Zusammenfassung
Der allgemeine Teil präsentiert detaillierte Ausführungen zum neurologischen Untersuchungsgang, zur Neuropathologie und zu Genetischen Krankheiten. Ein guter Einstieg in die praxisrelevanten Grundlagen der Neurologie geben einzelne Kapitel zu den klinischen Besonderheiten der Bereiche Laboruntersuchungen, Anästhesie, Radiologie und Elektrodiagnostik, Rehabilitation, Pharmakologie und Chirurgie. Ein zusätzliches Kapitel in diesem Teil geht auf neurologische Notfälle ein. Der spezielle Teil geht auf die spezifischen neurologischen Erkrankungen nach ihrer Lokalisation ein und bietet konkrete Angaben zur Diagnose und Therapie besonderer Krankheitsbilder. Neu ist außerdem der Bildanhang Neuroanatomie und -pathologie, der sich mit Darstellungsmöglichkeiten durch Bildgebende Verfahren beschäftigt.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Für Danielle:
Dank sei ihrer Liebe, Unterstützung und ihrem Verständnis
sowie meinen Söhnen Thomas, Stefan und Samuel
Vorwort zur 2. Auflage
»Im eigenen Auge schau mit Lust
was Plato von Anbeginn gewusst!
Und will Dir’s nicht von selbst gelingen
So wird Purkinje Dir es bringen.«
WOLFGANG GOETHE
Die vorliegende 2. Auflage wurde überarbeitet und mit neuen Erkenntnissen in den verschiedenen Kapiteln sowohl textlich als auch mit Abbildungen ergänzt bzw. erneuert. Wir blieben dem Grundsatz treu, die organischen Krankheiten so zu beschreiben, dass ihre Gewichtung, Gliederung oder Gruppierung sowohl die Studierenden als auch die Tierärzteschaft in der Praxis anspricht.
Zudem konnten zwei renommierte Fachleute – Prof. Spreng und Dr. Sigrist – dafür gewonnen werden, ihr profundes Wissen über Notfallmedizin im neu gestalteten Kapitel 12 einfließen zu lassen. Es ist ihnen gelungen, anhand von einfachen Flussdiagrammen und klaren Aussagen, die Komplexität der neurologischen Notfallsituationen auf didaktisch präzise Art und Weise darzustellen.
Des Weiteren wird der interessierte Leser im Anhang 1 auf eine äußerst gelungene Darstellung von Magnetresonanz-, Computer- sowie Makroschnittbilder (unter dem Titel »Vergleichender Schnittbildatlas des Hunde- und Katzengehirns«) stoßen. Die Experten – Profs. Lang und Vandevelde sowie die
Dres. Gassner, Rossi und Konar – haben mit ihrem Werk einen soliden Beitrag zum Verständnis der neurologischen Diagnostik beigetragen. Eine klare Übersicht der gängigsten Sequenzen in der MRT-Diagnostik wird gezeigt und ihr Einsatz anhand von klinischen Fallbeispielen verständlich dargestellt.
Allen mitarbeitenden Autoren spreche ich meinen Dank für ihre Mitwirkung aus. Die Überarbeitung des Buches hat auch dem Verlag ein besonderes Maß an Arbeit gekostet. Großer Dank gebührt Frau Dr. Ulrike Oslage, ohne sie wäre die zweite Auflage nicht so schnell zustande gekommen. Im Speziellen möchte ich Frau Bettina Sodemann für ihren Einsatz und die sorgfältigen redaktionelle Bearbeitung danken.
Auch allen Lesern und Freunden, die mit kritischen Hinweisen zur Ausmerzung von Ungenauigkeiten oder Fehlern beigetragen haben, sei ein herzliches Dankeschön ausgesprochen. Wir sind weiterhin für kritische Hinweise dankbar.
Bern, im Frühling 2007
André Jaggy
Vorwort zur 1. Auflage
Dieses Buch vereint eine hoch motivierte und zum größten Teil international renommierte Gruppe von Neurologen, Radiologen, Internisten, Chirurgen, Anästhesiologen, Kardiologen, Pathologen, Genetikern,Verhaltenstherapeuten und Parasitologen. In meiner Position als Professor für Neurologie und Neurochirurgie an der Vetsuisse Fakultät Bern war es meine Aufgabe, die verschiedenen Kapitel so zu planen, organisieren und redigieren, dass das Buch aus »einem Guss« wird – was in den klinischen Kapiteln am deutlichsten zum Ausdruck kommt.
Die meisten Neurologen und Neurologinnen stammen aus der »Berner Schule für klinische Tierneurologie«, welche von Prof. Marc Vandevelde iniziiert und von mir in den späten Achtziger Jahren weitergeführt wurde. Sowohl ihm wie meinem früheren Mentor – Prof. John Oliver, University of Georgia, USA – bin ich zu Dank verpflichtet. Beide haben mich gelehrt wie wichtig es ist, die klinische Erfahrung stets mit aktuellen Forschungsresultaten zu kombinieren. Ich habe versucht, diese Prämisse bei den Erkenntnissen aus meinem Forschungsgebiet – der »Epilepsie beim Hund« zu erfüllen und später auch im Unterricht bei den Studierenden und der Weiterbildung vonTierärzten – national wie international – zu berücksichtigen.
Das Buch besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil beinhaltet den neurologischen Untersuchungsgang, ein einführendes Kapitel über die Neuropathologie sowie eine etwas ausführlichere Abhandlung von Zusatzuntersuchungen wie Elektrodiagnostik, Laboruntersuchungen und Radiologie, welche aus der Neurologie nicht mehr wegzudenken sind. Detaillierte Angaben finden sich über Anästhesie, Pharmakologie und Rehabilitation. Der erste Teil wird mit den Kapiteln über die Neurochirurgie, Neurogenetik und Akupunktur abgerundet. Der zweite Teil widmet sich den klinischen Aspekten der Neurologie und gliedert sich entsprechend den verschiedenen Abschnitten des Nervensystems: von den peripher gelegenen Strukturen wie Nerven und Muskulatur zu den höher situierten Schaltzentren des Gehirns.
Der versierte Leser wird schnell merken, dass die verschiedenen Kapitel nach dem Akronym »VETAMIN D« eingeteilt sind und der jeweiligen Häufigkeit der Krankheiten folgen.
Trotz seines Umfangs erhebt das Buch keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Es möchte lediglich die – aus der Sicht der Autoren – wichtigsten Aspekte der neurologischen Erkrankungen verständlich darstellen. Die aufgeführte Literatur erleichtert den Weg zu vertiefter Information über einzelne Aspekte. Auch wenn die in den Illustrationen reichlich vertretenen bildgebenden Untersuchungen eine nicht mehr wegzudenkende Rolle in der Diagnostik spielen, sehen die Autoren in ihnen doch vor allem die Bestätigung einer vorher formulierten klinischen Verdachtsdiagnose. Diese ergibt sich in der Regel aus einer sorgfältigen Anamnese, der gründlichen neurologischen Untersuchung und der präzisen Lokalisation. Dem Erwerb dieser Kenntnisse möge das vorliegende Werk auch dienen.
Zusätzlich zum Buch wurde eine VCD-ROM zum besseren Verständnis des neurologischen Untersuchungsganges und somit der anatomischen Lokalisation der Läsion hergestellt. Neun neurologische Fälle werden zur Selbstevaluation mitgeliefert. Mein Dank geht hier an die Herren Dr. Fabrice Hamann und Sam Jaggy, welche für die Realisierung dieses Projektes sehr viel beigesteuert haben.
Die Autoren sind Frau Dr. Ulrike Oslage von der Schlüterschen Verlagsgesellschaft für die sorgfältige Gestaltung und Produktion des Buchs zu Dank verpflichtet.
Bei der Beschaffung von Literatur und Bildmaterial, bei der kritischen Durchsicht von Manuskriptkapiteln und der sorgfältigen Aufarbeitung der Anhänge haben Viele mitgeholfen. Gedankt sei insbesondere Tim Bley,Yvonne Reimer,Ales To-mek, Martin Konar und Patrick Kircher. Ganz speziell möchten wir Stan Demierre für die Graphiken und Strichzeichnungen danken. Ein spezieller Dank geht auch an meinen Kollegen Johann Lang für die radiologischen Abbildungen.
Es ist mir ein Bedürfnis, all jenen zu danken, die uns in unserer Arbeit in irgendeiner Form tatkräftig unterstützt haben: den akademischen und technischen Mitarbeitern der Klinik für kleine Haustiere; den überweisenden Tierärzten und Spezialisten – ohne sie wären wir als fast ausschließliche Überweisungspraxis auf sehr schwachem Fuß – den Studierenden, die uns täglich herausfordern, uns realitätsnah kritisieren, unserem Dozieren Sinn verleihen und uns Freude bereiten. Merci …
Bern, im Oktober 2004
André Jaggy
Autorenverzeichnis
Filippo Adamo DVM Dipl ECVN Prof.
Assistant Professor Neurology – Neurosurgery
University of Wisconsin
2015 Linden West Drive
Madison WI 53706
USA
Kapitel 13: PNS (Koautor)
Susi Arnold Dr.med.vet. FVH Prof.
Privatdozentin, Leiterin der Abteilung für Kleintierfortpflanzung
Deptartement für Kleintiere./Kleintierfortpflanzung
Vetsuisse Fakultät Zürich
Winterthurerstrasse 260
CH – 8057 Zürich
Kapitel 14.2: Blasenstörungen (Autorin)
Massimo Baroni DVM Dipl ECVN
Praktischer Tierarzt, Fachtierarzt für Neurologie
Clinica Veterinaria Valdinievole
via Mascagni 112
51015 Montecatini Terme
I – Pistoia
Kapitel 15:Vestibulärapparat (Autor)
Marco Bernardini Dr. med. vet. Dipl ECVN Prof.
Assitant-Professor
University of Padua
via Montebello 7
I – 40121 Bologna
Kapitel 14: Rückenmark (Koautor)
Thomas Bilzer Dr. med. vet. Prof.
Professur für Neuropathologie
Fachtierarzt für Pathologie
Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Düsseldorf
Moorenstraße 5
D – 40225 Düsseldorf
Kapitel 2: Neuropathologie (Autor) und Kapitel 17: Großhirn (Koautor)
Tim Bley Dr. med. vet.
Assistent Abteilung Neurologie
Departement für klinische Veterinärmedizin
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 7.3: Biopsie (Autor)
Luciana Bergamasco Dr. med. vet. Prof.
Assistant-Professor
via Leonardo da Vinci 44
I – 10095 Gruliasco Torino
Kapitel 7.3 Elektroenzephalographie (Autor)
Laurent Cauzinille Dr. med. vet. Dipl ECVN and ACVIM (Neurology)
Fachtierarzt für Neurologie
Clinique Fregis
43 Avenue Aristide Briand
F – 94110 Arcueil
Kapitel 13: PNS (Koautor)
Sigitas Cizinauskas DVM Dipl ECVN
Fachtierarzt für Neurologie
Eläinsairaala Aisti
Virtatie 9 Myyrmäki
SF – 01600 Vantaa
Kapitel 14: Kleinhirn (Autor)
Peter Deplazes Dr. med. vet. FVH Dipl EVPC Prof.
Ordinarius, Direktor Institut für Parasitologie
Vetsuisse Fakultät Zürich
Winterthurerstrasse 266a
CH – 8057 Zürich
Kapitel 20: Parasitologie neurologischer Erkrankungen (Autor)
Dominik Faissler Dr. med. vet. Dipl ECVN Prof.
Assistant Professor Neurology – Neurosurgery
Tufts University
200 Westboro Road
North Grafton MA 01536
USA
Kapitel 13: PNS (Autor)
Gaby Flühmann Dr. med. vet.
Assistentin
Abteilung für Neurologie
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 7: Elektrodiagnostik (Koautorin)
Franck Forterre Dr. med. vet. Dipl ECVS
Oberassistent
Abteilung für Chirurgie
Departement für klinische Veterinärmedizin
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 10: Neurochirurgie (Koautor)
Claude Gaillard Dipl. Ing. Agr. Prof. emer.
Ordinarius emeritus, Direktor des Institutes für Genetik,
Ernährung und Haltung von Haustieren
Vetsuisse Fakultät Bern
Bremgartenstrasse 109a
CH – 3012 Bern
Kapitel 3: Genetische Krankheiten und Rassendispositionen (Autor)
Gualtiero Gandini DVM DECVN Prof.
Department of Veterinary Clinical Sciences
University of Bologna
via toara di sopra 50
I – 40064 Ozzano Emilia
Kapitel 18: Großhirn (Autor)
Olivier Glardon Dr. med. vet. FVH
Lehrbeauftragter
Departement für klinische Veterinärmedizin
Abteilung Neurologie
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 11: Akupunktur (Autor)
Frédéric Gaschen Dr. med. vet. Dipl ACVIM und
ECVIM-CA Prof.
Associate Professor of Veterinary Medicin
Departement of Veterinary Clinical Science
Louisiana State University
USA – Baton Rouge, LA 70803
Kapitel 4: Laboruntersuchungen (Autor) und Kapitel 12: PNS (Koautor)
Nicole Gassner Dr. med. vet.
Departement für klinische Veterinärmedizin
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Anhang
Tony Glaus Dr. med. vet. Dipl ACVIM (Innere Medizin) und ECVIM (Innere Medizin und Kardiologie) PD
Privatdozent, Wissenschaftlicher Leiter der Abteilung für Kardiologie
Vetsuisse Fakultät Zürich
Winterthurerstrasse 260
CH – 8057 Zürich
Kapitel 9.1: Neuropharmakologie:Antibiotikatherapie (Autor)
Thomas Gödde Dr. med. vet. Dipl ECVN
Fachtierarzt für Neurologie
Tierärztliche Gemeinschaftspraxis
Heurungstraße 10
D – 83451 Piding
Kapitel 17: Hirnstamm (Koautor)
André Jaggy Dr. med. vet. Dipl ECVN PhD Prof.
Extraordinarius, Direktor
Departement für klinische Veterinärmedizin
Abteilung Neurologie
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 1: Neurologischer Untersuchungsgang (Autor)
Kapitel 2.3: Liquoruntersuchung (Autor) Kapitel 7.3: Elektro
enzephalographie (Koautor) Kapitel 13: Peripheres Nervensystem
und Muskulatur (Koautor) Kapitel 15:Vestibulärapparat (Koautor)
Kapitel 16: Kleinhirn (Koautor) Kapitel 18: Großhirn (Autor)
Konrad Jurina Dr. med. vet. Dipl ECVN
Fachtierarzt für Neurologie
Tierärztliche Fachklinik für Kleintiere
Keferloher Straße 25
D – 85540 Haar
Kapitel 13: PNS (Koautor)
Iris Kathmann Dr. med. vet. Dipl ECVN
Fachtierärztin für Neurologie
Lehrbeauftragte
Departement für klinische Veterinärmedizin
Abteilung Neurologie
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 8: Rehabilitation (Autorin) und Kapitel 17.6: Epilepsie (Koautorin)
Marion Kornberg Dr. med. vet. Fachtierärztin Dipl ECVN
Fachtierärztin für Neurologie
Pellingerstraße 57
D – 54294 Trier
Kapitel 14: Rückenmark (Koautorin)
Johann Lang Dr. med. vet. Dipl ECVDI Prof.
Extraordinarius,Abteilungsleiter der klinischen Radiologie,
akademischer Leiter der Kleintierklinik
Departement klinische Veterinärmedizin
Vetsuisse Fakultät Bern
Längassstrasse 124
CH – 3001 Bern
Kapitel 6: Neuroradiologie (Autor)
Christophe Lombard Dr. med. vet. Dipl. ACVIM
(Innere Medizin) und ECVIM (Innere Medizin und
Kardiologie) Prof.
Ordinarius für Innere Medizin und Kardiologie
Departement für klinische Veterinärmedizin
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 124
CH – 3012 Bern
Kapitel 18.10: Synkopen (Autor)
Massimo Mariscoli DVM Dipl ECVN Prof.
Assistant-Professor
Dipartimento Scienze Cliniche Veterinarie
Faculta di Medicina Veterinaria
Universita di Teramo
viale Crispi 212
I – 64100 Teramo
Kapitel 15: Vestibulärapparat (Koautor)
Petra Mertens Dr. med. vet. FTAV CAAB DECVBM-CA DACVB Prof.
Assistant-Professor
University of Minnesota
College of Veterinary Medicine
1352 Boyd Avenue South
St. Paul MN 55108
USA
Kapitel 19:Verhaltensstörungen (Autorin)
Anne Muhle Dr. med. vet. Dipl ECVN
Fachtierärztin für Neurologie
Centro Veterinario Gregorio VII
via Gregorio VII 518
I – 00615 Rom
Kapitel 7.3: Elektrodiagnostik (Koautorin) und Kapitel 16: Hirnstamm (Koautorin)
Gina Neiger-Aeschbacher Dr. med. vet. Dipl ACVA und ECVA
Oberassistentin, Abteilung für Anästhenologie
Departement für klinische Veterinärmedizin
Länggassstrasse 124
CH – 3012 Bern
Kapitel 5: Anästhesie (Autorin) und Kapitel 9.3: Analgetika (Autorin)
Claudia Reusch Dr. med. vet. Dipl. ACVIM und ECVIM Prof.
Oridinaria, Direktorin Klinik für Kleintiermedizin
Klinik für Kleintiermedizin
Vetsuisse Fakultät Zürich
Winterthurerstrasse 260
CH – 8057 Zürich
Kapitel 9.2: Neuropharmakologie: Steroidtherapie (Autorin)
Ulrich Rytz Dr. med. vet. Dipl ECVS
Oberassistent
Departement für klinische Veterinärmedizin
Kleintierklinik, Abteilung Chirurgie
Vetsuisse Fakultät Bern
Längassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 10: Neurochirurgie (Autor)
Hugo Schmökel Dr. med. vet. Dipl ECVS
Oberassistent, Fachtierarzt für Chirurgie
Institut für Biotechnologie der EPFL LMRP
AA B 046
CH – 1015 Lausanne
Kapitel 10: Neurochirurgie (Koautor)
Gabriela Seiler Dr. med. vet. Dipl ECVDI
Lecturer in Radiology
School of Veterinary Medicine
University of Pennsylvania
3900 Delancey Street
Philadelphia PA 19104–6010
USA
Kapitel 6: Neuroradiologie (Koautorin)
Nadja Sigrist Dr. med. vet. FVH Dipl ACVECC
Oberassistentin
Departement für klinische Veterinärmedizin
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 12: Stabilisation des neurologischen Notfallpatienten (Autor)
Bernhard Spiess Dr. med. vet. Dipl ACVO und Dipl ECVO Prof.
Professor ad personam, Abteilungsleiter
Departement für Kleintiere
Abteilung Ophthalmologie
Vetsuisse Fakultät Zürich
Winterthurerstrasse 260
CH – 8057 Zürich
Kapitel 1.5: Ophthalmologischer Untersuchungsgang (Autor) und 17.6: Neuroophthalmologie (Autor)
David Spreng Dr. med. vet Dipl ECUS und ACUECC Prof.
Titularprofessor
Abteilung für Chirurgie
Departement für klinische Veterinärmedizin
Vetsuisse Fakultät Bern
Länggassstrasse 128
CH – 3012 Bern
Kapitel 12: Stabilisation des neurologischen Notfallpatienten (Autor)
Petr Srenk Dr. med. vet. Dipl ECVN
Fachtierarzt für Neurologie
Überweisungsklinik JAGGY Brno
Komárovská 5
61700 Brno
Tschechische Republik
Kapitel 7: Elektrodiagnostik (Autor)
Frank Steffen Dr. med. vet. Dipl ECVN
Leitender Oberarzt
Departement für Kleintiere/Neurologie-Neurochirurgie
Vetsuisse Fakultät Zürich
Winterthurerstrasse 260
CH – 8057 Zürich
Kapitel 17: Hirnstamm (Autor) und Kapitel 14: Blasenstörungen (Koautor)
Andrea Tipold Dr. med. vet. Dipl ECVN Prof.
C3-Professur an der Klinik für Kleine Haustiere in Hannover
Klinik für Kleine Haustiere
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Bischofsholer Damm 15
D – 30173 Hannover
Kapitel 14: Rückenmark (Autorin)
Marc Vandevelde Dr. med. vet. Dipl ECVN Prof.
Ordinarius, Abteilungsleiter klinische Neurologie
Departement für klinische Veterinärmedizin
Vetsuisse Fakultät Bern
Bremgartenstrasse 109a
CH – 3012 Bern
Kapitel 2.2: VETAMIN D (Autor)
Cornelius von Werthern Dr. med. vet. FVH Dipl ECVS
Fachtierarzt für Chirurgie
Chirurgische Überweisungspraxis
Centralstrasse 25
CH – 6210 Sursee
Kapitel 10: Neurochirurgie (Koautor)
Abkürzungsverzeichnis
V | Hinweis für den Leser |
E | |
T | Für die klinische Diagnostik neurologischer Erkrankungen folgen die Autoren der Klassifikation nach dem Akronym VETAMIN D. Durch die farbliche Kenn- |
A | zeichnung sind diese Tabellen in den einzelnen Kapiteln schnell auffindbar. Der für eine Gruppe von Krankheiten stehende Buchstabe des Akronyms entfällt, |
M | wenn keine klinisch relevanten Erkrankungen dokumentiert sind. |
I | |
N | |
D |
1 Neurologische Untersuchung beim Kleintier

Die neurologische Untersuchung ist die Basis der klinischen Neurologie und dient der Erkennung anormaler klinischer Symptome. Festgestellte pathologische Ausfallserscheinungen bilden das Grundgerüst der neurologischen Syndrome.
Ziele der Untersuchung:
■Erfassen und Unterscheiden von neurologischen und nicht neurologischen Störungen.
■Lokalisieren und Feststellen des Ausmaßes der Läsion im zentralen (ZNS) oder peripheren Nervensystem (PNS).
■Festlegen von Differentialdiagnosen und Prognose.
Die neurologische Untersuchung stellt somit einen integralen Anteil innerhalb der klinischen Untersuchung dar. Nach Ermittlung der Lokalisation und möglicher Verdachtsdiagnosen können gezielte weiterführende Untersuchungen durchgeführt werden, um die genaue Ursache der Erkrankung und den zu erwartenden Verlauf (z. B. progressiv oder nicht) eruieren zu können.
1.1 Signalement
Einige neurologische Erkrankungen sind spezies- oder rassenspezifisch (z. B. Diskushernie beim Dackel, Epilepsie beim Golden Retriever, Syringomyelie beim Weimaraner oder Hydrozephalus beim Chihuahua). Andere sind altersabhängig (z. B. hereditäre und infektiöse Erkrankungen beim Welpen/Jungtier, degenerative oder tumoröse Entartungen beim älteren/geriatrischen Tier).
Bei bestimmten Krankheiten wird eine Geschlechtsdisposition beobachtet (siehe Anhang 1). Funktionsbedingt können bei für einen bestimmten Zweck abgerichteten Hunden (z. B. Polizei- oder Wachhunde) Störungen im ZNS durch Hypoglykämie auftreten.
1.2 Anamnese
Die neurologische Untersuchung beginnt stets mit der Erhebung der Vorgeschichte (Anamnese). Diese ist das erste wichtige Element auf dem Weg zur Differentialdiagnose und dient in gewissen Fällen zur Diagnosesicherung. Die Beobachtungen und Aussagen des Besitzers oder Pflegers sind essentiell für die weitere Untersuchung, sollten aber mit Vorsicht beurteilt werden. Durch gezielte Fragen können bestimmte Symptome besser eingegrenzt werden. Der Verlauf der Krankheit (akut, chronisch, intermittierend, progressiv, nicht progressiv, rezidivierend) muss berücksichtigt werden. So kann der akute Beginn von Ausfallserscheinungen auf (a) Toxikose, (b) Trauma, (c) vaskulären Insult, (d) eine Reihe von Infektionskrankheiten oder (e) Tumore hindeuten. Im Gegensatz dazu kann ein chronischer Verlauf auf eine degenerative, neoplastische oder infektiöse Ätiologie hinweisen. Es ist wichtig festzustellen, ob ein Prozess progressiv (v. a. degenerative Myelopathie beim Deutschen Schäferhund), nicht progressiv (v. a. bei traumatisch bedingten Läsionen) oder rezidivierend ist (häufig bei Diskushernien).
Die Beschreibung der ersten beobachteten Symptome sowie der folgende Krankheitsverlauf können in einigen Fällen bei der Unterscheidung zwischen fokalen und multifokalen Prozessen helfen. Einige Krankheiten, wie die idiopathische Epilepsie des Golden und Labrador Retriever, treten familiär gehäuft auf. In diesem Fall kann die Information über Herkunftsverhältnisse (Stammbaum-Analyse) die Basis zur Ermittlung einer genetisch bedingten Ursache darstellen. Genaue Angaben über evtl. Verhaltensstörungen und/oder Persönlichkeitsveränderungen sollten im Gespräch mit dem Besitzer/Pfleger eruiert werden. Auch diese Angaben sind bezüglich der Differentialdiagnose von Bedeutung. Akut auftretende unmotivierte Angstzustände oder ungezielte Aggressionen können auf eine psychomotorische Epilepsie (Temporallappen-Epilepsie) oder auf einen raumfordernden Prozess im Großhirn hinweisen.
Manchmal besteht ein Zusammenhang zwischen Ernährung und neurologischen Symptomen, z. B. bei Hypervitaminose A oder Thiaminmangel-Enzephalopathie der Katze. Häufig ist die Herkunft des erkrankten Tieres (Zwinger, Import, Fundtier usw.) anamnestisch interessant. Frühere Krankheiten, das Auftreten von neurologischen oder auch nicht neurologischen Symptomen, ebenso der Impfstatus sollten in die Überlegungen mit einbezogen werden.
1.3 Allgemeine Untersuchung
Bei Verdacht auf eine neurologische Erkrankung ist die Untersuchung der extraneuralen Körperfunktionen unerlässlich. Somit ist die allgemeine klinische Untersuchung (oder klinische Allgemeinuntersuchung) ein integraler Bestandteil der neurologischen Untersuchung. Verschiedene Symptome lassen manchmal auf eine primäre Organerkrankung außerhalb des ZNS und PNS schließen. Auch wenn Patienten mit eindeutigen neurologischen Symptomen vorgestellt werden, darf die Ursache der Erkrankung (z. B. Leberinsuffizienz, metabolische Störung oder eine Erkrankung des Blutes) nicht immer nur in einer primären neurologischen Störung gesucht werden. Die Unterscheidung zwischen einem fokalen gegenüber einem generalisierten Krankheitsprozess bzw. einer primären gegenüber einer sekundären Störung gelingt in einigen Fällen mithilfe der Allgemeinuntersuchung. So sind beispielsweise das Nervensystem betreffende Infektionskrankheiten häufig mit Symptomen anderer Organsysteme vergesellschaftet (z. B. respiratorische oder gastrointestinale Symptome bei Hundestaupe oder Toxoplasmose).
Die klinische Erfahrung lehrt den Tierarzt, Laboruntersuchungen (z. B. Schnelltests für die Privatpraxis) und andere spezielle Untersuchungsmethoden gezielt und ökonomisch einzusetzen. Doch grundsätzlich gilt, dass spezielle Untersuchungen in größerem Umfang eingesetzt werden, je länger ein Fall unklar bleibt.
1.4 Neurologischer Status
1.4.1 Methodik der neurologischen Untersuchung
Die Untersuchung muss systematisch erfolgen. Eine logische Reihenfolge sollte einmal festgelegt werden, um möglichst keine Fehlschlüsse zu erhalten und um die Befunde einfach auswerten zu können. Es ist wichtig, alle Ergebnisse schriftlich niederzulegen, damit keine Tests und ihre Resultate vergessen werden.
Von Fall zu Fall und je nach Rasse sowie persönlichen Umständen kann die Reihenfolge der Tests variieren. Mit diesem Untersuchungsablauf werden das ZNS und das PNS systematisch von den »höher« zu den »tiefer« geschalteten Zentren untersucht. Besonders wichtig sind dabei die Beobachtung (Aufschluss über Bewusstsein,Verhalten, Haltung und Gang), die Palpation (Muskelmasse, Muskeltonus, Schmerzen), das Testen von Reaktionen (Kopfnerven-, Oberflächen- und Tiefensensibilität) und die Prüfung von Reflexen (Kopfnerven und spinale Nerven).
Manipulationen, die Aufregung oder auch Schmerzen verursachen, sollten nicht an den Anfang einer Untersuchung gestellt werden (z. B. Prüfen des Flexorreflexes oder Testen des Tiefenschmerzes). Um das Vertrauen des Tieres zu gewinnen, ist es ratsam, die Untersuchung möglichst spielerisch zu gestalten. Ist das Tier stark verängstigt und setzt es sich zur Wehr, sind viele Reflexe und Reaktionen kaum prüfbar und letztlich nicht zu interpretieren (Tabelle 1.1).
1.4.2 Neurologischer Untersuchungsgang
Während der Befragung des Besitzers oder Pflegers werden Bewusstsein,Verhalten sowie Haltung und Gang des Tieres genau beobachtet, Verhalten und Gang später allerdings auch noch eingehender untersucht (siehe Kap. 1.4.3.2,1.4.3.4).
1.4.3 Schwerpunkte der Untersuchung
1.4.3.1 Bewusstsein
Beurteilt werden der Bewusstseinszustand, das Verhaltensmuster und die Fähigkeit des Patienten, mit der Umwelt Kontakt aufzunehmen. Kleinere Abweichungen vom Standardverhalten des Tieres sind individuell, rassen- und familienspezifisch. Labrador Retriever, Golden Retriever oder Perserkatzen sind allgemein recht kooperativ und umgänglich, Fox Terrier (z. T. familiär gehäuft) sind eher lebhaft und schwierig zu untersuchen. Die Vorgeschichte stellt einen wichtigen Teil der Klassifizierung des Verhaltens dar.
Tabelle 1.1: Neurologischer Untersuchungsgang
Anatomie und Physiologie
Die Formatio reticularis, ein ausgedehntes Kerngebiet im Hirnstamm, erstreckt sich von der Medulla oblongata bis zum Dienzephalon und enthält Informationen über die meisten sensorischen Bahnen (Exterozeption, Interozeption und Propriozeption), die diffus zum zerebralen Kortex projiziert werden (Abb. 1.1). Die Aufgaben der Formatio reticularis sind folgende: Bewusstseins-, Reflex- und Reaktionsbereitschaft, Aufrechterhaltung des Wachzustandes sowie Integration von herabgesetzter Aktivität und Schlafzustand, der durch weitere Zentren im Gehirn beeinflusst wird.
Eine fokale oder diffuse Läsion im Hirnstamm oder eine diffuse Läsion im Kortex kann zu einer Unterbrechung in diesem Regelkreis führen. Ihre Ursachen können primär oder sekundär sein.
Untersuchung und Beurteilung
Die Beurteilung der Bewusstseinsstufe wird aus der Beobachtung des Tieres und den Antworten auf folgende Fragen ermittelt: Ist das Tier aufmerksam? Hält es Kontakt mit der Umgebung? Reagiert es auf verschiedene Stimuli (Anruf, Berührung oder Schmerz)?
Die vier Bewusstseinsstufen sind:
■Normal
■Apathisch: Das Tier ist wach, jedoch teilnahmslos. Als Ursache kommen fast alle Krankheiten infrage.
■Stuporös: Das Tier schläft und ist nur mit starker Stimulation, z. B. durch schmerzhafte Stimuli, weckbar. Dieser Zustand wird meist bei Unterbrechung zwischen der Formatio reticularis und dem Kortex beobachtet.
■Komatös: Das Tier zeigt tiefe Bewusstlosigkeit und reagiert auch nicht auf schmerzhafte Stimuli. Die Reflexe sind meist vorhanden. Ein Koma wird oftmals bei völliger Durchtrennung zwischen Formatio reticularis und Kortex beobachtet. Eine Läsion des Hirnstammes ist in den meisten Fällen die Ursache.
1.4.3.2 Verhalten
Das Verhalten ist das Resultat von sehr komplexen physiologischen Abläufen, deren anatomischen Besonderheiten v. a. im Bereich der Großhirnrinde und im Limbischen System liegen.
Anatomie und Physiologie
Das Verhalten wird über das Limbische System gesteuert und ist das Resultat von Wechselwirkungen zwischen Stimuli aus der Umwelt und solchen, die im Körper selbst entstehen (Abb. 1.2). Störungen des Verhaltens können entweder primär (im Zusammenhang mit primären ZNS-Störungen) oder sekundär auftreten (z. B. nach einer systemischen Organerkrankung).
Abb. 1.1: Bewusstsein. Das feine Netzwerk–Formatio reticularis–das sich vom hochzervikalen Rückenmarksanteil bis zum Thalamus erstreckt, ist primär für das Bewusstsein verantwortlich. Vor allem der rostrale Anteil des Hirnstamms stellt eine Schlüsselstelle in diesem Regelkreis dar. Er vermittelt direkt (ohne Umschaltung) oder indirekt (mit Umschaltung) Reize aus der Peripherie zum Kortex, der ihm neurophysiologisch untergeordnet ist.
Untersuchung und Beurteilung
Angst, Aggressivität, Zurückhaltung oder Desorientierung sind Beispiele abnormalen Verhaltens. Häufig sind dabei Kauen, Kopfstemmen, kompulsive Vorwärts- oder Kreisbewegungen zu beobachten. Diese Symptome können selten einer einzigen anatomischen Struktur zugeordnet werden, da das klinische Symptombild jedem dieser Gebiete sehr ähnlich sein kann. Unerlässlich sind ein gezieltes, längeres Gespräch mit dem Besitzer oder Pfleger sowie eine lange Beobachtung.
1.4.3.3 Körperhaltung
Ein gesundes Tier nimmt eine physiologische Körperhaltung ein, wenn es im Stehen versucht, sein eigenes Körpergewicht der Schwerkraft entgegenzusetzen. Die Gliedmaßen befinden sich in Extension, die Becken-Rücken-Brust-Linie verläuft parallel zum Boden und der Kopf wird mit Hals und Nacken im Gleichgewicht gehalten.
Anatomie und Physiologie
Der Reflexbogen gewährleistet eine physiologische Haltung. Der afferente ist der sensorische Anteil und gibt die nötige Information über unterschiedliche Rezeptoren der Gliedmaßen und des Körpers, den Sehsinn sowie das vestibuläre System über sensible Bahnen an das ZNS weiter. Die vestibulären Rezeptoren sind v. a. für das Wahrnehmen der Bewegung und der Veränderungen der Kopfhaltung verantwortlich. Die Rezeptoren der Gliedmaßen (v. a. Dehnungsrezeptoren) geben den Spannungszustand der Muskulatur, der Sehnen und der Gelenkkapseln an. Solche Informationen werden z. T. über Kleinhirn und Hirnstamm weitergeleitet, im Kortex ausgewertet und später über efferente (motorische) Bahnen an die α- und γ-Motoneuronen, welche Hals-, Körper- und Gliedmaßenmuskeln innervieren, weitergeleitet. Das Kleinhirn und der vestibuläre Apparat sind zusätzlich für die Aufrechterhaltung einer physiologischen Körperhaltung verantwortlich.
Untersuchung und Beurteilung
Bei der Beobachtung des Tieres wird die Haltung von Kopf, Hals, Rumpf und Gliedmaßen beurteilt. In vielen Fällen sind Abweichungen von der Norm erst während der dynamischen Haltung (Bewegung) feststellbar.
Charakteristika einer unphysiologischen Haltung:
■Kopfschiefhaltung (v. a. bei vestibulärer Läsion)
■Seitliche Kopfhaltung/Pleurothotonus (v. a. bei zerebraler Läsion)
■Kopf-Hals-Schrägstellung/Torticollis (v. a. bei Hirnstammläsion)
■Kopf-Hals-Tiefstellung (v. a. bei vestibulärer Hirnstammläsion oder zervikaler Läsion)
■Kyphose (v. a. bei Rückenmarksläsionen im thorakolumbalen Bereich, Abb. 1.3a)
■Skoliose (nach lateral, Abb. 1.3b) und Lordose (nach ventral, Abb. 1.3c) bei Wirbelsäulenerkrankungen
Ein herabgesetzter Muskeltonus einer Gliedmaße oder mehrerer Gliedmaßen wird in der Folge als breitbeinige Haltung oder als Überköten der Gliedmaße(n) gesehen (v. a. bei Läsionen im unteren motorischen Neuronensystem, UMNS).
Ein heraufgesetzter Muskeltonus einer oder mehrerer Gliedmaßen fällt als Hyperextension (Steifheit, Spastizität) auf (v. a. bei Läsionen im oberen motorischen Neuronensystem, OMNS).
Opisthotonus (Extension von Kopf und Hals) wird bei Läsionen der rostralen Hirnstammanteile beobachtet.
Die Enthirnungsstarre, ein Streckkrampf aller Gliedmaßen, kommt bei Läsionen im rostralen Hirnstamm-Mittelhirn/Pons-Gebiet vor. In einigen Fällen tritt diese gemeinsam mit Opisthotonus auf.
1.4.3.4 Gang
Anatomie und Physiologie
Eine Bewegung mit Ortsveränderung bedeutet im Prinzip die Verlagerung des Körperschwerpunktes nach vorne, zur Seite oder nach hinten. Dieser Ablauf wird neurophysiologisch mit den aufsteigenden (spinokortikalen) und absteigenden (kortikospinalen) Bahnen (Abb. 1.4a) sowie mit den Lokomotionszentren reguliert (Abb. 1.4b).
Aufsteigende Bahnen
Aufsteigende sensible Bahnen werden nach dem Kriterium der Zielrichtung und Modalität in die spinokortikalen Bahnen und spinozerebellären Bahnen eingeteilt (Abb. 1.4a).
Absteigende Bahnen
Um das Konzept der absteigenden motorischen Bahnen zu verstehen, ist es notwendig, die Begriffe unteres motorisches Neuron (UMN) und oberes motorisches Neuron (OMN) zu erläutern (Abb. 1.4a).
Das UMN und das UMN-System
Die unteren motorischen Neuronen (UMN) sind im Ventralhorn des Rückenmarks und in den motorischen Kernen des Hirnstammes lokalisiert. Es gibt α- und γ-Neuronen, die die quergestreifte Muskulatur innervieren. Beide Neuronen-Typen werden segmental, intersegmental und suprasegmental gereizt oder aber gehemmt. Die Summation dieser Reize zeigt, ob die UMN ausreichend aktiviert werden, um eine Kontraktion der Muskulatur einzuleiten. Da die Stimulation der unteren motorischen Neuronen eine Muskelkontraktion zur Folge hat, bewirkt eine Läsion der UMN eine schlaffe Lähmung oder Paralyse mit herabgesetzten oder fehlenden Reflexen und einer neurogenen Muskelatrophie. Diese klinisch-neurologischen Erscheinungsbilder treten bei einer Läsion im UMN-System auf. Anatomisch besteht das UMN-System aus dem Ventralhorn (α-Motoneuronen),, der Ventralwurzel, den peripheren Nerven, der neuromuskulären Endplatte und den Muskeln (Zielorgan).
Abb. 1.2
Das Limbische System besteht aus Riechhirn (RH), Hypothalamus (HT), Hippocampus (A), subkortikalen (s) und kortikalen (k) Zentren und einem Teil der Formatio reticularis (FR). Es ist für das komplexe Verhalten der Tiere verantwortlich.
Abb.1.3 a–c
Körperfehlstellungen: Kyphose (a), Lordose (b) und Skoliose (c).
Das OMN und das OMN-System
Die oberen motorischen Neuronen (OMN) sind suprasegmentale Neuronen, die direkt oder indirekt die UMN oder das UMN-System beeinflussen. Beim Menschen sind die OMN im primären Motokortex zu finden und wirken über das OMN-System (kortikospinale Bahnen) direkt auf die UMN bzw. das UMN-System ein.
Viel umfassender ist der Begriff des OMN in der Tierneu-rologie. Er beinhaltet sowohl Neuronen im Kortex, in den Basalganglien, im Hirnstamm und Kleinhirn. Das OMN-System beeinflusst die UMN über Interneuronen. Der gesamte dominante Effekt des OMN-Systems besteht in der Inhibition der UMN. Aus einer Läsion im OMN bzw. OMN-System erfolgt ein Wegfall der Hemmung (Dysinhibition) oder ein »Enthemmungsphänomen« auf die UMN. Der segmentale Reflexbogen bleibt jedoch intakt, die Reflexe können gesteigert sein. Der Muskeltonus erscheint physiologisch oder heraufgesetzt (spastisch). Der Schweregrad der Lähmungserscheinungen hängt vom Ausmaß der Läsion ab. Es kann während des Verlaufs der Erkrankung zu einer Parese oder Paralyse kommen.
Abb. 1.4a, b
(a) Auf- und absteigende Bahnen. Aufsteigende sensible Bahnen werden nach dem Kriterium der Zielrichtung und Modalität in zwei Hauptgruppen aufgeteilt. Mit den spinokortikalen Bahnen, die im Großhirn enden, wird Information bewusst wahrgenommen. Eine zweite Gruppe, welche die Reize »unbewusst« verarbeitet, endet über spinozerebelläre Bahnen im Kleinhirn. Diese Information ist für die Rückkopplung der Reflexaktivierung und Modulation während der Bewegungsabläufe sehr wichtig. Neben diesen primären Endigungen entlassen die aufsteigenden Bahnen kollaterale Verzweigungen. Sie besitzen Synapsen auf Höhe des Rückenmarkes (Eintrittstelle im Dorsalhorn zur Aktivierung oder Hemmung segmentaler und intersegmentaler Reflexe) und auf Höhe des Hirnstammes (über Dorsalstränge zur Formatio reticularis, die für die Hirnstammreflexe von Bedeutung sind). Die absteigenden Bahnen unterteilen sich in ein unteres motorisches Neuronensystem (UMNs) und ein oberes motorisches Neuronensystem (OMNs).
(b) Physiologische Gangabfolge bestehend aus afferentem und efferentem Anteil, ausgehend vom Kortex, Thalamus (STK = subthalamische Kerne) und Mittelhirn (MLZ = mesenzephalisches Lokomotionszentrum) sowie den spinalen Lokomotionszentren. Für jede Gliedmaße ist ein eigener Schrittmacher (Kreislauf) vorhanden. Er ist für die Vordergliedmaßen in der Zervikalschwellung und für die Hintergliedmaßen in der Lumbalschwellung lokalisiert. Die beiden Rückenmarkschwellungen werden von einem motorischen Kernzentrum im Mittelhirn, das wiederum von einem höheren Zentrum im Subthalamus beeinflusst wird, aufeinander abgestimmt. Bei Stimulation dieses Kreislaufes werden abwechselnd Beugung (= Schwingphase) und Streckung (= Stützphase) der Gliedmaßen verursacht. Diese beiden dynamischen Elemente bilden zusammen einen Schritt. Die Flexor- und Extensorreflexe sind Beweis für das Vorhandensein dieses Schrittmachers.
Der Begriff des Lokomotionsmechanismus ist neben demVer-ständnis des OMN- und UMN-Systems zum Verständnis des Bewegungsablaufes wichtig.
Lokomotionszentren
Das Lokomotionszentrum für die Vordergliedmaßen befindet sich in der Zervikalschwellung und jenes für die Hintergliedmaßen in der Lumbalschwellung (Abb. 1.4).
Schaltstelle auf Niveau einer Gliedmaße
Die Stimulation der Hautafferenzen einer Gliedmaße bedingt eine Aktivierung der Motoneuronen der Flexoren und damit die Inhibition der Motoneuronen der Extensoren derselben Gliedmaße. Die Gliedmaße wird demzufolge gebeugt (Schwingphase).
Im Gegensatz dazu hat die Stimulation der afferenten Muskelspindeln eine Aktivierung von Motoneuronen der Extensormuskeln und eine Inhibition des Kreislaufes der antagonistischen Flexormuskeln derselben Gliedmaße zur Folge. Die Gliedmaße wird gestreckt (Stützphase).
Schaltstelle auf dem Niveau eines Beinpaares (Hintergliedmaßen oder Vordergliedmaßen)
Befindet sich eine Gliedmaße, beispielsweise die linke, initial in der Schwingphase (Extensoren −; Flexoren +), so wird über einen internen Kreislauf, über segmentale Reflexbögen, die kontralaterale Gliedmaße (hier die rechte) so beeinflusst, dass sie sich in der Stützphase (Extensoren +; Flexoren −) befindet. Es ist so möglich, den Schwerpunkt auszubalancieren.
Ein Beispiel hierfür ist der gekreuzte Extensor-Flexor-Reflex. In chronischen Fällen von thorakolumbalen Rückenmarksläsionen kommt es bei Stimulation der Haut des betreffenden Beinpaares neben einer Flexion der stimulierten Gliedmaße zu einer Extension der kontralateralen Gliedmaße. In chronischen Fällen einer Querschnittsläsion des thorakalen Rückenmarkes kann sogar jede Form eines externen Stimulus eine alternierende motorische Reaktion auslösen.
Es kann nach der Entwicklung eines Hypertonus der Hintergliedmaßen zu einem unkoordinierten Bewegungsablauf (spinal walking) kommen. Beim spinal walking wird das zervikale Schrittmacherzentrum durch die Verlagerung des Schwerpunktes stimuliert. Daraus resultiert eine Schrittfolge der Vordergliedmaßen. Die darauf folgende Ortsverschiebung des Rumpfes bewirkt eine Stimulation des Schrittmacherzentrums der Hintergliedmaßen und somit deren Bewegung.
Schaltstelle auf dem Niveau beider Beinpaare
Die Koordination der Vorder- mit den Hintergliedmaßen wird über die zervikale bzw. lumbale Schwellung (Schrittmacherzentren) reguliert. Für die Durchführung von Bewegungen sind afferente wie auch efferente Bahnen, die als propriospinale Bahnen zusammengefasst werden, verantwortlich.
Höhere Lokomotionszentren
Das mesenzephalische Lokomotionszentrum (MLZ) ist den beschriebenen Lokomotionszentren im Rückenmark übergeordnet. Es ist für die Abstimmung von Spontanbewegungen verantwortlich und befindet sich bilateral symmetrisch auf Höhe des rostralen Mittelhirns. Bei elektrischer Stimulation dieser Kerne wird ein physiologischer und spontaner Bewegungsablauf beobachtet.
Bei experimenteller Durchtrennung des rostralen Mittelhirns ist eine nicht zielgerichtete spontane Bewegung möglich. Für die Abstimmung bzw. Zielsetzung der Spontanbewegung sind subthalamische Kerne (STK) verantwortlich. Diese Kerne sind somit dem mesenzephalischen Lokomotionszentrum übergeordnet.
Liegt eine Läsion in den STK vor, ist der Gang annähernd physiologisch; bei diesen Patienten fehlt jedoch die feste Zielsetzung. Oft wird bei ihnen eine Drangbewegung nach vorwärts beobachtet.
Folglich sind alle wichtigen Schaltstellen, die für den physiologischen Ablauf des Ganges verantwortlich sind, im Subthalamus, Mittelhirn und Rückenmark vorhanden.
Einfluss auf die Lokomotionszentren
Dem beschriebenen komplexen System sind Großhirnkortex, Kleinhirn und vestibulärer Apparat übergeordnet. Der Großhirnkortex ist für Willen und Entschlusskraft, das Kleinhirn für fein abgestimmte Bewegungen und Muskeltonus und der vestibuläre Apparat zusammen mit dem Kleinhirn für Gleichgewicht und Aufrechterhalten des Muskeltonus verantwortlich. Diese Beeinflussung geschieht über motorische absteigende Bahnen.
Kortikospinale Bahnen
Man unterteilt die motorischen Bahnen nach ihrem Verlauf und ihrer Lokalisation.Wir unterscheiden zwischen pyramidalen und extrapyramidalen Bahnen. Die pyramidalen Bahnen haben ihren Ursprung im motorischen Großhirnkortex und erreichen letztlich als Pyramiden die Medulla oblongata. Einige Bahnen verlassen die Hauptrichtung auf Höhe des Hirnstammes, um direkt zu den Hirnstammkernen zu führen (kortikobulbäre Bahnen). Die übrigen Fasern kreuzen auf Höhe der Medulla und laufen anschließend als kortikospinale Bahnen (laterale Funiculi) das Rückenmark abwärts. Sie besitzen Synapsen über Interneurone mit den a-Motoneuronen. Bei einer Läsion kommt es zur spastischen Lähmung. Den größten Einfluss haben diese Bahnen auf die distale Muskulatur und sind bei den Primaten am besten entwickelt.
Extrapyramidale Bahnen
Diese üben ihren größten Einfluss auf die proximale Muskulatur aus und bestehen aus unterschiedlichen komplex aufgebauten polysynaptischen Kreisläufen. Die Basalganglien, subthalamischen Kerngebiete und die Substantia nigra (im Mittelhirn) machen den größten Teil des Systems aus. Diese Kerngebiete sind mit dem Kortex über polysynaptische Schlaufen verbunden. Dieser Regelkreis hat einen direkten Einfluss auf den Nucleus ruber im Mittelhirn und auf retikuläre Nuclei in Pons und Medulla. Die absteigenden Bahnen dieser Hirnstamm- und Vestibulärkerne haben über Interneuronen indirekten Einfluss auf die UMN.
Über ihre Funktionalität lassen sich die absteigenden Bahnen auf andere, vielleicht wichtigere Art charakterisieren. Zwischen der Funktionsausübung des UMN-Systems und dessen phylogenetischer Entwicklung gibt es eine direkte Verknüpfung. Das phylogenetisch ältere System ist für die Haltung verantwortlich. Es hat einen größeren positiven Effekt auf die Antigravitationsmuskeln (Extensoren) als auf die Gravitationsmuskeln (Flexoren). Diese Bahnen enthalten vestibulospinale und retikulospinale »Leitungen« und befinden sich im ventralen Funiculus. Das phylogenetisch neuere motorische System ist für die Initiation, Modulation von spontaner und rhythmischer motorischer Aktion (Laufen, Springen, usw.) verantwortlich. Um dies zu erreichen, muss der Extensortonus z. T. aufgehoben werden. Das wird über die lateralen Funiculi ermöglicht (kortikospinale, rubrospinale und laterale retikulospinale Bahnen).
Beim Menschen sind die kortikospinalen Bahnen viel stärker ausgebildet als bei den Tieren. Das Pendant hierzu sind beim Tier die rubrospinalen Bahnen. Über die phylogenetisch neueren kortikorubrospinalen Bahnen erhält der Nucleus ruber direkten Einfluss vom motorischen Kortex. Ältere Bahnen geben ihren Einfluss indirekt über den motorischen Kortex und die Basalganglien auf den Nucleus ruber ab. Die rubrospinalen Bahnen kreuzen kaudal am Nucleus ruber auf die kontralaterale Seite und steigen über laterale Funiculi zu den segmentalen Interneuronen im Dorsalhorn des Rückenmarkes ab. Der vestibulospinale Trakt ist eines der phylogenetisch ältesten motorischen Systeme. Die Vestibulärkerne erhalten nur wenig Information vom Kortex. Sie werden v. a. über den peripheren Vestibulärapparat (Innenohr) stimuliert und vom Kleinhirn moduliert.
Untersuchung und Beurteilung
Abnormitäten des Ganges können sich als Propriozeptionsstörungen, Lähmungserscheinungen, Kreisbewegungen, Ataxie und/oder Dysmetrie offenbaren.
Propriozeptionsstörungen
Propriozeption bedeutet die Fähigkeit, sich über die Stellung der Gliedmaßen zum Rest des Körpers zu orientieren. Ein Defizit kann sich hier als unphysiologisches Auffußen oder Überköten der Gliedmaßen äußern. Das muss nicht bei jeder Schrittfolge ersichtlich sein.
Lähmungserscheinungen
Als Lähmung wird die Unfähigkeit, einen oder mehrere Muskeln zu aktivieren, bezeichnet. Betroffene Gliedmaßen zeigen ungenügende oder fehlende Kontraktion der Muskulatur. Je nach Bild sprechen wir von einer Monoparese (Lähmung einer Gliedmaße), Paraparese (Lähmung beider Hintergliedmaßen), Tetraparese (Lähmung aller vier Gliedmaßen) oder Hemiparese (Lähmung eines ipsilateralen Gliedmaßenpaares). Die vollständige Lähmung/Parese wird als Plegie bezeichnet. Die Lähmung hat ihre Ursache im Ausfall der motorischen Funktion eines Nervs oder seines Ausführungs-organes, z. B. des Muskels. Die Läsion kann entweder im OMN-System oder im UMN-System liegen. Man spricht deshalb von einer zentralen (Gehirn, Rückenmark), peripheren (Nerven) oder myogenen Lähmung.
Je nach Spannungszustand der Muskulatur unterscheiden wir eine spastische (erhöhter Tonus = zentrale akute Läsion), eine schlaffe (erniedrigter Tonus = periphere oder myogene Läsion sowie zentrale chronische Läsion) und eine intermittierende Lähmung (Claudicatio).
Kreisbewegungen
Klinisch können Kreisbewegungen als seitenbetontes Driften in großen oder in engen Wendungen oder als Drehbewegung auffallen. Die Richtung der Ortsveränderung ist in den meisten Fällen auf der gleichen Seite der Läsion. Hals- und/oder Kopfschiefhaltung treten v. a. bei Läsionen im vestibulären System auf.
Ataxie
Die Störung der Bewegungskoordination und des geordneten Zusammenwirkens von Muskelgruppen wird als Ataxie bezeichnet. Eine Ataxie kann, muss aber nicht, von Spastizität, Parese oder unwillkürlichen Bewegungen begleitet sein. Wir sprechen, je nach Ausmaß der Läsion, von einer geringen, mittel- oder hochgradigen und von einer fokalen oder generalisierten Ataxie. Je nach Lage der Läsion unterteilen wir in periphere, spinale, zerebelläre, vestibuläre oder zerebrale Ataxie. Das klinische Bild hängt von Typ und Form der Ataxie ab, doch immer ist der unkoordinierte Bewegungsablauf zu beobachten. Breitspuriges Auffußen, Überkreuzen der Gliedmaßen und verkürzte oder übertriebene Schrittlänge sind typisch für die meisten Ataxieformen.
Wir orientieren uns an zusätzlichen klinischen Symptomen und definieren so die Typenspezifität. Bei Kleinhirnaffektionen beobachtet man z. B. Hypermetrie, Ataxie, Intentionstremor und das Fehlen des Drohreflexes.
Dysmetrie
Die Dysmetrie kann entweder durch zu große (Hypermetrie) oder zu kleine Schritte (Hypometrie) auffallen. Häufig wird das »Enten-ähnliche« Auffußen gesehen; der Schritt wird dabei plötzlich unterbrochen, es kommt zum Schwanken. Beim Fressen oder Trinken kommt die Dysmetrie des Kopfes gut zum Ausdruck. Die Entfernung zum Ziel, hier der Napf, wird meistens über-, aber auch unterschätzt. Diese Form kann bei Läsionen des Kleinhirns oder der Kleinhirnbahnen auftreten.
1.4.4 Haltungs- und Stellreaktionen
Haltungs- und Stellreaktionen umfassen komplexe physiologische Regulationsvorgänge, bei denen Motorik, spinale Reflexe, Sensibilität, aber auch Koordinationsmechanismen beteiligt sind. Die Prüfung der Haltungs- und Stellreaktionen ermöglicht die Untersuchung sowohl von aufsteigenden als auch absteigenden Bahnen und ist sehr nützlich, um subtile Ausfälle besser zu erfassen oder Paresen bei stärkerer Belastung der Gliedmaßen deutlicher zu erkennen. Es ist sehr wichtig, immer alle vier Gliedmaßen vergleichend zu beurteilen, weil Tests häufig Unterschiede zwischen der linken und rechten Körperhälfte zeigen können.
Abb. 1.5
Hüpfreaktion auf der Vordergliedmaße.
1.4.4.1 Hüpfreaktionen auf einem Bein oder Beinpaar
Periphere Nerven, Rückenmark, Hirnstamm, Kleinhirn und Großhirn sind hierbei beteiligt. Die Hüpfreaktion wird wie folgt durchgeführt: Der Patient wird so hochgehoben, dass er entweder auf einem Bein oder auf einem Beinpaar zu stehen kommt; anschließend wird er zur Seite geschoben (Abb. 1.5).
Das Ausstrecken der belasteten Gliedmaßen und anschließend das schnelle Korrigieren während des seitlichen Wegschiebens sind als physiologisch zu interpretieren. Abnormale Befunde sind eine herabgesetzte Reaktionsgeschwindigkeit (meistens propriozeptives Defizit), ein unphysiologisches Auffußen (motorischer Ausfall), eine Hypometrie (Rückenmark-, Hirnstamm-, Großhirnläsion), definiert als eine herabgesetzte Korrekturreaktion und eine Hypermetrie (Kleinhirnläsion).
Patienten mit zervikaler Rückenmarkläsion können meistens nicht auf dem ipsilateralen Beinpaar stehen oder hüpfen.
1.4.4.2 Überköten oder Korrekturreaktion
Bei dieser Reaktion werden sowohl sensible aufsteigende als auch absteigende Bahnen getestet. Erstere sind für das Wahrnehmen der Position der Gliedmaßen im Raum, die Zweiten für das physiologische Auffußen verantwortlich. Der distale Teil der Gliedmaße wird zur Flexion gebracht, so dass die dorsale Oberfläche des Metakarpus bzw. Metatarsus auf dem Boden liegt. Das Tier soll sein Gewicht gegen die Gravitationskraft ausbalancieren, indem es in einer halben Sekunde seine Gliedmaßen in eine physiologische Stellung zurückstellt. Bemerkenswert ist, dass muskulo-skeletale Krankheiten, die grobe Gangstörungen verursachen, mit keinen oder minimalen Ausfällen in der Korrekturreaktion einhergehen (Abb. 1.6).
Abb. 1.6
Überköten der linken Hintergliedmaße.
1.4.4.3 Aufrichtungsreaktion
Bei diesem Test wird die Fähigkeit des untersuchten Tieres, eine physiologische Position im Gravitationsfeld einzunehmen, geprüft.Von den vier am Gleichgewicht beteiligten Systemen werden zuerst das visuelle und das vestibuläre System aktiviert und erst dann das propriozeptive und das motorische System (Abb. 1.7).
Abb. 1.7
Aufrichtungsreaktion.
Abb. 1.8
Unterstützungsreaktion.
Abb. 1.9
Schubkarrenfahren.
Abb. 1.10
Schubkarrenfahren mit Kopfhochhalten.
Zwei Durchführungsmethoden ermöglichen es, die Aufrichtungsreaktion zu testen:
1.Das Tier wird am Becken hochgehoben und die Lage des Kopfes zum Körper wird beobachtet, während die Vordergliedmaßen stark ausgestreckt werden. Ein Kopf-Körper-Winkel von 45 Grad wird im normalen Fall erwartet. Um nur das vestibuläre System zu testen, sollten dem Patienten die Augen verbunden werden.
2.Das Tier wird auf eine Seite zur Ruhe gelegt und anschließend wird beobachtet, wie es aufsteht. Gesunde Tiere, die keine einseitigen Läsionen des vestibulären Systems aufweisen, sollten zuerst die Sternallage einnehmen und erst dann aufstehen. Dies ist für vestibulär-kranke Tiere unmöglich.
1.4.4.4 Unterstützungsreaktion
Hierbei handelt es sich um einen Test, bei dem das Tier unter den Schulterblättern gefasst und hochgehoben wird, so dass es den Boden nicht mehr berührt, um anschließend vorsichtig auf den Boden gestellt zu werden. Es soll die Hyperextension der Hintergliedmaßen beobachtet werden. In einer zweiten Phase wird das Tier sanft nach hinten geschoben, womit eine alternierende Flexion und Extension der Hintergliedmaßen hervorgerufen wird. Störungen der spinokortikalen, kortikospinalen und vestibulozerebellären Bahnen rufen Störungen in den Bewegungsabläufen hervor und sind als pathologisch zu interpretieren (Abb. 1.8).
1.4.4.5 Schubkarren-Fahren oder Gehen auf den Vorderbeinen
Durch leichtes Aufheben des Patienten, wobei man das Abdomen so unterstützt, dass die Hinterbeine den Boden nicht mehr berühren, wird das physiologische Gehen auf den Vorderbeinen beurteilt. Der Kopf wird jeweils parallel zum Boden getragen. Das Tier bewegt die Vorderbeine in symmetrischer, kurzer und alternierender Schrittfolge nach vorne (Abb. 1.9). Pathologische Befunde sind ein verzögerter Gang, Überköten und Einknicken der Gliedmaßen,Verlangsamung der Anfangs- und/oder Vorführphase und bei hochgradiger Läsion im zervikalen Rückenmark eine starke Flexion des Kopfes und das Abstützen auf dem Nasenspiegel. Damit der Patient ausschließlich über propriozeptive Informationen korrigiert und nicht über das visuelle System, testet man den Schubkarren mit Kopfextension, d. h. mit hochgehaltenem Kopf (Abb. 1.10). Ein leicht erhöhter Extensortonus der Vordergliedmaßen ist zu beobachten. Diese Technik ist v. a. bei Tieren mit einer Großhirnläsion von Bedeutung, da sie meistens einen physiologischen Gang zeigen.
Abb. 1.11
Optische Tischkantenprobe.
