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Neonatologie beim Hund

Von der Geburt bis zum Absetzen

von Axel Wehrend (Herausgeber:in)
208 Seiten

Zusammenfassung

Komplett aktualisiert und erweitert präsentiert dieses Buch das aktuelle klinische Wissen rund um die Betreuung des neugeborenen Hundewelpen.

Praxisnah zeigt es alle wichtigen Bereiche der Neugeborenenmedizin: von der embryonalen Entwicklung über die Geburt bis hin zum Alter von acht Wochen. Die Autoren beschreiben alle wichtigen Untersuchungen, Erkrankungen und Therapiemaßnahmen. Farbfotos und übersichtliche Tabellen veranschaulichen die ungestörte Welpenentwicklung sowie Krankheiten und deren Diagnostik und Therapie. Ein eigenes Kapitel beschäftigt sich mit der Organisation der Hundezucht in Deutschland.

Ein konkurrenzloses Werk auf dem deutschsprachigen Markt!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Autoren

Hartwig Bostedt Prof. Dr. Dr. h.c. mult., Prof. em. Klinikum Veterinärmedizin Justus-Liebig-Universität Gießen Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere mit Tierärztlicher Ambulanz Frankfurter Straße 106, 35392 Gießen

Ottmar Distl Prof. Dr.
Institut für Tierzucht und Vererbungsforschung Bünteweg 17p, 30559 Hannover

Christian Epe Dr., Dipl. EVPC
356 Columbus Ave., Apt. 2, Boston, MA 02116, USA

Peter Fahrenkrug Dr. Dr., Dipl. EVDC
Zahnarzt und Fachtierarzt Zahnheilkunde Kleintiere
Zusatzbezeichnung Tierzahnheilkunde und Zahnheilkunde
(Pferd)
Pinneberger Str. 43, 25451 Quickborn

Diane Hebeler Dr.
Fachtierärztin für Tierernährung und Diäthetik
Dorfstraße 15, 21261 Kampen

Patricia Kaulfuß Dr.
Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie
Sachverständige für Sachkundenachweise und Wesensprüfungen
Kleintierpraxis Rheinallee
Rheinallee 19, 55118 Mainz

Sabine Kölle Prof. Dr.
Fachtierärztin für Anatomie
Liebigweg 10, 85521 Ottobrunn

Udo Kopernik
Büllesfeld 2a, 53773 Hennef / Sieg

Martin Kramer Prof. Dr., Dipl. ECVDI,
Facharzt für Chirurgie
Fachtierarzt für Röntgenologie und andere bildgebende Verfahren
Fachtierarzt für Klein- und Heimtiere
Klinikum Veterinärmedizin Justus-Liebig-Universität Gießen Klinik für Klein- und Heimtiere – Chirurgie –
Frankfurter Straße 108, 35392 Gießen

Jill Manteufel Dr.
Fachtierärztin für Virologie
Neustädter Str. 20, 99947 Bad Langensalza

Cordula Poulsen Nautrup Prof. Dr.
Fachtierärztin für Anatomie
Zusatzbezeichnung Kardiologie (Kleintiere)
Ludwig-Maximilians-Universität
Tierärztliche Fakultät
Institut für Tieranatomie
Veterinärstraße 13, 80539 München

Susanne Schlieter Dr.
Glümerstraße 17, 79102 Freiburg

Uwe Truyen Prof. Dr.
Institut für Tierhygiene und Öffentliches Veterinärwesen
An den Tierkliniken 1, 04103 Leipzig

Axel Wehrend Prof. Dr., Dipl. ECAR,
Fachtierarzt für Reproduktionsmedizin
Klinikum Veterinärmedizin Justus-Liebig-Universität Gießen Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere mit Tierärztlicher Ambulanz
Frankfurter Str. 106, 35392 Gießen

Katja Wehrend Dr.
Fachtierärztin für Zuchthygiene und Biotechnologie der Fortpflanzung
Tierklinik am Stadtwald Frankfurt
Waldfriedstraße 10, 60528 Frankfurt am Main / Niederrad

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

Es hat mich gefreut, das ein Buch über Neonatologie beim Hund, eine Thematik, die zu den »exotischeren« Gebieten zählt, in relativ kurzer Zeit vergriffen ist, so dass eine Neuauflage notwendig wurde. Die Kapitel sind dazu sorgfältig durchgeschaut und soweit notwendig überarbeitet worden. Neu hinzugekommen ist ein Abschnitt über Zähne. Für die zahlreichen Hinweise aus der Tierärzteschaft und von Hundezüchtern möchte ich mich bedanken. Sie haben dazu beigetragen, das Buch zu verbessern.

Vielen Dank auch an Frau Dr. Simone Bellair und Frau Dr. Ulrike Oslage von der Schlüterschen Verlagsgesellschaft für die geduldige Betreuung.

Gießen, September 2012
Axel Wehrend

Vorwort zur 1. Auflage

Die Spezialisierung in der Kleintiermedizin nimmt stetig zu. Eine Vielzahl von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen sowie Fachbüchern beschäftigen sich mit Organsystemen und Problemkreisen, die noch vor wenigen Jahren als diagnostisch und therapeutisch nicht zugänglich galten. In Spezialkliniken werden Eingriffe am Hirn vorgenommen, eine Reihe angeborener Gefäßmissbildungen lassen sich erfolgreich operieren. Bei allem Fortschritt scheint es so zu sein, dass eine Patientengruppe »vergessen« wurde – der neugeborene Welpe bis zur achten Lebenswoche. Nur lückenhaft finden sich einzelne Aspekte der Besonderheiten dieser Lebensphase in den Büchern der Hundechirurgie und -internistik, sowie in den geburtshilflichen Werken. Eine zusammenfassende Darstellung der Hundeneonatologie fehlt zurzeit. Die »Neugeborenenkunde« von Walser und Bostedt erschien 1990 und ist seit Jahren vergriffen.

Ziel dieses Buches ist es, den derzeitigen Stand der caninen Neonatologie unter anwendungsorientierten Gesichtspunkten darzustellen. Dazu wurde eine Gruppe von Fachleuten gewonnen, die ihr Wissen zusammengetragen haben. Vieles ist nicht nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Medizin überprüft, sondern beruht auf Erfahrung, was die Wertigkeit der Ausführungen nicht schmälert. Die klinische Neugeborenenkunde beim Hund steht am Anfang. So fehlen kontrollierte Studien zum Medikamenteneinsatz bei verschiedenen Erkrankungen bisher fast völlig.

Diese Wissenslücke war Motivation das Buch herauszugeben. Daneben erscheint mir jedoch noch ein anderer Aspekt wichtig. Neonatologie ist weniger Apparatemedizin als Wissen, Einfühlungsvermögen und Geduld. Eine angemessene medizinische Versorgung von Hundewelpen und eine fundierte Züchterberatung lassen sich auch in der kleinsten Praxis ohne umfangreiche Investitionen umsetzen. Das Buch soll dabei helfen.

Um ein Problem bearbeiten zu können, muss man es erkennen. In diesem Zusammenhang möchte ich meiner ehemaligen Mitarbeiterin Dr. Katja Trasch danken, die mir die Augen für die canine Neonatologie geöffnet hat.

Dank gebührt Frau Ingeborg Franke, Präparatorin im Institut für Veterinäranatomie, für die Zeichnungen im 1. Kapitel.

Dank auch an Frau Dr. Simone Bellair und Frau Dr. Ulrike Oslage von der Schlüterschen Verlagsgesellschaft für die Umsetzung der Idee zum Buch und die geduldige Betreuung.

 

Langgöns, Oktober 2007
Axel Wehrend

1 | Gravidität und Geburt
Sabine Kölle, Axel Wehrend

1.1 Embryonale und fetale Entwicklung

Sabine Kölle

1.1.1 Entwicklung des frühen Embryos

Der Hund zeigt im Vergleich zu den anderen Haussäugetieren zahlreiche Besonderheiten bei der Fertilisation und der frühen Embryonalentwicklung. Während die Eizelle bei den meisten Haussäugetieren unmittelbar nach dem Eisprung befruchtungsfähig ist, wird die MeioseI beim Hund erst nach der Ovulation fortgeführt. Dies hat zur Folge, dass die Eizelle erst 2–3 Tage im Eileiter verbleiben muss, um befruchtungsfähig zu werden. Da zudem die Hündin bereits vor der Ovulation deckbereit ist und die Spermien im weiblichen Genitale etwa eine Woche lebensfähig bleiben, ist die exakte Bestimmung der Graviditätsdauer anhand des Decktermins nicht möglich.

Eizelle und Embryo halten sich beim Hund verhältnismäßig lange – nämlich 7–9 Tage – im Eileiter auf. Während sich die Cumuluszellen bei den meisten Haussäugetieren kurz vor oder nach der Befruchtung von der Eizelle lösen, bleiben diese beim Hund während des gesamten Aufenthaltes im Eileiter erhalten – sie umgeben also nicht nur die Eizelle während der Reifung, sondern umhüllen auch den frühen Embryo. Daher ist anzunehmen, dass sie für die frühe Entwicklung beim Hund eine wichtige Rolle spielen. Am 4. Tag post conceptionem (p. c.) entwickeln sich im Eileiter Zweizeller, am 6. Tag p. c. Achtzeller, am 7. Tag p. c. Vielzeller (Morulae). Am 8.-9. Tag entstehen durch Hohlraumbildung Blastozysten mit inner cell mass und Trophektodermzellen. Die Blastozysten werden durch die Kontraktion der glatten Muskulatur des Eileiters und durch den gerichteten Schlag der Kinozilien des Eileiterepithels in den Uterus transportiert. Die Embryonen bewegen sich zunächst frei innerhalb eines Horns und zwischen den beiden Uterushörnern. Am 12.-15. Tag p. c. entstehen an den Gebärmutterhörnern lokale Anschwellungen (Ampullen), die den Beginn der Bildung der Implantationskammern darstellen. Die Blastozyste in der Ampulle weist ab dem 10. Tag p. c. eine charakteristische Zitronenform auf (Abb. 1.1). Am 13.-15. Tag p. c. schlüpft die Blastozyste aus der Zona pellucida. Dies ist die essenzielle Voraussetzung für das weitere Größenwachstum und die Kontaktaufnahme des Embryos mit der Mutter (Implantation).

 

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Abb. 1.1
Entwicklung des frühen Embryos. Tag 10: zitronenförmiger Konzeptus im Stadium der Neurulation. Tag 16: schuhsohlenförmiger Embryo mit Gehirnanlage und Somiten. Tag 20: Schwanzknospenembryo mit Augenbläschen, Kiemenbögen und Herzwulst. 1: Neuralrinne, 2: Gehirnanlage, 3: Somiten, 4: Kiemenbögen, 5: Herzwulst.

 

1.1.2 Implantation

Die Implantation findet beim Hund zwischen dem 14. und 15. Tag p. c. statt. Sie läuft in drei Phasen ab:

Image Vorkontaktstadium: Es bestehen noch keine morphologisch sichtbaren Verbindungen zwischen Blastozyste und Endometrium.

Image Appositionsstadium: Die Blastozyste nimmt an punktförmigen Kontaktstellen Verbindung zum mütterlichen Epithel auf.

Image Adhäsionsstadium: Die Verbindung zwischen Embryo und Mutter ist so stark ausgeprägt, dass eine Trennung ohne Schädigungen nicht mehr möglich ist.

Der Hund weist eine zentrale Implantation auf, d. h. der Embryo liegt im Uteruslumen und nimmt so Kontakt zu dem maternalen Epithel auf.

1.1.3 Weitere Embryonal- und Fetalentwicklung

Nach der Implantation wird die Embryonalentwicklung fortgesetzt, indem sich durch Zellproliferation und Zelldifferenzierung die drei Keimblätter entwickeln. Zunächst entsteht das Ektoderm, dann das Entoderm und als Letztes das Mesoderm. Dieses Keimblatt spielt für die Entwicklung eine entscheidende Rolle, insbesondere bei der der Vaskularisation und der Ausbildung der Körperwände. Aus den Keimblättern entwickeln sich die Organanlagen. Als Erstes entsteht aus dem Ektoderm bereits am 16. Tag p. c. das Neuralrohr (Vorläufer von Gehirn und Rückenmark). Aus dem Mesoderm haben sich zu diesem Zeitpunkt die Somiten (Urwirbel) gebildet (Abb. 1.1). Am 20. Tag entsteht der C-förmige Schwanzknospenembryo, mit Augenbläschen, Kiemenbögen und prominentem Herzwulst. Am 22. Tag p. c. sind die Extremitätenknospen sichtbar. Am Ende der Embryonalperiode – d. h. um den 30. Tag p. c. – sind beim Hund alle wichtigen Organsysteme angelegt, die endgültige Körperform wird in ihren Grundzügen erkennbar (Abb. 1.2).

 

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Abb. 1.3
35 Tage alter Fetus. Die Augenlider sind ausgebildet, die Ohrmuschel bedeckt den Gehörgang vollständig, die Finger sind separiert.

Die anschließende Fetalperiode ist durch die Ausdifferenzierung der Organe und das schnelle Wachstum der Welpen gekennzeichnet (Abb. 1.3). Am 31.-32. Tag p. c. kommt es zum physiologischen Nabelbruch, d. h. der Darm wird aufgrund seines schnellen Wachstums kurzfristig aus der Körperhöhle heraus verlagert. Ab dem 35. Tag p. c. sind Augenlider ausgebildet, die Ohrmuscheln bedecken den Gehörgang und die Finger sind distal separiert (Abb. 1.3). Am 40. Tag wird der Darm wieder in die Körperhöhle zurückverlagert, die einzelnen Zehen sind sichtbar und die Krallen sind ausgebildet. Die vollständige Körperbehaarung des Welpen ist ab dem 52. Tag p. c. ausgeprägt. Hundewelpen werden als »Nesthocker« geboren, d. h. die Ausdifferenzierung einzelner Organe, wie z. B. der Lunge, ist bei der Geburt noch nicht beendet, die Augenlider und Gehörgänge sind geschlossen.

 

1.1.4 Entwicklung der Hüllen und Anhänge

Fruchthüllen schützen den Embryo vor Austrocknung, bieten mechanischen Schutz und übernehmen Ernährungs- und Atmungsfunktion. Die äußerste embryonale Hülle ist die Zottenhaut (Chorion), die beim Hund in einem gürtelförmigen Bereich lamellenförmige Oberflächenvergrößerungen zum Kontakt mit dem mütterlichen Gewebe ausbildet (Abb. 1.4, 1.6). Innen am Chorion befindet sich die Allantois. Sie ist essenziell für die Vaskularisation des Chorions und sammelt den fetalen Harn. Beim Fleischfresser umwächst die Allantois die innerste Fruchthülle, das Amnion, vollständig, so dass der Hundeembryo von zwei flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen umgeben ist. Deshalb steht das Amnion des Hundes – im Gegensatz zu dem vieler anderer Haussäugetiere – nicht in unmittelbarer Verbindung mit dem Chorion, so dass der Welpe mit intakter Amnionhülle geboren werden kann. Das Amnion muss dann umgehend entfernt werden, um ein Ersticken des Welpen zu verhindern. Die auf den Welpen befindliche Amnionflüssigkeit ist essenziell, damit die Mutter sich nach der Geburt um die Welpen kümmert. Der Dottersack übernimmt frühembryonal die Blutbildung und besitzt beim Hund Ernährungsfunktion durch Ausbildung einer Dottersackplazenta (Abb. 1.4). Der Nabelstrang des Hundes besitzt eine Amnion- und eine Allantoisscheide und beeinhaltet (a) die Aa. umbilicales, (b) die Vv. umbilicales, und (c) den Dottersackstiel mit Gefäßen. Die rechte Nabelvene wird intraembryonal zurückgebildet. Die Länge des Nabelstranges beträgt ca. die Hälfte der Körperlänge des Fetus.

 

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Abb. 1.5
Schnitt durch die Ampulle eines graviden Uterus in der 4. Woche der Trächtigkeit. Hämatoxilin-Eosin, 3x.
1: Plazentarlabyrinth, 2: oberflächliche Drüsenkammern, 3: tiefe Drüsen, 4: Myometrium.

1.1.5 Plazentation

Der Hund besitzt eine Vollplazenta (Placenta deciduata). Dies bedeutet, dass unter teilweisem Gewebsabbau eine sehr enge Verbindung zwischen äußerster embryonaler Hülle (Chorion) und Endometrium ausgebildet wird. Bei der Geburt werden dann Teile der Uterusschleimhaut als Decidua (»hinfällige Haut«) abgestoßen. In der Folge entstehen Wundflächen und Blutungen. Die enge Verbindung zwischen Embryo und Uterus entsteht, indem das Uterusepithel abgebaut wird, so dass die Zotten des Chorions sich direkt an das Endothel der mütterlichen Gefäße anlegen können (Abb. 1.5). Dies wird als Placenta endotheliochorialis bezeichnet. Das Chorion besitzt nur in einem gürtelförmigen Bereich der Ampulle Oberflächenvergrößerungen, so dass eine Gürtelplazenta (Placenta zonaria) vorliegt (Abb. 1.6, 1.7). Zur Oberflächenvergrößerung bildet das Chorion zunächst Zotten, die zungen- oder lanzettenförmig auswachsen und unter Gewebsauflösung in die Uterusschleimhaut eindringen. Es entstehen Chorionblätter oder -lamellen, die als vertikal gestellte Haupt- und Nebenblätter bis zu den oberflächlichen Drüsen der Uterusschleimhaut vorwachsen. Zwischen den Chorionlamellen wird ein endometriales Lamellensystem ausgebildet, so dass das für den Hund typische Plazentarlabyrinth entsteht (Abb. 1.5). Dabei wird das Chorionepithel zweischichtig. In Kontakt mit den mütterlichen Kapillaren entsteht, durch Auflösung der Zellgrenzen der an die maternalen Kapillaren grenzenden Chorionepithelschicht, der Synzytiotrophoblast. Am Chorionmesenchym wird der Zytotrophoblast ausgebildet. Diese beiden Schichten lösen das Uterusepithel und das subepitheliale Bindegewebe auf. Es entsteht die Drüsendeckschicht, d. h. Bindegewebe trennt die oberflächlichen und tiefen Drüsen. Die oberflächlichen Drüsen erweitern sich zu einem großen Teil zu Drüsenkammern, in welche die Blätter des Plazentarlabyrinthes hineinragen.

