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Trauer bewältigen

Tod und Trauer verstehen. Wieder ins Leben zurückfinden. Mit der Erinnerung leben

von Annerose Sieck (Autor:in)
184 Seiten

Zusammenfassung

Wenn jemand aus unserem Familien- oder Freundeskreis stirbt, entsteht eine schmerzhafte Leere in uns. Wichtig ist dann, Trost zu finden, den Verlust zu verarbeiten und ganz praktische Hilfe zu erhalten. Die Trauer um einen geliebten Menschen braucht Zeit – dieser Ratgeber zeigt Wege, um mit neuer Kraft am Leben teilzuhaben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Annerose Sieck
 
 
 
 
 

Trauer bewältigen

 
 
 
Tod und Trauer verstehen  
Wieder ins Leben zurückfinden  
Mit der Erinnerung leben
 


 
 
 
 
 
 
 
 
 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

 
ISBN 978-3-86910-919-0  
ISBN der gedruckten Originalausgabe: 978-3-86910-463-8

 
 
 
Der Autor: Im Abstand von nur fünf Monaten verstarben die Eltern der Journalistin und Autorin Annerose Sieck. Aus der Leere des Augenblicks entwickelte sie ein Konzept, um diesen Verlust zu verarbeiten und eine positive Sicht auf ihr Leben zurückzugewinnen.

 

 
 
 
 

 
© 2009 humboldt.

Ein Imprint der Schlüterschen Verlagsgesellschaft mbh & Co. KG,
Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover
www.schluetersche.de
www.humboldt.de

 
Autor und Verlag haben dieses Buch sorgfältig geprüft. Für eventuelle Fehler kann dennoch keine Gewähr übernommen werden.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.

 
Lektorat: Elmar Klupsch, Stuttgart
Covergestaltung: DSP Zeitgeist GmbH, Ettlingen
Coverfoto: Sven Hoppe / fotolia

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

achtzehn Monate ist es jetzt her, dass mein Vater starb. Ich saß gerade am Schreibtisch, als sein Bruder – sie lebten im selben Haus – anrief: „Papa geht es sehr schlecht. Er bekommt keine Luft mehr, will aber nicht, dass wir einen Krankenwagen rufen.“ Ich hatte morgens schon das Gefühl gehabt, an diesem Tag würde etwas passieren. Mein Mann alarmierte den Notdienst, und wir fuhren los. Dreißig Minuten Autofahrt zu meinen Eltern, die ewig dauerten.

Der Krankenwagen stand vor dem Haus, als wir ankamen. Als ich meinen Onkel in Tränen aufgelöst sah, wusste ich es: Ich war zu spät gekommen. Mein Vater hatte seinem Bruder noch zugewinkt, als sie ihn hinaustrugen, dann blieb sein Herz stehen. Mein Vater war sehr krank gewesen, und es war abzusehen, dass seine Kraft nicht mehr lange ausreichen würde. Trotzdem war der Schock groß. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben.

Irgendwie überstanden wir die nächsten Tage, die Beerdigung und die Trauerfeier. Meine Mutter wirkte gefasst und „bewahrte Haltung“. Doch nur eine Woche später brach sie zusammen, und ich musste die Trauer um meinen Vater zurückstellen. Wir regelten das Nötige und holten sie immer wieder zu uns, aber es ging von Woche zu Woche schlechter.

Eine Krankheit nach der anderen brach aus. Sie hatte meinen Vater vor seinem Tod fast ein Jahr lang gepflegt und war am Ende ihrer Kraft. Ich spürte, dass ihr Lebenswille nur noch sehr schwach war. Endlich – nach monatelangem Kampf mit Arzt und Krankenkasse – bekam sie eine Kur an der Nordsee bewilligt. Zwei Tage vor Antritt stürzte sie in ihrer Wohnung und brach sich einen Wirbel. Nichts Schlimmes, meinten die Ärzte. Sie müsse für zwei Monate ein Korsett tragen. Wir bereiteten alles vor, um meine Mutter in das Krankenhaus unseres Wohnortes verlegen zu lassen, wo es eine gute Psychiatriestation gab. Doch es kam anders. Ein Jahr ist es jetzt her, dass meine Mutter im Krankenhaus ihres Wohnortes starb – nur vier Monate nach ihrem Mann. Ihr Herz hatte in der Nacht einfach aufgehört zu schlagen.

Die Trauer traf mich mit doppelter Wucht. Ich konnte gar nicht anders, als mich darauf einzulassen. Die Gefühle überrollten mich und hinterließen ein absolutes Chaos. Körperlich ging es mir sehr schlecht, ich konnte nicht mehr richtig schlafen und nahm immer weiter ab. Wann immer ich in den Spiegel schaute, sah ich meinen Vater oder meine Mutter, und schon ging es wieder los.

Heute trage ich ein fest geschnürtes Erinnerungspaket an meine Eltern in mir, das mir niemand nehmen kann. Doch der Weg dahin war schwer, und er ist nicht abgeschlossen, wird wohl nie ein Ende finden. Auch wenn es nicht mehr so schmerzt: Die Trauer über das, was ich jetzt nicht mehr habe, bahnt sich immer wieder ihren Weg.

Ich habe mich verändert, bin verletzlicher und empfindlicher geworden, habe große Verlustängste und spiele schon verrückt, wenn meine Katze nicht zur üblichen Zeit zurückkommt. Dann laufe ich panisch durch den Garten und rufe sie. Wer mich dabei beobachtet, hält mich bestimmt für verrückt. Das macht nichts. Ich habe mich verändert: Seit dem Tod meiner Eltern bin ich weniger bereit, Kompromisse einzugehen. Ich möchte mein endliches Leben nicht damit verbringen, Dinge zu tun, die ich nicht tun will. Irgendwo ganz tief in mir drin bin ich wohl ein Stück weit stärker geworden.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, haben Sie vielleicht gerade den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten. Vielleicht möchten Sie aber auch einem Trauernden auf seinem Weg behilflich sein und wissen, welche Gefühle er erlebt und wie Sie ihm helfen können, die schwere Zeit zu überleben. Es geht in der Tat ums Überleben. Die Trauer um einen Menschen, der einem nahestand, kostet über die Maßen Kraft – körperlich wie seelisch. Lassen Sie diese Trauer trotzdem zu und durchleben Sie sie, egal, was andere Menschen dazu sagen.

Auch wenn Trauer unzeitgemäß geworden ist: Wer sie als natürliche und damit sinnvolle Reaktion unterdrückt, muss mit langwierigen, meist psychosomatischen Störungen rechnen. Trauern heißt nicht stehen zu bleiben, sondern innerlich weiterzureifen, um irgendwann die ersten Schritte in ein verändertes Leben zu gehen. Mit der lebendigen Erinnerung an den Verstorbenen.

Trotzdem kann die zerstörerische Dimension des Todes gewaltig, die Grausamkeit des Sterbens größer sein als unsere Fähigkeit, damit zu leben. Wenn Gefühle von Leere und Depression übermächtig werden, ist es Zeit, von anderen Hilfe anzunehmen.

Annerose Sieck

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„Wie hab ich das gefühlt, was Abschied heißt.
Wie weiß ich’s noch: ein dunkles unverwundnes
grausames Etwas, das ein schön Verbundnes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.”
(Rainer Maria Rilke)

Ein Mensch ist gestorben

Jäh oder vorhersehbar: Ein Leben geht zu Ende

Von einer Minute auf die andere ist alles anders. Ein Mensch, mit dem man sehr verbunden gewesen war, ist gestorben. Nie wieder wird der Partner zuhören, nie wieder wird man mit dem Freund gemeinsam essen, nie wieder wird das Kinderlachen das Haus erfüllen, nie wieder wird man den Eltern eine kleine Freude machen können. Der Tod eines Angehörigen oder engen Freundes, zu dem man eine intensive Beziehung pflegte, bringt Leid mit sich. Er wirft uns aus der Bahn. Wie verlieren den Boden unter den Füßen.