Abb. 1.12
Taktile Tischkantenprobe.
Abb. 1.13
Tonische Nackenreaktion (Hyperextension der Vordergliedmaßen und Hyperflexion der Hintergliedmaßen).
1.4.4.6 Tischkantenprobe
Diese Probe besteht aus einer visuellen und einer taktilen Komponente, die nacheinander durchgeführt werden. Die visuelle Tischkantenprobe eignet sich sehr gut zur Beurteilung des Visus. Das Tier wird am Thorax hochgehoben und langsam gegen ein Hindernis (Tischkante oder Mauer) geschoben. Die normale Reaktion ist ein koordiniertes Auffußen auf dem Hindernis, ohne dass es vorher zur Berührung gekommen ist (Abb. 1.11).
Die taktile Tischkantenprobe wird ähnlich durchgeführt, aber diesmal werden die Augen abgedeckt oder der Kopf in Hyperextension gebracht. Anschließend werden die Vordergliedmaßen auf Höhe des Karpus mit der Tischkante in Kontakt gebracht. Das Tier sollte unverzüglich seine Pfoten anheben und auf den Tisch legen. Dieser Test kann mit jeder Gliedmaße wiederholt werden, aber da evtl. eine Adaptation (schnelles Lernen der Reaktion) zustande kommt, wird empfohlen, sich nach jedem einzelnen Test mit dem Tier um die eigene Achse zu drehen (Abb. 1.12).
Überköten, fehlendes oder ungeschicktes Auffußen, überschießende Auffußbewegungen, zu langsames oder zögerndes Korrigieren sind als abnormale Reaktionen zu interpretieren.
1.4.4.7 Tonische Nackenreaktion
Die komplexen Antworten auf diese Reaktion werden durch Rezeptoren im Bereich des Halses und durch die feine Abstimmung vom Vestibulärapparat mit der Nackenmuskulatur und Rezeptoren im Bereich des Halses gesteuert.
Mit diesem Test wird die normale Reaktion, eine Flexion der Hintergliedmaßen und eine Extension der Vordergliedmaßen nach dem Hochheben des Kopfes des Patienten geprüft. Abnormale Reaktionen sind ungleichmäßige Bewegungen, Streckung oder abnormale Beugung einer oder mehrerer Gliedmaßen (Abb. 1.13).
Abb. 1.14
Schematischer Überblick über die 12 paarig angeordneten Kopfnerven (I.–XII.). Die Hirnstammnerven haben ihren Ursprung in Mittelhirn, Pons und Medulla oblongata, Ausnahmen sind der N. olfactorius und der N. opticus.
Wird der Kopf gebeugt, ruft das eine physiologische Semiflexion der Vordergliedmaßen und eine Extension der Hintergliedmaßen hervor. Bei Rotation des Kopfes nach einer Seite sieht man eine Extension der Gliedmaßen zur gleichen Seite.
Zervikale Rückenmarksläsionen zeigen in den meisten Fällen eine unphysiologische Flexion aller Gliedmaßen.
1.4.5 Untersuchung der Kopfnerven
1.4.5.1 Kopfnervenfunktionen
Die Kopfnerven (KN) werden konventionell von I bis XII nummeriert und haben ihren Ursprung im Hirnstamm (III–X, XII) oder außerhalb (I, II, XI). Mithilfe einfacher Untersuchungsmethoden lassen sich die Funktionen sämtlicher Kopfnerven, die entweder aus motorischen und/oder sensiblen Fasern bestehen, testen (Abb. 1.14). Parasympathische Fasern verlaufen mit den KN III (Abb. 1.15),VII, IX und X, sympathische Fasern verlaufen getrennt (Abb. 1.16).
Abb. 1.15
Parasympathische (P) und sympathische (S) Innervation der Pupille. (Pupillendilatation ← → Pupillenkonstriktion → ←)
Abb. 1.16
Parasympathische (rot) und sympathische (blau) Innervation der Organe.
I. Nervus olfactorius (Riechsinn)
Anatomie und Physiologie
Die chemischen Reize werden über den Riechkolben an die olfaktorische Grosshirnrinde zur bewussten Wahrnehmung weitergeleitet.
Untersuchung und Beurteilung
Anamnese (Beobachtungen des Besitzers oder Pflegers über das Verhalten des Tieres in Gegenwart von Futter und Duftmarken sind am brauchbarsten), Futtertest und Riechtest helfen bei der Untersuchung des ersten Gehirnnerven.
Die Einschätzung des Riechsinnes ist recht schwierig. Beim Hund können abschreckende oder angenehm riechende Testsubstanzen verwendet werden. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass keine die Schleimhaut reizenden Substanzen (Ammoniak oder Tabakrauch) verwendet werden, da sonst die Rezeptoren des N. trigeminus (V) gereizt werden und so eine Abwehrreaktion entstehen kann. Futter, Alkoholdämpfe oder Gewürznelken sind zur Beurteilung gut geeignet, um einen vollständigen Verlust (Anosmie) des Riechsinnes festzustellen. Ein unvollständiger Verlust hingegen ist nicht mit Sicherheit diagnostizierbar.
Tumore oder Infektionskrankheiten sind die häufigsten Ursachen für eine Anosmie.
Abb. 1.17
Pupillarreflex. Zum Teil sind für die Weiterleitung der elektrischen Impulse ähnliche anatomische Strukturen wie für den Drohreflex verantwortlich. Dies sind die temporale und nasale Retina (1), der N. opticus (2), das Chiasma opticum (3) und der Tractus opticus (4). Letztere besitzen Synapsen mit den prätektalen und später mit den parasympathischen Kernen (Westphalische Kerne, 5) des N.oculomotorius. Der größte Teil der optischen Fasern für den Pupillarreflex kommt von der temporalen Seite der Retina, bleibt zum größten Teil ungekreuzt und zieht über prätektale Fasern zu den lateralen (direkter Reflexbogen, 6) und zu den kontralateralen (indirekter Reflexbogen) Westphalischen Kernen (7). Deshalb ist die Reaktion des direkten Pupillarreflexes meist stärker als die des indirekten. Die präganglionären, parasympathischen Neuronen des III. KN (8) sind im rostralen Teil des Mittelhirns, ventral am mesenzephalischen Aquädukt lokalisiert. Diese Fasern ziehen ventral am Crus cerebelli durch die Dura mater, vereinigen sich mit dem IV. und VI. Kopfnerven und ziehen durch die Fissura orbita. Der parasympathische Anteil des III. KN hat seine Synapse im Ganglion ciliare (9). Kurze postganglionäre Fasern führen zu den Mm. ciliares und Mm. constrictor pupillae (10). Die sympathischen Fasern innervieren den M. dilatator pupillae. Der Reflexbogen hat seinen Ursprung im Hypothalamus, seine ersten Synapsen im Mittelhirn.Von dort zieht er zu den präganglionären Neuronen im Rückenmark auf Höhe von Th1-Th3 (Abb. 1.15). Nach Verlassen des Rückenmarkes verlaufen diese Neuronen im Truncus vagosympathicus zu den zervikalen Ganglien. Die postganglionären Fasern ziehen mit der A. carotis interna durch das Mittelohr, um letztendlich die glatte Muskulatur, Drüsen und Blutgefäße von Kopf sowie Hals und den M. dilatator pupillae zu innervieren.
II. Nervus opticus (Gesichtssinn)
Anatomie und Physiologie
Licht stimuliert die Photorezeptoren der Retina und damit die Neuronen der Netzhaut und die hochspezialisierten Ganglienzellen. Deren Axone bilden den N. opticus. Er kreuzt als Chiasma opticum und verläuft als Tractus opticus zum lateralen Corpus geniculatum des Thalamus. Diese Neuronen projizieren über die Radiata optica zur Sehrinde, wo der Reiz bewusst wahrgenommen wird. Der größte Teil der optischen Fasern kreuzt beim Tier auf Höhe des Chiasma opticum zur kontralateralen Seite. Bei Primaten kreuzen nur die Fasern, die ihren Ursprung auf der nasalen Hälfte der Retina haben, beim Hund aber der größte Teil der nasalen und etwa 50% der temporalen Fasern. Bei derselben Tiergattung sind etwa 75% aller Fasern gekreuzt, bei den Feliden sind es etwa 65%. Aus klinischer Sicht verhalten sich die meisten Tiere so, als ob alle Fasern kreuzen würden. Deshalb untersuchen wir das linke und das rechte Gesichtsfeld getrennt als Ganzes. So wird beispielsweise ein Patient mit einseitiger Großhirnläsion klinisch nur auf der kontralateralen Seite als blind bewertet.
Der Reflexbogen für den Pupillarreflex beinhaltet z. T. die gleichen anatomisch-physiologischen Strukturen wie die Sehbahnen (Abb. 1.17).
Untersuchung und Beurteilung
Für das Sehen und den Pupillarreflex ist der Gesichtssinn verantwortlich. Wir bedienen uns verschiedener neurologischer Tests, die diese Vorgänge untersuchen. Dazu gehören Drohreflex, Pupillarreflex, Wattebauschtest, visuelle Tischkantenprobe und ophthalmologische Untersuchung (siehe Kap. 1.5). Das Beobachten des Patienten beim Laufen über Hindernisse ist eine eher unzuverlässige Methode, da andere neurologische Ausfälle das Ergebnis verfälschen können.
Drohreflex
Jedes Auge wird einzeln untersucht. Es werden plötzliche Bewegungen mit der Hand in Richtung Auge vollzogen. Die physiologische Reaktion ist das Schließen der Augenlider (Abb. 1.18). Dieser Reflex ist bei jungen Tieren unter vier Wochen noch nicht vorhanden und muss erst erlernt werden. Die Bewegung sollte nicht zu stark sein, da sonst taktile Rezeptoren der Hornhaut stimuliert werden und als Folge der Kornealreflex ausgelöst werden kann.
Bei diffusen Kleinhirnläsionen stellt man oft ein Fehlen des Drohreflexes fest. Der Patient ist nicht blind und zeigt einen physiologischen Palpebralreflex.
Pupillarreflex
Der Pupillarreflex testet u. a. die Funktion des Sehnerven. Zuerst werden die Pupillen auf ihre Größe und Symmetrie untersucht. Diese sind physiologischerweise beiderseits gleich. Bei ungleich großen Pupillen sprechen wir von Anisokorie (Mydriase = große Pupille, Miose = kleine Pupille).
Abb. 1.18
Drohreflex. Der Reflexbogen wird gebildet aus Rezeptoren der Retina (1), des N. opticus (2), Chiasma opticum (3),Tractus opticus (4), Corpus geniculatum laterale (5), der Radiata optica (6), Sehhirnrinde (7), der absteigenden kreuzenden Bahnen zum Hirnstamm und zum Kleinhirn (8) und dem N. facialis (9).
Abb. 1.19
Ipsilaterale und kontralaterale Antwort der Pupillen auf einen Lichtstimulus des linken Auges. Gleichseitige Antwort auf den linksseitigen Drohreflex. Die verschiedenen möglichen Läsionen entlang der Sehbahnen sind in Grün dargestellt.
Abb. 1.20
Innervation des Augenbulbus über die motorischen Kerne des N. oculomotorius (rot) zu den dorsalen (1), medialen (2) und ventralen M. rectus (3), dem ventralen M. obliquus (4) und dem M. levator palpebrae. Der Fasciculus longitudinalis medialis (FLM) verbindet diese drei Kopf-nervenkerne mit dem vestibulären System und mit den motorischen Zentren der Augenmuskeln. Das Wenden des Kopfes zur Seite aktiviert das vestibuläre System (orange), danach die Augenmuskelnerven über den FLM und verursacht einen physiologischen Nystagmus.
Zur Untersuchung wird mit einer starken Lichtquelle ins Auge geleuchtet. Die physiologische Reaktion ist eine Verengung der Pupille im belichteten (direkter Reflex) und unbelichteten Auge (indirekter Reflex).
Unvollständige Läsionen im Sehnerv zeigen meistens nur partielle Ausfälle: Eine Läsion der Retina, des Nervus oder Tractus opticus verursacht eine »periphere« Blindheit mit stark verzögertem Pupillarreflex (Abb. 1.19).
Eine einseitige Läsion der parasympathischen Kerne des III. KN ist eher selten, da diese Kerne nur Millimeter vom anderen Teil des III. KN entfernt liegen. Klinisch sehen wir eine nicht responsive große Pupille.
Existiert im III. KN eine Läsion, erkennen wir eine erweiterte nicht responsive Pupille, außerdem kommt es zu einem ventrolateralen Strabismus.
Wattebauschtest
Ein Wattebausch wird im seitlichen Bereich des Gesichtsfeldes fallen gelassen. Als physiologische Reaktion folgt eine Kopf- oder Augenbewegung in Richtung der Watte. Wir können die linke als auch die rechte Gesichtshälfte getrennt prüfen. Eine Reaktion setzt einen intakten Sehnerv und auch eine intakte Sehhirnrinde voraus. Bei einer Läsion im Sehfeld der Großhirnrinde sprechen wir von einer »zentralen« Blindheit.
Visuelle Tischkantenprobe
Durch diese Probe können wir u. a. subtile Ausfälle im Sehvermögen unterscheiden. Der Reflexbogen besteht aus Sehnerv, Sehhirnrinde sowie absteigenden motorischen Bahnen für die Gliedmaßen.
Ophthalmologische Untersuchung
Liegen keine offensichtlichen Veränderungen von Kornea, Linse, Kammerflüssigkeit oder Glaskörper vor, wird auch der Augenhintergrund untersucht (siehe Kap. 1.5) Grobe Abweichungen wie ungenügende Gefäßfüllung, Blutungen, Farbverlust der Retina oder eine hervorgequollene Papilla optica können mit dieser Untersuchung erkannt werden.
Durch die Kombination der oben aufgeführten Tests ist eine Läsion im Bereich des Gesichtssinnes genau feststellbar und lokalisierbar!
III. Nervus oculomotorius,
IV. Nervus trochlearis,
VI. Nervus abducens (Augenbewegungen)
Der N. oculomotorius ist hauptverantwortlich für die Bewegung der Augen. Für das Drehen des Augenbulbus nach aufwärts ist der N. trochlearis und nach außen der N. abducens verantwortlich.
Anatomie und Physiologie
Kaudal von den parasympathischen Kernen des III. KN befinden sich die motorischen Kerne des N. oculomotorius, die die Muskeln des Augenbulbus innervieren (Abb. 1.20).
Abb. 1.21
Innervation des dorsalen M. obliquus (1) über den N. trochlearis (rot). Fasciculus longitudinalis medialis (FLM) und vestibuläres System (VS).
Abb. 1.22
N. abducens (rot). Gemeinsame Innervation des lateralen M. rectus (1) und des M. retractor bulbi (2) über den N. abducens und die KN III und IV. Fasciculus longitudinalis medialis (FLM) und vestibuläres System (VS).
Die Kerne des N. trochlearis sind in der grauen Substanz in Höhe des Mittelhirns lokalisiert (Abb. 1.21).
Die Kerne des N. abducens haben ihren Ursprung am ventralen Boden des vierten Ventrikels und setzen ihre Axone ventrolateral von den Pyramiden ab (Abb. 1.22).
Untersuchung und Beurteilung
Die Augenbewegungen werden untersucht, indem der Kopf des Patienten zuerst in Ruhe und später in Bewegung beurteilt wird. Getestet wird die Position der Augen und die Fähigkeit, sie in einer bestimmten Achse zu korrigieren. Das passive Bewegen des Kopfes zur Seite, abwärts und aufwärts simuliert das aktive Verfolgen eines Gegenstandes und führt so zu einem physiologischen Nystagmus. Dieser besteht aus zwei Komponenten, einer langsamen und einer schnellen. Letztere befindet sich in Richtung der Kopfbewegung.
Strabismus ist als eine unphysiologische Augenhaltung definiert. Kenntnisse in der Anatomie und das Wissen darüber, was wodurch innerviert wird, ermöglichen es, Ausfälle besser zu interpretieren (Abb. 1.23). Da die drei oben genannten Kopfnerven die sieben Hauptmuskeln, die für die Augenstellungen verantwortlich sind, innervieren, führen Läsionen eines oder mehrerer dieser KN zu einer Lähmung eines oder mehrerer Muskeln und so zu einem Strabismus auf der gegenüberliegenden Seite. Eine Läsion des III. KN ist durch einen ventrolateralen Strabismus, +/− Ptosis (Lähmung des M. levator palpebrae), Mydriasis (Lähmung des Parasympathikus) gekennzeichnet.
Abb. 1.23 a–c
Augenfehlstellungen können entweder durch Läsionen des N. oculomotorius (ventrolateral, a), des N. abducens (medial, b) oder des N. trochlearis (Rotation, c) entstehen.
Rotationsstrabismus entsteht bei einer Läsion des IV. KN. In diesem Fall ist der dorsale Teil des Augapfels nach lateral verschoben. Da Katzen eine schlitzförmige Pupille haben, ist das Phänomen bei diesen Tieren leichter feststellbar als bei Hunden, bei denen es meistens nur mit einem Ophthalmoskop eindeutig beurteilt werden kann. Die V. retinalis superioris ist dabei nach temporal verlagert. Eine Läsion des VI. KN führt zu einem medialen Strabismus mit Unfähigkeit, den Augapfel zurückzuziehen. Bei der Siamkatze gibt es einen kongenitalen medialen Strabismus, dessen Ursache nicht in einer Lähmung des VI. KN liegt.
Eine Inkoordination der Augenbewegungen entsteht bei einer Läsion im Bereich des Vestibulärsystems, der zervikalen Pro priozeption und des Fasciculus longitudinalis.
V. Nervus trigeminus (Kaubewegungen)
Anatomie und Physiologie
Der N. trigeminus ist ein gemischter Kopfnerv. Er besteht sowohl aus sensiblen als auch aus motorischen Fasern (Abb. 1.24). Dieser Regelkreis ist wichtig für den physiologischen Ablauf des Korneal- und Palpebralreflexes.
Untersuchung und Beurteilung
Alle drei sensiblen Äste sollten untersucht werden.
1.Der Ramus ophthalmicus wird durch Beklopfen des medialen Kanthus des Auges stimuliert. Als physiologische Reaktion tritt ein Schließen der Augenlider ein.
2.Der Ramus maxillaris innerviert die Nasenschleimhaut. Tiere sollten eine Abwehrreaktion, wie Kopfwegziehen oder Beißversuche, zeigen.
3.Der Ramus mandibularis innerviert die Haut des Unterkiefers. Beklopfen der Haut bewirkt eine Abwehrbewegung. Apathische Tiere zeigen eine herabgesetzte Reaktion, wenn sie im Kopfbereich stimuliert werden.
Neben der Untersuchung der Sensibilität im Kopfbereich ist die Untersuchung des motorischen Anteils des Trigeminus durchzuführen. Passives Öffnen des Maules und die Palpation der Masseter- und Temporalmuskeln geben Aufschluss über Muskeltonus und Muskelatrophien der Kaumuskulatur. Das Testen der Schmerzempfindung durch Palpation des Schädels auf Höhe des Winkels zwischen der Orbita und des Ramus zygomaticus löst bei Patienten mit Kopfschmerzen eine Abwehrreaktion aus.
Eine Läsion des motorischen Kerns ruft eine reine Parese ohne Sensibilitätsverlust hervor. Bei einem einseitigen Verlust kann die Muskelatrophie klinisch erst nach 7 bis 10 Tagen beobachtet werden. Eine Asymmetrie der äußeren Kaumuskeln und evtl. Schwierigkeiten beim Fressen sind zu beobachten.
Eine Läsion des Nervs vor der Verzweigung in seine drei Hauptäste resultiert in einem Verlust der Schmerzempfindung im Kopfbereich, des Korneal- und Palpebralreflexes und in einer Atrophie der Kaumuskulatur.
Eine Läsion der sensiblen Kerne ergibt klinisch einen Verlust der Schmerzempfindung bei erhaltener Motorik. Bei einer einseitigen Läsion in der sensorischen Großhirnrinde ist die kontralaterale Gesichtseite weniger empfindlich als die ipsilaterale. Das Tier spürt die intensive Stimulation an der Nasenschleimhaut, reagiert aber wenig bei Stimulation der Gesichtshaut.
Abb. 1.24
N. trigeminus. Der motorische Kern (1) befindet sich in der Pons auf der Höhe des Peduncunlus cerebellaris rostralis. Der sensible Anteil des V. KN besteht aus den pontischen Kernen (2), die die Information über Mechanorezeptoren erhalten, und aus den spinalen Kernen, die zum großen Teil nozizeptive Information übermitteln. Projektionen von diesen Kernen verlaufen rostral mit kontralateralen Fasern des medialen Lemniskus über den Thalamus (3) zur Großhirnrinde (4). Zu den Fazialis-kernen projizieren sowohl Axone der pontischen wie spinalen Kerne.
Abb. 1.25
N. facialis. Im rostralen Teil der Medulla befindet sich der Kern des N. facialis (1). Zusammen mit dem VIII. KN tritt er in den Meatus acusticus internus ein und durchquert den Canalis facialis. Motorische Äste innervieren die Gesichtsmuskeln und den kaudalen Anteil des M. digastricus. Die sensiblen Neuronen befinden sich im Ganglion geniculatum (2) im Os petrosum. Sie innervieren zusammen mit Fasern des Trigeminus die hinteren zwei Drittel der Zunge und das Palatum. Als N. stapedius, einem Teil des N. facialis, innerviert er den M. stapedius (Innenohr). Die nasalen, mandibularen, sublingualen und lakrimalen Drüsen werden vom parasympathischen Anteil innerviert.
VII. Nervus facialis (Mimik)
Anatomie und Physiologie
Der Reflexbogen des Palpebral- und des Kornealreflexes besteht aus einem afferenten Anteil, Trigeminus-Hirnstamm und einem efferenten Anteil, dem N. facialis (Abb. 1.25).
Der Reflexbogen des Drohreflexes wird gebildet aus Rezeptoren der Retina, N. opticus, Chiasma opticum, Tractus opticus, Corpus geniculatum laterale, Radiata optica, Sehhirnrinde, absteigenden kreuzenden Bahnen zum Hirnstamm und zum Kleinhirn und vom N. facialis.
Der Geschmackssinn wird durch den N. facialis über spezielle Geschmacksrezeptoren in den zwei vorderen Dritteln der Zungenschleimhaut und durch den N. glossopharyngeus im hinteren Drittel der Zunge vermittelt.
Untersuchung und Beurteilung
Eine Lähmung des N. facialis manifestiert sich klinisch mannigfaltig. Eine vollständige Lähmung ist durch ein Herunterhängen des Ohres und der Lippe, einen erweiterten Augenlidspalt, einen Vorfall des dritten Augenlides, eine Asymmetrie der Nasenlöcher und einen Verlust der Geschmacksempfindung charakterisiert. Sekundär kann es zur Schädigung der Kornea durch Austrocknung wegen Fehlens von Tränenfluss und Schutzreflex kommen. Mangelhafter Lippenschluss kann Speichelfluss verursachen. Bei einer partiellen Läsion kann dies mit einem oder mehreren Symptombildern einhergehen. Durch Berührung der Kopfhaut um die Augen wird der Palpebralreflex ausgelöst, was ein Schließen der Augenlider bewirkt. Der Kornealreflex wird durch feines Berühren der Kornea ausgelöst. Auch hier ist das Schließen der Augenlider als eine physiologische Reaktion zu interpretieren. Bei einer Läsion des N. facialis werden bei beiden Tests die Augenlider nicht geschlossen.
Der Palpebral- und der Kornealreflex, aber auch der Drohreflex, der Geschmackstest und der Tränenproduktionstest (Schirmertest) helfen bei der Lokalisation der Läsion. Intra-kraniell-extramedulläre Läsionen beeinträchtigen i. d. R. alle Funktionen. Eine Läsion im Os petrosum wirkt je nach Ausmaß auf eine oder mehrere Funktionen. Zusätzlich können vestibuläre Symptome wie Kopfschiefhaltung, Nystagmus und Strabismus auftreten.
Die Geschmacksempfindlichkeit kann mit Atropin getestet werden. Gesunde Tiere reagieren schnell auf den bitteren Geschmack des Atropins mit sofortigen Leckbewegungen und fangen zu speicheln an.
VIII. Nervus vestibulocochlearis (Gehör und Gleichgewich)
NERVUS VESTIBULARIS
Anatomie und Physiologie
Das vestibuläre System ist für die statische und dynamische Position des Kopfes verantwortlich. Das ZNS wird von den beiden Labyrinthen über Positionsänderungen informiert. Im Labyrinth des Innenohres befinden sich die Crista ampullaris mit den drei in einem rechten Winkel zueinander stehenden Kanälen und die Macula, ein weiteres Rezeptorsystem, das sich im Utriculus und im Sacculus befindet. Durch Positionsveränderungen, Beschleunigung oder Veränderungen in der Schwerkraft wird das Gleichgewichtsorgan stimuliert. Die entstandene Depolarisation wird über die vestibulären Neuronen weitergeleitet.
Untersuchung und Beurteilung
Eine Untersuchung eines Patienten während der akuten Phase eines Vestibulär-Syndroms ist oft schwierig, da der Patient eine Desorientierung und Apathie zeigt. Apathie, Kopfschiefhaltung, Ataxie, Kopfnervenausfälle, evtl. Horner-Syndrom und Nystagmus sind wichtige Symptome bei Vestibulärer-krankungen. Sowohl für die Therapie als auch für die Prognose ist es wichtig, zwischen einer zentralen und einer peripheren Läsion zu unterscheiden.
Essentiell ist die Untersuchung der Haltungs- und Stellreaktionen und die Art des Nystagmus.
Man unterscheidet verschiedene Nystagmusformen. Der spontane Nystagmus entsteht ohne Kopfbewegung und ist immer pathologisch. Der rhythmische Nystagmus ist die häufigste Form und setzt sich aus einer schnellen und langsamen Komponente zusammen und wird nach Richtung seiner schnelleren Komponente definiert. Vertikaler, rotatorischer und oft horizontaler, mit der langsamen Komponente gegen die geschädigte Seite, sind Nystagmusformen. Der penduläre Nystagmus weist keine alternierende schnelle und langsame Komponente auf und ist durch eine Läsion des Kleinhirns bedingt. Bei Läsionen der peripheren Anteile des Vestibulärapparates ist der Nystagmus meist horizontal oder rotatorisch und in gleichbleibender Richtung.
Physiologischer Nystagmus kann temporär induziert werden, wenn die Position des Kopfes plötzlich passiv verändert wird. Pathologischer Nystagmus kann durch bestimmte Kopfhaltungen ausgelöst werden. Bei gesunden Tieren bleibt das Auge normalerweise in der Mitte des Lidspaltes stehen, wenn der Kopf passiv nach dorsal gebogen wird. Bei Vestibulärläsionen dagegen entsteht ein vestibulärer Strabismus, d. h. das Auge dreht sich auf der erkrankten Seite nach unten.
Da Innenohraffektionen meistens mit einer Mittelohrläsion kombiniert sind, sollte immer eine otoskopische Untersuchung durchgeführt werden.
NERVUS COCHLEARIS
Anatomie und Physiologie
Das Hören ist ein komplexer Vorgang (Abb. 1.26).
Untersuchung und Beurteilung
Ein plötzlicher akustischer Stimulus (z. B. Pfeifen, Klatschen) außerhalb des Gesichtfeldes des Tieres ruft bei gesunden Tieren die Reaktion hervor, dass sie den Kopf in Richtung der Schallquelle hinwenden. Die Lokalisation einer Läsion im Verlauf der Gehörbahnen ist mit einfachen Tests nicht möglich. Nur spezielle und aufwendige elektrodiagnostische Methoden (auditorisch evozierte Potentiale) sind dazu imstande.
Abb. 1.26
N. vestibulocochlearis. Im Innenohr vereinigen sich die Fasern des N. vestibularis (1) mit den Fasern des N. cochlearis (2), um dann gemeinsam durch den Meatus acusticus internus in den Hirnstamm zu ziehen. Die Vestibulärkerne (3) sind mit den Augenmuskelkernen (4), dem Kleinhirn (5) und dem Rückenmark (lateraler vestibulospinaler Trakt (6) und Fasciculus longitudinalis medialis [FLM]) verbunden. Die Fasern des lateralen vestibulospinalen Trakts halten die Antigravitation aufrecht, indem sie einen stimulierenden Einfluss auf die Extensormuskulatur und einen hemmenden Einfluss auf die Flexormuskulatur haben. Diese Regelkreise sind für die Haltungsund Stellreaktionen wie auch für die Augenbewegungen essentiell.
Das Hören ist ein komplexer Vorgang. Akustische Stimuli erreichen den Gehörkortex (9) über das externe Ohr (äußerer Gehörgang und Trommelfell), Mittelohr (Hammer, Amboss und Steigbügel), Innenohr mit den spezialisierten Rezeptororganen im Felsenbein, die Pars acustica des VIII. KN (2), Cochlearkerne (7), obere Olive, das Mittelhirn und den Thalamus (8).
IX. Nervus glossopharyngeus,
X. Nervus vagus (Schlucken)
Anatomie und Physiologie
Der N. glossopharyngeus ist für die sensible Innervation des rostralen Pharynx und Larynx und für die motorische Innervation des Pharynx, des Palatum und des Ösophagus verantwortlich. Er leitet parasympathische Fasern zum Trigeminus und innerviert gemeinsam mit diesem die Glandula parotis und zygomatica (Abb. 1.27).
Der N. vagus innerviert alle thorakalen und abdominalen Organe mit Ausnahme der Harnblase und des Canalis pelvis. Ihn verlässt der N. recurrens und zieht bis zum oberen Drittel der ösophagealen Muskulatur und zum Larynx.
Untersuchung und Beurteilung
Der Schluckreflex hilft bei der Untersuchung beider Nerven und kann entweder von innen (bei Berührung der Mukosa des Pharynx mit dem Finger; mit Handschuhen!) oder von außen (bei leichtem Stimulieren des Pharynx-Larynx-Gebietes) ausgelöst werden. Ein Leerschlucken ist die physiologische Reaktion.
Die Symptome einer Läsion des IX. und/oder X. KN sind Dysphagie, Asymmetrie des Pharynx oder Larynx sowie Schluckbeschwerden und Regurgitieren.
Während eine vollständige Lähmung zur Schluckunfähigkeit führt, kommt es bei einer einseitigen Lähmung zu einseitigen Schluckbeschwerden, Regurgitieren des Futters, auch durch die Nase.
Bei Vagotonie treten Bradykardie, eine Zunahme der Bronchialsekretion, eine Zunahme der Peristaltik und der Sekretion von Verdauungssäften auf.
Abb. 1.27
Motorischer, sensibler und parasympathischer Anteil der KN IX., X. und XI. sowie deren respektiver Innervationsgebiete.
Bei jedem Patienten mit Schluckstörungen sollte man auch an Tollwut denken.
XI. Nervus accessorius (Halsmuskulatur)
Anatomie und Physiologie
Der motorische Kern des XI. KN befindet sich zwischen den Rückenmarksegmenten C1 + C6. Die Nervenfasern ziehen nach kranial und innervieren den M. trapezius, Teile des M. brachiocephalicus und den M. sternocephalicus (Abb. 1.27).
Untersuchung und Beurteilung
Die motorischen Störungen in diesen Muskelpartien sind schwer zu diagnostizieren. Durch eine sorgfältige Palpation der Halsmuskulatur werden neurogene Muskelatrophien festgestellt. Aus der Haltung können auch Rückschlüsse über die Funktion des XI. KN gezogen werden.
XII. Nervus hypoglossus (Zungenbewegung)
Anatomie und Physiologie
Der N. hypoglossus ist verantwortlich für die Zungenmotorik (Abb. 1.28).
Untersuchung und Beurteilung
Adspektion, z. B. auf die Symmetrie der Zungenhaltung, Beobachtungen der Wasser- und Futteraufnahme sowie passive Manipulation der Zunge sollten in der Untersuchung enthalten sein. Schwierigkeiten bei der Futter- und Wasseraufnahme sowie beim Kauen und Abschlucken sind Symptome einer Läsion des XII. KN. Bei heraushängender Zunge zeigt diese meistens eine Abweichung zur Seite der Läsion.
Abb. 1.28
N. hypoglossus. Innervation der Zungenmotorik mit Kern des XII. KN im kaudalen Bereich der Medulla.
Die Störungen der vier letzten Hirnnervenpaare sind oft schwer auseinander zu halten.
1.4.6 Spinale Reflexe
Das Funktionieren der spinalen Reflexe hängt in erster Linie von der Intaktheit der motorischen und sensiblen Nerven, Muskeln und der grauen Substanz der entsprechenden Rückenmarksegmente ab. Durch Testen der Reflexe ist es möglich, die Funktion gewisser Segmente der grauen Substanz des Rückenmarks, der zugehörigen Nervenwurzeln und Nerven direkt und einfach zu prüfen. Für die praktisch-neurologische Untersuchung unterscheidet man zwischen Muskelstreckreflexen und Oberflächenreflexen.
Beim Muskelstreckreflex werden Muskeln, und damit ihre neuromuskulären Spindeln, mit einem Schlag des Reflexhammers passiv gedehnt und es wird ein Signal ausgelöst, das über sensorische Nerven, graue Substanz der entsprechenden Rückenmarksegmente (Reflexzentrum) und motorische Nerven zu einer reflektorischen Kontraktion des entsprechenden Muskels führt. Genauer empfangen die Dorsal- hörner des Rückenmarkes die sensiblen Reize über sensible Nervenfasern, dorsale Wurzeln, Spinalganglien und aus den Ventralhörnern. Über die ventralen motorischen Wurzeln und Spinalnerven gelangen die Reize zu den Zielmuskeln. Dieser Reflexbogen kann mittels aufsteigender und absteigender Bahnen (OMN) moduliert werden.
Beim Oberflächenreflex werden durch Stimulation der Haut Muskelkontraktionen hervorgerufen. So entsteht, z. B. durch Druck auf die Fußballen oder Zwischenzehenhaut, der sog. Flexorreflex. Die möglichen Befunde bei der Reflexuntersuchung sind physiologische Reflexaktivität, Areflexie (Abwesenheit), Hyporeflexie (Abschwächung), Hyperreflexie (Steigerung) und Klonus (zuckende, repetitive Reflexreaktion nach einmaliger Stimulation). Die spinalen Reflexe sollten beim Tier in Seitenlage untersucht werden. Das Tier wird zuerst auf der einen, dann auf der anderen Seite getestet. Bei der Durchführung der Reflexprüfung ist es wichtig, dass das Tier entspannt ist und die Gliedmaßen so locker wie möglich sind.
Bei kleinen Hunden und Katzen ist sorgfältig darauf zu achten, dass das Beklopfen eine echte Kontraktion der betreffenden Muskeln bewirkt und nicht bloß eine passive Erschütterung der Gliedmaße.
1.4.6.1 Reflexe der Nachhand
Die Reflexe der Hintergliedmaßen werden vor denjenigen der Vordergliedmaßen beurteilt und anschließend verglichen. Bei einer Läsion im UMN-System kommt es zu herabgesetzter oder fehlender, im OMN-System zu physiologischer oder gesteigerter Reflexaktivität.
Abb. 1.29
Patellarreflex. Afferenz (blau) und Efferenz (rot).
Abb. 1.30
Tibialis-cranialis-Reflex. Afferenz (blau) und Efferenz (rot).
Patellarreflex (Nervus femoralis)
Das Reflexzentrum befindet sich zwischen L4–L6. In Seitenlage, die Gliedmaße locker unterstützt, beklopft man das mittlere Kniescheibenband. Eine reflektorische Kontraktion der Quadrizepsmuskeln und ein Nachvorneschleudern des Unterschenkels sind zu erwarten (Abb. 1.29).
Tibialis-cranialis-Reflex (Nervus fibularis)
Das Reflexzentrum befindet sich zwischen L6–S2. Beklopfungen des M. tibialis cranialis (dorsolateral im obersten Drittel des Unterschenkels) bewirkt eine Beugung des Sprunggelenkes (Abb. 1.30).
Flexorreflex (Nervus ischiadicus, peroneus, tibialis)
Das Reflexzentrum befindet sich zwischen L4–S3. Das Kneifen von Zehen, Fußballen oder Zwischenzehenhaut bewirkt ein ruckartiges Anziehen der ganzen Gliedmaße (Abb. 1.31).
1.4.6.2 Reflexe der Vordergliedmaßen
Extensor-carpi-radialis-Reflex (Nervus radialis)
Das Reflexzentrum befindet sich zwischen C7–Th1. Die Gliedmaße wird unter dem Ellbogen unterstützt. Leichtes Beklopfen des M. carpi radialis unterhalb des Ellbogens bewirkt eine leichte Streckung des Karpus (Abb. 1.32).
Trizepsreflex (Nervus radialis)
Das Reflexzentrum befindet sich zwischen C6–Th1. Das Vorderbein wird leicht nach vorne gezogen und die Schulter leicht nach außen gedrückt mit Flexion des Ellbogens. Ein Schlag auf die Trizepssehne, knapp oberhalb des Olekranons, bewirkt eine Streckung des Ellbogens (Abb. 1.33).
Abb. 1.31
Flexorreflex der Hintergliedmaße. Afferenz (blau), Interneurone (violett) und Efferenz (rot).
Abb. 1.32
Extensor-carpi-radialis-Reflex. Afferenz (blau) und Efferenz (rot).
Abb. 1.33
Trizepsreflex.
Abb. 1.34
Flexorreflex der Vordergliedmaße. Afferenz (dunkelblau), Interneurone (hellblau) und Efferenz (rot).
Abb. 1.35
Panniculus-Reflex. Die Stimuli werden über afferente sensible Fasern (1) bis in das Rückenmark und über aufsteigende Bahnen (2) bis auf Höhe des motorischen Reflexzentrums C8–Th2 (3) weitergeleitet. Dort entspringen die motorischen Nerven (Nn. thoracici) (4), die die Hautmuskeln innervieren.
Flexorreflexe (Nervi musculocutaneus, axillaris, medianus, ulnaris und radialis)
Das Reflexzentrum befindet sich zwischen C6–Th1. Das Kneifen von Zehen, Fußballen oder Zwischenzehenhaut bewirkt ein ruckartiges Anziehen der ganzen Gliedmaße (Abb. 1.34).
1.4.6.3 Andere Reflexe
Panniculus-Reflex
Ein Kneifen oder Berühren der Haut, mit einem spitzen Gegenstand über dem Rücken von der Kreuzregion bis knapp kaudal der Schulterblätter, bewirkt eine Kontraktion der Hautmuskulatur. Es werden Nozi-Rezeptoren der Haut getestet. Das Funktionieren dieses Reflexes hängt also nicht allein von der Intaktheit der afferenten und efferenten Nerven und des spinalen Reflexzentrums ab, sondern auch von jener der aufsteigenden Bahnen zwischen L4 und C8.Wie bei anderen Untersuchungen der spinalen Reflexe wird auch hier die linke mit der rechten Seite verglichen. Bei einer Rückenmarkläsion kann der Panniculus-Reflex kaudal gestört sein (Abb. 1.35).
Perinealreflex
Das Reflexzentrum befindet sich zwischen S1–S3. Beim Berühren der Anal- und Perinealgegend kommt es zur Kontraktion des Sphinkters und zum Niederdrücken des Schwanzes (Abb. 1.36).
Vulvourethralereflex
Das Reflexzentrum liegt zwischen S1–S3. Beim Berühren der Vulva kommt es zu einer leichten Kontraktion und Dorsalverschiebung (Abb. 1.37).
Bulbourethral-Reflex
Das Reflexzentrum befindet sich zwischen S1–S3. Bei leichtem Druck oberhalb des Penisschaftes kommt es zur Kontraktion des Anus.
Abb. 1.37
Vulvourethral-Reflex.
Abb. 1.38
Tiefensensibilität.
1.4.6.4 Abnormale Reflexe
Gekreuzter Extensor-Flexorreflex
Das Reflexzentrum liegt zwischen L4–S3 (Hintergliedmaße) oder zwischen C6–Th1 (Vordergliedmaße). In Seitenlage bewirkt eine Stimulation durch Kneifen von Zehen, Fußballen oder Zwischenzehenhaut ein ruckartiges Anziehen des stimulierten und eine Streckung der kontralateralen Gliedmaße. Der Reflex tritt bei Rückenmarkläsionen oberhalb des Reflexzentrums auf.
Massenreflexe
Bei schweren Rückenmarkschädigungen kommt es gelegentlich zur weitgehenden Enthemmung der Reflexaktivität. Das Auslösen eines Reflexes bewirkt ein Strampeln mit allen Gliedmaßen, Rudern mit dem Schwanz und unkontrollierte Abwehrbewegungen.
1.4.7 Sensibilität
Man unterscheidet zwischen einem System, das die Information aus der Umwelt registriert, der Oberflächensensibilität (Tastsinn, Temperatursinn, Schmerzempfindung, Druckempfindung) und einem System, das die Information aus dem Körper selbst erhält, der Tiefensensibilität (Propriozeption), die die höheren Zentren über die Position der einzelnen Körperteile zueinander und im Raum informiert. Die Sensibilität stellt im Rahmen der Reflexaktivität die afferente Komponente des Reflexbogens dar (Abb. 1.38).
Da Druckempflindlichkeitstests und Temperaturempfindung beim Kleintier schwierig zu überprüfen und/oder zu beurteilen sind, ist die Schmerzempfindung die einzige praktisch verwertbare Komponente der Oberflächensensibilität. Die Propriozeption wird anhand von Haltungs- und Stellreaktionen untersucht.
Anatomie und Physiologie
Sensible Fasern von Eingeweiden, Gelenken, Muskeln und Haut ziehen über Dorsalnerven ins Rückenmark ein. Fasern, die für die oberflächliche Schmerzempfindung verantwortlich sind, ziehen in den Dorsalsträngen weiter nach kranial und befinden sich in der Mehrzahl kontralateral der Eintrittstelle. Etwas anders verlaufen die Fasern, die für die tiefe Schmerzempfindung verantwortlich sind. Sie zeigen viele interseg- mentale und suprasegmentale Verbindungen, weshalb sie bilateral und diffus in den aufsteigenden Bahnen angeordnet sind. Die Schmerzleitung endet oder wird z. T. im Thalamus weitergeleitet, wobei die Impulse in den Kortex projiziert werden.Von hier aus werden die entsprechenden motorischen Reaktionen wie Abwehr, Ausweichen und Beißen vorbereitet. Das Dermatom ist ein Stück Haut, das von einem oder mehreren Nerven innerviert wird. Jedes Dermatom setzt sich aus verschieden großen Dermatombezirken zusammen (Abb. 1.39, 1.40).
Abb. 1.39
Dermatome der Vordergliedmaßen.
Untersuchung und Beurteilung
Bei der Beurteilung der Sensibilität werden das Vorhandensein und die Lokalisation von Schmerz, das Vorhandensein von Oberflächenschmerz und das Vorhandensein von Tiefenschmerz herangezogen. Durch vorsichtige Palpation des zu untersuchenden Gebietes und durch gezielten, gefühlvollen Druck von dorsal und lateral können Gebiete mit erhöhter Schmerzempfindung (Hyperästhesie) und Gebiete mit herabgesetzter Schmerzempfindung (Hypalgesie) eruiert werden. Da eine Läsion im ZNS eine Hypalgesie kaudal der Läsion erzeugt, werden die Gliedmaßen systematisch von distal nach proximal geprüft. Auch Becken- und Rumpfregion werden von kaudal nach kranial abgetastet. Der Klemmetest gibt dem Untersucher einen allgemeinen Eindruck über das Schmerzempfindungsvermögen an Rumpf und Gliedmaßen. Die Stimulation der Haut mit einer Klemme an verschiedenen Stellen ruft unterschiedliche Reaktionen hervor, entweder eine Verhaltensänderung in Form von Abwehrreaktionen, wie Schreien, Beißen und evtl. Ausstoßen von Schmerzlauten (nur Reaktionen, die zeigen, dass der Reiz bewusst wahrgenommen wurde, sind als echte Schmerzempfindungen zu bewerten) oder eine Reflexreaktion, die aus einer lokalen Hautoder Muskelkontraktion besteht, so nicht bewusst wahrgenommen wird, und die von reflektorischer Natur ist. Die systematische Untersuchung der Schmerzempfindung ist v. a. dann wichtig, wenn deutliche motorische Ausfälle vorliegen. Wenn die oberflächliche Schmerzempfindung vorhanden ist, so ist es auch die tiefe Schmerzempfindung. Fehlt die oberflächliche Schmerzempfindung, so sollte die Haut mit einer Klemme stimuliert werden, um die tiefere Schmerzempfindung zu untersuchen. Rassenspezifische und individuelle Temperamentsunterschiede können die Interpretation erschweren. Viele Tiere reagieren übermäßig auf Berührung, während andere auf die gleiche Stimulationsintensität kaum ansprechen. Es ist zu bemerken, dass das Zurückziehen einer Gliedmaße reflektorischer Natur und nicht Ausdruck bewusster Schmerzempfindung ist (Flexorreflex). Die tiefe Schmerzempfindung wird bei Rückenmarkläsionen zuletzt ausfallen und wird deshalb als wichtiges Mittel für die Prognose verwertet.
Abb. 1.40
Dermatome der Hintergliedmaßen.
1.4.8 Lokalisation
Um eine gesicherte oder eine Verdachtsdiagnose zu stellen, muss der Untersucher zuerst den pathologischen Prozess mittels der neurologischen Untersuchung und der nachfolgenden Interpretation näher eingrenzen. Die Lokalisation basiert somit auf der neurophysiologischen Interpretation der Symptome und der Befunde der neurologischen Untersuchung. Symptome mit einfacher und komplexer Physiologie sind zu unterscheiden. Die Ersten sind leicht zu lokalisieren und sind Folgen von Läsionen der afferenten oder efferenten Nerven oder ihrer Reflexzentren (schlaffe Lähmung, Ausfälle von spinalen Reflexen und Kopfnervenfunktionen, usw.). Das Erscheinungsbild der Symptome mit komplexer Physiologie ist jedoch sehr charakteristisch für eine bestimmte Region, z. B. generalisierte Ataxie mit Hypermetrie bei einer Läsion des Kleinhirns.
Für praktisch-klinische Zwecke wird das Nervensystem in sieben Regionen unterteilt, und die Läsionen werden in einer oder mehrerer dieser folgenden Regionen lokalisiert:
■Periphere Nerven und Wurzeln,
■Muskeln,
■Rückenmark,
■Hirnstamm,
■Vestibulärsystem,
■Kleinhirn,
■Großhirn (Kortex, Thalamus, Hypothalamus und Stammganglien).
Abb. 1.41
Algorithmus zur Lokalisation der neurologischen Störungen.
Die Region peripherer Nerven kann weiter unterteilt werden, nämlich in Vordergliedmaßen, Hintergliedmaßen, Kopfnerven und Sakralnerven.Auch das Rückenmark kann unterteilt werden in oberes Halsmark, Zervikalschwellung,Thorakolumbal-mark, Lumbalschwellung und Sakralmark. Innerhalb der Regionen kann auch festgestellt werden, ob die linke oder rechte Seite befallen ist.
Der erste Schritt zur Etablierung der Lokalisation besteht in der Zuordnung entweder zum peripheren Nervensystem (PNS) oder zum zentralen Nervensystem (ZNS) oder extra-neural. Hier helfen die Postulate und die wichtigen Befunde aus der neurologischen Untersuchung (Abb. 1.41).
1.4.8.1 Peripheres Nervensystem
Das erste Postulat lautet: Wenn spinale Reflexe, d. h. Flexoren und Extensoren, an allen vier Gliedmaßen herabgesetzt sind, so ist die Läsion dem PNS zuzuordnen. Dieses Postulat beruht auf der Tatsache, dass die meisten Krankheiten des PNS alle Gliedmaßen betreffen, weil die Efferenzen der Reflexbögen verändert sind. Man spricht auch klinisch von einem generalisierten unteren motorischen Neuron (UMN). Zu dem unteren motorischen Neuronensystem gehören die α-Motoneuronen, die Nervenwurzeln, die peripheren Nerven, die neuromuskuläre Endplatte und die Muskeln. Die Symptome hängen vom Ausmaß der Läsion und der Gangabnormalität ab. Paresen, Ausfälle der Propriozeptionen, verminderter Muskeltonus und Muskelatrophie können beobachtet werden. Da Erkrankungen des UMN einer einzelnen Gliedmaße oder nur eines Kopfnerven relativ einfach zu lokalisieren sind, entfallen diese aus der oben genannten Einteilung.
1.4.8.2 Zentrales Nervensystem
Stimmt das erste Postulat nicht, d. h. die spinalen Reflexe sind nicht generalisiert herabgesetzt, so muss die Läsion dem zentralen Nervensystem zugeordnet werden. Das zweite Postulat hilft weiter, die Lokalisation zu verfeinern, indem die Läsion intra- oder extrakraniell lokalisiert wird: Bei einer oder mehreren abnormalen Kopfnervenfunktionen und/oder abnormalem Drohreflex ist die Läsion intrakraniell (Gehirn) zu lokalisieren. Zusätzlich sind die Haltungs- und Stellreaktionen an allen vier Gliedmaßen abnormal. Diese können bei fokalen Prozessen seitenbetont sein. Um die intrakranielle(n) Läsion(en) dem Großhirn, dem Kleinhirn, dem Hirnstamm und dem Vestibulärapparat zuordnen zu können, helfen Gangabnormalitäten. Bei Großhirnläsionen können Passgang, Paresen oder kompulsives Wandern auftreten. Zusätzlich können Apathie und/oder Verhaltensänderungen oder Krampfanfälle beobachtet werden. Während Hypermetrie für eine Läsion im Kleinhirn spricht, deutet eine Hypometrie eher auf eine Läsion im Hirnstamm. Andere Ausfälle sind bei diesen Lokalisationen zu erwarten. Ein Sonderfall für die Lokalisation bildet das vestibuläre System; die Kopfschiefhaltung ist das Leitsymptom.
Physiologische Kopfnervenfunktionen schließen eine intrakranielle Störung mit großer Wahrscheinlichkeit aus, und der erkrankte Bereich ist extrakraniell (Rückenmark) zu suchen.
Man spricht von multifokalen, disseminierten oder diffusen Störungen, wenn es nicht möglich ist, Symptomenkomplexe einer einzigen Region zuzuordnen und wenn mehrere Gebiete des Nervensystems gleichzeitig betroffen sind.
Neben der Beobachtung des Ganges, dem Testen von spinalen Reflexen und Haltungs- und Stellreaktionen ist die Palpation der Gliedmaßen und des Trunkus sehr hilfreich, um Hyperästhesiezonen zu lokalisieren.Während der Manipulation wird der Untersucher beobachten, ob Schmerzzeichen, wie z. B. Bewegungswiderstand oder erhöhte Spannung der Muskulatur, auftreten.Wenn der Untersucher eine Hand auf das Abdomen des Tieres legt, während er mit der anderen Hand jedes vertebrale Segment zusammenpresst, kann er eine erhöhte Spannung der abdominalen Muskeln als eine Schmerzantwort palpieren. Auch kann Schmerz im zervikalen Bereich durch Manipulation des Halses festgestellt werden.
Großhirn
Die Symptome einer Läsion im zerebralen Kortex sind abnormales Verhalten, evtl. Krampfanfälle, unphysiologische Haltung und Passgang oder leichte Hemiparese (kontralateral), abnormale Haltungs- und Stellreaktionen, Sehverlust/Blindheit (kontralateral) mit intaktem Pupillarreflex. Die Ausfälle sind meist auf der kontralateralen Seite vorhanden.
Bei einer Läsion im Dienzephalon (Thalamus und Hypothalamus) sind die Symptome identisch wie bei einer Läsion im zerebralen Kortex. Ist aber nur der Hypothalamus betroffen, können endokrinologische Probleme zum Vorschein kommen und das autonome Nervensystem kann dadurch beeinträchtigt sein.
Hirnstamm
Bewusstseinstrübung wie Apathie, Stupor oder Koma, Gangstörungen von Hemi- bis Tetraparese, abnormale Haltungsund Stellreaktionen, multiple Kopfnervenausfälle sind typische Symptome bei einer Läsion im Hirnstamm.
Je nach Lokalisation im rostralen oder im kaudalen Teil des Hirnstamms sind die Ausfälle entweder kontralateral oder ipsilateral.
Kleinhirn
Das Kleinhirn ist ein Regulationsorgan und an der Modulation von Motorik, Muskeltonus und Gleichgewicht beteiligt. Es ermöglicht abgerundete und fließende Bewegungen.
Bei den meisten Kleinhirnerkrankungen handelt es sich um diffuse Läsionen, was zu einem charakteristischen Symptombild führt, wobei die zerebelläre Ataxie besonders auffällig ist. Symptome sind physiologisches Verhalten, ein breitbeiniges Stehen mit der Tendenz nach vorne, zur Seite oder nach hinten umzufallen, Gangstörungen wie Intentionstremor, der sich mit einem Kopfwackeln bei beginnender Bewegung manifestiert, Dysmetrie (Hypermetrie) und Ataxie. Bei der Korrekturreaktion ist eine verzögerte Initiation bemerkbar. Die Kopfnervenfunktionen können entweder physiologisch sein, oder der Drohreflex ist abnormal, oder das Tier zeigt selten einen Nystagmus. Die Tatsache, dass der Kopf mitbetroffen ist, hilft bei der Unterscheidung zwischen zerebellären und spinalen Läsionen. Fokale Läsionen sind seltener und auch schwieriger zu erkennen. Bewegungsstörungen mit Hypermetrie auf der Seite der Läsion und herabgesetzter Drohreflex kontralateral sind zu erkennen. Im akuten Fall kommt ein anderes Symptombild zum Vorschein: ein typischer Extensorhypertonus in den Vordergliedmaßen, eine Flexion der Hintergliedmaßen und Opisthotonus. Läsionen in den Lobi flocculonodulares rufen ähnliche Symptome wie Läsionen des vestibulären Systems hervor.
Abb. 1.42
Einteilung der Rückenmarkssegmente C1-S3 anhand der Ausfälle in Haltungs- und Stellreaktionen sowie spinalen Reflexen.
1.4.8.3 Rückenmark
Das Rückenmark kann in vier Abschnitte, nämlich in einen hoch zervikalen (C1–C4), tief zervikalen (C5–Th1), thorako-lumbalen (Th2–L2) und lumbosakralen (L3–S3) unterteilt werden. Im Lumbalbereich ist das Rückenmark gegenüber der Wirbelsäule merklich nach kranial verschoben (Ascensus medullae). Die Lumbalschwellung befindet sich hauptsächlich in den Wirbelkörpern L3–L4, das Sakralmark im Wirbelkörper L5. Bei Rückenmarkserkrankungen werden Gangstörungen erkennbar. Die Schädigung von absteigenden motorischen Bahnen (OMN) oder von α-Motoneuronen (UMN) führen je nach Grad der Läsion zu Parese bzw. Plegie. Durch Schädigung der afferenten Bahnen entsteht eine Inkoordination der Gliedmaßen, und man spricht von spinaler Ataxie. Dies bezeichnet eine Kombination von motorischen und sensorischen Ausfällen. Die Lokalisation einer Läsion in einem der oben erwähnten Abschnitte kann anhand der Beurteilung der spinalen Reflexe sowie von Haltungs- und Stellreaktionen bestimmt werden. Läsionen, welche rostral von Th1 auftreten, verändern die Haltungs- und Stellreaktionen in allen vier Gliedmaßen. Verschiedene Läsionen kaudal von Th1 verursachen abnormale Haltungs- und Stellreaktionen nur in der Hinterhand. Um die Läsionen einem der vier Rückenmarksegmente zuzuordnen, muss man zwischen dem OMN und UMN unterscheiden, indem die spinale Reflexaktivität beurteilt wird: Läsionen im OMN verursachen eine physiologische bis gesteigerte spinale Reflexaktivität, während Läsionen im UMN herabgesetzte spinale Reflexe zur Folge haben.
Sind die Haltungs- und Stellreaktionen an allen Gliedmaßen abnormal, befindet sich die Läsion rostral von Th1 (Abb. 1.42). Ob sie im hohen oder tiefen zervikalen Rückenmarksegment liegt, hängt von der Beurteilung der spinalen Reflexe ab. Bei physiologischen oder gesteigerten Reflexen in Vorder- und Hinterbeinen (OMN) liegt die Läsion hoch zervikal (C1–C4). Bei herabgesetzten Reflexen in den Vorderbeinen (UMN) und physiologischen bis gesteigerten Reflexen in den Hinterbeinen (OMN) ist die Läsion tief zervikal (C5–Th1). Sind die Haltungs- und Stellreaktionen nur abnormal in den Hintergliedmaßen, ist die Läsion kaudal von Th2 lokalisiert. Bei physiologischen bis gesteigerten spinalen Reflexen in den Hintergliedmaßen liegt sie thorakolumbal (Th2–L2) und bei herabgesetzten Reflexen lumbosakral (L3–S3).
In gewissen Fällen können Horner-Syndrom, Pannikulus-Reflex sowie Perianalreflex uns bei der Lokalisation der Läsion helfen.
Lokalisation Th2–L3
Typische Untersuchungsbefunde:
Nachhandsymptomatik: Paraparese, -plegie, gesteigerte oder physiologische Reflexe, Ausfälle bei Untersuchung der Haltungs- und Stellreaktionen, evtl. Harninkontinenz, PannikulusReflex kaudal der Läsion mehr oder weniger vorhanden sowie Ausfälle des Tiefenschmerzes.
Lokalisation L4–L7
Typische Untersuchungsbefunde:
Nachhandsymptomatik: Schlaffe Lähmung, Paraparese bis Paraplegie, Hypo-, Areflexie, Ausfälle in den Haltungs- und Stellreaktionen, erniedrigter Muskeltonus und Harninkontinenz. Die Ausfälle sind meistens bilateral.
Lokalisation S1–S3
Typische Untersuchungsbefunde:
Blasen-, Kolon-, Sphinkter- und Schwanzlähmungen, Analgesie im Perineal- und Schwanzbereich, keine Gehstörung bei fokalen Prozessen.
Lokalisation »Cauda equina«
Es können der N. ischiadicus, der N. pelvicus, der N. pudendus oder die Schwanznerven betroffen sein.
Typische Untersuchungsbefunde:
Nachhandsymptomatik: Lahmheit, der Patellarreflex ist physiologisch bis gesteigert, aber Flexor-, Tibialis-cranialis-und Perinealreflex sind abgeschwächt, Ausfälle der Haltungsund Stellreaktionen, Blaseninkontinenz sowie lumbosakrale Hyperalgesie. Das häufigste Symptom ist der Schmerz.
Tabelle 1.2: Lokalisation bei vestibulärer Läsion
1.4.8.4 Das vestibuläre System
Wir unterscheiden zwischen einem peripheren und zentralen vestibulären System. Das periphere vestibuläre System umfasst Rezeptoren im Innenohr und den N. vestibulocochlearis. Es besteht aus drei senkrecht zueinander stehenden Bogengängen, dem Utriculus und dem Sacculus. Die darin lokalisierten Rezeptoren messen Veränderungen von Beschleunigungen. Die klassischen Symptome einer Läsion im vestibulären System sind einseitige Kopfschiefhaltung, seitenbetonte Ataxie mit Tendenz zum Umfallen, Driften, Rollen, Nystagmus, vestibulärer Strabismus und abnormale Aufrichtreaktion. Auch ein Horner-Syndrom und eine Fazialislähmung können als Symptome auftreten.
Das zentrale vestibuläre System beinhaltet die Vestibulärkerne im Hirnstamm, die Kleinhirnschenkel und die auf- und absteigenden Bahnen. Die vestibulospinalen Bahnen modulieren den Muskeltonus von Rumpf und Gliedmaßen. Dieser ist für das Gleichgewicht, die Haltung und Bewegung wichtig. Für die Verbindung zwischen den Vestibulärkernen und den motorischen Kernen der Augenmuskeln III, IV und VI ist der Fasciculus longitudinalis medialis verantwortlich. Diese Bahnen sorgen für das Zustandekommen des physiologischen Nystagmus. Bei einer Läsion im zentralen Vestibulärapparat sind die Symptome derjenigen einer Läsion des peripheren vestibulären Systems ähnlich, mit multiplen Nervenausfällen, ohne Horner-Syndrom und mit Propriozeptionsdefiziten. Aber das zuverlässigste Unterscheidungsmerkmal ist, dass die Korrekturreaktion normal, peripher und abnormal zentral ist. Es ist essentiell, eine periphere Läsion des vestibulären Systems von einem zentralen vestibulären Syndrom zu unterscheiden.
Läsionen in der Region des Pedunculus cerebellaris caudalis können zu einem paradoxen Vestibulär-Syndrom führen, wobei die Kopfschiefhaltung und weitere Ausfälle auf der entgegengesetzten Seite der Läsion auftreten (siehe Abb. 14.1a).
Weiterführende Literatur
JAGGY, A.,TIPOLD,A. (1999): Die neurologische Untersuchung beim Kleintier und beim Pferd. Opuscula Veterinaria.
JAGGY,A. (1997): Neurologische Notfälle beim Tier, EnkeVerlag, Stuttgart.
VANDEVELDE, M., JAGGY, A., LANG, J. (2001):Veterinärmedizinische Neurologie, 2.Aufl., Parey Verlag, Berlin.