 

Seitlich von der Gürtelplazenta befindet sich die Paraplazenta, die aus einer Extravasatzone (Randhämatom) und einer Kontakt- oder Freipolarzone besteht. Durch Zerstörung mütterlicher Gefäße kommt es am Rand der Gürtelplazenta zu Blutungen. Die Abbauprodukte des Hämoglobins weisen eine grüne Farbe auf, so dass der für den Hund charakteristische »grüne Saum« entsteht (Abb. 1.7). Es wird angenommen, dass durch den Abbau des Blutes die Eisenversorgung des Embryos sichergestellt wird. In der Kontakt- oder Freipolarzone liegen sich die Epithelsprosse des Chorions und des Endometriums ohne Kontakt getrennt gegenüber. Zwischen den Implantationskammern, im Bereich der Internodien, bildet sich die Interplazenta aus, d. h. das Endometrium bleibt unverändert im präimplantativen Zustand. Die Internodien verschwinden am 40. Tag p. c., so dass der Uterus ab diesem Zeitpunkt ein gleichmäßig weites Rohr darstellt. Die in beiden Uterushörnern liegenden Fruchtsäcke können sich berühren und einstülpen. Im Gegensatz zu anderen Haussäugetieren kommt es aber beim Hund weder zu Verschmelzungen noch zur Anastomosenbildung. Daher gehen auch die Nachgeburten einzeln ab.

 

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Abb. 1.7
Fetus mit Gürtelplazenta in der 6. Woche der Trächtigkeit. Die Paraplazenta ist entfernt. Das Randhämatom (»grüner Saum«) ist deutlich sichtbar.

1.1.6 Altersbeurteilung der Frucht

Früher Embryo. Um das Alter des frühen Embryos bis zum 30. Tag p. c. zu bestimmen, eignet sich vor allem die Beurteilung der Form und der Ausprägung charakteristischer Strukturen. So ist der Konzeptus am 10. Tag p. c. zitronenförmig, die Vorläufer des zentralen Nervensystems werden angelegt (Neurulation), so dass eine Neuralrinne sichtbar ist (Abb. 1.1). Eine Woche später nimmt der Konzeptus schuhsohlenförmige Gestalt an, es sind acht Somitenpaare sowie Hirnbläschen angelegt. Am 20. Tag p. c. entwickelt sich der Schwanzknospenembryo. Er weist eine typische C-Form auf, die durch eine Kopfbeugung und eine Torsion des kaudalen Körperendes charakterisiert ist. Die ersten zwei Kiemenbögen, der prominente Herzwulst und der deutlich ausgebildete Schwanz sind gut zu erkennen (Abb. 1.1).

Am 30. Tag p. c. ist die Embryonalentwicklung abgeschlossen, so dass alle Organsysteme angelegt sind und die endgültige Körperform des Hundewelpen in ihren Grundzügen erkennbar ist. Bei der äußeren Betrachtung fallen an Strukturen die Gliedmaßenanlage in Form der Handplatte, die beginnende Ausbildung der Tasthaare an den Lippen und die Anlage der Augenbrauen auf. Zudem sind die beim Hund ausgebildeten fünf Zitzenpaare bereits gut erkennbar (Abb. 1.2).

Später Embryo und Fetus. Zur Altersbestimmung des späten Embryos und des Fetus wird in erster Linie die Größe herangezogen. Die Länge des späten Embryos oder Fetus wird mit Hilfe der Scheitel-Steiß-Länge (SSL) bestimmt, d. h. durch Messung des Abstandes zwischen Scheitel- und Steißhöcker. Abbildung 1.8 gibt einen Überblick über die SSL des Embryos/ Fetus in Abhängigkeit von der Trächtigkeitsdauer. Bei der Ultraschalluntersuchung geben der Transversaldurchmesser des Abdomens und die Größe des Kopfes wichtige Hinweise auf das Alter. Äußerlich sichtbare Hinweise auf das Alter des Feten sind der Entwicklungszustand der Gliedmaßenanlagen, der Augenlider, der Tasthaare, der Gonaden und der Körperbehaarung. Die Finger sind ab dem 35. Tag p. c. distal separiert, die Krallen ab dem 40. Tag p. c. ausgebildet. Zwischen dem 43. und dem 45. Tag p. c. sind die Finger vollständig getrennt und weit gespreizt. Die Augenlider sind spätestens ab dem 40. Tag p. c. ausgebildet und die Tasthaare ab dem 38. Tag p. c. sichtbar. Das äußere männliche Genitale ist ab dem 35. Tag p. c. erkennbar. Zwischen dem 30. und dem 40. Tag p. c. ist der physiologische Nabelbruch zu sehen, d. h. der Darm wird aus Platzgründen kurzfristig aus der Körperhöhle nach außen verlagert. Ca. 10 Tage vor der Geburt ist der Welpe vollständig behaart.

1.2 Geburt

Axel Wehrend

1.2.1 Trächtigkeitsdauer

Die Graviditätslänge beträgt zwischen 55 und 72 Tagen, wobei die meisten Hündinnen nach 63 ± 4 Tagen gebären, wenn der Zeitpunkt der Bedeckung als Tag 1 der Trächtigkeit gezählt wird (Tabelle 1.1). Diese hohe Variabilität erklärt sich daraus, dass Bedeckungs- und Konzeptionszeitpunkt mehrere Tage voneinander differieren können, weil die Kopulation und die Ovulationen in der Regel nicht am gleichen Tag erfolgen und die Spermien eines fertilen Rüden bis zu einer Woche im weiblichen Genitale befruchtungsfähig bleiben. Bei großen Würfen ist die Trächtigkeit verkürzt, bei geringer Welpenzahl oder im Falle einer Einlingsgravidität verlängert.

Tabelle 1.1: Durchschnittliche Trächtigkeitsdauer beim Hund in Abhängigkeit von unterschiedlichen Ereignissen

Ereignis Durchschnittliche Graviditätsdauer (Tage)
Bedeckung 62–68
LH-Peak 64–66
Beginn des zytogisch nachweisbaren Metöstrus 56–58
Ovulationen (Serumprogesteronkonzentration zwischen 4–15 ng/ml 62–64

 

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Abb. 1.8
Scheitel-Steiß-Länge (SSL) des Konzeptus in Abhängigkeit von der Trächtigkeitsdauer.

 

Das Wachstum der Feten findet bis kurz vor dem Partus statt, wobei in den letzten Tagen vor allem die Energiereserven in Form von Leberglykogen angelegt werden. Daher sind die letzten Tage der Gravidität entscheidend für die postnatale Vitalität. Eine Verkürzung der Trächtigkeit durch Geburtseinleitung kann somit zur Erhöhung der neonatalen Mortalität führen.

Die Trächtigkeit wird durch einen Progesteronabfall auf unter 1ng/ml beendet. Dieser geht der Expulsion des ersten Welpen 12 bis 40 Stunden (im Durchschnitt 24 Stunden) voraus. Infolge des Hormonabfalles kommt es zu einer temporären Absenkung der Körpertemperatur auf unter 37,2 °C. Innerhalb von 24 Stunden nach dem Temperaturabfall sollte die Hündin in die Geburt kommen. Mit Beginn des Partus steigt die Temperatur wieder in den physiologischen Bereich an. Die transiente Hypothermie kann daher zur Voraussage des Geburtszeitpunktes genutzt werden. Da sie nur zeitlich begrenzt ist, empfiehlt es sich, die rektale Körpertemperatur ab dem 55. Tag nach der Bedeckung dreimal täglich zu messen.

Übersteigt die Trächtigkeitsdauer 68 Tage oder kommt es nicht zur Geburt, obwohl der temporäre Temperaturabfall über 24 Stunden zurückliegt, sollte eine tierärztliche Kontrolluntersuchung duchgeführt werden.

1.2.2 Geburtsphasen

Die Geburt gliedert sich in die drei Abschnitte Öffnungsphase, Austreibungsphase und Nachgeburtsphase.

Öffnungsphase

Der Beginn der Öffnungsphase ist klinisch nicht zu erfassen. Aus diesem Grund variieren die Angaben zu deren Länge von 6 bis 36 Stunden. Die temporäre, vorgeburtliche Hyperthermie ist in der Regel nicht mehr nachzuweisen. Geruchsneutraler Schleim kann aus der Rima vulvae abgehen. Kontraktionen der Gebärmutter führen zur Weitung der Zervix, deren biophysikalische Eigenschaften sich in den letzten Tagen der Gravidität durch Umbauprozesse des Bindegewebes verändert haben. Viele Hündinnen zeigen ein nervöses und ruheloses Verhalten, welches von Lecken der Vulva und Nestbau unterbrochen wird. Die Nahrungsaufnahme wird häufig verweigert, Erbrechen kommt vor. Gerade junge Hündinnen können in dieser Phase eine große Anhänglichkeit entwickeln. Die Öffnungsphase ist ausgesprochen störungsempfindlich. Stressoren können zu einer Geburtsverzögerung führen.

Austreibungsphase

Es kommt zur Lösung der Plazenten und zur Expulsion der Welpen. Meist befindet sich die Hündin in Seitenlage. Zu den äußerlich nicht sichtbaren Wehen kommt als austreibende Kraft die Kontraktion der Bauchmuskulatur (Bauchpresse) hinzu. Das Einsetzen der Bauchpresse bei einer graviden Hündin in Seitenlage gilt als sicheres Anzeichen dafür, dass die Austreibungsphase begonnen hat.

Der intrauterine Druckanstieg führt zum Einreißen der Allantoisblase. Gelegentlich kann daher vor Geburt des Welpen der Austritt von farbloser Allantoisflüssigkeit beobachtet werden. Die Geburt des Welpen erfolgt im Amnion (Abb. 1.9). Dieses wird von der Hündin geöffnet, um ein Ersticken des Neugeborenen zu vermeiden. Weiterhin wird die Nabelschnur durchbissen und gekürzt. Während der Expulsion erhöht sich die maternale Herzfrequenz, die Atmung wird flach und hochfrequent, in der Regel hechelt die Hündin.

Die Mehrzahl der Welpen wird in Vorderendlage geboren, 40 % in Hinterendlage. Die Haltung ist gestreckt, die Wirbelsäule des Welpen liegt der Wirbelsäule der Mutter zugekehrt (obere Stellung).

Nach der Geburt des ersten Welpen kann der vaginale Ausfluss eine grünliche Farbe annehmen. Die grünliche Farbe entsteht durch das Freiwerden von Abbauprodukten des Hämoglobins aus dem Randhämatom bei Lösung der Plazenta (Abb. 1.7).

 

Geburtsdauer

Die Gesamtdauer der Geburt sollte 24 Stunden nicht überschreiten. Der zeitliche Abstand zwischen der Geburt der Welpen ist recht variabel und liegt im Mittel bei zwei Stunden. Während der Abstand zwischen dem ersten und zweiten Welpen oft verlängert ist, betragen die weiteren Zwischenexpulsionsintervalle etwa 30 Minuten. Gegen Ende der Geburt verlängert sich der Abstand wieder. In den Geburtspausen leistet die Hündin Brutpflege und die Welpen beginnen zu trinken. Die saugreizvermittelte Oxytozinausschüttung wirkt sich dabei positiv auf den weiteren Geburtsvorgang aus. Die Geburtspausen sind für die Brutpflege, zur Erholung des Muttertieres und zur Vermeidung einer übermäßigen intrauterinen Hypoxie der Feten notwendig.

Nachgeburtsphase

In der Regel wird die Nachgeburt innerhalb von 15 Minuten nach Expulsion des Welpen ausgestoßen und verzehrt, so dass die meisten Nachgeburten bereits in der Austreibungsphase geboren werden (Abb. 1.10). Die letzte Nachgeburt sollte 2 Stunden nach Geburt des letzten Welpen abgegangen sein. Häufig zeigt die Hündin Plazentophagie. Das Verzehren der Nachgeburt ist ein physiologisches Verhalten, kann jedoch bei einigen Muttertieren zu dunkel-grünlichen Durchfällen führen. Dies tritt vor allem nach größeren Würfen auf, so dass es sinnvoll ist, nicht mehr als vier Nachgeburten von der Hündin aufnehmen zu lassen.

1.2.3 Einfluss des Geburtsablaufes auf die neonatale Mortalität

Die neonatale Mortalität schwankt außerordentlich, wobei die meisten Welpen in den ersten dren Tagen nach dem Partus versterben. Der Geburtsverlauf hat einen signifikanten Einfluss auf die Vitalität der Welpen und deren Mortalitätsrate. Bereits bei ungestörtem Partus erhöht sich das Krankheitsrisiko für die zuletzt geborenen Welpen. Die Ursache wird in einer pathologischen intrauterinen Sauerstoffunterversorgung gesehen. Jede Wehe führt durch Kompression der plazentaren Gefäße zu einer temporären Hypoxie. Je länger und je häufiger diese einwirkt, desto gefährdeter sind die Feten. Insbesondere der wiederholte iatrogene Einsatz von Oxytozin ohne Fortschreiten der Geburt führt auf diese Weise zu einer nachhaltigen Schädigung der Feten. Dieser Zusammenhang erklärt, warum die neonatale Mortalität in einigen Erhebungen nach medikamenteller Geburtshilfe höher ist, als nach frühzeitiger Durchführung einer Sectio caesarea.

Ob eine pathologische intrauterine Hypoxie vorliegt, kann durch eine transabdominale sonographische Auszählung der fetalen Herzfrequenz erkannt werden. Diese sollte über 200 Schläge pro Minute liegen. Bei Sauerstoffminderversorgung fällt die Herzfrequenz ab. Liegt der Wert unter 130 Schläge pro Minute ist das Vorliegen einer fetalen Hypoxie wahrscheinlich. Bei einer fetalen Herzfrequenz von 100 Schlägen pro Minute oder darunter ist die Prognose für das Überleben post natum schlecht.

Zunehmend wird bei Rassen, die zu Geburtsschwierigkeiten neigen, ein elektiver Kaiserschnitt bzw. eine Geburtseinleitung durchgeführt. In diesen Fällen ist die die neonatale Mortalität erhöht.

Tabelle 1.2: Einflussfaktoren auf die Wurfgröße

Rasse
Körpermasse
Rumpflänge
Bedeckungs-/Besamungszeitpunkt
Alter der Hündin
Intensität der Zuchtnutzung
Fütterung
Embryonale Resorption

1.3 Antepartale Einflussfaktoren auf Wurfgröße und Welpenvitalität

Axel Wehrend

1.3.1 Wurfgröße

Die maximale Wurfgröße wird durch die Anzahl ovulierter Eizellen begrenzt. Nach der Konzeption kommt es durch Absterben einiger Embryonen und deren Resorption zu einer Reduktion der Konzepti, die meist symptomlos verläuft. Dass nicht alle Eizellen erfolgreich befruchtet werden und ein Teil der Embryonen abstirbt erklärt, warum die Anzahl der Gelbkörper nicht mit der Wurfgröße übereinstimmen muss. Es wird von einer embryonalen Resorptionsrate zwischen 2 und 13 % ausgegangen. Die Resorptionsrate soll umso höher sein, je mehr Eizellen befruchtet wurden. Durch dieses biologische Regulativ kommt es zu einer Verminderung der Welpenzahl auf die physiologische Wurfgröße, was als Schutzmechanismus vor einer Gebärmutterüberladung interpretiert werden kann.

Eine Reihe von Faktoren nimmt Einfluss auf die Wurfgröße (Tabelle 1.2).

Rasse, Körpermasse und Rumpflänge. Grundsätzlich besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Körpergröße und durchschnittlicher Welpenzahl. Zwergrassen gebären im Durchschnitt 3 bis 4, mittlere Rassen 6 bis 7 und große Rassen 7 bis 9 Welpen (Tabelle 1.3). Von dieser Grundregel gibt es einige Ausnahmen. Die durchschnittliche Wurfgröße beim Dackel ist größer als bei Rassen mit vergleichbarer Widerristhöhe aber kürzerem Körper. So scheint nicht die Widerristhöhe sondern die Rumpflänge in erster Linie mit der Wurfgröße positiv korreliert zu sein.

Tabelle 1.3: Durchschnittliche Wurfgröße bei einigen Hunderassen

Rasse Durchschnittliche Wurfgröße (Anzahl der Welpen)
Bernhardiner 7–9
Deutscher Schäferhund 6–8
Boxer 6–7
Airdale Terrier 7–8
Cocker Spaniel 5–6
Yorkshire Terrier 3–4
Papillon 2–5

Riesenrassen neigen zur pathologischen Vielfrüchtigkeit, der so genannten Hyperfetation. Daneben scheint der Irish Setter eine Prädisposition zu großen Würfen aufzuweisen. Regelmäßig tauchen Berichte auf, die bei dieser Rasse Wurfgrößen über 10 bis zu 22 Welpen dokumentieren. Bei Vorliegen einer Hyperfetation kommt es aufgrund des Platzbedarfes der Gebärmutter, der Kreislauf- und Stoffwechselbelastung der Hündin und des erhöhten Nährstoff- und Energiebedarfes der Feten im letzten Drittel der Gravidität regelmäßig zu Gesundheitsstörungen des Muttertieres, denen prophylaktisch durch angepasste Ernährung und Haltung zu begegnen ist (Kapitel 12). Hündinnen mit Hyperfetation neigen zu Geburtsstockungen, die wiederum eine erhöhte neonatale Mortalität bedingen können.

Einlingswürfe führen dagegen nicht zu Graviditätsstörungen. Sie sind jedoch mit einer erhöhten Rate von Schwergeburten verbunden. Dies ist darin begründet, dass ein einzelner Fetus in der Regel eine größere Körpermasse aufweist, die zum mechanischen Geburtshindernis wird, als wenn eine physiologische Wurfgröße vorliegt. Einlingsgraviditäten werden häufiger bei kleineren Hunderassen beobachtet.