Auch wenn wir es schon gewusst oder zumindest geahnt haben, dass der Betroffene bald sterben könnte, weil er sehr krank war, blickten wir nicht über den Rand der wenigen Wochen und Tage hinaus. Wir mögen uns vorgestellt haben, schockiert zu sein, sollte der Tod plötzlich eintreten. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass dieser Schock uns auslöschen, Körper und Seele tilgen würde. Wir mögen erwartet haben, dass wir niedergeschmettert, untröstlich, verrückt sind angesichts des Verlustes, aber nicht, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes ver-rückt sein würden. Die Endgültigkeit des Todes löst starke Gefühle aus – nicht nur Trauer und Leid, auch Angst und den freien Fall in eine bis dahin unbekannte Leere.

Der Umgang mit dem Tod

Obwohl jeder um die Endlichkeit des eigenen Lebens weiß, fällt der Umgang mit dem Tod schwer. Denn der Tod macht uns Angst. Er erinnert uns an unsere Sterblichkeit. Das Leiden zwischen Leben und Tod haben wir deshalb weit an den Rand des Mit-Erlebens gedrängt. Unsere Gesellschaft hat, um mit dem deutsch-jüdischen Philosophen Walter Benjamin zu sprechen, „den Leuten die Möglichkeit verschafft, sich dem Anblick von Sterbenden zu entziehen“.

In Deutschland sterben jährlich etwa 900000 Menschen – mehr als zwei Drittel von ihnen in Krankenhäusern und Pflegeheimen, nur wenige zu Hause im Kreis ihrer Nächsten. Wir haben die Begleitung Sterbender, den Umgang mit den Toten an professionelle Helfer delegiert, an Mediziner, Pfleger, Pfarrer und Beerdigungsunternehmer. Viele Menschen sterben einsam, unbemerkt, ohne jegliche Begleitung.

Die heutige Generation ist dem Tod gegenüber so rat- und hilflos, wie es wahrscheinlich keine vor ihr war. Wir verdrängen wie Kinder, die sich die Hand vor die Augen halten und rufen „Keiner sieht mich“, das Thema Tod und Sterben. Als ginge es uns nichts an, als redeten wir den Tod nur herbei, würden wir darüber sprechen. Dabei wäre es so wichtig, bestimmte Dinge schon frühzeitig zu klären, um den Druck von der Seele zu nehmen. Viele Jüngere trauen sich nicht, ihre Eltern zu fragen, wie sie sich ihr Leben zum Beispiel im Fall einer Pflegebedürftigkeit vorstellen und wie sie sich im Fall des Todes Beerdigung und Grabstätte wünschen. Ältere mögen den Kindern ihre Gedanken hierüber oft nicht mitteilen, weil sie fürchten zu hören: „Sprich bitte nicht vom Tod, Papa, bis dahin ist es noch lang!“

Die heutige Generation ist dem Tod gegenüber so rat- und hilflos, wie es keine vor ihr war.

Unmissverständlich wird so signalisiert, dass der Vater das eigene Kind mit diesem Thema quält oder gar belästigt. Und wer will seine Kinder schon quälen? Die jüngere Generation trägt durch ihre Worte und Verhaltensweisen oft unbewusst zum Schweigen zwischen den Generationen über wichtige Lebensfragen bei. Für die meisten von uns ist es schon furchterregend, überhaupt daran zu denken, dass die Eltern oder Verwandte einmal sterben könnten. Deshalb vermeiden wir es grundsätzlich, uns damit zu befassen, geschweige denn, darüber zu reden.

Vielen ist es peinlich, sich mit den Angehörigen über das Thema Tod auseinanderzusetzen. Sie wollen nicht dahingehend missverstanden werden, dass sie den anderen bald unter der Erde wähnen. Das Reden über den Tod hat etwas derart Intimes an sich, dass schon ein kurzer Hinweis darauf verlegen machen kann. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben doch eines gemein: Die Frage nach dem Tod offenbart die Wahrhaftigkeit der Lebensbeziehung zueinander. Das macht das Reden über den Tod so unendlich schwer.

Dem Sterbenden nahe sein

Ein Jahrhundert zuvor sah das noch ganz anders aus: Während der letzten Tage im Leben eines Menschen versammelte sich die Familie, die gesamte Verwandtschaft, Freunde, ja, auf dem Land kam nicht selten das ganze Dorf, um sich von dem Sterbenden zu verabschieden, ihm noch einmal Wertschätzung zu bezeugen. Sterben und Tod hatten ihren Platz in den Familien. Von Kindheit an konnte jeder eine unmittelbare Erfahrung damit machen und das Abschiednehmen erlernen. Werden heute Fünfzigjährige zum ersten Mal mit dem Tod konfrontiert, weil ein Elternteil stirbt, war es vor einem Jahrhundert bereits für Kinder normal, einen Toten zu sehen. Sterben war und ist ein Teil des Lebens und hat viele Gesichter: manchmal sanft und friedlich, häufig von Leid und Schmerzen begleitet.

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Abschied von einem Nahestehenden – eine wichtige Säule der Trauerarbeit.

Der Tod eines nahen Angehörigen ist ein belastendes, einschneidendes Ereignis. Der Verlust wird im ersten Moment meist noch nicht realisiert. Wie in Watte verpackt, völlig abgeschnitten von der Realität, steht der Hinterbliebene da. Ein böser Traum, aus dem es gleich ein Erwachen gibt? Betäubt, starr, empfindungslos. Stilles Weinen, lautes Schluchzen, der Zusammenbruch. Reaktionen auf den Tod, die mehrere Wochen anhalten können. Dieses Auf und Ab der ersten unmittelbaren Trauer ist völlig normal. Wer die Chance hatte, sich zuvor von dem Verstorbenen verabschieden zu können, leidet nicht weniger, findet aber Trost darin, dass der Kontakt nicht unvermittelt abriss.

Ist ein Ihnen nahestehender Mensch schwer erkrankt und zeichnet sich sein Tod ab, sollten Sie deshalb offenstehende Fragen klären, echte oder vermeintliche Verletzungen vergeben, die gemeinsame Beziehung Revue passieren lassen – und sich verabschieden. Schon vor dem Tod können Sie so mit der Trauerarbeit beginnen und damit dem Schmerz nach dem Tod des geliebten Menschen vieles von seinem Schrecken nehmen. Viel zu selten wird diese Möglichkeit genutzt. Stattdessen investieren Betroffene aus Angst, etwas falsch zu machen, so viel Zeit und Energie in die Pflege, dass solche Gespräche gar nicht erst aufkommen können.

Martin Luther hat einmal gesagt: „Am Ende des Lebens sind eigentlich nur noch zwei Sachen wichtig: Die Frage, wen muss ich noch um Verzeihung bitten und wem muss ich noch etwas verzeihen.“ Abschiednehmen ist ein ganz wesentlicher Bestandteil des Trauerns. Neben dem Bewusstwerden des Verlustes und dem späteren Verarbeiten ist dies vermutlich eine der wichtigsten Säulen. Sterben und Tod einer nahestehenden Person konkret mitzuerleben ist eine tiefe Erfahrung. Mitzuerleben, wie der Tod naht, löst intensive Gefühle aus: Angst, Schrecken, Wut, Trauer, Schuld, Verzweiflung. Aber auch Nähe, Verbundenheit sowie religiöse Empfindungen und Fragestellungen sind in dieser Situation normal und natürlich. Sowohl für den Menschen, der Abschied nimmt, wie für jene, die ihn gehen lassen müssen.

Schuldgefühle können das Loslassen und Sterben schwer machen. Hier kann eine Aussprache hilfreich sein. Wenn Sie den Sterbenden danach fragen, was ihn belastet, geben Sie ihm Zeit und die Chance, sich zu versöhnen. Wenn Sie als Angehöriger oder guter Freund dem Sterbenden noch etwas sagen möchten, dann tun Sie es. Es kann wichtig sein, Danke zu sagen, sich der schönen gemeinsamen Zeiten zu erinnern und auszusprechen, was einem der andere im gemeinsamen Leben geschenkt und gegeben hat.

Von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen kostet Kraft. Viele Gedanken gehen einem durch den Kopf, eine Menge Gefühle durchs Herz. Fragen tauchen auf. Den Sterbenden bei seinem letzten Weg in Liebe und Anteilnahme zu begleiten macht aber keineswegs nur traurig, es macht auch froh, vor dem Tod nicht geflüchtet zu sein, und lindert durch das Fehlen von Schuldgefühlen den Schmerz und die Trauer.

