkörper gezündet und Bilderrahmen von den Wänden gerissen.“ Viele Schüler würden den Unterrichtsstoff ablehnen, Lehrkräfte und ihre Anweisungen ignorieren und sie gezielt mit Gegenständen bewerfen: „Einige Kollegen/innen gehen nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen, damit sie über Funk Hilfe holen können.“

An der Rütli-Schule hat sich seither viel getan, dank verschiedener Projekte und modernerer Unterrichtsmethoden. Dennoch gibt es bundesweit genügend andere Schulen, an denen es genauso zugeht.

Welche Arten von Gewalt gibt es?

Für die einen ist eine Rangelei auf dem Schulhof bereits Gewalt oder Mobbing, für die anderen beginnt Gewalt erst bei einer schweren Auseinandersetzung, in der jemand verletzt oder Dinge beschädigt werden. Doch bereits das Grundgesetz regelt eindeutig und unmissverständlich, wo Gewalt anfängt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, steht dort geschrieben. Wenn ein Schüler also jemanden beschimpft, um seine Würde herabzusetzen, dann geht dies schon ins Persönliche; und Mobbing ist natürlich auch eine Form von Gewalt.

Unterschiedliche Arten von Gewalt

Art der Gewalt

Beispiel

Eine eindeutige Abgrenzung und Definition des Begriffs „Gewalt“ ist nicht möglich, weil seine Bedeutung vom jeweiligen Zusammenhang abhängt und demnach durchaus variiert. Was als gewalttätig gilt, hängt von den jeweiligen Auffassungen und Einstellungen der entsprechenden Gesellschaft und Kultur ab. Werden handgreifliche oder verbale Aktionen mancherorts toleriert, vor allem gegen Minderheiten innerhalb einer Kultur, sind sie in anderen Ländern längst verpönt und gesellschaftlich verachtet.

Als Gewalt an Schulen werden Handlungen angesehen, die Schüler gegen Schüler, Schüler gegen Sachen, Schüler gegen Lehrer, aber auch Lehrer bzw. die Institution Schule gegen Schüler und Lehrer begehen. Dies kann sowohl unmittelbar als auch indirekt, z.B. durch Bloßstellung im Internet, geschehen. Ein Teil der Vorfälle ereignet sich auf dem Schulweg, ein anderer auch inmitten des Unterrichts, etwa beim Schulsport.

In letzter Zeit spielen verstärkt auch Medien eine Rolle bei Schülergewalt, wie das Beispiel des sogenannten „Happy Slapping“ (= fröhliches Schlagen) zeigt.

|||  Happy Slapping
Das aus Großbritannien herübergeschwappte „Hobby” mancher Schülerinnen und Schüler repräsentiert einen Trend zu mehr Gewalt auf den Schulhöfen. Jugendliche zetteln hierbei eine Schlägerei an, filmen diese und stellen sie ins Netz, von wo sich andere Schüler diese Datei auf ihr Handy herunterladen. Auf diese Weise entsteht vielerorts auf den Schulhöfen ein regelrechter Tauschmarkt mit diesen realen Gewaltfilmen. Besonders erschreckend ist die Tatsache, dass einer von drei jugendlichen Handybesitzern bereits persönlich miterlebt hat, wie eine Schlägerei gefilmt wurde.

Während männliche Jugendliche eher dazu tendieren, mit ihrem Frust nach außen zu gehen, und diesen durch das Ausüben von Gewalt an anderen zu kompensieren versuchen, handeln Mädchen zuweilen eher autoaggressiv. Sie fügen sich selbst Verletzungen zu, konsumieren Alkohol und illegale Drogen oder missbrauchen Tabletten. Auch der Schönheitswahn in Form von Extremdiäten bis hin zu Essstörungen wie etwa Magersucht oder Bulimie zählt zu den autoaggressiven Formen von Gewalt, die hauptsächlich Mädchen betrifft.

Physische Gewalt zwischen Jugendlichen, etwa eine Schlägerei auf dem Schulweg, entwickelt häufig eine Eigendynamik, die die Auseinandersetzung zur Eskalation bringt. Einer der Kontrahenten versucht, einen anderen Jugendlichen durch Unterstellungen oder Beleidigungen herauszufordern: „Was guckst du?“ oder „Ey, der hat deine Freundin angemacht!“ Nimmt der Betroffene die Provokation auf, anstatt sie zu ignorieren, kommt es zunächst zu wechselseitigen Steigerungen der verbalen Auseinandersetzung, bis diese schließlich nicht selten in körperlicher Gewalt endet. Wer dabei angefangen hat und über was es eigentlich genau ging, ist bei diesem Streit völlig nebensächlich. Vielmehr war kein echter Konflikt vorhanden, sondern dieser musste erst inszeniert werden.

Solche Auseinandersetzungen finden besonders dann statt, wenn weitere Freunde bzw. Angehörige der Peergroup anwesend sind, schließlich wollen die beiden Streithähne vor ihnen ja nicht als Feiglinge oder Schwächlinge dastehen. Eine solche zur Schau gestellte Härte fördert einerseits das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe und zieht andererseits die Grenze zwischen Kind und Erwachsenem, zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit.

Woher kommt die Gewalt?
Warum Kinder gewalttätig werden

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Die Gewalttaten von Jugendlichen sind nicht zwangsläufig geplant und vorgesehen. Häufig reicht ein kleiner Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. So kann ein versehentliches Anrempeln in der U-Bahn-Station Auslöser für eine Schlägerei sein. Besonders schlimm ist es häufig dann, wenn die Clique dabei ist. Der Täter befürchtet in diesem Fall, dass er vor seinen Freunden als Feigling oder Versager dastehen könnte, wenn er nicht besonders aggressiv und hart zurückschlägt. Außerdem spielt natürlich auch Alkoholeinfluss eine Rolle, denn Alkohol senkt nicht nur die Hemmungen, auf andere Menschen einzuschlagen, sondern auch das Provokationslevel. Was mit nüchternem Kopf oder wenigstens einigermaßen klarem Sachverstand ignoriert oder allenfalls verbal gelöst worden wäre, kann sich bereits bei einem Blutalkohol von wenigen Promille zu einem dramatischen Konflikt zuspitzen.