Bedeckungszeitpunkt. Eine zu frühe oder zu späte Bedeckung in Relation zum Ovulationszeitpunkt resultiert nicht nur in einer Abnahme der Konzeptionsrate, sondern auch in einer Reduktion der Welpenzahl. Diese Zusammenhänge werden bei instrumenteller Samenübertragung noch deutlicher. Ein falscher Besamungszeitpunkt kann zu einer Verringerung der Wurfgröße führen. Ebenso werden nach intravaginaler Besamung mit aufgetautem Tiefgefriersperma im Durchschnitt weniger Welpen geboren, als wenn die Besamungsportion intrauterin abgesetzt wird.

Alter und Zuchtnutzung. Die Welpenzahl nimmt mit zunehmendem Lebensalter der Hündin und bei intensiver Zuchtnutzung ab.

Fütterung. Der Einfluss der Ernährung auf die Wurfgröße ist vielfältig. Zum Zeitpunkt der Belegung adipöse Hündinnen weisen häufig geringere Welpenzahlen auf als Tiere mit rassetypischem Körpergewicht. Massive Mangelernährung in der frühen Gravidität kann zur Erhöhung der embryonalen Resorptionsrate führen. Fehler in der Fütterung während der Fetalperiode werden meist vom maternalen Organismus kompensiert. Bevor es zum Absterben der Feten kommt, zeigt das Muttertier Krankheitssymptome.

Embryonale Resorption. Die embryonale Mortalität, welche in gewissen Grenzen als biologisches Regulativ zu werten ist, kann pathologisch erhöht sein. Als wichtigste infektiöse Ursache sind Herpesviren zu nennen, wenn die Infektion des Muttertieres vor dem 30. Tag der Trächtigkeit stattfindet (Kapitel 10).

Diagnostisches Vorgehen. Ist die diagnostische Abklärung der Ursache einer zu geringen Wurfgröße verlangt, sollte im ersten Schritt festgestellt werden, ob die Anzahl der Welpen überhaupt eine Abweichung vom Rassemittel darstellt. Weiterhin ist zu überprüfen, ob Fehler im Deckmanagement die Ursache darstellen können oder das Lebensalter des Muttertieres oberhalb des gängigen Zuchtnutzungsalters liegt. Abschließend ist die Art und Weise der Fütterung zu analysieren. Die Entnahme einer Serumprobe zur Untersuchung auf Antikörper gegen das Canine Herpesvirus kann sinnvoll sein, wenn die Hündin nicht gegen dieses Virus geimpft wurde, da keine Unterscheidung zwischen Antikörperbildung nach Feldvirusinfektion oder Impfantigenexposition vorgenommen werden kann.

1.3.2 Welpenvitalität

Unter der Vitalität eines Welpen wird seine Fähigkeit verstanden, sich unter extrauterinen Lebensbedingungen im Rahmen der physiologischen Grenzen so zu verhalten, dass die organische und ethologische Adaptation voranschreitet. Bereits antepartal nimmt eine Reihe von Faktoren Einfluss auf die Welpenvitalität (Tabelle 1.4).

Körpermasse. Die Geburtsmasse hat einen hochsignifikanten Einfluss auf die Vitalität. Je größer die Körpermasse, desto höher ist die Vitalität. Seine Grenze findet dieser positive Zusammenhang dann, wenn die Körpermasse der Welpen zum Geburtshindernis wird. Das mittlere relative Wurfgewicht (Gewicht des Gesamtwurfes in Prozent, bezogen auf die Körpermasse der Mutter) zwischen 11 und 12 % ist über die Rassegrenzen hinweg weitestgehend konstant. Die relativen Geburtsgewichte der Einzelwelpen, bezogen auf das Körpergewicht der Hündin, sind bei kleinen Rassen jedoch deutlich höher als bei großen. Die Unterschreitung des durchschnittlichen Geburtsgewichtes der Rasse wird als Hypotrophie bezeichnet. Kaum eine Chance auf Überleben haben Welpen, deren Geburtsgewicht weniger als 75 % des Rassestandardgewichtes beträgt (Kapitel 6). Eine Reduktion der Geburtsmasse geht insbesondere zu Lasten der Energiereserven, die in erster Linie in Form von Leberglykogen angelegt werden und zur Deckung des Bedarfs in den ersten Stunden post natum dienen, bis Energie aus der Nahrungsaufnahme zur Verfügung steht. Die Verminderung der Glykogenmenge bedeutet einen Verlust an postnataler Vitalität und erhöht das Risiko, am Hypothermie-Hypoglykämie-Syndrom zu erkranken (Kapitel 9).

Tabelle 1.4: Faktoren, die zur Reduktion der Welpenvitalität führen können

 
Körpermasse
Fütterung
Trächtigkeitsdauer
Wurfgröße
Alter der Mutterhündin
Welpengeschlecht
Defektgene
Infektionen

Fütterung. Ursachen für eine Hypotrophie können eine Verkürzung der Graviditätsdauer oder eine Mangelversorgung des Muttertieres mit Energie, Eiweiß und Vitamin B12 sein (Kapitel 12). Gehalte von weniger als 10 g verdaulichem Eiweiß pro Megajoule umsetzbare Energie, oder unter 15 g verdauliches Eiweiß pro Megajoule umsetzbare Energie in Kombination mit kohlenhydratfreier Ernährung führen zu einer Reduktion der Energiereserven der Neonaten. In diesen Fällen sind alle Welpen des Wurfes betroffen. Der Grund, warum einzelne Welpen eines Wurfes hypotroph sind, während die Geschwister ein physiologisches Gewicht aufweisen, ist unklar. Diese Beobachtung wird gehäuft bei größeren Würfen gemacht. Ursächlich kommt eine ungleiche intrauterine Versorgung der Feten in Frage.

Trächtigkeitsdauer. Jede Reduzierung der Graviditätsdauer birgt in sich die Gefahr, dass die Wachstumsphase der Feten und damit die Zeitspanne, in der die Glykogenreserven angelegt werden, verkürzt wird. Weiterhin besteht das Risiko, dass die Ausreifung der Organsysteme nicht soweit fortgeschritten ist, wie es für ein extrauterines Leben notwendig ist. Welpen mit unreifer Organfunktion werden als prämatur bezeichnet. Auch bei ausgesprochenen Nesthockern, wie sie Hundewelpen darstellen, ist ein funktionierendes Surfactantsystem notwendig, um den Gasaustausch in der Lunge zu gewährleisten. Prämaturität liegt in der Regel vor, wenn die Graviditätsdauer unter 55 bis 57 Tage beträgt. Diese Zusammenhänge sollten bedacht werden, bevor eine Geburt eingeleitet wird.

Wurfgröße. Mit steigender Wurfgröße nimmt die neonatale Mortalität zu. Dadurch reduziert sich die anfangs hohe Welpenzahl großer Rassen bis zum Alter von einer Woche oft erheblich. Ursächlich kommen infrage:

Image der Antagonismus zwischen Welpenzahl und Geburtsmasse,

Image eine Verlängerung der Geburt bei vielen Nachkommen,

Image eine mangelhafte Milchversorgung post natum,

Image eine Verkürzung der Graviditätsdauer, die bei großen Würfen beobachtet wird.

Alter der Mutterhündin. Mit steigendem Alter der Mutterhündin steigt die Welpensterblichkeit. Dieser Zusammenhang spielt durch die Altersbeschränkungen der Zuchtvereine jedoch in der Regel keine Rolle, da die Hündinnen in einem Lebensalter aus der Zucht genommen werden, in dem diese Wechselwirkung noch keine praktische Relevanz besitzt.

Verhalten der Mutterhündin. Sowohl eine übersteigerte als auch eine verminderte Brutpflege kann sich negativ auf die Welpenvitalität auswirken.

Geschlecht. Die peri- und neonatale Mortalität ist statisch gesehen bei männlichen Welpen größer. Die Ursache wird in Y-Chromosomen-assoziierten Letalfaktoren gesehen.

Defektgene. Es ist eine Reihe von Rassen bekannt, bei denen Mutationen neben einem gewünschten Phänotyp zu einer Reduktion der Welpenvitalität und einer Erhöhung der perinatalen Mortalität führen, insbesondere dann, wenn die Mutation bei Verpaarung von heterozygoten Anlageträgern homozygot vorkommt. Bekannte Beispiele sind der Merle-Faktor und die Haarlosigkeit bei Nackthunden. Für den Merle-Faktor homozygote Tiere zeigen neben verschiedenen Missbildungen an den Sinnesorganen eine perinatale Sterblichkeit, die deutlich über 40 % liegt. Nackthunde sind für das Nacktgen heterozygot und besitzen daher an einigen Körperstellen noch eine Behaarung. Bei Verpaarung von zwei Nackthunden kommt es im Durchschnitt bei 25 % der Nachkommen zur Homozygotie des Defektgens. Diese Tiere sind nicht lebensfähig. Sie sterben kurz vor, während oder im Anschluss an die Geburt.

Infektionen. Infektionen des Muttertieres während der Gravidität können ohne Einfluss auf die Welpen bleiben, zum embryonalen oder fetalen Fruchttod und zum Abort führen. In einigen Fällen ist zudem die Geburt lebensschwacher Welpen beschrieben. Diese Symptomatik ist für Infektionen mit Brucella canis und dem Caninen Herpesvirus nachgewiesen. In Deutschland spielt die kanine Brucellose derzeit keine Rolle. Dagegen ist die Herpesvirusinfektion eine bedeutende Ursache erhöhter neonataler Mortalität (Kapitel 10).

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2 | Physiologische und anatomische Besonderheiten beim neugeborenen Welpen
Hartwig Bostedt, Cordula Poulsen Nautrup, Susanne Schlieter

2.1 Entwicklungsphasen bis zur 4. Lebenswoche

Hartwig Bostedt

Hundewelpen gehören aus biologisch-neonatologischer Sicht zur Gruppe der echten Nesthocker. Entwicklungsstand und Körpermasse können zwischen den Wurfgeschwistern leicht differieren, da die Befruchtung der Eizellen im ovarseitigen Abschnitt des Salpinx zeitversetzt erfolgt. Dies bedeutet, dass kanine Neonaten zum Zeitpunkt der Geburt eine um 2–4 Tage differierende embryonal-fetale Entwicklungsdauer aufweisen.

Dadurch entstehende leichte Abweichungen in der neurologischen Reifestufe zwischen den Wurfgeschwistern sind klinisch nur schwer auszumachen, es sei denn, es handelt sich um krankhafte Prozesse. Das Neugeborenengewicht hingegen stellt ein bedingt aussagekräftiges Beurteilungskriterium der uterinen Entwicklungsdauer dar. In diesem Zusammenhang darf jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Geburtsgewicht neben der etwas abweichenden uterinen Entwicklungsdauer auch vom Geschlecht sowie von der individuellen Plazentagröße abhängig ist. Letztere nimmt insbesondere dann einen wesentlichen Einfluss auf die Körpermassenentwicklung, wenn die Wurfgröße über dem rassespezifischen Durchschnitt liegt (Hyperfetation) oder endometriale Degenerationen bestehen. Diese werden ausgelöst durch Störungen aus vorangegangenen Graviditäten, gynäkologische Erkrankungen (u. a. Endometritis) oder aus altersbedingten Gründen (maternales Alter >10 Jahre).

Die bei der Geburt vorhandene neurologische Unreife ist der-Grund dafür, dass kanine Neonaten in den ersten drei bis vier Wochen der postnatalen Periode vollständig von der mütterlichen Fürsorge abhängig sind. Dazu kommt, dass sie in dieser Zeit einen eng umgrenzten Raum benötigen, der Wärme und Sicherheit bietet. Für diesen Raum sind im Wesentlichen die Umgebungstemperatur und das so genannte funktionelle U ausschlaggebend. Letzteres wird von der Hündin gebildet, indem sie nach Beendigung der Geburt für die nächsten 2–3 Tage ununterbrochen in seitlich-liegender Position bei den Welpen bleibt und einen, von der Gesäugeleiste und den ausgestreckten Extremitäten umgrenzten, Halbkreis bildet (Abb. 2.1).

 

image

Abb. 2.1
Von dem Muttertier gebildetes Halbrund, in dem sich die Welpen in den ersten Lebenstagen aufhalten (so genanntes funktionelles U).

2.1.1 Postnatale Adaptationsperioden

Der frühe postnatale Entwicklungsabschnitt ist je nach Organfunktionsmanifestation in drei Abschnitte oder Adaptationsperioden zu untergliedern, wobei neonatologisch-physiologische Aspekte mit denen der klinischen Praktikabilität kombiniert werden. Folgende Unterteilung hat sich aus klinischer Sicht bewährt:

Image Erste Adaptationsperiode = 0–24 Stunden p. n.

Image Zweite Adaptationsperiode = 2. bis 14. Lebenstag

Image Dritte Adaptationsperiode = 15. bis 28. Lebenstag

Erste Adaptationsperiode

Sie beginnt unmittelbar nach Expulsion des Fetus aus der Rima vulvae in Verbindung mit der Durchtrennung des Nabelstranges und ist mit Abschluss des ersten Lebenstages beendet. In ihr liegt zuerst die Sicherung der primären Lebensvorgänge wie Aufnahme des pulmonalen Gasaustausches nach Stimulation der Atmung, die Anpassung der Herz-Kreislauf-Situation sowie die Stabilisierung der Vigilanz. Es folgt in den kommenden Stunden die Ausprägung der fundamentalen Reflexe mit Angleichung der hämodynamischen Verhältnisse vom uterinen zum postuterinen Dasein sowie die Versorgung des neonatalen Organismus mit Energie und Festigung der passiven Immunitätslage im Rahmen der ersten Nahrungsaufnahme. Dazu kommt, dass sich die Körperkerntemperatur reguliert. Diese erste Lebensphase unmittelbar nach der Geburt ist somit nochmals zu unterteilen in die:

Image Periode zwischen Geburt und Stabilisierung des kardio-respiratorischen Systems (Geburt bis eine Stunde post natum). Dies gilt als kritischste Zeit zwischen intrauterinem und extrauterinem Leben.

Image Periode zwischen der 2. und 24. Lebensstunde. In ihr sind die Nahrungsaufnahme und Stabilisierung der Körperkerntemperatur auf der Grundlage endogen-endokrin-metabolischer und exogener Faktoren (Umwelttemperatur, Keimbesiedelung des Organismus) von Bedeutung.

Zweite Adaptationsperiode

Sie erstreckt sich vom 2. bis zum 14. Lebenstag. In ihr kommt es zur weiteren progressiven postnatalen Entwicklung des Nervensystems, zur Umstellung der Beugemuskel- auf Streckmuskeldominanz, zur Turgorzunahme und Festigung des Halteapparates im Kopf- und Nackenbereich sowie zur Stützreaktion der Vordergliedmaßen. Auch die Reifung anderer Organkomplexe nimmt zu, das Blutbildungssystem beginnt zu arbeiten. In ihr prägt sich zudem die Resorptionsleistung des gastroenteralen Systems aus, Leber- und Pankreasfunktion werden aufgenommen und es kommt zur weiteren Ausreifung der Nierentätigkeit, wodurch die Kontrolle des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes ermöglicht wird. Am Ende dieser zweiten und zu Beginn der dritten Adaptationsperiode liegt der Zeitpunkt, zu dem die Funktion der Sinnesorgane wie Augen und Ohren einsetzt, sich die Reflexe gefestigt haben und es zu einer Steigerung der Mobilität kommt (Tabelle 2.1). Die anfänglich langen Schlafphasen werden zu Gunsten der Wachphasen allmählich reduziert. Innerhalb der ersten 10 Lebenstage muss sich das Geburtsgewicht verdoppelt und die Körperkerntemperatur leicht angehoben haben (36,5–37,5 °C).

Dritte Adaptationsperiode

Sie umfasst die Zeit zwischen Ende der 2. und 4. Lebenswoche. In diesem Abschnitt kommt es zur weiteren Anhebung der Körperkerntemperatur, so dass sie am Ende nahe bei den Adultwerten liegt, zur Zunahme der gerichteten Mobilität und zur Ausbildung ausgeprägter Wachphasen mit Stabilisierung der Funktion der Sinnesorgane. Die Zahnung beginnt. Die Aufnahme der willkürlichen, eigenkörperlichen Kontrolle über die Defäkation und Miktion liegt am Ende der 3. Lebenswoche (Tabelle 2.1).

Tabelle 2.1: Einige physiologische Normwerte des kaninen Neonaten in den ersten 28 Lebenstagen (1.–3. Adaptationsperiode)

Kriterium Anmerkungen
Mobilität Anfänglich wärmeorientierte Suchbewegungen, Umstellung der Beugemuskel- in die Streckmuskeldominanz als Zeichen einer fortschreitenden nervalen Reife ab dem 4. Lebenstag, ab 10. Tag erste Steh- und Laufversuche, zunehmende Mobilität
Wach- und Schlafphasen Lange Schlafphasen (90 % des Tages), kurze Wachphase (10 % des Tages) bis 7./8. Tag, dann Zunahme der Länge der Wachphasen, Muskelzuckungen in den Schlafperioden
Entwicklung der Sinnesorgane Bei Geburt taub und blind, Öffnung der Augen ab 10. bis 14. Lebenstag, Fokussierung ab 21.–28. Tag, ab 13.–15. Tag Öffnung der Ohren und damit Erreichen einer Geräuschempfindlichkeit
Miktion und Defäkation Bis 16. Tag durch das Muttertier induziert, ab 21. Tag zunehmende willkürliche Kontrolle des Harn- und Kotabsatzes
Gewichtsentwicklung Verdoppelung des Geburtsgewichtes innerhalb der ersten 10 Lebenstage
Körpertemperatur Unmittelbar nach der Geburt Abfall von 39 °C auf 35,5 °C, Steigerung in den ersten 10 Tagen auf mindestens 36,5 °C, dann bis zum 20./30. Tag auf über 38 °C
Nabel Der trockene Nabelrest fällt zwischen 2. und 3. Tag post natum ab, die Nabelwunde epithelisiert

2.1.2 Gewichtsentwicklung

Die Geburtsgewichte eines Wurfes sind in erster Linie von der Rasse abhängig, bei Mischlingshunden von paternalen und maternalen Faktoren (Tabelle 2.2). Es bestehen auch minimale geschlechtsassozierte Differenzen.