OLIVER, J.,LORENZ, K., KORNEGAY, J. (1997): Handbook of Veterinary Neurology, 3rd ed., Saunders, Philadelphia, pp.3–73.
1.5 Ophthalmologischer Untersuchungsgang
Bernhard Spiess
Der geübte Untersucher kann anlässlich jeder Augenuntersuchung zehn der zwölf Gehirnnerven überprüfen. Neben der Überprüfung des Sehvermögens spielt der Pupillarreflex beim Tier eine wichtige Rolle; im Gegensatz zum Menschen ist die Untersuchung des Gesichtsfeldes dagegen von untergeordneter Bedeutung. Ferner ist die Beurteilung der Position, der Beweglichkeit und der Bewegungen beider Bulbi sowie der Tränenproduktion von neuro-ophthalmologischer Wichtigkeit.
1.5.1 Überprüfung des Sehvermögens
Die Überprüfung des Sehvermögens bedarf einiger Kooperation seitens des Patienten und ist daher beim Kleintier nicht immer einfach.
1.5.1.1 Drohreflex
Die einfachste und am häufigsten praktizierte Untersuchung der Sehfähigkeit geschieht mittels des Drohreflexes. Dabei wird aus einer Distanz von ca. 40 cm eine kurze Drohgebärde in Richtung des zu untersuchenden Auges ausgeführt. Das andere Auge wird dabei abgedeckt, so dass jedes Auge einzeln untersucht werden kann. Es ist darauf zu achten, dass durch die Drohgebärde kein Luftzug entsteht, der den Patienten allenfalls zum Blinzeln veranlassen könnte. Auch ist das Berühren langer Tasthaare v. a. bei Katzen aus dem gleichen Grund zu vermeiden.
Die Drohgebärde wird vom gesunden Tier wahrgenommen und mit einem Blinzeln beantwortet. Teilweise ist auch mit heftigeren Abwehrreaktionen zu rechnen (1).
Der afferente Arm dieses Reflexes ist der N. opticus (II), während der Lidschluss durch den M. orbicularis oculi zustande kommt, welcher durch den N. facialis (VII) innerviert wird.
Es ist zu beachten, dass der Droh»reflex« kein eigentlicher Reflex, sondern eine erlernte Antwort auf eine Drohgebärde ist. Welpen bis zum Alter von ca. 12 Wochen zeigen noch keinen Drohreflex (2). Bei ihnen ist die Sehfähigkeit auf andere Weise zu beurteilen.
1.5.1.2 Blendreflex
Der Blendreflex ist ein subkortikaler Reflex, ausgelöst durch eine sehr helle Lichtquelle. Wenn helles Licht in ein Auge scheint, kommt es zu einem leichten, beidseitigen Blinzeln, wobei die Reaktion auf der kontralateralen Seite etwas schwächer ausfällt (3). Der afferente Arm ist der N. opticus, während der efferente Arm dieses Reflexes einen intakten N. facialis voraussetzt. In der Klinik kann dieser Reflex eingesetzt werden, um bei trüben Medien (Katarakt, usw.) und fehlendem Drohreflex auf eine intakte Retina und einen intakten N. opticus zu schließen. Untersuchungen an dezerebrierten Katzen haben zwar gezeigt, dass dieser Reflex erhalten bleibt, wenn starkes Licht verwendet wird, und damit eigentlich nicht zur Beurteilung der Sehfähigkeit herangezogen werden kann. In der Praxis gibt der Blendreflex aber oft wertvolle Hinweise auf potentiell vorhandenes Sehvermögen.
1.5.1.3 Wattebauschtest
Ein sehr aussagekräftiger Sehtest ist der sog. Wattebauschtest. Dabei wird beobachtet, ob der Patient einem bewegten Objekt mit den Augen folgt. Bei jungen und verspielten Hunden und Katzen kann in einem schwach beleuchteten Raum ein Lichtkegel im Blickfeld des Tieres hin und her bewegt werden. Auch kleine rollende Bälle usw. erregen rasch die Aufmerksamkeit solcher Patienten. In der Regel begnügt man sich mit dem Wattebauschtest. Dabei wird von hinten, d. h. außerhalb des Gesichtsfeldes des Patienten, ein kleiner Wattebausch so geworfen, dass er durch das Gesichtsfeld des Patienten fällt. Der Wattebausch eignet sich besonders, weil er relativ langsam fällt und beim Aufprall kein Geräusch verursacht. Der normalsichtige Patient wird diesem Wattebausch mit den Augen folgen und evtl. sogar eine entsprechende Kopfbewegung machen. Bei trägen Tieren ist oftmals ein kurzes Spitzen der Ohren der einzige Hinweis, dass der Wattebausch gesehen wurde. Wie bei allen anderen Tests wird auch der Wattebauschtest mehrere Male wiederholt, um zufällig positive Reaktionen auszuschließen. Auch der Wattebauschtest lässt sich für jedes Auge gesondert durchführen (2).
Dieser Test ist auch bei Welpen positiv, bei denen der Drohreflex noch nicht funktioniert.
1.5.1.4 Hindernisparcours
Unter Umständen sind die bisher erwähnten Sehproben nicht genügend, um leichtere Sehstörungen zu entdecken. Um die Sehtüchtigkeit unter verschiedenen Beleuchtungsverhältnissen zu testen, können Hunde auch durch einen Hindernisparcours gerufen werden (3). Dabei werden in einem dem Hund unbekannten Raum verschiedene Hindernisse, z. B. Stühle, Papierkörbe, Plastiktüten, usw. platziert. Der Hund wird an einem Ende des Raumes festgehalten und dann vom Besitzer ans andere Ende des Raumes gerufen. Leicht lässt sich dabei erkennen, ob der Hund sicher und zuversichtlich die verschiedenen Hindernisse umgeht, oder sich allenfalls zögernd mit gesenktem Kopf um die Hindernisse tastet. Dieser Test kann zunächst bei voller Beleuchtung und anschließend bei stark abgedunkeltem Licht durchgeführt werden. Hunde mit Netzhautdegenerationen zeigen zu Beginn hauptsächlich eine Nachtblindheit. Während sie bei hellem Licht problemlos durch den Hindernisparcours laufen, werden sie im Dämmerlicht auffallend langsam und unsicher und stoßen sich evtl. sogar. Oft wäre es wünschenswert, diese Hindernistests für jedes Auge separat durchzuführen. Dazu muss aber jeweils ein Auge großflächig abgedeckt werden, was die Tiere nicht ohne weiteres mit sich geschehen lassen. Oft verweigern sie dann jede Bewegung oder bewegen sich erst, wenn sie sich des lästigen Augenverbandes entledigt haben. Bei Katzen ist diese Sehprobe meistens nicht durchführbar.
1.5.2 Überprüfung des Pupillarreflexes und der Pupillengröße
Von großer Bedeutung bei der neuro-ophthalmologischen Untersuchung ist der Pupillen-Licht-Reflex (PLR).
Zunächst wird die Symmetrie der Pupillengröße beurteilt. Am besten betrachtet man dazu den Hund aus einer Distanz von ca. 1 m durch ein direktes Ophthalmoskop.Vom Tapetum lucidum reflektiertes Licht lässt die Pupillen hell erscheinen, so dass die Größe beider Pupillen sehr exakt vergleichend beurteilt werden kann. Dies geschieht zunächst bei hellem Licht, später im abgedunkelten Raum. Gewisse Anisokorien sind deutlicher bei hellem Licht und verschwinden im Dunkeln, in anderen Fällen verhält es sich umgekehrt.
Der PLR wird immer im abgedunkelten Raum beurteilt. Dabei prüft man den direkten PLR im beleuchteten Auge und dann den konsensuellen, indirekten PLR im Partnerauge (1). Voraussetzung ist eine starke, fokale Lichtquelle. Die Anatomie des PLR ist aus Abbildung 1.43 ersichtlich.
Am schnellsten und zuverlässigsten lassen sich die Pupillen-Licht-Reflexe mit dem sog. Pendellichttest beurteilen. Dabei wird zunächst mit fokalem Licht das eine Auge während einiger Sekunden beleuchtet, wobei der direkte PLR beurteilt wird. Dann wird die Lichtquelle rasch zum anderen Auge verschoben. Beim gesunden Tier ist diese Pupille bereits verengt (positiver indirekter PLR) und bleibt es auch (direkter PLR). Wenn nun die Lichtquelle zurück zum ersten Auge verlagert wird, ist diese zuerst beleuchtete Pupille immer noch verengt (indirekter PLR) und bleibt es auch (direkter PLR) (2). Der PLR erlaubt bei unilateraler Blindheit die Lokalisierung der Läsion. In diesem (normalen) Fall spricht man von einem negativen Pendellichttest. Beim positiven Pendellichttest ist der direkte PLR auf der unveränderten Seite physiologisch, d. h. die Pupille verengt sich bei direkter Beleuchtung. Wird das Licht zur veränderten Seite verschoben, ist dort die Pupille zunächst verengt (positiver indirekter PLR), dilatiert aber während der direkten Beleuchtung (negativer direkter PLR). Wird nun das Licht zurück zur gesunden Seite verschoben, ist dort die Pupille zunächst weit (negativer indirekter PLR) und verengt sich dann. Der positive Pendellichttest ist pathognomonisch für einseitige retinale Veränderungen oder einseitige prächiasmatische Läsionen des N. opticus (4).
Mit einer guten fokalen Lichtquelle können auch die lateralen bzw. medialen Anteile der Netzhaut getrennt beleuchtet und der entsprechende PLR beurteilt werden. So gelingt annäherungsweise die Untersuchung des Gesichtsfeldes auch beim Tier.
1.5.3 Lidreflex
Der Lidreflex prüft die sensible Innervation durch den N. trigeminus (V) und die motorische Innervation des M. orbicularis oculi durch den N. facialis. Durch leichtes Antippen des medialen und lateralen Lidwinkels wird dieser Reflex ausgelöst.
Abb. 1.43
Der afferente Arm des PLR verläuft von der Retina über den N. opticus, das Chiasma opticum und den Tractus opticus zum prätektalen Nukleus und von dort zum Edinger-Westphal-Nukleus des III. Gehirnnerven. Sowohl im Bereich des Chiasmas als auch der hinteren Kommissur kreuzen die Axone teilweise auf die andere Seite. Die efferenten parasympathischen Fasern verlaufen präganglionär bis zum Ggl. ciliare zusammen mit den motorischen Fasern des N. oculomotorius und von dort als kurze, hintere Ziliarnerven zum M. sphincter pupillae.
1.5.4 Kornealreflex
Die Innervation der Kornea (V) wird durch eine Berührung der Hornhautoberfläche überprüft. Mit einem sterilen Watteträger wird die Hornhaut von der Seite so berührt, dass der Patient die Annäherung des Objektes an seine Hornhaut nicht sieht, sondern nur fühlt. Semi-quantitativ kann die Innervation der Hornhaut mit einem Ästhesiometer bestimmt werden (5).
Alle Reflexe, welche zu einem Lidschluss führen, d. h. Drohreflex, Blendreflex, Lid- und Kornealreflex, setzen einen intakten N. facialis voraus.
1.5.5 Tränenproduktion
Die basale und die reflektorische Tränenproduktion werden afferent durch den N. trigeminus, efferent durch parasympathische Fasern mit Ursprung im parasympathischen Nukleus des N. facialis gesteuert. Läsionen des afferenten bzw. des efferenten Arms führen zur neurogenen Keratokonjunktivitis sicca (KCS) (3). Die Tränensekretion wird mit dem Schirmer Tränentest bestimmt (6). Bei der Fazialisparese des Hundes sollte unbedingt immer auch die Tränensekretion kontrolliert werden (7).
1.5.6 Position der Bulbi
Die normale und symmetrische Position beider Augäpfel wird beurteilt. Strabismus ist beim Kleintier relativ selten. Bei der Siamkatze wird eine kongenitale Esotropie beschrieben (8). Beim Shar Pei tritt eine erworbene fibrosierende Esotropie auf (1).
1.5.7 Physiologischer vestibulärer Nystagmus
Horizontale und vertikale Kopfbewegungen induzieren Impulse in den vestibulären Anteilen des N. vestibulo-cochlearis (VIII). Der resultierende Nystagmus hat seine schnelle Phase in der Richtung der Kopfbewegung. Dieser Nystagmus stoppt sofort, wenn die Kopfbewegung unterbleibt. Mit dem vestibulären Nystagmus kann die Funktion der vier Mm. recti untersucht werden (Gehirnnerven III und VI) (1).
1.5.8 Elektrophysiologische Untersuchungen
Wertvolle Zusatzinformationen bei Blindheit oder Sehstörungen liefern elektrophysiologische Untersuchungen, welche zur ophthalmologischen Routine gehören.
1.5.8.1 Elektroretinographie (ERG)
Mittels ERG kann die Funktion der Netzhaut überprüft werden. Hierbei wird die Netzhaut mit einem Einzelblitz stimuliert und die Massenantwort der äußeren Netzhautanteile mit zwei Elektroden abgeleitet, verstärkt und aufgezeichnet. Sämtliche Netzhautzellen mit Ausnahme der Ganglienzellen sind an der Biogenese des ERGs beteiligt. Das ERG ist somit kein Sehtest, sondern nur eine Funktionsprobe der Netzhaut. Immerhin erlaubt sie, verschiedene Formen von Netzhautdegenerationen zu diagnostizieren und zwischen okulären und retrobulbären Formen der Blindheit zu unterscheiden (Abb. 1.44) (9). Mit geeigneten Stimuli lassen sich die Stäbchen und Zapfen getrennt untersuchen, was zur Frühdiagnose von Retinopathien wichtig ist.
Abb. 1.44
Physiologisches ERG bei einem Hund. Man unterscheidet eine a-Welle, welche von den Photorezeptoren generiert wird, und eine b-Welle, welche ihren Ursprung in der inneren Körnerschicht, hauptsächlich in den Bipolarzellen, hat.
Abb. 1.45
Physiologische VEP beim Hund. Die einzelnen Komponenten werden nach ihrer Polarität und ihrer Gipfelzeit benannt. Während die Amplituden relativ großen Schwankungen unterworfen sind, sind die Gipfelzeiten gut reproduzierbar.
1.5.8.2 Visuell evozierte Potentiale (VEP)
VEP sind die reizkorrelierten Potentiale, welche durch elektronische Mittelwertbildung aus dem stochastischen »Rauschen« des EEG herausgefiltert werden können. Die Potentiale werden in den Arealen 17 bis 19 der Großhirnrinde, dem sog. Sehkortex generiert. Die Netzhaut wird durch Lichtblitze oder gemusterte Reize stimuliert und die Biosignale über den entsprechenden Großhirnarealen abgeleitet.
Veränderungen in der Reizleitungsgeschwindigkeit, der sog. Latenzzeit, und den Amplituden der verschiedenen Signale können Hinweise auf Läsionen der Sehnerven, der Sehstrahlen und des Sehkortex geben (Abb. 1.45) (9). Die Amplituden dieser Signale sind sehr klein und variabel. Die Latenzzeiten sind dagegen relativ konstant.
Literatur
1 SCAGLIOTTI, R. (1999): Comparative Neuro-ophthalmology. In: Gelatt, K. (ed.):Veterinary Ophthalmology, 3rd ed., Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia.
2 SLATTER, D. (1990): Fundamentals of Veterinary Ophthalmology. 2nd ed.Vol. 1.,W.B. Saunders, Philadelphia.
3 GELATT, K. (2000): Essentials of Veterinary Ophthalmology, Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia.
4 ENYEDI, L.B., DEV, S., COX, T.A. (1998): A comparison of the Marcus Gunn and alternating light tests for afferent pupillary defects. Ophthalmol. 105 (5): 871–873.
5 BARRETT, P., SCAGLIOTTI, R.H, MERIDETH, R.E, JACKSON, P.M, LAZANO ALACRON, F., (1991): Absolute corneal sensitivity and corneal trigeminal nerve anatomy in normal dogs.Vet Comp Ophthalmol. 1 (4): 245–254.
6 SPIESS, B. (1998): Der Schirmer Tränen Test (STT). Kleintierkonkret, 3:14–18.
7 KERN, T.J. ERB, H.N. (1987): Facial neuropathy in dogs and cats: 95 cases (1975–1985). J Am Vet Med Assoc. 191 (12): 1604–1609.
8 BLAKE, R., COOL, S.F., CRAWFORD, M.L., (1974):Visual resolution in the cat. Vision research, 14: 1211–1271.
9 SPIESS, B. (1994): Elektrophysiologische Untersuchungen des Auges bei Hund und Katze., Enke Copythek, Stuttgart.
2 Neuropathologie

2.1 Allgemeine Neuropathologie
2.1.1 Zellularpathologie
2.1.1.1 Neuron
Neuronen entstammen dem Neuroektoderm und sind die höchst differenzierten somatischen Zellen mit einzigartigen biologischen Eigenschaften. Trotz unterschiedlicher Größe und Form (Motoneuronen, autonome Ganglienzellen, Purkinjezellen, Interneuronen, usw.) sind ihre metabolischen, zytoarchitektonischen und funktionellen Eigenschaften weitgehend gleich: Sie sind asymmetrisch und polarisiert und besitzen einen leicht peripher gelegenen Kern mit wenig Chromatin und ein oder zwei Nukleoli. Mitochondrien, Lysosomen, Golgiapparat und sowie raues endoplasmatisches Retikulum sind in den Nissl-Schollen im Perikaryon zusammengefasst (1). Die Hauptmasse des Neurons besteht aus Ausläufern (Abb. 2.1). Zur Bewältigung der enormen Transportaufgaben in Dendriten und Axonen besitzen Neurone ein spezielles Zytoskelett aus Mikrotubuli, Intermediärfilamenten und Mikrofilamenten. Neurone sind über Synapsen untereinander und mit peripheren Zielorganen verbunden. Für Informationsverarbeitung, Transport- und Versorgung sind sehr viele unterschiedliche Moleküle notwendig, so dass über 50% aller Gene allein im Nervensystem exprimiert werden.
Abb. 2.1
Neuronen. Pyramidenzelle im Neocortex mit langem Axonabschnitt und zahlreichen Dendriten. Immunhistochemische Darstellung von Tyrosinhy droxylase (Hund, 5 Jahre).
Abb. 2.2a, b
Neuronaler Zelltod. (a) Spongiforme Enzephalopathie mit mehreren beginnenden Nervenzellnekrosen bei persistierender Virusinfektion (Großhirnrinde, Ratte; Kresylviolettfärbung). (b) Apoptose eines Neurons (Kondensation des Zellkerns, Auflösung von Zellmembran und Zytoplasma, rechts) in Kontakt mit Mikrogliazelle (Großhirnrinde, Hund, 5 Jahre; elektronenmikroskopische Aufnahme).
Neuronaler Zelltod
Nach Abschluss von Proliferation und Migration während der Hirnentwicklung werden überschüssige Neurone durch programmierten Zelltod (Apoptose, s. u.) eliminiert. Danach verbleiben ausdifferenzierte postmitotische Neurone sowie in Nestern angeordnete adulte Stammzellen. Da Neurone – mit Ausnahme der Riechzellen – nicht proliferieren können, ist die Möglichkeit zur Regeneration des ZNS nach Läsionen begrenzt. In jüngster Zeit mehren sich aber Hinweise, dass adulte Stammzellen zur neuronalen Erneuerung beitragen können. Neuronaler Zelltod kann – je nach Noxe – in unterschiedlicher Form auftreten, als Apoptose, Apoklesis (»Verdämmern« der Nervenzelle z. B. nach Axotomie), dark degeneration oder ischämische Nervenzellnekrose. Unterschiedliche Formen des Zelluntergangs sowie artifizielle und transiente intravitale Nervenzellveränderungen sind häufig schwer voneinander zu unterscheiden (2).
Apoptose
Als Apoptose oder programmierten Zelltod bezeichnet man den gleichzeitigen a) Zerfall der Zellmembran mit b) Plasmakondensation und c) Karyorrhexis. Es ist die klassische Form des physiologischen durch interne Gen-Aktivierung ausgelösten Zelluntergangs in wachsenden Geweben. Unterschiedliche Gen-Kaskaden, die zur Apoptose führen, werden aber auch während neurodegenerativer Prozesse bei Neuronen und Gliazellen beobachtet (3) (Abb. 2.2a).
Nervenzellnekrose
Die Nervenzellnekrose ist eine Form des Zelltods, die in Folge vieler exogener Noxen (Hitze,Toxine, Ischämie/Hypoxie) vorkommt und bei der unterschiedliche Zeichen des Zelluntergangs auftreten können (4). Häufig steht die Schrumpfung des Kerns im Vordergrund, begleitet von Auflösung der Nissl-Schollen und intensiver Eosinophilie des Zytoplasmas. Mit Kresylviolett färben sich diese Zellen dunkelblau-violett (Abb. 2.2b). Häufig sind Veränderungen an Mitochondrien erkennbar. Durch Membranschäden kommt es zum ungehinderten Einstrom von Kalzium und damit zum Zelltod. Im Unterschied zur Apoptose sind meist nicht nur Einzelzellen, sondern Zellcluster betroffen. In der Folge gruppieren sich Mikrogliazellen/Makrophagen um die sterbenden Neuronen und phagozytieren sie (Neuronophagie).
Neuronale Einschlüsse,Vakuolen, Speicherprodukte
Bei viralen Infektionskrankheiten kann es zu charakteristischen und manchmal pathognomonischen intrazytoplasmatischen und/oder intranukleären Einschlusskörpern kommen (2, 5). Neuronale Vakuolen sind dagegen unspezifisch und entstehen nach unterschiedlichen Noxen, z. B. bei zytotoxischen Ödemen oder nach Axotomie. Eine besondere Form neuronaler Vakuolen in Verbindung mit Nervenzellverlust und astrozytärer Gliose kommt bei den übertragbaren spongiformen Enzephalopathien wie Scrapie, BSE und der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit vor (6). Physiologischerweise altersabhängig oder bei Speicherkrankheiten (s. u.) kommt es zur Einlagerung von Pigment (Lipofuszin, Neuromelanin), Glykogen oder Fett in Nervenzellen.
2.1.1.2 Astroglia, Ependymzellen, Plexusepithel
Astrozyten sind die wichtigsten stoffwechseltragenden und neben den Neuronen auch strukturgebenden Zellen des Nervensystems und ebenfalls neuroektodermalen Ursprungs. Sie stehen über ihre Fortsätze einerseits mit den Kapillaren und andererseits mit den Neuronen in Verbindung. Astrozyten produzieren u. a. Proteine der extrazellulären Matrix, Adhäsionsmoleküle, neurotrophe Faktoren,Wachstumsfaktoren und Zytokine (2).Wahrscheinlich fungieren sie neben der Mikroglia auch als antigenpräsentierende Zellen (7). Die Astroglia umfasst eine heterogene Gruppe funktionell und morphologisch unterschiedlicher Zellen mit vielen spezialisierten Subtypen und komplexen Interaktionen. Klassischerweise werden morphologisch protoplasmatische und fibrilläre Astrozyten unterschieden, wobei der protoplasmatische Typ mehr in der grauen, und der fibrilläre Typ mehr in der weißen Substanz vorkommen.
Reaktive Glia
Eine der frühesten und häufigsten Phänomene nach ZNS-Läsionen ist das astrozytäre Ödem, das nach Ischämie/Hypoxie, Hypoglykämie, bei Epilepsie, Entzündungen, Neurotoxi-kosen oder Trauma auftreten kann. Die Schwellung von Astrozyten ist der Hauptparameter des sog. zytotoxischen Hirnödems. Nahezu regelmäßig kommt es bei pathologischen Veränderungen des ZNS zur Bildung reaktiver Astrozyten (8), die sich hauptsächlich durch eine Vermehrung von saurem Gliafaserprotein (glial fibrillary acidic protein, GFAP) auszeichnen (Abb. 2.3a). Solche hypertrophen Astrozyten beobachtet man v. a. bei subakut bis chronischen Prozessen, also in der Nähe von Tumoren, um Abszesse oder andere Herdprozesse, aber auch bei diffusen Veränderungen wie Marklagerödem, Leukodystrophie und Enzephalitiden. Nach größeren Läsionen entsteht ein regelrechter Astrozytenfilz, eine sog. gliöse Narbe.
Ependymzellen und Plexusepithelzellen
Ependymzellen kleiden das Hirnventrikelsystem und den Zentralkanal des Rückenmarkes aus, Plexusepithelzellen überziehen die Blutgefäßplexus in den Hirnventrikeln und sind an der Liquorproduktion beteiligt. Über Reaktionen von Ependymzellen und Plexusepithelzellen auf pathologische Ereignisse ist wenig bekannt, außer dass sie – wie andere neuroektodermale Zellen auch – atrophieren und zugrundegehen oder entarten können. In der Regel werden Defekte durch astrogliale Reaktionen geschlossen.
2.1.1.3 Oligodendroglia/Schwannzellen
Pathologie des Myelins
Ähnlich den Astrozyten sind die – ebenfalls neuroektodermalen – Oligodendrozyten und Schwannzellen metabolisch sehr aktiv und versorgen v. a. die Markscheiden. Als Satellitenzellen liegen sie häufig eng am Perikaryon der Nervenzellen oder als Markscheidenzelle axonnah im Neuropil. Im Bereich von Läsionen kommt es zu Zellhypertrophien, möglicherweise auch zu Zellteilungen. Geschädigte Oligodendroglia zeigt sich durch Vakuolisierung, Einschlüsse, vermehrte Mikrotubulibildung und Veränderungen der Myelinogenese (2).
Demyelinisierung unterschiedlichen Ausmaßes ist eine Folge zahlreicher Noxen wie Trauma, Tumor,Virusinfektionen (9), immunpathologischen Reaktionen gegen Myelinprotein oder Intoxikationen. Es kommt zu Vesikelbildung (Honigwaben), Fragmentation und schließlich zur Auflösung (Abb. 2.4). Auch bei weitgehendem Myelinverlust bleiben Axone über längere Zeit erhalten. Schon bald – besonders wenn ortsständige Astrozyten und benachbarte Oligodendrozyten unversehrt geblieben sind – setzt Remyelinisierung ein, indem unreife Oligodendrozyten rekrutiert werden und in die zerstörte Region einwandern.
Abb. 2.3a, b
Gliazellen. (a) Reaktive Astrozyten in der Randzone eines Tumors. Immunhistochemische Darstellung von saurem Gliafaserprotein GFAP (Großhirnrinde, Hund, 8 Jahre). (b) Mikrogliazelle (Mitte) in Kontakt mit virusinfizierten Astrozyten (Zellkultur, Ratte; elektronenmikroskopische Aufnahme).
Die bekannteste Form zentraler Myelinschädigung ist die Vakuolisierung, der sog. Status spongiosus, der als Folge von Intoxikationen, Virusinfektionen (z. B. Staupe) und Autoimmunkrankheiten auftritt.
Abb. 2.4
Demyelinisierung. Peripherer Nervenfaszikel bei Polyneuropathie (Dogo Argentino, 4 Monate; Gomori-Trichromfärbung nach Engel).
2.1.1.4 Mikroglia
Mikrogliazellen werden heute übereinstimmend als residente Makrophagen des Zentralnervensystems (ZNS) angesehen (2). Insofern entspricht ihre Funktion im Wesentlichen derjenigen der Makrophagen, mit denen sie auch im sog. monozytären Phagozytensystem zusammengefasst werden. Sie sind mesenchymalen Ursprungs und entsprechen einem Anteil von etwa 20% aller Gliazellen. Sie zeichnen sich durch eine typische differenzierte Morphologie (»Stäbchenglia«) aus. Im erwachsenen gesunden Gehirn liegen sie überwiegend als sog. resting Mikroglia in regelmäßiger Verteilung vor und bilden ein Netzwerk immun-akzessorischer Zellen, das bereits auf subtilste Veränderungen des Mikroenvironments in Gehirn und Rückenmark reagiert. Bei größeren Läsionen kommt es dabei zur sog. Feldinduktion der Mikroglia.Aktivierte Mikrogliazellen proliferieren, exprimieren/präsentieren Zellober-flächenantigene, u. a. MHC-Antigene, und synthetisieren zahlreiche Zytokine (10). Sie können weiter in Richtung Makrophagen differenzieren und sind die Hauptakteure der mobilen Resorption von zugrunde gegangenem Nervengewebe (Abb. 2.3b).
2.1.1.5 Neuropil, Blut-Hirn-Schranke
Als Neuropil bezeichnet man den Zellverband aus Neuronen und Gliazellen, der von Blutgefäßen durchzogen wird. Das Neuropil enthält nur sehr schmale extrazelluläre Spalträume, besitzt kein interstitielles Bindegewebe und kein Lymphgefäßsystem, kommuniziert aber über die Liquorräume mit zervikalen und abdomino-thorakalen Lymphgefäßen. Diese Tatsache ist für das Verständnis der Entstehung von Entzündungsreaktionen im ZNS, das ansonsten ja durch die Blut-Hirn-Schranke abgeschirmt ist, sehr wichtig.
Hirnkapillaren unterscheiden sich von anderen Blutgefäßen durch die Existenz der Blut-Hirn-Schranke, die man am besten als gemeinsame Funktion von Gefäßendothelien, Perizyten und Astrozyten verstehen kann (11). Diese Schrankenfunktion schützt das Nervengewebe vor dem Eindringen vieler v. a. makromolekularer Stoffe und Erreger.
2.1.1.6 Hüllzellen
Mesenchymale Zellen bilden die Meningen, bestehend aus Pia mater und Arachnoidea, und die Dura mater. Die Dura ist im Bereich des Schädels fest mit dem Periost verbunden, während sie das Rückenmark als Duraschlauch umgibt. Der zwischen Arachnoidea und Pia mater liegende Subarachnoidalraum ist liquorführend. An den zerebrospinalen Nervenwurzeln gehen trichterförmig meningeale Zelllagen in die Perineuralscheiden, die Dura in das epineurale Bindegewebe über. Die Hüllgewebe sind sehr blutgefäßreich und reagieren eher als das Nervengewebe mit entzündlichen Reaktionen (2).
2.1.1.7 Neuronale Degeneration/Regeneration
Neuronale Degeneration und Regeneration betrifft Neuronen und Gliazellen. Jede Nervenfaser (Nervenzellfortsatz) wird im ZNS von Oligodendrozyten und im PNS von Schwannzellen mit einer Markscheide bzw. von Myelin-armen oder -freien Remakzellen umschlossen.
Axotomie, pro- und retrograde Degeneration, axonale Dystrophie
Verletzungen des Axons durch Trauma, Quetschung, Entzündung oder Tumorwachstum mit Unterbrechung der axonalen Kontinuität führen zu charakteristischen Reaktionen (12): Der proximale Stumpf des Axons bleibt erhalten, es kommt zur Schwellung des Perikaryons,Verlagerung des Zellkerns in die Peripherie und zur Auflösung der Nissl-Substanz. Außerdem werden umgebende gliale Satellitenzellen aktiviert. In diesem Zusammenhang werden Begriffe wie primäre Reizung, axonale Reaktion oder retrograde Regeneration bzw. Degeneration synonym gebraucht (2).
Der distal der Läsion gelegene Teil des Axons degeneriert (prograde oder Waller’sche Degeneration): Auflösung von Axon und Myelinscheide, Phagozytose, Schwannzellproliferation. Schwannzellen bilden die Büngner’schen Bänder (Aneinanderreihungen von Schwannzellen in der Längsachse des Nerven), die als Leitschienen für die Regeneration durch einsprossende Axone dienen. Das komplexe und multifunktionale axonale Transportsystem ist sehr anfällig für unterschiedliche Noxen, insbesondere aber mechanische Läsionen und Sauerstoffmangel. Meist kommt es zu Störungen in Neurofilament- und Mikrotubulisystemen mit der Folge von Transportstörungen, Anhäufungen von Organellen, Axonschwellung und Zerreißungen und schließlich Axondegeneration (12). Als neuroaxonale Dystrophie bezeichnet man einen Zustand, bei dem es zu enormen, bis zu 120 μm Durchmesser großen Schwellungen des Axons mit der Ausbildung sog. axonaler Spheroide kommt. Sie kommen primär als Erbkrankheiten z. B. bei der neuroaxonalen Dystrophie oder sekundär bei unterschiedlichen degenerativen Krankheiten und Toxikosen vor.
Neuronale Regeneration
Neuronale Regeneration findet im ZNS nur sehr begrenzt statt. Meist werden Läsionen durch Gliose ersetzt. Inwieweit adulte Stammzellen in der Lage sind, Defekte zu ersetzen, ist noch weitgehend ungeklärt (2). Durch Blockade inhibitorischer Moleküle der Oligodendroglia bei gleichzeitiger Applikation von Neurotrophinen kann axonales Wachstum im Bereich von Läsionen ausgelöst werden. Dadurch sind z. B. Motoneuronen des Rückenmarkes, des verlängerten Markes und Ganglienzellen des peripheren Nervensystems (PNS) in der Lage, neue Axone zu bilden. Grundsätzlich kann das PNS gut regenerieren, solange die strukturell-anatomischen Anschlussmöglichkeiten zwischen aussprossendem Axon und peripherem Ziel erhalten sind.
2.1.2 Entwicklungsstörungen/Missbildungen
2.1.2.1 Hirnentwicklung - Pathogenese der Missbildungen
Missbildungen sind Ausdruck gestörter Morphogenese, wobei Hauptangriffspunkte Zellform, Zellmigration, Zellproliferation, Apoptose und Zelldifferenzierung sind (13). Die Pathogenese von Missbildungen versteht man als Sequenz molekularer, zellulärer und geweblicher Veränderungen, die zur Entwicklung eines pathologischen Phänotyps führen. Primäre oder durch Viren,Toxine und Strahlen verursachte Gendefekte und deren Wechselwirkungen stören die Differenzierung und spielen als ätiologische Faktoren eine wesentliche Rolle. Durch Identifizierung einer Vielzahl von Genen und zellulären und molekularen Mechanismen, die die embryonale und fetale Entwicklung steuern, hat sich das Verständnis von Ätiologie und Pathogenese der Hirnentwicklungsstörungen erheblich gewandelt.
Die Embryonalentwicklung des ZNS ist sehr vielschichtig, und in jeder Phase gibt es zahlreiche Störfälle. Große chromosomale Defekte verursachen auffällige komplexe Missbildungen (z. B. Down-Syndrom, Turner-Syndrom), einzelne Genfehler führen zu kleineren strukturellen und funktionellen Ausfällen. Letztere bleiben unentdeckt, wenn sich daraus ergebende Verhaltensstörungen, Lernschwierigkeiten u. Ä. nicht damit in Verbindung gebracht werden. Von den eigentlichen Missbildungen sind nur wenige mit dem Leben vereinbar. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf zwei Gruppen: Störungen beim Schluss des Neuralrohrs (Dysraphien) und Aufbaustörungen des Kortex.
2.1.2.2 Neuralrohrdefekte, Dysraphien
Neben Genfehlern spielen Virusinfektionen (z. B. Parvoviren: Panleukopenie der Katze; Togaviren: Schweinepest, Bovine Virusdiarrhoe) bei Neuralrohrdefekten die größte Rolle. In Abhängigkeit vom Entwicklungsstadium entstehen Defekte unterschiedlichen Ausmaßes (13): Anenzephalie (Fehlen des Gehirns) und Amyelie (Fehlen des Rückenmarkes) können unabhängig voneinander vorkommen, sind aber immer vergesellschaftet mit Defekten an Schädel und/oder Wirbelkanal (Kraniorachischisis). Bei der Porenzephalie handelt es sich um Substanzdefekte, die eine Verbindung zwischen Ventrikelsystem und Hirnoberfläche schaffen, gelegentlich in Verbindung mit Höhlenbildungen im Gehirn. Den Extremfall bildet die Hydranenzephalie (14), die z. B. zusammen mit Arthrogryposis (abnorme Gliedmaßenstellung) beim Kalb vorkommt. Zu diesem Komplex zählen auch verschiedene Formen von Vorwölbungen von Hirn- oder Rückenmarksgewebe durch knöcherne Defekte. Dabei handelt es sich um leptomeningeale – von Epidermis überzogene und mit Flüssigkeit gefüllte – Ausbuchtungen über einem nicht geschlossenen Schädel oder Wirbelkanal. Sind in der Vorwölbung nervöse Elemente enthalten, spricht man von Enzephalo- oder Myelomeningozele, fehlen diese, von Meningozele.
Als Syringomyelie (Syrinx: griechisch »Flöte«) bezeichnet man eine ausgedehnte Höhlenbildung im Rückenmark, die sich häufig erst im Erwachsenenalter bemerkbar macht (14). Davon abzugrenzen ist die Hydromyelie, bei der ein erweiterter Zentralkanal besteht.
2.1.2.3 Konstitutioneller Hydrozephalus
(siehe Kap. 18.4.4)
2.1.2.4 Rindenanomalien: Mikrogyrie, Makrogyrie, Lissenzephalie
Mikroenzephalie
Bei der Entwicklung vom Neuralrohr zum Gehirn müssen die innen liegenden lumennahen Neuroblasten in die Peripherie wandern. Kommt es zu Migrationsstörungen, entstehen Rindenanomalien (13). Häufig bestehen neben Störungen der Großhirnrinde auch Veränderungen in Kleinhirnrinde und Medulla oblongata. Bei der häufigsten Aufbaustörung, der Mikrogyrie (Mikropolygyrie), kommt es einerseits zu einer abnormen Schichtung der Rinde, andererseits zu einer an Straßenpflaster erinnernden feingefältelten Oberfläche. Auch bei der Makrogyrie (Pachygyrie) besteht ein fehlerhafter Rindenaufbau, allerdings ziehen die Schichten bis tief ins Marklager und die Sulci sind teilweise so abgeflacht, dass mehrere Gyri ineinander überzugehen scheinen. Ein Extremfall der Makrogyrie ist die Lissenzephalie (Agyrie), bei der Sulci überhaupt zu fehlen scheinen. Häufig wohlproportioniert ist das Gehirn bei der Mikroenzephalie, meist in Verbindung mit Mikrozephalie.
2.1.2.5 Kleinhirnmissbildungen
Auch hier spielen neben Erbkrankheiten (z. B. beim Gordon Setter und Bernhardiner) Virusinfektionen während der Embryonalphase eine wichtige Rolle (z. B. bei der Panleukopenie der Katze). Es kommt zur zerebellären Aplasie oder Hypoplasie (14), bei der Rindenschichten verschmälert sind oder fehlen (siehe Kap. 16.4.1) und auch die Markentwicklung gestört sein kann (Hypomyelogenese).
2.1.2.6 Hypo- und Dysmyelogenesen
Entwicklungsstörungen der weißen Substanz in Rückenmark, Gehirn und peripheren Nerven kommen in verschiedenen Ausprägungen vor und werden für eine Reihe von Hunderassen beschrieben (14). Es handelt sich eher um eine fehlerhafte Myelinbildung – möglicherweise als Folge ungenügender Oligodendrozytenreifung – als um eine degenerative Störung. Diskutiert werden sowohl Gendefekte als auch exogene Ursachen (Virusinfektionen, Mangelsyndrome). Betroffen sind v. a. Chow Chow, Springer Spaniel, Samoyede,Weimaraner,Berner Sennenhund und Dalmatiner (siehe Kap. 14.1.7).
2.1.3 Mechanisch-physikalische Störungen
2.1.3.1 Erhöhter Hirndruck
Das Gehirn ist eine verhältnismäßig flexible Struktur, die sich mäßigen Druckveränderungen anpassen kann. Traumatisierung, intrakranielle Blutung, Entzündung,Tumor, erhöhter Liquor- oder Gefäßdruck und Hirnödem können aber eine lebensbedrohliche Erhöhung des Hirndrucks nach sich ziehen (16).
2.1.3.2 Raumfordernde Prozesse/erworbener Hydrozephalus
Jede Raumforderung innerhalb der nicht-erweiterungsfähigen Schädelhöhle übt Druck auf das Gehirn aus. Die Auswirkungen hängen zum einen von der Lokalisation, zum anderen von der Art des Prozesses ab: Je schneller und progredienter der Verlauf ist, desto weniger Kompensationsmöglichkeiten (z. B. Drosselung der Liquorproduktion) hat das Nervengewebe und desto gravierender sind die Folgen. Ein schnell und invasiv wachsendes malignes Gliom, eine floride Enzephalitis oder eine Sickerblutung sind schwerer zu beherrschen als z. B. ein langsam expansiv wachsendes Meningiom. Durch Tumoren, Entzündungen oder Parasiten kann es zu Liquor-Abflussstörungen und damit zur Ausbildung eines Hydrozephalus internus acquisitus kommen.
2.1.3.3 Hirnschwellung und Hirnödem
Eine wesentliche zusätzliche Komplikation bei Traumatisierung und raumfordernden Prozessen ist die Schwellung/Ödem des Hirngewebes. Da es sich bei der Schädelhöhle um ein nicht-erweiterbares System handelt, können dabei auch läsionsferne Areale in Mitleidenschaft gezogen werden, z. B. Verschiebung des Kleinhirns in das Foramen occipitale magnum (Kleinhirnhernie). Man unterscheidet vasogenes (Störung der Blut-Hirn-Schranke, z. B. bei Herdprozessen wie Trauma,Abszess,Tumor), zytotoxisches (Störung der zellulären Na-/K-Pumpe, z. B. bei Hypoxie/Ischämie), hydrostatisches (blutdruckbedingtes), hypoosmolares (z. B. bei Hyponatriämie) und interstitielles (hoher Liquordruck, z. B. bei Hydrozephalus) Hirnödem (16). Regelmäßig ist das Hirnödem v. a. ein zelluläres, astrozytäres Ödem.
2.1.3.4 Infarkt/Knorpelgewebsembolie
Hirninfarkte und der damit verbundene Schlaganfall (Apoplexie) spielen beim Tier im Gegensatz zum Menschen eine untergeordnete Rolle. Anders als die durch Arteriosklerose bedingten primär-thrombotischen Infarkte des Menschen bilden sich bei den Haustieren Infarkte i. d. R. auf embolischer Grundlage (Endokarditiden). Infarkte mit der Folge von Ischämien und Rückenmarksnekrosen ereignen sich im Zusammenhang mit vaskulären Abszedierungen, Atherosklerosen, Arteriosklerosen, Thrombosen, parasitären Emboli, Fremdkörpern, schweren Bandscheibenvorfällen und Knorpelzellembolien (17). Letztere kommen bei allen Hunderassen und Katzen jeden Alters mit und ohne Zusammenhang eines Diskusprolaps vor (siehe Kap. 14.1.1). Insofern ist die Pathogenese ungeklärt. Es bilden sich Infarkte und Nekrosen/Malazien, in der Folge kommt es zur reaktiven Entzündung mit Einwandern von Mikroglia/Makrophagen. Die Ausfälle ereignen sich perakut, meist sind Hals- oder Lumbalmark betroffen. Reflexe sind herabgesetzt, der Muskeltonus ist reduziert, es kommt zu Paralysen, Hyperästhesien oder Anästhesien, selten zu Schmerzäußerungen.
2.1.3.5 Blutung
Massenblutungen sind bei den Haustieren meist Folge von Traumatisierung (Abb. 2.5). Blutungen aus Aneurysmen,Teleangiektasien oder Angiomen sind ebenso selten wie als Folge von Bluthochdruckkrankheiten, die durch Bluthochdruck entstehen. Petechiale Blutungen durch Kapillarwandschäden entstehen durch septische, allergische, chemisch-toxische, traumatische, physikalische und thermische Noxen.
2.1.3.6 Trauma
Der Ablauf eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) lässt sich wie folgt einteilen: (1) Primärverletzung, (2) Nachwirkungen, (3) Sekundärläsion, (4) Erholung und funktionelle Wiederherstellung (18, 19). Das Primärereignis wird durch Art, Lokalisation und Ausdehnung bestimmt, aber auch durch Alter, Ernährungszustand/Konstitution, Kondition und genetische Prädisposition des Patienten. Die Nachwirkungen eines SHT werden erst in jüngster Zeit näher untersucht. Dabei handelt es sich um verschiedene durch die Primärverletzung hervorgerufene Ereignisse, wie die Bildung freier Radikale oder durch Kalzium und Entzündung vermittelte Schäden. Die Sekundärläsion entsteht wiederum durch das Ein- bzw. Zusammenwirken mehrerer Faktoren wie lokaler Ischämie, erhöhtem Hirndruck, Hirnödem, Infektion oder Anfällen. Die Tatsache, ob es sich um gedeckte oder offene SHT bzw. Rückenmarkstraumata handelt, sagt allein noch nichts über die Schwere der Verletzung aus, allerdings kommt es bei Eröffnung von Schädel oder Wirbelkanal häufiger zu Gewebszerreißungen, -deformationen und Infektionen. Abhängig vom Grad der Einwirkung kommt es zu (1) Gehirnerschütterung (Commotio cerebri/spinalis), (2) Kontusion oder Kompression und (3) Lazeration. Bei der Commotio entstehen meist nur geringgradige Gewebsschäden mit – meist lokalem – Ödem, die von vorübergehender Bewusstlosigkeit und fehlenden oder herabgesetzten Reflexen begleitet werden können, die aber meist keine Dauerschäden nach sich ziehen. Bei Kontusion/Kompression entstehen schwerere Gewebsläsionen, häufig in Verbindung mit Blutungen und Hirnödem. Bei der Lokalisation ist das Phänomen des contrecoup zu beachten, wobei die der traumatischen Einwirkung diagonal gegenüberliegende Hirnregion mitbetroffen wird. Unter Lazeration versteht man grobe Texturzerstörungen, die zu schweren klinischen Ausfällen führen und meist mit dem Leben nicht mehr vereinbar sind (siehe Kap. 10.2.2 und 5.1.1).
2.1.4 Metabolisch-toxische Störungen
Elektrolytverschiebungen, Endokrinopathien und Organversagen können zu Störungen des Energiestoffwechsels, der Destabilisierung von Membranen, Hypoxien oder Endotoxikosen innerhalb des ZNS führen. Sie werden auch als metabolische Enzephalopathien bezeichnet (20).
2.1.4.1 Ischämie/Hypoxie/Hypoglykämie
Die durch Ischämie verursachten Sauerstoffunterversorgung und Hypoglykämie führen wegen der begrenzten endogenen Reserven bereits nach kurzer Zeit zu Hirnfunktionsstörungen und – falls nicht rasch interveniert oder kompensiert wird – zu Nervenzellnekrosen und spongiformer Enzephalomalazie in Neocortex und Allocortex (Hippocampus). Frühwarnzeichen sind adrenerge Symptome wie Muskelzittern, Schwäche, Ruhelosigkeit, später kommt es u. a. zu Ataxie, Kollaps und Krämpfen (21). Ursachen sind nicht selten Tumore (Insulinome, aber auch andere nicht-endokrine Tumore wie Lebertumore, Hämangiosarkome, Lymphosarkome und Adenokarzinome von Lunge und Mamma). Eine weitere Ursache ist die Insulin-Überdosierung. Transiente Hypoglykämien können im Welpenalter auch im Zusammenhang mit gastrointestinalen Krankheiten entstehen (siehe Kap. 18.4.5).
2.1.4.2 Hepatoenzephalopathie
Schwere Leberfunktionsstörungen im Rahmen eines akuten oder chronischen Leberversagens oder eines portokavalen Shunts können zum Einstrom toxischer Metaboliten (Ammoniak, Phenylalanin, Tryptophan, Tyrosin, kurzkettige Fettsäuren, biogene Amine) in den Kreislauf und zur Entwicklung einer Hepatoenzephalopathie führen (22).Aus Ammoniak bildet sich Glutamin, das intrazellulär akkumuliert und zum Hirnödem bis zum Status spongiosus mit Einbeziehung großer Teile der Großhirnrinde, aber auch von Kleinhirn und Hirnstamm führen kann. Auffällig sind Veränderung des Verhaltens, starrender Blick, eigenartige Lautäußerungen, Hyperaktivität und Aggression (siehe Kap. 18.4.5).
Abb. 2.5a, b
Blutungen/Trauma. (a) Intrazerebrale Blutung bei einem 3 Jahre alten Boxer mit Gliom (Tumorblutung). (b) Subdurale Blutung bei spinalem Trauma in Höhe der kaudalen Brustwirbelsäule (Katze, 12 Jahre).
2.1.4.3 Urämische Enzephalopathie
Bei akutem und chronischem Nierenversagen kann es zur Beeinträchtigung des ZNS kommen. Akut treten Krämpfe und Myoklonien auf, chronische Verläufe führen zu demenzartigen Zuständen (23). Die Pathogenese dieser Enzephalopathie ist unklar, intrazerebrale Hypoxie/verminderter Sauerstoffumsatz und erhöhte Kalziumwerte scheinen eine Rolle zu spielen. Die Hirnveränderungen sind unspezifisch (siehe Kap. 18.4.5).
2.1.4.4 Hypernatriämie (Kochsalzvergiftung)
Verschiebungen im Natriumhaushalt der Zellen können durch Hirnödem und schließlich intrakranielle Blutungen zu schweren Hirnfunktionsstörungen führen. Ursachen sind starker Wasserverlust/ungenügende Wasseraufnahme und/oder erhöhte Salzaufnahme (20).
2.1.4.5 Hyponatriämie
Hyponatriämie mit Hypoosmolarität (echte Hyponatriämie) ist i. d. R. Folge eines Nierenversagens (20). Hyponatriämie bei normaler oder sogar gesteigerter Serum-Osmolarität (isoosmolare Pseudohyponatriämie) kommt vor im Zusammenhang mit parenteraler Hyperglykämie (oder Mannitol), urea nitrogen,Toxinen, häufig vergesellschaftet mit Hyperlipidämie und Hyperproteinämie.
Die echte Hyponatriämie lässt sich einteilen in:
■hypervolämische Hyponatriämie (bei kongestiver Kardiomyopathie, Leberversagen, Nephrose, Hypoalbuminämie),
■normovolämische Hyponatriämie (Nierenversagen, Hypothyreoidismus, Nebennierenrindeninsuffizienz, Poly-dipsie) und
■hypovolämische Hyponatriämie (renale oder extrarenale Syndrome, z. B. gastrointestinale Krankheiten).
Bei akuter Hyponatriämie kommt es zu Hirnödem und erhöhtem Hirndruck.
2.1.4.6 Hypokalzämie
Ionisiertes Kalzium spielt eine wichtige Rolle bei der synaptischen Übertragung. Durch den Verlust seiner stabilisierenden Wirkung kommt es bei Hypokalzämie zur Übererregbarkeit, Krämpfen, Fieber, Ataxien, Spasmen bis hin zur Tetanie oder Epilepsie. Hauptursachen sind: Hypoparathyreoidismus, Hypovitaminose D, Nierenversagen, akute Pankreatitis oder intestinale Malabsorption (20).
2.1.4.7 Azidose und Alkalose
Schwere Azidosen und Alkalosen können über die Bildung von erhöhtem Hirndruck/Ödem zu ZNS-Störungen führen, die sich als Desorientiertheit, Wesensveränderung bis hin zu komatösen Zuständen äußern können (20).
2.1.4.8 Fehlernährung
Allgemeine Proteinmangelernährung/Unterernährung hat Auswirkungen auf die Hirnentwicklung, jedoch kaum auf das erwachsene Gehirn. Dagegen können Hypo- und Hypervitaminosen zu schweren neurologischen Krankheiten führen. Die meisten Mangelkrankheiten spielen heute allerdings aufgrund der modernen Futtermittel keine Rolle mehr.
Cobalamin- (Vitamin-B12-) Mangel
Als Ergebnis autosomal-rezessiver bzw. kongenitaler Malabsorption der Enterozyten des Ileums kommt das Fehlen dieses essentiellen Enzym-Kofaktors bei Riesenschnauzer, Border Collie und Beagle vor. Erworbener Cobalaminmangel kann bei alten Tieren infolge von Mangelernährung, Malabsorption, exokriner Pankreasinsuffizienz oder bakteriellem Overgrowth auftreten. Art und Pathogenese der Nervengewebs-läsionen sind nicht völlig geklärt. Beim Menschen treten v. a. spongiforme Degenerationen der Dorsalhörner des Rückenmarkes, der kortiko-spinalen Bahnen und der Großhirn-Albi sowie eine periphere Neuropathie auf (24).
Hypervitaminose A
Exzessive Aufnahme von Vitamin A über Monate oder gar Jahre – meist durch Verfütterung von viel roher Leber – verursacht bei Katzen eine deformative zervikale Spondylose, die zur knöchernen Ankylosierung und zur Quetschung und Zerstörung der Nervenwurzeln führt. Der Pathomechanismus innerhalb des Skeletts ist nicht völlig geklärt (24).
Thiamin- (Vitamin-B1-) Mangel
Ein Mangel an thermolabilem Thiamin kommt nur sporadisch vor, wenn Hunde und Katzen ausschließlich mit hocherhitztem oder thiaminasereichem Futter (Fisch!) versorgt werden (siehe Kap. 15.2.3).Thiamin spielt bei der Oxidation von Glukose im Krebszyklus eine wichtige Rolle, weswegen glukoseabhängige Organe wie das Gehirn besonders anfällig sind. Bei Vitamin-B1-Mangel entwickelt sich eine bilateral symmetrische Polioenzephalomalazie (24).
2.1.4.9 Diabetes mellitus
Chronische Hyperglykämie kann v. a. über gesteigerte Mobilisierung und Oxidation von Fettsäuren Ketoazidose, Hyperosmolarität, Dehydrierung und Elektrolytverschiebungen nach sich ziehen. Hyperosmolarität verursacht zerebrale Dehydratation (ähnlich der Hypernatriämie), ähnlich sind auch die neurologischen Symptome (25). Akut kann es zu Krämpfen und zum Koma kommen. Spätfolgen sind v. a. Mikroangiopathien und Neuropathien.
2.1.4.10 Hypothyreose/Hyperthyreose
Durch verminderte Bildung von Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) werden zahlreiche metabolische Funktionen beeinträchtigt. Im Bereich des ZNS ist die wichtigste pathogene Wirkung die Bildung eines Myxödems, das zum Koma führen kann. Außerdem kann sich eine periphere Neuropathie/Myopathie bilden (26). Die Hypothyreose ist beim Hund häufig (siehe Kap. 15.2.2).
Hyperthyreoidismus kommt nahezu ausschließlich bei der Katze vor. Er äußert sich durch Hyperkinäsie/Ruhelosigkeit, Wesensveränderungen, Anfälle und v. a. neuromuskuläre Ausfälle aufgrund von Hypokaliämie.
2.1.4.11 Speicherkrankheiten
(siehe Kap. 18.7.2)
2.1.4.12 Neurotoxikologie
Viele Metalle, Pestizide, Lösungsmittel, bakterielle, tierische und pflanzliche Gifte sowie Therapeutika können neurotoxisch wirken. Die Veränderungen im Nervensystem sind meist wenig spezifisch. Im Rahmen dieses Kompendiums ist eine ausführliche Beschreibung nicht möglich (siehe Kap. 18.4.5).
Im Folgenden werden einige wichtige Substanzen exemplarisch erwähnt:
Blei ist nach wie vor Bestandteil von Dingen des täglichen Lebens (z. B. von Farben) und führt vergleichsweise häufig zu Vergiftungen bei Hund und Katze (28). Es blockiert mehrere Enzyme und behindert u. a. die Reifung von Erythrozyten. Im Gehirn verursacht es Nervenzellnekrosen/spongiforme Veränderungen mit vaskulären und gliösen Reaktionen bevorzugt im frontalen und parietalen Kortex und im Hirnstamm. Außerdem betroffen sind die Purkinjezellen der Kleinhirnrinde, weniger stark als beim Menschen das periphere Nervensystem. Auffällig werden die Tiere meist durch ausgeprägte gastrointestinale und neurologische Symptome.
Thallium ist ein häufig verwendetes Rattengift, das zu Erbrechen und blutigem Durchfall, Speicheln, Anorexie, Paralyse, Zittern, Dyspnoe und innerhalb weniger Tage zum Tod führt. Es verursacht degenerative Veränderungen in Gehirn und peripheren Nerven (29).
Antikoagulantien. Bei diesen Rhodentiziden sind in erster Linie Vitamin-K-Antagonisten in Gebrauch. Cumarin, ein Derivat eines Pflanzenglykosids, ist häufiger Inhaltsstoff. Es kommt zu parenchymatösen Blutungen, die zu Ataxien und Anfällen führen können.
Organophosphate sind als Antiparasitaria in der Kleintiermedizin weit verbreitet. Katzen sind dabei besonders empfindlich gegenüber Chlorpyriphos (30). Organophosphate sind Inhibitoren der Acetylcholin-Esterase und führen durch cholinerge und parasympathische Überstimulierung zu Speicheln, Urinieren, Defäkation, Bradykardie,Verengung der Pupillen, Muskelzuckungen/Tremor, Spasmen, Ängstlichkeit und Ruhelosigkeit, Hyperaktivität und Anfällen. Grundlage ist eine axonale Degeneration in ZNS und PNS.
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2.2 Klassifikation von neurologischen Krankheiten: VETAMIN D
Nachdem versucht wurde, das Problem zu lokalisieren, stützt sich die weitere Abklärung auf zusätzliche Informationen, herkommend von Signalement, Anamnese, Verlauf, allgemeiner Untersuchung und gezielt eingesetzten Spezialuntersuchungen. In diesem Bereich muss der Kliniker über ein breites Wissen der häufiger vorkommenden Krankheiten oder Läsions-arten verfügen. Dieses Wissen muss nicht so sehr detailliert, sondern in einer geordneten Weise verfügbar sein, damit eine systematische Überlegungsstrategie möglich wird.
Nach pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten lassen sich neurologische Krankheiten in Gruppen einteilen, die durch eine bestimmte Art von Gewebeveränderungen und ähnliche pathologische Abläufe charakterisiert sind. Diese pathologischen Gemeinsamkeiten reflektieren sich bis zu einem gewissen Grad auch im klinischen Erscheinungsbild. Es geht dabei um gemeinsame Tendenzen, wobei Signalement (Altersklasse, Spezies, Rasse), Beginn und Verlauf der klinischen Symptome, Befunde der Allgemeinuntersuchung und Liquorbefunde die Schlüsselinformationen sind.
Bei der klinischen Diagnostik verwenden wir eine Klassifikation unter dem Akronym: »VETAMIN D«: Vaskuläre Erkrankung, Entzündung, Trauma, Anomalie, Metabolisch-toxische Erkrankungen, Idiopathische Erkrankungen, Neoplasie und Degeneration.
2.2.1 V = Vaskuläre Erkrankungen
Gefäßmissbildungen, Gefäßtumore oder entzündlich-nekrotisierende Gefäßwandveränderungen können zur Zerstörung der Gefäßwand mit Blutungen führen. Spontane Massenblutungen haben einen raumfordernden Effekt und können zur Steigerung des intrakraniellen Drucks führen. Verlegungen von großen Arterien führen zur fokalen Ischämie mit Infarktbildung in der entsprechenden Region. Solche Infarkte imponieren als scharf umschriebene Gebiete mit Erweichung und Zystenbildung. Auch bei allgemein hypoxischen Zuständen oder globalen Perfusionsstörungen (z. B. Herzversagen) treten schnell Schäden auf, die häufig in Endstromgebieten, wie die Region um die Capsula interna, ersichtlich sind.
Zerebrovaskuläre Krankheiten sind beim Tier relativ selten. Ein Sonderfall sind Rückenmarksinfarkte, die durch fibrokartilaginöse Embolie zustande kommen. Infarkte und Blutungen können in jedem Alter auftreten und provozieren i. d. R. perakut auftretende Symptome, die sich schlagartig innerhalb von Minuten entwickeln. Diese bleiben einige Zeit stationär und können sich während der nächsten Tage und Wochen allmählich bis zu einem gewissen Grad zurückbilden.
Extraneurale Symptome treten auf, wenn vaskuläre Läsionen im ZNS ihren Ursprung in einer Herz-Kreislauferkrankung haben.
Da spontane Blutungen und Infarkte scharf begrenzte Prozesse sind, sind die neurologischen Symptome meistens ausgeprägt fokalisiert. Bei Läsionen im Gehirn und auch im Rückenmark liegt oft eine ausgeprägte Lateralisierung vor.
Der Liquor ist meist stark verändert mit hoher Proteinvermehrung und manchmal Zellvermehrung. Bei Verdacht auf akute Blutung im Hirnbereich sollte die Subokzipitalpunktion unterbleiben.
2.2.2 E = Entzündlich-infektiöse Krankheiten
Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten können über Blut, die Nerven oder durch direkte Ausbreitung aus umliegenden Geweben in das Nervensystem eindringen. Sie zerstören ZNSGewebe durch direkte Einwirkung und rufen eine immunologische Reaktion hervor, die sich durch Invasion von Entzündungszellen um die Gefäße und in die Liquorräume bemerkbar macht (Enzephalitis – Myelitis – Neuritis – Meningitis – Ependymitis). Diese entzündliche Reaktion ist primär gegen das infektiöse Agens gerichtet, kann aber zu zusätzlicher Schädigung (Immunpathologische Komplikationen) des nervösen Parenchyms führen. Bei einigen Infektionen entstehen Granulome oder Abszesse, die mit Raumforderung einhergehen.