Kurz nach dem Tod ihrer Mutter schrieb die französische Ethnologin Anne Philipe: „Es war Viertel nach neun. Ich wusste nicht, was ich empfand: Eine gewisse Ruhe, fast das Bedürfnis zu schlafen, und eine Art Erleichterung. Sie war gestorben, wie sie es gewollt hatte, in ihrem Haus und in ihrem Bett, in meiner Nähe und ich in ihrer Nähe mit Körper und Herz. Uns liebend.“

Vertrauen Sie Ihrer inneren Stimme. Lassen Sie den Sterbenden spüren, dass Sie für ihn da sind, um ihn auf seinem letzten Weg zu begleiten. Begleiten meint, sich auf den Betroffenen einzulassen, ihn in seiner Angst zu verstehen und seine Gefühle zu respektieren, ohne ihn zu verurteilen. Schmerz, Leid und Tod gemeinsam zu durchleben und anzunehmen, dabei eine ruhige Umgebung zu schaffen und das zu tun, was der Sterbende sich wünscht.

Für die meisten Menschen ist es schwer, über das eigene Ende zu reden. Wenn sie es tun, sollten wir nicht mit banalen Worten darüber hinweggehen, sondern aufmerksam und einfühlsam antworten. Ergreifen Sie in diesem besinnlichen Moment die Initiative und sprechen Sie mit Ihren Angehörigen über den Tod. Sie werden erfahren, dass vieles offenbar wird, was Sie zuvor nur ahnten oder überhaupt nicht wussten. Wer derartige Gelegenheiten nicht nutzt, wird wohl erst sehr viel später nach dem Tod eines Menschen entdecken, was er schon zu dessen Lebzeiten hätte erfahren können – und müssen.

Über den Tod reden
„Es muss uns deshalb um eine neue Kultur des Sterbens gehen. Um ein Verständnis vom Leben, dass das Sterben selbstverständlich mit einschließt. Um die Weitergabe von Traditionen, wie selbstverständlich mit dem Sterben umgegangen werden kann, und um das Ausbilden neuer Rituale. Um die eigene Auseinandersetzung mit dem Tod. Was soll sein, wenn dies oder jenes eintritt. Will ich Sarg oder Urne, Blumen, ein fröhliches Lied? Oder interessiert mich das alles gar nicht, weil ich ohnehin nicht dabei bin? Es geht um den Abbau von Berührungsängsten und Gesprächsbarrieren. Reden wir! Das erfordert Bereitschaft, sich dem auszusetzen und hinzuhören. Auch zwischen die Zeilen, wenn das Gegenüber vielleicht etwas sagen will, sich aber nicht recht traut. Und vielleicht wäre Mutter oder Opa auch dankbar dafür, wenn man mal fragt. Wie befreiend wäre das, wie viel enger könnten die Bande sein, wenn man dieses Thema nicht aussparen muss. Am Ende ist es dann zu spät und der Schmerz groß.”
(Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags)

Wenn der Tod unerwartet kommt ...

„Der Tod ist groß. Wir sind die Seinen, lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen. Mitten in uns.“ So sah es einst Rainer Maria Rilke. Oft bleibt keine Zeit, sich auf den Tod einzustellen. Der Betroffene selbst wird von einer Krankheit überrascht, dass er keine Möglichkeit hat, seine Gedanken und Gefühle zu sortieren, geschweige denn, sich auf den Tod vorzubereiten und seine Angelegenheiten zu ordnen.

Ein plötzlicher Tod kann verschiedene Ursachen haben: eine Erkrankung wie Schlaganfall oder Herzinfarkt, einen Unfall, der auf menschliches Versagen, wie etwa beim Steuern eines Autos, oder auf ein natürliches Phänomen, etwa einen Sturm oder ein Erdbeben, zurückzuführen ist, oder einen körperlichen Angriff, um nur einige zu nennen. Ob ein Mensch durch die Hand eines Mörders, im Straßenverkehr durch eigenes Verschulden stirbt, sich das Leben nimmt oder von heute auf morgen einem körperlichen Leiden erliegt, es ist jedes Mal ein tiefgreifender Schock und eine große Tragödie.

Bei einem unerwarteten Tod reißt die Verbindung unvermittelt ab, ein Abschied von Seele zu Seele ist dann nicht mehr möglich. Fast jeder Trauernde berichtet später über ungewöhnliche Erlebnisse und Nachtod-Begegnungen in Symbolen, Gedanken und Träumen. Die Intensität solcher Begegnungen und der Einfluss auf das weitere Leben, so irritierend sie für Außenstehende sein mögen, zeugen von großem Bewegt-Sein.

Die fehlende Möglichkeit, sich von einem Menschen, dem man gefühlsmäßig sehr nahe steht, zu verabschieden, und der Schock des unerwarteten Todes erschweren das Trauern in besonderem Maß. Manche Trauernde ziehen sich in sich selbst zurück, andere werden verbittert, wütend und verzweifelt oder quälen sich mit Selbstvorwürfen. Häufig finden Hinterbliebene Gründe, sich für den Tod des geliebten Menschen schuldig zu fühlen oder eine irgendwie geartete Verantwortung daran zu tragen, egal, unter welchen Umständen dieser ums Leben kam.

Wenn Sie einen „sinnlosen“ Verlust erleiden, der hätte verhindert werden können, schmerzt nicht nur der Verlust, sondern auch die Tatsache, dass gerade der Tod dieses einen Menschen so überflüssig war. Ist ein guter Freund bei einem Autounfall ums Leben gekommen, den zum Beispiel ein Betrunkener verursacht hat, sind Sie nicht nur am Boden zerstört, weil Sie Ihren Freund verloren haben, sondern auch, weil dessen Tod sinnlos war.

Bei unerwartetem Tod reißt die Verbindung unvermittelt ab, ein Abschied von Seele zu Seele ist nicht mehr möglich.

Viele plagen sich mit dem Gedanken, wie wohl ihr Angehöriger seinen Tod erlebt haben mag. Sie träumen, dass der Verstorbene um Hilfe schreit und sie hilflos zusehen müssen. Wenn uns die Trauer übermannt, setzt ein Verteidigungsmechanismus ein. Wir sind überzeugt, dass wir nicht annähernd so leiden würden, könnten wir in diesem Verlust einen Sinn sehen. Doch egal, mit welcher Theorie Sie einen Verlust zu erklären oder zu deuten versuchen, es bringt den geliebten Menschen nicht zurück und erspart uns auch nicht den Trauerprozess.

Stellen Sie sich vor, Ihr Vater würde ganz natürlich und in hohem Alter sterben. In diesem Fall können Sie sicher sein, dass es einen guten Grund für den Tod gibt: Sein Körper konnte sich nicht länger erneuern und weiter funktionieren. Trotz dieser vernünftigen Erklärung dürfen Sie nicht erwarten, dass Sie angesichts des Verlustes weniger trauern. Da hilft auch der häufig geäußerte Satz nicht: „Er hat sein Leben doch gelebt.“ Für Sie hätte Ihr Vater ewig weiterleben sollen.

In vielen Fällen tritt der Tod eines Angehörigen auf dem Weg ins oder im Krankenhaus ein. Dort gehört es zum Alltag, dass Menschen ihren Krankheiten oder Verletzungen erliegen. Lange Zeit war dieses Thema tabu – über den Tod in der Klinik wurde so wenig wie möglich gesprochen, weil er als Scheitern, als Versagen der Ärzte und der Medizin galt. Inzwischen hat sich vieles geändert. Zum Selbstverständnis vieler Kliniken gehört es heutzutage, auch für Sterbende da zu sein, deren letzte Lebensphase so angenehm wie möglich zu gestalten und ihnen zu helfen, in Würde zu sterben. Dazu gehört, dass Sterbende in einem Einzelzimmer untergebracht werden, in dem Angehörige ungestört Abschied nehmen können. Das gilt auch für den Fall, dass der Betroffene bereits tot ist, wenn die Angehörigen eintreffen.