Zum Zeitpunkt der Geburt muss ein Fetus mindestens 75 % des Graviditätsendgewichtes erreicht haben, ansonsten ist von einer Unreife oder Unterentwicklung auszugehen.

Ein kaniner Neonat verliert normalerweise in den ersten 24 Stunden 10 % seines Körpergewichtes, ehe es zu einem Anstieg der Körpermasse kommt. Der Gewichtsverlust innerhalb des 1. Lebenstages sollte sich aber nicht über der Grenze von 10 % bewegen. Welpen müssen innerhalb der ersten 10 Lebenstage eine Körpermasse erreichen, welche 80–100 % über dem Geburtsgewicht liegt. Bei der Beurteilung der Gewichtsentwicklung ist zu beachten, dass Neonaten, die die beiden kaudalen Gesäugekomplexe besaugen, eine größere Lebendmassezunahme und höhere Überlebenschancen haben als die übrigen Wurfgeschwister (Tabellen 2.2, 2.3).

Tabelle 2.2: Rasseabhängige Geburtsgewichte

Rasse Geburtsgewicht
Zwergrassen 100–200 g
Mittelgroße Rassen 200–400 g
Große Rassen 400–500 g
Übergroße Rassen ≥ 600 g

Tabelle 2.3: Postnatale Entwicklung des Körpergewichtes unter natürlichen Aufzuchtbedingungen

Zeit post natum Körpermassenzunahme
8–10 Tage Verdoppelung des Geburtsgewichtes
20 Tage Gewichtszunahme bis zum Fünf-(Sechs-)fachen des Geburtsgewichtes

2.1.3 Temperaturentwicklung

Unmittelbar post natum hat der Welpe noch die intrauterine Umgebungstemperatur (um 39 °C). Innerhalb der ersten Lebensminuten fällt die Körperkerntemperatur aber rapide ab, auf Werte um 35,5 °C, weil die Thermoregulation noch nicht voll funktioniert. Erst in der zweiten Lebenswoche nimmt die Körperkerntemperatur kontinuierlich zu (Tabelle 2.4).

Tabelle 2.4: Entwicklung der Körperkerntemperatur

Zeitpunkt post natum Körperkerntemperatur
Unmittelbar post natum ≥ 39 °C
1. Lebensstunde 35,5–36,5 °C
1. Lebenswoche 36,0–36,5 °C
2. Lebenswoche 37,5–38,0 °C
ab 3. Lebenswoche >38 °C

2.1.4 Schlafverhalten

Neugeborene Welpen haben lange Schlafphasen. Rund 90 % der Zeit verbringen sie in den ersten Lebenstagen in einem schlafähnlichen Zustand (Tabelle 2.1). Hierbei wird zwischen ruhigem und aktiviertem, paradoxem Schlafverhalten unterschieden. Letzteres ist dadurch geprägt, dass es von Muskelzuckungen, Lautäußerungen sowie unregelmäßiger Herz- und Atemtätigkeit begleitet wird. Diese Kriterien gehören zu einem gesunden, normal ausgebildeten Welpen in der ersten Entwicklungsperiode. Das Verhalten innerhalb der paradoxen Schlafphase kann deshalb auch zur klinischen Beurteilung herangezogen werden. Fehlt es, wäre dies ein Anzeichen für krankhafte allgemeine oder neurologische Störungen.

Ist der Anteil an paradoxen Schlafphasen normalerweise bis zum Ende der 2. Adaptationsperiode sehr hoch (ca. 90 %), verringert er sich in der Folgezeit erheblich und sinkt auf ca. 30 % (4. Lebenswoche) ab. Im Gegenzug nehmen Ruhe-, Schlaf- und Wachphasen zu. Am Ende der 3. Lebenswoche hat die Wachphase 50 % Anteil, am Ende der 4. Lebenswoche 70 %. Die vorherrschende Schlafhaltung in den ersten Lebenstagen ist die Bauchlage, die dann schnell in die Seitenlage überwechselt. Welpen liegen im lockeren Verband eng an der Mutter. Nur wenn die Umgebungstemperatur abgesunken ist (<18,0 °C), liegen sie dicht gedrängt, teilweise übereinander, wobei sie die Positionen wechseln (dynamischer Haufen), um so den endogenen Wärmeverlust beim einzelnen Welpen durch Wechsel von der Außen- zur Innenposition in Grenzen zu halten.

2.2 Entwicklung der Organfunktionen

2.2.1 Lungenfunktion

Hartwig Bostedt

Der Gasaustausch zwischen fetalem und mütterlichem Blut geschieht bis zum Zeitpunkt der Geburt über Diffusionsvorgänge in der Plazenta. Die suffiziente fetale Oxygenisierung ist die Basis für fetales Wachstum und Entwicklung. Mit Eintritt der Geburt kommt es durch die Wehenbildung zur Reduktion des utero-plazentären Blutflusses im Myometrium, mit Bildung partieller ischämischer Abschnitte. Die Veränderung der hämodynamischen Verhältnisse in der uterinen Zirkulation führt zur Lösung der materno-fetalen Verbindung. Bis zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Partus noch eine plazentäre Versorgung besteht und wann diese im Stadium II (Austreibungsphase, Kapitel 1.2.2) völlig abbricht, ist noch nicht näher bekannt. Tatsache ist aber, dass mit Eintritt des Welpen in den vaginalen Bereich des weichen Geburtsweges die Plazenta bereits gelöst ist. Ab diesem Zeitpunkt ist offensichtlich die maternale Sauerstoffversorgung beendet und der Fetus in dieser Hinsicht sich selbst überlassen.

Diese biologischen Vorgänge im Verlauf der Geburt bedingen eine zunehmende Verminderung der Sauerstoffversorgung (Hypoxie) und Steigerung der CO2-Spannung (Hyperkapnie) in den fetalen Geweben. Unter der Geburt werden deshalb nur momentan lebenswichtige Organe (Herzmuskel, Gehirn) ausreichend mit Sauerstoff versorgt, während andere bis auf die Basisversorgung abgeschaltet werden (Sauerstoff-Sparschaltung). Die Gefahrenzone einer ungenügenden Oxygenisierung ist erreicht und klinisch nachweisbar, wenn unter der Geburt die Herzschlagrate von 180–200 auf unter 150 pro Minute sinkt. Das bedeutet, dass die bereits reduzierte, intrapartale Sauerstoffversorgung nun völlig zusammen gebrochen und die Vigilanz gefährdet ist.

Jeder Neonat kommt mit einer milden Hypoxie-Hyperkapnie und einem leicht abgesunkenen Säure-Basen-Verhältnis (Azidämie) zur Welt. Dies ist der Auslöser dafür, dass das Atemzentrum angeregt wird und es zur Induktion der ersten Atemzüge kommt. Die primären Atemzüge erfolgen über den Mund und werden als Schnappatmung bezeichnet.

Voraussetzungen dafür, dass unmittelbar post natum eine regelhafte Atemfunktion einsetzen kann, sind:

Image Intaktheit des in der Medulla oblongata liegenden Atemzentrums,

Image Reife der Lunge,

Image ausreichendes Angebot an Antiatelektase-Substanzen,

Image Durchgängigkeit der Luft zu- und abführenden Wege,

Image Unversehrtheit von Zwerchfell und Thorax.

Mit Durchtritt des Fetus durch das maternale Becken und die Vagina kommt es zur Kompression des Thorax, wodurch ein Teil der in den Alveolen befindlichen Flüssigkeit abgepresst und offenbar abgeschluckt wird. Der andere Teil der Flüssigkeit wird resorbiert und über Lymph- und Kapillarbahnen entsorgt. Erscheint der Kopf des Welpen im Vulvaspalt ist zu beobachten, dass sich unter der noch intakten Amnionhaut die nasolabialen Strukturen bewegen und sich so die Nasenöffnungen weiten. Es ist also davon auszugehen, dass die ersten Atemzüge bereits vor endgültiger und vollständiger Austreibung des Neugeborenen beginnen, um den nicht mehr intakten maternoplazentären Gasaustausch, infolge des Lösens der Plazenta, intra partum auf diese Weise zu überbrücken. Dies erklärt auch, warum das Muttertier bereits intra partum, spätestens unmittelbar post natum bemüht ist, diese amniotische Kopfkappe zu zerstören, um so den Weg für den Lufteinstrom frei zu legen. Neonaten, deren Amnion im nasolabialen Bereich nicht rechtzeitig aktiv entfernt wird, ersticken in der Eihaut.

Der erste Atemzug wird über Reize vermittelt, welche die in der Formatio reticularis der Medulla oblongata liegenden in- und exspiratorischen Neuronen anregen. Hierzu zählen exogene Induktoren wie Kälte, Licht, Berührung sowie Entfallen des intraamniotisch-allantoinen Druckes. Dazu kommt der endogene Reiz durch den intrapartal entstandenen Zustand einer Hypoxie-Hyperkapnie-Azidämie, wobei der intrapartal angestiegene arterielle CO2-Partialdruck von großer Bedeutung ist. Er wirkt anregend auf die Chemorezeptoren an der Ventralseite der Medulla oblongata. Die arterielle Hypoxie und der abgesunkene arterielle pH-Wert nehmen mehr Einfluss auf die peripheren Chemorezeptoren (Karotissinus, Aortenbogen). Der erste Atemzug führt zu einer Weitung des Thorax, zur Aufblähung der Lungenalveolen und fortan zur regelmäßigen Inspiration und Exspiration.

Das Besondere bei kaninen Neonaten ist, dass ihre Lunge nach Einströmen des ersten Luftstromes relativ lange in einer Inspirationsstellung verharren kann. Es kommt so zu einer Apnoe, die bis zu 20 Sekunden dauert. Durch diese längere Inspirationsphase füllen sich offensichtlich auch die entfernt gelegenen Alveolen in den Spitzenlappen der Lunge und es erfolgt ein längerer intensiver Gasaustausch, ehe die Exspiration einsetzt.

Die ersten Atemzüge sind als Schnappatmung ausgebildet. Sind die luftzuführenden Wege frei, wird kurze Zeit darauf die Luft nasal angesogen und der Mundspalt weitgehend geschlossen.

Länger anhaltende Schnappatmung ist ein Anzeichen für:

Image eine Verlegung der Luftwege (Obstruktion der Trachea, Schleimansammlung in den Bronchien),

Image fruchtwassergefüllte Alveolen oder Kollabierungsvorgänge in den Alveolen (Surfactant-Mangel bei Frühgeburten),

Image eine ungenügende Stimulation des Atemzentrums (organische Anomalien in der Medulla oblongata, Einblutungen in das Gehirn, Degeneration der Gehirnzellen durch Sauerstoffmangel).

Die ersten Atemzüge sind bei Welpen unregelmäßig und relativ flach. Sie werden immer wieder durch Apnoephasen unterbrochen. Erst nach ca. 2 Minuten kommt es zur regelmäßigen, durch tiefe Atemzüge charakterisierten Lungentätigkeit und somit zu einer rhythmisch wechselnden Vergrößerung und Verkleinerung des Lungenvolumens. Bei Neonaten aus komplikationsbehafteten Geburten können längere Apnoephasen beobachtet werden. Die Dauer der unregelmäßigen Lungenfunktion liegt bei diesen vorgeschädigten Welpen zwischen 10 und 40 Minuten, bis unter therapeutischen Maßnahmen eine regelmäßige In- und Exspiration eintritt.

2.2.2 Herz-Kreislauf

Cordula Poulsen Nautrup, Susanne Schlieter

Die kardialen und vaskulären Besonderheiten bei neugeborenen Hunden ergeben sich aus der Umstellung vom fetalen zum adulten Kreislauf.

Fetaler Kreislauf

Bis zur Geburt erfolgt die Sauerstoffversorgung über den Plazentakreislauf. Die linke Nabelvene führt das sauerstoffreiche Blut der Leber zu. Durch Ausbildung des Ductus venosus (Arantii), einer Anastomose zwischen Vena umbilicalis und Vena cava caudalis, werden die Lebersinusoide umgangen. Die Sauerstoffsättigung in der Vena umbilicalis und im Ductus venosus ist erheblich niedriger als in den Venae pulmonales bei der Lungenatmung der adulten Tiere. Die für den Gasaustausch nicht benötigten fetalen Lungen sind kollabiert. Die relativ geringe pulmonale Durchblutung dient ausschließlich der Ernährung des Organs. Aus diesem Grund bestehen pränatal zwei weitere Kurzschlüsse, jeweils eine kardiale und eine vaskuläre Anastomose zwischen rechtem und linkem Herzen beziehungsweise kleinem Lungen- und großem Körperkreislauf. Gegenüber der Mündung der Vena cava caudalis findet sich im Septum interatriale das Foramen ovale, dessen (Ventil-) Klappe sich in den linken Vorhof öffnet (Abb. 2.2a). Die zweite fetale Verbindung zwischen kleinem und großem Kreislauf stellt der Ductus arteriosus (Botalli) dar, der zwischen dem Aufteilungsbereich des Truncus pulmonalis und dem Anfangsabschnitt der Aorta descendens verläuft. Während der Fetalentwicklung fließen etwa 70 % des rechtsventrikulären Blutauswurfvolumens über den Ductus arteriosus in die Aorta thoracica. Durch die beiden Kurzschlüsse arbeiten das rechte und linke Herz parallel. Das Blut wird von den beiden Hohlvenen unter Umgehung der Lungen direkt in die Aorta gepumpt. Aufgrund desselben Versorgungsgebietes sind rechts- und linksventrikuläres Myokardium sowie das Septum interventriculare annähernd gleich stark ausgebildet.

Kreislaufumstellung während der Geburt

Herz und Kreislauf des Neugeborenen befinden sich in einem Übergangsstadium zwischen denjenigen von Feten und Adulten. Die perinatalen Umstellungen des Kreislaufs beinhalten:

Image den Wegfall des plazentaren und umbilikalen Blutflusses,

Image die Obliteration des Ductus venosus,

Image die Entfaltung und Durchblutung der Lungen,

Image die funktionellen Verschlüsse von Foramen ovale und Ductus arteriosus.

Die Parallelschaltung von rechtem und linkem Herzen beim Feten wird in die Reihenschaltung der beiden Herzhälften beim Adulten umgewandelt.

Ductus venosus (Arantii)

In den ersten postpartalen Tagen kommt es zur Verödung und Verklebung des Ductus venosus (Arantii). Die Obliteration dieses Gefäßes wird durch den plötzlichen Verlust der umbilikalen Durchblutung beim Trennen der Nabelschnur eingeleitet und durch das Ansteigen der Leberdurchblutung über die Vena portae begünstigt. Der vollständige anatomische Verschluss des Gefäßes geschieht später.

Insbesondere bei großen Hunderassen findet sich ein persistierender Ductus venosus (PDV) als eine spezielle Form des angeborenen intrahepatischen portosystemischen Shunts, ein so genannter left divisional shunt. Die Mehrzahl der konnatalen portosystemischen Shunts, also andere intrahepatische sowie alle extrahepatischen, entstehen als Folge verschiedener Gefäßanomalien (Kapitel 9.2.3). Die Diagnose der meisten portosystemischen Shunts erfolgt im Allgemeinen nach der achten Lebenswoche, bei Junghunden unter einem Jahr (Kapitel 7).

Foramen ovale

Der funktionelle Verschluss des Foramen ovale findet bei der Geburt statt und wird durch zwei Hauptfaktoren verursacht: Aufgrund des Wegfalls der plazentaren und umbilikalen Durchblutung sinkt das Blutvolumen, das über die Vena cava caudalis dem Atrium dextrum zugeführt wird. Somit verringert sich auch die Blutmenge, die auf die Klappe des Foramen ovale, das Septum primum, trifft. (Abb. 2.2a). Mit dem ersten Atemzug und der Entfaltung der Lungen fällt der pulmonale Gefäßdruck. Die Lungen werden vermehrt durchblutet und das Blutvolumen, das durch die Venae pulmonales in den linken Vorhof fließt, steigt. Gleichzeitig sinkt der Druck im gesamten rechten Herzen. Dadurch verringert sich die Last, die die Klappe in den linken Vorhof drückt. Das Ventil schließt sich funktionell (Abb. 2.2b). Ein anatomischer Verschluss der Klappe findet später statt.

 

image

Abb. 2.2a, b
Zweidimensionale Echokardiographien und Schemazeichnungen des Foramen ovale vor (A) und nach der Geburt (B). A: Beim Fetus ist die Klappe, die aus dem Septum primum entsteht, weit geöffnet. Das Blut aus der Vena cava caudalis trifft auf das Foramen ovale und gelangt direkt in das Atrium sinistrum. B: Bei der Geburt wird das Foramen ovale funktionell verschlossen. Die dünnwandige Fossa ovalis ist jedoch zeitlebens echokardiographisch erkennbar.
1: Atrium dextrum,
2: Ventriculus dexter,
3: Atrium sinistrum,
4: Ventriculus sinister,
5: Vena cava caudalis, gelbe Farbe: Septum secundum, grüne Farbe: Septum primum, lila Farbe: Endokardkissen.

Ein persistierendes Foramen ovale mit einem Rechts-Links-Shunt, das heißt mit einem Blutfluss vom rechten in den linken Vorhof durch die geöffnete Ventilklappe, entsteht nur dann, wenn die Drücke in der rechten Kammer und im rechten Vorhof postnatal unphysiologisch hoch bleiben, beispielsweise bei einer schweren Pulmonalstenose. Das offene Foramen ovale ist ein äußerst seltenes, angeborenes kardiales Vitium bei Hunde.

Atrium-Septum-Defekt

Häufiger als ein offenes Foramen ovale tritt ein Atrium-Septum-Defekt (ASD) infolge einer embryonalen Fehlbildung auf. So kann die physiologische Rückbildung einer der beiden Entwicklungsvorstufen des Foramen ovale, das heißt der Schluss des Foramen primum oder secundum, gestört sein. Bei Hunden kommt am ehesten ein Ostium-secundum-Defekt vor. Dieser befindet sich im mittleren oder oberen Teil des Septum interatriale und ist Folge eines zu kurzen Septum primum oder eines fehlenden Septum secundum (Abb. 2.3). Es besteht im Allgemeinen ein Links-Rechts-Shunt, das Blut fließt also vom linken in den rechten Vorhof (Abb. 2.4a, b). Die klinische Symptomatik ist durch schwere Lungenkongestionen sowie durch eine starke rechtsatriale und rechtsventrikuläre Volumenbelastung mit chronischer Rechtsherzinsuffizienz gekennzeichnet. Die Symptome manifestieren sich allerdings oft erst im Junghundalter, also meist nach der achten Lebenswoche.