Viren haben meist eine Prädilektion für bestimmte Zelltypen: z. B. Nervenzellen im Rückenmarksgrau (Poliomyelitis), Gliazellen in der weißen Substanz (mit Entmarkung), Endothelzellen (Vaskulitis) und provozieren im Allgemeinen eine mononukleäre (lympho-plasmozytäre) entzündliche Reaktion.
Bakterien verursachen eitrige Entzündungsreaktionen im Liquorraum: eitrige Meningitis – Ependymitis – Chorioiditis. Andere können durch septische Thrombo-Emboli auf dem Blutweg in das Gehirnparenchym eindringen. Bestimmte Bakterien führen zu Abszessbildung. Mykotische und parasitäre Erreger verursachen oft fokal ausgeprägte Veränderungen mit Granulombildung, gelegentlich aber akut-nekrotisierende Enzephalitiden.
Entzündliche Veränderungen im peripheren Nervensystem sind häufig immunpathologischer Natur, aber auch im ZNS gibt es Entzündungskrankheiten, die auf immunologische Entgleisungen zurückzuführen sind.
Enzephalomyelitiden müssen auch nach epidemiologischen Gesichtspunkten betrachtet werden: Bestimmte Krankheiten kommen in bestimmten Regionen oder Jahreszeiten vor. Ein Kliniker muss über die aktuelle Tierseuchenlage in der Region informiert sein.
Infektiös-entzündliche Krankheiten treten in jedem Alter auf; Jungtiere sind generell empfindlicher für Infektionen. Entzündungen sind oft akute Prozesse, die sich innerhalb von Tagen entwickeln und schnell voranschreiten. Subakute Verläufe über Wochen kommen ebenfalls vor. Ein chronischer Verlauf über Monate wird bei einigen entzündlichen Krankheiten beobachtet. Remittierende Verläufe sind sehr selten bei Entzündungen im ZNS, dagegen sind sie die Regel bei entzündlichen, autoimmunen Prozessen im peripheren Nervensystem.
Viele infektiöse Organismen befallen nur das Nervensystem, andere auch weitere Organsysteme, was in der Allgemeinuntersuchung erfasst werden kann. Hohes Fieber ist häufig bei bakteriellen Infektionen, tritt aber nicht immer bei Viruserkrankungen auf. Veränderungen im Blutbild sind bei isolierten ZNS-Entzündungen nicht häufig.
Bei sehr vielen entzündlichen Krankheiten liegen disseminierte oder multifokale Läsionen vor, was sich allerdings nur in etwa der Hälfte der Fälle durch Symptome seitens mehrerer Lokalisationen bemerkbar macht. Eine regionspezifische Symptomatologie ist durchaus möglich. Reizerscheinungen wie Schmerz, Opisthotonus, Hyperalgesie und Myoklonus sind bei Entzündungen nicht selten.
Bei den meisten infektiösen Krankheiten des ZNS können im LCS Zellvermehrung und Zunahme des Eiweißgehaltes beobachtet werden. Die zytologische Analyse des Liquors erlaubt ätiologische Rückschlüsse (z. B. mononukleäre Pleozytose bei Virus-, polymorphonukleäre bei bakteriellen Erkrankungen). Der direkte Nachweis eines Erregers ist mittels spezifischer Reagentien möglich.
Abb. 2.6
Dorsale Rückenmarkaufsicht eines Dackels nach Laminektomie Th12-Th13. Die neurologischen Symptome traten akut auf: Paraplegie ohne Schmerzempfindung. Das Rückenmark war auf der Höhe der Diskprotrusion vollständig perforiert; an dieser Stelle dringt Parenchym an die Oberfläche.
2.2.3 T = Trauma
Als Folge von äußerer Gewalteinwirkung kann das Gehirn durch Verlagerung der umgebenden Gewebe, insbesondere der Schädelknochen, direkt an der Stelle des Impaktes verletzt werden (coup), aber auch indirekt, da es – im Liquor schwimmend und nur an wenigen Stellen am Schädel befestigt –durch plötzliche Beschleunigung oder Bremsung in der Schädelkapsel herumgeschleudert und an verschiedenen Stellen weiter verletzt wird (contrecoup). Neben direkter mechanischer Schädigung des Parenchyms kommt es auch zu Verletzungen der Blutgefäße mit Blutungen. Größere Blutungen oder Hä-matome, entweder im Parenchym oder an der Gehirnoberfläche, wirken wie raumfordernde Prozesse, die zu Kompression und weiteren Durchblutungsstörungen mit Ödembildung und intrakraniellem Druckanstieg führen. Zudem werden eine Reihe von biochemischen Prozessen aktiviert, die für den eigentlichen Gewebeschaden verantwortlich sind (Exzitotoxizität, reaktive Sauerstoffradikale). Ähnliche Mechanismen können auch im Rückenmark auftreten, da es im Wirbelkanal – einem starren knöchernen Rohr – aufgehängt ist. Schließlich können aufgrund von noch wenig verstandenen Vorgängen Spätschäden auftreten, wobei Nervenzellen und Nervenfasern noch Monate nach dem traumatischen Ereignis progressiv zugrunde gehen.
Eine spezielle Form von Trauma sind endogene Kompressionen im Bereich des Rückenmarkes im Zusammenhang mit stenosierenden Prozessen im Spinalkanal, z. B. Diskushernien und Wirbelinstabilität.
Traumen gehen mit hochakuten neurologischen Erscheinungen einher, die bis zu einem gewissen Grad innerhalb von Tagen oder Wochen allmählich abklingen können. Wenn aktive Massenblutungen vorliegen, sind die Symptome schnell fortschreitend. Progrediente, schubweise verlaufende Symptomenbilder können bei chronischen, endogenen Rückenmarkstraumen beobachtet werden.
Bei massiven ZNS-Traumen liegen häufig weitere Körperverletzungen und entsprechende Symptome vor.
Traumen können fokal begrenzte Läsionen mit entsprechend lokalisierter Symptomatologie hervorrufen. Bei schweren Kopftraumen können ausgedehnte und multifokale Läsionen und Symptome vorliegen.
Eine Entnahme der LCS ist bei Kopftrauma kontraindiziert. Rückenmarkstraumen beeinflussen selten die Zusammensetzung des Liquors. Nur bei schweren, ausgedehnten Myelomalazien kommt es zu deutlicher Protein- und möglicherweise Zellvermehrung im subokzipitalen Liquor (Abb. 2.6).
2.2.4 A = Anomalien
Viele verschiedene Arten von Gehirn- und Rückenmarksmissbildungen sind bekannt und können nach bestimmten embryologisch-anatomischen oder genetischen Gesichtspunkten eingeteilt werden. Klinisch von Bedeutung sind hauptsächlich partielle Missbildungen, wobei ein bestimmter Teil des Nervensystems betroffen und das Tier lebensfähig ist, z. B. Porenzephalie (Abb. 2.7), Hydrozephalus, Kleinhirnhypoplasie, Spina bifida und Syringomyelie.
Einzelne Missbildungen sind vererbbar und treten deshalb bei bestimmten Rassen häufiger auf. Andererseits können Missbildungen durch intrauterine Infektionen oder Intoxikationen während definierter Phasen der Trächtigkeit hervorgerufen werden (z. B. die durch Parvovirus induzierte Kleinhirnhypoplasie bei der Katze). Missbildungen machen sich i. d. R. kurz nach der Geburt bemerkbar und sind meistens statische Prozesse. Die klinischen Symptome treten bei der Geburt in Erscheinung und bleiben stationär. Je nach Schweregrad und Lokalisation der Missbildung können Tiere z. T. kompensieren, so dass die neurologischen Ausfälle allmählich weniger deutlich werden können. Anomalien betreffen bestimmte Abschnitte des ZNS und rufen damit meistens fokale Symptome hervor. Ein Beispiel ist die zerebelläre Ataxie bei Kleinhirndefekten.
Da Missbildungen i. d. R. nicht von aktiver Gewebezerstörung und reaktiven Prozessen begleitet sind, gibt es meist auch keine Liquorveränderungen.
Abb. 2.7a-c
Acht Monate alter Airedale Terrier mit Porenzephalie. Sagittale T1-w (a), transversale T2-w (b) und dorsale FLAIR (Liquorunterdrückung, c). Zystische Fehlbildung im Bereich des rechten Großhirns und Seitenventrikels, entsprechend der Strombahn der Arteria cerebri media. Die Zyste ist raumfordernd: Nach links verlagerte Mittellinie und asymmetrische, rechts vergrößerte Schädelkalotte (b). Beim Zysteninhalt handelt es sich um eine Flüssigkeit mit den Charakteristika von Liquor, da sie sich in der flüssigkeitsunterdrückten Sequenz (c) wie der Inhalt des linken Seitenventrikel signalarm zeigt (Abb.: Johann Lang, Bern).
2.2.5 M = Metabolisch-toxische Krankheiten
Mangelzustände, exogene oder endogene Toxine können zu akuten Zerstörungen von Nervengewebe in spezifischen Regionen mit einer bilateralen, z. T. symmetrischen Verteilung führen. Man spricht von Malazie (Erweichung), wobei große Teile des Gewebes durch Hohlraum- und Zystenbildung verschwinden. Bei bestimmten Krankheiten wird die graue Substanz bevorzugt (Polioenzephalomalazie), bei anderen die weiße (Leukoenzephalomalazie), oder es gibt Läsionen, die beide Gewebekomponenten zerstören. Bei einigen Prozessen sind die Blutgefäße auffällig geschädigt mit Permeabilitätsstörungen und Austritt von Blutkomponenten ins Gehirnparenchym. Es gibt fließende Übergänge zwischen diesen Gruppen von Krankheiten und den Neurodegenerationen im engeren Sinne.
Metabolisch-toxische Krankheiten sind i. d. R. sehr akut verlaufende Prozesse, die sich innerhalb von Stunden entwickeln und in kurzer Zeit ihre maximale Intensität erreichen. Bei überlebenden Tieren kommt es nach einigen Tagen zum allmählichen Abklingen der Symptome und partieller Erholung. Bei einigen wenigen metabolisch-toxischen Krankheiten können auch extraneurale Symptome vorliegen.
Es kommt zu entsprechenden regional betonten Symptomen. Da die Läsionen i. d. R. bilateral auftreten, gibt es meist keine Lateralisierung der Symptome.
Die akuten destruktiven Veränderungen, häufig mit aktiven Abräumvorgängen und Permeabilitätsstörungen verbunden, verursachen starke Liquorveränderungen (starke Eiweißvermehrung und u. U. Pleozytose).
Abb. 2.8
Katze, 4-jährig, weiblich, mit fokalem Tetanus der rechten Hintergliedmaße nach chirurgischer Stabilisation des Femur. Neurologische Ausfallserscheinungen traten nach 3 Tagen auf. Die Katze erholte sich mit Physiotherapie unter starker Sedation nach 2 Monaten.
2.2.6 I = Idiopathische Erkrankungen
Gemeinsam bei dieser Gruppe von Krankheiten sind funktionelle neurologische Störungen ohne morphologisch fassbare Veränderungen des ZNS-Gewebes. Es handelt sich also um eine recht heterogene Gruppe von Krankheiten. Funktionelle Störungen können durch exogene Gifte hervorgerufen werden (z. B.Tetanustoxin [Abb. 2.8], Botulinustoxin, Metaldehyd) oder auch endogen im Zusammenhang mit Erkrankungen anderer Organsysteme entstehen (z. B. Leberzirrhose). Schließlich gibt es funktionelle Störungen, die vermutlich oder nachweisbar auf subtilen metabolischen Abweichungen im Nervensystem beruhen (z. B. Epilepsie, Myasthenie).
Exogene Intoxikationen gehen meistens mit perakut auftretenden Symptomen einher, die allmählich abklingen können. Extraneurale Organkrankheiten produzieren häufig fluktuierende, intermittierende Symptombilder, wobei neurologische Erscheinungen mit symptomlosen Perioden abwechseln. Primäre funktionelle Hirnstörungen haben oft einen rekurrenten Anfallscharakter (paroxysmale Störungen).
Bei verschiedenen Intoxikationen und fast immer bei extra-neuralen Organkrankheiten liegen neben den ZNS-Störungen andere Krankheitssymptome vor.
Bei vielen Intoxikationen und extraneuralen Organkrankheiten entsteht ein diffuses neurologisches Symptomenbild.
Da keine morphologischen Veränderungen vorliegen, ist der LCS bei dieser Gruppe von funktionellen Störungen unverändert.
2.2.7 N = Neoplasie
Primäre Tumore im ZNS sind entweder Gliome (Nervenzell-tumore sind äußerst selten), ausgehend von den neuroektodermalen Elementen, oder mesenchymale Neubildungen, ausgehend von den Meningen (Meningiome) oder anderen mesenchymalen Strukturen (z. B. Gefäße). Hypophysentumore verursachen häufig neben endokrinen auch neurologische Symptome, da sie beim rudimentären Diaphragma sellae i. d. R. in dorsaler Richtung in den Hypothalamus einwachsen. Schließlich gibt es Tumormetastasen aus anderen Organen. Neoplasmen schädigen das ZNS durch invasives-destruktives Wachstum und/oder durch Verdrängung und Kompression. Raumforderung führt zu Störung der Durchblutung des ZNS-Parenchyms mit Stase, Permeabilitätsstörungen, Ödembildung und Steigerung des intrakraniellen Drucks. Verlegung von Liquorabflüssen führen zu Hydrozephalus. Neoplasien sind sporadische Krankheiten. Beim Hund kann eine gewisse Häufung bestimmter Tumortypen bei bestimmten Rassen beobachtet werden: So sind z. B. Gliome häufiger bei Boxern, Boston Terriern und englischen Bulldoggen anzutreffen. Bei Katzen sind Gliome seltener als beim Hund; bei ihnen überwiegen die Meningiome. Die meisten Tumore kommen bei älteren Tieren vor. Einige Tumore wurden aber auch bei sehr jungen Tieren (Medulloblastome) oder jungen adulten Tieren beobachtet.
Der Verlauf ist meistens subakut bis chronisch-progredient über Wochen oder Monate. Eine akute Verschlechterung kann auftreten, wenn es zu Durchblutungsstörungen mit Ödem kommt. Wird eine gewisse Schwelle überschritten, nehmen die Symptome rapide zu.
Bei metastatischen Tumoren können Symptome seitens des Primärtumors vorliegen.Tumore führen meistens zu einer fokalen Symptomatik, häufig mit einer klaren Lateralisierung.
In vielen Fällen liegt eine leichte bis deutliche, die Permeabilitätsstörungen andeutende Eiweißvermehrung im LCS vor. Seltener findet sich Pleozytose. Tumorzellen können gelegentlich mit zytologischen Methoden dargestellt werden.
2.2.8 D = Degenerative Erkrankungen
Dies sind Krankheiten, die durch progressiven Zerfall von Nervengewebe gekennzeichnet sind und häufig durch angeborene, vielfach noch nicht näher charakterisierte Gendefekte hervorgerufen werden. Bei Speicherkrankheiten liegen Defekte in katabolen Enzymsystemen vor, wodurch das Enzymsubstrat nicht abgebaut wird und sich in den Zellen ansammelt, was schließlich zu deren Zerfall führt (z. B. Akkumulation von GM1-Gangliosid bei Mangel am Enzym β-Galaktosidase). Speicherkrankheiten befallen das ZNS meist in diffuser Weise, wobei alle Regionen mehr oder weniger betroffen sind. Bei Systemdegenerationen gehen spezifische Nervenzellpopulationen zugrunde, z. B. die motorischen Nervenzellen im Rückenmark oder die Purkinjezellen des Kleinhirns. Bei bestimmten Defekten gehen die Axone von bestimmten Nervenzellpopulationen zugrunde (Neuroaxonale Dystrophien). Entmarkungskrankheiten und Leukodystrophien sind gekennzeichnet durch Zerstörung der weißen Substanz. Häufig ist der Prozess auf bestimmte Abschnitte des zentralen oder peripheren Nervensystems (z. B. Rückenmark bei Myelopathie der Afghanen) beschränkt. Die Entmarkung in engerem Sinne bezieht sich auf den Zerfall der Markscheiden mit Intaktbleiben der Axone.
Neben sporadischen Fällen von degenerativen Krankheiten bei allen möglichen Rassen sind Neurodegenerationen häufig erblich und bei einer langen Reihe von spezifischen Rassen bekannt.Viele machen sich schon während der ersten Lebensmonate bemerkbar, einige erst später. Mit wenigen Ausnahmen sind degenerative Krankheiten deshalb hauptsächlich Probleme sehr junger oder jung-adulter Tiere. Der Verlauf ist i. d. R. schleichend progressiv über Wochen und Monate.
Meist handelt es sich um ZNS-spezifische Krankheiten. Metabolische Speicherkrankheiten können mehrere Organsysteme befallen (häufiges Symptom: Hepatosplenomegalie), wobei jedoch i. d. R. ZNS-Störungen klinisch im Vordergrund stehen.
Da bestimmte Gebiete des Nervensystems selektiv befallen sind, kommt es regional zu betonten Symptomen. Degenerative Veränderungen sind immer bilateral, häufig symmetrisch, so dass keine Lateralisierung zu erwarten ist.
Da der Zerfall des Nervengewebes eher langsam vor sich geht, also Schritt hält mit dem Abräumvorgang, sind kaum Liquorveränderungen zu erwarten.
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2.3 Untersuchung des Liquor cerebrospinalis (LCS)
Der größte Teil des LCS wird durch die Plexus choroidei durch Ultrazentrifugation aus dem Blut in die Hohlräume des Gehirns abgesondert. Der Liquor fließt aus dem Ventrikelsystem und dem Zentralkanal in kaudaler Richtung, verlässt das Hohlraumsystem und tritt auf der Höhe des 4. Ventrikels in den Leptomeningealraum ein. Der Liquor wird in den Blutstrom resorbiert, teils über die arachnoidalen Zotten, teils über Liquorvenen, zumeist aber aus dem Leptomenigealraum entlang der Hüllen der Spinalnerven. Pathologische Veränderungen können die Zusammensetzung des LCS mehr oder weniger beeinflussen. Deshalb stellt die Liquoruntersuchung einen integralen Teil der weiterführenden Untersuchungen in der Neurologie dar. Die subokzipitale Entnahmetechnik (Abb. 2.9) spielt dabei eine wichtigere Rolle als die lumbale (Abb. 2.10). Beide verlangen sehr viel Routine, da es sonst zu dramatischen Komplikationen kommen kann: von der Querschnittslähmung bis hin zur vollständigen Lähmung und zum respiratorischen Arrest. Die Gefahr der Unbrauchbarkeit des Liquors infolge Blutbeimischung ist bei der Lumbalpunktion erheblich größer als bei der Subokzipitalpunktion.
Abb. 2.9
Subokzipitale Punktion: das sedierte Tier wird in Seitenlage gebracht. Die Haut im Okzipitalgebiet wird rasiert und desinfiziert. Der Kopf wird zirka 60° zur Wirbelsäule nach ventral gebogen. Der Einstich erfolgt in der Mitte des Dreiecks geformt durch die Protuberantia occipitalis und den Rändern beider Atlasflügel.
Abb. 2.10
Lumbale Punktion: das narkotisierte Tier wird in Seitenlage gebracht. Die Nadelspitze wird entlang dem Wirbeldach des sechsten Lendenwirbels vorwärts bewegt bis das Spatium intervertebrale L5/L6 erreicht ist. Die Nadel wird bis knapp auf den Boden des Kanals geschoben, im günstigen Fall fließt Liquor ab.
Das Material wird unmittelbar nach der Entnahme ins zytologische Labor überbracht. Die Aufteilung der Liquorprobe für die verschiedenen Untersuchungen muss innerhalb der nächsten halben Stunde vorgenommen werden, bevor die zellulären Elemente sedimentieren. Falls die Liquormenge sehr gering ist, kann das Punktat in der Klinik zentrifugiert werden. Die chemischen Untersuchungen können dann am Überstand durchgeführt werden, während das Sediment für die zy-tologische Untersuchung verwendet wird.
Neben dem Druck (Hund 25–170 mmH2O) Katze 80–100 mmH2O) wird in erster Linie das makroskopische Aussehen beurteilt. Der normale Liquor ist eine wasserklare Flüssigkeit. Gelbverfärbter Liquor weist i. d. R. auf eine alte Blutung hin oder kann sekundär bei schwerem Ikterus auftreten. Bei hohem Fibringehalt kann der Liquor kurz nach Entnahme gerinnen (sog. Sperrliquor).
In zweiter Linie werden Eiweißgehalt und Zellzahl bestimmt. Der normale Proteingehalt variiert bei Hunden zwischen 11–55 mg/dl und bei Katzen zwischen 8–20 mg/dl. Eine einfache, semiquantitative Nachweismethode ist die Pandyreaktion: Bei erhöhtem Proteingehalt entsteht dabei eine Trübung und zwar umso stärker,je mehr Eiweiß vorhanden ist (+ bis ++++). Da der Proteinanteil im Liquor ungefähr 200-mal geringer ist als im Serum, kann ein Refraktometer zu dessen Bestimmung nicht verwendet werden. Es eignen sich aber Urinteststreifen, welche Proteinkonzentrationen von mehr als 30 mg/dl (> +) darstellen können. Der normale Liquor ist zellarm. Die Zellen werden in einer gewöhnlichen Blut-Zählkammer oder in einer Fuchs-Rosenthal-Zählkammer ausgezählt: Die normale Zellzahl beim Hund ist 0–8 und bei der Katze 0–5 mononukleäre Zellen/mm3. In der Regel zählt man alle Zellen der Zählkammer. Eine erhöhte Zellzahl (Pleozytose) von mehr als 10 Zellen pro mm3 ist pathologisch. Am häufigsten werden erhöhte Zellzahlen bei entzündlichen Krankheiten registriert (Tabelle 2.1). In diesen Fällen ist speziell auf die Zellmorphologie zu achten. Es ist möglich, diese bis zu einem gewissen Grad in der Zählkammer zu beurteilen. Meist ist es jedoch erforderlich, mittels Spezialmethoden die Zellen zu konzentrieren. Zu diesem Zweck kann man eine Sedimentationskammer verwenden oder eine Zytozentrifuge, wo die Zellen auf einem Objektträger aufgefangen werden (z. B. Membranfiltration). Für die Beurteilung von zytologischen Präparaten wird die Morphologie von wenigstens 250 Zellen bestimmt. Man unterscheidet Lymphozyten, Monozyten, neutrophile Granulozyten, eosinophile Granulozyten, selten Tumorzellen und andere Elemente. Das Zellbild korreliert zum Teil mit der Art des Krankheitsprozesses. Bei Virusinfektionen findet man vorwiegend mononukleäre Zellen.
Von allen Enzymbestimmungen ist die CK wahrscheinlich die einzig aussagekräftige. Eine erhöhte CK weist i. d. R. darauf hin, dass eine organische Schädigung des ZNS vorliegt. Der Glukosegehalt im Liquor ist bei bakteriellen Entzündungen erniedrigt. Letztere können auch mittels Erregerisolation nachgewiesen werden. Mittels Immunofluoreszenz oder PCR können kleine Mengen von Fremd-Nukleinsäure nachgewiesen werden (z. B. Neosporose, Staupe). Messungen von spezifischen Metaboliten, z. B. γ-Aminobuttersäure, ist bei bestimmten Fragestellungen (z. B. Diagnosesicherung der idiopathischen Epilepsie) hilfreich. Der Liquor-Albumingehalt ist ein Maß für die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke. Der Nachweis einer intrathekalen Ig-Synthese ist diagnostisch für eine entzündlich-infektiöse Krankheit des Nervensystems und in chronischen Fällen besonders wertvoll, wenn keine deutliche Pleozytose vorliegt.
Tabelle 2.1: VETAMIN D
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3 Genetische Krankheiten und Rassendispositionen

Mit wenigen Ausnahmen ist die Ausprägung pathologischer Merkmale recht kompliziert: Sie entsteht aus dem Zusammenspiel genetischer und nicht-genetischer Einflüsse. Die nicht-genetischen Einflüsse, auch Umwelteinflüsse genannt, können sehr verschiedenartig sein, wie z. B. der Einfluss des Geschlechts, der Ernährung und der Haltung, von Klima und Stressfaktoren, usw. Ein Teil der pathologischen Erscheinungen kann stark oder z.T. sogar ausschliesslich auf Umweltfaktoren zurückgeführt werden. Treten in Familien wiederholt dieselben Missbildungen und/oder Krankheiten auf, kann dies auf einen genetischen Hintergrund zurückzuführen sein. Dabei muss aber beachtet werden, dass gemeinsame Umweltverhältnisse mehrerer Familienmitglieder eine genetische Ursache auch lediglich vortäuschen können. Das bedeutet, dass die Ätiologie mitunter sehr komplex ist. Nachfolgend sollen die pathologischen Erscheinungen in zwei Gruppen eingeteilt werden.
Es gibt pathologische Erscheinungen,
■die nur wenig oder gar nicht durch Umweltfaktoren beeinflusst werden und eher einfach vererbt werden (z. B. Erbfehler) und
■solche, die sowohl durch genetische wie Umwelteffekte mehr oder weniger stark beeinflusst werden (z. B. Erbkrankheiten).
3.1 Erbfehler
Erbfehler sind formale Defekte, die außerhalb der normalen Variation einer Art liegen. Neben makroskopisch sichtbaren Defekten werden auch Abweichungen, die lediglich histologisch, immunologisch oder biochemisch feststellbar sind, dazu gerechnet. Die Erbfehler können auch nach dem Zeitpunkt ihrer Manifestation in embryonale, postembryonale und postnatale gruppiert werden. Die in der embryonalen Phase wirksamen Erbfehlergene führen i.d.R. zum embryonalen Fruchttod, der bei multiparen Tieren zu kleineren Wurfgrößen führt. Postembryonale Erbfehler verursachen oft Aborte oder Frühgeburten. Ein Teil der bekannten Erbfehler manifestiert sich bei oder kurz nach der Geburt, wie beispielsweise die Spina bifida. Andere genetische Störungen treten erst im Laufe der Jugendentwicklung oder später auf, wie die neuraxonale Dystrophie bei Katzen (Beginn mit ca. 6 Monaten).
Im Zusammenhang mit der Manifestation eines Erbfehlers ist das Problem der unvollständigen Penetranz und Expressivität von Bedeutung. Unter Penetranz versteht man den Anteil der Individuen eines Genotyps, der die erwartete pathologische Erscheinung zeigt (Manifestationshäufigkeit). Liegt die Penetranz unter 100%, so wird bei einem Teil der Individuen die aufgrund des Genotyps erwartete pathologische Erscheinung nicht ausgeprägt (falsch-negative Diagnose). Ursachen können modifizierende Gene wie epistatische Gene, Unterdrü-ckergene oder modifizierende Umwelteinflüsse sein. Die unvollständige Penetranz schränkt die Aussagekraft der Stammbaumanalyse ein.
Die Expressivität beschreibt Unterschiede im Grad der Ausprägung der Erscheinung für einen definierten Genotyp.Auch die Ursachen verschiedener Ausprägung können genetischer und nicht-genetischer Natur sein. Das Expressionsmuster der Myopathie beim Labrador Retriever geht von einer leichten Ataxie bis zur vollständigen Lähmung (1).
Von Phänokopien spricht man, wenn nicht-genetische Faktoren zu einem pathologischen Merkmal führen, das sonst nur genetisch bedingt auftritt. Eine falsch positive Diagnose ist auch eine Phänokopie. Leidet ein Hund unter epileptischen Anfällen, die durch organische Erkrankungen verursacht wurden, und trotzdem die Krankheit als idiopathische oder genetische Epilepsie diagnostiziert wird, dann handelt es sich in diesem Fall um eine Phänokopie. Es leuchtet ein, dass solche Fälle in einer Stammbaumanalyse unerwünscht sind.
3.2 Vererbung
Dominant letale Erbfehler können nicht weiter vererbt werden, denn die natürliche Selektion verhindert ihre Verbreitung. Bei Erbfehlern mit einem unvollständig dominanten Erbgang wie z.B.dem Merle-Syndrom ist der homozygot dominante Genotyp (MM MM;Abb. 3.1) durch einen ausgebreiteten Pigmentmangel von Haut und Haarkleid sowie Augenund Innenohranomalien gekennzeichnet; die Heterozygoten (MM M+) weisen aber einen eigenen Phänotyp auf (Tigerung). Die meisten beschriebenen Erbfehler folgen aber einem autosomal rezessiven Erbgang (siehe Anhang 2 und 3). Einige Erbfehler, wie beispielsweise die X-chromosomale rezessive Muskeldystrophie, liegen auf dem weiblichen Geschlechtschromosom (X), d. h. im Stammbaum sind fast ausschließlich männlich Tiere betroffen (Abb. 3.1). Nur sehr selten treten Erbfehler auf, die nicht im Erbgut des Zellkerns verankert sind, sondern auf der DNA der Mitochondrien wie z.B.die mitochondriale Myopathie beim Hund.Diese Art von Erbfehlern werden nur maternal vererbt.
Nur wenige Defekte werden ausschließlich von einem einzelnen Gen verursacht. Bei den meisten sind wahrscheinlich einige wenige Loci (oligogen) sowie Umweltfaktoren an der Manifestation des pathologischen Merkmals beteiligt. Familienuntersuchungen haben nämlich häufig Abweichungen von den zu erwartenden mendelnden Zahlenverhältnissen ergeben.
Es gibt verschiedene Erklärungen, warum Erbfehlergene in Populationen verbreitet werden bzw. bleiben. Die sporadischen Neumutationen leisten diesbezüglich keinen nennenswerten Beitrag, denn die Mutationsraten sind zu gering (10-5 bis 10-6). Eine besondere Rolle spielt der Gründereffekt, d. h. wenn sich die Zucht nur auf einige wenige Stammtiere stützt. Zum Beispiel lassen sehr viele Züchter ihre weiblichen Zuchttiere vom gleichen, mehrfach preisgekrönten männlichen Zuchttier decken und dies womöglich über mehrere Jahre. Dies kann v. a. in kleinen Populationen die Häufigkeit unerwünschter Gene anheben. In gewissen Populationen werden Erbfehlergene bewusst erhalten, weil sie in der heterozygoten Form erwünschte Phänotypen produzieren z. B. den Merlefaktor beim Hund. Bei kleinen Haustieren wurde im Vergleich zum Menschen nur ein kleiner Teil der Missbildungen genetisch untersucht. Die im Anhang 1 aufgelisteten neurologischen Erbfehler stammen aus den folgenden Quellen: RUVINSKY und SAMPSON (2001) und Online Mendelian Inheritance in Animals (OMIA) (http://www.angis.org.au/Databases/BIRX /omia /); sie sind daher meist in Englisch notiert.
Die in den erwähnten Arbeiten angegebenen Erbgänge dürfen bei gewissen Merkmalen aber lediglich als vorläufiges Resultat betrachtet werden.
3.3 Nachweis des Vererbungsmodus
Will man Defekte und Mängel mit züchterischen Maßnahmen bekämpfen, so muss der Erbgang der pathologischen Erscheinungen bekannt sein. Ohne Kenntnisse des Vererbungsmodus können keine effizienten Selektionsstrategien erarbeitet werden.
Ein genetischer Beitrag zur Ätiologie eines pathologischen Merkmals kann zumindest dann vermutet werden, wenn die Inzidenz in gewissen Familien (Rassen) höher ist als in anderen. Dieser empirische Nachweis sollte aber keinesfalls als Beweis betrachtet werden, da verschiedene Störfaktoren zu Fehlinterpretationen führen können, wie gemeinsame Umwelteffekte, falsche Diagnosen, nicht gemeldete Fälle oder falsche Abstammungen. So können intrauterine Virusinfektionen mendelnde Erbgänge vortäuschen, so kann z.B.das Virus der Katzenseuche (Panleukopenie) zerebrale Hypoplasien verursachen (2). Ein weiterer wertvoller Hinweis, dass es sich um einen Erbfehler handeln kann, ist das Vorkommen der gleichen Krankheit bei anderen Haustierarten oder beim Mensch. So tritt der biochemische Defekt Alpha-Fukosidose sowohl beim Menschen wie beim Hund auf. In diesem Zusammenhang spielt die vergleichende Medizin bzw. Genetik eine wesentliche Rolle.
Besteht nach Berücksichtigung der möglichen Störfaktoren immer noch der Verdacht auf einen erblichen Hintergrund, kann die eigentliche Prüfung des Erbgangs vorgenommen werden. Am besten zeichnet man Stammbäume anhand des Familienmaterials (Abb. 3.1) und testet mit einer Segregationsanalyse, ob das Merkmal nach einem der drei folgenden Mendelmodelle segregiert: autosomal rezessiv, autosomal dominant oder geschlechtsgekoppelt rezessiv. Diese Analysen stützen sich auf genetisch-statistische Modelle (3, 4).
Abb. 3.1a
Stammbäume mit unterschiedlichen Erbgängen.
Um zuverlässige Resultate zu erhalten, muss der Sammlung der Familiendaten besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Das Material sollte soweit als möglich frei von den oben erwähnten Störfaktoren sein. Für die Auswertung spielt aber auch die Art, wie das Familienmaterial gesammelt wurde, eine Rolle. Werden beispielsweise bei einem autosomal rezessiven Erbfehler nur die Familien erfasst, bei denen ein oder mehrere erkrankte Nachkommen diagnostiziert wurden, wird dies zu Verzerrungen führen, da alle Paarungen mit zwei heterozygoten Eltern (Anlageträgern), die nur gesunde Nachkommen haben, nicht in die Auswertung gelangen. Diese Familien fehlen dann, um das erwartete Verhältnis zwischen gesund und krank von 3:1 zu erreichen. NICHOLAS (3) sowie WIESNER und WILLER (4) zeigen, wie in solchen Situationen vorgegangen werden kann.
Oft befriedigen die einfachen Segregationsanalysen nicht, weil unvollständige Penetranz vorliegt und/oder die Expression in unterschiedlichem Alter auftritt und/oder der Erbgang nicht monogen sondern oligogen ist. In diesen Fällen wendet man am besten sog. komplexe Segregationsanalysen an (z. B. SAGE: http://darwin.cwru.edu/pub/sage.html; PAP: ftp://ftp.genetics.utah.edu/pub/software/pap/). Diese Verfahren setzen aber leistungsfähige Rechner voraus. In einer Studie über die Taubheit beim Dalmatiner mit 357 klinisch abgesicherten Hörstatus konnte in einer komplexen Segregationsanalyse gezeigt werden, dass die Taubheit vorab, aber nicht ausschließlich durch ein rezessives Allel verursacht wird (5). Zu ähnlichen Schlüssen kommen andere unabhängige Studien (6, 7).
Abb. 3.1b
Stammbäume mit unterschiedlichen Erbgängen. (Fortsetzung)
3.4 Prüfung potentieller Anlageträger
Die Diagnose von Trägern unerwünschter Allele ist vorwiegend ein Problem der rezessiven Vererbung. Beim dominanten Erbgang ist sie offensichtlich, wie beim Merle-Syndrom oder beim dominanten Weiß der Katze. Anlageträger sind Individuen, die das unerwünschte Allel besitzen, aber die pathologische Erscheinung klinisch (noch) nicht exprimieren.
Die Prüfung, ob ein Individuum ein unerwünschtes Allel besitzt, kann auf verschiedene Arten erfolgen:
■Direktbestimmung (Gentest),
■indirekt mittels Marker (Markertest),
■aufgrund bestehender Familieninformationen (Ahnen, Geschwister, Nachkommen),
■aufgrund geplanter Testpaarungen.
Bei einigen wenigen Erbfehlern kann die Mutation, die den Defekt verursacht, direkt mit molekularbiologischen Methoden auf der DNA-Ebene nachgewiesen werden (8; siehe Kap. 1.1.6.7). Zum Beispiel werden für folgende Erbfehler Gentests angeboten: die Alpha-Fukosidose beim Hund, die durch eine Deletion von 14bp am Ende des Exons 1 verursacht wird (9) oder die Glykogenspeicherkrankheit Typ VII (Phosphofruktokinasedefizienz), die durch eine Punktmutation ausgelöst wird (10). Die Entwicklung eines Gentests ist sehr aufwändig. Die meisten in der Tiermedizin angebotenen Tests wurden aufgrund der Erkenntnisse aus der Humangenetik entwickelt. Die Gentests erlauben eine sehr effiziente Bekämpfung des Erbleidens.
Bei gewissen Enzymopathien können Anlageträger aufgrund des Gendosis-Phänomens erkannt werden, d. h. bei Heterozygoten wird ungefähr nur die halbe Dosis der normalen Menge des entsprechenden Enzyms gemessen. Ein Beispiel hierzu ist die Anämie infolge Pyruvatkinasemangels in den Erythrozyten bei Basenji-Hunden (11).
Bei Mensch und der Maus sind viele polymorphe Marker bekannt, die mit Erbfehlern eng gekoppelt sind. Je enger der (die) Marker mit der defektverursachenden Mutation gekoppelt ist (sind), umso zuverlässiger ist die Erbfehlerdiagnostik (8; siehe Kap. 1.1.6.7). Zum Beispiel können beim Bedlington Terrier die Anlageträger der rezessiven Kupferspeicherkrankheit mit einem sehr eng gekoppelten Marker (12) mit sehr großer Wahrscheinlichkeit identifiziert werden (Markertest).
Stehen Angaben über das Auftreten eines Erbfehlers bei Ahnen, Geschwistern und/oder Nachkommen eines Probanden zur Verfügung, so kann mit diesen Informationen das entsprechende Risiko, einen Anlageträger zu haben, geschätzt werden (4). Die Zuverlässigkeit einer solchen Schätzung hängt weitgehend von der Vollständigkeit des Familienmaterials ab, d. h. inwieweit und wie umfassend die aufgetretenen Erbfehlerfälle registriert wurden.
Anlageträger durch Testpaarungen zu erkennen, wird aus wirtschaftlichen Gründen nur bei Zuchttieren durchgeführt, die sehr wertvoll sind und einen großen Einfluss auf die Zucht ausüben werden. Diese Nachweismethode wird bei Kleintieren kaum eingesetzt.
Der Test erfolgt durch Anpaarung des Probanden an geeignete Partner wie
■an bekannte Merkmalsträger (= rezessiv Homozygote, die den Defekt exprimieren),
■an bekannte Anlageträger (= Individuen, die bereits einen Nachkommen mit dem Erbfehler gezeugt haben),
■an Nachkommen bekannter Anlageträger oder an die eigenen Nachkommen (Inzuchttest),
■an eine repräsentative Stichprobe der Population.
Tritt der Erbfehler bei einem Nachkommen der Testpaarungen auf, so ist der Proband als Anlageträger erkannt. Durchläuft ein Proband die Prüfung ohne einen defekten Nachkommen, so ist er mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit kein Träger des unerwünschten Allels. Die Anzahl der Würfe, die in der Tabelle 3.1 aufgeführt sind, stimmen aber nur unter der Voraussetzung, dass der Erbfehler monogen, autosomal rezessiv und mit vollständiger Penetranz vererbt wird – der Idealfall also. Somit sind die Angaben über die Anzahl der Paarungen als Mindestzahl zu betrachten. Aus Tabelle 3.1 geht hervor, dass die Anpaarung mit zufällig ausgewählten Individuen der Population nicht geeignet ist, wenn der Erbfehler selten vorkommt. Testpaarungen an rezessive Homozygote oder an bekannte Heterozygote sind diesbezüglich effizienter, vorausgesetzt die benötigten Paarungspartner sind verfügbar. Der Inzuchttest (z.B.Vater-Tochter-Paarungen) ist bei niedrigen Allelfrequenzen die einzige Möglichkeit, die Zuverlässigkeit einer Aussage zu steigern. Er erlaubt auch, die gleichzeitige Prüfung auf mehrere unerwünschte rezessive Allele des Probanden.Allerdings dauert es lange, bis Resultate verfügbar sind, da auf die Geschlechtsreife der eigenen Nachkommen gewartet werden muss.
3.5 Züchterische Maßnahmen gegen Erbfehler
Die Kontrolle und Bekämpfung von Erbfehlern in Zuchtpopulationen setzt voraus, dass die Verantwortlichen der entsprechenden Rasse sich Gedanken über die Selektionswürdigkeit des Erbfehlers und über die Effektivität züchterischer Maßnahmen machen.Es ist sicher nicht realistisch, noch neben den anderen (wichtigen) Merkmalen, die das Zuchtziel der Rasse bestimmen, alle Erbfehler eliminieren zu wollen. Die Selektionswürdigkeit hängt einerseits von der Häufigkeit und der Schwere der Schadwirkung eines Erbleidens ab, andererseits von den möglichen Alternativlösungen, die Beschwerden zu lindern oder zu korrigieren (z.B.durch kurative oder einfache chirurgische Eingriffe, Auswahl von Zuchttieren).VANVLECK (13) und HANSET (14) konnten anhand von Modellrechnungen zeigen, dass Zuchterfolge durch konsequente
Tabelle 3.1: Benötigte Anzahl Würfe mit normalen Nachkommen, um einen Probanden bei vorgegebener Wahrscheinlichkeit als Anlageträger auszuschließen.
Selektion erzielt werden können. Diese Erfolge hängen nicht nur von den genetischen Parametern ab, sondern im besonderem Maße von der gewählten Selektionsstrategie. Züchterische Maßnahmen können aber nur dann erfolgreich sein, wenn sowohl Züchter als auch die verantwortliche Zuchtorganisation motiviert sind, das Sanierungsprogramm konsequent zu realisieren.
3.6 Multifaktoriell bedingte Erkrankungen
Im Gegensatz zu den Erbfehlern wird die Krankheitsprädisposition einerseits von mehreren Genen und andererseits vermehrt durch Umweltfaktoren wie Unterernährung, Inzucht oder Stress beeinflusst. Die Merkmalsbildung ist somit multifaktoriell und entspricht weitgehend dem Modell, mit dem in der quantitativen Genetik gearbeitet wird. Der Unterschied zu den quantitativen Eigenschaften, die meistens normalverteilt sind, ist, dass es sich hier um sog. Schwellenmerkmale handelt. Darunter versteht man Merkmale, die in zwei oder wenigen Kategorien eingeteilt werden, bei denen aber unterschwellig eine quantitative Normalverteilung zugrunde liegt (Abb. 3.2). Die X-Achse stellt die Summe der krankheitsauslösenden ätiologischen Faktoren dar; mit steigenden X-Werten nimmt die ätiologische Belastung, d. h. die Anfälligkeit (liability) zu. Die Faktoren können sowohl Gene als auch Toxine, Geschlecht, Alter, Stress und andere Umweltfaktoren sein. Krankheitsanfälligkeit ist ein Beispiel, bei dem nach Überschreiten einer unsichtbaren Schwelle der Phänotyp von gesund nach krank wechselt, d. h. wenn durch Akkumulation mehrerer ungünstiger genetischer und nicht-genetischer Faktoren die »Resistenz« zusammenbricht. Bei diesem Modell können Individuen mit hoher genetischer Prädisposition unter günstigen Umweltverhältnissen (fehlende Exposition) unauffällig (gesund) bleiben: »befundfrei« ist nicht mit »anlagefrei« gleichzusetzen. FALCONER (15, 16) entwickelte den populationsgenetischen Ansatz für deren Anwendung. Wie groß der genetische Anteil an der Prädisposition ist, kann mit der Heritabilität gemessen werden (8; siehe Kap. 1.1.10). Dieser Wert schwankt zwischen Null und Eins: Je größer die Heritabilität ist, desto größer ist die Bedeutung der Gene bei der Ausprägung der Krankheit. In einer amerikanischen Untersuchung bei Tervueren wurde z. B. eine sehr hohe Heritabilität von 0,77 für die Prädisposition für Epilepsie berechnet (17).
Will man die Krankheitsanfälligkeit in einer Population verringern, so kann nicht in der gleichen Weise vorgegangen werden, wie dies bei Erbfehlern möglich ist. Anstatt Anlagetiere zu identifizieren, werden bei den Schwellenmerkmalen Zuchtwerte geschätzt (8; siehe Kap. 1.2). Der Zuchtwert gibt einen Hinweis, wie stark ein Hund eine Prädisposition an seine Nachkommen weitervererben kann. Deshalb eignet er sich als Grundlage für die Selektion gegen erhöhte Krankheitsanfälligkeit. Die Anforderungen an das Datenmaterial für die Zuchtwertschätzung ist ähnlich wie bei den Nachweisverfahren von Anlageträgern von Erbfehlern: eine zuverlässige Diagnose, die korrekte Ahneninformationen, eine vollständige Erhebung der Umweltfaktoren sowie eine möglichst umfassende Anzahl von Tieren.
Abb3.2
Darstellung von Schwellenmerkmalen. In dieser Population beträgt die Inzidenz der Erkrankung 7,5%. Verschlechtern sich die Verhältnisse in dieser Population (z. B. durch Inzucht), so verschiebt sich die Kurve nach der ungünstigen Seite. Da die Position des Schwellenwertes unverändert bleibt, nimmt die Fläche rechts des Schwellenwertes zu, d. h. die Inzidenz der erkrankten Tiere steigt.
Literatur
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3 NICHOLAS, F.W (1987):Veterinary genetics. Clarendon Press, Oxford, UK.
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10 SMITH, B.F., STEDMAN, H., RAJPUROHIT,Y., HENTHORN, P.S.,WOLFE,J.H., PATTERSON, D.F., GIGER, U. (1996):Molecular basis of canine muscle type phosphofructokinase deficiency. J Biol Chem. 271:20070—20074.
11 ANDRESEN, E. (1977): Haemolytic anaemia in Basenji dogs. 2. Partial deficiency of erythrocyte pyruvate kinase (PK; EC 2.7.1.40) in heterozygous carriers.Anim Blood Gr Biochem Gen. 8:149—156.
12 YUZBASIYAN-GURKAN,V., BLANTON, S.H., CAO,Y., FERGUSON, P., LI,J.,VENTA, P.J., BREWER, G.J., (1997): Linkage of a microsatellite marker to the canine copper toxicosis locus in Bedlington terriers. Am J Vet Res. 58: 23—27.
13 VAN VLECK, L.D. (1967): Effect of artificial insemination on frequency of undesirable recessive genes. J Dairy Sci. 50: 201—204.
14 HANSET, R. (1988): Gènes récessifs indésirables et insémination artificielle.Annales Méd Vét. 132: 677—686.
15 FALCONER, D.S. (1965): The inheritance of liability to certain diseases, estimated from the incidence among relatives. Ann Hum Gen. 29:51—76.
16 FALCONER, D.S. (1984): Einführung in die quantitative Genetik. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart.
17 FAMULA, T.R., OBERBAUER, A.M., BROWN, K.N. (1997): Heritability of epileptic seizures in Belgian Trevueren. J Small Anim Pract. 38: 349—352.
4 Laboruntersuchungen

4.1 Indikation
Indikationen zur Untersuchung von Blut und Harn sind bei neurologischen Patienten sehr zahlreich. Bei der problem-orientierten Abklärung von neurologischen Erkrankungen von Hund und Katze sind Laborparameter für das Ausschlussverfahren, das zur Diagnose führt, oft von zentraler Bedeutung. Nachdem das Signalement und die Anamnese sorgfältig erhoben wurden, ermöglicht die allgemeine klinische und insbesondere die neurologische Untersuchung die Lokalisation des Krankheitsprozesses. Danach werden dessen mögliche Ursachen anhand des VETAMIN-D-Prinzips berücksichtigt (siehe Kap. 2.2).Auf dieser Basis wird eine Liste von Differentialdiagnosen erstellt. Zu diesem Zeitpunkt sind Laboruntersuchungen wie der hämatologische Blutstatus mit Differentialblutbild, das Chemogramm und die Harnuntersuchung insbesondere bei Erkrankungen, die das Nervensystem sekundär befallen, unentbehrlich. Dank diesen Laborparametern kann die Liste der infrage kommenden Differentialdiagnosen wesentlich gekürzt werden – bis die Diagnose endgültig gestellt wird.
Außerdem sind spezifische Laboruntersuchungen zur Einschätzung der Leberfunktion (Gallensäuren- und /oder Ammoniakkonzentration im Serum bzw. Plasma) beim Verdacht auf eine hepatische Enzephalopathie sehr hilfreich. Verschie-dene lysosomale Speicherkrankheiten können dank dem Nachweis von abnormalen Stoffwechselprodukten im Harn (z. B. Toluidinblautest bei Mukopolysaccharidose) bestätigt werden (siehe Kap. 18.7). Neben diesem rein diagnostischen Zweck sind Laboruntersuchungen auch bei manchen Patienten mit neurologischem Trauma oder bei der prä-anästhetischen Abklärung von älteren Hunden und Katzen unentbehrlich. Dabei geht es darum, das Ausmaß des Traumas und die dadurch ausgelösten Reaktionen zu schätzen bzw. allfällige bisher subklinisch verlaufene Probleme vor einer Narkose zu identifizieren (siehe Kap. 5.1).
Nicht zuletzt sind Laboruntersuchungen auch wichtig, um die Pharmakokinetik einer therapeutischen Substanz zu verfolgen. Das häufigste Beispiel dafür ist die Bestimmung der Phenobarbitalkonzentration im Serum von Epilepsie-Patienten. Für eine weitere Besprechung dieses Themas wird der Leser auf das jeweilige Kapitel verwiesen (siehe Kap. 18.5).
Im Folgenden werden die Laborparameter besprochen, die am häufigsten bei der Abklärung von Hunden und Katzen mit neurologischen Problemen bestimmt werden.
4.2 Die hämatologische Untersuchung
Heute sind verschiedene sehr praxistaugliche Geräte zur hämatologischen Untersuchung des Blutes von Hund und Katze auf dem Markt erhältlich. Diese sind finanziell erschwinglich und leisten dem engagierten Kleintierpraktiker gute Dienste. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die gewonnenen Resultate nicht immer verlässlich sind. Die mikroskopische Untersuchung des Blutausstriches liefert immer noch sehr wichtige Informationen, die auch von sehr leistungsstarken und teuren Geräten nicht erwartet werden dürfen. Deshalb sollen insbesondere die Proben mit abnormalen Resultaten bei der automatischen Zellzählung mit dieser einfachen Technik immer kontrolliert werden.
4.2.1 Anämie
Die Anämie kann gewisse Erkrankungen mit neurologischen Ausfallserscheinungen begleiten. Unter verschiedenen Umständen kann Anämie auch zu bemerkenswerter Schwäche führen und muss deshalb von neurologischen Ursachen der allgemeinen Schwäche unterschieden werden.
Blutarmut wird durch eine Verminderung der zirkulierenden Erythrozytenmasse definiert. Im roten Blutbild zeigt sich eine Erniedrigung des Hämatokrits, der Erythrozytenanzahl und des Hämoglobingehaltes unterhalb des Referenzbereichs.
Die klinischen Symptome der Anämie werden durch eine verminderte Sauerstofftransportkapazität des Blutes verursacht und charakterisieren sich durch blasse Schleimhäute, Bewegungsunlust, Schwäche, Lethargie, Tachypnoe und Tachykardie der Patienten. Diese Anzeichen sind normalerweise bei akuter Anämie ausgeprägter, da bei chronischem Verlauf eine Vielzahl von Kompensationsmechanismen den Auswirkungen der Blutarmut entgegenwirken. Es kann bei anämischen Katzen schwierig sein, frühzeitig Bewegungsunlust oder Schwäche zu erkennen, weil herabgesetzte Sauerstofftransportfähigkeit v. a. zu einem weniger aktiven Verhalten führt und viele Katzen sowieso tagsüber viel schlafen. So werden Tachypnoe und /oder Dyspnoe meist erst bemerkt, wenn die Katze dazu gezwungen wird, sich zu bewegen. Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, dass chronisch anämische Katzen mit einem Hämatokrit von 0,10 oder weniger überleben können.
Beim Vorliegen einer Anämie bei Hund oder Katze muss eine systematische diagnostische Abklärung angestrebt werden, um den primären Grund des Problems herauszufinden. Eine komplette hämatologische Untersuchung erlaubt eine quantitative Evaluation (Hämatokrit, Erythrozytenanzahl und /oder Hämoglobinkonzentration). Die Erythrozytenindizes MCV (mittleres korpuskuläres Volumen) und MCHC (mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration) helfen, die Anämie als normozytär, mikrozytär, makrozytär, normochrom oder hypochrom zu charakterisieren. Diese Definitionen können wertvolle Informationen auf der Suche nach der Ursache der Anämie beitragen. Die Reaktion des Knochenmarks auf die Anämie muss anhand einer Retikulozytenzählung evaluiert werden. Retikulozyten sind kernlose Vorläufer der Erythrozyten mit funktioneller mRNA im Zytoplasma. Dieses RNA-Material präzipitiert zu einem Netzwerk bei Färbungen mit Methylenblau oder anderen Vitalfarbstoffen. Es muss bei regenerativen Anämien mit einer Verzögerung von mindestens 3 Tagen zwischen dem Anfang der Anämie und der Vermehrung der Retikulozyten im peripheren Blut gerechnet werden. Retikulozytenzählungen werden normalerweise in Prozent angegeben, allerdings sollte man immer die Absolutzahlen oder die korrigierten Retikulozyten in Betracht ziehen, um einen Zusammenhang zwischen der Schwere der Anämie und der Regeneration des Knochenmarks herstellen zu können (Tabelle 4.1).
Tabelle 4.1: Retikulozytenzählung, Retikulozytenindizes
Katzen regenerieren ihre roten Blutzellen nicht so effizient wie Hunde. Eine absolute Retikulozytenzählung von > 40 x 109/l ist bereits ein Anzeichen für eine Regeneration. Katzen besitzen auch zwei unterschiedliche Typen von Retikulozyten im Blut, die sich in der Menge der Granula unterscheiden: (1) punktierte (gefleckte) Retikulozyten – dies sind ältere Retikulozyten, welche schon seit ungefähr 3 Wochen im Kreislauf zirkulieren; (2) aggregierte (gehäufte), direkt vom Knochenmark stammende Retikulozyten, die weniger als einen Tag alt sind. Sie enthalten mindestens zehn zytoplasmatische Granula. Aggregierte Retikulozyten sind der beste Indikator für eine regenerative Anämie.
In einer Notfallsituation liefern v. a. der Hämatokrit und die mikroskopische Untersuchung des Blutausstrichs wichtige und schnelle Informationen. Falls Babesien (Hund) im betroffenen geographischen Gebiet prävalent sind, ist es essentiell, die Blutausstriche auf das Vorhandensein dieser Blutparasiten zu überprüfen. Die zytologische Identifikation von Hämobartonellen bei Katzen ist eine viel weniger empfindliche Methode als der Nachweis der DNA dieses Erregers mittels PCR. Anzeichen für eine regenerative Anämie sind u. a. Anisozytose und Polychromasie. Dazu kann die Anwesenheit von Poikilozyten (Erythrozyten mit abnormen Merkmalen) einen Hinweis auf die Ursache der Anämie geben (z. B. Sphärozyten bei immunbedingter hämolytischer Anämie, Heinzsche Innenkörper bei oxidativem Stress).
Die Anämie chronischer Erkrankungen ist mild bis mittelschwer, nicht regenerativ, normozytär und normochrom. Diese Form der Anämie kann durch verschiedene chronische entzündliche oder infektiöse Erkrankungen verursacht werden, ebenso durch Trauma oder Neoplasie. Die Pathogenese ist multifaktoriell und wird durch Zytokine, die während des Entzündungsprozesses freigesetzt werden, ausgelöst. Einige der involvierten Mechanismen sind eine vermehrte Speicherung von Eisen im Makrophagen-Monozyten-System mit herabgesetzter Eisenverfügbarkeit, eine reduzierte Lebensdauer der Erythrozyten und eine ungenügende Erythrozytenproduktion im Knochenmark. Die Behandlung dieser Form der Anämie sollte immer gegen die Primärerkrankung gerichtet sein.
4.2.2 Polyzythämie
Die Polyzythämie oder Erythrozytose ist eine im Vergleich zur Anämie seltene Erkrankung, die primär oder sekundär sein kann. Die primäre Polyzythämie entsteht bei abnormaler Proliferation der Stammzellen im Knochenmark (Polycythemia rubra vera). Sekundäre Formen werden durch die abnormale Produktion von Erythropoetin verursacht, die v. a. bei Tumoren wie den Nierenkarzinomen entstehen kann. Erythropoetin ist ein normalerweise in den Nieren produziertes Hormon, das Wachstum und weitere Differenzierung der erythroiden Stammzellen im Knochenmark fördert und zur Vermehrung der Erythrozytenmasse führt.
Bei befallenen Hunden und Katzen führt die erhöhte Erythrozytenmasse bzw. die erhöhte Blutviskosität zur Symptomatik. Die Schleimhäute sind hyperämisch, es liegt eine Blutungsneigung vor. Polydipsie und Polyurie sowie Atembeschwerden sind beschrieben worden. Daneben können auch neurologische Symptome wie Anfälle, Blindheit,Verhaltensänderungen und Ataxie auftreten.
Die Diagnose der primären Polyzythämie beruht auf dem Ausschluss einer sekundären Polyzythämie sowie auf dem Nachweis eines niedrigen Erythropoetin-Blutspiegels bei Vorhandensein einer erhöhten Erythrozytenmasse. Die Therapie besteht aus der Beseitigung des primären Tumors (sekundäre Polyzythämie) oder einer zytostatischen Chemotherapie (Polycythemia rubra vera). Symptomatisch können wiederholte Aderlasse zur Verringerung der Symptome führen.
4.2.3 Leukozytose
Die Leukozytose ist die häufigste Veränderung der Leukozyten. In den meisten Fällen wird sie von einer Neutrophilie verursacht, die entweder aufgrund der Freisetzung der Neutrophilen aus dem marginalen Pool (periphere Kapillaren) in Stresssituationen entsteht oder die Folge eines entzündlichen Prozesses darstellt.
Das sog. Stressleukogramm besteht aus einer leichten bis mittelschweren Neutrophilie (bis etwa zur zweifachen Erhöhung) ohne Linksverschiebung und einer Lymphopenie, obwohl bei Katzen auch Lymphozytose auftreten kann. Diese Veränderungen treten häufig in Zusammenhang mit stressreichen Situationen verschiedener Ursachen auf (Besuch beim Tierarzt,Trauma, schmerzhafte Zustände, usw.). Beim Tier unter Therapie mit Glukokortikosteroiden wird die Neutrophilie meist von Lymphopenie, Eosinopenie und Monozytose begleitet.
Bei milden Entzündungen kann eine Neutrophilie ohne Linksverschiebung vorliegen. Liegen dagegen ausgeprägte entzündliche Erkrankungen vor, werden Neutrophile durch den entzündlichen Prozess verbraucht, was zur Erschöpfung des Neutrophilenspeichers im Knochenmark und zur Freisetzung von unreifen bandförmigen Neutrophilen führt (Linksverschiebung). Bei schweren Reaktionen werden auch frühere Vorstufen der Neutrophilen freigesetzt (Metamyelozyten, Myelozyten). Manchmal sind die unreifen Zellen zahlreicher als die segmentierten Neutrophilen, was als degenerative Linksverschiebung bezeichnet wird. Mögliche Ursachen für eine Neutrophilie mit Linksverschiebung sind auch beim Patienten mit neurologischen Symptomen sehr zahlreich. Dabei sind lokale sowie systemische bakterielle oder parasitäre Infektionen sowie nicht-infektiöse Ursachen einer entzündlichen Reaktion und auch immunbedingte Erkrankungen zu berücksichtigen.Außerdem können auch Hämolyse, massive Gewebeschäden sowie Tumornekrosen zur Neutrophilie führen. Eine Leukozytose kann auch als Folge einer neoplastischen Entartung gewisser Linien von Leukozyten entstehen. Leukämische Formen des malignen Lymphoms, akute oder chronische lymphatische Leukämie sowie andere Leukämien können alle zur ausgeprägten Vermehrung der Leukozytenzahl führen.
4.2.4 Leukopenie
Die Leukopenie entwickelt sich meist als Folge einer Neutropenie. Zu den häufigsten Ursachen von Neutropenie zählen schwere entzündliche Prozesse (wenn der Verbrauch der Neutrophilen die Freisetzungsrate aus dem Knochenmark übersteigt; dabei ist oft eine deutliche Linksverschiebung festzustellen) und solche, die die Leukozytenproduktion im Knochenmark negativ beeinflussen.
Bakterielle Sepsis und Endotoxämie sind häufige entzündliche Ursachen von Neutropenie und müssen so frühzeitig wie möglich erkannt und aggressiv behandelt werden. Die Hypoglykämie ist eine häufige Begleiterscheinung. Daneben können Erkrankungen des Knochenmarks zur verminderten Produktion von Neutrophilen mit oder ohne Beteiligung der anderen Zellreihen führen. Beim Hund beträgt die durchschnittliche Überlebenszeit der Neutrophilen im Kreislauf ca. 10 Stunden, die der Thrombozyten ca. 10 Tage und die der Erythrozyten ca. 120 Tage. Deshalb ist die Neutropenie oft das erste Anzeichen einer Schädigung des Knochenmarks, gefolgt von Thrombozytopenie. Bekannte Ursachen der Knochen-markshypoplasie sind Medikamente wie Zytostatika, Östrogene und Chloramphenicol (bei der Katze), Infektionen mit Viren (FeLV, FIV bei Katzen) oder Rickettsien (Ehrlichia canis, Ehrlichia phagocytophila) sowie gegen Vorstufen der verschiedenen Blutzellen gerichtete immunbedingte Prozesse.