Mädchen machen bis jetzt nur 5 bis 7 Prozent der gewaltbereiten Jugendlichen aus, aber sie holen auf. Bei dieser Zahl ist allerdings zu beachten, dass bei Delikten von Mädchen häufiger ein Auge zugedrückt wird und diese demnach weniger häufig zur Anzeige kommen als die von männlichen Tätern. Die Dunkelziffer weiblicher Gewalt dürfte entsprechend hoch sein.

Risikofaktoren

Die Gründe für aggressives Verhalten sind vielschichtig. So gibt es verschiedene biologische Risikofaktoren, die eine Ausprägung von aggressivem oder gewalttätigem Verhalten fördern können:

Hinzu kommen soziale Risikofaktoren wie:

Liegt in der Familie ein gestörtes Sozialverhalten vor, ist die Gefahr erhöht, dass das Kind ein gewaltbereites Verhalten entwickelt. Jedes zehnte Kind (!) ist von seinen Eltern bereits körperlich misshandelt oder sogar massiv körperlich gezüchtigt worden. Solche Erfahrungen haben Auswirkungen auf die eigene Gewaltbereitschaft. Diese Heranwachsenden haben Gewalt von ihren Rollenvorbildern, den Eltern, als ein effektives Mittel kennengelernt, eigene Forderungen oder Bedürfnisse vor anderen durchzusetzen.

Von der sozialen Stellung einer Familie in der Gesellschaft lässt sich ein Hang zur Gewaltbereitschaft aber nicht ableiten. So kommt es vor, dass Jugendliche auch aus vermeintlich gutem Hause zum Teil extrem gewalttätig in Erscheinung treten. Wie es hinter der Fassade in der Familie wirklich aussieht, vermögen Außenstehende oftmals nicht auszumachen. Nicht selten fühlen sich solche Jugendliche wie in einem goldenen Käfig, emotional isoliert. Kommt zu dieser Gefühlskälte im Elternhaus ein Auslöser wie etwa die Trennung vom Freund bzw. von der Freundin hinzu, wird plötzlich ein Ventil notwendig für die angestauten Aggressionen.

Neben den biologischen und sozialen gibt es natürlich auch noch die Risikofaktoren, die in der Persönlichkeit des Kindes begründet liegen. Diese werden im folgenden Abschnitt behandelt.

Drei Typen gewaltbereiter Jugendlicher

Aggressive Jugendliche bzw. jugendliche Gewalttäter lassen sich in drei Kategorien einordnen:

1. Solche, die Gewalt anwenden, wenn dies für ihr Ziel notwendig erscheint

Auf die Frage „Warum hast du zugeschlagen?“ würden diese Jugendlichen antworten: „Er hat mir das Handy ja nicht gegeben …“ Sie besitzen folgende Eigenschaften:

Ein Beispiel:

Karim kann sich das neue Handy nicht leisten, weil er nicht genug Taschengeld bekommt. Er weiß aber, dass Jonas aus der Parallelklasse genau dieses Modell besitzt. Auf dem Nachhauseweg lauert er ihm auf und droht ihm Schläge an, wenn er das Gerät nicht herausgibt.

2. Solche, die sich selbst und anderen beweisen wollen, wie männlich sie sind

Sie zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:

Ein Beispiel:

Im Bus ruft Jürgen seinem Mitschüler Cedric zu: „Ey, deine Mutter stinkt!“ Cedric zögert nicht lange und schlägt brutalst zu.

3. Solche, die sich selbst verachten

Diese Jugendlichen sagen über sich selbst: „Ich bin Dreck.“ Sie sinnen auf Rache für ein vermeintliches Unrecht, das heißt, sie suchen irgendjemanden, an dem sie ihre Wut auslassen und den sie für ihr eigenes Elend verantwortlich machen können. Ein Beispiel sind jene Rechtsradikale, die auf Juden hetzen, aber selbst gar nicht wissen, was Juden eigentlich sind. Jeder, der anders ist, kann als ein solches Ventil dienen, also beispielsweise Ausländer, Homosexuelle, Behinderte, Obdachlose. Diese Jugendlichen besitzen folgende Eigenschaften:

Ein Beispiel:

Edin macht sich mit einem Groll auf den Schulweg. Er weiß, dass heute noch etwas passieren wird. Und tatsächlich: Der Erste, der ihm irgendwie dumm kommt, „kriegt eins in die Fresse“. Hinterher begründet Edin seine Tat so: „Der guckte mich an und ich wusste, der denkt über mich, dass ich Dreck bin. Und da habe ich ihm die Fresse poliert, ist doch logisch.“

Eine Aggressions- bzw. Gewaltbereitschaft prägt sich bereits in jungen Jahren aus. Es ist kaum ein Fall bekannt, in dem aus einem bislang unter normalen Umständen herangewachsenen Kind plötzlich ein gewaltbereites wird.

Gewaltbereite Heranwachsende zeigen oft bereits in der frühen Kindheit aufsässiges, trotziges oder unfolgsames Verhalten, das vor allem durch die Inkonsequenz von Eltern verstärkt wird, die bei Nichteinhalten von Regeln und Absprachen keine Maßnahmen verhängen. In der Schule folgen dann Defizite im Sozialverhalten, die wiederum zu Problemen mit den Lehrern sowie den anderen Kindern führen, die den Umgang mit ihnen (zum Teil aus Angst) ablehnen. Dies führt dann zu einem negativen Selbstbild: „Mich kann sowieso keiner leiden!“ Die ersten Schritte in eine gewalttätige Karriere (der Fachmann spricht von Delinquenz) sind also getan. Für manche Jugendliche beginnt damit eine Gewaltspirale, aus der sie nur sehr schwer wieder ausbrechen können.

|||  Die Spirale der Gewalt
Zu einer Zukunftsangst („Werde ich nach der Schule einen Job finden?”) bzw. einer Perspektivlosigkeit („Das hat doch eh alles keinen Sinn. Ich mach halt auf Hartz IV”) gesellen sich Schulprobleme: Gleichaltrige lehnen diese Jugendlichen ab, weil sie anders sind; Kinder, die kein Deutsch können, werden zwangsläufig zu Außenseitern. Aber wer will schon gern ein Außenseiter sein? Viele schwänzen dann lieber die Schule und begehen häufig Ladendiebstahl oder andere Delikte der Kleinkriminalität.