 

 

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Abb. 2.4a, b
Farbduplexdarstellungen beim 8 Wochen alten Border Collie aus
Abb. 2.2b (A) und beim 3 Jahre alten Mischling aus Abb. 2.3. A: Intaktes Septum interatriale.
B: Atrium-Septum-Defekt (ASD) vom Ostium-secundum-Typ mit Links-Rechts-Shunt. Die Pfeile zeigen die Blutflussrichtungen in den Vorhöfen (A) und durch den Atrium-Septum-Defekt (B).

1: Atrium dextrum, 1': volumenbelastetes, dilatiertes Atrium dextrum,

2: Ventriculus dexter,

2': volumenbelasteter, hochgradig dilatierter Ventriculus dexter,

3: Fossa ovalis,

3': ASD,

4: Atrium sinistrum,

5: Ventriculus sinister.

Ductus arteriosus (Botalli)

Der physiologische Verschluss des Ductus arteriosus (Botalli) ist ein multifaktorielles Geschehen, das bereits vor der Geburt eingeleitet und individuell unterschiedlich innerhalb von Stunden, Tagen oder den ersten Wochen nach der Geburt beendet wird (Abb. 2.5a, b). Außer der perinatalen Veränderung der pulmonalen und systemischen Hämodynamik besitzen die erhöhte Sauerstoffsättigung des Blutes nach Einsetzen der Lungenatmung, aktuelle neurohormonale Mechanismen und genetische Faktoren einen Einfluss auf den Verschluss des Ductus arteriosus. Bereits vor der Geburt beginnt eine Bindegewebsproliferation der Lamina intima. Mit dem ersten Atemzug entfalten sich die Lungen und der Druck im Truncus pulmonalis sowie in den Arteriae pulmonales sinkt auf ungefähr die Hälfte des fetalen Druckes. Verglichen mit der präpartalen Situation fließt postpartal deutlich weniger Blut durch den Ductus arteriosus. Außerdem kommt es zu einer Richtungsumkehr des Blutflusses. Während in der Fetalentwicklung das Blut vom Truncus pulmonalis durch den Ductus arteriosus in die Aorta thoracica strömt, fließt es postpartal in umgekehrter Richtung, nämlich vom großen in den kleinen Kreislauf. Die bereits pränatal eingesetzte Obliteration des Ductus arteriosus wird postpartal durch Gefäßkonstriktion und zunehmende Bindegewebsproliferation vervollständigt. Ungefähr im Alter von zwei Wochen ist die Verödung abgeschlossen. Der anatomische Umbau des Ductus arteriosus in das kurze Ligamentum arteriosum des adulten Hundes ist erst deutlich später beendet.

Der persistierende Ductus arteriosus (PDA) ist eine der häufigen angeborenen Herzerkrankungen des Hundes (Kapitel 7.1.1). Durch mangelnde klinische Symptomatik im Welpenalter und wegen eines im Einzelfall fehlenden oder manchmal nur mäßig lauten Geräuschbefundes, mit sehr weit kranial (unter dem Schulterblatt) liegendem Punctum maximum, kann er bei den routinemäßigen Welpenuntersuchungen überhört und übersehen werden. Die klinischen Symptome, die zum Teil erst bei mittelalten adulten Hunden auftreten, basieren auf schweren Lungenkongestionen sowie auf einer linksatrialen und linksventrikulären Volumenbelastung mit chronischer Linksherzinsuffizienz. Zu diesem Zeitpunkt ist das bei Hunden typische, kontinuierliche systolischdiastolische Maschinengeräusch in den kranialen Auskultationsarealen deutlich zu hören. Der Nachweis des persistierenden Ductus arteriosus erfolgt echokardiographisch im B-Bild und mit den Dopplerverfahren (Abb. 2.6a–c)

 

 

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1: Persistierender Ductus arteriosus,

2: Aorta thoracica, Pars descendens,

3: Truncus pulmonalis,

4: Arteria pulmonalis sinistra,

4': Arteria pulmonalis dextra.

Abb. 2.6a–c
Anatomisches Präparat (A), B-Bild- (B) und Farbduplex-Darstellung (C) eines persistierenden Ductus arteriosus (PDA) mit Links-Rechts-Shunt von der Aorta descendens in den Truncus pulmonalis bei einem elf Monate alten Yorkshire Terrier. A: Die Farben entsprechen der
Abb. 2.5. Aorta thoracica und Arteria pulmonalis sinsitra liegen in einer anderen Ebene, sodass sie in der zweidimensionalen Echokardiographie (B) nicht abgebildet werden. C: In der Farbduplexdarstellung ist der normale Blutstrom im Truncus pulmonalis blau kodiert. Der rot eingefärbte Blutfluss stammt aus dem persistierenden Ductus arteriosus und führt zu Verwirbelungen, die gelb und grün erscheinen.

Herz des Neugeborenen und Welpen

Die Herzfrequenz Neugeborener ist niedriger als die von Feten und steigt innerhalb von 36 Stunden auf etwa 200 Schläge pro Minute an. In den folgenden acht Lebenswochen fällt die Herzfrequenz deutlich. Die Höhe der im Einzelfall gemessenen Frequenzen hängt wesentlich von der Beunruhigung der Welpen statt. Eine respiratorische Sinusarrhythmie besteht nicht.

Gesamtgröße und -gewicht des Herzens nehmen ebenso wie die Dimensionen der einzelnen Herzabschnitte mit fortschreitender Entwicklung deutlich zu. Einflüsse auf die Herzgröße besitzen Hunderasse, -größe, -gewicht und -alter. Das Wachstum des Herzens erfolgt durch Kernvermehrung, Hyperplasie und Hypertrophie des Myokards.

Echokardiographische Besonderheiten. Eine augenfällige Besonderheit des neugeborenen Herzens stellt die Hypertrophie des Myokardium dextrum dar, die eine Folge der fetalen Hämodynamik mit Parallelschaltung des rechten und linken Herzens ist. Der Nachweis der rechtsventrikulären Hypertrophie gelingt am besten echokardiographisch (Abb. 2.7a–c, 2.8a, b). Bei Neugeborenen sind rechtsventrikuläres Myokardium und Septum interventriculare in Höhe der Musculi papillares annährend gleich stark oder dicker als die linke Kammerwand. In der Folgezeit nimmt die Dicke des rechtsventrikulären Myokardiums im Vergleich zu den anderen Abschnitten der Kammermuskulatur relativ ab. Allerdings kann auch bei einigen acht Wochen alten Welpen noch ein verdicktes Myokardium dextrum beobachtet werden. Eine weitere Eigenheit bei Neugeborenen und jungen Welpen ist die Inhomogenität der Herzmuskulatur, die sowohl histologisch als auch echokardiographisch nachweisbar ist

 

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Abb. 2.7a–c
Zweidimensionale Echokardiographien von parasternalen linksventrikulären Kurzsachsenschnitten in Höhe der Musculi papillares bei einem Beaglefetus (A) sowie von Doggenwelpen einen Tag (B) und acht Wochen (C) post partum. Mit zunehmendem Alter vermindert sich die physiologische rechtsventrikuläre myokardiale Hypertrophie der Feten und Neugeborenen.

1: Myocardium dextrum,

2: Ventriculus dexter,

3: Septum interventriculare,

4: Ventriculus sinister,

5: Myocardium sinistrum,

6: Musculi papillares,

7: Pericardium.

Die mit dem gepulsten (PW-)Doppler-Verfahren registrierten kardialen Blutfließgeschwindigkeiten steigen von der Geburt bis zu achten Lebenswoche an und entsprechen dann ungefähr denen erwachsener Hunde. Die PW-Doppler-Flussmuster auf Höhe der Aorten- und der Pulmonalklappe gleichen denen adulter Caniden. Der Blutfluss durch die Atrioventrikularklappen bei Welpen, insbesondere bei Neugeborenen, weist jedoch Besonderheiten auf. So kann der passive frühdiastolische Bluteinstrom in den Ventriculus dexter oder sinister gleich, schneller oder langsamer sein als der spätdiastolische Kammereinstrom während der Vorhofkontraktion. Bei gesunden adulten Hunden ist die Geschwindigkeit des frühdiastolischen passiven Einstromes immer höher als die des spätdiastolischen Blutflusses während der atrialen Kontraktion.

Besonderheiten im EKG. Die rechtsventrikuläre Hypertrophie bedingt zudem typische EKG-Veränderungen bei Neugeborenen. QS-Zacken und / oder tiefe S-Zacken in Ableitung I bis III sowie R-Zacken in Ableitung avR stehen für eine Achsenabweichung nach rechts (Abb. 2.9ac). Während des Wachstums des Herzen können einzelne unitope, meist ventrikuläre Extrasystolen (VES) auftreten, die eventuell auskultatorisch, aber auf jeden Fall elektrokardiographisch auffallen. Die Extrasystolen treten im Allgemeinen nur vorübergehend auf und werden bei Kontrolluntersuchungen nicht mehr registriert (Abb. 2.10). Allerdings wird das Anlegen der Klemm- oder Nadelelektroden von Welpen oft schlecht toleriert und führt zu heftigen Abwehrreaktionen und erheblicher Unruhe. Aus diesem Grund erfolgt eine EKG-Untersuchung nur bei begründetem Verdacht auf Rhythmusstörungen. Zudem sollte bei der Echokardiographie von Welpen auf die bei adulten Hunden übliche simultane Registrierung eines EKGs verzichtet werden.

 

 

 

Bei etwa 10 bis 15 % der dem Tierarzt vorgestellten herzkranken Hunde liegen angeborene kardiale Defekte vor. Obwohl die meisten konnatalen Herzerkrankungen in den ersten Lebenswochen zu keinen oder geringen klinischen Symptomen führen, kann durch eine sorgfältige Auskultation der Welpen in manchen Fällen schon die Verdachtsdiagnose auf eine angeborene Herzmissbildung gestellt werden. Zur endgültigen Abklärung der verdächtigen auskultatorischen Befunde dienen M-Mode- sowie zweidimensionale B-Bild-Echokardiographie in Kombination mit den farbkodierten und den konventionellen, gepulsten und kontinuierlichen Dopplerverfahren. Dabei sind die beschriebenen charakteristischen echokardiographischen Merkmale von Neugeborenen und Welpen zu berücksichtigen.

2.2.3 Verdauungstrakt

Hartwig Bostedt

Der Verdauungskanal hat beim neonatalen Welpen einen Anteil von rund 3 % der Gesamtkörpermasse, der bis zum Adultstadium auf 7 % ansteigt. Kanine Welpen werden zahnlos geboren. Die Mundhöhle weist Strukturen auf, die zum einen zur Aufnahme und Umfassung der Zitze dienen, zum anderen den Saug- und Schluckvorgang ermöglichen. Der Saugakt selbst ist geprägt von der Bildung eines Unterdruckes in der Mundhöhle sowie durch motorische (Druck der Lippen, der Kiefernmuskulatur und der Zunge) und sekretorische (Speicheldrüsen) Leistungen. Der Magen ist beim neugeborenen Welpen vorwiegend mit Ammionflüssigkeit gefüllt.

Magen-Darm-Trakt

Während der fetalen Entwicklung bestehen gewisse Verdauungsvorgänge, vor allem aber ist es die Eindickung des amniotischen Mageninhaltes im enteralen System. Daneben enthält der Darminhalt Haare, Epithelien und Farbstoffe aus der Denaturierung der Blutbestandteile (hoher Biliverdingehalt), was alles zusammen genommen das sogenannte Mekonium, den Kotbestandteil im Enddarm, ausmacht und dessen Farbgebung bedingt (schwarz-grün).

Mundhöhle-, Magen- und Darminhalt sind zum Zeitpunkt der Geburt steril. Erst unmittelbar post natum mit Zerreißen der Amnionhaut kommt es zur Besiedelung der Mundhöhle mit ubiquitären Keimen der Außenwelt. In den folgenden Stunden und Tagen post natum erfolgt dann die Besiedelung des Ösophagus und die Kolonisation des Magen-Darm-Traktes. In ihm überwiegt anfänglich die Lactobacillus-Flora. Zu berücksichtigen dabei ist, dass die Keimbesiedelung der Mundhöhle und der nachfolgenden Organabschnitte abhängig ist vom Keimspektrum der Umgebung, in das der Welpe hinein geboren wird, also von dem Keimspektrum des maternalen Anogenitalbereiches (infiziertes Fruchtwasser durch geburtsbedingte Besiedelung des Geburtskanales), der Haut, der Gesäugekomplexe sowie der Milch. Hier können bereits fakultativ pathogene oder sogar pathogene Keime übertragen werden, die aus einem keimbelasteten Geburtsweg oder aus einer unhygienischen Umwelt stammen. Sie minimieren bereits in den ersten Lebensstunden die Überlebenschancen der Welpen, da diese noch vor Ausprägung der vollen passiven Immunität mit krankmachenden Mikroorganismen in Kontakt kommen.

Wie bei anderen Spezies auch ist davon auszugehen, dass die Magenwand erst post natum mit der Sekretion von Salzsäure beginnt. Der Aziditätsgrad im Magen von Welpen unmittelbar post natum beträgt 5,0–6,0 und fällt aber in den kommenden Lebenstagen ab (pH-Wert <4,0). Im Adultmagen besteht ein pH-Wert von 1,0. Auch die proteolytische Aktivität der Magenschleimhaut ist anfänglich gering, steigert sich jedoch in der Zeit der zweiten Adaptationsperiode. Die mit der Muttermilch aufgenommenen Immunglobulinkomplexe werden deswegen im Magen nicht aufgespalten, sondern gelangen unversehrt in den Darm. Dort werden sie von den Enterozyten resorbiert und über Pinozytose weiter transferiert, weil sich im Kolostrum Trypsin-inhibierende Substanzen befinden.

Über einen annähernd stabilen pH-Wert, der den adulten Bedingungen entspräche, verfügt der Welpe frühestens ab dem 18. Lebenstag. Neben den Änderungen im Verdauungssystem im Zusammenhang mit dem allmählichen Wechsel von der reinen Milch- zur Festfutterernährung ist damit auch die Denaturierung der oral-ösophageal eingedrungenen Keime im Magen verbunden. Die volle Salzsäurebildung im Magen stellt somit erst relativ spät eine Barriere gegen eine Kolonisation mit fakultativ pathogenen oder pathogenen Mikroorganismen dar. Dies ist insbesondere bei artifizieller Aufzucht zu beachten.

Der Magen besitzt beim Neugeborenen nur geringe Ausmaße. Dies erklärt auch die häufige Milchaufnahme in kleineren Mengen, um das Fassungsvermögen des Magens nicht zu stark zu beanspruchen. Infolge der gut ausgeprägten Muskelschichten in der Magenwand wird die Milch unter normalen Bedingungen in kürzester Zeit in den Darm transportiert. Bei Überladung des Magens mit Flüssigkeit und dadurch bedingter Überdehnung der Magenwand kommt es zu Schwierigkeiten im Weitertransport des Mageninhaltes, weil offenbar eine Hypotonie eintritt oder die rhythmischen Darmwandkontraktionen völlig sistieren.

Die Darmschleimhaut hat zum Zeitpunkt der Geburt noch fetalen Charakter. Erst in der postnatalen Periode kommt es zur morphologisch-funktionellen Reifung der Enterozyten, die allgemein in kraniokaudaler Richtung fortschreitet. Diese postnatale enterale Umstrukturierung ist notwendig, damit zum Zeitpunkt der ersten Festfutteraufnahme die volle Verdauungskapazität und -funktionalität vorhanden ist.

Anfänglich ist der Darm nur auf die Milchverdauung ausgerichtet. Das Enzym Laktase ist bereits bei der Geburt vorhanden, so dass die Laktose gespalten werden kann. Ob das Duodenum beim neugeborenen Welpen bereits genügend Lipasen bildet, ist noch nicht vollständig geklärt. Deren Synthesemenge scheint in den ersten zwei Wochen zuzunehmen.

Die Polysaccharidverwertungsrate im Darm ist unmittelbar nach der Geburt gering, weil die dafür notwendige Pankreasamylase fehlt. Bis zum Ende der zweiten Adaptationsperiode besteht beim Hundewelpen ebenfalls nur eine geringe α-Amylaseaktivität, die allerdings im Moment der Festfutteraufnahme, die meist mit der 2.–3. Lebenswoche beginnt, rasch ansteigt. Dagegen verfügt der Welpe über Disaccharidasen, um die in der Milch vorhandenen Disaccharide aufspalten und verwerten zu können.

Ein besonderes Problem stellt beim kaninen Neonaten die Darmmotilität dar, die Voraussetzung für den Transport der Ingesta und den Vollzug der Defäkation ist. Sie ist in der fetalen Entwicklungsperiode äußerst gering, steigert sich aber postnatal allmählich, wobei der Endabschnitt des enteralen Traktes am längsten benötigt. Die postnatale Entwicklung von Steuerung und Auslösung der Darmmotilität beim Welpen ist also mit einer gewissen Protraktion verbunden. Erst in der zweiten bis dritten Woche post natum nimmt der Einfluss von Vagus und Sympathikus auf die Darmmotorik zu. Daneben ist anfänglich eventuell die Muskelschicht in der Wand der einzelnen Darmabschnitte nicht genügend ausgebildetet. Dies alles scheint der Grund dafür zu sein, dass Welpen bis zur dritten Woche abhängig sind von der abdominalen Massage durch die Mutter, um die Darmmotilität und damit die Defäkation zu sichern. Unterstützend für die neonatale Darmmotilität wirken aber auch Substanzen, die in der Muttermilch enthalten sind und laxierend wirken. Bei artifizieller Aufzucht fehlen diese, so dass es dabei häufiger zu einer Obstipation kommt, auch wenn die abdominale Massage regelmäßig durchgeführt wird.