4.2.5 Thrombozytopenie/Thrombozytose
Die Thrombozytenzahl wird beim Hund genau durch automatische Zählung bestimmt, bei der Katze allerdings besteht eine Uberlappung zwischen Erythrozyten- und Thrombozy-tendurchmesser, was die maschinelle Zählung erschweren kann. Die Plättchenzahl ist schnell und leicht auf einem Blutausstrich zu schätzen: Wenn auf einem guten Ausstrich keine Plättchenaggregate in der Peripherie sichtbar sind, kann man für jedes im Ölimmersionsfeld gesehene Plättchen ca. 10–15 x 109/l Thrombozyten erwarten.
Eine Thrombozytopenie kann infolge Sequestration der Blutplättchen in der Milz, Verbrauch der Thrombozyten z. B. anlässlich einer akuten schweren Blutung oder einer disseminierten intravasalen Gerinnung oder Zerstörung der Thrombozyten durch eine Infektion (Ehrlichia canis, Ehrlichia phagocytophila) oder eine immunbedingte Reaktion (immunbedingte Thrombozytopenie) auftreten. Solange die einzelnen Plättchen funktionsfähig bleiben, führen erst massive Erniedrigungen (< 30 x 109/l) zu klinischen Symptomen wie Schleimhautblutungen (inkl. Epistaxis, Hämaturie, Petechien, usw.). Neurologische Ausfälle können beim Vorliegen einer ZNS-Blutung entstehen.
Die Thrombozytose ist bei Hund und Katze ein seltener Befund. Die häufigsten Ursachen sind Neoplasien, gastrointestinale Erkrankungen und Endokrinopathien sowie Behandlung mit Glukokortikosteroiden und antineoplastischen Substanzen.
4.3 Die biochemischen Blutparameter
Im Chemieprofil werden routinemässig ca. 20 Parameter bestimmt. Es handelt sich dabei um Elektrolyte (Na, K, Cl, Ca, Phosphor), Eiweiß (Gesamtprotein, Albumin, Globuline) sowie um Substanzen aus dem Lipidstoffwechsel (Cholesterin, Triglyzeride) und dem Kohlenhydratstoffwechsel (Glukose). Daneben werden auch Nierenfunktionsparameter (Harnstoff, Kreatinin) oder Abbauprodukte des Hämoglobins (Bilirubin) bestimmt. Im Chemieprofil werden auch gewöhnlich Enzymaktivitäten im Serum angeboten. Dabei werden v. a. relativ leberspezifische Enzyme wie die Alanin-Amino-Transferase (ALT), Aspartat-Amino-Transferase (AST), alkalische Phosphatase (AP), γ-Glutamyl-Transferase (γ -GT) und Glutamat-Dehydrogenase (GLDH) oder auch Muskelenzyme wie die Kreatinkinase (CK) bestimmt.
Aus der obigen Beschreibung geht hervor, dass das Chemieprofil Informationen über eine Vielfalt von Organsystemen liefert. Damit können viele »metabolische« Erkrankungen identifiziert werden, die von neurologischen Symptomen begleitet sind. In den Tabellen 4.2 und 4.3 sind die verschiedenen Blutparameter aufgeführt, die für die Abklärung der metabolischen Ursachen epileptischer Anfälle bzw. von Ausfällen im unteren Motoneuron von Bedeutung sind. Im Folgenden werden die verschiedenen Tests der Leberfunktion im Hinblick auf die Diagnose der hepatischen Enzephalopathie sowie die Laboruntersuchungen zur Diagnose einer Hypothyreose detaillierter besprochen.
Die leberspezifischen Enzyme (s. o.) geben Aufschluss über die Integrität der Leberzellen und sind bekanntlich bei erhöhter Durchlässigkeit der Zellmembran oder beim Zelltod erhöht. Zur Untersuchung der Leberfunktion eignen sich einige Parameter des Chemieprofils wie Albumin, Harnstoff und Glukose, drei Substanzen, die in der Leber synthetisiert werden und beim Vorliegen eines Leberversagens im Serum erniedrigt sein können. Die Blutglukose ist als Leberfunktionstest am wenigsten empfindlich. Die Bestimmung der Blutkonzentration von Bilirubin ist auch nützlich, um die
Tabelle 4.2: Ausgewählte Blutparameter, die bei der Abklärung eines Kleintiers mit epileptischen Anfällen von Bedeutung sind
Parameter | Veränderung | mögliche Erklärung (Differentialdiagnose als Beispiel) |
Leukozytenzahl |
Neutrophilie |
entzündliche/infektiöse Erkrankungen (aseptische Meningitis, die auf Steroide anspricht) |
Erythrozytenzahl |
Anämie (hochgradig) |
verminderte Sauerstoffzufuhr zum Gehirn (Parasiten, immunbedingt, Blutverlust) |
Thrombozyten |
Thrombozytopenie |
intrakranielle Blutungen infolge versagender Hämostase (immunbedingt, disseminierte intravasale Gerinnung) |
Natrium |
Hypernatriämie |
hyperosmolares Syndrom (Adipsie) |
Kalzium |
Hyperkalzämie (hochgradig) |
Änderungen der Membranerregbarkeit der Neurone (paraneoplastisch wie bei malignem Lymphom, Analbeutelkarzinom, multiplem Myelom) |
Hypokalzämie |
Änderungen der Membranerregbarkeit der Neurone (puerperale Eklampsie bei kleinrassigen Hündinnen) |
|
Glukose |
Hypoglykämie |
unzureichende Energieversorgung der glukoseabhängigen Hirnzellen (Insulinom) |
Albumin |
Hypoalbuminämie |
verdächtig für Leberfunktionsstörung (wenn renale oder intestinale Verluste sowie Verschiebung in einen dritten Raum ausgeschlossen wurden). Schwere Leberdysfunktion kann zu hepatischer Enzephalopathie führen. |
Globulin |
Hyperglobulinämie |
Hyperviskositätssyndrom (paraneoplastische Störung in Zusammenhang mit multiplem Myelom beim Hund) |
Harnstoff Kreatinin |
Azotämie (hochgradig) |
urämische Enzephalopathie (chronisches Nierenversagen) |
AP, ALT (AST) |
erhöhte Leberenzyme |
mögliche Lebererkrankung, Gallensäuren oder Ammoniak als Leberfunktionstest bestimmen |
Gallensäuren |
erhöhte Gallensäuren im Serum |
Hinweis auf erniedrigte Leberfunktion oder auf einen angeborenen oder mehrere erworbene portosystemische(n) Shunt(s) mit hepatischer Enzephalopathie |
Ammoniak |
Hyperammoniämie |
Hinweis auf einen angeborenen oder mehrere erworbene portosystemische(n) Shunt(s) mit hepatischer Enzephalopathie |
Cholinesterase |
erniedrigte |
Organophosphatvergiftung |
Spezifische |
erhöht (evtl. zwei |
Toxoplasmose |
Ausscheidungsfunktion der Leber zu evaluieren, wobei prähepatische (massive Hämolyse) und posthepatische (Gallenabflussstörung) Ursachen einer Hyperbilirubinämie nicht vergessen werden dürfen. Da die meisten Gerinnungsfaktoren in der Leber synthetisiert werden, stellen die Untersuchung des Gerinnungsstatus mit einem Quicktest und der Bestimmung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) sowie der Fibrinogenkonzentration auch Leberfunktionstests dar, die besonders vor einer ultraschallgeführten oder chirurgischen Leberbiopsie kontrolliert werden sollten.
Im Rahmen der Diagnostik von hepatischen Gefäßanomalien (portosystemische Shunts – angeboren: einzeln; erworben: zahlreich) oder anderen schweren Lebererkrankungen werden häufig die Untersuchung der Plasmakonzentration von Ammoniak und der Serumkonzentration von Gallensäuren empfohlen. Die Ammoniakkonzentration im Plasma eignet sich gut zum Nachweis von hepatischen Gefäßanomalien bei Hund und Katze. Ammoniak entsteht im Dickdarm aus bakteriellem Abbau des schlecht absorbierten diätetischen Eiweißes, abgeschilferten Darmepithelzellen und verdauten Bakterien. Ammoniak wird durch das Pfortadersystem in die Leber geführt, wo aus zwei Ammoniakmolekülen ein Molekül Harnstoff gebildet wird. Beim Vorliegen eines Shuntgefäßes zwischen Pfortadersystem und der Hohlvene gelangt das Ammoniak direkt in den großen Kreislauf. Die Bestimmung der Plasmakonzentration von Ammoniak ist bei parenchymatösen Lebererkrankungen weniger empfindlich als bei Gefäßmissbildungen. Die technische Ausführung dieser Untersuchung kann aufwändig sein: Erstens liefern nicht alle Analysegeräte aussagekräftige Werte und zweitens muss für optimale Ergebnisse die Blutprobe im bis zum Rand aufgefüllten Auffanggefäss innerhalb von 30 Minuten zentrifugiert und das Plasma innerhalb einer Stunde nach Entnahme untersucht oder tiefgefroren werden. Bei fraglichen Resultaten der beim über Nacht gefasteten Tier entnommenen Probe können Belastungstests mit Untersuchungen vor und 30–45 Minuten nach oraler oder rektaler Verabreichung von 100 mg/kg Ammoniumchlorid (NH4Cl) in einer 5%-igen wässrigen Lösung oder in Gelatinkapseln (am Einfachsten für die orale Gabe) durchgeführt werden. Dabei darf die Ammoniakkonzentration im Plasma nach Belastung nicht mehr als doppelt so hoch wie der Ausgangswert sein.
Tabelle 4.3: Ausgewählte Blutparameter für die Abklärung von Ausfällen des unteren Motoneurons bei einem Kleintier
Parameter | Veränderung | mögliche Differentialdiagnosen als Beispiel |
Glukose |
Hyperglykämie |
evtl. Diabetes mellitus, DD Stresshyperglykämie bei Katzen (Diabetische Polyneuropathie bei Katzen) |
Cholesterin | Hypercholesterinämie | möglicherweise Hypothyreose, Hyperadrenokortizismus |
Alkalische Phosphatase | erhöht | möglicherweise Hyperadrenokortizismus |
Thyroxin | erniedrigt | möglicherweise Hypothyreose |
CTSH | erhöht | primäre Hypothyreose |
Kortisol nach ACTH-Stimulation |
2.Wert > 550 nmol/l oder > 20 ug/dl |
Hyperadrenokortizismus evtl. mit Myopathie |
Kortisol nach Hemmungmit niedriger Dexamethasondosis (0,01 mg/kg i.v.) | 2.Wert > 40 nmol/l oder > 1,5 μg/dl |
Hyperadrenokortizismus evtl. mit Myopathie |
Kortisol nach ACTH-Stimulation |
keine Stimulation im Vergleich zum Basiswert |
Hypoadrenokortizismus |
Antinukleäre Autoantikörper (ANA) | erhöht | möglicherweise systemischer Lupus erythematosus |
CK, AST (ALT) | erhöht | möglicherweise Myopathie, Myositis, Muskeltrauma |
Antiacetylcholinrezeptorautoantikörper | messbar | Myasthenia gravis |
Antikörper gegen Toxoplasma gondii | bevorzugt zwei Blutentnahmen im Abstand von 2–4 Wochen für den Nachweis eines Titeranstiegs |
Toxoplasmose |
Antikörper gegen Neospora caninum |
abnormaler Titer | Neosporose |
Cholinesterase | erniedrigt | Organophosphatvergiftung |
Die Gallensäurenkonzentration im Serum liefert ebenfalls wichtige Information zur Leberfunktion. Bei dieser Bestimmung werden alle Gallensäuren (GS) insgesamt miterfasst. Gallensäuren werden in der Leber aus Cholesterin synthetisiert. Im Anschluss an die Konjugierung werden sie in der Gallenblase gespeichert. Nach der Futteraufnahme wird eine Kontraktion der Gallenblase durch Zystokinin ausgelöst, die zur Ausschüttung von Galle ins Duodenum führt, wo die GS die Fettabsorption erleichtern. Sie werden hauptsächlich im Ileum aus dem Darm rückresorbiert und kehren durch das Pfortadersystem in die Leber zurück, wo sie aus dem portalen Blut extrahiert werden (entero-hepatischer Kreislauf). Beim Vorliegen eines Shuntgefäßes wie auch vieler anderer Erkrankungen der Leber und Gallengänge schließen vermehrt Gallensäuren die Leber kurz und gelangen in die Vena cava.
Im Allgemeinen wird dieser Test bei über Nacht (12 Stunden) gefasteten Hunden und Katzen vorgenommen. Der Belastungstest ermöglicht, den entero-hepatischen Kreislauf der GS besser zu überprüfen: Die Gallensäurenkonzentration wird vor und 2 Stunden nach einer Mahlzeit erneut gemessen. Laut unterschiedlichen wissenschaftlichen Studien an Hunden und Katzen mit verschiedenen Lebererkrankungen beträgt die Spezifität des nüchternen GS-Wertes ca. 89% beim Hund und 96% bei der Katze, wenn eine Konzentration von 15 μmol/l als oberer Referenzwert (cut off) gewählt wird. Dabei beträgt die Empfindlichkeit des Tests etwa 70% beim Hund bzw. um die 54% bei der Katze. Bei der Bestimmung der GS-Konzentration 2 Stunden nach der Mahlzeit kann man beim Hund bei der Festlegung des oberen Referenzwerts um 15 |jmol/l mit einer Empfindlichkeit von 82% und einer Spezifität von 89% rechnen.Wird der obere Referenzwert bis 25 |jmol/l verschoben, steigt die Spezifität bis 100% und die Empfindlichkeit nimmt bis 74% leicht ab. Bei der Katze beträgt die Empfindlichkeit der postprandialen Bestimmung 100% und die Spezifität 80%, wenn 20 |jmol/l als oberer Referenzwert festgelegt werden. Grundsätzlich ermöglichen Abweichungen der prä- oder postprandialen Serumkonzentration von GS keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Lebererkrankungen von Hund und Katze. Dieser Test gilt somit als eine ausgezeichnete Screening-Methode zur Untersuchung der Leberfunktion. Optimal sollte die Bestimmung sowohl beim gefasteten Zustand wie auch 2 Stunden nach einer Mahlzeit erfolgen.
Unter den neurologisch relevanten endokrinen Erkrankungen stellt sicher die Hypothyreose des Hundes die häufigste diagnostische Herausforderung. Dabei kann mit einer einfachen Bestimmung der Serumkonzentration des Thyroxins (T4) die Schilddrüsenfunktion grob evaluiert werden. Nur sehr selten werden beim hypothyreoten Hund T4-Werte im Referenzbereich nachgewiesen; somit ist eine Hypothyreose beim Vorliegen einer normalen T4-Konzentration sehr unwahrscheinlich. Das häufigere Problem besteht darin, dass unter den Hunden mit T4-Werten unterhalb des Referenzbereichs viele nicht hypothyreot sind. Dies ist auf die Beeinflussung des Thyroxinspiegels und der Hypophyse-Schilddrüse-Achse durch zahlreiche Krankheitsprozesse zurückzuführen (sog. euthyroid sick Syndrome). Bei solchen Patienten kann die Bestimmung der freien, biologisch aktiven Fraktion des Thyroxins (freies T4 oder fT4) im Serum weiterhelfen. Die Äquilibriumdialyse ist die bevorzugte Labormethode für diese Messung. FT4 soll für die Unterscheidung zwischen Hunden mit normaler und herabgesetzter Schilddrüsenfunktion etwas diskriminierender als T4 sein. Die Bestimmung des TSH-Spiegels im Serum ist ebenfalls empfehlenswert. Falsch positive und negative Resultate sind relativ häufig bei der Bestimmung dieses Parameters, deshalb muss er zusammen mit den Ergebnissen der Schilddrüsenhormone (T4,fT4) interpretiert werden. Ein hoher TSH-Spiegel bei erniedrigter Konzentration von T4 oder fT4 ist ein deutlicher Hinweis auf eine primäre Hypothyreose. Seit bovines TSH für medizinische Zwecke nicht mehr erhältlich ist, bleibt als einziger dynamischer Funktionstest die Stimulation der Schilddrüse mit TRH. Bei einer Stimulation mit 0,2 mg TRH erwartet man im Allgemeinen eine Erhöhung des T4-Spiegels von 6,4 nmol/l (0,5 (ig/dl) im Vergleich zum Basalwert. Dazu sollte der zweite Wert mindestens im unteren Referenzbereich des Labors liegen. Leider sind die Resultate dieses Tests oft schwierig zu interpretieren und ermöglichen demzufolge nur zu selten eine klare Aussage über die Schilddrüsenfunktion. Die serologische Untersuchung des Serums auf gegen Schilddrüsenhormone oder Thyreoglo-bulin gerichtete Autoantikörper kann in gewissen Fällen die Diagnose einer durch lymphozytäre Thyreoiditis verursachte Hypothyreose erleichtern.
4.4 Die Harnuntersuchung
Beim Verdacht auf eine Niereninsuffizienz sowie beim Vorliegen von Problemen der unteren Harnwege (z. B. Harninkontinenz) ist die Untersuchung einer Harnprobe unentbehrlich. Dabei ist eine Harnentnahme mittels Blasenpunktion (Zystozenthese) oder evtl. nach Katheterisieren der Harnwege der Gewinnung von spontan abgesetztem Harn für manche Untersuchungen überlegen. Um die tubuläre Nierenfunktion zu prüfen, wird das spezifische Gewicht des Harnes mit einem Refraktometer bestimmt. Diese Untersuchung ist v. a. angezeigt, wenn die Konzentrationen von Harnstoff und Kreatinin im Serum erhöht sind (Azotämie), um eine Unterscheidung zwischen prärenalen, renalen und postrenalen Ursachen zu ermöglichen. Dann werden verschiedene Parameter des Harnes vorerst mit einem gewöhnlichen Teststreifen semiquantitativ untersucht, was die Diagnose von Proteinurie, Bilirubinurie, Glukosurie, Ketonurie und Hämaturie ermöglicht. Durch die Bestimmung von spezifischen Indizes können auch detailliertere quantitative Informationen über die Nierenausscheidung gewisser Substanzen gewonnen werden (z. B. Protein/Kreatininverhältnis).
Abb. 4.1
Harnsediment (100-mal vergrößert), Ammoniumbiurat-Kristalle, wie sie bei Tieren mit portosystemischen Gefäßanomalien auftreten können. (Mit freundlicher Genehmigung der Firma Hill’s Pet Nutrition.)
Die Untersuchung des Harnsediments liefert wertvolle Information, die einen Verdacht einer Infektion der unteren oder oberen Harnwege oder von Urolithiase bestätigen können. Bei Tieren mit portosystemischen Gefäßanomalien kann eine Ammoniumbiurat-Kristallurie vorliegen (Abb. 4.1). Der Befund einer solchen Kristallurie führt zum Verdacht eines portosystemischen Shunts. Eine bakteriologische Harnuntersuchung ermöglicht den Nachweis des Erregers sowie eine Bestimmung der gegen ihn wirksamen Antibiotika. Für weitere Details über Harnuntersuchung wird der Leser auf Lehrbücher der veterinärmedizinischen Labordiagnostik verwiesen.
Weiterführende Literatur
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WILLARD, M.,TVEDTEN, H. (2004): Small Animal Clinical Diagnosis by Laboratory Methods, 4. ed.W.B. Saunders, St. Louis.
5 Anästhesie

Dieses Kapitel behandelt Grundsätze der Sedation und Allgemeinanästhesie für diagnostische Untersuchungen und chirurgische Eingriffe beim neurologischen Patienten. Komplikationen, die bei der eigentlichen Ausführung auftreten können, aber nicht direkt mit der Anästhesie in Verbindung stehen, werden besprochen. Die Notwendigkeit der Schmerzlinderung wird erwähnt (siehe auch Kap. 9.4).
5.1 Grundlagen der Neuroanästhesie
Verschiedene Aspekte der neuroanästhetischen Betreuung sollten vor jedem chirurgischen Eingriff zwischen Neurologen, Chirurgen und Anästhesisten besprochen werden. Diese variieren abhängig vom Gesundheitsstatus des Patienten sowie vom geplanten Eingriff. Dazu gehören u. a. Aspekte wie Lagerung des Tieres, prä-, intra- und postoperative Verabreichung von Medikamenten (z. B. Steroid, Diuretikum), erhöhter intrakranieller Druck, Richtlinien zur Regulation von Blutdruck, endexspiratorischer Kohlendioxidgehalt und Körpertemperatur. Anamnese und klinische Untersuchung des Patienten spielen eine bedeutende Rolle bei der Wahl des Anästhesieprotokolls. In zweiter Linie folgt die persönliche Präferenz des für die Anästhesie verantwortlichen Tierarztes.
Vor der Anästhesie sollte mit dem Tierbesitzer das Risiko der Anästhesie und der Untersuchung bzw. des Eingriffes besprochen und eine unterzeichnete Erlaubnis für die Durchführung unter Verwendung von evtl. für Katze und Hund nicht zugelassenen Wirkstoffen eingeholt werden. Abhängig von dem Gesundheitszustand des Tieres und der Invasivität des Vorgehens ist zu diesem Zeitpunkt auch Klarheit zu schaffen über Wiederbelebungsversuche und Euthanasie noch unter Allgemeinanästhesie.
Präanästhetische Untersuchungen des roten und weißen Blutbildes, der biochemischen Parameter sowie des Urins sind nur bedingt notwendig.Allgemein dienen sie der Eingrenzung des Anästhesierisikos und helfen bei der intra- und postoperativen Pflege des Patienten. Der zusätzliche Aufwand ist auch nur dann sinnvoll, wenn mit der Anästhesie erst nach Kenntnis der Resultate begonnen und das Anästhesieprotokoll (einschl. beispielsweise der Wahl der Wirkstoffe, der Flüssigkeitstherapie, der perioperativen Überwachung) den Resultaten angepasst wird.
Herausragende Aspekte der Anästhesie des neurologischen Patienten sowie Überlegungen, die zur Entscheidung des Anästhesieprotokolls beitragen, werden nachfolgend besprochen.
5.1.1 Kontrolle des intrakraniellen Druckes
Die physiologische Blutversorgung von Gehirn und Rückenmark, dem Zentralnervensystem (ZNS), unterliegt beim gesunden, wachen Tier einer Autoregulation. Darunter versteht man die Fähigkeit des ZNS, auch unter moderaten Änderungen des Perfusionsdruckes einen relativ konstanten Blutfluss aufrechtzuerhalten. Der zerebrale Blutfluss (ZBF) wird durch den arteriellen Sauerstoffpartialdruck (PaO2), die arterielle Kohlendioxidspannung (PaCO2), den mittleren arteriellen Blutdruck (MAP) und den venösen Abfluss vom Gehirn bestimmt. Eine Zunahme des ZBF kann das intrakranielle Volumen und somit den intrakraniellen Druck (ICP) erhöhen. Im Falle eines raumfordernden Prozesses bewirkt die Verdrängung von Zerebrospinalflüssigkeit und venösem Blut vom intrakraniellen zum extrakraniellen Raum initial eine Kompensation. Sobald dies nicht mehr möglich ist, bewirken kleine Volumenänderungen große Zunahmen des ICP, dem aufgrund der fehlenden Dehnbarkeit des knöchernen Schädels Grenzen gesetzt sind. Dies bewirkt entweder verminderten zerebralen Durchblutungsdruck und somit Ischämie oder Hernienbildung des Gehirns. Bei bestehenden pathologischen Prozessen (Trauma, intrakranielle Massen) erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines bedeutenden ICP-Anstiegs.
Ein wichtiger Aspekt der Neuroanästhesie ist die Notwendigkeit, den ICP zu beeinflussen. Bei geschlossener Schädeldecke ist es angezeigt, eine adäquate Gehirndurchblutung (CPP = MAP – ICP) sicherzustellen und/oder eine Herniation des Gehirns zu verhindern. Bei offener Schädeldecke kann es wichtig sein, eine Erschlaffung des Schädelinhaltes und dadurch besseren chirurgischen Zugang zu erzielen. Die angewandten Prinzipien sind ähnlich.
Unabhängig von den auslösenden Mechanismen steht für den Kliniker die Reduktion des intrakraniellen Volumens im Vordergrund. Der intrakranielle Raum setzt sich aus Zellen (Glia, Neurone) und Flüssigkeiten (intrazelluläre, extrazelluläre, zerebrospinale Flüssigkeit, Blut) zusammen. Die einzelnen Volumina bilden gemeinsam ein dynamisches System, in dem gemäß der Monro-Kellie-Hypothese die Zunahme einer Komponente die reziproke Abnahme einer anderen nach sich zieht (1,2,3). Die Reduktion der Volumina ist auf folgenden Wegen möglich: die Zellmasse durch Chirurgie, intra- und extrazelluläre Flüssigkeit pharmakologisch durch Steroide und Diuretika, zerebrospinaler Flüssigkeitsraum durch Drainage. Das Blutkompartiment ist am einfachsten zu manipulieren. Aus der Sicht des Anästhesisten kommt ihm deshalb bei der rasch notwendigen Behandlung des intrakraniellen Hochdruckes die größte Bedeutung zu. Der venöse Anteil entspricht 75% dieses Kompartiments und ist eher passiv (4). Eine Stauung, d. h. ein gehinderter Blutabfluss, ist häufig die Ursache von erhöhtem ICP sowie schlechten Operationsbedingungen. Routinemäßig sollte während der Anästhesie und der Dauer der intensiven Pflege der Hals in einer möglichst neutralen Stellung und der Kopf leicht – um venösen Luftembolien vorzubeugen – erhöht gelagert werden (5, 6). Zerebrovenöse Abflussstörungen aufgrund extremer Kopflagerung und/oder Kompression der Jugularvenen (z. B. chirurgische Lagerung, Blutentnahme, Einlegen eines Venenkatheters, enge Halsbänder /-kragen usw.) müssen unbedingt vermieden werden. Nicht zu vergessen ist auch, dass ein erhöhter intrathorakaler Druck (z. B. geknickter oder teilweise verstopfter Endotrachealtubus, Spannungspneumothorax, Husten, ungenügende Anästhesietiefe bei Intubation) zu venösen Abflussstörungen aus dem Kopf-/Halsbereich führen kann. Ebenso wichtig ist auch der arterielle Teil des Blutkompartiments. Die Wirkung der Anästhetika oder der Anästhesietechnik auf den zerebralen Blutfluss ist ein bedeutender Aspekt, denn im Allgemeinen gehen Zunahmen des ZBF mit Zunahmen des intrakraniellen Blutvolumens einher. Faktoren, die den zerebralen Blutfluss beeinflussen, fasst Tabelle 5.1 zusammen.
Bei erhöhtem intrakraniellen Druck kommt der Wahl der Anästhetika Bedeutung zu. Es würde das Ziel und den Umfang dieses Kapitels sprengen, im Detail auf jeden anästhetischen Wirkstoff einzugehen, aber die wichtigsten Aspekte werden nachfolgend erwähnt.
Während einer Allgemeinanästhesie folgt der Depression des ZNS die Abnahme der Stoffwechselrate des Nervengewebes und damit eine Abnahme des zerebralen Sauerstoffbedarfs (CMRO2). Dies wird als Schutz vor einer während Anästhesie und Neurochirurgie möglichen Ischämie angesehen. Nach Injektionsanästhetika und Inhalationsanästhetika bleiben Autoregulation und Reaktion auf Kohlendioxid im Allgemeinen erhalten (7).
Normalerweise ziehen intravenös injizierte Anästhetika eine parallel verlaufende Abnahme des zerebralen Blutflusses und der zerebralen Stoffwechselrate mit sich. Die intrakranielle Compliance wird nicht negativ beeinflusst. Wegen ihrer Fähigkeit, die CMRO2 zu senken, werden Barbiturate in der Neurochirurgie häufig eingesetzt. Die dafür verantwortlichen Mechanismen beinhalten u. a. die Senkung des Kalziuminflux, Blockade der Natriumkanäle, Hemmung der Bildung freier Radikale, verstärkte Aktivität der γ-Aminobuttersäure (GABA) und Hemmung des Glukosetransfers durch die Blut-Hirn-Schranke (8). GOODMAN et al. (9) zeigten, dass bei Menschen im Barbituratkoma nach Kopftrauma und stark erhöhtem ICP weniger Laktat, Aspartat und Glutamat im extrazellulären Raum nachgewiesen werden konnten. Die exzitatorische Eigenschaft des Glutamats wird mit ischämischen, anoxischen, epileptischen und traumatischen Schäden der Neurone in Verbindung gebracht (10). Eine in-vitro-Studie zeigte den Unterschied zwischen Propofol und Thiopental: Propofol verschlimmert die Glutamatwirkung und erhöht die Schädigung der Neurone (10). Nach DRUMMOND und Mitarbeiter (11) kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass alle Barbiturate eine vergleichbare Wirkung auf die Gehirnsubstanz haben.
Tabelle 5.1: Faktoren, die auf den zerebralen Blutfluss einwirken
■ Arterielle Sauerstoffspannunq |
■ Arterielle Kohlendioxidspannung |
■ Zerebrale Stoffwechselrate |
– Schmerz |
– Epileptische Anfälle |
– Körpertemperatur |
– Anästhetika |
■ Blutdruck/Zustand der Autoregulation |
■ Vasoaktive Substanzen |
– Anästhetika |
– Blutdrucksteigernde Pharmaka |
– Inotrop wirkende Substanzen |
– Vasodilatoren |
■ Blutviskosität |
■ Neurogene Bahnen |
Bei Patienten mit ungetrübtem Bewusstsein wird der ZBF durch hohe Dosen der dissoziativen Anästhetika Ketamin und Tiletamin erhöht (6, 12, 13). Dies könnte u. a. auf die sympathomimetische Blutdruckwirkung zurückzuführen sein (4).
Etomidat als Standardformulierung in Propylenglykol gelöst sollte zur Einleitung und Aufrechterhaltung der Anästhesie vielleicht auch bei Katze und Hund mit intrakranieller Pathologie nicht appliziert werden. Im Vergleich zu Desfluran, dem neuesten kommerziell erhältlichen Inhalationsanästhetikum, bewirkt eine vergleichbare Dosis von Etomidat beim Menschen eine stärkere Hypoxie und Azidose des Gehirngewebes sowie deutliche neurologische Ausfallerscheinungen (14).
Alle Inhalationsanästhetika führen dosisabhängig zu einer zerebralen Vasodilatation, deren Ausmaß jedoch vom Wirkstoff abhängt: Halothan >> Enfluran > Isofluran ~ Sevofluran ~ Desfluran (2, 15, 16, 17).Je nach eingesetztem Inhalationsanästhetikum wird der Nettoeffekt auf den zerebralen Blutfluss von verschiedenen Faktoren wie Konzentration des Inhalationsanästhetikums, Kombination mit Injektionsanästhetika (Barbiturat, Opioidagonist), zerebraler Stoffwechselrate, gleichzeitigen Veränderungen des Blutdruckes und der CO2-Spannung (siehe dort) beeinflusst (7). Bei mit Halothan, Isofluran, Sevofluran oder Desfluran anästhesierter Katze und anästhesiertem Hund führt die Hyperventilation immer zu einer Senkung des ZBF (7).
Lachgas (N2O, Stickoxidul, Distickstoffoxid) führt zu einer Erhöhung der zerebralen Stoffwechselrate, des ZBF und ICP (8, 6). Wird N2O als Einzelsubstanz eingesetzt, ist der Effekt am stärksten, unterschiedlich, wenn es als Begleitanästhetikum bzw. mit oder ohne Hyperventilation Verwendung findet. Der Effekt ist in Kombination mit Narkotika, Propofol oder Benzodiazepinen gering, zwischenstellig in Kombination mit Inhalationsanästhetika (6). N2O wird auch eine direkte neurotoxische Wirkung zugeschrieben (8). Obwohl DRUMMOND und PATEL (6) für den Menschen weiterhin den Einsatz von N2O gemeinsam mit geringen Konzentrationen (inspiratorische Konzentrationen kleiner als der minimale alveoläre Wert (MAC)) der verdampfenden Anästhetika als Teil einer ausgeglichenen Anästhesietechnik für die meisten elektiven und auch notfallgemäßen zerebralen Eingriffe vorschlagen, erscheint in der Veterinärneuroanästhesie ein anderes Vorgehen angezeigt. N2O hat beim Tier eine bedeutend schwächere Wirkung als beim Menschen: MAC (= ED50) bei Katze und Hund > 200%,beim Menschen etwa 100% (18).Der MACWert verdeutlicht, dass N2O nicht als Einzelsubstanz mit O2 zur Anästhesie von Katze oder Hund eingesetzt werden kann. Deshalb erscheint es angemessen, in der Veterinärneuroanästhesie entweder vollständig auf N2O zu verzichten oder mit dessen Einsatz abzuwarten, bis die Schädeldecke geöffnet und die Wirkung der Anästhetika auf das Gehirn direkt beurteilt werden kann. Inhalationsanästhetika eignen sich ausgezeichnet zur Durchführung der meisten Anästhesien bei neurochirurgischen Eingriffen, aber bei konstant erhöhtem ICP und eingeschränktem Operationsfeld sollte an den potentiell beitragenden Effekt des N2O und potenter verdampfender Anästhetika gedacht werden. Der Vorzug gilt dann den Injektionsanästhetika.
Einige Muskelrelaxantien (z. B. Atracurium) können Histamin freisetzen. Bei Bedarf sollten diese in kleinen und aufgeteilten Dosen verabreicht werden. Succinylcholin, ein depolarisierendes Muskelrelaxans, wird äußerst selten bei der Katze injiziert, um die endotracheale Intubation bei Laryngospasmus zu ermöglichen; eine geringe und kurz anhaltende Zunahme des ICP wird dem Succinylcholin zugeschrieben (6).
5.1.2 Handhabung des Kohlendioxidpartialdruckes
Durch kontrollierte Atmung und Hyperventilation wird der PaCO2 reduziert (Hypokapnie). Durch die ausgelöste Vasokonstriktion wird das zerebrale Blutvolumen, nicht aber der ZBF per se reduziert (7). Demzufolge nimmt der ICP ab und somit als Nettoeffekt Gehirnvolumen und -schwellung. Der chirurgische Zugang wird erleichtert.
Bei gesundem Gehirngewebe sollte die akut beigeführte Hypokapnie einen CO2-Partialdruck von 25 mmHg nicht unterschreiten. Zwischen 20 mmHg und 25 mmHg CO2-Partialdruck wird keine verbesserte Wirkung auf die Gehirn- Compliance beobachtet. Bei verletztem Gehirn dagegen kann Hyperventilation zu Gehirnischämie führen, ganz besonders z. B. nach Kopftrauma, wenn der zerebrale Blutfluss innerhalb der ersten 24 Stunden bereits reduziert sein kann (1, 6). Mit der kontrollierten Beatmung wird bei diesen Patienten eine moderate Absenkung des CO2-Partialdruckes auf 30–35 mmHg angestrebt (1).Wie bei allen therapeutischen Eingriffen müssen Vor- und Nachteile der Hyperventilation für jeden Patienten individuell abgeschätzt werden. Die Indikationen zur Hyperventilation/Hypokapnie sind, einen erhöhten oder unbekannten ICP zu verringern und/oder die Notwendigkeit, die intrakraniellen Operationsbedingungen zu verbessern. Die Hyperventilation wird beendet, wenn diese Indikationen nicht mehr erfüllt werden.
Der Einfluss der Hypokapnie auf den zerebralen Blutfluss ist nicht kontinuierlich. Mit Beginn der Hyperventilation nimmt der pH der Zerebrospinalflüssigkeit und des zerebralen extrazellulären Flüssigkeitsraumes zu, und der zerebrale Blutfluss nimmt deutlich ab. Durch eine Funktionsänderung der Karboanhydrase wird die zerebrale Alkalose nicht aufrechterhalten, und die Bikarbonatkonzentration der Zerebrospinalflüssigkeit und des zerebralen extrazellulären Flüssigkeitsraumes wird reduziert. Über einen Zeitraum von 6 bis 18 Stunden normalisiert sich der pH dieser Kompartimente und gleichfalls der zerebrale Blutfluss. Beim Beenden einer langen Phase der Hypokapnie wird die Ventilation dahingehend geändert, dass der CO2-Partialdruck langsam in den normalen Bereich zurückkehren kann. Obwohl in der Veterinärmedizin eine lang andauernde kontrollierte Beatmung äußerst selten angewandt wird, sollte grundsätzlich die Hyperventilation nur so lange aufrechterhalten werden, so lange ein reduziertes intrakranielles Volumen notwendig ist. Außerdem sollte dem zurzeit in der Humanneuroanästhesie angewandten Vorschlag gefolgt werden, damit die Hyperventilation für die Behandlung eines erhöhten ICP reserviert bleibt, der nicht durch andere Methoden kontrolliert werden kann (1, 7).
5.1.3 Handhabung des Blutdruckes
Nach akuten Gehirnschäden und besonders nach Kopftrauma sowie während der meisten intrakraniellen Eingriffe ist es wichtig, den zerebralen Perfusionsdruck (CPP) im (höheren) Normalbereich aufrechtzuerhalten. In geschädigten Gehirnregionen ist der zerebrale Blutfluss häufig unzureichend und die Autoregulation in Bezug auf einen reduzierten Blutdruck nicht überall intakt. Der Erhalt des arteriellen Blutdruckes in durch chirurgische Instrumente komprimierten Gehirngebieten ist ebenso von Bedeutung. Aufgrund des lokalen Gewebedruckes ist dort der tatsächliche Durchblutungsdruck reduziert. Obwohl nur geringe Daten vorliegen, erscheint es sinnvoll, den Blutdruck im gleichen Maße auch bei denjenigen Patienten aufrechtzuerhalten, die vor kurzem eine Rückenmarkskompression erlitten haben oder am Rückenmark operiert werden (6).
5.1.4 Pharmaka
5.1.4.1 Steroide
Die Applikation von Steroiden dient der Reduktion der mit Tumoren in Verbindung stehenden Ödeme. Die Wirkung tritt relativ schnell ein, allerdings nicht schnell genug, um notfalls intraoperativ zur sofortigen Besserung beizutragen. Mit der Steroidgabe sollte mindestens 48 Stunden vor intrakraniellen Eingriffen begonnen werden. Etwa 24 Stunden nach Therapiebeginn wird eine klinische Besserung verzeichnet, doch erst nach weiteren 1 bis 2 Tagen tritt eine Abnahme des ICP ein (6). Die Steroidgabe wird intra- und postoperativ fortgesetzt, um den präoperativ erzielten Effekt aufrechtzuerhalten (siehe Kap. 9.2.4).
In der Humanmedizin werden Steroide bei Patienten mit Kopftrauma zurzeit nicht mehr eingesetzt, da entweder kein Erfolg oder eine nachteilige Wirkung erzielt wurde (6, 19). In Zukunft könnte durch die Anwendung potenter fluorierter Steroide (z. B.Triamcinolon) eine Änderung dieser Praxis eintreten (6).
5.1.4.2 Diuretika
Um eine Reduktion des intrazellulären, v. a. aber des extrazellulären Flüssigkeitskompartiments des Gehirns zu erreichen, werden häufig Diuretika eingesetzt. Schleifendiuretika (z. B. Furosemid) sind generell weniger wirkungsvoll (6). Deshalb und aufgrund seines raschen Wirkungseintrittes und klinischen Effektes, d. h. der Reduktion des ICP, wird hauptsächlich Mannitol, ein Osmotikum, angewandt. Es reduziert die Blutviskosität und führt somit zu einer zerebralen Engstellung der Gefäße, woraus sich eine Reduktion des ICP ergibt (20). Die Wirkung des Mannitols ist von einer intakten Blut-Hirnschranke abhängig. Urea (Osmotikum) wird in der Veterinärmedizin nicht eingesetzt, obwohl es als kleineres Molekül das Gehirngewebe besser durchdringen kann. Auch Mannitol kann in das Gehirngewebe eindringen und im Zerebrospinalflüssigkeitsraum nachgewiesen werden. Die Anwendung von Mannitol wird zumindest in der Humanmedizin als zwiespältig angesehen: Erreicht Mannitol das Gehirngewebe, kann evtl. eine Zunahme der Gehirnschwellung entstehen 6). Wie von DRUMMOND und PATEL (6) für den Menschen vorgeschlagen, erscheint aus diesen Gründen auch in der Veterinärmedizin eine empirische Anwendung von Mannitol zweckdienlich, d. h. wenn Mannitol zu einer Reduktion des ICP oder zu einem besseren chirurgischen Zugang führt, dann wird es (evtl. auch wiederholt) eingesetzt (siehe Anhang 4). Falls die Wirkung ausbleibt oder die Serumosmolarität etwa 320 mOsm/l (normaler Wert beim Menschen 295 mOsm/l) erreicht, dann wird Mannitol abgesetzt (6).
Aufgrund eines Synergismus wird auch die kombinierte Anwendung eines Schleifendiuretikums und eines osmotischen Diuretikums empfohlen. Einerseits soll zum Beispiel Mannitol einen osmotischen Gradienten aufbauen, der dem Hirngewebe Flüssigkeit entzieht; andererseits soll Furosemid diesen Gradienten aufrechterhalten, da es die Ausscheidung des intravaskulären Wassers beschleunigt. Zusätzlich hemmen Schleifendiuretika die in Neuronen und Gliazellen ablaufenden homeostatischen Mechanismen der Zellvolumenregulierung (6). Dieser Mechanismus kann auch beim Phänomen des sog. rebound swelling von Bedeutung sein, das i. d. R. auf die Anwendung von Mannitol zurückgeführt wird. Als Gründe könnten einerseits die Anhäufung von Mannitol an sich, aber ebenso eine allgemeine Hyperosmolarität auftreten. Letzteres spricht gegen hypertone Kochsalzlösung als Alternativtherapie zu Diuretika (6).
5.1.4.3 Antikonvulsiva
Allgemein gilt, dass jegliche Irritation der Kortexoberfläche, dazu zählt auch akutes Kopftrauma, chirurgische Durchtrennung des Kortex sowie Irritation der Gehirnoberfläche (z. B. durch chirurgische Instrumente), potentiell epileptische Anfälle auslösen können (6). In der Humanmedizin treten postoperative Epilepsien häufig aufgrund inadäquater Prophylaxe mit Antikonvulsiva auf (21). Elektrolytverschiebungen (z. B. Hyper-/Hyponaträmie), Hypoxie, Hypoglykämie können Auslöser für Epilepsien sein. Krampfanfälle müssen sofort unterbrochen werden, da es sonst zu einer Erhöhung des ICP, einer Entkopplung von zerebralem Metabolismus und Blutfluss sowie vermehrten Ödemen kommen kann (21). Falls keine Gegenanzeigen bestehen, können Antikonvulsiva auch beim Tier prophylaktisch als Teil der Prämedikation verabreicht werden (siehe Kap. 10.2 und 17.5). Erstaunlicherweise zeigte sich Ketamin erfolgreich in der Unterdrückung langdauernder Krampfanfälle bei der Ratte (22).
5.1.4.4 Andere Pharmaka
In der Neuroanästhesie des Menschen werden u. a. die prophylaktische Magnesiumzufuhr (Kalziumflux) und die intraund postoperative Lidokaininfusion (Natriumkanal-Blockade) als mögliche Therapien für die Gehirnprotektion in Aussicht gestellt (8). Klinische Untersuchungen bei Katze und Hund liegen zurzeit nicht vor.
5.1.5 Lagerung
Häufig sind neurochirurgische Eingriffe mit längerer Anästhesiedauer verbunden. Zur Planung von Anästhesie und Operation gehört somit auch die Besprechung der Lagerung des Patienten. Eine Vakuummatratze kann hier hilfreich sein. Druckstellen müssen erkannt und gut gepolstert sowie Druck und Zug auf Nervenstränge vermieden werden. Ein optimaler venöser Abfluss ist von Bedeutung: erhöhte Lagerung des Kopfes, starke Drehung von Kopf bzw. Hals vermeiden. Bei Operationen an der Wirbelsäule (besonders im Lumbalbereich) sollte die Vena cava caudalis bei Patienten in Sternallage nicht komprimiert werden. Behinderter venöser Abfluss über die kaudale Hohlvene leitet Blut zu den epiduralen Plexus um und erhöht somit das Risiko von Blutungen während Laminektomien (6, 23). Intraoperativer Blutverlust ist besonders häufig bei Eingriffen, die aufwändige Arbeit an mehreren Wirbelknochen mit sich bringen. Im Vergleich zur Halswirbelsäule ist Blutverlust bei Eingriffen im thorakalen und/oder lumbalen Bereich (24) häufiger. Bluttransfusionen können notwendig werden.
Intraoperatives Anschwellen der Zunge bzw. anderer Pharynxstrukturen kann nach der Extubation zu unerwarteter Atemwegsobstruktion und Atembeschwerden führen. So sollte z. B. bei der Verwendung von Klebstreifen um Ober- und Unterkiefer zwecks besserer Stabilisierung des Kopfes sich die Zunge in einer neutralen Lage innerhalb der Maulhöhle befinden. Auch auf unnötiges Instrumentarium im Bereich des Pharynx/Larynx muss verzichtet werden, da zusätzlich zum Endotrachealtubus eingeführte Schläuche und Proben (Ösophagusstethoskop, Temperaturprobe, Magensonde, evtl. Sonden zur transösophagealen Echokardiographie usw.) zum Trauma führen könnten.
Nach Anlegen eines zerebrospinalen Flüssigkeit-Shunts sollten Patienten für die Erholungsphase flach gelagert werden, damit die Ventrikel nicht zu schnell kollabieren (6).
5.1.6 Überwachung der Anästhesie und Hypothermie
Die invasive Überwachung während der Anästhesie und auch in der postoperativen Phase ist bei neurologischen Patienten häufig angezeigt. Indikationen für intraarterielle Druckmessungen sind u. a. instabiler Kreislauf (z. B. nach Trauma), voraussagbarer oder möglicher Blutverlust (z. B. bei Tumorresektion), oberflächliche Anästhesie ohne Einsatz von Muskelrelaxantien. Außerdem bieten sich Vorteile während der postoperativen Pflege. Gerade bei Kraniotomien wird die Anästhesie i. d. R. oberflächlich gehalten: Der Großteil des Gehirnes ist gefühllos und der intrakranielle Teil des chirurgischen Eingriffes ist mit nur geringer Stimulation verbunden. Plötzliche Bewusstseinsänderungen (Erwachen) spiegeln sich in Änderungen des arteriellen Blutdruckes wieder.
Erwarteter Blutverlust und Flüssigkeitsverlagerungen (z. B. durch wiederholten Mannitoleinsatz) und die Beurteilung der physiologischen Reserve des Patienten bestimmen die Notwendigkeit der zentralvenösen Druckmessung (CVP) während Anästhesie und postoperativer Erholungsphase.
Venöse Luftembolien treten in der Veterinärneuroanästhesie selten auf, obwohl der Kopf bei Kraniotomien häufig mehrere Zentimeter über dem Herzniveau liegt. Möglicherweise liegt dies nur daran, dass die zur Überwachung notwendige Massenspektrometrie zwecks Analyse der abgeatmeten Gase (25) und auch andere Techniken in der klinischen Veterinäranästhesie aus finanziellen Gründen nicht eingesetzt werden.
Die Körpertemperatur sollte kontinuierlich gemessen werden. Zurzeit wird bei Patienten mit Kopftrauma die ausgeprägte intraoperative Hypothermie nicht empfohlen. Eine prophylaktische milde Hypothermie, d. h. 2–3 °C unter Normaltemperatur (26), hat eine neuroprotektive Wirkung (8).
Intraoperative (und auch postoperative!) Hyperthermie muss rechtzeitig erkannt und behandelt werden, da bei gleichzeitig vorliegender Ischämie des Gehirnes schädigende Aminosäuren freigesetzt werden (19).
5.1.7 Flüssigkeitstherapie
Zwei Prinzipien bestimmen die Flüssigkeitstherapie bei neurochirurgischen Patienten: das Aufrechterhalten des zirkulierenden Volumens (Normovolämie) und die Vermeidung von Serumosmolaritätsveränderungen.
Das Beibehalten eines normalen Blutvolumens ist ein Vorgang, den Blutdruck zu stützen. Die intravenöse Flüssigkeitstherapie darf nicht restriktiv – im Sinne eines »Trockenhaltens« des Patienten – gehandhabt werden. Dies könnte zu Hypovolämie, systemischer Hypotension, ungenügendem zerebralen Blutfluss sowie ungenügender zerebraler Durchblutung und somit Gehirnischämie führen. Die intravenöse Flüssigkeitstherapie dient der Unterstützung eines adäquaten MAP vor dem Hintergrund einer optimalen Gehirndurchblutung.
Das zweite Prinzip resultiert aus der Überlegung, dass eine erniedrigte Serumosmolarität zu Ödemen im gesunden und abnormalen Gehirngewebe führt. Flüssigkeiten, die freies Wasser liefern, senken die Serumosmolarität, wenn die infundierte Menge freien Wassers den eigentlichen Bedarf des Körpers überschreitet. Zu diesen Flüssigkeiten gehören solche, die eine unzureichende Menge glukosefreie Stoffe erhalten und dadurch nicht isoosmolar im Vergleich zu Blut sind. Flüssigkeiten, die als Blutersatz infundiert werden, sollten so weit wie möglich isoosmolar sein. Dazu bietet sich physiologische Kochsalzlösung (308 mOsm/l) an. Häufig wird als Kompromiss Ringer-Laktat-Lösung (272 mOsm/l) oder eine ähnlich zusammengesetzte Flüssigkeit infundiert. Generell sind die Unterschiede zwischen physiologischer Kochsalzlösung und z. B. Ringer-Laktat-Lösung gering. Ist es bei einem mehrfach traumatisierten Patienten jedoch notwendig, eine sehr große Menge Flüssigkeit zu infundieren, dann ist physiologische Kochsalzlösung die bessere Alternative. In einem Versuch mit gesunden Kaninchen konnte nämlich gezeigt werden, dass durch die Infusion großer Mengen Ringer-Laktat-Lösung die Serumosmolarität gesenkt wurde und ein Gehirnödem entstand (27). Für die meisten elektiven Kraniotomien ist die Infusion von kristalloiden Lösungen ausreichend. Für die wiederholt diskutierte zusätzliche Anwendung von Kolloiden ist jedoch in der Veterinärneurochirurgie nur äußerst selten eine Indikation gegeben (z. B. mehrfach traumatisierter Patient mit akutem Kopftrauma). Die Anwendung hypertoner Kochsalzlösung ist auch immer wieder ein Diskussionspunkt. Im Vordergrund steht hier die Stützung des gesamten Kreislaufs – und nicht die zerebralen Effekte – im Verlauf einer Reanimation, die dann auch eine bessere Durchblutung des Gehirns nach sich zieht (6). Die Infusion hypertoner Kochsalzlösung erhöht die Serumosmolarität, die unkorrigiert zum Phänomen des sog. rebound swelling (siehe auch Kap. 5.1.4.2) des Gehirns führen kann.
Glukosehaltige Lösungen sollten immer vermieden werden, wenn zerebrale Ischämie entstehen könnte. Das massive Substratangebot während einer Ischämie fördert anaeroben Stoffwechsel, führt zu Pyruvat- und Laktatbildung und in der Folge zu Azidose, Gefäßparalyse und verstärktem Gehirnschaden (4). Hyperglykämie wird wie beim Menschen auch bei Katze und Hund nach Kopftrauma festgestellt (28). Eine Insulininfusion kann zur Regulation der Glukosewerte notwendig werden (1).
5.1.8 Erholungsphase
Bei Kopftrauma und nach Kraniotomien ist eine ruhige Erholungsphase ohne Husten, Abwehr und arteriellen Bluthochdruck wünschenswert, da sonst Blutungen, Ödembildung und erhöhter ICP als Komplikationen auftreten können. Deshalb kann die Injektion von Opioiden (zur Analgesie, Sedation und Unterdrückung des Hustenreflexes), kleinen Dosen Propofol (zur Aufrechterhaltung der Anästhesie bei bereits unterbrochener Zufuhr von Inhalationsanästhetika) und vasoaktiven Substanzen (z. B. Esmolol zur Behandlung systemischer Hypertension) angezeigt sein (Tabelle 5.2). Hypoxie und Hyperkapnie führen zu einer Erhöhung der Katecholaminspiegel und müssen als Ursache einer Hypertension ausgeschlossen werden (21). Regelmäßige Kontrollen der Elektrolyte, des Säure-Base-Haushaltes, der Glukosekonzentration sowie evtl. von Hämatokrit und Gesamtprotein sind wichtig. Auf die Bedeutung der Körpertemperaturkontrolle wurde bereits hingewiesen.
Die adäquate Schmerztherapie ist für das Wohlbefinden von Katze und Hund äußerst wichtig und trägt zur komplikationsfreien Erholung von Anästhesie und chirurgischem Eingriff bei (siehe Kap. 9.4 und Tabelle 5.2).
5.2. Spezifische Untersuchungen und Eingriffe
5.2.1 Liquorentnahme
Grundsätzliches: Kurzfristig relativ tiefes Anästhesiestadium notwendig; keine Spontanbewegungen; i. d. R. kurze Anästhesiedauer; aufgrund extremer Kopfhaltung Sicherung der Atemwege angezeigt und evtl. Hyperventilation (Abb. 5.1, 5.2); Wahl der Anästhetika generell abhängig vom Gesundheitszustand (siehe Kap. 2.3).
Abb. 5.1
Geknickter Endotrachealtubus nach korrekter Lagerung zwecks Röntgenaufnahme der gebeugten Halswirbelsäule bzw. zur Entnahme von Zerebrospinalflüssigkeit.
Anästhesievorschlag: Gut kontrollierbare bzw. kurz wirkende oder antagonisierbare Substanzen; Inhalationsanästhetika evtl. geeigneter als Injektionsanästhetika (29).
■Prämedikation: Benzodiazepin; kurz wirkendes Opioid evtl. kombiniert mit geringer Dosis Azepromazin; Medetomidin.
■Einleitung der Anästhesie: Thiopental; Propofol; Katze Alphaxalon./Alphadolon, evtl. auch Ketamin; Inhalationsanästhetikum in Sauerstoff mittels Maske.
■Aufrechterhaltung der Anästhesie: Propofol; Halothan; Isofluran; O2 (evtl. mit N2O).
■Überwachung: Ösophagusstethoskop; wenn vorhanden: Kapnographie, Pulsoxymetrie.
Erholungsphase: Intravenösen Katheter belassen bis zur vollständigen Erholung; Überwachung abhängig von Gesundheitszustand.
Bemerkungen: Endotracheale Intubation empfehlenswert; Spontanatmung von Vorteil; Antagonisierung des Medetomidins mittels Atipamezol möglich.
5.2.2 Myelographie
Grundsätzliches: Komplikationen aufgrund der Kontrastmittelinjektion heute generell selten, jedoch treten bei subokzipitaler Punktion häufiger auf: kardiovaskuläre Depression, Herzrhythmusstörungen (meist Bradykardie), Hypotension, selten Herzstillstand, initial Atemfrequenzzunahme gefolgt von Atemdepression, Atemstillstand von wenigen Sekunden bis 15 Minuten Dauer; intravenöse Dosis der Notfallmedikamente (z. B.Atropin) vorab berechnen und evtl. in Spritze aufziehen; kontrollierte Beatmung (ohne Unterbrechung der Anästhetikazufuhr) evtl. notwendig; Krampferscheinungen während der Anästhesie und in der Erholungsphase möglich und abhängig von Injektionsstelle (subokzipital > lumbal) und verwendetem Kontrastmittel (alte Mittel: Metrizamid > neue Mittel: Iopamidol, Iohexol); durch Wahl der Anästhetika epileptischen Anfällen vorbeugen; Kontrastmittelfluss Richtung Kopf vermeiden; Kontrastmittelausscheidung fördern; Sicherung der Atemwege durch endotracheale Intubation unerlässlich; ausreichende Ventilation wichtig; adäquate Anästhesietiefe ohne Spontanbewegung zum Zeitpunkt der Durapunktion; intravenöser Katheter zur Flüssigkeitszufuhr (10ml/kg/h) und Notfalltherapie notwendig;Traumapatienten: äußerst vorsichtig transportieren und lagern, muskelrelaxierende Wirkstoffe und Hyperextension bei Intubation vermeiden; rechtzeitige Applikation eines potenten Analgetikums bei bestehenden Schmerzzuständen und/oder voraussichtlicher Operation; häufig länger dauernde Anästhesie mit Hypothermie als Komplikation; Temperaturverlust rechtzeitig verhindern (siehe Kap. 6.3.2).
Abb. 5.2
Zu weit in die Trachea vorgeschobener Endotrachealtubus nach überstreckter Kopf-Hals-Stellung.
Anästhesievorschlag: Wahl des Anästhesieprotokolls abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten, jedoch im Verhältnis zu den möglichen Komplikationen nicht so bedeutend. Hauptbedenken ist die Möglichkeit von epileptischen Anfällen: Vermeidung bestimmter Wirkstoffe (Phenothiazine und Butyrophenone, Methohexital, Ketamin, Tiletamin, Etomidat und Enfluran) und Verwendung antikonvulsiv wirkender Anästhetika, Unterstützung der Ausscheidung des Kontrastmittels.
■Prämedikation: Benzodiazepin; Barbiturat; Opioid; Medetomidin.
■Einleitung der Anästhesie: Thiobarbiturat; Propofol; Alphaxalon/Alphadolon; Inhalationsanästhetikum in Sauerstoff mittels Maske.
■Aufrechterhaltung der Anästhesie: Halothan; Isofluran; Methoxyfluran; O2 (evtl. mit N2O); Hund: Propofol als kontinuierliche Infusion evtl. mit Fentanyl.
■Überwachung: Kontinuierliche Überwachung der Atemfunktion und des Herz-Kreislauf-Systems sowie der Körpertemperatur.
Tabelle 5.2: Sedativa, Anästhetika und Analgetika (siehe auch Kap. 9.4)
Erholungsphase: Kontinuierliche Überwachung wegen möglicher Krampfanfälle (Muskelzuckungen), generell häufiger bei Hund als Katze, krampflösende Präparate (z. B. Diazepam) bereitstellen und individuelle Dosis berechnen; Kopf hoch lagern; Körpertemperatur regelmäßig kontrollieren (Hypothermie und Hyperthermie möglich); intravenösen Katheter belassen bis zur vollständigen Erholung; bei Traumapatienten und Diskopathien regelmäßig Schmerzen evaluieren und adäquat behandeln.
Bemerkungen: Abhängig von dem Radiologiepersonal und der Eindeutigkeit der Röntgenaufnahmen wird zur besseren Beurteilung die Extubation der Trachea gewünscht. Intubationsmaterial einschl. Anästhetika zur evtl. notwendigen weiteren Vertiefung der Anästhesie müssen für die Reintubation zur Verfügung stehen. Anästhesiezeit verlängern, wenn zwischen Kontrastmittelinjektion und Extubation weniger als 20 Minuten vergangen sind.
5.2.3 Hemilaminektomie, Laminektomie, Frakturstabilisierung
Grundsätzliches: Siehe auch Bemerkungen zur Myelographie; endotracheale Intubation und intravenöser Katheter zur Flüssigkeitszufuhr (10ml/kg/h) und intraoperativer Medikationen (z. B. Analgetika) unerlässlich; bei Eingriffen im Halswirbelbereich Atmung kontrollieren (Lagerung und Ausbinden des Patienten reduzieren häufig das Atemzugvolumen); bei ventralem Zugang zur Halswirbelsäule sind vagale Stimulation und Herzrhythmusstörungen möglich; bei Trauma, Instabilität und Diskopathie der Halswirbelsäule: Hyperextension des Halses während der endotrachealen Intubation vermeiden; unabhängig von Ursache (Diskopathie,Tumor usw.) rechtzeitige und perioperative Schmerztherapie wichtig (siehe Kap. 9.4); Temperaturverlust rechtzeitig verhindern; korrekte Lagerung sehr wichtig: Vermeidung von Zug auf die Gliedmaßen und Nervenstränge und Druck auf Abdominalorgane (häufig starke Blutungen).
Tabelle 5.2: Sedativa, Anästhetika und Analgetika (siehe auch Kap. 9.4)
Anästhesievorschlag: Wahl des Anästhesieprotokolls abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten.
■Prämedikation: Opioid; evtl. Azepromazin oder Medetomidin oder Benzodiazepine.
■Einleitung der Anästhesie:Thiopental; Propofol; Etomidat; Katze: Ketamin, Alphaxalon /Alphadolon; evtl. Inhalationsanästhetikum in Sauerstoff mittels Maske.
■Aufrechterhaltung der Anästhesie: Halothan; Isofluran; O2 (evtl. mit N2O); Hund: Propofol als kontinuierliche Infusion in Kombination mit potentem Opioid (z. B. Fentanyl).
■Überwachung: Kontinuierliche Überwachung der Atemfunktion und des Herz-Kreislauf-Systems sowie der Körpertemperatur; alle 30 bis 60 Minuten Hämatokrit und Gesamtprotein bei Blutverlust und Vergleich mit präanästhetischen Werten.
Erholungsphase: Schmerzen regelmäßig evaluieren; postoperative Schmerztherapie während mehrerer (3 bis 7) Tage angezeigt; intravenösen Katheter belassen bis zur vollständigen Erholung; bei Hypothermie Patient langsam aufwärmen und Körpertemperatur alle 30 Minuten kontrollieren bis Normothermie erreicht; nach massiven Blutungen Hämatokrit und Gesamtprotein alle 4 bis 6 Stunden bestimmen.