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Im Laufe ihres Heranwachsens prägen die Betroffenen keine besonderen Fähigkeiten
oder Qualifikationen aus, auf die sie stolz sein können, außer vielleicht, dass sie besonders gewaltbereit sind. Daraus resultieren ein negatives Selbstbild und eine positive Einstellung zur Gewalt. Sie schließen sich gewaltbereiten Peergroups an.
Eine geringe Frustrationstoleranz führt im Konfliktfall zu übereilten Reaktionen und eskalierenden aggressiven Verhaltensweisen. Aggressive Kinder haben Probleme, ihre Reaktionen zu kontrollieren, weil es ihnen häufig an Möglichkeiten von nicht-aggressiver Selbstbehauptung fehlt. Lediglich Aggressivität steigert bei ihnen das Selbstwertgefühl und gibt ihnen häufig die Anerkennung in ihrer Gruppe.
Sofern sie einen Job anstreben, haben sie häufig Probleme in Arbeit und Beruf. Ihre sozialen Beziehungen sind problematisch und wechselhaft; es fällt ihnen schwer, eine dauerhafte Beziehung einzugehen. Sie können keine Nähe zulassen und haben Schwierigkeiten, sich auf andere zu verlassen.

Treffen mehrere dieser Faktoren in der Karriere eines Jugendlichen aufeinander, wird es wirklich gefährlich, denn dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, ein gewaltbereites Verhalten auszuprägen.

Wie gefährdet ist mein Kind?
Anzeichen für Gewaltbereitschaft

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Anzeichen im Verhalten  Häufig lässt das Verhalten eines Kindes auf eine erhöhte Gewaltbereitschaft schließen. So sind diese Heranwachsenden beispielsweise auffallend aggressiv oder haben unkontrollierbare Wutausbrüche. Sie sind meist in ihrer sozialen Entwicklung gestört, können sich nicht an Regeln halten und keine Kompromisse eingehen. Manche von ihnen zeigen Tendenzen zur Gewaltverherrlichung, z.B. auch durch eine Vorliebe für besonders gewalttätige Computerspiele. Sie können manchmal nicht mehr die Realität von der virtuellen Computerspielwelt unterscheiden und entwickeln auch in der realen Welt eine gewisse Freude an Gewalt. Jugendliche, die sich einer Gang anschließen, treten häufig besonders skrupellos auf oder besitzen Messer und Waffen. Manchmal kommen noch Alkohol oder illegale Drogen hinzu.

Nicht immer jedoch zeigt sich die Ausprägung einer Gewaltbereitschaft bei Kindern und Jugendlichen derart offen. Dennoch gibt es verdeckte Anzeichen, die darauf schließen lassen, dass ein Heranwachsender zur Gewalt tendiert. Hierzu zählen beispielsweise

Diese Punkte können natürlich auch andere Ursachen haben; versuchen Sie diese in einem Gespräch mit dem Kind zu ergründen.

Charakteristische Eigenschaften  Anhand der folgenden Charakteristika verschiedener Persönlichkeitsstörungen, die bei Gewalttätern vorliegen, können Sie abschätzen, ob Ihr Kind zur Gewalt neigt:

Ein einzelner zutreffender Aspekt stellt keine Bedrohung dar; treffen aber mehrere Faktoren zu, sollten Sie das Gespräch suchen und eventuell Hilfe bzw. Rat von außen hinzuziehen.

Aggressiven Kindern fehlt es häufig an sozialen und kommunikativen Kompetenzen, weswegen sie sich weniger an Spielen mit anderen Kindern beteiligen. Mangelt es ihnen an sprachlicher Kompetenz, greifen sie, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, häufig zum Mittel der körperlichen Gewalt.

Aggressive Kinder und Jugendliche verfügen nur über ein geringes Einfühlungsvermögen, können sich also nicht oder nur sehr schwer in die Situation einer anderen Person hineinversetzen. Sie blicken häufig pessimistisch in die Zukunft.

Gewalt und Mobbing.
Alltag an unseren Schulen

Früher wurde gehänselt.
Mobbing
unter Schülern

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Mobbing ist kein Trend der heutigen Jugend. Bereits 1963 verwendete der Verhaltensforscher Konrad Lorenz diesen Begriff, um damit Gruppenangriffe von Tieren auf einen Fressfeind oder anderen überlegenen Gegner – dort von Gänsen auf einen Fuchs – zu beschreiben. Sechs Jahre später verwendete der schwedische Arzt Peter-Paul Heinemann den Begriff für das Phänomen, dass Gruppen eine Person attackieren, deren Verhalten von der Norm abweicht. Heute bezeichnet Mobbing die wiederholte bis regelmäßige Schikane eines anderen Menschen, beispielsweise in Form von Kontaktverweigerung oder durch Verletzung seiner Würde, sei es durch eine Person oder eine Gruppe mehrerer Personen. Oder allgemeiner formuliert: Mobbing beschreibt einen Zustand, in dem ein oder mehrere Individuen wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg negativen Handlungen von einem oder mehreren Individuen ausgesetzt sind.

Wie äußert sich Mobbing?

Direktes Mobbing  Mobbing an der Schule geschieht vorwiegend verbal (z.B. in Form von Beschimpfungen oder Beleidigungen) und nonverbal (indem z.B. Informationen vorenthalten werden). Auch gewalttätige Auseinandersetzungen zählen zum Mobbing, vorausgesetzt, es herrscht ein ungleiches Kräfteverhältnis zwischen den Kontrahenten und die Prügelei hat keine anderen Ursachen.

Indirektes Mobbing  Neben diesen direkten Formen ist auch das indirekte Mobbing (z.B. soziale Isolierung eines Mitschülers) an den meisten Schulen an der Tagesordnung. Im Internetzeitalter kommt erschwerend eine weitere, virtuelle Dimension des Mobbings hinzu, die gemeinhin als Cybermobbing oder Cyberbullying bezeichnet wird (siehe Kapitel „Aggression 2.0“).