Leber

So wie die Darmfunktion letztlich ihre volle Reife zwischen der zweiten und dritten Adaptationsperiode erhält, ist auch die Leber zum Zeitpunkt der Geburt trotz ihrer dominanten Größe noch nicht voll ausgereift. Sie macht bei der Geburt immerhin 7–10 % der Körpermasse aus. Im Verlauf der ersten 2–4 Lebenswochen kommt es zu einer Umstrukturierung der Leber. Im Rahmen dieser Vorgänge wird auch der Ductus venosus postnatal verschlossen und wandelt sich zum Ligamentum venosum um. Pränatal verbindet der Ductus venosus als veno-venöser Shunt in der Leber die zuführenden Gefäßsysteme der Pfortader und der Nabelvene mit den abführenden Gefäßen (Lebervenen) beziehungsweise mit der kaudalen Hohlvene. Dieser Shunt ermöglicht, dass das stoffwechselprodukt- und sauerstoffreiche Blut, stammend aus der Vena umbilicalis mit ihrer Verbindung zur Plazenta, direkt unter Umgehung des Lebergewebes in den Herzkreislauf eingespeist wird (Kapitel 2.2.2, 9.2). Die Hepatozyten übernehmen also in der Fetalperiode keine oder nur geringe, retinierende Stoffwechselleistungen. Aus diesem Grund ist in den ersten postnatalen Wochen auch die metabolische Funktion noch eingeschränkt, da sich bestimmte Enzymsysteme erst im Aufbau befinden.

In der fetalen Entwicklungszeit hat die Leber vorwiegend hämatopoetische Aufgaben, woraus sich ihre Größe erklärt. In der postuterinen Zeit muss sie Stoffwechselfunktionen übernehmen, wobei vorwiegend niedermolekulare Substanzen zu metabolisieren sind. Da dazu auch Pharmaka gehören, kommt deren Auswahl und Dosierung besondere Bedeutung im Hinblick auf die noch nicht voll ausgeprägte metabolisch-intoxikierende Leistung zu (Kapitel 8).

Weiterhin sind Glukoneogenese und Glykolyse zuerst nur vermindert möglich. So fehlt der neonatalen Leber die Kontrollmöglichkeit über den Glukosestoffwechsel. Ausdruck dafür ist, dass bei exogener parenteraler Zufuhr von Glukoselösung noch kein ausgeprägter Feedback-Mechanismus mit der Glukoneogenese in den Hepatozyten besteht. Dadurch entsteht bei zu massiver Substitution von Glukose beim Neonaten die Gefahr einer nicht steuerbaren Hyperglykämie mit all ihren Folgen.

Die Leber dient anfänglich als Speicherorgan für das in der Fetalperiode retinierte Glykogen. Postpartal ist dieses zusammen mit der Energie aus dem braunen Fett sofort verfügbar, wodurch die wichtigsten energiezehrenden Prozesse aufrechterhalten werden (zitterfreie Thermogenese, muskulärer Stoffwechsel im Rahmen der beginnenden Mobilität). Allerdings erschöpfen sich diese Glukosespeicher sehr rasch. Sie reichen im Allgemeinen nur für die ersten 12 Lebensstunden. Daher kommt der rechtzeitigen Milchaufnahme die bereits erwähnte Bedeutung zu, um einem Energiedefizit vorzubeugen.

2.2.4 Nierenfunktion

Hartwig Bostedt

Während der fetalen Entwicklungsperiode übernimmt die Plazenta im Wesentlichen die Aufgabe, Stoffwechselendprodukte auszuscheiden. Die Niere befindet sich demnach bis zur Geburt nur in einem als gering zu bezeichnenden funktionellen Zustand und ist auch morphologisch noch nicht voll ausgereift. Erst im Alter von 2–4 Wochen ist die Nephrogenese so weit abgeschlossen, dass von einem funktionierenden Organsystem gesprochen werden kann. Deshalb bestehen diagnostische Unsicherheiten, wenn juvenile Nephropathien vorhanden sind, weil sich normale Entwicklungsprozesse und protrahiert entstehende Nierenveränderungen nicht so leicht voneinander differenzieren lassen.

Diese langsame postnatale Nachreifung der Niere bringt einige Besonderheiten mit sich, die bei der Aufzucht von Welpen zu beachten sind. Infolge der noch nicht abgeschlossenen Nephrogenese sind beim kaninen Neonaten die glomeruläre Filtrationsrate um 25 % und die tubuläre Sekretionsrate um 15 % niedriger als beim adulten Hund. Die potenzielle Zahl der Glomeruli ist postnatal zwar gegeben, die Kapillarschlingen der Glomeruli sind jedoch noch nicht so differenziert wie beim adulten Hund. Erst im Verlauf der zweiten und dritten Adaptationsperiode wird durch Umbildungen des Epithels die Permeabilität der Membranen erhöht, wodurch dann die Filtrationsprozesse vollständig ablaufen können. Ein Grund für die verzögerte Entwicklung der Nierenfunktion liegt zudem in der Tatsache, dass der kanine Neonat noch nicht über eine umfassende Nierendurchblutung verfügt. Dies hängt offenbar mit dem noch nicht total ausgebildeten arteriellen Systemmitteldruck zusammen. Erst in den folgenden Wochen kommt es im Zusammenhang mit der Stabilisierung des Blutdruckes zum linearen Anstieg des RPF (renal plasma flow).

Bei Welpen in den ersten Lebenstagen und Wochen besteht daher die Gefahr, dass sie schnell dehydrieren, wenn der erhöhte Bedarf an Flüssigkeit nicht gewährleistet ist. Auch die Fähigkeit zur Produktion von konzentriertem Harn ist noch beschränkt. Die Harnmolarität liegt nur geringfügig höher als die Serummolarität, während der adulte Organismus in der Lage ist, den Harn auf die zwei- bis vierfache Menge der Serummolarität zu konzentrieren. So ist beim Neonaten eine erhöhte Harnbildung bei geringen spezifischen Gewichten gegeben (1006–1017; adulte Werte 1030–1045). Vorübergehend kann es zu einer Erhöhung des spezifischen Gewichtes kommen (>1017), wenn eine überhöhte Umgebungstemperatur oder eine verminderte Flüssigkeitsaufnahme gegeben ist. Eine Verminderung des spezifischen Gewichtes tritt dann ein, wenn zuviel Flüssigkeit zugeführt wird oder eine Nephropathie respektive ein totales Nierenversagen besteht.

Die tubuläre Sekretionsleistung steigert sich in der postnatalen Zeit ebenfalls erst allmählich. So werden beispielsweise Glukose- und Aminosäuren anfänglich noch nicht rückresorbiert. Dies ist erst beim Jungtier (>4 Wochen) voll gegeben. Dadurch besteht beim Neonaten eine physiologische Aminoazidurie. Auch die Elektrolyt-Clearance-Rate ist beim Neonaten geringer als beim erwachsenen Hund. Allerdings steigt die Fähigkeit, Elektrolyte zu filtrieren und durch tubuläre Rückresorption dem Organismus zu erhalten, rasch an.

Die Harnbildung ist bereits der fetalen Niere möglich. Es werden fortlaufend kleine Mengen an Harn gebildet, die in die Allantoisblase abgegeben werden. Der Blasenraum hat zum Zeitpunkt der Geburt ein Volumen von 5–40 ml, je nach Größe des Welpen. Der Neonat bildet zunehmende Volumina an Urin, wobei die Besonderheit besteht, dass sie nicht autonom abgegeben werden können. Die Miktion muss in den ersten drei Wochen durch das Brutpflegeverhalten des Muttertieres induziert werden. Zwischen zweiter und dritter Adaptationsperiode reifen die nervale Innervation und die Druckrezeptorensituation so weit aus, dass ein autonomer, kontrollierter Harnabsatz möglich ist.

2.2.5 Thermoregulation

Hartwig Bostedt

Das Zentrum der Temperaturregelung für den Gesamtorganismus liegt dem Hypothalamus benachbart. Hier befinden sich die Rezeptoren für die Regelung der Kerntemperatur. Bei adulten Hunden haben diese Rezeptoren Verbindung zu denen der Haut und des Rückenmarks. Da jedoch Zentrales und Peripheres Nervensystem beim Neugeborenen noch nicht die notwendige Reife erlangt haben, ist anzunehmen, dass dieser Regelkreis für die Konstanterhaltung der Kerntemperatur noch nicht funktioniert.

Dies ist auch der wahrscheinliche Grund dafür, dass Welpen in den ersten Lebenswochen bedingt poikilotherm sind. Sie können ihre Körpertemperatur endogen noch nicht eigenständig regulieren und sind abhängig von der Umwelttemperatur, respektive vom Mikroklima des Geburtsplatzes. Erst mit rund vier Wochen treten sie in die homoiotherme Phase über. Sie sind dann in der Lage, schwankende Umwelttemperaturen durch Wärmeregulation auszugleichen und so eine konstante Körperkerntemperatur zu halten.

Zu berücksichtigen ist auch, dass beim neugeborenen Welpen die Schilddrüsenfunktion noch nicht die volle Aktivität zeigt. Über das T4/T3-System wird der Grundumsatz kontrolliert, aber auch die Kohlenhydratresorption aus dem Darm und die Glykogenolyse im Muskelgewebe stimuliert. Dazu kommt, dass im Bedarfsfall die Mobilisation des Depotfettes erfolgt. Alle diese Stoffwechselvorgänge sind offenbar in den ersten Lebenstagen nur eingeschränkt möglich, da die Schilddrüsenhormone dafür scheinbar nicht in genügender Menge zur Verfügung stehen. Dies wäre eine weitere Erklärung dafür, dass kanine Welpen eine poikilotherme Phase durchlaufen.

Im Uterus des adulten Hundes herrschen Temperaturen um 39 °C, die somit höher liegen als in der Bauchhöhle (38,6 °C). Kanine Neonaten kommen mit einer Körperkerntemperatur auf die Welt, die der des maternalen Uterus entspricht. Aber bereits in der ersten Stunde vollzieht sich ein Temperatursturz auf Werte um 36,0 °C, die dann noch weiter auf 35,5 °C absinken (biologische Hypothermie).

Die Wärmeproduktion zum Ausgleich der Temperaturdifferenzen ist beim kaninen Neonaten aus mehreren Gründen begrenzt. Die Wärmegewinnung aus dem Grundumsatz sowie aus der Muskelarbeit ist nicht im maximalen Umfang möglich. Welpen sind aber in der Lage, durch die zitterfreie Thermogenese Kalorien für den Temperaturausgleich zu gewinnen. Dabei wird das an verschiedenen Stellen lokalisierte braune Fett über die Freisetzung von Katecholamin in Triglyzeride und Fettsäuren übergeführt. In den Zellen des braunen Fettgewebes liegen die Lipide in zahlreichen Vakuolen. Zudem besitzen diese Zellen eine vergleichsweise hohe Zahl an Mitochondrien, was auf einen intensiven intrazellulären Stoffwechsel hinweist. Dazu kommt, dass das braune Fettgewebe reichlich von Gefäßen durchzogen ist. Alles das macht erklärbar, dass aus dem braunen Fett rasch Energie zur Verfügung gestellt werden kann, um die energieverbrauchenden Prozesse im begrenzten Rahmen aufrechterhalten zu können.

2.2.6 Nervensystem

Hartwig Bostedt

Welpen sind bei der Geburt neurologisch unreif. Bei ihnen kommt es erst in der postnatalen Zeit zur Weiterentwicklung und Reifung des Nervensystems. Während die Makrostrukturen des Gehirnes und der peripheren Nerven weitgehend bei der Geburt festliegen, betreffen die postnatal stattfindenden Aufbauprozesse die Mikrostrukturen. So schreiten die Myelinisierung sowie die Synapsenbildung und deren Vernetzung in den ersten Lebenswochen fort. Diese Nachreifungsvorgänge sind klinisch erkennbar an der zunehmenden Funktionalität bestimmter Abschnitte im Bewegungsapparat, bei den Sinnesorganen und im Bereich willkürlich gesteuerter Vorgänge wie Miktion und Defäkation.

Unmittelbar nach der Geburt zeigen kanine Neonaten Pendelbewegungen des Kopfes und Kriechbewegungen. Werden sie hoch gehoben, kommt es sofort zur Krümmung der Hinterextremitäten. Diese Beugemuskeldominanz ist bis zum 4. Lebenstag gegeben und geht dann über in eine Streckmuskeldominanz (Kapitel 6.4). Bereits im Alter von 4–6 Tagen gelingt es, den Welpen zu zwingen, das Gewicht auf eine Vorderextremität zu verlagern, um das kontralaterale Bein in gestreckter Position zu halten. Die Stützreaktion der Hinterextremitäten folgt einige Tage später.

Am Ende der zweiten Adaptationsperiode müssen Welpen sitzen oder sich in aufrechter Position halten können. Allerdings können sie diese Haltung nur kurze Zeit einnehmen. Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass der Welpe mit Vollendung der vierten Lebenswoche über die volle Motorik verfügt, was bedeutet, dass Zentrales und Peripheres Nervensystem funktionsfähig sind. Zu diesem Zeitpunkt ist auch die Vigilität ausgeprägt, die Welpen besitzen dann also die Fähigkeit, sich aufmerksam Neuem zu zuwenden. An der differenten Entwicklung der Motorik ist zu erkennen, dass die Myelinisierung der Nerven von kranial nach kaudal fortschreitet, die kranialen Segmente also eher zu motorischen Leistungen befähigt sind als die kaudalen.

Innerhalb der dritten Adaptationsperiode entwickeln sich auch das okuläre und aurikuläre System. Die Augen öffnen sich zwischen 10. und 14. Lebenstag. Durch den wachsenden Innendruck und die Degeneration der Nahtstelle, an der die Augenlider verbunden sind, öffnen sich die Lider. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der Pupillarreflex bereits zum Zeitpunkt der Geburt funktionstüchtig ist. Anfänglich ist die Kornea noch getrübt, gewinnt aber an Klarheit. Ein gerichtetes Sehen ist zwischen 3. und 4. Lebenswoche gegeben.

Die bei Geburt geschlossenen äußeren Gehörgänge öffnen sich zwischen dem 10. und dem 16. Tag. Geräusche können Welpen schon um den 3. Lebenstag aufnehmen, das funktionelle Hören tritt aber erst ab der 3. Lebenswoche ein (Tabelle 2.1).

2.3 Referenzwerte neugeborener Welpen

Hartwig Bostedt

Tabelle 2.5: Elektrolytkonzentration bei Welpen bis zur achten Lebenswoche nach verschiedenen Autoren (Gormann 2011)

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Tabelle 2.6: Enzymaktivitäten bei Welpen bis zur achten Lebenswoche nach verschiedenen Autoren (Gormann 2011)

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Tabelle 2.7: Klinisch-chemische Parameter bei Welpen bis zur achten Lebenswoche nach verschiedenen Autoren (Gormann 2011)

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Tabelle 2.8: Werte des Blutbildes bei neugeborenen Welpen

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3 | Zahnentwicklung und Erkrankungen des Milch-und Wechselgebisses
Peter Fahrenkrug

Die Neonatologie umfasst den Lebensabschnitt zwischen der Geburt und dem Absetzen. Hiervon abweichend wird dieses Kapitel auch die Ausbildung und Pathologie des bleibenden Gebisses bis zum Durchbruch thematisieren und daher ausnahmsweise die Zeitschiene bis in den 7. Lebensmonat verfolgen.

Der Hund besitzt ein diphyodontes Gebiss mit heterodonten Zähnen. Welpen werden zahnlos geboren, da die Aufnahme von Muttermilch durch Säugen naturgemäß keinerlei Bezahnung bedarf. Gerade die ersten Lebenstage mit der Kolostrumernährung sind für das neugeborene Individuum entscheidend für das Überleben. Eine zu frühe Bezahnung (Dentitio praecox) würde sogar beim Saugen eine Gefahr für die Mamillen darstellen, wenn durch deren Traumatisierung Rhagaden etc. entstünden. Diese azerbieren häufig durch konsekutive Infektionen zur maternalen Mastitis und damit zum Versiegen des Milchflusses. Der verfrühte Durchbruch von Milchzähnen (meist I1 / Unterkiefer) stellt also einen potentiellen Letalfaktor dar und ist beim Hund äußerst selten, beim Menschen häufiger zu beobachten.

Das stomatognathe System der Kaniden dient nicht nur der Ernährung, sondern insbesondere die Zähne haben weitere vielfältige werkzeugartige Tätigkeiten neben dem Ergreifen und Töten der Beutetiere zu erfüllen. Hierzu zählen z. B. das Abnagen von Fleischbestandteilen von den Knochen der Nahrungstiere, das Beseitigen von Verfilzungen im Fell, die Entfernung von Parasiten und Lästlingen, selbst das Durchbeißen der Nabelschnüre beim Geburtsvorgang ist ohne funktionale Bezahnung nicht denkbar. Transport, Pflege und Reinigung des Nachwuchses und eine Vielzahl weiterer Tätigkeiten, die vom Homo habilis und anderen Primaten mit Hilfe der Hände erledigt werden, sind bei Kaniden ohne Bezahnung nicht durchführbar. Eine besondere Bedeutung kommt den Reißzähnen zu: mit Hilfe dieser brechscherenartigen Konstruktion von P4 / Oberkiefer (OK) und dem antagonistischen M1 / Unterkiefer (UK) können Knochen der Beutetiere zerbrochen werden, um das Knochenmark verzehren zu können. Deren Eiweißbestandteile bilden entscheidende Bausteine für den Aufbau des Immunsystems, insofern haben sich fast alle Spezies mit diesem Brechscherensystem in der Evolution erfolgreich durchsetzen können.

3.1 Milchgebiss

Das Milchgebiss tritt zwischen der dritten und siebten Lebenswoche in Funktion. Im Zahnschema bezeichnet man die Milchzähne mit einem nachgestellten »d« (Dentes decidui = vergängliche Zähne), z. B. Cd.