Bemerkungen: Schmerzlinderung vor physiotherapeutischer Behandlung sicherstellen.
5.2.4 Sonstige
■Organische Erkrankungen des Gehirns
■Intrakranielle raumfordernde Prozesse
■Kopftrauma
■Gestörte Autoregulation des kraniellen Blutflusses
■Erhöhter intrakranieller Druck
■Kraniotomie
Grundsätzliches: Gründliche klinische Untersuchung und Stabilisierung des kritischen Patienten vor der Anästhesie, da vermindertes Bewusstsein, kardiopulmonale Depression und erhöhter ICP vorliegen können; besonders bei Kopftraumapatienten steht die Reanimation (gemäß »A-B-C-«) im Vordergrund; ICP vor dem Einleiten der Anästhesie senken (Mannitol, Furosemid, evtl. Kortikosteroid (siehe Kap. 5.1.1); bei bestehender Depression des ZNS und wegen einer möglichen Sensibilität auf Beruhigungsmittel ist eine sedative Prämedikation häufig nicht nötig bzw. sollte bis zu gewünschtem Effekt titriert werden, da eine zusätzliche CO2-Retention problematisch ist; bei semikomatösen oder komatösen Patienten erübrigt sich evtl. die Anwendung von Anästhetika zur Intubation;Vorkehrungen zur kardiopulmonalen und zerebralen Reanimation treffen.
Anästhesievorschlag: Prinzipiell gilt die Aufmerksamkeit der Optimierung der zerebralen Durchblutung, der Vermeidung zerebraler Ischämie und der Vermeidung von Wirkstoffen /Techniken, die den ICP erhöhen könnten; alle Anästhetika bis zum Effekt titriert verabreichen; N2O, Ketamin und Tiletamin sowie Einleitung der Anästhesie mittels Inhalationsanästhetikum und Maske meiden;Anticholinergikum (Bradykardie) bereithalten; Flüssigkeitszufuhr zur Kreislaufunterstützung; Vermeidung von Atemdepression, Venenabflussstörungen, Husten und Abwehr (z. B. wie bei Einleitung mittels Maske möglich).
■Prämedikation: Eventuell nicht nötig; Benzodiazepine allein oder in Kombination mit geringer Dosis Opioid.
■Einleitung der Anästhesie: Thiopental; Propofol; Katze: Alphaxalon /Alphadolon.
■Aufrechterhaltung der Anästhesie: Kontinuierliche Infusion von Propofol (TIVA) kombiniert mit potentem, kurz wirkendem Opioid und evtl. Muskelrelaxans; Inhalationsanästhetika in geringer Dosierung kombiniert mit Opioid und evtl. Muskelrelaxans; bei Bedarf assistierte oder kontrollierte Beatmung (Hyperventilation mit 100% O2; endexspiratorische CO2-Werte bei 25–30 mmHg) zur Senkung des ICP und Verbesserung der Ventilation; Infiltrationsanästhesie (z. B. Lidokain) des chirurgischen Feldes.
■Überwachung: Invasivität abhängig von potentiellem Blutverlust, direkte arterielle Blutdruckmessung vorteilhaft; intrakranielle Druckmessungen für intraoperatives Management nicht nötig (Kenntnisse der Anästhetika und ihrer Wirkung auf ICP, intraoperativ Beobachtung des Gehirnes direkt möglich); kontinuierliche Überwachung der kardiovaskulären und respiratorischen Parameter sowie der Körpertemperatur; alle 30 bis 60 Minuten Hämatokrit und Gesamtprotein bei Blutverlust und Vergleich mit präanästhetischen Werten; minimaler Hämatokrit 30–35% zur optimalen O2-Versorgung.
Erholungsphase: Intensive Überwachung und Pflege in einem speziell dafür vorgesehenen Raum und in gepolstertem Käfig; Kopf leicht erhöht lagern (außer Shunt-Patienten); kontinuierliche Überwachung der kardiovaskulären (speziell MAP: Hypo- oder Hypertension) und respiratorischen (Hypoxie und Hyperkarbie ausschließen) Parameter sowie der Körpertemperatur (unteren Normalbereich anstreben, Hyperthermie unbedingt vermeiden); Epilepsien möglich; Notfallmedikamente bereitstellen und Dosierungen im Voraus berechnen;Vorkehrungen für notfallmäßige Intubation und/ oder künstliche Beatmung treffen; regelmäßige Kontrolle von Elektrolyten, Blutgasen, Glukosespiegel, Säure-Base-Haushalt; regelmäßige Evaluation auf Schmerz; evtl. Sauerstoff zuführen.
Bemerkungen: Aufgrund des evtl. gestörten Bewusstseins sind Schmerzzustände nach Kraniotomie schwierig zu evaluieren. Bei Eingriffen in der Nähe des Hypothalamus sind Hypertension, Bewusstseinstrübung, Störung des Wasserhaushaltes beginnend 12 bis 24 Stunden nach Operation möglich. Bewusstseinsstörungen und langsames Erwachen möglichst vermeiden (Vorsicht bei Anwendung von an Rezeptoren gebundenen Substanzen wie Opioide und Benzodiazepine).
5.2.5 Elektrodiagnostische Untersuchungen
Im Allgemeinen mangelt es Hund und Katze an Kooperation und Toleranz, so dass auch für alle elektrodiagnostischen Untersuchungen eine Sedation bzw. Allgemeinanästhesie notwendig ist. Die dazu verwendeten Substanzen beeinflussen in unterschiedlichem Ausmaß, aber unvermeidlich, das Nervengewebe des gesamten Körpers. Der Effekt der Anästhetika auf elektrodiagnostische Aufzeichnungen nimmt vom peripheren Nerv und Skelettmuskel über Rückenmark und Retina bis hin zu Hirnstamm und zerebralem Kortex zu (siehe Kap. 7.1).
5.2.6 Elektroenzephalogramm (EEG)
Grundsätzliches: Idealerweise Aufzeichnung der Hirnströme am wachen Patienten; anästhetisch wirkende Substanzen verändern die Hirnströme in unterschiedlicher Weise; Erfahrung mit einem einzigen Anästhesieprotokoll wichtig für konsequente und folgerichtige Interpretation; kurz wirkende und antagonisierbare Substanzen vorteilhaft; oberflächliches Anästhesiestadium anstreben; Infiltration der Temporalmuskulatur mit einem Lokalanästhetikum (z. B. Lidokain) als Alternative oder Zusatz zur Allgemeinanästhesie; Hypothermie vermeiden (siehe Kap. 7.2).
Anästhesievorschlag:
■Prämedikation: Keine; eventuell Medetomidin; eventuell kurz wirkendes Opioid.
■Einleitung der Anästhesie: Propofol; Thiopental; Katze: Alphaxalon /Alphadolon; Inhalationsanästhesie (Isofluran, Halothan) mittels Maske.
■Aufrechterhaltung der Anästhesie: Inhalationsanästhetikum (Halothan, Isofluran); O2; Hund: Propofol (kleine Dosen oder kontinuierliche Infusion intravenös).
■Überwachung: Kontinuierliche Überwachung der kardiovaskulären und respiratorischen Parameter sowie der Körpertemperatur.
Erholungsphase: Abhängig von Gesundheitszustand des Patienten (z. B. kontinuierliche Überwachung wegen epileptischer Anfälle).
Bemerkungen: Andere elektrische Geräte (z. B. Pulsoximeter, EKG) sowie manuelle Überwachung des Patienten (z. B. Auslösen des Palpebralreflexes) können EEG-Aufzeichnung stören; nach Beenden der Anästhetikazufuhr und evtl. Antagonisierung des Medetomidins oder Opioids Aufzeichnung des EEG während Rückkehr des Bewusstseins.
5.2.7 Elektromyogramm (EMG)
Grundsätzliches: Wahl der Anästhetika abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten; die Anwendung peripher wirkender Muskelrelaxantien kontraindiziert (z. B. zwecks Erleichterung der Intubation bei Katzen: siehe Kap. 7.1).
■Prämedikation: Als Einzelsubstanz oder in Kombination: Phenothiazin; Opioid; Medetomidin; Benzodiazepin.
■Einleitung der Anästhesie: Barbiturat; Propofol; Etomidat; Katze: Ketamin, Alphaxalon /Alphadolon; Inhalationsanästhetikum mittels Maske oder Kammer.
■Aufrechterhaltung der Anästhesie: Inhalationsanästhetikum; O2 (evtl. mit N2O); Hund: Propofol; Katze: Ketamin, Alphaxalon/Alphadolon.
■Überwachung: Kontinuierliche Überwachung der kardiovaskulären und respiratorischen Parameter sowie der Körpertemperatur.
Erholungsphase: Überwachung abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten.
Bemerkungen: Andere elektrische Geräte (z. B. Pulsoximeter, EKG) können EMG-Aufzeichnung stören. Nach der Einleitung der Anästhesie mit Propofol kann es gelegentlich zu Muskelzuckungen kommen, die mehrere Minuten anhalten und deshalb stören können. Die Vertiefung der Anästhesie mittels Inhalationsanästhetika oder intravenöser Injektion von Diazepam bringt i. d. R. keine Änderung dieses Zustandes, verstärkt jedoch die Nebenwirkungen wie z. B. Hypotension bzw. Atemdepression. Ketamin (1 mg/kg i. v.) bringt hier Abhilfe.
5.2.8 Diagnostik der Nervenleitung
Grundsätzliches: Schmerzhafte Untersuchung, die unter Allgemeinnarkose durchgeführt werden muss;Wahl der Anästhetika ausschließlich abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten (siehe Kap. 7.1).
Anästhesievorschlag:
■Prämedikation: Als Einzelsubstanz oder in Kombination: Phenothiazin, Opioid, Medetomidin, Benzodiazepin.
■Einleitung der Anästhesie: Barbiturat; Propofol; Etomidat; Katze: Ketamin, Alphaxalon /Alphadolon; Inhalationsanästhetikum mittels Maske oder Kammer.
■Aufrechterhaltung der Anästhesie: Inhalationsanästhetikum; O2 (evtl. mit N2O); Hund: Propofol; Katze: Ketamin, Alphaxalon/Alphadolon.
■Überwachung: Kontinuierliche Überwachung der kardiovaskulären und respiratorischen Parameter sowie der Körpertemperatur.
Erholungsphase: Überwachung abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten.
Bemerkungen: Andere elektrische Geräte (z. B. Pulsoximeter, EKG) können Aufzeichnungen stören.
5.2.9 Aufzeichnung auditorisch und visuell evozierter Potentiale
Grundsätzliches: Anästhetika können die Potentiale beeinflussen, wobei kortikale Potentiale eher betroffen sind als Hirnstammpotentiale. Die in der klinischen Anästhesie verwendeten Techniken und eine adäquate Anästhesietiefe haben keinen oder einen zu vernachlässigenden Effekt auf auditorisch oder visuell evozierte Potentiale.
Anästhesievorschlag:
■Prämedikation: Als Einzelsubstanz oder in Kombination: Phenothiazin, Opioid, Medetomidin, Benzodiazepin.
■Einleitung der Anästhesie: Barbiturat; Propofol; Etomidat; Katze: Ketamin, Alphaxalon /Alphadolon; Inhalationsanästhetikum mittels Maske oder Kammer.
■Aufrechterhaltung der Anästhesie: Inhalationsanästhetikum; O2 (evtl. mit N2O); Hund: Propofol; Katze: Ketamin, Alphaxalon,/Alphadolon.
■Überwachung: Kontinuierliche Überwachung der kardiovaskulären und respiratorischen Parameter sowie der Körpertemperatur.
Erholungsphase: Überwachung abhängig vom Gesundheitszustand des Patienten.
Bemerkungen: In der Regel wird vor der Aufzeichnung auditorisch evozierter Potentiale der Kopf einschl. der knöchernen Bullae geröntgt. Mit Ausnahme von fehlenden Spontanbewegungen und adäquater Muskelrelaxation werden keine besonderen Bedingungen an das Anästhesieprotokoll gestellt. Die Lagerung des Patienten für laterale und ventro-dorsale Aufnahmen sowie solche mit offenem Maul kann zum Abknicken oder zur Verschiebung des Endotrachealtubus in jede Richtung (Intubation eines Hauptbronchus, unbeabsichtigte Extubation) führen. Ein mit einer Metallspirale verstärkter Tubus kann mithelfen, die Ventilation aufrechtzuerhalten.Abhängig vom Radiologiepersonal und der Eindeutigkeit der Röntgenaufnahmen wird zur besseren Beurteilung die Extubation der Trachea gewünscht. Intubationsmaterial einschl. Anästhetika zur evtl. notwendigen weiteren Vertiefung der Anästhesie muss für die Reintubation zur Verfügung stehen.
5.2.10 Elektroretinogramm, oszillatorische Potentiale, somatosensorisch und motorisch evozierte Potentiale
Der Effekt, der in der klinischen Anästhesie verwendeten Wirkstoffe auf diese Aufzeichnungen, ist für Hund und Katze nicht geklärt. Somatosensorisch evozierte Potentiale werden in unterschiedlichem Ausmaß durch Anästhetika beeinflusst (siehe Kap. 1.5).
5.2.11 Bildgebung mittels Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT)
Computertomographie und Magnetresonanztomographie (MRT) nehmen als bildgebende Diagnostika in der Veterinärmedizin eine immer bedeutendere Stellung ein. Die Techniken bestechen durch ihre ausgezeichnete Auflösung und Bildschärfe, die jedoch durch Bewegungen des Patienten stark reduziert wird. Voraussetzung ist also eine Allgemeinanästhesie, die zu einer adäquaten Anästhesietiefe ohne Spontanbewegung führt. Die Wahl des Anästhesieprotokolls ist grundsätzlich vom Gesundheitszustand von Hund und Katze abhängig. In ausgewählten Fällen ist eine Sedation für ein CT ausreichend (siehe Kap. 6.3).
Ionisierende Strahlen bei CT schließen die Anwesenheit von Personal während der Untersuchung aus. Die Überwachung des anästhesierten Patienten geschieht aus der Distanz unter Mithilfe hörbarer Signale (z. B. Doppler-Probe) bzw. sichtbarer Bildschirmanzeigen (z. B. Pulsoxymetrie, Kapnographie, Blutdruck).
Das starke Magnetfeld beim MRT bereitet besondere Probleme, denn es macht Überwachungsgeräte untauglich. Ferromagnetische Objekte werden Richtung Magnet gezogen und werden zu gefährlichen Projektilen. Standardanästhesiemaschinen sowie Geräte zur Überwachung der physiologischen Parameter und zur künstlichen Beatmung dürfen nicht in die Nähe des Magneten gestellt werden. Das Anästhesieprotokoll und die Überwachung der Anästhesie hängen somit ganz besonders von den zur Verfügung stehenden Geräten ab. Der Patient ist allgemein schlecht erreichbar, die MRT-Datenerhebung dauert lange und anästhesierte Patienten werden schnell hypotherm.
Bei CT- und MRT-Diagnostik werden Kontrastmittel zur verstärkten Darstellung von Gewebeunterschieden eingesetzt. Die Häufigkeit von Nebenwirkungen (v. a. Blutdruckveränderungen, Anaphylaxis) ist für die Veterinärmedizin nicht dokumentiert. Jedoch sind entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Die Therapie beschränkt sich auf unterstützende Maßnahmen.
Die Transportwege zwischen Praxis/Klinik und CTJ-/MRT-Einheit sind oft lang und teilweise kompliziert (z. B. Zugang zum Humankrankenhaus). Eventuell muss sämtliches Material einschl. Notfallausrüstung mitgenommen werden. Bei der Verwendung von Inhalationsanästhetika ist auch die korrekte Ableitung der ausgeatmeten Gase Bedingung. Diese können z. B. in einen Behälter geführt werden, in dem die verdampfenden Anästhetika – aber nicht N2O – an Granulat absorbiert werden. Auf N2O wird am besten verzichtet und Isofluran dem Halothan vorgezogen, wenn eine aktive Absaugvorrichtung mit Ableitung der abgeatmeten Gase in die Atmosphäre außerhalb der Einheit fehlt.
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6 Neuroradiologie

Der Aufschwung der Neurologie und speziell der Neurochirurgie in den letzten Jahrzehnten ist sehr eng mit der Entwicklung moderner bildgebender Untersuchungstechniken verknüpft. Die Einführung der Computertomographie (CT) 1972 durch GOTTFRIED NEWBOLD HOUNSFIELD (1) eröffnete der Diagnostik und Therapie neue Möglichkeiten, die in der Neurochirurgie geradezu zu einer Revolution geführt haben. Alle bis dahin im Zentrum der Untersuchung stehenden, teilweise sehr ausgefeilten Röntgen-Kontrastuntersuchungen wie Myelographie, Diskographie, Epidurographie, Ventrikulographie, Thekographie oder angiographische Techniken sind invasive Verfahren, alle mit derselben Schwäche: Sie beruhen auf konventioneller Röntgenuntersuchung und sind somit Summationsbilder. Eine überlagerungsfreie Darstellung neuraler Strukturen ist mit keinem dieser Verfahren möglich. Im Gegensatz dazu verfügen die CT und in noch höherem Maße die Magnetresonanztomographie (MRT) als Schnittbildtechniken über eine gute Orts- und sehr hohe Kontrastauflösung (Abb. 6.1). Bei beiden kann die Aussagekraft durch Kontrastmitteluntersuchungen zusätzlich beträchtlich gesteigert werden. Dynamische Untersuchungen geben überdies Aufschluss über die Blutversorgung. Damit können Gewebe oft differenziert dargestellt werden. Ein Beispiel ist die Hypophyse mit ihrer komplexen Blutversorgung durch Arterien und ein Portalsystem, die mit einer dynamischen CT differenziert werden können (2). Da der Zugang zu CT und MRT auch in der Veterinärmedizin besonders für Kleintiere kaum mehr ein Problem darstellt, sollen diese Methoden im Vergleich zu früher in der Besprechung deutlich mehr Gewicht erhalten. Im Bereich der Wirbelsäule spielt die konventionelle Röntgenuntersuchung mit der Myelographie noch immer eine wichtige Rolle und soll daher ebenfalls im Detail diskutiert werden. Auf die übrigen Untersuchungsmethoden soll im Rahmen der entsprechenden Indikationen nur kurz eingegangen werden.
6.1 Indikationen
Periphere Neuropathien sind mit einer konventionellen Röntgenuntersuchung nur ausnahmsweise fassbar. Erst die CT und in noch größerem Maße die MRT haben auch die Darstellung krankhafter Prozesse vor allem der Cauda equina, des Plexus brachialis und lumbosacralis sowie von peripheren Nerven möglich gemacht (Abb. 6.2). Diese neuralen Strukturen und viele ihrer Pathologien können ebenso wie ihr Erfolgsorgan, die Muskulatur, mit geeigneten MRT-Sequenzen dargestellt werden. Die CT vermag Aufschluss über Kompressionen im Bereich des Wirbelkanals und der Foramina zu geben.Traumatische Neuropathien sind häufig Begleiterscheinungen von Frakturen im Bereich des Beckens oder der langen Röhrenknochen. Auch hier liefern die Schnittbildtechniken gute Dienste, da Verlauf und Natur der Frakturen zuverlässig beurteilt und zumindest größere Nerven mittels MRT direkt abgebildet werden können.
Abb. 6.1 a-d
Magnetresonanztomographische, makroskopische und computertomographische Schnittbilder eines normalen Katzengehirns. Es handelt sich um eine Beispielseite aus dem vergleichenden Schnittbildatlas des Hunde- und Katzengehirns, der im Anschluss an dieses Kapitel folgt.
Die T1-gewichtete Sequenz gibt die Morphologie des Gehirns wieder (a), die T2-gewichtete Sequenz vor allem die Liquorräume (b). Die Informationen aus den MRT-Bildern lassen sich sehr gut mit dem makroskopischen Schnitt vergleichen (c). Die computertomographische Abbildung stellt die knöcherne Begrenzung des Gehirns dar (d).
Rückenmarks- und Wirbelsäulenerkrankungen sind die häufigsten Indikationen für eine neuroradiologische Untersuchung. Missbildungen, angeborene und erworbene Stoffwechselstörungen, traumatische, entzündliche (meist infektiöse), degenerative und neoplastische Erkrankungen führen oft zu Veränderungen der Wirbelsäule, die mit einer konventionellen Röntgenuntersuchung erfasst werden können. Erkran-kungen des Rückenmarks und der Meningen erfordern zur Darstellung spezielle Untersuchungstechniken wie die Myelographie, CT oder MRT.
Abb. 6.2 a, b
Tumor des N. ischiadicus; (a) sagittale und (b) transversale T1w-Sequenzen. Sagittale T1w-Sequenzen auf Höhe der Kreuzbeinflügel auf beiden Seiten mit dem ventral des Kreuzbeins verlaufenden Ischiasnerv (Pfeile). Auf der rechten Seite ist der Nerv deutlich spindelförmig verdickt. Die Verdickung des Nerven und die erhöhte Signalintensität wird in der transversalen Schnittebene besonders deutlich (Pfeile). Der normale Nerv stellt sich signalarm dar.
Zerebrale Störungen sind radiologisch meist nicht fassbar. Ausnahmen sind Infektionen und Tumoren des Mittelohres, Frakturen mit Dislokation der Fragmente, Tumoren des Kopfskeletts und bestimmte kongenitale Missbildungen. Allerdings ist die Sensitivität einer Röntgenuntersuchung auch bei diesen Erkrankungen vergleichsweise niedrig. Die Darstellung organischer Erkrankungen des Gehirns und der Meningen erfordert die CT- oder MRT-Untersuchung, die auch dem Tierarzt in der Praxis in zunehmendem Maße zur Verfügung stehen. Nuklearmedizinische Untersuchungsmethoden wie PET und SPECT haben in der tiermedizinischen Praxis wenig Bedeutung, werden jedoch zunehmend in der Tumorforschung und Untersuchung der regionalen Hirndurchblutung eingesetzt.
6.2 Untersuchungsmethoden
6.2.1 Röntgenuntersuchung
Die Anforderungen an Röntgengerät und Abbildungssysteme, um qualitativ hochwertige Aufnahmen von Kopf und Wirbelsäule zu produzieren, sind an andrer Stelle ausführlich dargestellt. Auf die wichtigsten Aufnahmegrundsätze sei hier daher nur kurz hingewiesen:Als Standardgeräte gelten Generatoren mit Leistungen von 100KV/300mA, ein Untersuchungstisch mit kippbarem Tischblatt und eine eingebaute Potter-Bucky-Blende. Ersatzweise können stehende Streustrahlenraster mit einem Schachtverhältnis von mindestens 10:1 und 40 Li-nien/cm eingesetzt werden. Die Röntgenröhre muss frei beweglich sein, um Schrägaufnahmen zu ermöglichen.
Die Röntgenuntersuchung von Kopf und Wirbelsäule geschieht in genügend tiefer Sedation oder Narkose.Besonders für die Untersuchung des Kopfes und der Halswirbelsäule ist für eine präzise Lagerung und viele Spezialprojektionen eine vollständige Muskelrelaxierung wichtig. Tiere mit Vorbericht eines Traumas sind von dieser Regel ausgenommen. Um unerwünschte kardiovaskuläre Effekte – Blutdruckabfall mit Ischämie – und Muskelrelaxation mit Destabilisierung der Wirbelsäule zu vermeiden, werden die Tiere zunächst ohne Sedation oder Narkose untersucht. Untersuchungen in Narkose sind bei solchen Patienten nur dann indiziert, wenn das klinische Erscheinungsbild und/oder das Röntgenbild eine Operation notwendig machen.

Abb. 6.3
B-Mode und dopplersonographische Darstellung eines portokavalen Shunts. Dorsale Schnittebene mit unmittelbar ventral der Lendenmuskulatur angekoppeltem Schallkopf. Dargestellt ist der bogenförmige Verlauf des Shuntgefässes (sh) von der Portalvene (vp) zur Vena cava caudalis (vc) und die Mündung mit hochturbulentem Fluss (Pfeil) auf Höhe des kranialen rechten Nierenpols (N).
Für Diagnose und Prognose entscheidende Veränderungen der Knochenstruktur sind häufig sehr subtil. Daher werden wie bei der Untersuchung des übrigen Skeletts grundsätzlich feinzeichnende Film-Folienkombinationen verwendet. Ausnahmen sind große Hunde, bei denen gelegentlich auf schnellere Systeme zurückgegriffen werden muss. Die heute zur Verfügung stehenden Verstärkerfolien mit einer Leuchtschicht aus Seltenen Erden oder UV-Systeme verbinden gute Auflösung mit einem im Vergleich zu Kalziumwolframat-Folien hohen Verstärkungsfaktor. Systeme mit flacher Gradation werden bevorzugt. Zur Verbesserung des Bildkontrastes werden bei Objekten mit einem Durchmesser von mehr als 12 cm bewegliche oder stehende Streustrahlenraster eingesetzt.
6.2.2 Röntgen-Tomographie (Schichtaufnahmen)
Die lineare Tomographie ist eine sehr alte Methode und beruht auf dem Prinzip der Bewegungsunschärfe. Die Röntgenröhre wird dabei während der Belichtung in einem Kreisbogen über das Objekt geführt, die Röntgenkassette bewegt sich dabei in Gegenrichtung. Die Lage der Schnittebene des Strahlenfächers (Schichtebene) kann frei gewählt werden. Sie ist die einzige Ebene, die scharf abgebildet wird.Alle anderen Strukturen des Objekts werden verwischt. Die Methode benötigt eine entsprechende technische Einrichtung und leistet bei der Untersuchung komplexer Strukturen wie der Wirbelsäule und des Schädels nach wie vor gute Dienste, auch wenn sie mit den modernen Schnittbildtechniken natürlich nicht Schritt halten kann (siehe Abb. 10.28, 14.7)
6.2.3 Sonographie
Da die Sonographie eine nicht-invasive Untersuchung des Gehirns erlaubt, wird die Neurosonographie in der Humanmedizin zur Untersuchung des ZNS bei Foeten, Neugeborenen und Kindern eingesetzt. Sie spielt beim Menschen auch eine Rolle in der Feststellung des Hirntods. Bei Hund und Katze verspricht diese Technik nur Erfolg, wenn eine offene oder persistierende Fontanelle vorliegt oder als intraoperative Untersuchung, wenn zuvor chirurgisch ein akustisches Fenster geschaffen wurde. Intrakranielle Strukturen wie die Falx cerebri, lateraler und dritter Ventrikel, Mittelhirn, Hirnstamm und Zerebellum können identifiziert und dargestellt werden. Beim kongenitalen Hydrocephalus internus, der oft mit offenen Fontanellen assoziiert ist, kann die Größe der lateralen Ventrikel gemessen werden (3). Intraoperativ können Hirntumore lokalisiert und ultraschallgeführt biopsiert werden. Die Sonographie kann auch in der Untersuchung des Rückenmarkes eingesetzt werden, allerdings nur intraoperativ oder nach Laminektomie. So können Blutungen, andere Raumforderungen und Reste von Bandscheibenmaterial lokalisiert werden. Die Doppleruntersuchung von intrakraniellen und spinalen Gefäßen kann Hinweise auf die Morphologie der Gefäße und die Vitalität des Gewebes geben, z. B. nach einem Trauma, beim Verdacht auf Infarkt oder zur Feststellung eines hohen intrakraniellen Drucks (4, 5, 6).
Die Sonographie spielt weiter eine wichtige Rolle bei der Abklärung von neurologischen Störungen mit medizinischen Ursachen. Ein Screening des Abdomens bei Tumorverdacht oder Untersuchung der Leber und des Portalvenensystems beim Verdacht auf einen portosystemischen Shunt (PSS) sind Beispiele (Abb. 6.3). Abhängig von der Erfahrung des Untersuchers liegt die Sensitivität der sonographischen PSS-Diagnostik bei 90% (7).
Abb. 6.4
Fenstertechnik. In der CT werden Schwächungswerte der Gewebe als HOUNS-FIELD UNITS (HU) in einer Skala von −1000 (Luft) bis +3000 (kortikaler Knochen) angegeben und auf dem Monitor verschiedenen Graustufen zugeordnet. Die Kontrastauflösung kann verbessert werden, wenn bei geeigneter Fensterlage nur ein bestimmter Ausschnitt (Fensterbreite) als Graustufen dargestellt wird. In diesem Beispiel werden alle Gewebe mit einem im Vergleich zu Fett geringeren Absorptionswert als schwarz, alle Gewebe mit einem im Vergleich zu geronnenem Blut höheren Absorptionswert weiß dargestellt.
6.2.4 Computertomographie und Magnetresonanztomographie
6.2.4.1 Computertomographie
Die CT arbeitet wie die Röntgenuntersuchung mit ionisierenden Strahlen (8). Die durch das Objekt geschwächten Röntgenstrahlen werden durch ein mit der Röntgenröhre rotierendes oder statisches Detektorsystem registriert. Nach der anschließenden Digitalisierung der Messwerte und der Bildrekonstruktion liegt im Computer eine Grauwertmatrix vor. Bei den heute in der Klinik eingesetzten CT-Geräten werden die Messwerte zur Ermittlung der Schwächungswerte vor Beginn der Rekonstruktion logarithmiert und nach mehreren Schritten schließlich zu einem Schnittbild verarbeitet. Für eine bessere Vergleichbarkeit werden die rekonstruierten Schwächungswerte auf das Referenzmaterial Wasser normiert. Die relativierten Schwächungswerte werden in Hounsfield-Einheiten (HU) angegeben, Wasser hat den Wert 0, sehr dichter Knochen den Wert 3000, Luft den Wert −1000 (Abb. 6.4). Die Grauwertauflösung wird verbessert, indem die Möglichkeit der Darstellung von Kontrastfenstern mit anschließender Grauwertspreizung genutzt wird. Dabei werden diagnostisch relevante Graustufenbereiche (z. B. der Bereich Weichteile oder Knochen) aus dem gesamten zur Verfügung stehenden Graustufenbereich herausgegriffen und mit Hilfe der »Fenstertechnik« isoliert dargestellt (Abb. 6.4, 6.5). Die CT zeichnet sich daher durch hohe Kontrastauflösung von Knochen-und Weichteilstrukturen aus. Gewisse Nachteile wie relativ lange Untersuchungszeiten sind bei modernen Spiral-CT-und Multislice-CT-Geräten behoben. Im Gegensatz zu der herkömmlichen CT kreist bei der Spiral-CT die Röntgenröhre kontinuierlich mit dem Detektor um den Patienten bei gleichzeitigem kontinuierlichen Patientenvorschub. Die Vorteile sind offensichtlich: Das untersuchte Volumen wird bei kurzen Aufnahmezeiten lückenlos durch aneinandergrenzende oder überlappende Schichten erfasst (9).
Die Kombination von direkten Querschnittbildern, 2-D-Reformationen in anderen Ebenen und dreidimensionale Rekonstruktionen, erlauben präzise Informationen über Lokalisation und Umfang einer spezifischen Struktur und ihre Beziehungen zu benachbarten anatomischen Strukturen. Bei Spiral-CT-Geräten weisen diese Rekonstruktionen eine Qualität auf, die den akquirierten Schnittbildern kaum nachsteht. Diese Informationen sind unabdingbare Voraussetzungen für gezielte und Erfolgversprechende Eingriffe wie Biopsie, Exzi-sion oder die Strahlentherapie eines Tumors (Abb. 6.6). Die Strahlenplanung beruht heute weitestgehend auf CT-basierenden Berechnungen. Auch chirurgische Eingriffe können auf CT basierend zielgenau gesteuert und sogar computergesteuert durchgeführt werden.
Die CT kann eingesetzt werden für Volumenmessungen von normalen Weichteilstrukturen (Ventrikel), in der Diagnostik von intrakraniellen Massen, Infarkten, Hämorrhagien und um die Ursache von reduziertem Liquorfluss abzuklären. Im Vergleich zu anderen Methoden hat die CT im Bereich des Schädel- und Wirbelsäulenskeletts höchste Aussagekraft. Diese anatomisch komplexen Strukturen werden mit CT überlagerungsfrei abgebildet. Die hohe Kontrastauflösung erlaubt es, Fett von neuralem Gewebe und anderen Weichteilen abzugrenzen. Vertebrale, foraminale und lumbosakrale Stenosen durch Bandscheidenmaterial, Fibrosen, knöcherne Zubildungen oder Tumore bedingt, werden somit fassbar. In der Diagnostik kompressiver Rückenmarkserkrankungen kann die Aussagekraft der CT durch Kombination mit Myelographie gesteigert werden (siehe Abb. 14.5).
CT-Untersuchungen (10) werden i. d. R. nativ und nach intravenöser Kontrastmittelgabe durchgeführt. Gebiete erhöhter oder verminderter Durchblutung sowie Prozesse, die zu pathologisch veränderter Blut-Hirn-Schranke führen, können auf diese Weise erfasst und differenziert werden. Neoplasien, Granulome, Abszesse oder Hämatome stellen sich oft unterschiedlich dar und können häufig eindeutig zugeordnet werden. Da auch intra- von extraaxialen Prozessen unterschieden werden können, ist nicht selten auch die Tumorart bestimm- oder eingrenzbar. Die Schwäche der CT liegt in der Darstellung von diffusen Prozessen, die zu keinem Masseneffekt oder keiner Änderung der Gewebedichte führen und die keine Veränderung der Blut-Hirn-Schranke bewirken Die Darstellung von Weichteilen im Bereich sehr dichten Knochens ist wegen bestimmten physikalischen Eigenschaften von Röntgenstrahlen schwierig. Durch Aufhärtung der Röntgenstrahlung im Bereich der hinteren Schädelgrube und der Schädelbasis ist bei der Darstellung von Kleinhirn und Hirnstamm mit Artefakten zu rechnen. Die im Vergleich zu konventioneller Radiologie höhere Strahlendosis spielt in der Tiermedizin ein geringe Rolle und wird durch die gewonnene diagnostische Information mehr als aufgewogen.
Abb. 6.5 a, b
CT-Darstellung eines Schädels mit multilobulärem Osteochondrosarkom. (a) Im Weichteilfenster sind das Gehirn und die Ventrikel dargestellt. Der Schädelknochen und der Tumor erscheinen überwiegend weiß. Die Knochenstruktur ist nicht dargestellt. Fett und Luft sind auf der gewählten Grauwertskala schwarz. (b) Im Knochenfenster ist die Destruktion des Schädelknochens klar erkennbar. Das Sarkom weist die für diesen Tumor typische schollige Mineralisation auf. Hirngewebe und Liquorräume sind nicht unterscheidbar, Fett erscheint dagegen dunkelgrau, Luft schwarz. Siehe dazu auch Abb. 6.6.
Abb. 6.6 a, b
Transversalschnitte durch (a) Th12 und (b) dreidimensionale Rekonstruktion des hinteren Brustkorbes bei einem Hund mit einem Chondrosarkom. Die transversalen Schnitte (Knochenfenster) zeigen eine aggressive Knochenläsion mit Osteolyse und Knochen-Proliferation und erheblicher intrathorakaler Weichteilkomponente ventral. Der unmittelbar ventral der Aorta dargestellte Ösophagus (O) enthält Luft. Dreidimensionale Darstellung der räumlichen Verhältnisse mit dem Tumor (Pfeilspitzen) des 12. Brustwirbels und Rippe von kranioventral. Der letzte dargestellte Wirbel ist L1, erkennbar an den Seitenfortsätzen. (Abb.: Barbara Kaser-Hotz, Zürich)

Abb. 6.7 a, b
MRT-Grundlagen. Entstehung des Signals. (a) Freie Protonen richten sich in einem starken Magnetfeld parallel und antiparallel aus und kreiseln (Präzession) dabei in einer bestimmten Frequenz (Larmorfrequenz) um ihren Nordpol. Durch einen Hochfrequenzimpuls, der die gleiche Frequenz des Kerns besitzt, wird Energie übertragen (Resonanz). Die Kernspins werden auf ein höheres Energieniveau und gleichzeitig in Phase gebracht (b).
Nach Ende des Impulses kehren die Kerne wieder in ihre ursprüngliche Lage im Magnetfeld zurück (Längs-Relaxation, T1-Effekt) und dephasieren (Quer-Relaxation, T2-Effekt). Dabei wird ein Signal abgeben, das zur Bildgebung verwendet werden kann. Die blauen Pfeile stellen Richtung und relative Stärke der Magnetisierung dar.
6.2.4.2 Magnetresonanztomographie
PURCELL und BLOCH beschrieben unabhängig voneinander bereits im Jahre 1946 die kernmagnetische Resonanz (NMR). 1973 erstellte LAUTERBUR (11) die ersten Bilder auf dieser Basis. Da die kernmagnetische Resonanz ohne ionisierende Strahlung auskommt, stellt sie ein ideales nicht in-vasives bildgebendes Verfahren dar, das eine Vielzahl an globalen und regionalen Informationen über die Morphologie und Pathophysiologie von Organen liefert. Dabei werden gewisse physikalische Eigenschaften (Kernmagnetismus) von elektrisch geladenen Kernteilchen genutzt und zur Bildgebung verwendet. Da das magnetische Moment der Kernteilchen nur dann nach außen wirksam wird und registriert werden kann, wenn im Atomkern eine ungerade Zahl von Kernteilchen vorliegt, können nur Atomkerne mit ungerader Kernteilchenzahl zur Bildgebung verwendet werden. Das häufigste und in der MRT daher wichtigste Atom mit ungerader Kernteilchenzahl ist Wasserstoff. Nach der Quantentheorie verhält sich ein Wasserstoffatomkern wie ein rotierender Kreisel, der einen Drehimpuls um seine Rotationsachse besitzt, den sog. Kernspin. Dabei wird ein Magnetfeld erzeugt. Die Rotationsachsen der Kernspins nehmen im Raum zufällige und ungeordnete Orientierungen ein.Wenn diese Kernspins in ein starkes statisches Magnetfeld (bis zum 30000-fachen des Erdmagnetfeldes) gebracht werden, werden die Rotationsachsen der Kernspins polarisiert – sie richten sich entlang der Feldlinien des äußeren Magnetfeldes parallel oder antiparallel aus. Bei der Magnetresonanz wird den polarisierten Kernspins durch einen kurzen Hochfrequenzimpuls Energie zugeführt. Die zuvor polarisierten Kernspins werden durch diesen Impuls angeregt, aus ihrer Ausgangslage gekippt und präzedieren mit einer zur Feldstärke des äußeren Magnetfeldes proportionalen Frequenz. Der Kernmagnetismus der rotierenden Kerne bewirkt eine Magnetisierung senkrecht zur Hauptpolarisationsrichtung. Diese Quermagnetisierung kann eine Spannung in einer Empfangsantenne induzieren, die sich verstärken, messen und auf ihre Frequenzanteile hin analysieren lässt. Man spricht bei diesem Vorgang von Magnetresonanz, weil die Energieübertragung auf den Kernspin nur dann stattfindet, wenn der verwendete Hochfrequenzimpuls die Resonanzfrequenz des Kerns besitzt. Die Resonanzfrequenz wird Larmorfrequenz genannt.Verschiedene Atomkerne haben verschiedene Larmorfrequenzen, die durch die Feldstärke des äußeren Magnetfeldes beeinflusst werden (Abb. 6.7).
Nach Ende des Hochfrequenzimpulses streben die Protonen wieder in ihre Ausgangslage zurück. Man spricht von Relaxation. Dabei werden grundsätzlich zwei Phänomene unterschieden, die T1- und die T2-Relaxation. Bei der T1-Relaxation richten sich die Protonen aus ihrer gekippten Lage auf, und die Kernspins werden längs der Magnetfeldlinien des äußeren Magnetfeldes ausgerichtet. T1 wird deswegen auch als longitudinale Relaxation bezeichnet. Die Dauer der T1-Relaxation wird als die T1-Relaxationszeit beschrieben. Ihre Dauer hängt von der magnetischen Flussdichte, der Temperatur und der Qualität des relaxierenden Stoffes ab und liegt für Flüssigkeiten im Bereich von Sekunden, für Weichteilgewebe im Bereich von Zehntelsekunden.
Durch den Hochfrequenzimpuls werden die Kernspins nicht nur gekippt, sondern auch in Phase gebracht. Anschließend findet eine schnelle Dephasierung statt, die T2-Relaxation. Da die Dephasierung der Kernspins quer zum äußeren Magnetfeld erfolgt, wird dieser Vorgang auch als transversale Relaxation (Querrelaxation) bezeichnet. Er ist abgeschlossen, wenn die Kernspins der einzelnen Spins sich gegenseitig vollständig neutralisieren. Die T2-Relaxationszeit hat wie die T1-Relaxa-tionszeit großen Einfluss auf die Signalintensitäten und Bildkontraste. AufT2-gewichteten Aufnahmen haben Gewebe mit kurzen T2-Relaxationszeiten wie das Hirngewebe eine vergleichsweise niedrige Signalintensität, Liquor cerebrospinalis hat dagegen eine lange T2-Relaxationszeit und auf T2-gewichteten Aufnahmen deswegen eine hohe Signalintensität (12, 13, 14).
Abb. 6.8 a, b
MRT-Untersuchung eines Schädels vor und nach KM-Injektion. (a) In der T1w-Nativstudie ist nur eine diskrete Verschiebung des 4. Ventrikels nach dorsal und rechts zu sehen (weißer Pfeil), die eigentliche Läsion ist isointens zum umgebenden Hirngewebe. (b) Nach KM-Gabe weist der Tumor, in diesem Falle eine Gliom, eine starke ringförmige KM-Aufnahme auf.
Wie oben dargestellt liefert die MRT wegen der unterschiedlichen Zahl freier Protonen und deren unterschiedlichen chemischen Bindung in verschiedenen Geweben hervorragende Weichteilkontraste. Direkte sagittale, transversale (axiale) oder dorsale Aufnahmen machen Bildrekonstruktionen wie bei der CT weitgehend überflüssig. Im Nervensystem erlaubt dies die direkte und anatomisch genaue Wiedergabe von grauer und weißer Substanz, vom Ventrikelsystem mit der Zerebrospinal-flüssigkeit, von Rückenmark, Bandscheiben und umgebendem Fett. Nur die Auflösung von kompakten knöchernen Strukturen gelingt mit MRT schlecht (14).
Ähnlich wie in der CT kann die Aussagekraft einer Untersuchung durch Kontrastmittelinjektionen zusätzlich verbessert werden. Dabei werden paramagnetische Substanzen wie das intravenös applizierbare Gadolinium-DTPA verwendet, das 1984 erstmals klinisch eingesetzt wurde. Paramagnetisch bedeutet, dass Wasserstoffprotonen in der Nähe von Gadolinium einem verstärkten Magnetfeld ausgesetzt sind, so dass der Energieaustausch bei der Magnetresonanz beschleunigt und die T1-Relaxationszeit der Wasserstoffprotonen verkürzt wird. Dies führt zu einer Steigerung der Signalintensität und Kontrastverstärkung gegenüber Geweben ohne Kontrastmittelanreicherung. Bei der kontrastmittelunterstützten MRT intrakranieller Läsionen ist das Kontrastmittel Gd-DTPA in der Lage, eine fehlende oder gestörte Blut-Hirn-Schranke durch eine Verkürzung der T1-Zeit nachzuweisen. Eine normale Blut-Hirn-Schranke verhindert das Austreten des Kontrastmittels in den Extrazellulärraum, und Kontrastmittelanreicherung im gesunden Hirngewebe bleibt deshalb aus. Der Kontrast zwischen erkranktem und gesundem Gewebe wird durch den KM-Austritt erhöht (Abb. 6.8). In anderen Geweben besteht keine der Blut-Hirn-Schranke vergleichbare Barriere. Trotzdem weisen viele erkrankte Gewebe eine gesteigerte Affinität für das Kontrastmittel auf, so dass Kontrastmittel in verschiedensten Körperbereichen und bei Pathologien (z. B. Entzündungen) zu einer Erhöhung der Signalintensität führen können. Unter Anwendung moderner Messverfahren und der Injektion des Kontrastmittels als Bolus sind zusätzlich Aussagen über die Durchblutung, die Vaskularisation und die Gefäßpermeabilität eines Gewebes möglich (MR-Angiographie) (15, 16).
6.2.4.3 Vergleich der Untersuchungsmethoden
Physikalische Unterschiede zwischen CT- und MRT-Untersuchungen sind in Tabelle 6.1. dargestellt. Beide Untersuchungen müssen in Narkose durchgeführt werden. Die Tiere können in Sternal- oder Rückenlage stabil mit horizontal gelagertem Kopf untersucht werden, wobei die Sternallage offenbar bevorzugt wird. Bei der CT-Untersuchung des Schädels sollten die Gliedmaßen nicht neben dem Kopf gelagert werden. Bei metallischen Implantaten ist vor einer MRT Untersuchung abzusichern, dass diese antimagnetisch sind. Allerdings werden bei einer MRT-Untersuchung jedes metallische Implantat inklusive Transponder zur Identifikation der Tiere und Instrumente wie Pulsoxymeter, die im Untersuchungsfeld liegen, Artefakte verursachen. Bei der CT werden sehr röntgendichte Implantate oder Fremdkörper ebenfalls zu Artefakten führen.
Tabelle 6.1: Physikalische Unterschiede zwischen Computertomographie und Magnetresonanztomographie
CT | MRT |
■Schnittbildverfahren durch Einsatz ionisierender Strahlen. |
■Schnittbildverfahren ohne ionisierende Strahlen. |
■Beruht auf Schwächung von Röntgenstrahlen, abhängig von Protonenzahl und physikalischer Dichte des Gewebes. |
■Signal beruht auf Protonen-Dichte und chemischer Zusammensetzung eines Gewebes. |
■Normalerweise nur eine Schnittrichtung möglich. |
■Direkte Darstellung jeder gewünschten Ebene möglich. |
■Hohe Kontrastauflösung, Methode der Wahl zur Darstellung von Knochen. Sehr sensitiv bei Blutungen. |
■Exzellente Kontrastauflösung, Methode der Wahl zur Darstellung neuraler Strukturen wie Gehirn, Rückenmark und Nervenwurzeln. Darüber hinaus Aufschluss über Liquor-und Blutfluss, Gewebeperfusion, Gewebediffusion und chemischer Zusammensetzung. ■Wenig Information bei dichtem Knochen. |
■Artefakte durch Aufhärtung der Röntgenstrahlen im Bereich sehr dichten Knochens (z. B. hintere Schädelgrube des Hundes). |
■Artefakte durch Pulsation von Gehirn, Liquorräumen und großen Gefäßen. |
Beim Schädel haben sich Transversalschnitte als primäre Untersuchungsebene bei CT und MRT bewährt. Umlagern des Tieres oder Änderung der Kopfhaltung erlauben auch bei der CT andere Schnittebenen (z. B. dorsale). Bei der Wirbelsäule erlaubt die CT nur transversale Schnitte, während bei der MRT die sagittale die primäre Schnittebene darstellt, gefolgt von transversalen und dorsalen oder jeder anderen gewünschten Schnittebene. In der CT beschränken sich die wählbaren Aufnahmeparameter im Wesentlichen auf die Wahl der Region, die untersucht werden soll, der Schichtdicken, des Vortriebs des Tisches und in kleinem Maße der Gantry-Neigung. Die MRT-Protokolle sind weitaus komplexer. Zur Grunduntersuchung gehören T1w- (zu lesen als T1 gewichtete) und T2w-Sequenzen, evtl. Pw- (Protonen gewichtete) oder eine Inversions-Rückkehr-Sequenz zur Unterdrückung des Signals freier Flüssigkeit oder von Fett.
Kontrastuntersuchungen sind ein wichtiger Bestandteil beider Techniken. Bei der CT werden jodierte Kontrastmittel (siehe Kap. 6.3.2) in einer Dosierung von etwa 600 mg Jod/kg intravenös verabreicht. Bei der MRT werden paramagnetische Substanzen wie Gadolinium DTPA in einer Dosierung von 0, 1mmol/kg KGW eingesetzt (15). Dynamische Untersuchungen können gerade bei der Untersuchung der Hypophyse, aber auch bei Tumorverdacht in der Differenzierung von pathologischen Prozessen hilfreich sein (2, 17). Die Aussagekraft von computertomographischen Untersuchungen von Rückenmarkserkrankungen kann durch Kombination mit Myelographie gesteigert werden (Technik siehe Kap. 6.3.2). Bei der MRT kann ein Myelographie-Effekt durch sehr stark T2-gewichtete Sequenzen auch ohne KM-Injektion erzielt werden.
6.2.4.4 Grundsätze der Interpretation
Die hohe räumliche Auflösung und die gute Kontrastauflösung der tomographischen Techniken haben erst die direkte Darstellung des in der Schädelkapsel verborgenen Gehirns und des im Wirbelkanal eingeschlossenen Rückenmarkes möglich gemacht. Über die Darstellung der normalen makroskopischen Anatomie und Pathologie hinaus können besonders mit der MRT Untersuchungen über Blut- und Liquorfluss und die Gewebeperfusion durchgeführt werden. Die normale und pathologische Gewebediffusion und -chemie können mit geeigneten Geräten und Sequenzen erfasst werden.
Diese noch längst nicht abgeschlossenen Möglichkeiten tomographischer Techniken stellt neue Anforderungen an den Radiologen. Die anatomischen, pathophysiologischen und neuropathologischen Kenntnisse müssen ausreichen, um die dargestellten morphologischen Strukturen, normalen anatomischen Strukturen oder Pathologien zuzuordnen und diese im klinischen Kontext zu verstehen.
Besonders die Schnittbildanatomie muss neu erarbeitet werden. Hilfreich sind Werke wie der MRT- und CT-Atlas von ASSHEUER und SAGER (18). Die Schwierigkeit besteht darin, dass anatomische Strukturen in jeder der drei üblichen Schnittrichtungen (sagittal, transversal und dorsal) jeweils nur zweidimensional und in unterschiedlicher Form und Größe dargestellt werden. Der Untersucher muss in der Lage sein, die Dreidimensionalität im Kopf zu rekonstruieren. Bei der zu wählenden Schnittebene spielt die Ausdehnung der interessierenden Struktur eine große Rolle. Sie wird üblicherweise in der Ebene am besten erfasst, in der sie die größte Ausdehnung hat.
Bei der MRT ist die Signalgebung eine weitere Herausforderung für den Radiologen. Durch die Myelinisierung ändert sich die Signalgebung postnatal. Auf T1-gewichteten (T1w) Aufnahmen haben Gewebe mit kurzen T1-Relaxationszeiten wie Fett (auch Strukturen, die Kontrastmittel anreichern) eine hohe Signalintensität. Stoffe mit langen T1-Relaxationszeiten wie Liquor cerebrospinalis haben dagegen eine niedrige Signalintensität.Weil das Marklager des Gehirns im Vergleich zur Rinde kürzere T1-Relaxationszeiten aufweist, wird das Marklager auf T1-gewichteten Aufnahmen signalintensiver dargestellt. Dieser Effekt ist sequenzabhängig: So verstärken Inversions-Rückkehr-Sequenzen (IR) diesen Effekt, der Kontrast zwischen weißer und grauer Substanz wird verstärkt, der Kontrast zwischen grauer Substanz und dem Liquor vermindert. Krankhafte Veränderungen in Geweben führen in der Regel zu einerVerlängerung der T1-Relaxationszeit und werden deswegen auf T1-gewichteten Aufnahmen signalärmer als das normale Gewebe abgebildet.
Abb. 6.9 a, b
FLAIR-Sequenz zur Unterdrückung von normalem Liquor. Es handelt sich hierbei um eine T2-gewichtete Sequenz, bei der durch einen Inversionsimpuls (Zeit abhängig von der Feldstärke des Magneten) das normale Liquorsignal unterdrückt wird. Bei diesem Hund mit Abszess und Pyozephalus ist die Zusammensetzung des Liquors im linken Ventrikel (v. a. Proteingehalt) verändert. Das Signal dieses veränderten Liquors ist deshalb nicht unterdrückt (Signalanhebung) und kann vom normalen Inhalt des rechten Seitenventrikels unterschieden werden. (Abb. aus Seiler et al. 2001 [201]. Mit freundlicher Genehmigung durch Blackwell Publ.).
Wie oben erwähnt, hat Hirngewebe im Allgemeinen gegenüber dem Liquor cerebrospinalis eine vergleichsweise niedrige Signalintensität, bedingt durch die lange T2-Relaxationszeit des Liquors. Der Kontrast der weißen zur grauen Substanz ist umgekehrt wie bei einer T1w-Sequenz: Graue Substanz ist in T2w-Aufnahmen signalintensiver als die weiße. Auch können in T2w-Sequenzen die basalen Hirnarterien wegen des großen Kontrasts zwischen den signalintensiven Liquorräumen und dem flussbedingten Signalverlust in den Gefäßen dargestellt werden. Krankhafte Gewebsveränderungen führen i. d. R. zu einer Verlängerung der T2-Relaxationszeit und werden deswegen auf T2-gewichteten Aufnahmen signalintensiver als das normale Gewebe abgebildet.
Zusammengefasst eignen sich T1w-Sequenzen bei gutem Kontrast zwischen weißer und grauer Substanz hervorragend zur Darstellung der Anatomie des Hirngewebes, T2w-Sequenzen zur Darstellung der Liquorräume, aber auch eisenhaltiger Strukturen wie der Basalganglien und Kerngebiete im Hirnstamm und Kleinhirn. Spezialsequenzen und KM-Aufnahmen können den Kontrast zwischen Geweben selektiv erhöhen (Abb. 6.9). Details zur Interpretation sind bei den entsprechenden Erkrankungen zu finden.
Aufgrund der in den Kapiteln zu CT und MRT beschriebenen Eigenschaften ist die MRT der CT in der Diagnostik bei vielen Erkrankungen des Gehirns (z. B. Tumore, Infarkte) überlegen. Auch in der Darstellung von Rückenmark, Nervenwurzeln, Cauda equina und Spinalnerven bietet MRT Vorteile, da der Kontrast zwischen Liquor cerebrospinalis, Rückenmark, Nerven und Fett durch entsprechende Aufnahmesequenzen selektiv erhöht werden kann.Wegen der hohen Sensitivität der MRT bei Rückenmarkserkrankungen hat in der Humanmedizin die MRT die Myelographie schon weit zurückgedrängt.
6.2.5 Nuklearmedizinische Methoden
In der Kleintierneurologie haben nuklearmedizinische Untersuchungsmethoden wie Szintigraphie oder ECT (Emissions-Computer-Tomographie), bei der die g-Kamera durch ein rotierendes Detektorsystem ersetzt ist, SPECT (SinglePhotonEmissions-Computer-Tomographie) zum Nachweis der Perfusion, oder PET (Positronen-Emissions-Computer-Tomographie) zur Darstellung und Quantifizierung von Stoffwechselvorgängen und der Mikrozirkulation nur sehr beschränke praktische Bedeutung erlangt.Vor allem die Kno-chenszintigraphie für die Suche nach Skelettmetastasen bei Tumoren oder nach Lahmheitsursachen (Abb. 6.10) und die Szintigraphie der Thyreoidea haben im Kontext dieses Buches eine gewisse Bedeutung. PET wird auch in der Tiermedizin vor allem in der klinischen Tumorforschung eingesetzt (10, 19).
6.3 Wirbelsäule
6.3.1 Röntgenuntersuchung
Die Wirbelsäulenregion mit der vermuteten Läsion muss immer mit (mindestens) zwei Aufnahmen, einer seitlichen und einer ventrodorsalen, dargestellt werden. Lediglich als grobe Übersicht mögen seitliche Projektionen ausreichend sein. Um geometrische Verzeichnung und Überlagerungen vor allem im Bereich der Zwischenwirbelspalten zu vermeiden, muss beachtet werden, dass die Länge der Kassetten oder das eingeblendete Untersuchungsfeld auch bei großen Hunden nicht länger als 30 cm sein soll. Die verschiedenen Wirbelsäulenabschnitte werden gesondert dargestellt: Bei großen Hunden bedeutet dies jeweils eine Aufnahme für die obere und untere Hals-, die Brust- und die Lendenwirbelsäule sowie die Übergänge Brust-Lendenwirbelsäule und Lendenwirbelsäule-Kreuzbein.
Die beiden Standardprojektionen sind für eine detaillierte Darstellung der Wirbelsäule oft nicht ausreichend. Die Foramina intervertebralia werden durch zusätzliche ventrodorsale Projektionen mit etwa 30° um die Längsachse rotiertem Körper abgebildet. Der genaue Grad der Rotation hängt von Spezies, Rasse und dem untersuchten Wirbelsäulenabschnitt ab. Der Dens axis lässt sich am besten mit einer seitlichen Projektion mit leicht um die Längsachse rotiertem Schädel darstellen (Abb. 6.11). Bei der Frontalprojektion durch den geöffneten Fang (Hund, Katze) ist wegen der entstehenden Flexion größte Vorsicht geboten. Stressaufnahmen in Beugehaltung zum Nachweis einer Instabilität sind wegen der Verletzungsgefahr des Halsmarkes obsolet.Tief zervikale und lumbosakrale Spondylopathien mitVerdacht auf eine Instabilität erfordern dagegen häufig Aufnahmen in Ventral- respektive Dorsalflexion (Extension), die in Kombination mit einer Myelographie wichtige diagnostische und prognostische Informationen liefern (Abb. 6.27). Aufnahmen unter Traktion helfen bei der Differenzierung von Bandscheibenprotrusion gegenüber -ex-trusion (Prolaps) im Halsbereich mit entsprechenden Konsequenzen für die zu wählende Therapie. Bei Stressaufnahmen ist stets Vorsicht geboten: Eine Gewaltanwendung kann besonders bei instabilen Halswirbelgelenken die bestehende Kompression des Halsmarkes verstärken und die neurologischen Störungen bis zur Tetraplegie verschlimmern.
Eine präzise Lagerung der Wirbelsäule zur Vermeidung von Projektions- und Überlagerungs-Artefakten ist Voraussetzung für die Beurteilung der Wirbelsäule. Wegen der oft großen Unterschiede im Umfang zwischen einzelnen Körperregionen müssen Kopf, Hals, und Lendenregion mit Kissen unterlegt werden, ebenso die Vorder- und Hintergliedmaßen zur Vermeidung von Rotations-Artefakten.
Die Lagerung der Tiere in Rückenlage gelingt am einfachsten mit Schaumstoffkissen in verschiedenen Größen. Um Überlagerungen zwischen Os occipitale einerseits, Atlas und Epistropheus andererseits zu vermeiden, wird in Rückenlage zusätzlich der Nasenrücken unterstützt. Für eine verzeichnungsfreie Projektion der Zwischenwirbelspalten der kaudalen Halswirbelsäule, muss die Röntgenröhre um etwa 10° nach kranial gekippt werden. Um eine lagerungsbedingte Lordose der Brust- und Lendenwirbelsäule zu vermeiden, werden die Hintergliedmaßen für Aufnahmen dieser Region nicht nach hinten gestreckt. Die Zwischenwirbelspalten des thorakolum-balen Übergangs werden durch leichtes Drehen der Röntgenröhre nach kranial orthograd abgebildet.
Abb. 6.10
Knochenszintigraphie von Kopf, Hals, Thorax und Vordergliedmaße bei einem 5-jährigen West Highland White Terrier mit leichtgradiger Monoparese vorne rechts und hochgradigem Schmerzsyndrom. Röntgen-Übersichtsaufnahmen und Myelographie der Wirbelsäule waren negativ. Die Knochenszintigraphie mit Tc99m-HDP zeigt eine hochaktive Zone rechts im 2.Thorakalwirbel (T2), vereinbar mit einem primären Knochentumor oder einer Knochenmetastase. Die histopa-thologische Diagnose war Osteosarkom.
Abb. 6.11 a, b
Projektion des Dens axis. (a) Bei der seitlichen Projektion überlagern sich Atlasflügel und Dens axis. (b) Durch Rotation des Kopfes gelingt die überlagerungsfreie Darstellung des Dens problemlos.
Eine detaillierte und überlagerungsfreie Darstellung der Wirbelsäule und seiner Strukturen bedarf einer CT- oder MRT-Untersuchung. Mit der CT ist es möglich, das Wirbelsäulenskelett in transversal geführten Schnitten darzustellen. Durch geeignete Fensterung wird die Kontrastauflösung der Skelettstrukturen (Knochenfenster) oder Weichteile (Weichteilfenster) optimiert. Eine longitudinale Darstellung bedarf computergenerierter Rekonstruktionen in der Sagittal- oder Dorsalebene. Die neue Generation von Computertomographen (Spiral-Multislice-CT) erlaubt heute Rekonstruktionen in ähnlicher Qualität wie die originalen Schnitte. Andere Rekonstruktionsebenen und dreidimensionale Rekonstruktion sind wichtige Hilfen zum Verständnis der normalen und pathologischen Anatomie.Während die CT wichtigstes Instrument bei der Darstellung der Wirbelsäule und seiner Pathologien darstellt, ist die MRT die Methode der Wahl zur Darstellung der neuralen Strukturen mit besonderem Gewicht im Bereich der Nervenwurzeln und der Cauda equina (20, 21).