Viele Kliniken bahren den Toten einige Stunden auf und geben der Familie die Möglichkeit, bei dem Verstorbenen zu verweilen. Jeder Mensch hat das Recht, sich in der Form von einem Verstorbenen zu verabschieden, die für ihn passend und richtig erscheint. Leider wird Trauernden in vielen Fällen immer noch das Recht abgesprochen, selbst zu entscheiden, ob sie den Verstorbenen zum Beispiel noch einmal sehen möchten. Lassen Sie sich von Aussagen wie „Behalten Sie den Toten so in Erinnerung, wie er war“ nicht abhalten. Die meisten Betroffenen wollen in Ruhe von dem Verstorbenen Abschied nehmen und wissen sehr gut, was sie sich zumuten können. Sie brauchen nur ein wenig Unterstützung und Ermutigung.

Abschiednehmen ist wichtig, um be-greifen zu können, dass ein Partner, Elternteil, Kind oder Freund tot ist. Unsere Sprache gibt uns mit diesen Begriffen die Richtung vor: begreifen, anfassen, erleben. Vielen wird erst in einem solchen Moment klar, dass der geliebte Mensch wirklich nicht mehr lebt. Betroffene, denen das Abschiednehmen verwehrt wurde, berichten davon, dass sie sehr darunter litten, den Verstorbenen nicht noch einmal gesehen zu haben.

Abschiednehmen ist Teil des Trauerprozesses. Schafft man dem Betroffenen die Möglichkeit, sich vom Verstorbenen zu verabschieden (also die Leiche zu sehen), so verhindert man, dass der Trauernde die Realität verzerrt oder idealisiert im Gedächtnis abspeichert.

Dem Leben selbst ein Ende setzen

Eine Selbsttötung ist ein besonders gelagerter und komplexer Verlust. Setzt jemand seinem Leben ein Ende, weiß man definitiv, wer für diesen Tod verantwortlich ist, auch wenn man nicht alle Umstände kennt, die dazu geführt haben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Selbsttötung von fast allen Religionen und Gesellschaften einhellig missbilligt wird. Die Hinterbliebenen empfinden deshalb neben den zwangsläufigen Schuldgefühlen eine tiefe Scham. Die zurückbleibende Familie ist dreifach belastet: mit der Schande des Selbstmords, mit Schuldzuweisungen und mit der Trauer über den Verlust.

Auch wenn der Suizid generell als unnötiger Tod angesehen wird, gibt es hier Unterschiede. Denken Sie nur an den alten Mann, der an den schlimmer werdenden Schmerzen und fortschreitenden körperlichen Fehlfunktionen durch eine unheilbare Krankheit leidet und endlich sterben will. Oder an den Fall eines jungen, gesunden Mädchens, das, zermürbt von Depressionen und Selbstzweifeln, seinem Leben ein Ende setzt. Aus religiöser und gesellschaftlicher Sicht besteht zwischen diesen beiden Fällen wohl kaum ein großer Unterschied: Beide gelten als sinnlos und unnötig.

Die meisten Menschen sehen das allerdings nicht so strikt. Viel wichtiger ist, dass auch die Hinterbliebenen dieser beiden Menschen um den Verlust ganz unterschiedlich trauern werden. Für den todkranken alten Mann, der nicht mehr weiterleben will, empfindet die Familie wahrscheinlich ein gewisses Verständnis. Vielleicht ist sie auch erleichtert, weil er nicht mehr die schlimmen Schmerzen ertragen und den weiteren Verfall erleben muss. Die Angehörigen des jungen Mädchens werden eher nicht verstehen können, dass sie sich umbringen musste. Sie werden mit Schuldgefühlen kämpfen, weil sie nicht in der Lage waren, diesen Tod zu verhindern. Und sie werden den Verlust als ebenso sinnlos wie tragisch empfinden.

Suizid macht Angst und lässt eine Mauer des Schweigens wachsen, hinter der sich der Trauernde einsam und verlassen fühlt. Unweigerlich gehen die Gedanken in die Vergangenheit. Die Erinnerung ruft die letzten Tage in allen Details immer wieder ins Gedächtnis zurück. Vom Wunsch geleitet zu verstehen, suchen Trauernde nach dem Moment, in dem die Weiche gestellt wurde, wo sie deutlich hätten erkennen müssen, was sich ereignen würde.

Schuldgefühle drücken sich in quälenden Worten aus: „Hätte ich nicht sehen müssen, in welch desolater Verfassung mein Vater war, als er auf den Dachboden ging, um sich zu erhängen?“ Oder: „Hätte ich nicht am Gesichtsausdruck meiner Tochter erkennen müssen, dass sie so verzweifelt ist und sich die Pulsadern öffnet? Ich habe doch vorher noch mit ihr gesprochen! Und für mich deutete nichts darauf hin, dass sie in den Tod gehen würde. Doch jetzt weiß ich mehr, sehe auch mehr und bin sicher, ich hätte das alles verhindern können.“ Wer kennt es nicht, dieses vernichtende Urteil einer inneren Richterstimme?

Suizid macht Angst und lässt eine Mauer des Schweigens wachsen, hinter der sich der Trauernde verlassen fühlt.

Oft wächst den Hinterbliebenen eine Wut im Bauch, die sie unter Umständen gegen sich selbst richten, weil sie die Anzeichen nicht deuten und den Suizid nicht verhindern konnten. Der Zorn richtet sich aber auch gegen den Verstorbenen selbst, weil er sich nicht um Hilfe bemüht, sondern sich einfach aus dem Leben verabschiedet und die Familie in einen Albtraum gestürzt hat. Er kann sich auch gegen Ärzte wenden, die nicht verhindern konnten, was da geschah. Oft ist es eine ohnmächtige Wut, die ihr Objekt sucht und sich dann gegen einen Gott richtet, der das Geschehene zugelassen hat. Diese Seite der Trauer zu durchleben ist nicht leicht. Der Suizid eines Angehörigen zwingt jeden Menschen in die Knie, und in den allermeisten Fällen ist es sinnvoll oder sogar nötig, sich einer Trauerbegleitungsgruppe anzuschließen.

„Du bist ein Schatten am Tag, und in der Nacht ein Licht.
Du lebst in meiner Klage, und stirbst im Herzen nicht.
Wo ich mein Zelt aufschlage, da wohnst du bei mir dicht.
Du bist mein Schatten am Tage, und in der Nacht mein Licht.
Wo ich auch nach dir frage, find ich von dir Bericht.
Du lebst in meiner Klage, und stirbst im Herzen nicht.
Du bist ein Schatten am Tage, doch in der Nacht ein Licht.
Du lebst in meiner Klage, doch stirbst im Herzen nicht.”
(Friedrich Rückert)

Traditionelle und individuelle Rituale

In vielen Kulturen wurde das Sterben zu einer Zeremonie im Kreis der Familie. Jung und Alt gingen wie selbstverständlich mit dem Tod um. Die vielen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges haben unsere Sterbekultur jedoch nachhaltig verändert.

Nur wenige haben in ihrem Leben schon einmal einen Sterbenden begleitet oder einen Toten für die Beerdigung vorbereitet. Allein der Gedanke daran löst Unbehagen aus. Die vielen hilfreichen Rituale im Umgang mit einem Toten sind vergessen. Die Aufbahrung in der Zeit bis zur Bestattung erfolgt heute meist im geschlossenen Sarg beim Bestatter – mit Zugangsmöglichkeiten rund um die Uhr – oder in der Leichenhalle des Friedhofs. Doch sie ist auch in der Klinik, im Pflegeheim oder zu Hause möglich.

Zu Hause darf der Verstorbene bis zu sechsunddreißig Stunden aufgebahrt werden, auch wenn er zuvor in einer Klinik gestorben ist. Angehörige und Freunde können beim Verstorbenen wachen, sich verabschieden, über den Toten plaudern, Erinnerungen austauschen, die Trauerfeier planen und die Verteilung der Aufgaben regeln. Die Totenwache ist vermutlich daraus entstanden, in einem Sterbehaus nicht schlafen zu dürfen, weil man sonst nachstürbe, oder aus dem Gefühl heraus, den Toten vor finsteren Gestalten wie Dämonen und Teufeln „beschützen“ zu müssen. Geweihte Kerzen werden neben dem Leichnam aufgestellt, die nicht verlöschen dürfen, solange der Tote im Haus ist.