Das Gebiss wird in vier Quadranten eingeteilt. Beginnend mit dem oberen rechten Quadranten (1) wird im Uhrzeigersinn »aus der Sicht des Behandlers« weitergezählt. Die Zähne können von der Mittellinie aus nach distal mit Ziffern bezeichnet werden. International durchgesetzt hat sich das Zahnschema nach Triadan (1972), bei dem jeder Zahn durch eine dreistellige Zahl charakterisiert wird. Die erste Ziffer gibt den Quadranten, die nächste Ziffer unter Einfügung einer Null den Zahn an. So erhält beim Hund der rechte obere permanente Caninus die Ziffer 104, der linke untere Reißzahn (M1) die Ziffer 309, der dritte Molar im rechten Unterkiefer die Ziffer 411. Im Milchgebiss werden die Quadranten als 5, 6, 7 und 8 beziffert.

Die Milchzähne unterscheiden sich durch ihre leicht bläuliche Färbung und die kleinere Größe von den bleibenden Zähnen. Die Canini sind meist deutlich stärker gebogen als permanente Canini.

Pd2 (OK) und Pd3 (UK) sind die Reißzähne des Milchgebisses beim Hund, im bleibenden Gebiss sind dies P4 (OK) und M1 (UK). Molaren finden sich erst im bleibenden Gebiss. Das vollständige reine Milchgebiss ist wegen des rasch einsetzenden Zahnwechsels nur wenige Wochen in Funktion. Zum Umfang des vollständigen Milchgebisses siehe untenstehendes Zahnschema.

Die Anzahl und Größe der Zähne sind der zunächst säugenden Ernährung und der Kiefer- / Kopfgröße des Welpen angepasst. Mit zunehmendem Kopfwachstum vergrößern sich die Interdentalabstände, es entsteht ein Missverhältnis zwischen Zahn-und Kiefergröße.

Zum Säugen werden naturgemäß keine Zähne benötigt, vielmehr dient das Milchgebiss als »Trainingsgebiss« zum Erlernen der vielfältigen Aufgaben des stomatognathen Systems. Daher sind im Milchgebiss alle Zahnformen und -typen – in verkleinerter Größe und leicht veränderter Form – vertreten. Der Gebrauch der Incisivi, Fangzähne und Reißzähne kann also in den ersten Lebensmonaten erlernt werden, um nach dem Zahnwechsel die Welpen aus der engen mütterlichen Bindung entlassen zu können, meist im zeitlichen Zusammenhang mit dem nächsten Wurf.

Das Milchgebiss bricht zwischen der 3. und 6. Lebenswoche durch, mit dem Durchbruch der ersten bleibenden Zähne (ab ca. 12. Lebenswoche) besteht das Wechselgebiss. Erst wenn alle Milchzähne gefallen sind, besitzt das Tier das permanente oder Dauergebiss.

Bereits mit 3–4 Monaten setzt der Wechsel der Bezahnung ein, wobei sowohl rassespezifische als auch familiär gehäufte oder individuelle kleinere zeitliche Abweichungen beobachtet werden können. Bei stark verzwergten Rassen kann es zu größeren Verzögerungen kommen (Abb. 3.1).

 

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Abb. 3.1
Wechselgebiss mit ca. 4 Monaten. Der obere Id2 / links ist gefallen (postmortales Artefakt?), die P1 sind als erste permanente Zähne durchgebrochen.

Zahnschema

 

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Nach der Nomenklatur von Triadan werden also Milch- und Permanentgebiss wie folgt beziffert:

Zahnschema nach Triadan

 

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Die vollständige permanente Dentition sollte Ende des 6., bei kleinwüchsigen Rasse u. U. erst Ende des 7. Lebensmonats durchgewechselt und die Zahnkronen – insbesondere der Canini – kurz danach zu voller Höhe hochgewachsen sein (Abb. 3.2).

3.2 Zahnwechsel

Der Durchbruch der Milchzähne sowie deren Ersatz durch die zweite Dentition ist ein komplizierter Vorgang, dessen Physiologie noch nicht vollständig aufgeklärt werden konnte. Auch Milchzähne besitzen vollständig ausgebildete Wurzeln. Der unter dem Milchzahnvorgänger im Kieferknochen sitzende Zahnkeim des bleibenden Zahnes nimmt durch die Synthesevorgänge der den Zahn synthetisierenden Zellschichten, der Adamantoblasten und Odontoblasten etc., an Volumen zu. Die Resorption der Milchzahnwurzeln und des Zahnfleisches beim Durchbruch in die Maulhöhle erfolgt unter Enzymeinflüssen durch phagozytäre Resorptionsaktivitäten von Osteoklasten / Odontoklasten, Fibroblasten und Makrophagen, die sich aus mesenchymalen Stammzellen differenzieren.

Nach vollständiger Resorption der Milchzahnwurzel fällt der Zahnrest durch den Druck des nachschiebenden permanenten Zahnes aus und gibt den Platz für den bleibenden Zahn frei. Dieser Zahnrest besteht weitestgehend aus der schmelzbedeckten Kronenstruktur, weil es keine Klasten zur Schmelzresorption gibt (Abb. 3.3).

Häufig beobachtet man gerade bei kleinrassigen Hunden einen gestörten Zahnwechsel. Ein persistierender Milchzahn hat daher fast immer noch seine vollständige oder zumindest noch unzureichend resorbierte Wurzel oder Restwurzel. Er bleibt also bis auf weiteres im Kiefer stecken.

 

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Abb. 3.3
Ausgefallene Zahnreste / Schmelzkappen nach physiologischer kompletter Resorption des Wurzeldentins.

 

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Abb. 3.4
Multiple Milchzahnpersistenzen (Pseudo-Polyodontie) bei einem 13 Monate alten Hund. Beachte die massive Schmutzgingivitis, Zahnsteinbildung etc. durch die Behinderung der physiologischen Selbstreinigungskraft der Bezahnung.

Der bleibende Zahn erscheint neben dem Milchzahn, so dass eine »doppelte Dentition« (Pseudo-Polyodontie) entsteht. Als Ursachen kommen meist genetische Einflüsse (z. B. beim Yorkshire-Terrier), Wachstumsstörungen des Kieferknochens, Störungen der Zahnkeimentwicklung durch Vitamin- oder Mineralstoffmangel und gelegentlich auch eine Verlagerung des Zahnkeimes durch traumatische Insulte in Betracht.

 

3.2.1 Parodontale Komplikationen durch Milchzahnpersistenz

Die unphysiologische Zahnüberzahl führt stets zu unhygienischen Situationen durch Einklemmung von Futterresten, Haaren und anderen Fremdkörpern (Abb. 3.4). Der Selbstreinigungsmechanismus des Gebisses geht verloren. Es kommt zu oft hochgradigen chronischen Gingivitiden, später auch parodontitischen Komplikationen, foetor ex ore, Schmerzhaftigkeit etc.

Therapie der Wahl ist die sofortige Extraktion der persistieren-den Milchzähne, eine gründliche Gebissreinigung und in schweren Fällen eine unterstützende antibiotische Versorgung mit einem geeigneten Antibiotikum.

Auch ein völliges Versagen der Aktivierung odontoklastischer Wurzelresorption mit der Folge der Milchzahnpersistenz ist häufig zu beobachten (Abb. 3.5). Der hochwachsende bleibende Zahn schiebt sich dann neben dem Milchzahn in eine unphysiologische Position mit der Folge teils massiver traumatisierender kieferorthopädischer Zahnfehlstellungen

 

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Abb. 3.6
Hund, 16 Monate alt. Vorberichtlich lag eine über mehrere Monate untherapierte Milchcaninuspersistenz vor. Der obere Caninus ist durch Friktion weitestgehend retiniert und liegt im Kieferknochen. Die distale Milchcaninuspersistenz verdrängte den Caninus nach mesial, dadurch wurde auch die Lücke zwischen Oberkiefer-Caninus und I3 verengt, mit der Folge, dass der untere Caninus nach palatinal abgedrängt wurde und in den Gaumen einbeißt (Mandibula angusta).

3.2.2 Behinderung der Zahnentwicklung durch Caninuspersistenz

Eine weitere negative Auswirkung der Milchzahnpersistenz ist die Behinderung des Längenwachstums der bleibenden Zähne (Abb. 3.6, 3.7). Die mechanische Verkeilung, insbesondere im Bereich der Canini, hemmt die Entwicklung beträchtlich. Es resultieren also »Verkürzungen« der Zähne durch ungenügendes Herauswachsen aus der Zahnalveole. Wie bei röntgenologischer Kontrolle erkennbar wird, sind die Zähne jedoch nicht verkleinert, sondern lediglich retiniert, also im Zahnfach steckengeblieben. Schmelzbedeckte Kronenanteile befinden sich im Zahnfach mit der Folge einer ungenügenden zirkulären Fixation des Zahnfleischrandes, spätere parodon-tale Komplikationen durch Taschenbildung sind zu erwarten. Der größte Schaden besteht jedoch in der ungenügenden Gebrauchsfähigkeit des Gebisses.

Neben der Behinderung der Längenentwicklung verursachen persistierende Milchcanini häufig eine Verlegung des bleibenden Caninus in Richtung Mittellinie, also nach lingual mit der Folge, dass der Unterkiefer-Caninus zu steil steht und in den Gaumen einbeißt (Mandibula angusta).

 

3.3 Die Mandibula angusta – eine komplexe Fehlentwicklung der Caninusposition

Diese einseitig oder beidseitig auftretende Stellungsanomalie der unteren permanenten, seltener der deziduenten Canini, zeichnet sich durch eine zu steile Stellung der Zähne aus. Dadurch kann der untere Caninus nicht in seine physiologische schräge Position in der Lücke zwischen oberem dritten Incisivus und oberem Caninus einbeißen, sondern bohrt sich in unterschiedlichem Schweregrad in den Zahnfleischrand des Oberkiefers ein.

Der Begriff Mandibula angusta suggeriert, dass eine skelettale Fehlbildung, nämlich eine pathologische Fehlentwicklung des Unterkieferknochens im Sinne eines zu schmalen Unterkiefers vorliegt. Die Fehlbildung wurde bereits 1926 von Joest beschrieben. Die eigentlich gemeinte Skelettfehlbildung wird zwar beobachtet, ist aber sehr selten, weitaus häufiger sind andere Ursachen bei physiologischer Kieferbreite verantwortlich.

Bei extrem steil gestellten Canini kann die Einpresstelle im Bereich des harten Gaumens liegen und sogar zu oro-nasalen Fisteln mit schwerwiegenden entzündlichen Komplikationen führen.

Die Zahnfehlstellung tritt bei vielen Rassen auf, es können aber familiäre und rassespezifische Häufungen beobachtet werden.

Die Fehlstellung wird in praxi am häufigsten durch persistierende Milchcanini verursacht. Aber auch bei korrektem und rechtzeitigem Zahnwechsel kommt es durch schmale Mandibelform (s. o.), Zahnkeimverlagerungen (steile Keimlage), insbesondere aber auch durch skelettale Normabweichungen der Kieferlängenentwicklung zur Ausprägung einer Mandibula angusta.

In zunehmendem Umfang (erhebliche Erblichkeit!) werden skelettale Fehlbildungen im Sinne von unharmonischen Längenverhältnissen von Unter- zu Oberkiefer beobachtet. Der Vor- und Rückbiss tritt regelmäßig bei allen Rassen auf. In geringem Umfang sind kieferorthopädische Korrekturen verkürzter Unterkiefer während der Wachstumsphase der Tiere durch Einsatz von Aktivatoren möglich. Diese aus Stahl maßgefertigten Aufbissschienen lenken die Canini des Unterkiefers auf einer schiefen Ebene nach vorne und üben damit einen Distraktionszug im Kiefergelenk aus. Dies bewirkt eine Aktivierung der im Kieferwinkel gelegenen Wachstumszonen des Unterkiefers und kann so zu erheblichen Verbesserungen des Längenverhältnisses führen (Abb. 3.8).

Umstellungsosteotomien, die gelegentlich durchgeführt werden, stellen schwere und komplikationsgefährdete Eingriffe dar, die meist mit der Opferung mehrerer Zähne verbunden sind und daher die individuelle Situation des Einzeltieres kaum verbessern.

 

Wenn der Unterkiefer zu kurz ist (skelettaler Distalbiss), kann sich der untere Caninus nicht in die physiologische Lücke zwischen dem oberen I3 und dem Caninus einfügen, weil der untere Caninus durch die Distalverschiebung teilweise oder ganz an der Palatinalseite des oberen Caninus zu liegen kommt. Er wird beim Hochwachsen also durch den Kontakt mit dem Oberkiefer-Caninus in eine steile, häufig vertikale Position gedrängt, mit einem entsprechenden Einbiss.

Die pathologische Positionsentwicklung aufgrund der Ablenkung durch andere Zähne wird »Zwangsbiss« genannt. Eine Therapie ist häufig nicht möglich (Abb. 3.9).

3.4 Die Ursachen von Kiefer- und Zahnfehlstellungen: erblich oder nicht?

Zweifellos sind viele Anomalien erblich. Aus der Humangenetik ist bekannt, dass Kieferfehlstellungen stark vererbt werden, während Zahnfehlstellungen häufig nicht erblich sind, da sie von vielen zufälligen Einflüssen herrühren können. Aber auch Kieferfehlbildungen – hier insbesondere der skelettale Distalbiss mit Verkürzung des Unterkiefers – können durch eine nicht vererbte, unfallbedingte Stauchung der Wachstumszonen, die sich im hinteren Ast des Unterkieferknochens nahe des Kiefergelenkes befinden, verursacht werden. Eine beweissichere Abgrenzung zu Erbfehlern ist nicht möglich.

 

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Abb. 3.9
Zwangsbiss bei skelettalem Distalbiss. Der untere Caninus liegt zu weit distal und schiebt sich an der Innenfläche des oberen Caninus steil in den Oberkiefer.

Die umfangreichen Erkenntnisse der Humankieferorthopädie, die sich u. a. aus der Zwillingsforschung ergaben, sind sicherlich prinzipiell auf den Hund übertragbar. Für den Hund liegen exakte Dokumentationen über den Erbgang von Zahnfehlern nur äußerst lückenhaft vor.

Andererseits sind auch zahlreiche Beispiele von Zahnfehlstellungen bekannt, die auf eine zufällige, nicht erbliche Entwicklung von Zahnfehlern hindeuten.

Unarten des Einzeltieres wie Steineschleppen, Zerren an der Leine oder das Tragen von Stöckchen etc. können bereits während der Entwicklungsphase und im Milchzahnwechsel einen negativen Einfluss auf die Position und Lage des sich entwickelnden bleibenden Zahnes ausüben. Auch durch Unfälle können hochwachsende Zähne in eine falsche Position gedrängt werden. Dies ist nicht selten bei einseitigem Caninusengstand der Fall. Im eigenen Patientengut konnte ich Fälle von Zahnverlagerungen als Folge von Bissverletzungen des Oberkiefers im Welpenalter beobachten.

Es kann daher im Einzelfall nicht immer eindeutig entschieden werden, welcher Erblichkeitsgrad einer bestimmten Fehlbildung zuzuordnen ist. Im Zweifelsfall sind Züchter gut beraten, mit merkmalsbehafteten Tieren nicht zu züchten. Generell sollte die deutsche Züchterschaft vermehrte Anstrengungen unternehmen, um eindeutige und auf wissen-schaftlich-odontologischer Basis zu begründende Zuchtordnungen zu erarbeiten, damit auch in Zukunft leistungsfähige Tiere mit funktionellem und starkem Gebiss gezüchtet werden können.

 

3.5 Die Milchzahnpersistenz als Ursache von Zahnfehlstellungen

Die persistierenden Milchcanini des Oberkiefers stehen stets distal, also hinter dem permanenten Zahn, die Milchcanini des Unterkiefers liegen generell labial der durchbrechenden permanenten Fangzähne.

Die Ausprägung einer Mandibula angusta des Unterkiefer-Caninus kann auch durch eine Milchzahnpersistenz des Oberkiefer-Caninus ausgelöst werden: Da der distal positionierte persistierende Milchcaninus des Oberkiefers die Durchbruchsrichtung des Oberkiefer-Caninus nach mesial verändert, verengt sich die Lücke zwischen dem dritten Ober-kiefer-Incisivus und Oberkiefer-Caninus, so dass der untere Antagonist durch die Verlegung der für eine orthognathe Position erforderlichen Lücke nach lingual/palatinal abgedrängt wird und folgerichtig in den Oberkiefer einbeißt (Abb. 3.6).

Die schräge Wachstumsrichtung der unteren Canini ist nicht durch eine entsprechende Achsenlage der Caninus-Zahn-keime vorgegeben. Vielmehr liegen die Zahnkeime der Unter-kiefer-Canini zunächst parallel zur Mittellinie im Kieferknochen (Abb. 3.10). Mit dem Durchbruch der Caninusspitzen geraten diese unter das Gewicht der Zunge. Es ist also der permanente Gewichtsdruck der Zunge, der in den Wochen des Hochwachsens der Canini diese in die Schräglage führt, die dann letztlich die orthognathe physiologische Caninusposition darstellt.

 

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Abb. 3.11a
Hund, ca. 4,5 Monate alt. Korrekte frühzeitige Extraktion des persistierenden oberen Milchcaninus. Der permanente Caninus fängt gerade an durchzubrechen.

Der Caninus benötigt zur fehlerfreien Eingliederung in das Gebiss die leere Alveole des gefallenen Milchcaninus. Die sofortige und vollständige Extraktion der Milchcanini ohne Hinterlassung frakturierter Wurzelreste ist daher das Mittel der Wahl, rechtzeitige Durchführung ist dringend geboten.

Therapie: Milchcanini noch in situ: Sofortige Extraktion der Cd.

Merke: »Never allow two teeth of the same kind to be in the mouth at the same time!«

Es ist wichtig, die Extraktion des Milchcaninus so früh wie möglich durchzuführen und keine frakturierten Wurzelreste in der Milchzahnalveole zu belassen (Abb. 3.11a). Verbleiben Wurzelreste in der Alveole, kann der hochwachsende Caninus seine Normposition nicht einnehmen, sondern wird, genau wie bei vollständig persistierendem Caninus, in eine Fehlposition gedrängt.

Nach der Extraktion wird der Besitzer angewiesen, die permanenten Canini durch unterstützenden manuellen digitalen Druck in die lateral gelegenen Milchzahnalveolen hineinzumassieren. Die Milchzahnalveole wird als Teil des neuen Zahnfaches benötigt (s. o.). Befinden sich in dieser Alveole jedoch noch frakturierte Wurzelanteile, so wird ihm der Weg in die gewünschte Richtung verlegt.