Stufen  Häufig verläuft Mobbing in mehreren Stufen, die allerdings nicht zwangsläufig alle durchlaufen werden müssen:

  1. Das Ansehen des Opfers wird gezielt beschädigt.
  2. Die Kommunikation mit anderen Kindern wird unterbunden.
  3. Die sozialen Beziehungen des Opfers werden beschädigt.
  4. Das Opfer wird körperlich angegangen.

Formen  Hierzu zählen folgende aktive Handlungen:

sowie folgende passive Handlungen, die manchmal grausamer sein können als die aktiven Taten:

Auf diese Weise suchen die Täter ein Ventil für angestaute Aggressionen, wenn sie keine andere Möglichkeit sehen, damit umzugehen. Andere lassen ihre eigenen Minderwertigkeitsgefühle an anderen aus und holen sich durch das Mobben einer Schülerin oder eines Schülers Anerkennung von ihren Mitschülern, die sie vielleicht auf anderem Wege bislang nicht erhalten haben – weder zu Hause noch in der Freizeit, noch in der Schule. Durch eine solche Anerkennung entwickeln sie ein falsches Gemeinschaftsgefühl, das auf dem Prinzip des „Alle gegen einen“ fußt.

Mein Kind ist kein Mobber – oder etwa doch?

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind zum Mobbingtäter wird, ist erhöht, wenn es zunächst einmal eine positive Einstellung zur Gewalt hat und nicht nur gegen seine Mitschüler, sondern auch gegen die Lehrer und seine Eltern aggressiv ist. Kinder, die andere Kinder mobben, zeigen ein verhältnismäßig starkes Selbstvertrauen, das manchmal aber auch nur aufgesetzt ist. In der Regel sind sie weniger furchtsam und unsicher als andere Kinder in ihrer Altersgruppe. Mobber halten sich für etwas Besseres, zeigen dies lautstark und wollen sich vor den anderen Kindern brüsten.

Mobbingtäter finden sich unter Jungen wie Mädchen. Allerdings neigen Jungen eher zu offener Aggression und greifen ihr Gegenüber körperlich oder verbal an, während Mädchen subtilere Formen wie Manipulation oder das Streuen von Gerüchten vorziehen.

Aktive, wiederholte Mobber haben ein viermal so großes Risiko, später einmal straffällig zu werden, weil die so erworbenen Strategien des Durchsetzens eigener Ziele mit aggressiven Mitteln kontinuierlich verstärkt werden. Um dies zu verhindern, müssen Sie Ihrem Kind, falls es sich so verhält, eindeutige Regeln und konsequent ausgeführte Sanktionen entgegensetzen.

Was sind die Folgen von Mobbing?

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Die Folgen für die Opfer sind zum Teil verheerend und zeigen sich manchmal erst Jahre nach den Drangsalierungen, beispielsweise durch Gewaltausbrüche. Zu dem durch das Mobbing ausgelösten Verlust des Selbstvertrauens und den sich verschlechternden Leistungen können Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und psychosomatische Beschwerden wie etwa Magenschmerzen, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen kommen. Durch die wahrgenommene Isolierung und Einsamkeit entwickeln sich depressive Tendenzen und die Kinder werden passiv. Die Lernmotivation nimmt ab, was bis zu Lernunlust und Schulangst führen kann. Es gibt sogar Mobbingopfer, die keinen anderen Ausweg aus ihrer Lage finden als den Freitod. Man geht davon aus, dass jeder fünfte Selbstmord durch Mobbing ausgelöst wird.

Symptome Bereits während des Mobbings können folgende Symptome auftreten, die auch noch im Erwachsenenalter anhalten können:

Wann wird ein Kind zum Mobbingopfer?

Prinzipiell kann es zwar jede und jeden treffen, Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass es typische Merkmale gibt, die es wahrscheinlicher machen, dass ein Kind Opfer von Mobbing an der Schule (oder auch im Verein) wird. Generell beeinträchtigt das Schulklima insgesamt die Frage, ob und in welchem Maße an der Schule gemobbt wird. Stimmt das Sozialklima in der Klasse, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Mobbing verhindert wird. Je offener eine Klasse, das heißt Schüler und Lehrer, mit dem Thema umgehen, desto schlechter ist das Klima für Mobbing. Bildungsforscher sehen ferner die Konkurrenzsituation, die im Unterricht vielfach schon an der Grundschule durch Leistungsnachweise und Vergleiche künstlich erzeugt wird, als eine Ursache für Mobbing an.

Häufig sind Konflikte zwischen den Schülern Ausgangspunkt des Mobbings, die wiederum unterschiedliche Auslöser haben können, wie beispielsweise Über- oder Unterforderung im Unterricht oder ein gestörtes Klassenklima. Auch die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern kann das Mobbingrisiko in einer Klasse beeinflussen.

Auftreten  Die Täter haben vor allem bei den sogenannten passiven Opfern, die sich durch eine ängstliche und unsichere Art auszeichnen, ein leichtes Spiel. Sie sind empfindlich, vorsichtig und schweigsam und lehnen sehr oft Gewalttätigkeit ab. Durch ihr Auftreten signalisieren sie ihrer Umwelt, dass sie Angst haben und es nicht wagen, sich zu wehren, wenn sie angegriffen werden. Auch auffälliges oder andersartiges Aussehen, Ungeschicktheit und eine ausgestrahlte Hilflosigkeit zählen zu den Risikofaktoren. Manchmal trifft es auch Schülerinnen und Schüler, die besonders gutgläubig und vertrauensvoll auf ihre Mitschüler zugehen.

Äußere Erscheinung  Mobbingopfer sind in der äußeren Erscheinung und Statur häufig

Dieser letzte Aspekt wird für die Heranwachsenden immer wichtiger. Die Kleidung und die angesagten Accessoires (z.B. Rucksäcke, ein schicker Füller …) zeigen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sie vermitteln den Eindruck von Gleichrangigkeit und schaffen auf diese Weise Solidarität und geben dem Einzelnen das Gefühl von Stärke. Wer nicht spätestens ab der 5. Klasse den richtigen Markennamen auf seinem Sweatshirt trägt, läuft Gefahr, nicht dazuzugehören und somit ausgegrenzt und zum Außenseiter zu werden.