Die letzte Waschung des Toten übernimmt im Krankenhaus oder in Heimen das Pflegepersonal, in anderen Fällen der Bestatter. Auch Angehörige können dem Verstorbenen diesen letzten Dienst erweisen. Immer mehr Bestatter bieten Hinterbliebenen die Möglichkeit, sich an der Totenwaschung zu beteiligen und dem Verstorbenen das Sterbekleid anzulegen, das sie für ihn ausgewählt haben – meist Kleidungsstücke, in denen der Verstorbene sich zu Lebzeiten wohlfühlte.

Neben aller funktionalen Routine haben sich in den letzten Jahren neue Muster im Umgang mit dem Tod entwickelt. Was den Menschen bereits aus der Hand genommen zu sein schien, wird durch viele Initiativen auf ermutigende Weise zurückerobert: der selbst bestimmte Tod. Wegweisend waren wohl die Hospizdienste, deren Anliegen es ist, Schwerstkranken und sterbenden Menschen ein möglichst beschwerdefreies und würdiges Leben bis zuletzt zu ermöglichen und Angehörige in dieser Hinsicht zu unterstützen.

Rituale entlasten und schaffen Orientierung. Gerade in den Stunden nach einem Todesfall spüren Hinterbliebene die Anwesenheit eines Verstorbenen noch sehr stark, und das macht Angst. Alle Trauerbräuche sind Übergangsriten, die durch ein Ende gekennzeichnet sind, und auf diese Weise der Angst vor der Rückkehr der Toten begegnen. In Märchen und Sagen tauchen die nicht zur Ruhe kommenden Toten als Wiedergänger auf, die den natürlichen Fortgang des Lebens behindern. Denn die Toten gehören in ihr Reich, das von dem der Lebenden streng geschieden ist.

Früher saßen in südlichen Ländern die Angehörigen eines Verstorbenen einige Tage im verdunkelten Zimmer, manchmal auf dem Boden. Selbst das Haus trug in manchen Gegenden Trauerzeichen, Spiegel wurden abgehängt oder mit Tüchern bedeckt, und das Sterbezimmer wurde abgeschlossen, nachdem der Tote vom Haus zum Friedhof getragen worden war. Man wollte nicht sofort alle Spuren tilgen und den Verstorbenen mit diesem Brauch zufriedenstellen. Die Überlebenden wollten ihm so zeigen, wie schwer der Verlust für sie sei. Auf der einen Seite sollen Traueräußerungen den Toten mit der Gemeinschaft, die er verlassen musste, versöhnen; auf der anderen Seite dienen sie aber auch der Abwehr des Todes allgemein.

Rituale und Abläufe
Die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod findet sich in den meisten Religionen, und ihre Bestattungsrituale spiegeln das Verständnis von einem Jenseits: Christen, Juden und Muslime glauben, dass der Tote in ein göttliches Himmelreich zieht. Da er Gott unversehrt gegenübertreten soll, bestatten Anhänger dieser Religionen ihre Verstorbenen traditionell in Erdgräbern.
In asiatischen Religionen wie dem Hinduismus glaubt man dagegen, dass der Körper sterblich ist und das Wesen des Verstorbenen wiedergeboren wird. Dafür wird sein Leichnam vollständig verbrannt. Weltliche, nicht religiöse Bestattungsrituale betonen in der Regel eher das gelebte Leben des Verstorbenen. Neben religiösen gibt es auch kulturelle Unterschiede. Im Süden der USA hat sich der Brauch der „Bestattungen mit Musik“ entwickelt, bei denen dem Tod das Erschreckende durch fröhliche Musik genommen werden soll. Jazz ist ein wichtiger Teil dieses Brauches. In Österreich wird manchmal noch die „schöne Leich“ gefeiert. Dabei handelt es sich um die Sitte, einen Verstorbenen standesgemäß bei einem prunkvollen Begräbnisfest zu bestatten.
Sowohl weltliche als auch religiöse Bestattungsrituale erfüllen bestimmte soziale und psychisch stabilisierende Funktionen: Religiöse Rituale dienen häufig dazu, dem Verstorbenen beim Übertritt in ein neues Leben behilflich zu sein. Das zeigt sich in der Wahl der Bestattungsart, aber auch darin, dass für den Verstorbenen gemeinsam gebetet wird. Ritualisierte Handlungen wie die Aufbahrung oder das Werfen von Erde auf das Grab geben den Angehörigen die Möglichkeit, sich in einem sie stützenden Rahmen vom Toten zu verabschieden. Gleichzeitig wird durch diese Rituale auch die Endgültigkeit des Abschieds symbolisiert.
Durch Kondolenzbesuche oder durch die Anwesenheit von Trauergästen bei der Bestattung wird den Hinterbliebenen vermittelt, dass sie in ihrer Trauer nicht allein sind. Gleichzeitig verweisen Rituale darauf, dass das Leben trotz des Verlustes nicht stehen bleibt. Ausdruck findet diese Idee häufig in Form eines gemeinsamen Essens, bei dem sich die Trauergäste treffen und sich an den Verstorbenen erinnern.
Derzeit entwickelt sich hierzulande ein starker Trend zu weltlichen Bestattungen und zu individuellen Ritualen: Sie müssen nicht mehr zwingend den traditionellen Abläufen folgen, sondern können auch persönlich gestaltet werden.

Vieles ist zu regeln und zu organisieren ...

Bei Trauernden hinterlässt der erlittene Verlust eine tiefe Wunde. Wenn das, was uns ans Herz gewachsen ist, fortgerissen wird, erleiden wir eine ernste Verletzung. So ist der Schock die erste natürliche Reaktion auf den Tod eines nahestehenden Menschen. Wie bei körperlichen Wunden hat er zunächst eine Schutzwirkung. Er betäubt den ersten Schmerz.

Angesichts der gähnenden Leere der Wohnung, der einsamen Zahnbürste im Bad oder der Plüschtiere im Kinderzimmer fühlen sich viele Trauernde anfangs einsam und bedroht. Viele Betroffene handeln in den ersten Tagen danach wie von Geisterhand gesteuert. In dieser Phase tut es Ihnen gut, Menschen an Ihrer Seite zu wissen, die, wo nötig, anpacken, aber auch alles unterlassen, was Ihre Trauer und Ihr Leben nach dem Verlust erschweren und behindern würde.

Der Schock hat als natürliche Reaktion auf den Tod eines nahestehenden Menschen eine Schutzwirkung.

Angehörige, Freunde, Arbeitgeber und Kollegen, aber auch Behörden müssen über den Todesfall informiert und eine Todesanzeige aufgegeben werden. Außerdem sind Formalitäten zu erledigen und die Bestattung innerhalb weniger Tage zu organisiern. Wenn Sie bereits zu Lebzeiten mit Ihrem Partner, Elternteil oder Freund besprochen haben, was im Fall eines Todes zu tun ist, haben Sie eine Last weniger zu tragen. Sie wissen, was sich der oder die Verstorbene vorstellte, und können diesen Wunsch umsetzen.

Anders sieht es aus, wenn Sie unvorbereitet vor solchen Entscheidungen stehen und keine Erfahrung im Umgang mit dem Tod haben. Wählen Sie die Form, die sich der Verstorbene gewünscht hat bzw. die Ihrem Gefühl nach zu ihm passen würde. Nicht jeder braucht ein Grab, an das er gehen kann, um seiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Trauerorte gibt es viele.

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Blumen sind wichtiger Bestandteil unserer Bestattungskultur.

In den 1980er-Jahren setzten die bunten Luftballons der amerikanischen Aidsbegräbnisse ein Zeichen gegen die Gleichförmigkeit und Tristesse westlicher Bestattungsrituale. Dieser Traditionsbruch blieb nicht ohne Folgen für die abendländische Trauerkultur und führte zu mehr Individualismus. Bunte Särge und ausgefallene Sargformen sind heute keine Seltenheit mehr. Denn der Mensch des 21. Jahrhunderts denkt sich seine letzte Ruhestätte neu. Fast die Hälfte aller Deutschen sucht nach Alternativen zu einer konventionellen Bestattung – notfalls auch jenseits der strengen Friedhofssatzung. Viele Friedhofsverwaltungen sehen sich mittlerweile gezwungen, ihre Bestimmungen den Bedürfnissen der Menschen anzunähern.