6.3.1.1 Grundsätze der Interpretation
Für die Interpretation von Wirbelsäulenaufnahmen ist die Kenntnis der Anatomie und ihrer anatomischen Varianten sowie von regionalen und projektionsbedingten Besonderheiten eine wesentliche Voraussetzung, ebenso eine systematische Beurteilung (20, 22).
Folgende anatomische Besonderheiten sind bei Hund und Katze zu beachten:
■Die Processus transversi sind sehr groß.
■Es gibt Aufhellungen im Bereich der Wirbelkörper und des Wirbelkanals, entstanden durch Überlagerung der Ansatzstellen der Processus transversi, am auffälligsten bei C5 und C6 und durch verschiedene Gefäßlöcher (Foramina transversaria).
■Im Bereich zwischen mittlerer Brustwirbelsäule und etwa L6, kommt es zu mehr oder weniger auffälligen Überlagerungen der Foramina intervertebralia durch die Processus accessorii (abhängig von deren Ausbildung und Projektion).
■Th11 wird als antiklinaler Wirbel (Vertebra anticlinalis) bezeichnet, die Richtung der Dornfortsätze ändert von einer kaudalen in eine kraniale Richtung.
■Das Spatio intervertebrale von Th10–Th11 ist normalerweise enger als die benachbarten.
■Durch die Überlagerung des Darmbeins zwischen L7 und S1 erscheint der Intervertebralspalt verschattet; er ist breit und meist leicht keilförmig.
■Der lumbosakrale Winkel ist sehr variabel, abhängig von Flexion oder Extension.
■Die ventralen Konturen von L3 und L4 sind unscharf: Insertion der Zwerchfellpfeiler.
■Auf ventrodorsalen Aufnahmen ohne entsprechende Korrektur des Projektionswinkels werden die Zwischenwirbelspalten der kaudalen Halswirbelsäule der kranialen Brustwirbelsäule, und des thorakolumbalen Übergangs projektionsbedingt enger dargestellt.
Eine systematische Untersuchung ist wesentlich, wenn wichtige Veränderungen nicht übersehen werden sollen. Die einzelnen Elemente werden z. B. von kranial nach kaudal, von ventral nach dorsal (seitliche Projektion) und auf Symmetrie hin (ventro-dorsale Projektion) beurteilt. Das Untersuchungsprotokoll beinhaltet eine Beurteilung der Weichteile, Wirbelzahl, Form und Konturen der Wirbelsäule. Form, Größe und Konturen der einzelnen Wirbel, Knochendichte, Breite und Form der Zwischenwirbelspalten und Zwischenwirbellöcher, des Wirbelkanals sowie der Fazettengelenke und anderen Wirbelfortsätze.
6.3.1.2 Weichteile
Bei Erkrankungen der Wirbelsäule können Weichteile wichtige Hinweise auf die Krankheitsursache liefern. Daneben sind Veränderungen außerhalb des axialen Skeletts oft Begleiterscheinungen besonders bei Trauma aber auch bei neoplastischen oder infektiösen Prozessen. 40 bis 60% der Hunde und Katzen mit Wirbelsäulenverletzungen weisen auch Weichteilveränderungen auf. Entsprechende Aufmerksamkeit ist deshalb thorakalen und abdominalen Strukturen zu schenken. Weichteiltumore wie maligne Lymphome oder Nervenwurzeltumore können extraskelettale Anteile aufweisen (23).
Tumore können mit dem Wirbelkanal über Foramina intervertebralia kommunizieren oder den Knochen infiltrieren (Abb. 6.6 und 6.30). Im ersten Fall können etwa erweiterte Foramina, im zweiten Fall osteolytische Veränderungen gesehen werden. Lymphadenomegalie der Lnn. iliacae externae kann Zeichen einer metastatischen Erkrankung im Zusammenhang mit Prostata-, Harnblasen- und anderen Tumoren, aber auch Infektionen des Hypogastriums und der Perineal-region sein. Tumore sind oft begleitet von rauhen ventralen Wirbelkonturen, die auf einen infiltrativen Prozess hinweisen. Weitere Begleiterscheinungen sind dystrophische Mineralisation oder Knochenneubildung bei Tumoren oder Gaseinschlüsse (Emphyseme) bei Verletzungen oder Abszessen. Calcinosis circumscripta ist eine tumorähnliche, schollig mineralisierte Weichteilveränderung über Knochenvorsprüngen vor allem im Halsbereich. Seltene radiologisch und histologisch ähnliche Veränderungen wurden im Raum zwischen den Wirbelbögen des Atlas und Axis beschrieben. Sie führen zu extraduralen Kompressionen des Halsmarkes (24, 25).
6.3.1.3 Form und Verlauf
Die normale Wirbelsäule hat einen geschwungenen Verlauf. Die sanfte dorsale Krümmung der kranialen Halswirbelsäule wird von einer recht markanten, aber physiologischen Lordose im Bereich des zervikothorakalen Übergangs abgelöst. Die Brust- und Lendenwirbelsäule verläuft mehr oder weniger gerade oder sanft gekrümmt, der lumbosakrale Übergang weist wiederum eine physiologische Lordose auf. Der Übergang von einem Wirbel zum nächsten erfolgt normalerweise ohne Stufe.Abnormale Krümmungen (Tabelle 6.2) wie Kyphosen (nach dorsal), Lordosen (nach ventral) oder Skoliosen (nach lateral) werden unter anderem bei kongenitalen Anomalien gesehen und sind oft mit Keil- und Blockwirbeln vergesellschaftet (Abb. 6.12). Je nach Typ des Keilwirbels kommt es zu oft markanten Kyphosen oder Skoliosen.
Tabelle 6.2: Ursachen abnormaler Formen der Wirbelsäule: Kyphose, Lordose, Skoliose, Stufen
■Anomalien wie Hemivertebra, lumbosakrale Übergangswirbel ■Atlantoaxiale Subluxation, angeboren oder erworben ■Zervikale und lumbosakrale Malartikulation/Malformation ■Luxation/Subluxation ■Frakturen und abnormale Frakturheilung ■Haltungsbedingt |
Frakturen, Luxationen und Subluxationen können jeden Teil der Wirbelsäule betreffen. Prädilektionsstellen beim Kleintier sind die Übergänge Kopf-Hals-, Hals-Brust-, BrustLenden- und Lenden-Sakralwirbelsäule.Wirbelkörper, Quer-und Dornfortsätze sind am häufigsten betroffen (26). Markante Achsabweichungen sind vor allem bei Frakturen und Luxationen der Lendenwirbelsäule, weniger bei solchen der Brustwirbelsäule zu beobachten (siehe Abb. 10.25–10.28). Die exakte Darstellung der Frakturen mit konventionellen Methoden ist oft schwierig und erfordert Aufnahmen in verschiedenen Ebenen. Bei entsprechendem Verdacht werden die Aufnahmen ohne Narkose oder Sedation durchgeführt, um eine weitere Destabilisierung oder unerwünschte vaskuläre Effekte zu vermeiden. Untersuchungen in Narkose sind dann indiziert, wenn der neurologische Zustand oder der Röntgenbefund einen chirurgischen Eingriff als notwendig erscheinen lässt. Zum Zeitpunkt der Untersuchung sind die Achsabweichungen oft gering und reflektieren das Geschehen während der Krafteinwirkung nur schlecht (27). Daher darf von einem auf den ersten Blick harmlosen Röntgenbild nicht ohne weiteres auf eine stabile Wirbelsäule geschlossen werden. Frakturen und Luxationen werden oft von traumatischen Diskusprolapsen begleitet. Engen Zwischenwirbelräumen ist entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken. Muskelkontrakturen und Paresen (Nervenwurzelsyndrom) sowie Schmerzzustände im Bereich der Wirbelsäule, aber auch abdominale Schmerzen sind weitere Ursachen einer abnormalen Haltung und Form der Wirbelsäule
Atlantoaxiale Subluxation kann durch Agenesie und Hypoplasie, fehlende Fusion oder Fraktur des Processus odon-toideus (Dens axis) sowie Ruptur der Bänder zwischen Okzi-put, C1 und C2 verursacht sein (28). Beim gesunden Tier überragt der große Processus spinosus des C2 den Arcus dor-salis von C1 oder liegt unmittelbar kaudodorsal davon. Der gerade Processus odontoideus liegt ventral in der Mittellinie und lässt sich mit einer leicht um die Längsachse rotierten Aufnahme darstellen. Näheres siehe Kapitel spezifische Rückenmarkserkrankungen. Okzipito-atlanto-axiale Malformationen sind beim Kleintier sehr selten (Katze). CT und vor allem die MRT sind sensitive Methoden, um insbesondere Veränderungen des Bandapparates zu untersuchen (29, 30).
Abb. 6.12
Multiple Missbildungen der zervikalen Wirbelsäule eines 5 Monate alten Flat Coated Retrievers. Der Atlas ist verkürzt und deformiert, C2 und C3 bilden einen Blockwirbel. C4-C6 sind teilweise fusioniert und asymmetrisch als Keilwirbel ausgebildet, was zu einer Skoliose der HWS führte.
Die zervikale Spondylo-Myelopathie (Malformation-Malartikulation oder Wobbler-Syndrom) führt häufig zu Achsabweichungen und Subluxationen einzelner Wirbel mit Störung der Kontinuität und Kontur des Wirbelkanals (siehe Abb. 14.4). Bei der bekanntesten Form (Deutsche Dogge, Dobermann) ist fast immer die kaudale Halswirbelsäule zwischen C4 und C7 betroffen, wobei oft mehr als ein Bewegungssegment verändert ist (31). Bei Bassets und Bulldoggen ist eine erbliche Form einer zervikalen Instabilität des Segments C3-C4 beschrieben. Folgende Veränderungen können bei der zervikalen Spondylo-Myelopathie einzeln oder in Kombination auftreten: missgebildete Wirbelkörper mit rhomboider oder dreieckiger Form, dorsale Subluxation der oft abgeschrägten kranialen Wirbelendplatte, mineralisierte Bandscheiben sowie aufgrund von Diskusprolapsen verengte Zwischenwirbelspalten. In der seitlichen Projektion verjüngt sich der Wirbelkanal der betroffenen Wirbel in kaudo-kranialer Richtung, verursacht durch missgebildete Bogenwurzeln, die zu einer Abflachung undVerengung des kranialen Teils des Foramen vertebrale führen. Oft sind auch die Facettengelenke missgebildet oder durch osteoarthritische Veränderungen deformiert. Degenerative spondylotische Zubildungen sind häufige Begleiterscheinungen. Die dorsale Subluxation kann statisch oder dynamisch sein (32). Dynamische Veränderungen werden durch Flexion des betreffenden Halsabschnittes akzentuiert. Die dynamisch verstärkte Kompression des Rückenmarkes erfordert eine Myelographie mit entsprechender dynamischer Untersuchung (Flexion, Extension, Traktion) des betroffenen Abschnittes.
Die Cauda-equina-Kompression des Hundes kann verschiedenste Ursachen haben: kongenitale und entwicklungs- bedingte, entzündliche, traumatische, neoplastische sowie degenerative. Die häufigste und klinisch bedeutungsvollste Erkrankung des lumbosakralen Übergangs ist die degenerative lumbosakrale Stenose (DLSS) großer Hunderassen (33, 34, 35, 36, 37, 38, 39). Als eine mögliche Ursache wird in der Literatur die lumbosakrale Instabilität genannt, die als dynamische ventrale Subluxation mit Stufenbildung zwischen L7 und dem Sakrum charakterisiert ist. Die Ventralverschiebung stellt eine Translationsbewegung dar, die bei starker Extension und Flexion am ausgeprägtesten ist. Unklar ist, ob es sich dabei um eine Ursache oder Folge einer vor allem beim Deutschen Schäferhund beschriebenen frühen (idiopathischen?) Bandscheibendegeneration handelt. Im Gegensatz dazu steht die Spondylolisthesis, die beim Menschen eine bekannte Form der Instabilität darstellt. Dabei gleitet L5 in einer langsamen Bewegung über das Sakrum (oder L4 über L5) nach vorne (anterior), meistens bedingt durch einen Defekt im Bereich der Gelenkfortsätze (Isthmusdefekt). Beim Hund kann eine derartige, entsprechend der Körperhaltung ventrale Verschiebung von L7 nur nach Facettektomie oder Trauma mit Fraktur der lumbosakralen Gelenksfortsätze gesehen werden. Ein lumbosakraler Übergangswirbel gilt als prädisponierender Faktor (40); Spondylose, enger oder kollabierter Zwischenwirbelspalt, vor allem unter Extension deutlichesVakuumphä-nomen (Abb. 6.19), dynamisch verstärkte ventrale Subluxation des Sakrums, Deformation und/oder Sklerose der Sakru-mendplatte und ein freies Fragment bei Osteochondrose sind Zeichen einer lumbosakralen Spondylopathie. Weiteres siehe im Kapitel Degenerative lumbosakrale Stenose.
Abb. 6.13
Lumbosakraler Übergangswirbel. Der linke Processus transversus von L7 artikuliert mit dem Ilium (Sakralisation), der rechte ist als normaler Seitenfortsatz ausgebildet. Schief stehende und asymmetrische Zwischenwirbelspalten L6-L7 und L7-Sakrum.
6.3.1.4 Wirbelzahl
Variationen der Wirbelzahl (C7, Th13, L7, S3, Cd20) sind vor allem im Bereich der Schwanzwirbel häufig.Variationen können durch überzählige (z. B. 8 Lendenwirbel) oder fehlende Wirbel entstehen, sind klinisch meistens ohne Bedeutung und bei Hund, Katze und vielen anderen Tierarten bekannt. Ein falscher Eindruck entsteht bei einer Agenesie oder Hypopla-sie der Rippen des Th13, oder wenn überzählige Rippen an L1 vorliegen. Übergangswirbel des lumbosakralen Übergangs sind beim Hund sehr häufig (Abb. 6.13). Dabei kann es sich um eine symmetrische oder einseitig asymmetrische Fusion des L7 mit dem Sakrum (Sakralisation) oder Loslösung des S1 vom Sakrum (Lumbalisation) handeln. Asymmetrische Übergangswirbel können Ursache einer Achsabweichung und Rotationsfehlstellung des Beckens sein. Darüber hinaus scheinen lumbosakrale Übergangswirbel ein Risikofaktor bei der Entwicklung einer degenerativen lumbosakralen Stenose zu sein (40, 41, 42). Lumbosakrale Übergangswirbel werden am häufigsten beim Deutschen Schäferhund, Rhodesian Ridgeback, Dobermann, Labrador Retriever, und Bernhardiner angetroffen. Auch Belgische Schäferhunde scheinen häufig betroffen zu sein. Abweichungen von der normalen Wirbelzahl müssen auch beachtet werden, wenn ein chirurgischer Eingriff geplant ist.
Bei Hund und Katze findet man bei einzelnen Rassen Agene-sien und Dysgenesien der Schwanzwirbel und des Sakrums (z. B. Manxkatze, Epagneul Breton, Bobtail, Entlebucher Sennenhund). Sakrokokzygeale Dysgenesien können mit anderen Missbildungen wie Spina bifida, Meningozelen, Meningomyelozelen oder Syringomyelien vergesellschaftet sein (43). Fehlende Schwanzwirbel können natürlich auch Zeichen eines Traumas, einer medizinisch indizierten Amputation oder des in einigen Ländern verbotenen Schwanzkupierens sein.
6.3.1.5 Größe, Form und Konturen einzelner Wirbel
Angeborene Störungen
Form- und Größenveränderungen sowie abnormale Kontur werden bei kongenitalen Missbildungen wie Keil-, Schmetterlings- oder Blockwirbel angetroffen (Abb. 6.12). Blockwirbel entstehen nach einer unvollständigen oder fehlenden Segmentierung der Wirbel unter Verlust der diskovertebralen Verbindung, können aber auch Folge einer Diskospondylitis sein. Je nach der zugrunde liegenden Störung kann bei Keilwirbeln der dorsale oder ventrale Teil fehlen. Wenn die Missbildung nicht durch benachbarte Keilwirbel kompensiert wird, kommt es zu Kyphose oder Lordose, wenn der Defekt asymmetrisch links oder rechts liegt, zur Skoliose. Bei einer metameren Segmentverschiebung entsteht eine einseitige Ausbildung eines in der Form dreieckigen Wirbelkörpers, der als Schaltwirbel zwischen zwei Wirbelkörperanlagen eingeschoben ist (44). Beim Schmetterlingswirbel besteht eine sagittale Spaltbildung infolge fehlender Fusion der Wirbelhälften. Eine vollständige Spaltung der Wirbelsäule und des Rückenmarkes (Rhachischisis und Myeloschisis) ist nicht mit dem Leben vereinbar. Mildere Formen einer Spina bifida, bei denen nur eine Fusion der Wirbelbögen und Dornfortsätze (im Röntgenbild als »doppelte« Dornfortsätze zu sehen) unterbleibt, können isoliert und klinisch bedeutungslos oder in Kombination mit Meningozelen oder Meningomyelozelen auftreten (siehe Abb. 14.9).Am häufigsten werden sie bei bra-chyzephalen Hunden, dem Entlebucher Sennenhund und Manxkatzen gesehen.
Fusionen von Dornfortsätzen, Seitenfortsätzen oder Rippen mit Querfortsätzen führen ebenso wie die schon diskutierten Übergangswirbel zu oft auffälligen Formveränderungen.
Primordialer Zwergwuchs z. B. infolge Somatotropinman-gels führt in der Regel zu proportioniertem Minderwuchs. Chondrodystrophien wie die Hypochondroplasie führen zu dysproportioniertem Minderwuchs mit kurzen Gliedmaßen (Mikromelie, Rhizomelie), je nach Typ auch zu Deformationen im Schädelbereich und verkürzten Wirbeln. Kongenitale Stoffwechselstörungen wie Mukopolysaccharidosen verschiedenen Typs oder kongenitale Hypothyreose führen oft zu beträchtlichen Störungen der Wirbelform und der Wirbelkonturen. Die kongenitale Hypothyreose ist mit Zwergwuchs und verzögerter oder fehlender Skelettreifung verbunden. Gesehen werden unregelmäßig breite Epiphysenfugen und Knochenendplatten, asymmetrische Zwischenwirbelspalten, Zubildungen an den Wirbelkörpern (»Papageienschnäbel«), dazu verzögerter Epiphysenschluss an der Wirbelsäule und dem Gliedmaßenskelett. Entsprechende Deformationen, später durch degenerative Veränderungen überlagert, werden auch am Gliedmaßenskelett angetroffen (45). Eine Rückenmarkskompression ist selten. Bei Katze und Hund sind verschiedene Typen von Mukopolysaccharidosen (lyosomale Speicherkrankheiten) bekannt. Die Ausprägung der Skelettveränderungen hängt vom Typ ab und kann sehr unterschiedlich sein: typische Merkmale sind eine kurze, »eingedrückte« breite Nase und eine stark gewölbte, prominente Schädelkalotte; in der ventro-dorsalen Projektion stark verbreiterte Halswirbelsäule mit verschieden großen und unregelmäßig geformten Wirbeln, die teilweise fusioniert sein können. Der Wirbelkanal ist oft stenosiert. Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule fallen vor allem unregelmäßig große Wirbel, Schnabelbildungen, dazu unregelmäßig breite und geformte Zwischenwirbelspalten auf. Hüftgelenksdysplasie und oft schwere Deformationen im Bereich der Gelenke des Gliedmaßenskeletts vervollständigen das Bild (46).
Bei der zervikalen Spondylopathie großer Hunderassen können in der unteren Halswirbelsäule oft rhomboide oder sogar dreieckige Wirbelformen beobachtet werden. Stauchungsfrakturen, aber auch Spontanfrakturen infolge von Stoffwe-chelstörungen oder Tumoren können zu Verkürzungen von Wirbelkörpern führen. Formveränderungen werden regelmäßig bei der Spondylose, bei Knochentumoren, Kallusbildung und Diskospondylitis gefunden.
Erworbene Störungen. Frakturen, Tumore, Infektionen, Hypervitaminose A, degenerative Veränderungen und frühere chirurgische Eingriffe können alle zu mehr oder weniger auffälligen Form- und Konturveränderungen der Wirbel führen.
Bei Frakturen liegen oft radiologisch auffällige Veränderungen wie dislozierte Frakturfragmente und breite Frakturlinien, gelegentlich aber auch nur diskrete Röntgenzeichen wie Veränderung von Form oder Größe eines Wirbels, Unterbrechung der Konturen des Wirbelkörpers, des Wirbelkanals oder von Fortsätzen vor. Stufenbildungen nach dorsal oder ventral und enge keilförmige oder kollabierte Zwischenwirbelspalten können ebenso Hinweise auf ein Trauma sein wie Weichteilveränderungen (z. B. Pneumothorax). Die CT ist Methode der Wahl, um komplexe Frakturen korrekt zu erfassen.
Der weitaus häufigste primäre Knochentumor der Wirbelsäule ist das Osteosarkom, während es sich bei den metastatischen meistens um Karzinommetastasen handelt. Rhabdo-myosarkome können direkt das Wirbelsäulenskelett infiltrieren. Primäre Knochentumore der Wirbelsäule sind meistens monostotisch – im Gegensatz zu metastatischen, die monos-totisch oder polyostotisch auftreten können. Das multiple Myelom und das maligne Lymphom (besonders beim Jungtier,Abb. 6.14) verhalten sich speziell und können disse-minierte polyostotische Herde auch im Gliedmaßenskelett bilden (47, 48). Wie beim Gliedmaßenskelett sind große Hunde im Vergleich zu kleinen oder Katzen häufiger betroffen. Die meisten primären und metastatischen Wirbelsäulen-tumore können durch expansives Wachstum zu massiven Auftreibungen der betroffenen Wirbel führen und stellen sich als überwiegend destruktive osteolytische Läsionen vorwiegend strahlendurchlässig dar. Überwiegend proliferative und Mischformen kommen aber ebenfalls vor. Periostreak-tionen, selten mit Knochenneubildung in den umgebenden Weichteilen und Weichteilschwellungen, führen zu Störungen der Form- und Kontur. Sklerotische Grenzzonen, bei Osteomyelitiden oft vorhanden, fehlen wegen des invasiven Wachstums und der meist hohen Wachstumsgeschwindigkeit des Tumors.
Die Wirbelgelenke sind beim Osteosarkom selten oder nie betroffen und werden vom Tumor auch nicht »übersprungen«. Durch ihr Aussehen im Röntgenbild sind vor allem primäre Neoplasien meist gut von anderen aggressiven Erkrankungen wie der Osteomyelitis oder der Diskospondylitis abzugrenzen. Spontanfrakturen (pathologische Fraktur) sind in der Regel Stauchungsfrakturen und führen zurVerkürzung eines Wirbels und unterbrochenen oder geknickten Wirbelkonturen. Sie können bei allen destruktiven Tumoren gesehen werden. Bei metastatischen Tumoren, die oft als schlecht begrenzte lytische Herde erscheinen, sind schwere neurologische Störungen ein Indiz für die Metastasierung in den Wirbelkanal. Die Bestätigung erfolgt durch CT oder MRT. Kontaktmetastasen neoplastisch veränderter, retroperitonealer Lymphknoten (Prostatakarzinom, Harnblasen- und Vaginaltumor u. s. w.) zeigen ein anderesVerhalten. Die ventrale Begrenzung der Wirbelsäule ist durch das invasive Wachstum aufgeraut, später können prolife-rative Prozesse in den Vordergrund treten. Fast immer sind auch die sublumbalen Lymphzentren vergrößert. CAVE: Die ventrale Kontur von L3/L4 stellt sich physiologischerweise durch die Insertion der Zwerchfellpfeiler unscharf dar. Beim malignen Lymphom und multiplen Myelom sind die Herde oft disseminiert, gut begrenzt und weisen einen kleinen Durchmesser (»Mottenfraß«) auf. Rückenmarkskompressionen werden beim malignen Lymphom meist durch epidurales Wachstum (Myelographie, CT, MRT) verursacht. Betroffen sind Katzen, seltener (junge) Hunde. Wie Nervenwurzeltumore können maligne Lymphome durch Foramina interver-tebralia in die paravertebralen Weichteile gelangen.
Abb. 6.14 a, b
Aufnahmen der Wirbelsäule (a) und des Schädels (b) eines 6 Monate alten Hundes mit juvenilem Lymphom. Fleckige Knochenstruktur aller Anteile des Wirbelsäulenskeletts, der Rippen (a) und der Schädelknochen (b) durch eine generalisierte aggressive Knochenläsion. Überwiegend osteolytische, konfluierende Herde mit nur sehr wenig proliferativen Veränderungen.
Multiple kartilaginöse Exostosen kommen bei den meisten Spezies vor. Beim Menschen wurde eine hereditäre Basis nachgewiesen, beim Hund ist ebenfalls eine familiäre Häufung bekannt. Multiple kartilaginöse Exostosen stellen sich als gut begrenzte Exostosen vor allem an den Gliedmaßen, den Rippen und der Wirbelsäule dar. Das expansive Wachstum kann ein oft erstaunliches Ausmaß annehmen. Beim Hund entwickeln sie sich während der Wachstumsphase des Tieres, wobei die Metaphysen den Ausgangspunkt bilden. Bei der Katze hingegen treten sie in jedem Alter auf – es besteht ein Zusammenhang mit der FeLV-Infektion. Kartilaginöse Exosto-sen scheinen die Hals- und Brustwirbelsäule zu bevorzugen. Spätere maligne Transformationen sind vor allem beim Menschen bekannt (49, 50). Ob es bei einem Tumor der Wirbelsäule zu einer Rückenmarkskompression kommt, entscheidet weniger der Typ des Tumors als vielmehr die Lokalisation, Größe und Wachstumsrichtung. Sämtliche Neoplasien im Bereich der Wirbelsäule können zu einer oft unilateralen extraduralen Rückenmarkskompression führen; maligne primäre oder metastatische Tumore durch expansives und invasives, benigne und Missbildungstumore (kartilaginöse Exostose, Osteochondrom oder Calcinosis circumscripta) durch expansives Wachstum (Abb. 6.15).
Osteomyelitis (Spondylitis) und Diskospondylitis sind weitere Ursachen von Form- und Konturstörungen. EineVeränderung der Röntgendichte ist ebenfalls typisch. Im Gegensatz zu primären Knochentumoren handelt es sich häufig nicht um monostotische Herde. Ursachen können bakterielle oder Pilzinfektionen sein. Wandernde Grasgrannen spielen im europäischen deutschsprachigen Raum eine geringere Rolle als eine hämatogene Aussaat nach Infektion des Urogenitalapparates, der Zähne und anderer Organe. Eine akute Oste-omyelitis zeigt sich radiologisch als meist schlecht begrenzter, oft außerordentlich diskreter osteolytischer Bezirk. Die Weichteilschwellung kann evtl. sonographisch, selten im Röntgenbild erfasst werden. Im späteren Verlauf werden diese lytischen Herde durch mehr oder weniger ausgeprägte, breite sklerotische Bänder begrenzt oder ersetzt, der Übergang zu normalem Knochen ist unscharf. Unregelmäßige periostale Zubildungen bis zu massiven Proliferationen verändern die Konturen der befallenen Skelettanteile. Eine spezifische Infektion der Epiphysen wurde ebenfalls beschrieben. Bei dieser Infektion sind die Endplatten und Bandscheiben nicht betroffen. Sie führen zum Kollaps der befallenen Region, offensichtlich vorzugsweise der kaudoventralen Teile des entsprechenden Wirbelkörpers.
Ebenfalls zu massiven Kontur- und schließlich Formveränderungen führt die Diskospondylitis. Initial zeigt sie sich als enge, durch Osteolyse der angrenzenden Endplatten aufgeraute begrenzte Zwischenwirbelspalte. Die Osteolyse der Endplatten kann beträchtliche Ausmaße annehmen und greift schließlich auf die Wirbelkörper über. In chronischen Fällen und als Zeichen einer Heilung sind die zunehmende begrenzende Sklerosierung der Wirbelkörper zu sehen und die unregelmäßigen, zunächst feinen periostalen Reaktionen und Osteophyten, die schließlich die betroffenen Zwischenwirbelspalten überbrücken können. Eine vollständige Heilung mündet in einer Fusion der beiden Wirbel. Die Veränderungen sind häufig ventral am ausgeprägtesten, können aber auch dorsal im Wirbelkanal gesehen werden (51).
Die Spondylose oder Spondylosis deformans führt regelmäßig zu Formveränderungen und ist die häufigste degenerative Veränderung der Wirbelsäule. Sie führt nur selten zu neurologischen Symptomen und hat daher, von Ausnahmen abgesehen, im Zusammenhang mit neurologischen Symptomen den Charakter von Nebenbefunden. Bei der hypertrophen Form mit bandförmiger Ankylosierung ganzer Wirbelsäulenabschnitte (Bambusrohr-Wirbelsäule) werden Bewegungsstörungen und klinisch oft schlecht fassbarer Schmerz beschrieben.Vor allem wenn die spondylotischen Zubildungen bis in die Foramina intervertebralia reichen, können sie zu Reizungen oder Kompressionen der Nervenwurzeln Anlass geben. Häufig wird die Spondylose als idiopathische Störung beschrieben, kann allerdings auch Ausdruck einer ventralen Bandscheibenprotrusion, eines Traumas oder einer Entzündung sein. Beim Menschen sind hereditäre Formen nachgewiesen, beim Tier werden erbliche Formen aufgrund von rassebedingten (Boxer) und familiären Häufungen ebenfalls angenommen. Beim jungen Boxer wird eine extensive Verknöcherung des Ligamentum longitudinale ventrale als Syndesmitis ossificans bezeichnet, und in verschiedenen Ländern wird auf der Basis von Röntgenaufnahmen und Massenselektion ein dagegengerichtetes Zuchtprogramm durchgeführt. Neben Hunden können auch andere Haustierarten wie Pferde, aber auch Katzen und Rinder spondylotische Veränderungen aufweisen. Im Lumbosakralgelenk des Hundes werden sie mit Instabilität in Zusammenhang gebracht.
Radiologisch stellen Spondylosen osteophytäre Reaktionen an den ventralen, lateralen und gelegentlich dorsolateralen Kanten der Wirbelkörper dar. Nur ausnahmsweise führen sie auch zu foraminaler Stenose. MORGAN (52), hat sie beim Hund in fünf Grade eingeteilt. Grad I ist rein bindegewebiger Natur und im Röntgenbild nicht erkennbar. Grad II bis V stellen unterschiedlich ausgebildete Knochenneubildungen von schnabelartigen Osteophyten entlang der Wirbelkanten bis zu stabilen Knochenbrücken dar. Die Ausbildung erfolgt, zumindest beim Boxer, schubweise und kann sehr früh beginnen. Anzutreffen sind sie bei allen Altersstufen von einem Jahr aufwärts. Am häufigsten betroffen ist die kaudale Brust- und die kraniale Lendenwirbelsäule, dazu L7–S1 und bei prädestinierten Rassen im Zusammenhang mit der zervikalen Spondylo-myelopathie der Bereich der kaudalen Halswirbelsäule. Spondylarthrose der Facettengelenke mit oft beeindruckenden hypertrophenVeränderungen tritt beim Hund nicht selten zusammen mit einer Spondylosis deformans auf.
Abb. 6.15
Myelographie einer Halswirbelsäule eines jungen Siberian Husky mit kartilaginärer Exostose. Die mediale Kontur des kau-dalen Anteils der rechten Bogenwurzel von C4 fehlt (Pfeilspitze), die Bogenwurzel erscheint verbreitert. Davon ausgehend schalenartig mineralisierte Proliferation bis über C5 (Pfeile) mit extraduraler Kompression und Verlagerung des Rückenmarkes nach links.
Die extensive Knochenneubildung entlang mehrerer Wirbelkörper mit Zubildungen an den Wirbelgelenken und Pseudoarthrosen von Dornfortsätzen wird auch als disseminated idio-pathic skeletal hyperostosis oder DISH bezeichnet (53). Die Zwischenwirbelspalten sind dabei nicht verengt, und die Bandscheiben weisen keine deutlichen Anzeichen einer Degeneration wie Mineralisation oder Vakuumphänomen auf. Die Veränderungen treten schon früh auf – vor allem bei großen Hunderassen (Abb. 6.16).
Eine Spondylose darf nicht mit radiologisch ähnlichen Veränderungen verwechselt werden, die im Zusammenhang von bei uns selten gesehenen Infektionen mit Spirocerca lupi und Hepatozoon canis auftreten können. Bei der Ersten können neben raumfordernden Prozessen im kaudalen Mediastinum auch Zeichen von Spondylitis der mittleren Thorakalwirbelsäule gesehen werden (54), bei Letzterer periostale Zubildungen an Wirbelkörpern, Rippen, Becken und langen Röhrenknochen. Auch Stoffwechselstörungen wie die Mukopolysaccha-ridose (siehe oben) und Hypervitaminose A der Katze führen in der Wirbelsäule zu oft bandförmigerVerknöcherung der paravertebralen Weichteile und zu einer Ankylose der Wirbelsäule. Die häufig vollständige Stenosierung der Foramina intervertebralia kann zu neurologischen Störungen führen. Mineralisation und knöcherne Zubildungen sind an Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, gelegentlich einzelnen langen Röhrenknochen und um Gelenke des Gliedmaßenskeletts zu sehen (55).
Abb. 6.16
Spondylose bei einem 4-jährigen Boxerrüden. Grad-IV-Spondylose von Th10-L3, teilweise mit Brückenbildung. Die Zubildungen liegen vor allem ventral, an Th13-L1 auch entlang der Endplatten bis in die Neuroforamina. Keine neurologische Defizite.
6.3.1.6 Röntgendichte
Bei generalisiert veränderter Röntgendichte der Wirbelsäule muss man sich zunächst Gewissheit verschaffen, ob die Exposition (kV und mAs) korrekt gewählt wurde. Über- und Unterbelichtung, zu tiefe oder zu hohe kV führen unweigerlich zu Veränderungen der Röntgendichte, die als pathologischer Prozess fehlinterpretiert werden können. Kontrast und Dichte werden auch durch den Nährzustand des Tieres beeinflusst.
Eine generalisiert erhöhte Röntgendichte ist selten und kann als Osteosklerose oder -petrose im Zusammenhang mit seltenen Erkrankungen wie Hyperkalzitoninismus, Myelofibrose, viralen Infektionen (FeLV) sowie als kongenitale (sehr selten) oder idiopathische (Katze) Störung gesehen werden (56, 57). Merkmale sind Erhöhung der Dichte der Wirbelkör-per-Spongiosa mit vermindertem Kontrast gegenüber den Endplatten (Abb. 6.17). Die trabekuläre Struktur wird mit zunehmender Dichte verwischt, im Extremfall erscheinen die Knochen porzellanartig strukturarm. Eine fokale Sklerose kann bei Frakturen durch Überlagerung oder Kallusbildung, bei chronischer Osteomyelitis oder Diskospondylitis gesehen werden und kann ebenso Zeichen eines Knocheninfarkts oder Tumors sein. Eine Verbreiterung undVerdichtung der Wirbelendplatten kann Hinweis auf eine chronische Diskopathie oder Diskospondylitis sein. Spondylotische Zacken und Brücken führen durch Überlagerung mit den Wirbelkörpern zu Verschattungen.
Abb. 6.17
Osteopetrose bei einer Katze. Extrem röntgendichtes, an Milchglas erinnerndes Skelett mit verwischter Knochenstruktur des gesamten Skelettes. Die Knochentrabekel sind nicht mehr erkennbar, die Markhöhlen aufgefüllt. Osteopetrose, assoziiert mit FeLV-Infektion.
Die häufigste Ursachengruppe für generalisiert verminderte Röntgendichte sind Stoffwechselstörungen wie Hyperparathyreoidismus, Hypothyreose, Morbus Cushing, Diabetes mellitus sowie Alters- und Inaktivitätsosteoporose. Radiologisch bietet sich stets ein sehr ähnliches Bild: Osteomalazie, Osteoporose und Osteopenie sind radiologisch nicht unterscheidbar. Die trabekuläre Struktur der Spongiosa wird aufgelockert, die oft dünnen Endplatten kontrastieren scharf mit dem Wirbelkörper. Fokaler Knochenabbau (Osteolyse) kann bei Infektionen (Diskospondylitis) und primären wie metastatischen Tumoren gesehen werden (58). Osteosarkome treten meistens monostotisch auf; multiple lymphoretikuläre Tumore wie das Myelom und das maligne Lymphom sowie metastatische Weichteiltumore können polyostotisch oder generalisiert auftreten und disseminierte osteolytische Herde bilden.
6.3.1.7 Zwischenwirbelraum (Spatio inter-vertebrale) und Zwischenwirbelloch (Foramen intervertebrale)
Diesen normalerweise klar definierten Räumen zwischen den einzelnen Wirbeln steht ein eigenes Kapitel zu, weil sie für die Diagnostik verschiedener Erkrankungen, an erster Stelle seien Diskusdegeneration, -protrusion und -prolaps genannt, herausragende Bedeutung haben. Sie müssen immer im Vergleich mit benachbarten Zwischenwirbelräumen beurteilt werden. Im Wesentlichen reflektieren sie die Dicke der jeweiligen Bandscheibe. Dies gilt streng genommen aber nur, wenn die Aufnahmen nicht in Narkose durchgeführt werden. Bei fehlendem Muskeltonus kann ein Zwischenwirbelraum auch nach einem Prolaps weiter erscheinen als er in Wirklichkeit ist. Die Breite der Zwischenwirbelräume nimmt von C2 bis C7 physiologischerweise leicht zu. Der Zwischenwirbelraum Th10–Th11 ist immer deutlich enger als die benachbarten (Abb. 6.18); auch die Räume C7–Th1 und L4–L6 erscheinen häufig leicht enger. Der lumbosakrale Zwischenwirbelspalt stellt sich dagegen wegen der dicken Bandscheibe breit dar. Gleichzeitig ist die Dichte dieses Zwischenwirbelraums wegen Überlagerungen durch Becken und Ileosakralgelenk nur schwer beurteilbar. Ähnliches gilt für die Brustwirbelsäule mit Überlagerungen durch die Rippen. Die Foramina intervertebralia des Halses öffnen sich nach ventrolateral und lassen sich nur mit entsprechenden Schrägaufnahmen beurteilen. Wegen der physiologischen Krümmung der Wirbelsäule ist die Beurteilung der Zwischenwirbelräume in der ventrodor-salen Projektion schwierig.
Cave: Es werden nur Zwischenwirbelspalten in der Nähe des Zentralstrahls bei horizontal gelagerter Wirbelsäule orthograd abgebildet.
Enger Zwischenwirbelraum. Enges Spatio und Foramen intervertebrale sind ein wichtiges Röntgenzeichen einer Diskopathie, sei es durch eine Degeneration mit Wasserverlust (Osteochondrosis intervertebralis) (59), Protrusion, oder einen Prolaps. Näheres zu diesem Thema siehe Kapitel »degenerative Erkrankungen der Bandscheibe«. Daneben kommen ursächlich verschiedene Missbildungen, Diskospondylitis und Trauma in Frage.
Die Hauptursache eines zu weiten Zwischenwirbelspalts ist das Trauma. In Narkose kann ein durch einen Diskuspro-laps verengter Spalt infolge Relaxation der Muskulatur normal weit aussehen. Nach Wurzelausrissen vor allem im Bereich der Zervikalschwellung kann ein Zwischenwirbelspalt infolge einseitigen Verlusts des Muskeltonus in der ventrodorsalen Projektion keilförmig erweitert sein. Bei akuter Diskospondylitis scheint der Zwischenwirbelspalt wegen der Osteolyse der Endplatten weit. Einseitig erweiterte Foramina intervertebra-lia werden fast immer durch Tumore wie Nervenwurzeltumore oder malignes Lymphom, die durch das Foramen mit den paravertebralen Weichteilen kommunizieren, verursacht. Bilaterale Erweiterungen sind gelegentlich bei Luxationen zu sehen.
Eine Degeneration der Bandscheibe mit Mineralisation führt zu einer Verschattung des Zwischenwirbelspalts. Diese Mineralisation wird beim Dachshund als Marker für Bandscheibendegeneration benutzt. Mineralisierte Bandscheiben tragen ein erhöhtes Risiko zu prolabieren. Sie können auch ohne Prolaps wieder verschwinden, was einer entzündlichen Reaktion mit Resorption zugeschrieben wird. Durch prolabiertes, mineralisiertes Bandscheibenmaterial verschattete Foramina sind ein wichtiges Leitsymptom eines Diskusprolapses. Knöcherne foraminale Stenosen sind die Folge degenerativer Prozesse vor allem der Gelenksfortsätze, selten von Missbildungen und können vor allem im Hals und lumbosakral gesehen werden. Osteophyten und Frakturfragmente können die Foramina überlagern und verschatten.
Abb. 6.18 a, b
(a) Leeraufnahme und (b) Myelographie eines Hundes mit Diskushernie Th12-Th13. Enge Zwischenwirbelräume Th10-Th11 und Th12-Th13.Auf Höhe des antiklinalen Wirbels ist der IV-Spalt physiologischerweise eng, bei Th12-Th13 liegt eine Extrusion der Bandscheibe mit RM-Kompression vor. An Th13 und L1 ventral spondylotische Zubildungen, ventral sklerosierte Endplatten, verengter Zwischenwirbelraum und Neuroforamen kennzeichnen eine chronische Diskopathie ohne nachweisbare RM-Kompression (b).
Kleine umschriebene gasdichte Aufhellungen weisen auf eine Degeneration, Nekrose oder Extrusion der Bandscheibe hin. Dieses Phänomen ist als »Vakuumzeichen« bekannt und stellt in Wirklichkeit Austritt von Stickstoff aus den umgebenden Geweben dar (Abb. 6.19). Die Extension der Wirbelsäule kann das Phänomen auslösen oder verstärken (60).
6.3.1.8 Wirbelkanal (Canalis vertebralis)
Der Wirbelkanal bildet die Summe der Foramina vertebralia. Sein Durchmesser variiert stark. Er ist auf Höhe des C1 und C2 sehr breit, ebenso in der kaudalen Halsregion sowie im Bereich der lumbosakralen Intumeszenz. In der Brustregion, dem thorakolumbalen Übergang und der kranialen Lendenwirbelsäule ist der Wirbelkanal vergleichsweise eng mit entsprechend geringer Platzreserve bei raumbeanspruchenden Prozessen. Das Verhältnis des Durchmessers des Wirbelkanals zum Rückenmark ist ebenfalls variabel und hängt von Spezies, beim Hund auch von der Größe, wie auch der Rasse ab. Beim Dachshund und Cavalier King Charles Spaniel ist der Wirbelkanal offensichtlich zuchtbedingt eng (40, 61) (Details siehe im Kapitel Myelographie: Grundsätze der Interpretation).
Abb. 6.19 a, b
(a) Flexions- und (b) Extensionsaufnahme bei einem 10-jährigen Dalmatiner mit chronischer Diskopathie und Vakuumphänomen. Bild einer chronischen Diskopa-thie (intervertebrale Osteochondrose) mit Verlust der Bandscheibe: kollabierter lumbosakraler Zwischenwirbelspalt mit glatten, sklerosierten Endplatten und Wirbelkörpern und ventraler Spondylose. Vor allem in Extension deutlich ist die Röntgendichte des ZW-Spaltes durch Austritt von Stickstoff aus dem umliegenden Gewebe vermindert (Vakuumphänomen, b). Die Beweglichkeit des Gelenks ist deutlich eingeschränkt.
Kongenitale Wirbelkanalstenosen können gelegentlich im Zusammenhang mit Keil- und Schaltwirbeln beobachtet werden. Ebenso wurde bei kleinen Hunderassen eine kongenitale lumbosakrale Stenose mit entsprechenden klinischen Symptomen beschrieben. Die zervikale Spondylomyelopathie wurde bereits erwähnt und führt wie die degenerative lumbosakrale Stenose zu einem verminderten ventrodorsalen Durchmesser des betroffenen Wirbelkanals. Auch in der tho-rakalen und thorakolumbalen Wirbelsäule sind Stenosen des Wirbelkanals infolge chronischer Diskopathien sowie Narbenbildung oder Knochenneubildung nach einem Trauma beschrieben. Röntgenleeraufnahmen lassen nie eine präzise Aussage über die Platzverhältnisse zu. Dies gelingt nur mit Kontrastuntersuchungen und in noch höherem Maße mit CT und MRT.
Ein erweiterter Wirbelkanal kann die Folge eines raumfordernden Prozesses mit langsam expansivem Wachstum im Wirbelkanal, z. B. intramedullären Tumore wie Astrozytom oder Ependymom, sein. Luxationen können zu Stufen, Frakturen zu Unterbrechungen der Kontur und Tumore durch Knochendestruktion zuVerlust der normalen Kontur des Wirbelkanals (Wirbelkörper und Bogen) führen (23).
Duraverknöcherungen (früher Pachymeningitis ossificans), auch als »Automyelogramm« bezeichnet, führen zu linearen Verschattungen des Wirbelkanals (siehe Abb. 14.4). Knochenfragmente (Frakturen) und prolabierte Bandscheiben können ebenfalls Ursache von mineraldichtenVerschattungen sein (62).
6.3.1.9 Facettengelenke und andere Wirbelfortsätze
Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke sind bei Missbildungen, Diskusprolapsen (vermehrte Überlappung) und vor allem bei degenerativen Prozessen wie Spondylarthrosen zu erwarten. Arthritiden dieser Gelenke sind selten. Dorn-, Quer- und Hilfsfortsätze können Frakturen (oft einziges Traumazeichen) aufweisen (siehe Abb. 10.24). Kontur, Struktur und Dichte können durch Tumore gestört sein. Seitenfortsätze können bei Übergangswirbeln ein- oder beidseitig fehlen, eine Spina bifida kann zu einer sagittalen Spaltbildung im Dornfortsatz führen.
6.3.2 Myelographie
Die Myelographie ist beim Kleintier noch immer die am häufigsten eingesetzte Technik zur Darstellung von Rückenmarkskompressionen. Allerdings wird sie mit zunehmender Verfügbarkeit von CT und MRT auch in der Kleintiermedizin mit Sicherheit an Bedeutung verlieren.
Das Prinzip der Myelographie ist einfach: Der Leptomenin-gealraum kann mit geeigneten Kontrastmitteln im Röntgen-bild sichtbar gemacht werden. Raumfordernde Prozesse im Wirbelkanal führen zu Veränderungen der Lage, Breite und Form des Leptomeningealraums. Das Bild ist abhängig davon, ob der Prozess intramedullär, extramedullär intradural, oder extradural lokalisiert ist.
Die Myelographie ist eine invasive Methode mit einem zwar kleinen, aber eindeutigen Komplikationsrisiko und bedarf einer klaren Indikationsstellung und korrekten Technik. Die Untersuchung ist dann indiziert, wenn die Befunde auf Röntgenleeraufnahmen nicht schlüssig sind, wenn radiologische und klinisch-neurologische Befunde divergieren sowie um eine RM-Kompression auszuschließen oder zu bestätigen. Eindeutig steht dabei die Darstellung einer kompressiven Rückenmarksläsion vor einem notwendigen chirurgischen Eingriff im Mittelpunkt. Das betroffene Rückenmarkssegment, die Lage des pathologischen Prozesses in Bezug auf das Rückenmark sowie seine Ausdehnung sollen zur Darstellung kommen und Informationen über die Natur des Problems liefern. Erkrankungen, die keinen Einfluss auf Form, Lage und Breite des Subarachnoidalraums und/oder das Rückenmark haben, sind mit einer Myelographie nicht darstellbar.
6.3.2.1 Kontrastmittel
Ein gutes myelographisches Kontrastmittel muss wasserlöslich sein und sich mit dem Liquor cerebrospinalis mischen, um eine gleichmäßige Verteilung im Subarachnoidalraum zu gewährleisten. Es soll einen hohen Kontrast erzeugen, nicht neurotoxisch und chemisch absolut inert sein. Es muss lange genug im Subarachnoidalraum verbleiben, um auch eine länger dauernde Untersuchung zu ermöglichen, schließlich vollständig resorbiert und ausgeschieden werden. Diesen Bedingungen werden nahezu von monomeren nicht-ionischen Kontrastmitteln der zweiten Generation wie Iopamidol (Iopa-miro®, Bracco, Solutrast®, Byk Gulden) und Iohexol (Omni-paque®, Nycomed) erfüllt, die eine geringe Neurotoxizität (<5%) aufweisen, wenn sie in einer Konzentration von 180–300 mg Jod/ml und in der vorgeschriebenen Dosis körperwarm und langsam injiziert werden.Wasserlöslichkeit, Fließeigenschaften und der Kontrast dieser Kontrastmittel sind gut. Nichtionische Kontrastmittel der dritten Generation wie Iotro-lan (Isovist®, Schering) und Iodixanol (Visipaque®, Nycomed) sind dimere nicht-ionische Kontrastmittel. Sie sind in den eingesetzten Formulierungen isoton und damit sichere myelo-graphische Kontrastmittel. Das Molekül-zu-Jod-Verhältnis ist mit 1:6 (monomere von 1:3) sehr gut. Da sie eine imVergleich zu monomeren Kontrastmitteln relativ hohe Viskosität aufweisen, müssen sie unbedingt körperwarm injiziert werden.
Bei der CT-unterstützten Myelographie wird das Kontrastmittel wegen der technisch hohen Kontrastauflösung und, um Artefakte zu vermeiden, auf etwa 1:10 bis 1:20 verdünnt.
6.3.2.2 Technik
Die Technik der Myelographie wurde bereits ausführlich beschrieben. An dieser Stelle sollen die wichtigsten Grundsätze zusammengefasst dargestellt werden.
Eine Myelographie wird stets nach Röntgenleeraufnahmen durchgeführt. Dabei wird Kontrastmittel (KM) in Allgemeinnarkose und unter aseptischen Bedingungen über eine Spinalnadel (22 Gauge) körperwarm in den Subarachnoidalraum der Cisterna magna oder der kaudalen Lumbalregion – empfohlen wird L5-L6 – injiziert. Bei Katzen und kleinen Hunderassen kann die Punktion zwischen L6 und L7 erfolgen. Eine Punktion kranial L5 in der Region der lumbosakralen Intumeszenz ist problematisch, da das Risiko einer Füllung mit der Dilatation des Zentralkanals durch Kontrastmittel steigt. Angaben in der Literatur (63), wonach damit das Risiko neurologischer Ausfälle steigt, werden durch eigene Beobachtungen bestätigt.
Als Grundsatz dient dabei, dass möglichst nahe an der Läsion, aber nicht in der Region der Läsion selbst punktiert werden soll. Bei einer hoch zervikalen Läsion ist der lumbalen Injektion, bei einer tief lumbalen oder lumbosakralen Läsion der zervikalen Punktion derVorzug zu geben. Bei thorakalen oder thorakolumbalen Läsionen liefert eine lumbale Injektion bessere Ergebnisse (64, 61). Weil der Duraendsack einen Blindsack darstellt und die Injektion des KM unter sanftem Druck erfolgt, kann es bei einer lumbalen Injektion eine obstruktive Läsion passieren und darstellen. Bei einer zervikalen Injektion geschieht der KM-Fluss von kraniokaudal durch die Schräglagerung des Tieres.
Technisch bieten die Punktion der Cisterna magna und des lumbalen Subarachnoidalraums keine großen Probleme, wobei die Liquorgewinnung bei Punktion der Cisterna magna einfacher ist. Natürlich ist bei der Punktion der Cisterna magna eine Verletzung des Rückenmarkes zu vermeiden. Technische Probleme sind außerdem vor allem bei sehr fetten Tieren zu erwarten. Bei der lumbalen Punktion sind zwei Techniken beschrieben. Der paramediane Zugang ist technisch oft einfacher als der mediane, und das Risiko einer periduralen KM-Injektion wird wegen der flacheren Lage des Anschliffs der Nadel im Subarachnoidalraum geringer. KM kann in den Subarachnoidalraum dorsal oder ventral des Rückenmarkes injiziert werden. Die ventrale Positionierung der Nadel ist technisch einfacher. Zwar muss bei dieser Technik das Rückenmark im Bereich des Conus medullaris perforiert werden, das Risiko einer KM-Injektion in das Rückenmark ist aber geringer als bei einer dorsalen Injektion, und durch die Perforation bedingte klinische Symptome sind weit weniger problematisch als KM-Injektion in das Rückenmark. Bei jeder lumbalen Punktion wird immer zunächst Druck auf das Rückenmark ausgeübt, bevor die Nadel die derbe Dura mater und bei ventraler Injektion auch das RM durchdringt. Dieser Druck, der zu einer 2–3 mm tiefen Einbuchtung im Rückenmark führen kann, ist auch bei einer dorsalen Technik nicht zu vermeiden. Das Risiko von KM-Austritt in den Epiduralraum ist bei einer dorsalen Injektion zumindest in der Theorie geringer, da der Subarachnoidalraum nur einmal perforiert wird. Multiple Versuche der Punktion des Subarachnoidalraums erhöhen das Risiko einer Extravasation ebenfalls. Epidurales KM wird eine Interpretation erschweren oder unmöglich machen (Abb. 6.20).
Nach der Entnahme der für eine Liquoruntersuchung notwendigen Liquormenge wird das Kontrastmittel körperwarm in einer Dosis von 0, 2 (Läsion nahe der Injektion) bis 0, 3ml/kg KGW langsam (1–3ml/10–15 Sekunden, Kleintier) injiziert. Eine höhere Dosierung ist selten notwendig, gelegentlich bei Tieren mit im Verhältnis zum Wirbelkanal sehr dünnem Rückenmark. Ein flexibles Zwischenstück verhindert ungewollte Bewegung der Nadel während der KM-Injektion und vermindert das Risiko einer Verletzung des Rückenmarks (22). Bei der zervikalen Myelographie wird die Nadel nach der Injektion sofort entfernt und das Tier in eine kraniokaudale Schräglage verbracht. Aufnahmen in Seitenlage werden sofort und je nach Fließgeschwindigkeit im Abstand von 5 bis 10 Minuten gemacht.Verdächtige Abschnitte bedürfen einer seitlichen und einer ventro-dorsalen Projektion. Eine ungenügende Kontrastmittelmenge, aber auch hohe Fließgeschwindigkeit kann vor allem im Halsbereich zu unvollständiger Füllung und ungenügender Darstellung des Rückenmarkes führen. Zur Darstellung der Region C5 bis Th2 empfiehlt es sich daher, zunächst nur den Kopf und die kraniale Halswirbelsäule anzuheben. Rotieren des Tieres um die Längsachse und Umverteilen des Kontrastmittels durch Heben des Kopfes, des Halses und der Beckenregion können ebenfalls eingesetzt werden, um das KM im Bereich der kaudalen Halswirbelsäule zu »poolen«. Bei einer Lagerung auf dem Bauch stellt die kaudale Halswirbelsäule den tiefsten Punkt dar, eine dorsoventrale Projektion wird daher besonders bei großen Hunden zu besseren Ergebnissen führen als eine ventrodorsale Projektion.
Abb. 6.20 a, b
Kanalo- und Epidurogramm nach lumbaler Myelographie. Epidurales Kontrastmittel liegt dem Boden des Wirbelkanals dicht an und verläuft dadurch wellenförmig. Die Dorsalverlagerung der KM-Säulen über den ZW-Spalten entspricht der normalen Anatomie von Bandscheibe und Lig. longitudinale dorsale und ist nicht zu verwechseln mit einer Diskushernie (a). Der Subarachnoidalraum ist ebenfalls mit KM gefüllt (Pfeilspitzen). Der Abfluss von epiduralem Kontrastmittel entlang der Nervenwurzeln zeigt sich als streifige KM-Ansammlungen außerhalb der Forami-na intervertebralia. Zusätzlich ist auf beiden Aufnahmen eine sehr gerade, zentral im Wirbelkanal verlaufende KM-Linie sichtbar, bedingt durch Füllung des Zentralkanals (weiße Pfeile [b]).
Bei der lumbalen Myelographie empfiehlt sich eine Kontrolle der Lage der Punktionsnadel durch eine Probeinjektion mittels Röntgenaufnahme oder mit Bildverstärker unterstützter Fluoroskopie. Die Injektion des KM soll nur erfolgen, wenn kein KM im Rückenmark und keine Extravasation nachzuweisen ist. Um einen druckbedingten Abfluss von KM zu verhindern, müssen besonders bei akuten Geschehen (Trauma, Diskusprolaps), Ödembildung oder Blutungen Röntgenaufnahmen während oder unmittelbar nach der KM-Injektion angefertigt werden (65).
Zusätzliche Schrägaufnahmen mit um die Langsachse rotier-tem Tier zeigen dorso- oder ventrolaterale Prozesse, die mit den beiden Standardaufnahmen oft nicht dargestellt werden. Gehaltene Aufnahmen können bei der zervikalen Spondylo-myelopathie und der degenerativen lumbosakralen Stenose, gelegentlich auch bei anderen kompressiven Läsionen helfen, statische von dynamischen Kompressionen zu unterscheiden (66). Dabei werden vor allem Flexions- und Extensionsaufnahmen, bei der zervikalen Spondylomyelopathie auch Traktionsaufnahmen eingesetzt.
6.3.2.3 Einschränkungen, technische Probleme, Artefakte und Komplikationen
Durch eine Myelographie können nur raumfordernde Prozesse erfasst werden, bei denen die Lage und Breite des Subarachnoidalraums verändert wird. Dementsprechend können Erkrankungen, die weder zu einer Erweiterung noch zu einer Kompression des Rückenmarkes und/oder Subarachnoidalraums führen, nicht erfasst werden (Tabelle 6.3). Erkrankungen im Bereich der Foramina intervertebralia können nur ausnahmsweise, Kompressionen der Cauda equina oft nicht oder nur ungenügend dargestellt werden.
Artefakte können viele Ursachen haben. Neben Überlagerungen und Füllungsdefekten durch manchmal asymmetrisch im Wirbelkanal eingelagertes Fett können Narben zu Blockierung des KM-Flusses und Fehlinterpretationen führen. Bei einer subduralen Injektion kann KM in den virtuellen Spalt zwischen Dura mater und Arachnoidea gelangen (Abb. 6.21), diesen Spalt erweitern und zu sehr unregelmäßigem und verzögertem KM-Fluss mit vielen Füllungsdefekten führen. Es scheint, dass dieser Artefakt mit zunehmender Erfahrung des Untersuchers seltener auftritt (67, 68). Extravasation von KM bei lumbalen Injektionen führt ebenso zu einer diagnostisch nicht verwendbaren Myelographie und kann Ursache von Fehlinterpretationen sein. Extradurale Läsionen werden zum Beispiel irrtümlich für intradural-extramedulläre gehalten. Wenn die Injektionsnadel nicht mit Liquor und die Spritze samt Verbindungsschlauch nicht mit Kontrastmittel gefüllt sind, können Luftblasen in den Subarachnoidalraum gelangen und runde bis ovale Füllungsdefekte bilden. Luftblasen sind im Gegensatz zu Tumoren oder verdickten Nervenwurzeln beweglich, was durch eine weitere Injektion oder Schräglagerung des Tieres gezeigt werden kann.
Tabelle 6.3: Myelogramm normal
■Kongenitale und metabolisch bedingte Myelopathien ■Degenerative Myelopathien ■Ischämische Myelopathien ■Myelomalazie, Hämatomyelie ■Myelitis, Meningomyelitis |
Um Komplikationen zu minimieren, ist auf eine perfekte Technik zu achten. Dies schließt eine lege artis durchgeführte chirurgische Vorbereitung der Injektionsstelle mit ein. Stichverletzung des ersten zervikalen Rückenmarkssegments und intramedulläre KM-Injektionen führen zu schwerwiegenden neurologischen Störungen und sind unbedingt zu vermeiden. Stichbedingte subarachnoidale Blutungen sind dagegen kaum vermeidbar, bleiben aber ohne klinische Bedeutung. Eine zu schnelle subokzipitale KM-Injektion kann zu verübergehender Apnoe führen, die beim intubierten Tier durch manuelle oder maschinell kontrollierte Beatmung überbrückt wird. KM-bedingte Komplikationen sind seit der Einführung nicht dissoziierender Kontrastmittel selten geworden (1–5%) und in der Regel leicht beherrschbar. Es handelt sich dabei meistens um Krampfanfälle während der Aufwachphase, die mit einer intravenösen Injektion von Diazepam in einer Dosis von 0,20–5ml/kg KG, in schweren Fällen mit Barbituraten kontrolliert werden können. Schwere Komplikationen wie maligne Hyperthermie oder Tod sind außerordentlich selten. Bei der subokzipitalen Injektion fließt Kontrastmittel regelmäßig in den Schädelinnenraum (basale Zisternen, gelegentlich Ventrikel), bei lumbaler Punktion kann nicht selten Kontrastmittel im Zentralkanal gesehen werden (Abb. 6.20). Beides ist aber nicht mit erhöhter Komplikationsrate verbunden. Injektionen in den Zentralkanal können oft bei Injektionen kranial L5 gesehen werden. Kontrastmittel kann dabei entlang der Nadelöffnung in den Zentralkanal gelangen.Wenn der Zentralkanal im Bereich des Conus medullaris mit dem Subarachnoidalraum kommuniziert, kann ebenfalls KM in den Kanal fließen. Eine feine KM-Linie im Zentrum des Rückenmarkes ist klinisch meistens ohne Bedeutung, ein dilatierter Zentralkanal kann bei Hydromyelie, gelegentlich nach Trauma und anderen destruktiven Prozessen, aber auch nach forcierter KM-Injektion festgestellt werden (63).