Ein geschlechtsspezifischer Unterschied lässt sich nicht feststellen: Mädchen und Jungen werden gleichermaßen gemobbt.

Woran erkenne ich, dass mein Kind ein Mobbingopfer ist?

Seien Sie wachsam, wenn Sie eine Verhaltensänderung bei Ihrem Kind feststellen. Diese muss zwar nicht zwangsläufig etwas damit zu tun haben, dass es gemobbt wird, doch insbesondere wenn Ihr Kind die oben dargestellten Charakteristika typischer Mobbingopfer aufweist, sollten Sie das vertrauensvolle Gespräch mit ihm suchen.

Sprechen Sie Ihr Kind oder seinen Klassenlehrer ebenfalls an, wenn Sie feststellen, dass Ihre Tochter oder Ihr Sohn

Sollten Sie eine oder mehrere dieser oder ähnlicher Verhaltensweisen bei Ihrem Kind bemerken, finden Sie in einem gemeinsamen Gespräch heraus, woran diese Verhaltensänderung liegen könnte. Bestätigt sich Ihr Verdacht, dass Ihr Kind gemobbt werden könnte, fragen Sie auch Klassenkameraden und befreundete Eltern nach deren Eindruck.

Los, zier dich nicht so!
Sexuelle Gewalt
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Schlagzeilen wie diese finden sich jede Woche in den Zeitungen. Sie sorgen dafür, dass vor allem Mädchen sich an der eigenen Schule – bislang ein Schutzraum für Heranwachsende – nicht mehr trauen, auf die Toilette zu gehen. Und schon gar nicht allein. Manchmal verschaffen sich fremde Personen Zutritt in das Schulgebäude, manchmal sind es aber auch die eigenen Schüler, die Mädchenklos ausspionieren oder für sexuelle Aktivitäten aufsuchen.

Welche Konsequenzen soll man daraus ziehen? Dürfen Schüler und Schülerinnen die Toilette nur noch unter Aufsicht einer Lehrkraft aufsuchen? Brauchen wir Wachpersonal an den Schulen? Sollen Schulen während der Unterrichtszeit verschlossen sein, sodass fremde Personen keinen Zutritt erhalten können?

Wichtig ist, dass Schülerinnen, aber auch Schüler, für die Thematik sensibilisiert werden, auffällige Geschehnisse mitteilen und sich nicht selbst in Gefahr begeben. Eine Präventionsmaßnahme kann sein, nicht allein auf die Toilette zu gehen, sondern mit einer Mitschülerin bzw. einem Mitschüler. Außerdem sollte man möglichst bis zur nächsten großen Pause mit seinem Bedürfnis warten, denn dann sind die Schulklos meist stark frequentiert, sodass die Gefahr eines sexuellen Übergriffs geringer sein dürfte.

Zahlen und Fakten

Sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche ereignen sich aber nicht nur im schulischen Umfeld. Viel häufiger sind Übergriffe von Verwandten oder Freunden und Bekannten der Familie und Personen, die die Kinder betreuen und eigentlich beschützen sollten. Die Täter sind in den meisten Fällen männlich. Meist sind es gesellschaftlich etablierte Menschen, die zum Teil selbst eine Familie und Kinder haben und einer geregelten Arbeit nachgehen.

Zahlen  In Deutschland werden jährlich rund 16000 Fälle von Kindesmissbrauch angezeigt. Dabei handelt es sich nicht nur um Mädchen; auch Jungen werden missbraucht. Die Dunkelziffer wird auf das Zehnfache geschätzt. Einige Studien gehen sogar von 300000 missbrauchten Kindern pro Jahr in Deutschland aus. Diese Zahl ist bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen deshalb so hoch, weil die zumeist nahe Beziehung zum Täter sowie Scham und häufig Selbstvorwürfe es dem Kind unmöglich machen, auf den Missbrauch aufmerksam zu machen bzw. sich ihm zu entziehen. Jungen fällt es wegen ihrer (falsch verstandenen) Männerrolle schwieriger, über sexuellen Missbrauch zu sprechen, als Mädchen. Bei ihnen ist die Dunkelziffer also noch höher.

Für viele Kinder und Jugendliche gehört der sexuelle Missbrauch demnach quasi zu ihrem Lebensalltag. Statistisch gesehen lassen sich in jeder Kindergartengruppe, in jeder Schulklasse und in jeder Verwandtschaft Kinder finden, die bereits Opfer von Missbrauch geworden sind. Auch gibt es kein spezifisches Alter – die Altersspanne der Opfer reicht von Säuglingen bis zu Teenagern. Die meisten Übergriffe finden jedoch bei Kindern im Alter zwischen sechs und elf Jahren statt.

Formen des Missbrauchs  Die Art des Missbrauchs reicht von Exhibitionismus und Ausziehen über Berührungen bis hin zu pornografischen Foto- und Filmaufnahmen, der manuellen oder oralen Befriedigung und der Vergewaltigung. Dasselbe gilt für die Vorgehensweise. Der Übergang vom Ausdruck reiner Zuneigung (z.B. drücken, in den Arm nehmen) hin zu sexuellem Missbrauch geschieht häufig spielerisch. Dabei werden die sexuellen Handlungen in Spiele (etwa wildes Auskitzeln), Massagen oder andere Tätigkeiten wie Waschen eingebaut. Der Übergang vom Spiel zum Übergriff ist oft schleichend und wird von den Kindern erst bewusst wahrgenommen, wenn es bereits zu spät ist. Meistens geschieht die Tat aber keineswegs spontan und überraschend, sondern sie wird in der Regel zuvor bis ins Detail geplant.

|||  § So ist’s Recht
Rechtlich gesehen sind sexuelle Kontakte von Erwachsenen mit Kindern und Jugendlichen nach §§ 176 ff. Strafgesetzbuch (StGB) strafbare Handlungen, wenn es sich um Kinder unter 14 Jahren handelt, und zwar gleichgültig, ob der Kontakt mit oder ohne Zustimmung der oder des Minderjährigen erfolgte. Ebenso strafbar ist sexualisierte Gewalt gegen Jugendliche unter 18 Jahren unter Ausnutzung einer Zwangslage (§ 182 StGB) oder der sexuelle Missbrauch behinderter bzw. widerstandsunfähiger Personen (§ 179 StGB). Unabhängig vom Alter bzw. der Minderjährigkeit des Opfers ist im Übrigen ohne dessen Einverständnis jede sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung nach § 177 StGB strafbar.