Traditionelle Erd- und Feuerbestattung

Zwar können auch Urnen in einem Erdgrab beigesetzt werden, doch im allgemeinen Sprachgebrauch ist mit „Erdbestattung“ die Beisetzung eines Sarges gemeint. Erdbestattungen in diesem Sinn sind nur auf Friedhöfen möglich. Grundsätzlich gibt es drei Grabvarianten:

Bei einer Feuerbestattung wird der Verstorbene in einem Krematorium verbrannt. Auch dafür wird ein Sarg benötigt. Nach der Kremierung erfolgt die Beisetzung der Asche – traditionellerweise auf einem Friedhof. Man unterscheidet mehrere Grabformen:

Ist die Frage nach dem Grab geklärt, kann die Beisetzung stattfinden. Hierzu überführt der Bestatter den Verstorbenen an den Bestattungsort und sorgt in Absprache mit den Angehörigen für das gewünschte Ambiente. Bei einer konfessionellen Erdbestattung erfolgt die Beisetzung meist im Rahmen einer kirchlichen Trauerfeier. Auch weltliche Zeremonien, bei der ein freier Trauerredner spricht, sind hierzulande üblich.

Der Friedhof – das „Haus der Toten”

Friedhöfe werden als Orte für die Toten bezeichnet, doch sind sie für die Lebenden nicht weniger wichtig. Sie sind Stätten der Begegnung, grüne Lebensräume und nicht zuletzt in vielen Großstädten Oasen der Ruhe und Besinnung. Das Grab ist gleichermaßen Ruhestätte und Aufenthaltsort eines Verstorbenen. Es übt eine Schutzfunktion aus, indem es den Toten vor Schändung, vor gewaltsamer Vernichtung oder Naturkatastrophen bewahrt. Schutzsymbole und entsprechende Inschriften auf den Grabsteinen unterstreichen diesen Aspekt. In manchen Religionen sind mit dem Grab gewisse Sicherungsfunktionen für die Lebenden verbunden, durch die ein Toter im Grab festgehalten wird. Schließlich bewahrt das Grab die Erinnerung an ein vergangenes Miteinander.

Die meisten Menschen brauchen für das Andenken einen festen Platz, um zu trauern.

Die Trauer um einen geliebten Menschen findet im Herzen und in den Gedanken statt. Das Gros der Menschen braucht für das Andenken aber zusätzlich einen festen Platz, einen Ort, an den sie gehen können, um zu trauern – und das hat Tradition. Schon seit alters haben Menschen ihre Angehörigen begraben, den Bestattungsort geschmückt und regelmäßig besucht. Das Grab ist der geeignete Ort, um Kontakt zum Toten aufzunehmen. Es ist der Platz für stille Zwiegespräche und kleine Dienste wie die jahreszeitgemäße Bepflanzung und Pflege. Für viele Menschen ist der tägliche Weg zum Grab fester Bestandteil des Alltags.

Hinterbliebene suchen oft schmerzlich nach einem Weg, die Liebe zum Verstorbenen auch nach dessen Tod zum Ausdruck zu bringen. Auch dabei kommt der Grabstätte besondere Bedeutung zu. Eine schöne Grabanlage, die liebevolle Pflege und ein passender Stein können diese Liebe zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig wird es für viele Hinterbliebene so leichter, den erlittenen Verlust zu realisieren und anzunehmen.

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Ein Urnenreiheneinzelgrab erwirbt man in der Regel für zwanzig Jahre. Es kann individuell gestaltet werden.

Das Meer als letzte Ruhestätte

Seit 1934 ist es in Deutschland möglich, im Meer die letzte Ruhe zu finden. Dazu wird die Asche eines Verstorbenen nach der Kremierung in eine spezielle Seeurne gefüllt und außerhalb der sogenannten Dreimeilenzone in der Regel über „rauem Grund“ und nach seemännischen Bräuchen dem Meer übergeben. Mit „rauem Grund“ sind Gebiete gemeint, in denen nicht gefischt und kein Wassersport getrieben wird. Seebestattungen werden in nahezu allen Meeren angeboten, von Deutschland aus vorwiegend in Nord- und Ostsee, aber auch im Atlantik oder Mittelmeer. Nehmen Angehörige an der Zeremonie teil, halten der Kapitän oder ein Vertreter der Reederei, die mit der Bestattung betraut wurde, eine Trauerrede.

Erst lange danach stellt sich wie bei allen Bestattungen ohne feste Grabstätte die Frage: Lässt der gewählte Ort, in diesem Fall das Meer, Trauer und Trauerarbeit überhaupt zu? Eine nicht unbeträchtliche Zahl von Angehörigen vermisst später die Möglichkeit eines „Friedhofsbesuches“. Um diesem Gefühl der Leere abzuhelfen, werden von manchen Seebestattern Fahrten zu den Koordinaten angeboten, an denen die Seebestattung stattgefunden hat. Es gilt also, sich rechtzeitig auch darüber Gedanken zu machen, wie und wo man um einen geliebten Menschen trauern möchte. Sicher kein vertrauter, aber ein sehr wichtiger Aspekt! Am besten sollte er offen und zu Lebzeiten im Kreis der Betroffenen bedacht und angesprochen werden.

In den Wurzeln eines Baumes

Seit 2001 gibt es in Deutschland die Möglichkeit, sich im Wald beisetzen zu lassen. Parallel dazu weisen immer mehr kleinere und größere Anbieter entsprechende Areale mit variantenreichen Bestattungsformen aus. In der Regel wird die Urne mit der Asche eines Verstorbenen im Wurzelwerk eines Baumes vergraben. Die Areale sind öffentlich zugänglich. Spaziergänger in diesem Waldgebiet werden nur durch Hinweisschilder auf den besonderen Ort aufmerksam gemacht. Sie befinden sich zum Teil in der Hand von Gemeinden oder in kirchlicher Trägerschaft. Zudem gibt es zwei Unternehmen, die bundesweit in Kooperation mit dem jeweiligen Forstamt und der zuständigen Kommune solche Einrichtungen betreiben: FriedWald und RuheForst.

In Friedwäldern finden bis zu zehn Urnen im Wurzelwerk eines Baumes Platz. Wer nur eine einzelne Ruhestätte benötigt, wird an einem Gemeinschaftsbaum platziert. Familien und Freunde, die eine gemeinsame Ruhestätte haben möchten, können sich einen gesonderten Baum aussuchen. In der Regel wird die Auswahl bei einer Führung getroffen, die die zuständigen Förster anbieten.

Ähnlich funktioniert das Konzept des Ruheforstes. Diese sogenannten Ruhebiotope sind Areale, die durch verschiedenartige Elemente geprägt werden. Das kann ein Baum, ein Strauch oder ein Stein sein. Bis zu zwölf Urnen finden darin Platz, wahlweise in einem Gemeinschafts- oder einem Familienbiotop.

Alternative Bestattungsformen

Grundsätzlich gilt in Deutschland immer noch der Friedhofs- und Bestattungszwang.

In den vergangenen Jahren tauchten besondere Bestattungsarten immer wieder und immer häufiger auf: Almwiesenbestattung, Erinnerungsdiamant oder Weltraumbestattung weisen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen hin. Grundsätzlich gilt in Deutschland immer noch der Friedhofs- und Bestattungszwang. Auch wenn diese Regelungen von Bundesland zu Bundesland anders gehandhabt werden und manche Kommune eine Ausnahmegenehmigung in diesem oder jenem Punkt erteilt, wird an der genannten Rechtslage festgehalten. Inwieweit das noch zeitgemäß und sinnvoll ist, darüber mag und sollte man streiten.

Dabei geht es nicht darum, irgendwelche kurzfristigen Modeerscheinungen oder Trends zu unterstützen, sondern um das richtige Handeln, wenn ein Mensch gestorben ist. Dabei auch und gerade die Bedürfnisse der Trauernden und des Verstorbenen im Blick zu behalten muss für alle oberstes Gebot sein.