 

3.6 Die Extraktion der Milchzähne

Milchzähne sind keineswegs einfach zu extrahieren. Je nach Resorptionsgrad der Wurzeln können insbesondere die Milchcanini noch ungewöhnlich fest in der Alveole verankert sein. Sie widersetzen sich aufgrund der bemerkenswert langen Wurzeln häufig hartnäckig den Extraktionsversuchen, was bei ungenügender Extraktionstechnik oft zur Frakturierung führt.

Früher nahm man an, dass der im Kieferknochen verbliebene Rest der Milchzahnwurzel schnell resorbiert wird. Diese Auffassung ist heute durchaus umstritten. Der Wurzelrest wird meist relativ schnell von Mundhöhlenepithel überwachsen und tritt dann klinisch nicht mehr in Erscheinung, kann aber gleichwohl lang andauernde Beschwerden, wie Fistelungen und Abszesse, verursachen. Da der Zahnhalteapparat im Laufe der Zeit obliteriert und die Wurzel häufig sklerosiert, stellt sie sich im Röntgenbild nur noch unzureichend dar, zumal die Zahnaufnahmen im Tiergebiss aus anatomisch-röntgentech-nischen Gründen nicht so aussagekräftig sind wie beim Menschen. So entsteht häufig bei oberflächlicher Nachkontrolle der Eindruck, dass der Wurzelrest verschwunden, eben resorbiert sei. Inwieweit die Zellen aus der Milchzahnpulpa tatsächlich noch eine Resorption oder Teilresorption durchführen können, ist nicht hinreichend erforscht.

Im Falle größerer infektiöser Komplikationen kann es auch zur eitrigen Einschmelzung kommen. Da aber der Resorptionsvorgang an aktive zelluläre Vorgänge (s. o.) gekoppelt ist, wird die weitere Resorption der Wurzelreste immer dann gestoppt, wenn Infektionen in der Tiefe des Kieferknochens ablaufen und die Osteoklasten / Odontoklasten zugrunde gehen. Solche Infektionen entwickeln sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dann, wenn durch die Wurzeln frakturierter Milchzähne pathogene Keime in die Tiefe der Gewebe vordringen können.

Leider findet man bei Züchtern und Tierärzten noch immer die Auffassung, dass ein Abbrechen der Caninusspitze auf Zahnfleischniveau als Therapie der Milchzahnpersistenz ausreiche. Dieser Irrtum muss historisch von der falschen Annahme abgeleitet werden, dass Milchzähne immer »wurzellos« seien. Bis in die heutige Zeit hat sich der Fehlschluss gehalten, dass die physiologisch ausgefallenen Zähne, die durch Resorption während des Zahnwechsels wurzellos geworden sind, nie eine Wurzel gehabt hätten. Wird der Milchzahn lediglich auf Zahnfleischniveau frakturiert, so entsteht ein kanülenartiger Zugang für Bakterien und Fremdkörper mit den o. g. pathologischen Folgen. Die weitere Resorption der Wurzelreste wird durch dieses als Kunstfehler anzusehende Verfahren verzögert oder gar unmöglich (Abb. 3.11b). Da die Schmelzsynthese des permanenten Zahnkeimes zu diesem Zeitpunkt schon beendet ist, ist jedoch eine Beschädigung des Zahnschmelzes (Schmelzhypoplasie) nicht zu erwarten.

3.6.1 Extraktion durch Hebel (Luxation)

Die Extraktionstechnik bei Milchzähnen ist im Prinzip die gleiche wie bei permanenten Zähnen. Der Luxation mit einem Bein'schen Hebel geeigneter Größe folgt die eigentliche Entfernung aus der Alveole mit Hilfe einer Zahnzange.

Jedoch ist bei Milchzähnen, insbesondere den Canini, aufgrund der starken Krümmung der Wurzeln, der Wurzelschwächung durch physiologische Resorption und letztlich wegen der grazilen Größenverhältnisse mit der anzuwendenden Kraft sehr dosiert umzugehen, um Zahnfrakturen zu vermeiden.

Ein zweiendiges Spezialinstrument (Zahnextraktor nach Fahrenkrug, Henry Schein, Hamburg) mit konvex und konkav gebogenen, scharf angeschliffenen Enden, erlaubt eine schneidende Luxation der Milchcanini. Mit etwas Übung gelingt es fast immer, den Zahn in kurzer Zeit unfrakturiert aus der Alveole zu entfernen.

Cave: Vor der Extraktion eines persistierenden Milchzahnes muss sichergestellt werden, dass tatsächlich ein bleibender Zahn unter dem Milchzahn vorhanden ist. Drängt der bleibende Zahn schon neben dem persistierenden Milchzahn hoch, fällt die Diagnose leicht, im Zweifelsfall ist eine Röntgenkontrolle durchzuführen. Da ein Milchzahn immerhin noch begrenzte Funktion ausführen kann, belässt man in diesen Fällen den Milchzahn. Die Langzeitprognose ist jedoch eingeschränkt, da die grazilen, für den temporären Gebrauch im kleinen juvenilen Kiefer vorgesehenen Wurzeln den starken Belastungen ausgewachsener Hunde und deren Kaumuskelkräften nicht gewachsen sind – zunehmende Zahnlockerung und schließlich spontaner Zahnverlust sind die Folge (Abb. 3.11c, d).

 

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Abb. 3.11c
Persistierender Pd4 neben den bleibenden P3 und M1 (Foto: F. Ver-straete, UC Davis, CA, USA).

Da die betroffenen Hunde häufig im Zuchtgeschehen als vollzahnig beurteilt werden, weil der Richter den Milchzahn nicht als solchen erkennt, führt dies zu der Situation, dass ältere Zuchttiere plötzlich wegen Zahnunterzahl beanstandet werden. Es wäre wünschenswert, die Qualität der Gebissbeurteilung im Körbetrieb zu verbessern, denn eigentlich hätte der Hund nicht zur Zucht zugelassen werden dürfen.

3.6.2 Extraktion durch Osteotomie

Ist ein Milchzahn frakturiert, sollte der Wurzelrest durch Osteotomie entfernt werden (Abb. 3.11e).

Hierzu wird die Schleimhaut im Bereich der Zahnalveole aufgeklappt, der umgebende Knochen mittels Fräse oder Knochenknabberzange vorsichtig entfernt und der so weitgehend von Knochen befreite Zahnrest herausgehebelt. Nach Naht des Lappens verheilt die Wunde in kürzester Zeit.

 

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Abb. 3.11d
Das Röntgenbild zeigt die Nichtanlage des P4 (Röntgenbild: F. Ver-straete, UC Davis, CA, USA).

 

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Abb. 3.11e
Der frakturierte Wurzelrest des unteren Milchcaninus muss durch Osteotomie entfernt werden, um dem permanenten Caninus die Einschwenkung in die leere Alveole zu ermöglichen.

Auch ein vorsichtiges Ausbohren des Wurzeldentins kann in Betracht kommen, wenn der Wurzelrest unter Sicht ausgebohrt werden kann, anderenfalls droht eine Beschädigung des permanenten Zahnes.

Das Belassen größerer Wurzelreste in der Alveole (Radix re-licta) kann Ursache weitgehender Komplikationen sein (s. o.).

 

 

 

3.7 Therapie manifester Fälle von Mandibula angusta

Nach dem Hochwachsen der Canini bei bereits klinisch manifestem Einbiss der Caninusspitze in den Gaumen wird eine Therapie durch den Grad und die Position des Einbisses bestimmt.

In leichten Fällen ist eine chirurgische Korrektur der Einbissstelle am Umschlagrand des Kieferknochens (Gingivoplastik) mittels Radiochirurgie ausreichend (Abb. 3.12).

Liegt der Einbiss bzw. die Caninusspitzenposition im Bereich der physiologischen Lücke (OK C/I3), kann mittels einer Dehnschraube eine Lateralisierung der Caninusspitzen erzielt werden. Auch die Einklebung einer »schiefen Ebene« aus Acrylatkunststoff (PMMA) mittels Schmelzanätztechnik stellt eine bewährte Therapie dar (Abb. 3.13-3.15).

 

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Abb. 3.15
Einsatz einer schiefen Ebene nach Becker / Fahrenkrug mit Acrylat-Kunststoff.

 

 

 

 

Komplikationen können sich ergeben durch entzündliche Azerbationen der Einbissbereiche (Abb. 3.16a-c), die eine chirurgische Intervention erfordern. Extrem steil gestellte Canini sind häufig durch kieferorthopädische Maßnahmen nicht zu therapieren und müssen zur Verhinderung eines Durchbruches in die Nasenhöhle (Ausbildung einer oro-nasalen Fistel) durch Absetzen / Kürzung des Zahnes behandelt werden. Hierbei wird zwingend die Pulpa eröffnet, die bei den in praxi vorgestellten juvenilen Tieren stets noch sehr weitlumig ist (unreife Zähne). Man kürzt die Zähne vorsichtig nach sorgfältiger Desinfektion der Maulhöhle mit sterilem Instrumentarium auf ein Niveau, welches den Kontakt mit der palatinalen Schleimhaut gerade eben verhindert. Selbstverständlich ist die eröffnete Pulpa sorgfältig nach endodontischen Grundregeln (Vitalamputation) lege artis zu versorgen und der Zahnstumpf mit einer soliden Deckfüllung zu verschließen (Abb. 3.17).

Aufgrund der weitlumigen juvenilen Pulpenanatomie können massive, schwer zu beherrschende Blutungen auftreten. Die ordnungsgemäße Versorgung dieses invasiven Eingriffes ist technisch anspruchsvoll und sollte nur bei strenger Indikationsstellung erwogen werden.

Eine röntgenologische Nachkontrolle (3–6 Monate post op.) ist empfehlenswert, um ein entzündliches Absterben der Pulpa auszuschließen, was eine erneute Intervention erforderlich machen würde.

Die vom Besitzer häufig angefragte Extraktion der traumati-sierenden Canini im Unterkiefer ist nur im äußersten Notfall (z. B. juvenile nekrotische Pulpa) akzeptabel und technisch aufwändig, aufgrund der zu respektierenden diffizilen Anatomie des Unterkiefers im Bereich der Caninuswurzel. (Cave: Symphyse, Foramina mentalia, Canalis mandibularis, Gefäß-/ Nervenbündel der Mandibula-Versorgung etc.). Die Extraktion unterer Canini, die in aller Regel durch eine umfangreiche Osteotomie durchzuführen ist, erzeugt große Wundareale mit häufig lang andauernder Ausheilungszeit. Es entsteht nach Heilung durch den Verlust der knöchernen labialen Alveolen-wand eine stark eingezogene Unterkieferkontur, so dass die Zunge in Folge seitlich heraushängt. Da die unteren Canini eine Stütz- und Stabilisierungsfunktion für die Lage der Zunge haben, wird diese seitlich verlagert. Dies ist nicht nur kosmetisch unvorteilhaft, sondern verstärkt auch massiv den unerwünschten Speichelfluss aus dem Maul. Als Folge tritt z. B. unakzeptable Unsauberkeit bei Wohnungshaltung auf. Im Extremfall wird der Zungengrund durch die Backenzähne trau-matisiert. Hier kann nach Lähmung des N. lingualis eine völlig unkontrollierte Zungenmobilität entstehen, die eine Euthanasie nahelegen kann.

Die Extraktion unterer Canini ist generell unter allen Umständen zu vermeiden und auf absolute Notfälle zu beschränken.

3.7.1 Die Mandibula angusta im Milchgebiss

Liegt bei Welpen eine Unterkieferverkürzung vor, beißen bereits die Milchcanini in den Oberkiefer ein, weil sie – analog zur Situation im Wechselgebiss – durch den Kontakt mit der Palatinalfläche der Milchcanini des Oberkiefers in eine zu steile Position verlagert werden (Abb. 3.18).

Der Unter- und der Oberkiefer der Welpen wachsen nicht parallel, sondern in unkoordinierten Wachstumsschüben. Wenn also der Unterkiefer in der Tiefschlafphase bei Abschaltung des skelettalen Muskeltonus wachsen möchte, aber der Unterkiefercaninus in den Gaumen einbeisst, verzapft sich der Unter-mit dem Oberkiefer (»Interlock«) und das Längenwachstum wird be- oder verhindert. Dies führt zur Manifestation einer massiven Unterkieferverkürzung.

Hier entwickelt sich ein diskussionswürdiges züchterisches Problemfeld: Es ist möglich, dass ein Interlock in den ersten 3–5 Lebenswochen aufgrund einer harmlosen, als nicht hereditär bedenklichen Zahnachsenanomalie der Canini entsteht, weil lediglich eine unkoordinierte Wachstumsdifferenz vorliegt. Sind die Kiefer aber verzapft, kann das Wachstum nicht mehr aufgeholt werden, die Situation entwickelt sich zu einer manifesten skelettalen Kieferanomalie, die zwingend zum Zuchtausschluss des Tieres führen wird. Daher ist es extrem wichtig, die Kieferrelation und ggf. die bereits bestehende Verzapfung der Kiefer rechtzeitig zu diagnostizieren.

 

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Abb. 3.18
Mandibula angusta im Milchgebiss.

Häufig werden die Welpen nach dem Ankauf im Alter von 8–10 Wochen erstmalig in der Tierarztpraxis vorgestellt. Dies ist die passende Gelegenheit, das Gebiss gründlich zu inspizieren und auf Anomalien zu überprüfen. Neben einer Aufklärung des Besitzers über die Wichtigkeit eines physiologischen Zahnwechsels ist insbesondere zu prüfen, ob Kiefer- oder Zahnfehler vorliegen, die einer eventuellen späteren Zuchtverwendung des Tieres entgegenstehen könnten. Die Längenrelation der Kiefer ist hier von entscheidender Bedeutung. Da alle skelettalen Fehlentwicklungen wie Mesialbiss, Distalbiss oder Asymmetrien in fast allen Zuchtverbänden wegen erheblicher Erblichkeit berechtigterweise zum Zuchtausschluss führen, wird hier die Haftung des Züchters für als Zuchthunde verkaufte Welpen relevant. Es obliegt daher der Sorgfaltspflicht des Untersuchers, den – teils völlig unerfahrenen – neuen Welpenbesitzer auf Unregelmäßigkeiten hinzuweisen, um ihm zeitnah Gelegenheit zu geben, den Welpenankauf zu wandeln oder rückgängig zu machen, ggf. einen Preisnachlass einzufordern.

Eine engagierte und kompetente Untersuchung und anschließende Beratung des Welpenbesitzers über die bestehenden oder zu erwartenden Probleme des neuen Haustieres (Parodontalprobleme, Risiken brachyzephaler Rassen, Zähneput-zen, dentalfreundliche Ernährung etc.) werden vom Tierbesitzer sehr positiv bewertet werden und sind im Sinne der Kundenbindung ein wertvolles Werkzeug zur Demonstration von fachlicher Kompetenz und Engagement.

 

3.7.2 Therapie der juvenilen Mandibula angusta

Die Extraktion der betroffenen Milchcanini im Unterkiefer ist indiziert. Das Problem ist, dass hierbei der Zahnkeim des bleibenden Caninus im Kieferknochen beschädigt werden kann.

Da die Milchcanini über sehr lange Wurzeln verfügen (Abb. 3.5), können deren Wurzelspitzen – insbesondere bei forcierter hebelnder Extraktionstechnik – in die Zellschicht der schmelzbildenden Adamantoblasten gepresst werden, die den Zahnkeim kapuzenartig umhüllen. Die Folge kann eine Beschädigung der Zellen mit konsekutiver umgrenzter Schmelzhypoplasie sein (Abb. 3.20). Die Zahnkeime liegen in unmittelbarem Kontakt mit der Wurzelspitze des in Resorption befindlichen Milchzahnvorläufers. Die Schmelzhypoplasie ist eine schwere Zahnschädigung, die – vor allem am juvenilen Zahn mit dünner Dentinausbildung – schlecht reparabel ist. Sie erhöht die Gefahr von Zahnfrakturen durch Schwächung der statischen Gesamtstruktur massiv, eine Verwendung des Tieres als Zuchthund (unberechtigterweise), sowie eine Verwendung als Arbeits- und Diensthund (berechtigterweise) ist gefährdet. Eine Zahnkeimschädigung – durch forcierte Extraktion iatrogen verursacht -sollte also vermieden werden.

 

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Abb. 3.20
Lokal begrenzte Schmelzhypoplasie. Folge einer traumatisierenden Extraktion eines Milchcaninus. Haftpflichtfall!

Die Alternative ist die Kürzung des Milchzahnes, analog zum Vorgehen bei der Therapie der adulten Mandibula angusta. Selbstverständlich muss auch am Milchcaninus zwingend die endodontische Versorgung der Pulpa erfolgen (Vitalamputation, CaOH2 oder Mineral-Trioxid-Aggregat, MTA), die Deckfüllung kann jedoch aufgrund des bald zu erwartenden Zahnwechsels durch semipermanente Deckfüllungsmaterialien wie Phosphatzement, MTA (Mineral-Trioxid-Aggregat) oder Glasionomerzement erfolgen.

Aufgrund der chronologischen Zahnentwicklung kann zur Wahl der indizierten Therapie eine Zeitschiene gebildet werden: Der Zahnschmelz des Permanentgebisses ist nach herrschender Lehrmeinung gegen Ende des 3. Lebensmonates fertig synthetisiert. Mit etwas »Sicherheitspuffer« für spät entwickelnde Individuen sollte daher ab dem Ende des 4. Lebensmonats die Extraktion das Mittel der Wahl sein, weil der fertige Zahnschmelz durch mechanische Extraktionsinsulte nicht mehr gefährdet sein kann. Bei jüngeren Patienten ist der o. g. Vitalamputation der Vorzug zu geben (Abb. 3.19, 3.20).

 

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842685178
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Juni)
Schlagworte
Betreuung Diagnose Hund Hundewelpen Schwangerschaft beim Hund Therapiemaßnahmen Versorgung Veterinärmedizin

Autor

  • Axel Wehrend (Herausgeber:in)

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Titel: Neonatologie beim Hund