Woran erkenne ich, dass mein Kind Opfer sexueller Gewalt wurde?

So vielfältig die Art des sexuellen Missbrauchs, so unterschiedlich sind auch die Signale des Kindes, die auf einen möglichen sexuellen Missbrauch hinweisen. Eine eindeutige Diagnose kann es demnach nicht geben, wohl jedoch Anhaltspunkte, die Sie ernst nehmen sollten. Nur wenige Kinder teilen sich anderen, auch ihren Eltern, offen mit, wenn ihnen etwas Schreckliches wie ein sexueller Übergriff widerfahren ist. Dennoch zeigen sie in aller Regel eine Änderung ihres Verhaltens, die Sie stutzig werden lassen sollte, wenn Sie sie an Ihrem Kind bemerken.

Verändertes Verhalten  Eine solche Verhaltensänderung kann sich etwa dahingehend zeigen, dass Ihr ansonsten lebensfrohes Kind plötzlich verschlossen und bedrückt wird, sich zurückzieht und nicht mehr unbefangen von seinen Erlebnissen in der Schule berichten mag. Auch ein plötzlich auftretendes, stark aggressives Verhalten eines ansonsten eher friedvollen Kindes, manchmal in Kombination mit einer großen Unruhe und Anspannung, kann ein Anzeichen für einen sexuellen Übergriff sein. Manche Kinder malen Situationen oder spielen sie nach, über die sie nicht reden können. Achten Sie in diesem Fall insbesondere auf solche verdeckten Botschaften Ihres Kindes.

Symptome Opfer sexueller Gewalt können folgende Symptome zeigen:

Was löst Missbrauch in der Psyche des Kindes aus?

Verwirrung  Neben etwaigen körperlichen Schäden sind es vor allem die seelischen Wunden, die ein Missbrauchsopfer vielleicht ein Leben lang mit sich herumtragen muss. Insbesondere wenn der Täter eine (väterliche) Autoritätsperson ist, ist die kognitive Verwirrung beim Kind groß, das nun seine Rolle sucht zwischen sexuellem Partner und abhängigem Kind. Zusätzlich zur Verwirrung trägt die Verleugnung der Tat durch den Täter bei, der dem Kind zu verstehen gibt, es sei nicht zu einer sexuellen Handlung gekommen – und das, obwohl das Kind doch die körperliche Nähe und eine sexuelle Erregung wahrgenommen hat. Dieser Widerspruch führt nicht selten dazu, dass das Kind ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität entwickelt. Man bedenke, dass sein erster sexueller Kontakt auf eine solche Weise erzwungen wurde und demnach mit Ekel, Schmerz und Erniedrigung verbunden ist. Diese Gefühle werden die Opfer auch bei späteren, echten Sexualpartnern in Erinnerung rufen. Sex wirkt für sie schmutzig und wird als lästige Pflicht angesehen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Opfer dazu gezwungen wird, den Vorfall zu verschweigen („Wenn du es Papa oder Mama erzählst, werden sie dich nicht mehr lieb haben“). Es kann sich also niemandem anvertrauen, der seine Verwirrung erklären könnte. Auch das Vertrauen des Kindes leidet, wenn die Person, der es einst Vertrauen geschenkt hat, es auf diese Weise verletzt.

Scham und Schuldgefühle  Zu der Verwirrung des Opfers kommen Gefühle von Scham (dass es missbraucht wurde) und Schuld (weil es den Missbrauch nicht verhindern konnte oder annimmt, den Täter selbst ungewollt erregt zu haben). Diese Gefühle können auch Jahre später noch auftreten. Selbst als Erwachsene haben Missbrauchsopfer häufig nicht nur ein gestörtes Verhältnis zur Sexualität, sondern sie ziehen sich emotional zurück, haben Schlafstörungen und Alpträume, Bindungsangst oder können keine Partnerschaften eingehen. Manche neigen zu Depression und Suizidversuchen. Das Ausmaß dieser Langzeitschäden wird dabei bestimmt durch die Abhängigkeit und Nähe zum Täter sowie die Intensität und die Dauer des sexuellen Missbrauchs. Durchschnittlich zieht sich der Missbrauch eines Kindes über einen Zeitraum von vier Jahren.

Gewalt in Songs. Aggressive Musik

„Ich hör am liebsten Bushido, wenn ich Ärger mit Freunden oder mit meinen Eltern hab. Ich find das geil, dass der so aggressiv und feindlich rappt, da kann man einfach so seinen eignen Frust rauslassen.“

Sie machen nicht nur auf hart, nein, sie sind es, zumindest angeblich, auch. Sie heißen Frauenarzt, Kaisaschnitt, Prinz Porno oder King Orgasmus und ihre frauenverachtenden, rassistischen und gewaltverherrlichenden Texte kommen bei vielen Jugendlichen an. Und sie werden gehört, oft ohne dass Lehrer oder Eltern davon wissen.