Naturbestattung im Ausland
Eine Reihe von Anbietern hat sich mittlerweile auf Angebote der Naturbestattung spezialisiert, die in verschiedenen europäischen Ländern durchgeführt werden können. Alle Naturbestattungen setzen eine Einäscherung voraus. Nach deutschem Recht gilt eine Urne auch als bestattet, wenn sie in ein anderes Land überführt wird. Wer also eine Naturbestattung wünscht, kann ins europäische Ausland ausweichen, da die entsprechenden Gesetze dort weniger streng sind.
So darf die Asche eines Verstorbenen in der Schweiz und in Spanien beispielsweise auf einer Almwiese, in einem Bach oder im Wind ver
streut werden. Für diese Varianten entstehen meist recht geringe Kosten. Etwas aufwendiger sind die Luftbestattungen. Dabei wird die Asche aus einem Flugzeug oder einem Heißluftballon heraus verstreut. In der Schweiz geschieht dies etwa über Appenzell oder großen Seen, in Spanien über der Sierra Nevada und der Bucht von Cádiz.
Französisches Recht erlaubt das Verstreuen von Asche aus der Luft über dem Elsass. Die Asche kann auch im Rahmen einer sogenannten Felsbestattung in der Schweiz und in Spanien beigesetzt werden. Dabei wird die Asche unter oder in der Grasnarbe eines Felsens beigebracht. Auch ist in Spanien die Verstreuung an Steilküsten möglich.
In einigen europäischen Ländern wird darüber hinaus die Aschebeisetzung in Seen, Flüssen und Buchten angeboten, etwa im Schweizer Teil des Lago Maggiore oder in der Donau. Hier spricht man von Fluss- oder (etwas verwirrend) von Seebestattungen. Manche Anbieter haben auch eine Beisetzung in der Adria im Programm.
In der Regel können Angehörige die Beisetzung begleiten. Allerdings muss dafür in manchen Fällen ein Aufschlag gezahlt werden. Bei Luftbestattungen oder Beisetzungen in Gewässern kann die Teilnehmerzahl aufgrund Platzmangels beschränkt sein.

Ein Trost? Weltweites Gedenken

Virtuelle Friedhöfe gehen weit über das hinaus, was normale Grabstätten leisten können. Sogenannte Trauerseiten bieten den Hinterbliebenen alle medialen Möglichkeiten, den Verstorbenen ein umfassendes Andenken zu setzen. Mit Fotos, Musik- und Filmmaterial werden Lebensläufe gewürdigt. Der Tote entrinnt damit der Anonymität eines gleichförmigen Gräberfeldes. Zwar haben sich die virtuellen Trauerforen und -portale in Deutschland bislang nicht so stark durchgesetzt wie in den USA oder in Japan. Dass es sie hierzulande aber auch gibt, zeigt das Bedürfnis der Menschen, die eigene Trauer mitzuteilen und das Gedenken an den Verstorbenen zu wahren. Die Möglichkeiten des Internets können die Trauerarbeit erleichtern.

Virtuelle Friedhöfe gehen weit über das hinaus, was normale Grabstätten leisten können.

Mittlerweile gibt es eine ernst zu nehmende Zahl an Blogs, in denen Trauernde das Unfassbare niederschreiben, um es überhaupt verarbeiten zu können. In Foren tauschen sie ihre Gedanken aus und bilden hilfreiche Netzwerke. Auch die Kirchen haben mittlerweile im Internet Angebote zur Trauerarbeit geschaffen. Michael Mädler von der Evangelischen Landeskirche Bayern betont, die Kirchen wüssten um die Bedeutung dieser Erinnerungskultur, wenn es darum gehe, einen Todesfall zu verarbeiten.

„So gesehen sind die Erinnerungs-Foren im Internet eine konsequente Fortsetzung dieser Kultur.“ Sich zu erinnern sei ein wichtiges Trostmotiv. „Deshalb besuchen Hinterbliebene das Grab eines oder einer Verstorbenen; deshalb sind Friedhöfe öffentlich, um auch Menschen jenseits der unmittelbaren Verwandtschaft die Möglichkeit zu geben, des Verstorbenen zu gedenken, ohne dabei vom Goodwill der Verwandtschaft abhängig zu sein; deshalb richten Hinterbliebene auch jenseits des Grabes Plätze der Erinnerung ein, zum Beispiel eine Fotogalerie auf dem Sekretär.“

Ein festes Ritual: die Trauerfeier

Mittlerweile werden Trauerfeiern häufiger ohne Gottesdienst und kirchliche Rituale gestaltet. Die Trauerfeier oder Beerdigung ist für Sie als nahen Angehörigen ein besonderer Moment: Sie verabschieden sich vom Körper eines geliebten Menschen. Dieser Abschied ist einmalig und kann nicht wiederholt werden. Die rituelle Form einer Trauerfeier kann in diesem überaus schweren Moment Schutz und Halt gewähren. Die Beerdigung ist dafür gedacht, dass Sie und andere Angehörige sich in Würde von dem Toten verabschieden können. Die Rituale um den Tod und die Bestattung sollen also auch eine kleine Hilfe für die Lebenden sein. Deshalb sollten Ihre Wünsche respektiert werden und alles erlaubt sein, was Ihnen wichtig ist.

Überlegen Sie sich in Ruhe, wie Sie die Zeremonie gestalten möchten. Wer sich emotional oder körperlich nicht in der Lage sieht, eine Trauerfeier auszurichten oder an das Grab zu gehen und dort „Haltung zu bewahren“, was im Übrigen niemand wirklich erwartet, sollte trotzdem Angehörigen, Freunden, Kollegen und Nachbarn die Möglichkeit geben, sich zu verabschieden.

Die Rituale um den Tod und die Bestattung sollen auch eine kleine Hilfe für die Lebenden sein.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dies vielen Angehörigen, Freunden und Nachbarn des oder der Verstorbenen sehr wichtig ist. Nachdem meine Mutter nur vier Monate nach dem Tod meines Vater unter ungeklärten Umständen im Krankenhaus gestorben war, brach auch all die Trauer um meinen Vater, die ich aus Sorge um meine Mutter monatelang verdrängt hatte, aus mir heraus. Ich war unfähig, auch nur einen Schritt auf den Friedhof zu gehen, geschweige denn der Urnenbeisetzung beizuwohnen. Also entschied ich mich für die stille Beisetzung und gegen eine Trauerfeier. Dies tat ich auch in der Zeitungsanzeige kund. Der Sturm der Entrüstung vonseiten der sieben Geschwister meiner Mutter war so groß, dass aus der stillen dann doch eine öffentliche Beisetzung wurde. Die Geschwister organisierten außerdem eine Trauerfeier. Für mich hatte man vollstes Verständnis, und niemand erwartete, dass ich zum Friedhof ging ...

Aber den nächsten Angehörigen nicht die Möglichkeit zu geben, sich von der Schwester zu verabschieden, das war dann doch zu viel. Ähnliches hörte ich auch von Freunden und Nachbarn. Dieser Abschied in der Friedhofshalle, in der Trauerhalle des Bestatters oder am Grab spielt in unserer Trauerkultur eine wichtige Rolle. Er schafft eine Art von Gemeinsamkeit und Geborgenheit, die den Schmerz lindert und Trost spendet. Selbst wenn Sie sonst Ritualen skeptisch gegenüberstehen, sollten Sie sich deren Vorteile im Trauerfall gönnen.

Es gibt viele Möglichkeiten zur Gestaltung einer individuellen Trauer- und Abschiedsfeier. Spielen Sie die Lieblingsmusik des Verstorbenen und stellen Sie ein Bild von ihm auf. Vielleicht möchten Sie dem Verstorbenen einen letzten Gruß mit auf den Weg geben? Das kann ein Sinnspruch sein, ein Gedicht, eine kleine Zeichnung oder auch ein Brief. Auf Papier gebracht finden auch ungesagte Worte ihren Weg und helfen beim Abschiednehmen.

Auch Grabbeigaben können tröstlich sein. Lassen Sie Luftballons steigen, legen Sie Ihre Botschaft oder ein Foto in den Sarg oder in die Urne. Oder folgen Sie einem alten indianischen Brauch und legen Sie eine Feder als Botschaft auf das Grab. Der Wind trägt die Feder fort, ein Symbol dafür, dass die Seele gehen darf. Ein Symbol des Übergangs zwischen den Welten. Die Verbindung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits. Ein letzter Gruß für die Seelenreise.