Letzteren würde es wohl die Sprache verschlagen, wenn sie einen dieser Songtexte hörten: Frauenarzt betitelt Frauen „All ihr Huren, Schlampen, Fotzen, Prostituierten“, King Orgasmus One „fickt Bitches ins Maul“ und rappt „Ich bin am Arsch und fick Mädchen von hinten, die sich nicht wehren! Ich fick in dein Arsch und danach leckst du ab.“

Bei einer Umfrage der Universität Köln im Jahr 2006 gaben 31 Prozent der befragten Jungen den sexistischen deutschen Gangsta-Rap als Lieblingsmusik an. Demgegenüber favorisierte nur jedes zwanzigste Mädchen diese Musikrichtung. 2009 wurde die Umfrage neu aufgelegt und es ergaben sich folgende Ergebnisse, nach Schulformen geordnet:

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Es scheint demnach einen Zusammenhang zu geben zwischen der Akzeptanz sexistischer bzw. gewaltverherrlichender Musik und der Bildungsschicht. Zumindest lässt sich erkennen, dass an Hauptschulen knapp die Hälfte aller Jungen diese Songs favorisiert, während es an Gymnasien nur ein verschwindend geringer Teil ist.

Warum sprechen Jugendliche auf diese Musik an?

„Ich find das einfach voll korrekt, wie die mit den Schlampen umgehen. Das sind doch alle Bitches und die gehören halt gefickt.“

Zunächst einmal stellen derartige Songs ein Zusammengehörigkeitsgefühl her. In manchen Kreisen muss man den neuesten Skandal-Rap auf seinem Handy haben, um bei den anderen anzukommen und richtig „cool“ zu sein. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe spielt für die Heranwachsenden insbesondere in der heutigen Zeit eine große Rolle, in der traditionelle Gruppen wie Familie, Nachbarschaft und Vereine zusehends an Bedeutung verlieren.

Ein Grund, warum diese Musik besonders bei Hauptschülern beliebt ist, kann darin liegen, dass die Interpreten durch ihre eigene Biografie bei den Heranwachsenden eine gewisse Hoffnung schüren, selbst einmal Anerkennung zu bekommen und die Resignation überwinden zu können. Schließlich kommen viele Rapper aus zerrütteten Familienverhältnissen und wuchsen in ärmlichen Verhältnissen auf, bevor sie durch ihre Musik zu Ruhm und Reichtum gelangten. Dass sich dieser Traum nur für einige wenige erfüllen lässt, steht freilich auf einem anderen Blatt.

Jugendliche mit bereits existentem Aggressionspotenzial sehen in den Texten eigene Probleme und Handlungen bestätigt und identifizieren sich mit den Rappern und den Songinhalten. Durch die Abwertung des anderen (meist der Frauen) steigt ihr eigener Wert. Bei Jungen gelten die gewalttätigen Aktionen, die Gegenstand der Songs sind, als besonders männlich, was wiederum zu einer bestimmten Auslegung des Männlichkeitsbegriffs sowie des Rollenverständnisses bei ihnen führt.

Ein weiterer Grund für den Konsum auffälliger Musik (hierzu zählen nicht nur die hier dargestellten Gangsta-Raps, sondern beispielsweise auch die einschlägigen Titel der sogenannten Grufti-Szene oder rechtsextreme Propagandasongs) liegt natürlich auch in der Abgrenzung von anderen und im Überschreiten von Grenzen. Eltern, Lehrer, kurzum: alle Erwachsenen oder prinzipiell Andersdenkenden versuchen die Jungendlichen durch Kleidung, Aussehen und eben die Musik zu provozieren. Sie wollen nicht die gleichen Produkte konsumieren wie der Rest der Welt, sondern sich gerade durch die Art und Weise ihres Konsums davon abgrenzen. Anders ausgedrückt: Jugendliche lieben das, was Mama und Papa erschreckt.

Was löst diese Musik in den Jugendlichen aus?

Darüber ist man in Fachkreisen geteilter Meinung. Das folgende Schema verdeutlicht die Gefahr, die im Konsum von gewaltverherrlichenden Songtexten stecken kann:

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Wissenschaftlich bestätigt ist diese vereinfachte Darstellung allerdings nicht. Im Gegenteil: Der tatsächliche Effekt, den derartige Musik auf Jugendliche ausübt, ist größtenteils unklar. Wie bei Medienkonsum generell, also z.B. Computerspielen, sind mehrere Faktoren für eine Veränderung hin zu einem unsozialen Verhalten verantwortlich (z.B. die Tendenz zu Aggression und Gewalt), und eben nicht nur das Hören von einschlägiger Musik.

Einer Studie zufolge neigen Jugendliche umso mehr dazu, Ärger mit aggressiver Musik zu verarbeiten, je höher ihre Neigung zu aggressivem Verhalten ausgeprägt ist. Umgekehrt aber kann vom Hören aggressiver Musik nicht auf eine Neigung zu aggressivem Verhalten geschlossen werden.

Wie bei der Frage, ob Computerspiele für Amokläufe an Schulen verantwortlich gemacht werden können, scheiden sich auch an der Thematik der bevorzugten Musikrichtung die wissenschaftlichen Geister. Während die einen der sogenannten Katharsis-Theorie anhängen und der Ansicht sind, dass das Hören von Musik mit aggressiven Texten von eigenen Aggressionen „befreit“, steht für andere eher die aggressionsfördernde und -auslösende sowie enthemmende Wirkung der Musik im Vordergrund.

Eines ist jedenfalls gewiss: Ein Jugendlicher wird nicht automatisch fremdenfeindlich, nur weil er dann und wann Musik rechtsextremer Bands hört. Eine Gefahr für einen Teil der Jugendlichen lässt sich andererseits aber auch nicht ausschließen. Gefährdet sind Kinder und Jugendliche insbesondere dann, wenn sie

Jugendliche mit geringer Tendenz zu aggressivem Verhalten mögen vielleicht dieselbe Musik wie Jugendliche mit hoher Neigung – nur schätzen Erstere dieselbe Musik anders, das heißt weniger aggressiv ein. Aggressive Jugendliche verwenden die Musik darüber hinaus eher zur Kompensation ihrer Emotionen und kommen durch das Hören gewaltlastiger Texte richtig in Fahrt.

Was kann ich tun, wenn mein Kind gewaltverherrlichende Musik hört?

Zunächst einmal können Sie im Prinzip beruhigt sein. Zum einen gehören zu einer Ausprägung eines aggressiven Verhaltens noch weitere Faktoren als lediglich das Hören von entsprechender Musik. Zum anderen bedeutet die Tatsache, dass Ihr Sohn Texte über Vergewaltigungen und Demütigungen von Frauen hört, nicht, dass er den Inhalt tatsächlich gutheißt. Vielmehr kann es ihm einfach nur um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und eine Abgrenzung von den Erwachsenen gehen (siehe oben). Denken Sie beispielsweise an die Zeit, als Rock ’n’ Roll und Beat aufkamen: Auch diese Jugendmusik trieb die damaligen Eltern fast in den Wahnsinn.

Interesse zeigen  Suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Kind und bringen Sie in Erfahrung, wie regelmäßig es solche Musik hört und aus welchen Beweggründen dies geschieht. Handelt es sich um reine Neugier, hört Ihr Kind gelegentlich, um dazuzugehören, oder hört es die Musik intensiv, um sich abzureagieren?

Informieren Sie sich über die Musik, die Ihr Kind hört, und reden Sie mit ihm darüber. Scheuen Sie sich nicht, auch auf die (manchmal sehr derben) Texte einzugehen. Was fasziniert Ihr Kind daran? Klären Sie Ihr Kind offen und ehrlich auf und verschweigen Sie dabei auch ausgefallene Vorlieben nicht. Wichtig ist, dass Sie nicht tabuisieren und Fragen Ihres Kindes ehrlich beantworten. Vermitteln Sie Ihrem Kind ein adäquates Rollenverständnis, in dem Männer und Frauen (auch sexuell) gleichberechtigt sind und niemand vom Partner zu einer Handlung gezwungen werden darf.

Sprechen Sie mit Ihrem Kind auch über den Einfluss der Medien. Jugendmagazine, Fernsehsendungen, Radiobeiträge schüren in der Regel den Ruf, den der „Künstler“ mitbringt, denn je straffälliger er geworden ist, desto mehr „ghettolike“ ist seine Reputation und desto besser verkauft sich das Produkt. Achten Sie aber darauf, dass Ihr Kind nicht den Einruck erhält, dass seine Lieblingsmusik analytisch zerpflückt und pädagogisiert wird und es sich für seinen Musikgeschmack rechtfertigen muss.

Nicht provozieren  Vermeiden Sie ferner, Ihr Kind mit verallgemeinernden Aussagen zu provozieren. Wenn Ihr Kind Musik aus der rechten Szene hört und Sie sagen beispielsweise „Du bist ja ein Nazi!“, dann wird die Antwort vermutlich sein „Dann bin ich halt ein Nazi!“, und das Gespräch ist beendet. Auf der anderen Seite sollten Sie die Musikwahl Ihres Kindes aber auch nicht ignorieren, denn sonst empfindet es die in den Texten zum Ausdruck gebrachten gewaltbetonten Handlungsweisen als akzeptiert, richtig und normal. Sprechen Sie Ihre Bedenken sachlich an, ohne Ihrem Kind Vorwürfe zu machen.

|||  Extra-Tipp
Regen Sie an der Schule Ihres Kindes ein Hip-Hop- bzw. Rap-Projekt an, in dem die Schüler sich künstlerisch und kreativ mit der Musik auseinandersetzen und einen eigenen (natürlich jugendfreien!) Song komponieren. Diesen können sie dann zu einem schulischen Anlass (z.B. Schulfest oder Tag der offenen Tür) einem breiten Publikum vorstellen.

Rechtsextreme Gewalt. Kein Kavaliersdelikt

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Manche Jugendliche finden den Einstieg in die rechtsextremistische Szene über einschlägige Musik. Gezielt vor den Toren der Schule an die Schüler verteilt, verlockt eine Gratis-CD mit rassistischen und demokratiefeindlichen Songs Heranwachsende, sich näher mit den entsprechenden Gruppierungen vertraut zu machen. Wer bereits mit rechten Gruppen sympathisiert, wird durch die Texte in seinen Ansichten gestärkt.

Für die rechtsextremen Gruppen bedeutet die Verteilung solcher CDs eine ideale Werbung, da sie von der Musikrichtung her den Geschmack vieler Jugendlicher trifft. Dabei stehen die Texte für die Hörer in der Regel zunächst einmal nicht im Vordergrund. Vielmehr sind es die Melodien und einfachen Rhythmen, die sich bei ihnen einprägen. Dass es sich dabei größtenteils um etwas Verbotenes handelt, steigert den Reiz oftmals zusätzlich.

Die Texte verherrlichen Gewalt oder rufen zu Gewalttaten auf und propagieren ein rassistisches Weltbild. Funktionsträger der NS-Diktatur werden glorifiziert, Ausländer, Farbige, Behinderte, Juden und Muslime zum Feind erklärt. Auf der CD „Der ewige Jude“ der Band „Volkszorn“ heißt es z.B.: „Die Juden werden brennen, werden um ihr Leben rennen. Die Moslems werden brennen und dann zur Hölle fahr’n.“ Eine „judenfreie Welt“ und einen „neuen Führer“ fordert die Band „Kommando Freisler“: „Und gibt es auf der Welt dann keine Juden mehr, wird unser Deutschland endlich wieder frei.“ Die Rechtsextremen selbst werden in diesen Texten als Widerstandskämpfer gegen das bestehende politische System dargestellt.

Propaganda durch Musik ist keineswegs eine Masche regionaler Splittergruppen, sondern auch bundesweit aktive Parteien nutzen diese Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen. So hat die NPD einige der sogenannten Schulhof-CDs produziert und an Schüler verteilt. Die Botschaften der Liedtexte sind zumeist nicht so eindeutig wie die oben genannten, vielmehr werden sie geschickt verpackt oder nur angedeutet. Häufig werden der CD Interviews mit Rechtsextremisten oder Aufkleber mit rechtsextremistischen Parolen beigelegt.

Wie kann ich mein Kind vor rechtsextremer Musik schützen?

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783869107417
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2012 (November)
Schlagworte
Eltern-Ratgeber Erziehungs-Ratgeber Gewalt in der Schule Konflikt-Lösung Mobbing im Internet Mobbing in der Schule Schul-Kinder

Autor

  • Martin Kohn (Autor:in)

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Titel: Tatort Schule