Dem Anzünden einer Kerze kommt in den religiösen und spirituellen Vorstellungen vieler Kulturen eine wichtige Bedeutung zu. Licht begleitet uns Menschen seit Anbeginn der Zeit und symbolisiert Leben und – auch, aber nicht nur im Christentum – die Seele, die im dunklen Reich des Todes leuchtet. Kerzenlicht verbreitet eine friedliche, feierliche Atmosphäre und spendet durch den wärmenden Schein Trost und Zuversicht. Bei der Trauerfeier Teelichter anzuzünden und am Sarg oder an der Urne aufzustellen empfinden die meisten Trauernden als wohltuend. Denn die kleinen Lichter geben Wärme, Geborgenheit und Lebendigkeit in die Herzen der Hinterbliebenen.

Ein Licht anzuzünden soll zeigen, dass die Toten zwar aus dem Leben, aber nicht aus dem Herzen gegangen sind. Blumen haben ihren festen Platz bei nahezu jeder Beerdigung. Hatte der oder die Verstorbene Lieblingsblumen? Lassen Sie je nach Jahreszeit daraus ein Herz oder andere Formen stecken. Blumengestecke sind ein letzter Gruß in Dankbarkeit an den Verstorbenen und zeigen Anteilnahme.

Bei einer Verabschiedung empfinden Hinterbliebene und Freunde häufig innere Leere und Ratlosigkeit. In dieser schweren Situation ist das Gefühl von Zusammengehörigkeit sehr wichtig. Aus den Stühlen einen Kreis zu bilden und den Verstorbenen in die Mitte zu nehmen gibt ein gutes Gefühl von Einheit und Harmonie. Im Zentrum, im Herz ist die Erinnerung an das Leben des Verstorbenen, seine Persönlichkeit und seine Besonderheiten. Jeder der Trauergäste kann etwas mitbringen: eine Blume, ein Mineral, etwas aus Holz – und es zum Verstorbenen legen und ihm vielleicht einen letzten Satz zusprechen. Dies erzeugt eine Atmosphäre des Zusammenhalts und der Zugehörigkeit.

Ein sehr persönliches Abschiedsgeschenk ist die Gestaltung des Sarges oder der Urne. Beim Gestaltungsprozess erinnert man sich an die Persönlichkeit des Verstorbenen und gedenkt seiner. Durch Farben, Symbole oder geschriebene Abschiedsworte verleihen Sie dem Sarg oder der Urne eine persönliche Note und heben die Einzigartigkeit des verstorbenen Menschen hervor. Greifen die Angehörigen selbst zum Pinsel, erleben sie dies als einen Teil des Abschieds in einer ganz besonderen, friedvollen Stimmung – fast wie ein Zwiegespräch mit dem Verstorbenen. Menschen, die sich bewusst mit ihrem Lebensende auseinandersetzen, finden in dem Mitwirken die Sicherheit, dass alles wie gewünscht umgesetzt wird. Das Gestaltungskonzept für die Urnen- oder Sargbemalung kann schon zu Lebzeiten besprochen werden.

Egal, was die Leute sagen, wenn Sie die Trauerfeier ausgefallen gestalten: Sie müssen es weder dem Bestatter noch den Bekannten und anderen Angehörigen recht machen, sondern nur sich und dem Verstorbenen. Das gilt auch für das sich anschließende Trauermahl. Das gemeinsame Essen oder Kaffeetrinken im Anschluss an eine Trauerfeier ist eines von vielen Trauerritualen und bereits in vorgeschichtlicher Zeit Europas bekannt. Daran teilzunehmen drückt Anteilnahme, Wertschätzung und Unterstützung aus.

Beim Trauermahl wird meist erst wahrgenommen, wie viele Angehörige, Freunde und Kollegen diesen schweren Gang mit Ihnen zusammen gegangen sind. Gleichzeitig ist niemand mit seiner Trauer allein. Die Gemeinschaft der Gäste gibt den Hinterbliebenen Halt, das gemeinsame Essen und Trinken verbindet und hilft, Abstand von der Beerdigung zu gewinnen.

Die Tradition des Trauermahls hat wichtige emotionale Aspekte: Es gibt Zeit und Raum für persönliche Worte, gemeinschaftliches Erinnern und für den Austausch von Geschichten. Das hat eine entlastende und tröstende Funktion und hilft oft als erster, kleiner Schritt zur Trauerbewältigung. Wer sich dazu nicht in der Lage sieht, kann eine Abschiedsfeier auch später nachholen; machen Sie einfach das, was Ihnen Ihre Empfindungen raten oder was der Verstorbene zuvor als Wunsch geäußert hat.

Ich selbst habe sechs Wochen nach der Beisetzung meiner Mutter alle ihre Geschwister und deren Partner zu mir nach Hause eingeladen – und meine eigene kleine Abschiedsfeier gemacht. Es war tröstlich, in solch großer Runde von Menschen zu sitzen, die meine Eltern gut kannten und mir vieles erzählten, was ich bis dahin noch nicht wusste.

„Mit den Flügeln der Zeit
fliegt die Traurigkeit davon.”
(Theodor Fontane)

Tiefer Sturz in eine andere Welt

Sie haben die Beerdigung und das anschließende Zusammensein „überstanden“. Ein, zwei Wochen sind nach dem Tod vergangen, in denen Sie sich um vieles kümmern mussten. Wenn Sie sich für eine Grabstätte auf dem Friedhof entschieden haben und der Stein schon gelegt oder gestellt ist, können Sie jetzt das Grab bepflanzen und schmücken. Wahrscheinlich holt der Schmerz Sie dort wieder ein, weil Ihnen der Tod so deutlich vor Augen tritt. Sie lesen den Namen des Verstorbenen, da steht es schwarz auf weiß. Atmen Sie tief ein und aus und denken Sie an den Verstorbenen, der auch Sie geliebt hat. Denken Sie dabei an besonders schöne, gemeinsam erlebte Momente. Das beruhigt. Denn jetzt erst beginnt die eigentliche Trauerarbeit.

Richtig verstanden ist Trauer ein aktiver Prozess, den man sich zwar nicht selbst auswählt, aber gestalten sollte.

Der Begriff „Trauerarbeit“ wurde erstmalig von Sigmund Freud, dem Begründer der modernen Psychoanalyse, verwendet. Damit vollzog er einen radikalen Wandel im Trauerverständnis: Über Jahrhunderte galt Trauer als ein Prozess, dem man als Betroffener ausgesetzt war. Irgendwann, so die Erfahrung, hatte die Zeit die meisten Wunden geheilt. Richtig verstanden ist Trauer aber ein aktiver Prozess, den man sich zwar nicht selbst auswählt, den man aber gestalten kann und sollte.

Die meisten von uns haben den natürlichen Umgang damit verlernt. Unsere nicht gelebte Trauer soll uns im Lauf der Zeit jedoch nicht krank machen. Deshalb müssen wir wieder lernen, ihr Raum und Ausdruck zu geben. Es ist wichtig, dass wir sie nicht verdrängen, sondern durchleben und regelrecht „durchschmerzen“. Denn bewusstes Trauern ist ein heilsamer Prozess, der hilft, mit neuer Energie ins Leben zurückzukehren. Das ist Arbeit, manchmal sogar Schwerstarbeit für die Seele eines Menschen. Deshalb sollte man in diesem Zusammenhang zutreffender von Traueraufgaben reden.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783869109190
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2010 (Dezember)
Schlagworte
Auseinandersetzung mit dem Tod Lebenshilfe Trauerarbeit Trauer-Bewältigung Trauer-Ratgeber Verlust verkraften

Autor

  • Annerose Sieck (Autor:in)

Im Abstand von nur fünf Monaten verstarben die Eltern der Journalistin und Autorin Annerose Sieck. Aus der Leere des Augenblicks entwickelte sie ein Konzept, um diesen Verlust zu verarbeiten und eine positive Sicht auf ihr Leben zurückzuerobern.
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Titel: Trauer bewältigen