6.3.2.4 Grundsätze der Interpretation
Eine gute Kenntnis der normalen anatomischen Verhältnisse des Rückenmarkes, der Meningen und des Wirbelkanals sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine korrekte Interpretation der Befunde. Bei subokzipitaler Punktion hängt die Fließgeschwindigkeit des KM von den Raumverhältnissen im Wirbelkanal ab. Im Durchschnitt dauert es etwa 10 Minuten, bis das KM den Duraendsack erreicht. Bei großen Hunden ist diese Zeit in der Regel kürzer, da der Wirbelkanal im Vergleich zum Durchmesser des Rückenmarks weit und der Subarachnoidalspalt entsprechend breit ist. Bei kleinen Hunden und Katzen fließt das KM langsamer, weil das Rückenmark vergleichsweise dick und der Subarachnoidalraum eng ist (69). Die ventrale Kontrastmittelsäule stellt sich bei solchen Tieren entsprechend der Kontur der Wirbel und diskovertebralen Verbindungen leicht wellig dar. Der Leptomeningealraum ist auf Höhe C1 und C2 am weitesten, die Kontrastmittelsäulen entsprechend breit. Auf Höhe C2–C3 wird der Querschnitt des Rückenmarkes rund, der Durchmesser des Wirbelkanals enger, und der mit KM gefüllte Subarachnoidalraum stellt sich als zwei parallele röntgendichte Linien (Kontrastmittelsäulen) dar. Ausnahmen bilden die spindelförmigen Auftreibungen der Intumescentia cervicalis (C5–C7) und lumbosacralis (L4–L5). Diese sind bei der Katze am deutlichsten ausgeprägt und die KM-Säulen entsprechend an die Peripherie des Wirbelkanals verlagert. Die Lage des Rückenmarkes im Wirbelkanal hängt von der Form des entsprechenden Wirbelsäulenabschnittes ab. Es liegt im Wirbelkanal über Kyphosen ventral, im Bereich von Lordosen dorsal. Aus diesem Grund ist die ventrale Linie über C2–C3 ventral sehr fein, kompensiert durch eine entsprechend breitere dorsale Säule. Umgekehrte Verhältnisse herrschen im kaudalen zervikalen Bereich. Der Conus medullaris verjüngt sich ungefähr ab L5–L6 (Rassen-und Speziesunterschiede), als Konvergenz der KM-Linien dargestellt. Der Duraendsack endet bei Katzen und bei ca. 80% der Hunde im Sakrum. Besonders bei großen Rassen kann er im Bereich L6–L7 enden, auch die Variation der Größe und Form ist beträchtlich (66, 40, 70). Normale, anatomisch bedingte Füllungsdefekte können oft im Bereich der ventralen KM-Säule auf Höhe C1–C2, aber im lumbalen Bereich (Gefäße) gesehen werden. Auch die Spinalnerven sind zwischen Austritt aus dem Rückenmark und Verlassen des Duralschlauches als lineare Füllungsdefekte sichtbar (71, 22).
Abb. 6.21
Subdurales Kontrastmittel nach zervikaler Myelographie. Breite dorsale und sehr feine, unterbrochene ventrale Kontrastmittelsäule. Diese abnormale Verteilung ist als Artefakt zu beurteilen und kommt durch subdurale KM-Injektion zustande. Bei Einführung der Nadel kann die Arachnoidea von der Dura abgelöst und der normalerweise virtuelle Spalt geöffnet werden. Dadurch kommt es zu »Sequestrierung« des Kontrastmittels mit oft welligen und unregelmäßigen KM-Linien.
Tabelle 6.4: Differentialdiagnosen myelographisch darstellbarer Rückenmarkläsionen
Myelographisch darstellbare Läsionen können nach ihrer Lage im Wirbelkanal klassifiziert werden. Unterscheidbar sind extradurale, intradural-extramedulläre und intramedulläre Läsionen (Tabelle 6.4). Die entscheidenden Beurteilungskriterien sind die Lage und Breite der Kontrastmittelsäule, Füllungsdefekte, die Fließgeschwindigkeit des Kontrastmittels sowie Diffusion in das Rückenmark und den Zentralkanal.
Bei einer extraduralen Rückenmarkskompression wird die Kontrastmittelsäule durch die Läsion in Richtung Zentrum des Wirbelkanals verlagert und zugleich komprimiert, die gegenüberliegende Säule wird an den Rand des Wirbelkanals gedrängt und ebenfalls komprimiert (Abb. 6.22, 6.23). Der Durchmesser des dazwischenliegenden Rückenmarkes verjüngt sich im Bereich der Kompression. In der senkrecht dazu stehenden Projektionsebene werden die Kontrastmittellinien durch das flachgedrückte Rückenmark an die Peripherie des Wirbelkanals verdrängt und komprimiert. Durch die Kompression kann es zu einem vollständigen Stopp des Kontrastmittelflusses kommen.
Eine intradural-extramedulläre Kompression ist charakterisiert durch eine allmähliche Aufweitung des Subarachnoi-dalraums, im Myelogramm als allmähliche Verbreiterung der Kontrastmittellinie dargestellt, unterbrochen durch die Läsion, die sich als Füllungsdefekt präsentiert (sog. »Golf Tee«). In der Projektion senkrecht dazu zeigt sich eine intradurale Läsion typischerweise als Füllungsdefekt, je nach Größe der Läsion ist das Rückenmark durch die Kompression verbreitert (Abb. 6.22, 6.31). Der KM-Fluss kann vollständig unterbrochen sein. Nervenwurzeltumore verfügen häufig auch über eine extradurale Komponente und können durch die oft erweiterten Foramina intervertebralia mit dem extraspinalen Bereich kommunizieren. Ein Spezialfall einer intaduralen Läsion stellt die Arachnoidzyste dar, bei der sich der mit Kontrastmittel gefüllte Leptomeningealraum von kranial nach kaudal allmählich erweitert. Der Zystenrand ist abgerundet, stumpf, das Rückenmark meistens auf mehreren Seite komprimiert (siehe Abb. 14.5).
Die Myelographiebefunde sind für alle intramedullären Läsionen ähnlich. Typisch ist eine spindelförmige Erweiterung des Rückenmarkes, die in allen Projektionsebenen eine Verlagerung der Kontrastmittelsäule an die Peripherie des Wirbelkanals zur Folge hat. Je nach Größe der Auftreibung kommt es zu einerVerlangsamung oder einem Stopp des Kontrastmittelflusses (Abb 6.22 und 16.5). Da das Rückenmark über außerordentliche Kompensationsmöglichkeiten verfügt, haben intramedulläre Tumore bei der Erstdiagnose eine oft erstaunliche Größe. Ein Spezialfall stellt ein zu kleines Rückenmark dar, charakterisiert als allseitig verbreiterte Kontrastmittelsäule (siehe Abb. 14.6). Neben angeborenen Formen kann es nach vaskulärem Insult zu Substanzverlust kommen.
Abb. 6.22 a-d
Schematische Darstellung eines normalen Myelogramms (a) sowie eines extraduralen (b), intradural-extramedullären (c) und intramedullären raumfordernden Prozesses (d). (a) Normalerweise präsentiert sich das KM im Subarachnoidalraum (s) als parallele röntgendichte Streifen. Ausnahmen sind die zervikale und lumbosakrale In-tumeszenz sowie der Conus medullaris. RM = Rückenmark. (b) Bei extraduralen Raumforderungen wird die KM-Säule über der Läsion in Richtung Zentrum des Wirbelkanals verlagert und zugleich komprimiert, die gegenüberliegende KM-Linie wird an den Rand des Wirbelkanals gedrängt und komprimiert. In der senkrecht dazu stehenden Projektionsebene werden die KM-Linien durch das breitgedrückte Rückenmark an die Peripherie des Wirbelkanals verlagert.
(c) Die tangentiale Projektion einer intradural-extramedullären Läsion zeigt eine allmähliche Verbreiterung der KM-Säule kranial und kaudal der Raumforderung, unterbrochen durch die Läsion, die sich als Füllungsdefekt präsentiert (»Golf Tee«). In der Aufsicht zeigen sich intradurale Läsionen typischerweise als Füllungsdefekte; abhängig von ihrer Größe wird das Rückenmark mehr oder weniger komprimiert, dadurch werden die KM-Linien an die Peripherie gedrängt und komprimiert.
(d) Für fokale intramedulläre Raumforderungen typisch ist eine spindelförmige Erweiterung des Rückenmarkes, die in allen Projektionsebenen eine Verlagerung der KM-Linien an die Peripherie des Wirbelkanals zur Folge hat.
Wie oben dargestellt kann Eindringen von KM in das Rückenmark bzw. den Zentralkanal iatrogen verursacht sein. Ein explosiver Diskusprolaps kann Meningen und Rückenmark durchschlagen und ein Eindringen von KM in das Mark erlauben. Auch nach einem Trauma mit Ruptur und schwerer Myelomalazie kann es zu einer Anfärbung des Rückenmarkes kommen (Tabelle 6.4). Die Prognose derartiger Rückenmarksverletzungen ist ungünstig.
6.3.3 Diskographie
Die Diskographie hat in der Kleintierneurologie bei der Diagnostik der degenerativen lumbosakralen Stenose (DLSS) des Hundes praktische Bedeutung erlangt. Sie gilt in Kombination mit der Epidurographie als sehr genaue Methode zur Darstellung der lumbosakralen Bandscheibe und von lumbosakralen Stenosen. Bei der Diskographie der lumbosakralen Bandscheibe wird eine Nadel (24 Gauge) von dorsal durch das Foramen lumbosacrale, den Wirbelkanal und den Anulus fibrosus (Widerstand) in den Nucleus pulposus der Bandscheibe eingeführt. Der Sitz der Nadel wird mittels Röntgenbild oder Röntgenbildverstärker geprüft und anschließend ein nicht dissoziierendes KM (siehe unter Kap. Myelographie) injiziert. In eine unveränderte Bandscheibe kann kein oder nur wenig KM injiziert werden, schon bei 0, 1ml Kontrastmittel wird hoher Gegendruck fühlbar. Bei degenerativen Veränderung kann ein Mehrfaches eingebracht werden, bei Ruptur des Anulus fibrosus fließt das KM in die Umgebung ab, unter Umständen zurück in den Wirbelkanal. Bei der kombinierten Diskographie-Epidurographie wird die Nadel in den Wirbelkanal zurückgezogen und KM in den Epiduralraum injiziert (72).
Abb. 6.23 a-c
Diskusextrusion L3-L4 mit hochgradiger RM-Kompression bei einem 4-jährigen Dackelmischling. Aufnahme (a) wurde nach einer ersten KM-Injektion, die Aufnahmen (b) und (c) während KM-Injektion angefertigt. (a) Mineralisierte Bandscheibe und Gabelung der kaudoventralen KM-Säule. Erst unter Injektion (b und c) stellt sich die hochgradige extradurale RM-Kompression dar. Gabelungen der KM-Linien können bei kleinen zentralen und bei dorsolateralen oder ventrolate-ralen Diskusextrusionen gesehen werden.
6.3.4 Epidurographie
Bei dieser Technik wird das Kontrastmittel in gleicher Dosierung wie für die Myelographie von dorsal durch das Foramen lumbosacrale oder ein Spatium interarcuatum der proximalen Schwanzwirbelsäule in den Epiduralraum injiziert (73). Seitliche Aufnahmen werden unmittelbar nach der Injektion in Flexion und Extension angefertigt. Wegen der inhomogenen Verteilung des KM, das üblicherweise schnell abfließt, ist der Informationsgehalt von ventrodorsalen Aufnahmen gering. Die Methode wird beinahe ausschließlich zur Darstellung von Kompressionen der Cauda equina eingesetzt, allein oder in Kombination mit der Diskographie und gilt für einige Autoren als die genaueste konventionelle Methode zur Darstellung lumbosakraler Kompressionen, während andere auch für diese Indikation der Myelographie als primäre konventionelle Methode den Vorzug geben. Keine der konventionellen Methoden erreicht die Sensitivität und Spezifität der CT oder MRT (74, 75). Nachdem der Zugang zu CT und MRT auch in Europa in der Kleintiermedizin kaum mehr Probleme darstellt, werden konventionelle Methoden zur Darstellung lumbosakraler Erkrankungen wohl bald der Vergangenheit angehören.
Angiographische Techniken wie die Sinusvenographie wurden als Darstellungsmethode raumfordernder Prozesse im Bereich der Cauda equina und der Sakralnerven beschrieben, haben sich in der Tiermedizin aber nicht durchgesetzt (76, 77).
6.4 Spezifische Erkrankungen
6.4.1 Degenerative Erkrankungen
6.4.1.1 Bandscheibendegeneration und -vorfall
Beim Hund ist die Bandscheibendegeneration eine häufige und die klinisch wichtigste degenerative Erkrankung der Wirbelsäule. Bei der Katze sind klinisch manifeste Bandscheibenerkrankungen dagegen selten (78). In der bildgebenden Diagnostik ist es wichtig, zwischen einer Bandscheibendegeneration mit der Bandscheibe in situ und Bandscheibenprotrusion oder -extrusion zu unterscheiden. Ein mineralisierter Nucleus pulposus ist ein Anzeichen einer fortgeschrittenen Bandscheibendegeneration und einer eingeschränkten Funktion als schockabsorbierendes Kissen (Abb. 6.16 und 13.2). Die Verkalkung beginnt üblicherweise im Zentrum des Nu-cleus pulposus und breitet sich von hier in die Peripherie aus. Der Anulus fibrosus kann unabhängig davon verkalken. Die wichtigste Bedeutung einer mineralisierten Bandscheibe in situ besteht darin, dass sie ein deutlich höheres Prolapsrisiko aufweist als eine nicht mineralisierte. Auch beruhen die vorgeschlagenen Zuchtmaßnahmen beim Dachshund auf einer Massenselektion, die sich auf die Zahl der mineralisierten Bandscheiben stützt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch eine im Röntgenbild nicht mineralisiert erscheinende Bandscheibe degeneriert sein kann. Die Röntgenuntersu-chung ist auf Mineralisation als Zeichen einer Degeneration angewiesen und imVergleich zu der MRT wenig sensitiv. Degenerierte und mineralisierte Bandscheiben können im gesamten Verlauf der Wirbelsäule auftreten. Bei verschiedenen großwüchsigen Hunderassen, aber auch beim Dachshund kann neben anderen Lokalisationen eine Häufung degenerierter Bandscheiben in der mittleren Brustwirbelsäule (Th4-Th9) beobachtet werden. Trotzdem ist im Brustbereich zwischen Th2 und Th10 eine Diskushernie selten zu beobachten. Das in diesem Bereich stark ausgebildete Ligamentum longitudinale dorsale, das zusätzlich durch das querverlaufende Ligamentum conjugale costarum verstärkt wird, und die geringe mechanische Beanspruchung können dieses Phänomen erklären. Eine gute Zusammenfassung dieser Problematik findet sich bei Coates (79).
Ein Bandscheibenvorfall oder eine Diskushernie ist vor allem eine Erkrankung von Wirbelsäulenabschnitten mit großer Beweglichkeit und hoher mechanischer Belastung. Am häufigsten betroffen sind die Zwischenwirbelräume im Bereich des Halses (zwischen 13, 9 und 25, 4% aller Diskushernien) mit C2-C3 als der Bandscheibe mit dem höchsten Risiko, und der thorakolumbale Übergang mit einer Häufigkeit zwischen 66% und über 80%. Es scheint, dass Th12-Th13 die Bandscheibe mit dem höchsten Risiko darstellt, bei großen, nicht-chondrodystrophen Rassen scheint L1-L2 besonders gefährdet (80, 81, 82, 83). Bei Diskushernien wird zwischen Protrusion und Extrusion unterschieden. Für eine Bandscheibenextrusion besonders gefährdet sind Tiere chondrodystrophischer Rassen mit chondroider Metamorphose und anschließender Nekrose mit dystrophischerVerkalkung der Bandscheibe. Eine Extrusion beschreibt ein Austreten (evtl. Sequestrierung) von Material des Nucleus pulposus durch den rupturierten Anulus fibrosus in den Wirbelkanal. Bei einer explosiven Extrusion kann die Dura verletzt sein und Bandscheibenmaterial intradural liegen. Der Grad der mechanischen Schädigung und Kompression des Rückenmarks – und damit der klinischen Symptome – hängt dabei wesentlich von der Dynamik, der Größe der Hernie und den Platzverhältnissen im Wirbelkanal ab. Eine Bandscheibenextrusion führt meist zu einer myelographisch nachweisbaren signifikanten extraduralen Rückenmarkskompression (Abb. 6.23 und 13.2-13.4). Eine Protrusion ist eine Vorwölbung auf der dorsalen Seite der Bandscheibe, verursacht durch Überdehnung des Anulus fibrosus mit Vorquellen des Nucleus pulposus. Diese Form wird häufig bei der zervikalen und degenerativen lumbosakralen Stenose angetroffen und ist überwiegend eine Erkrankung von Tieren mit fibroider Metamorphose der Bandscheibe. Bei dieser Form ist die Kompression in der Regel wenig ausgeprägt und liegt stets über dem betreffenden Zwischenwirbelspalt.
Abb. 6.24 a, b
Rückenmarksperforation eines Flat Coated Retrievers nach Autounfall. Lumbale Myelographie L6–L7 nach nicht diagnostischer subokzipitalen Injektion (a). Die Dornfortsätze L5 und L6 sind gespalten. Die dorsale KM-Linie über L4 und L5 ist dünn und unregelmäßig (subarachnoidale Blutung). Die fokale KM-Ansammlung im Wirbelkanal auf Höhe L4-L5 ist die Folge der Perforation der Dura und des Rückenmarkes durch explosionsartig ausgetretenes Bandscheibenmaterial. (b) Die transversale T2w-Sequenz zeigt die fokale Myelomalazie als fokale, homogen erhöhte Signalintensität.
Die Differenzierung und Sicherung der Diagnose geschieht mittels Myelographie, CT oder MRT. Die Myelographie ist bei Hund und Katze im Augenblick noch die am häufigsten eingesetzte diagnostische Methode bei Verdacht auf eine Rückenmarkskompression.
■Im Myelogramm ergibt sich das Bild einer extraduralen Rückenmarkskompression: Die KM-Säule und das Rückenmark werden über der Hernie in Richtung Mitte des Wirbelkanals verdrängt. Die exakte Lage der Hernie erfordert oft Aufnahmen mit um die Längsachse rotiertem Tier (siehe Abb. 14.2).
■Die KM-Säulen sind auf der Seite der Raumforderung, aber auch auf der gegenüberliegenden Seite komprimiert. Bei hochgradiger Kompression stoppt der Kontrastmittelfluss. Aus diesem Grund wird besonders bei einer akuten thorakolumbalen Extrusion die lumbale Technik empfohlen. Dabei kann das KM wegen des geschlossenen Dura-endsacks unter leichtem Druck auch durch eine hochgradige Kompression passieren. Unter Umständen kann die Kompression nur deutlich gemacht werden, wenn die Aufnahme während der KM-Injektion gemacht wird (Abb. 6.23).Typ und Dynamik des Vorfalls bestimmen das Bild wesentlich mit: Die prolabierten Anteile der Bandscheibe können kompakt und kissenartig über einem Zwischenwirbelspalt, oder über eine größere Strecke verteilt liegen. Eine ventrolaterale und kleine zentrale Kompression führen zu einer Gabelung der KM-Linie.
■Ausgedehnte extradurale Blutungen, Ödeme und eine Rückenmarksschwellung können über drei oder mehr Wirbelkörper reichen und den Subarachnoidalraum über eine lange Distanz vollständig obliterieren. Die exakte Lokalisation der Ursache der Kompression kann so erschwert oder unmöglich werden.
■Eine direkte Verletzung durch Bandscheibenmaterial, Blutung oder Ödem kann zu einer myelographisch sichtbaren Verbreiterung des Rückenmarks führen. Zeichen einer direkten Lazeration des Rückenmarks und somit einen schwerwiegenden Befund stellt die Extravasation von KM in den Extraduralraum und Eindringen in das Rückenmark dar (Abb. 6.24). Sie gelten als Zeichen eines explosionsartig erfolgten Geschehens mit Perforation der Dura und Verletzung des Rückenmarks. Bei einer Myelomalazie kann das Rückenmark durch Kontrastmittel diffus angefärbt werden (84).
Die Sensitivität der Untersuchung variiert sehr stark. Die korrekte Lokalisation der betroffenen diskovertebralen Verbindung weist eine hohe Sensitivität von zwischen 90% und 100% auf. Die korrekte Bestimmung der Seite kann dagegen schwierig sein. In der Literatur sind Werte für die Sensitivität zwischen sehr niedrigen 40–60% und 100% angegeben (85, 64, 86, 34, 87). Für diese Unterschiede werden vor allem technische Gründe wie der Injektionsort oder die Injektionsrate verantwortlich gemacht. Die Lage der vorgefallenen Bandscheibenanteile im Wirbelkanal ist ein weiterer limitierender Faktor. Ein Diskusprolaps kann im Myelogramm nur dargestellt werden, wenn er Subarachnoidalraum und Rückenmark komprimiert. Ein dorsolateraler Prolaps mit Sequestrierung von Bandscheibenmaterial in ein Foramen ist myelographisch oft nicht darstellbar. Die gleiche Schwierigkeit besteht im Bereich des Duraendsacks, vor allem im Bereich L7 bis Sakrum.
Abb. 6.25 a, b
Extrusion und Migration der Bandscheibe C5-C6 mit foraminaler Stenose rechts. (a) T2w sagittale Sequenz, paramedian. Leicht verengtes Spatium intervertebrale C5–C6 und C6–C7. Pilzförmig über dem Zwischenwirbelraum und dem Wirbelkörper C5 liegt Material mit im Vergleich zur Bandscheibe identischer Signalintensität (Pfeile). Beachte auch den Signalverlust im Zentrum der benachbarten Bandscheiben (Pfeilspitzen). (b) Die transversalen T1w-Sequenzen auf Höhe der Neuroforamina (links) bzw. der Bandscheibe (rechts) zeigen eine breitbasige Extru-sion nach dorsolateral mit Stenose des rechten Neuroforamens (Pfeile).
Abb. 6.26 a, b
(a) Latero-laterale Röntgenaufnahme und (b) MRT einer Osteochondrose des Kreuzbeins. Dorsal abgeschrägte Sakrumendplatte und scheinbar frei im Wirbelkanal liegendes Fragment sind typische Zeichen einer OCD (a). Der Zwischenwirbelspalt ist eng und wirkt schmetterlingsförmig. Massive Sklerosierung und scheinbare Verbreiterung der Sakrumendplatte. (b) Sagittale CBASS, transversale T1w- und dorsale T1w-Schnitte der lumbosakralen Bandscheibe. Defekt in der Sakrumendplatte, verminderte SI im dorsalen Bereich, Bandscheiben-Extrusion mit eingelagertem signalarmen Knochenfragment mit hochgradiger Stenosierung des rechtsseitigen Wirbelkanals und Neuroforamens. Die linke Nervenwurzel liegt frei im Foramen.
CT und in noch stärkeren Maße die MRT sind der Myelographie in der Diagnostik von Erkrankungen der Bandscheibe und des Rückenmarkes überlegen. Die Myelographie wird deshalb von diesen auch in der Veterinärmedizin in nicht allzu ferner Zukunft abgelöst werden.
Eine erfolgreiche CT-Untersuchung setzt eine sehr genaue klinische Untersuchung voraus. Anders als bei der Myelogra-phie oder der MRT ist es mit der CT aufwändig, längere Rückenmarksabschnitte auf eine Kompression hin zu untersuchen. Kombination der CT mit Myelographie kann die Sensitivität der Untersuchung erhöhen. Transversale Schnitte können durch sagittale Rekonstruktionen ergänzt werden.
MRT ist die sensitivste Methode für die Diagnostik von degenerierten Bandscheiben und Diskushernien (Abb. 6.25, 6.26). Eine Bandscheibendegeneration ist ein komplexer Prozess, der zuVeränderung der Matrix (Proteoglykane und Glykosamino-glykane) mit Verminderung der Wasserbindungskapazität führt (88, 89). Der Wasserverlust stellt sich in der T2w-Sequenz im normalerweise signalreichen Nucleus pulposus als Signalverlust dar. Der degenerierte Nucleus pulposus wird schließlich die gleiche Signalintensität wie der normalerweise signalarme Anulus fibrosus aufweisen (90, 91). In der MRT werden mindestens zwei verschiedene Schichtebenen gelegt: Eine sagittale T2w-Sequenz kann mit einer T1w-Sequenz in der Transversalebene mit der Schichtebene parallel zum Zwischenwirbelraum kombiniert werden. Bei kleinen Tieren empfiehlt es sich infolge der geringen Volumina und kleinen Strikturen, 3D-Volumentechniken mit hoher örtlicher Auflösung und geringer Schichtdicke einzusetzen. T2w-Sequenzen eignen sich sehr gut, um Bandscheibendegeneration darzustellen, die sich als Signalverlust des Nucleus pulposus, bedingt durch einen geringeren Wassergehalt, äußert. In transversalen T1w-Sequenzen kann die Integrität des signalarmen Anulus fibrosus am besten beurteilt werden. Vorwölben der Bandscheibe in den Wirbelkanal, Zunahme von Weichteildichte verbunden mit Verlust des epiduralen Fetts,Verlagerung und Kompression von Duraschlauch und Rückenmark sind Zeichen eines Bandscheibenvorfalls (75, 92). Die Einteilung von Diskusher-nien in Protrusionen und Extrusionen kann analog zu der in der Humanmedizin gebräuchlichen Klassifikation erfolgen. Eine Bandscheibenextrusion wird als Vorfall von Bandscheibenmaterial durch eine enge Öffnung definiert, die Basis der Hernie ist dabei kleiner als die größte Ausdehnung des pro-labierten Bandscheibenmaterials. Als Protrusion wird ein breitbasiger Bandscheibenvorfall bezeichnet. Bandscheibenmaterial kann nach proximal oder distal unter dem Ligamen-tum longitudinale dorsale disloziert sein, was als Migration, bei Unterbruch der Verbindung zur Bandscheibe als Sequestration bezeichnet wird (59). Ein großer Vorteil des MRT gegenüber der Myelographie ist die Darstellung von foraminalen Stenosen, verursacht durch degenerative Veränderungen der Facettengelenke wie Randwulstbildung, Synovial- und Ganglionzysten und sequestriertes Bandscheibenmaterial (Abb. 6.25). Die beim Dobermann im Zusammenhang mit der zervikalen Spondylomyelopathie beobachtete Atrophie des Rückenmarkes gilt als prognostisch schlechtes Zeichen (93).
6.4.1.2 Degenerative lumbosakrale Stenose
Die häufigste und klinisch bedeutungsvollste Erkrankung des lumbosakralen Übergangs ist die degenerative lumbosakrale Stenose (DLSS) großer Hunderassen (33, 36, 39, 37, 38, 34, 35). Bis zur Einführung der CT und MRT in die veterinärmedizinische Diagnostik stellte sie wegen der anatomischen Verhältnisse eine große diagnostische Herausforderung dar. Der lumbosakrale Übergang wird durch die Ileosakralgelenke und das Becken überlagert, und der Duraendsack kann gerade bei großen Hunderassen auf Höhe des lumbosakralen Übergangs sehr dünn sein oder kranial davon enden, wie ein Vergleich zwischen Deutschem Schäferhund und Dachshund zeigte (40). Wegen dieser Inkonsistenz wurden neben der Myelographie (94, 66, 95, 35) die Epidurographie, Diskographie und Sinusvenographie in der Diagnostik des Cauda-equina-Syndroms eingesetzt. Diskographie und Epidurogra-phie sind Methoden, die einfach und mit geringer Morbidität durchgeführt werden können und eine Sensitivität zwischen 75 und 90% aufweisen (94, 96, 72, 37, 34, 97). Nach der Einführung der CT und MRT haben diese Methoden in der Diagnostik der Cauda-equina-Kompression neue Maßstäbe gesetzt.
Röntgenleeraufnahmen liefern selten schlüssige Befunde. Ein lumbosakraler Übergangswirbel und die Osteochondrose der Sakrumendplatte gelten als prädisponierende Faktoren (38, 98, 41). Eine Osteochondrose des Sakrums ist im Leerröntgen sichtbar als Defekt, Abschrägung und Sklerosierung des dorsalen Teils der kranialen Sakrumendplatte (Abb. 6.26). Ob ein knöchernes Dissekat im Wirbelkanal nachweisbar ist, hängt von der Größe des Fragments, aber auch der Röntgentechnik ab (Schichtaufnahmen sind hilfreich!). DieVeränderung ist bereits bei jungen Tieren vorhanden, führt zu einer Degeneration der lumbosakralen Bandscheibe und meist durch die ausgeprägten proliferativenVeränderungen zu einer Kompression der Cauda equina (98). Spondylose, enger oder kollabierter Zwischenwirbelspalt, Vakuumphänomen, ventrale Subluxa-tion des Sakrums, Deformation und/oder Sklerose der Sakru-mendplatte und Osteoarthritis der Facettengelenke sind Zeichen eines chronisch degenerativen Prozesses der diskoverte-bralen Verbindung. Diese Befunde reichen als Beweis für eine Kompression jedoch nicht aus (38, 99, 97, 100, 101). Der Nachweis der Wirbelkanal- oder der foraminalen Stenose muss durch Spezialuntersuchungen nachgewiesen werden. Stressaufnahmen in Flexion und Extension werden eingesetzt, um den Bewegungsumfang zu messen, ebenso zur Feststellung einer lumbosakralen Instabilität im Sinne einer Translationsbewegung (Abb. 6.27). Der Aussagekraft dieser Untersuchung ohne Kontrastmitteleinsatz sind allerdings enge Grenzen gesetzt. Es hat sich gezeigt, dass der Bewegungsumfang bei gesunden weiblichen Tieren am größten ist, und lumbosakrale Instabilität auch bei klinisch gesunden Tieren vorkommt (100).Aus diesem Grund wird die dynamische Studie am besten in Kombination mit einer KM-Untersuchung (Myelogra-phie oder Epidurographie) durchgeführt. Die Myelographie wird über eine subokzipitale Punktion durchgeführt, da extradurales KM die Beurteilung eines lumbalen Myelogramms erschweren kann. Die Untersuchung geschieht dynamisch, wobei immer zuerst die Aufnahme in Flexion angefertigt wird. Typisch ist eine extradurale Kompression von ventral, lateral, und gelegentlich dorsal mit Verlagerung und Kompression des Duraendsacks, in Extension ist die Kompression oft akzentuiert.
Vor allem bei großen Rassen ist der Duraendsack nicht selten (in etwa 20%) zu kurz oder dünn, um selbst bei Stenosen des Wirbelkanals eine myelographische Diagnose zu erlauben. Überdies liegt die Stenose oft im Bereich des Wurzelkanals und entzieht sich somit einer myelographischen Darstellung vollständig. Andere Kontrastverfahren wie Epidurographie oder kombinierte Diskographie-Epidurographie weisen bei der DLSS eine hohe Sensitivität auf, vermögen allerdings Veränderungen kranial L7–S1 und foraminale Stenosen ebenfalls nicht zu erfassen. Untersuchungsmethoden der Wahl sind CT und MRT. Sie weisen gegenüber den konventionellen Techniken eine höhere Sensitivität und Spezifität auf. Masseneffekte im Wirbelkanal und den Foramina werden in der CT und MRT als Verdrängung des periduralen Fettpolsters dargestellt. MRT ermöglicht die direkte Darstellung der Cauda equina und der Nervenwurzeln. Lage und Zustand (Signalintensität) der Bandscheibe können ebenfalls analysiert werden, (siehe Kap. 6.4.1.1).
Abb. 6.27 a, b
Dynamische Untersuchung in Flexion (a) und Extension (b) einer degenerativen lumbosakralen Stenose als Folge einer Sakrum-OCD bei einem 2-jährigen Deutschen Schäferhund. Breiter und weit in das Sakrum reichender Duraendsack. In Flexion ist der Duraendsack nach dorsal verlagert, aber normal weit. In Extension wird er von ventral um mehr als 50% komprimiert. Im Übrigen für OCD typische Veränderung der Sakrumendplatte.
6.4.1.3 Weitere degenerative Erkrankungen
Die zervikale Spondylo-Myelopathie (Malformation-Malartikulation oder Wobbler-Syndrom) kommt am häufigsten beim Dobermann und der Deutschen Dogge vor, primär ist dabei die kaudale Halswirbelsäule (C5-C7) betroffen. Beim Dobermann werden dieVeränderungen bei Hunden mittleren Alters gesehen und bestehen aus abnorm rhomboid oder dreieckig geformten Wirbelkörpern, die nach dorsal subluxiert sein können (tipping). Hansen-Typ-II-Diskusprotrusionen, Hypertrophie des Ligamentum flavum sowie Osteophyten und missgebildete Bogenwurzeln führen zu einer Verengung des Wirbelkanals, speziell des Foramen vertebrale craniale. Bei der Deutschen Dogge tritt die Erkrankung meist früher auf und ist gekennzeichnet durch eine Wirbelkanalstenose assoziiert mit degenerativen Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke und Bandhypertrophie (32, 31). Die Diagnose kann mittels Myelographie gestellt werden, Aufnahmen in Flexion und Extension dienen der Differenzierung zwischen statischen und dynamischen Kompressionen des Rückenmarkes. Kompressionen, die durch Hypertrophie des Ligamentum longitudinale dorsale oder des Ligamentum flavum verursacht sind, verstärken sich bei Dorsoflexion des Halses und nehmen ab bei Ventroflexion (siehe Abb. 14.4). Leichter Zug am Hals kann den Schweregrad der Kompression vermindern. Zusätzliche Informationen über genaue Lokalisation, Grad der Rückenmarkskompression und Rückenmarksatrophie kann mittels Myelo-CT oder MRT gewonnen werden. Eine relative Ausweitung des Subarachnoidalraums an der Stelle einer Diskusprotrusion ist ein Hinweis auf eine RM-Atrophie und ein prognostisch schlechtes Zeichen (93).
MRT ermöglicht zusätzlich eine ausgezeichnete Darstellung der Weichteile, was bei dieser Problematik besonders im Bereich der kleinen Wirbelgelenke sehr wichtig ist. Dorsolaterale Rückenmarkskompressionen entwickeln sich oft durch Weichteilvermehrung, Synovial- oder Ganglionzysten (102), die sich in T2-gewichteten Sequenzen als hyperintense runde Strukturen assoziiert mit dem Gelenk darstellen. Außerdem können intramedulläre Läsionen wie Gliose oder Ödem dargestellt werden (103).
Bei Hunden mit degenerativer Myelopathie liegt die Bedeutung der Röntgenuntersuchung und Myelographie im Ausschluss von anderen, v. a. kompressiven Erkrankungen. Beim Menschen wird das Aussehen einer degenerativen Myelopathie in der MRT als hyperintens in T2- und iso- oder hy-pointens in T1-gewichteten Sequenzen beschrieben (104).
Bei älteren großen Hunderassen wird ab und zu eine Verknöcherung der Dura mater beobachtet. Klinisch ohne Bedeutung, kann die Duraverknöcherung gelegentlich die Funktion eines Myelogramms übernehmen (»Automyelogramm«), da sie natürlich dem Verlauf des Rückenmarkes folgt.
6.4.2 Tumore
Tumore der Wirbelsäule können in primäre und metastatische Tumore unterteilt werden. Zu den primären Tumoren gehören alle, die aus Geweben des normalen Knochens bestehen, nämlich Osteosarkome, Chondrosarkome, Fibrosarkome, Hämangiosarkome, undifferenzierte Sarkome und solitäre Plasmazelltumore. Zu den Tumoren, die in die Wirbelsäule metastasieren, gehören in erster Linie verschiedene Karzinome aber auch das multizentrische Lymphom, multiple Myelom, Osteosarkom des appendikulären Skeletts und andere Sarkome (23).
Primäre Knochentumore der Wirbelsäule zeigen im Röntgenbild in erster Linie Knochendestruktion, teilweise zystenartig, weniger häufig auch Proliferation. Der häufigste primäre Knochentumor der Wirbelsäule ist das Osteosarkom. Osteosarkome treten in der Regel monostotisch auf, doch können auch benachbarte Wirbel betroffen sein (105). Die kleinen Wirbelgelenke sind dabei praktisch nie involviert und werden auch nicht übersprungen. Im Leerröntgen führen Osteosarkome in erster Linie zu teilweise recht diskreten osteolytischen Läsionen, manchmal aber auch zu stark aufgetriebenen Wirbelkörpern. Periostale Reaktionen sind auch häufig vorhanden, seltener Knochenneubildung in den Weichteilen. Die im Leerröntgen teilweise schlecht definierbaren Läsionen können mittels linearer Tomographie deutlicher dargestellt werden. Neurologische Symptome treten bei Expansion des Tumors in den Wirbelkanal auf, darstellbar in der Myelogra-phie als extradurale (Abb. 6.28), aber auch extramedullär-intradurale Rückenmarkskompressionen. Obwohl sie selten vorkommen, muss differentialdiagnostisch bei lytischen Veränderungen im Wirbelkörper auch an benigne aneurysmale Knochenzysten gedacht werden (106).
Metastasen von Karzinomen des Urogenitaltraktes können in der Wirbelsäule oder in den proximalen langen Röhrenknochen auftreten. Typischerweise sind dabei im Gegensatz zu primären Neoplasien mehrere Wirbel betroffen (107). Als Screening-Methode zur Metastasensuche bietet sich die Skelett-Szintigraphie an (Abb. 6.10). Das radiologische Erscheinungsbild ist dem der primären Tumore sehr ähnlich (23). Knocheninfiltration durch Neoplasien der umgebenden Weichteile ist möglich, die Schädigung der Blutversorgung des Wirbels kann dabei zu Knochennekrose, sichtbar als Sklerosierung, führen (108).
Plasmazelltumore kommen primär in Knochen mit aktiver Hämatopoese vor, in ca. 25% der Fälle sind die Wirbelkörper betroffen. Zwei Typen sind in der Wirbelsäule bekannt: die dis-seminierte Form oder multiples Myelom und seltener solitäre Plasmazelltumore. Typische Veränderungen im Röntgenbild bestehen aus diskreten, gut definierten lytischen Läsionen ohne Sklerose des umgebenden Knochens. Ein großer Teil der Patienten zeigt zur Zeit der Diagnose eine generalisierte Osteopenie. Bei Verdacht auf multiples Myelom sollten Übersichtsaufnahmen der Prädilektionsstellen gemacht werden (Wirbelsäule, Becken, Schädel, Rippen). Die Szintigraphie als Screening-Methode ist in diesen Fällen nicht geeignet, da rein lytische Läsionen nicht sichtbar werden (109). Solitäre Plasmazelltumore äußern sich als lytische Läsionen im Wirbelkörper und können sich später auch zu einer disseminierten Form entwickeln (48). Atypische Formen mit lytischen und prolife-rativen Formen und Involvierung von Dornfortsätzen sind aber auch beschrieben worden (110). Eine Knocheninfiltration durch ein multizentrisches Lymphom zeigt sich als disseminierte permeative Knochenlyse und Proliferationen an Rippen und Wirbelsäule, teilweise auch mit pathologischen Frakturen (47) (Abb. 6.14).
Eine vertebrale Angiomatose wurde bei jungen Katzen in der Thorakalwirbelsäule beschrieben, kann aber auch in der Halswirbelsäule gesehen werden. Es handelt sich bei dieser Erkrankung um eine benigne Proliferation von Blutgefäßen, die zu lytischen und proliferativen Veränderungen der Wirbel (speziell der Pedikel) und zu einer Rückenmarkskompression führt (Abb. 6.29). Die Prognose scheint nach chirurgischer Entfernung recht günstig zu sein, allerdings sind Rezidive möglich (111).
Abb. 6.28 a-c
Osteosarkom der Wirbelsäule (Th6); Myelographie. (a) Massive lytische und proli-ferative Veränderungen am Dornfortsatz Th6. Dadurch Druckatrophie des Dornfortsatzes von Th7 (weißer Pfeil). In den umgebenden Weichteilen sind amorphe Knochenneubildungen vorhanden (Pfeilspitze). (b, c) Das Wirbeldach Th6 ist teilweise unterbrochen und der Prozess, vermutlich eine Weichteilkomponente des Knochentumors, zieht in den Wirbelkanal, deutlich ersichtlich im Myelogramm als extradurale Kompression von links und dorsal.
Primäre Weichteiltumore neuralen Ursprungs wie Astrozytome, Ependymome, Oligodendrogliome, Medulloepitheliome und Sarkome sind meistens intramedullär lokalisiert. Sie können im Leerröntgen fokale Verbreiterungen des Wirbelkanals und Lyse der Bogenwurzel durch Druckatrophie des Knochens ausmachen. Meistens sind Rückenmarkstumore aber erst in der Myelographie als fokale intramedulläre Läsion sichtbar. CT ist durch die bessere Dichteauflösung sensitiver, um regionale Knochenlyse oder Zubildungen aufzuzeigen (58), ist aber limitiert in der Darstellung des Rückenmarkes.
Abb. 6.29 a, b
Myelographie einer vertebralen Angiomatose von L1 bei einer Katze. (a) In der lateralen Projektion zeigt sich eine extradurale Rückenmarkskompression von dorsal. Die Knochenstruktur des verbreiterten Wirbeldaches erscheint aufgelockert. (b) In der rotierten VD-Projektion sind beide Bogenwurzeln im Vergleich zu den normalen Bogenwurzeln (Pfeilspitzen) verbreitert, unscharf begrenzt und weisen eine aufgelockerte, schwammartige Knochenstruktur auf (Pfeile). Es besteht eine hochgradige Sanduhr-Kompression des Rückenmarks.
Die Methode der Wahl zur Darstellung von Rückenmarkstumoren ist die MRT. Routinemäßig müssen T1- und T2-gewichtete Sequenzen sowie T1-gewichtete Sequenzen nach Kontrastmittelgabe durchgeführt werden. Um intra- und extramedulläre Läsionen abzugrenzen, sind mindestens zwei Ebenen nötig. Die involvierten Strukturen und auch der Grad der Rückenmarkskompression sowie das Verhältnis Rückenmark zu Tumor ist mit der MRT am genauesten darstellbar. In der Veterinärmedizin ist noch wenig über das Aussehen verschiedener Tumortypen in der MRT publiziert. In der humanmedizinischen Literatur dagegen werden die häufigsten Tumortypen beschrieben. Ein unterschiedliches Signal- und Kontrastanreicherungsverhalten kann die Liste der Differentialdiagnosen eingrenzen, erlaubt aber auch keine genaue Diagnose. Auch die Abgrenzbarkeit der Läsion ist schwer einzuschätzen, die MRT- und die chirurgischen Befunde stimmen nicht immer überein (112).Veränderungen in den umgebenden Strukturen sind oft schwer vom eigentlichen Tumorgewebe abgrenzbar, zum Beispiel variiert die Signalintensität von Knochen sehr stark mit dem Fettgehalt. Um fetthaltiges Knochenmark und eine Tumorinfiltration in den Knochen zu unterscheiden, werden fettunterdrückte STIR-Sequenzen verwendet. In der Humanmedizin gibt es mehr Angaben über das Aussehen und Verhalten von Rückenmarkstumore. Die häufigsten Tumore sind Ependymome, sie sind typischerweise zervikal lokalisiert (im Zentrum des Rückenmarkes) und häufig assoziiert mit großen angrenzenden Zysten. Benachbarte Regionen mit erniedrigter Signalintensität repräsentieren Hämosiderin-Ablagerungen durch chronische Blutungen (113).Astrozytome sind meistens exzentrisch lokalisiert, schlecht begrenzt und weisen ein inhomogenes Kontrastmittelenhancement und teilweise auch zystische Komponenten auf (112). Kontrastmittelinjektionen erlauben es, eine reaktive Gliose oder ein Ödem des Nervengewebes von Tumorgewebe zu unterscheiden (114).
Nervenwurzeltumore (Schwannome, Neurofibrome/Neurofibrosarkome) und Meningiome sind die häufigsten intradural-extramedullären Tumore (Abb. 6.30, 6.31). Sie können im Leerröntgen Veränderungen wie erweiterte Foramina inter-vertebralia verursachen. In der Myelographie werden intradu-rale, aber auch intramedulläre oder rein extradurale Läsionen gesehen, wobei gerade in der Zervikalwirbelsäule die Darstellung durch Überlagerungen oft schwierig ist. Da die Tumore oder große Teile davon oft außerhalb des Wirbelkanals liegen, sind MRT oder CT die Untersuchungsmethoden der Wahl. Im Bereich des Plexus brachialis können Raumforderungen auch mittels Ultraschall dargestellt werden (115). In der MRT stellen sich Nervenwurzeltumore typischerweise als hyperintense Strukturen in T2- und isointense Strukturen in T1-ge-wichteten Sequenzen dar. Die Tumore können extradural, extramedullär-intradural oder auch teilweise intramedullär liegen, die Abgrenzung ist nicht immer klar möglich. Transversale Sequenzen und Sequenzen mit hoher Signalintensität des Liquor cerebrospinalis (MR-Myelogramm) sind in dieser Hinsicht am aussagekräftigsten. Die meisten Nervenwurzeltumore zeigen ein sehr deutliches Kontrastmittelenhancement (114).
Meningiome sind meist gut vom Rückenmark abgegrenzt und zeigen eine in T1-gewichteten Sequenzen variable, in T2-gewichteten Sequenzen leicht erhöhte Signalintensität mit deutlicher Kontrastmittelanreicherung (116).
Abb. 6.30
MRT-Darstellung eines Nervenwurzeltumors. Links die transversalen Schnitte (1) vor und (2, 3) nach KM-Injektion, rechts dorsale Schnitte. Muskelatrophie der linksseitigen Halsmuskulatur, die gegenüber normaler Muskulatur erhöhte SI weist auf Fetteinlagerung hin. Das linke Neuroforamen ist erweitert.Auf der Nativ-aufnahme stellt sich der Tumor isointens zum normalen Rückenmark dar. Der Tumor zeigt eine sehr starke und homogene Kontrastaufnahme. Kontrastaufnahme kann auch in der Muskulatur außerhalb des Neuroforamens gesehen werden. Das Myelon ist nur geringgradig verbreitert, jedoch zum größten Teil durch Tumorgewebe ersetzt, ein Zeichen von infiltrativem Wachstum.
Bei jungen Hunden großer Rassen mit extramedullär-intraduralen Kompressionen auf Höhe Th10-L2 muss differentialdiagnostisch an ein Nephroblastom (neuroektodermaler Tumor junger Hunde) gedacht werden (117).
Metastatische Weichteiltumore können das Rückenmark infiltrieren oder komprimieren. Tumormetastasen mit reiner Weichteilkomponente wie das maligne Lymphom (häufig bei der Katze) oder die maligne Histiozytose beim Hund sind häufig im Epiduralraum lokalisiert. Intramedulläre Metastasen durch Lymphom oder Lipome sind beschrieben. Lipome sind in der MRT durch die für Fett typisch hohe Signalintensität in T1- und T2-gewichteten Sequenzen identifizierbar.
Abb. 6.31 a, b
Meningiom bei einem 8-jährigen Neufundländer mit Tetraparese. (a) Breitbasig von der Dura ausgehende intradurale-extramedulläre Läsion dorsal mit etwa 50%iger Kompression des Halsmarks auf Höhe C2. (b) In der VD-Projektion großer Füllungsdefekt mit nach lateral verdrängten und komprimieren KM-Linien.
6.4.3 Anomalien
Die kongenitale atlantoaxiale Instabilität ist eine Entwicklungsstörung diverser Zwergrassen. Sie kann sporadisch auch bei Hunden großer Rassen und Katzen gesehen werden. Mögliche Ursachen sind Agenesie (bei Katzen mit Mukopo-lysaccharidose), Hypoplasie oder fehlende Fusion des Processus odontoideus (Dens axis) mit C2 und Fehlen des Bandapparates zwischen Okziput, Atlas und Axis. Bei verschiedenen Zwergrassen, z. B. demYorkshire Terrier, Zwergpudel oder Pekinesen werden erbliche Faktoren diskutiert. Erworbene atlantoaxiale Instabilitäten können durch Frakturen des Dens oder Ruptur der Ligamenta apicis dentis, alaria und transversum atlantis entstehen.
Atlantoaxiale Instabilität äußert sich im Röntgenbild als vergrößerter Abstand zwischen dem Wirbeldach des Atlas und dem Processus spinosus von C2, der bei kleinen Hunderassen nicht größer als 2–3 mm sein sollte. Weitere Merkmale sind eine gebrochene Achse C1-C2, die mit Dorsalverlagerung des Dens verbunden ist (siehe Abb. 14.7). Ein stummelartiger, verkürzter oder fragmentierter Dens sowie ein Fehlen oder die Fraktur des Dens sind ebenfalls charakteristische Veränderungen. In einigen Fällen kann ein Fragment zwischen dem verkürzten Dens und dem Okziput gesehen werden. Nicht selten besteht gleichzeitig ein hypoplastischer C1 mit verkürztem und sehr dünnem Atlasbogen, was vor allem bei der chirurgischen dorsalen Stabilisation ein Problem darstellt (28). Stressaufnahmen dürfen nur mit äußerster Vorsicht durchgeführt werden (leichte Flexion). Rostrokaudale Aufnahmen durch das geöffnete Maul bei angewinkeltem Kopf sind daher selten indiziert, um den Dens axis darzustellen. Besser verwendet man laterolaterale Aufnahmen bei leicht um die Längsachse rotiertem Kopf; der Dens wird so nicht von den Atlasflügeln überlagert. CT und insbesondere die MRT sind sensitive Methoden, um vor allem Veränderungen des Bandapparates zu untersuchen.
Okzipito-atlanto-axiale Malformationen sind beim Kleintier sehr selten (Katze) und sind charakterisiert durch Fusion des Atlas mit dem Okziput, Hypoplasie des Atlas mit rudimentären Querfortsätzen und Hypoplasie des Processus spinosus und Dens axis (29, 30).
Kartilaginöse Exostosen sind mit Knorpel überzogene Knochenproliferationen. Sie entstehen an der Metaphyse von Knochen, die sich durch enchondrale Ossifikation entwickeln. Wirbel, Rippen und Gliedmaßen sind dabei am häufigsten betroffen.
Solitäre Exostosen werden meist als Osteochondrome bezeichnet, während multiple Läsionen Osteochondromatose oder multiple kartilaginäre Exostosen (MCE) genannt werden. Das Erscheinungsbild ist bei Hund und Katze grundlegend verschieden: Beim Hund treten die Exostosen während der enchondralen Ossifikation auf, nach Abschluss des Wachstums nehmen sie nicht mehr an Größe zu.Allerdings sind maligne Transformationen zu Osteosarkomen oder Chondrosarkomen möglich (118). In Röntgenbild oder CT ist bei maligner Transformation in Chondrosarkome an der Oberfläche der Läsion ein bis zu 2–3 cm verdickter, unregelmäßiger Knorpel sichtbar (119). Eine weitere Form mit symmetrischen, ringförmigen Osteochondromen, assoziiert mit verkürzten und deformierten Gliedmaßen, wurde bei einem Wurf Mischlingshunde beschrieben (120). Bei der Katze treten multiple kartilaginäre Exostosen bei jung-adulten Tieren nach der Skelettreifung auf und wachsen kontinuierlich, ausgehend vor allem von flachen Knochen wie Skapula, Schädel, aber auch Rippen und Wirbel. Eine Assoziation mit dem feli-nen Leukämie-Virus wird vermutet.
Im Röntgenbild präsentieren sich die Exostosen als gut begrenzte Knochenproliferationen mit einer glatten Verbindung zum Ursprungsknochen, ohne periostale Reaktionen oder Zeichen von Knochenlyse (121). Benachbarte Wirbel können allerdings Formveränderungen und Sklerosierungen aufweisen. Knorpeleinschlüsse verleihen der Läsion ein inhomogenes Aussehen. Neurologische Ausfälle entstehen, wenn die Lokalisation der Exostosen eine Einengung des Wirbelkanals verursacht (Abb. 6.15). Myelographie, CT- oder MRT-Untersuchungen sind nötig, um eine Rückenmarkskompression darzustellen (49, 50).
Calcinosis circumscripta kann bei ungünstiger Lokalisation wie zwischen dem von C1 und dem Processus spinosus von C2 zu extraduralen Rückenmarkskompressionen führen. Radiologisch stellt sie sich als schollige mineraldichte Raumforderung in den Weichteilen ohne Verbindung zum Knochen dar (24, 50, 25).
Wirbelanomalien resultieren aus einer fehlenden Ausbildung eines Teils des Wirbels (meist des Wirbelkörpers) während der embryonalen Entwicklung. Verschiedene Formen sind möglich und werden entsprechend ihrem Erscheinungsbild als Keilwirbel oder Hemivertebrae, Schmetterlingswirbel oder – im Fall einer unvollständigen oder fehlenden Segmentierung zweier Wirbel unter Verlust der diskovertebralen Verbindung – als Blockwirbel bezeichnet. Sie führen meist zu einer abnormalen Winkelung der Wirbelsäule, je nach Form und Anzahl veränderter Wirbelkörper zu Kyphose, Lordose oder auch Skoliose. Hemivertebrae weisen eine normale Knochenstruktur und glatte Kortizes und Endplatten auf. Benachbarte Wirbelkörper können kompensatorische Formveränderungen und Verbreiterung oder Verengung der Zwischenwirbelspalten zeigen. Durch die veränderte mechanische Belastung der Wirbelsäule können jedoch Osteophyten an den Wirbelkörpern auftreten.
Anomalien des Wirbelsäulenskeletts sind meistens ohne klinische Bedeutung, Rückenmarkskompressionen sind aber möglich. Vorhandensein und Ausmaß einer Kompression können im Leerröntgen nicht ausreichend beurteilt werden, eine Myelographie oder CT-/MRT-Untersuchung ist dafür notwendig. Dabei sollte in jedem Fall die ganze Wirbelsäule untersucht werden, da Missbildungen häufig an mehreren Stellen, gelegentlich auch in Kombination mit anderen Malformationen wie Dysraphien oder Arachnoidalzysten auftreten. Blockwirbel können durch die relative Rigidität eines längeren Segmentes zu Bandscheibendegeneration oder sogar Diskusprolaps in den benachbarten Segmenten führen (44).
Übergangswirbel sind einfach zu erkennen und meistens ohne klinische Bedeutung. Eine Ausnahme sind lumbosakrale Übergangswirbel (Lumbalisation von S1 oder Sakralisation von L7), die eine Prädisposition darstellen für eine Degeneration der lumbosakralen Bandscheibe und Cauda-equina-Kompression (41).
Dysraphien oder Spaltmissbildungen wie die Spina bifida sind das Resultat einer fehlenden Fusion der dorsalen Anteile des Wirbeldachs und evtl. auch des Nervengewebes (siehe Abb. 14.9). Eine rassebedingte Prädisposition besteht bei Bulldoggen, Entlebucher Sennenhunden und Manxkatzen (43). Eine doppelte Ausbildung, Formveränderungen oder ein Fehlen der Dornfortsätze ist im Röntgenbild zu sehen, am häufigsten in den Lenden- oder Sakralwirbeln. Zystische Meningen oder Nervengewebe können sich als Meningozoelen bzw. Meningomyelozoelen durch den dorsalen Spalt vorwölben. Um diese Veränderungen darzustellen, sind Kontrastmitteluntersuchungen wie Myelographie oder Myelographie-CT oder MRT indiziert. In Fällen mit Meningozoelen ist eine mit Kontrastmittel gefüllte Ausstülpung des Subarachnoidalraums sichtbar, bei Meningomyelozoelen wölbt sich das Rückenmark zusätzlich in den Defekt vor. MRT-Untersuchungen haben den Vorteil, dass nicht nur die Läsion selbst sehr gut dargestellt wird (die Signalintensität entspricht der des normalen Liquor cerebrospinalis), sondern auch assoziierte Erkrankungen wie Arachnoidalzysten oder Syringohydromyelien erkannt werden können (49).
Als Hydromyelie wird eine Dilatation des Zentralkanals bezeichnet, die mit Ependym ausgekleidet ist. Eine Syringomyelie entsteht dagegen außerhalb des Zentralkanals und weist keine Auskleidung mit Ependym auf. Eine Differenzierung von Hydro- und Syringomyelie ist mit bildgebenden Verfahren nicht möglich, die Bezeichnung Syringohydro-myelie wird daher oft verwendet. Allerdings besteht bei exzentrischer Position des flüssigkeitsgefüllten Hohlraumes im Rückenmark der Verdacht einer Syringomyelie (122). MRT ist die Methode der Wahl bei Verdacht auf Syringohydromyelie (siehe Abb. 14.8, 14.9, 17.5). Die Flüssigkeit in den Hohlräumen der Syringohydromyelie weist den gleichen Proteingehalt und damit die gleichen Signalintensitäten wie der Liquor cerebrospinalis auf. In T1-gewichteten Aufnahmen sind hypointense (schwarze), in T2-gewichteten Sequenzen hyperintense (weiße) Hohlräume anstelle des Zentralkanals sichtbar. Verbindungen mit dem Ventrikelsystem und andere, evt. ursächliche Läsionen können mittels MRT dargestellt werden. Kongenitale Malformationen des Kleinhirns wie die Chiari-Malformationen mit Verlängerung des Zerebellums durch das Foramen magnum oder Dandy-Walker-Syndrome mit zerebellärer Hypoplasie, Zysten des 4. Ventrikels und Hydrozephalus treten oft in Verbindung mit Syringohydro-myelien auf. Als Ursache wird eine Obstruktion der Öffnungen des 4. Ventrikels vermutet. Zystische Tumore sind durch unterschiedliches Signalverhalten und Kontrastmittelanreicherung des soliden Anteils eindeutig zu unterscheiden.
In der CT lassen sich größere Hohlräume im Rückenmark ebenfalls darstellen, kleinere Läsionen sind jedoch nur sichtbar, wenn sie eine Verbindung mit dem Subarachnoidalraum aufweisen und sich mit Kontrastmittel füllen.
Ein unspezifischer Hinweis auf eine Syringohydromyelie im Leerröntgen ist eine Erweiterung des Wirbelkanals. In der Myelographie ist eine Verbreiterung des Rückenmarkes mit verengtem Subarachnoidalraum sichtbar. Der dorsale Subarachnoidalraum kann so schmal werden, dass der erste Liquor, der bei Punktion der Cisterna magna abfließt, aus dem Zentralkanal kommt. Kontrastmittel kann so unabsichtlich in den Zentralkanal injiziert werden (Kanalogramm) (122, 123, 124).
Meningeal- oder Arachnoidalzysten (Subarachnoidal-zysten) kommen vor allem bei großen Hunderassen vor. Rhodesian Ridgeback und Rottweiler scheinen dabei am häufigsten betroffen, die Erkrankung wurde aber auch bei kleinen Rassen wie dem Schipperkee und Katzen beschrieben. Prädilektionsstellen sind Stellen mit hoher Mobilität wie die obere Halswirbelsäule (C1–C4) und der thorako-lumbale Übergang, nicht selten sind aber auch der mittlere Thorakal-wirbelsäulenbereich und die tiefe Halswirbelsäule betroffen. Leerröntgenaufnahmen sind meist negativ, in einzelnen Fällen ist eine Ausweitung des Wirbelkanals sichtbar. In der Myelographie stellen sich Arachnoidalzysten als keulenförmige Blindsäcke des dorsalen Subarachnoidalraums mit praktisch vollständigem Stop des Kontrastmittels dar, eine Seitenbetonung liegt meistens nicht vor. Das unter der Aussackung liegende Rückenmark ist verschmälert. Die meisten Zysten füllen sich mit Kontrastmittel nach Punktion der Cisterna magna, in einzelnen Fällen lassen sich Zysten aber nur durch eine lumbale Injektion retrograd füllen. CT kann zusätzliche Informationen über die kaudale Begrenzung der Zyste sowie Seitenbetonung liefern (siehe Abb. 14.5). Eine erhöhte Dichte des Rückenmarks auf Höhe der Kompression wurde als Zeichen von Myelomalazie beschrieben (125). Da Meningeal-zysten zusammen mit Syringohydromyelien auftreten können, ist eine MRT-Untersuchung vor einer Operation sinnvoll. Verbindungen mit dem Zentralkanal können so dargestellt werden, was vor allem für die Prognose und die chirurgische Therapie wichtig ist (126). Arachnoidalzysten sind hypointens in T1-gewichteten und hyperintens in T2-gewichteten Sequenzen (gleich wie Liquor cerebrospinalis), und kontrastieren deutlich mit dem Rückenmark. Arachnoidalzysten wurden auch bei der Katze beschrieben, kommen bei dieser Spezies aber seltener vor (127).
Der Dermoidsinus ist ein Defekt des Neuralrohrs und entsteht durch eine unvollständige Trennung von Haut und Neuralrohr während der embryonalen Entwicklung (siehe Abb. 14.9). Einzelne oder multiple Läsionen treten in der Zervikal-, kranialen Thorakal- und seltener in der Sakrokok-zygealregion auf. Neurologische Symptome hängen von der Tiefe des Sinus und der Beteiligung oder Infektion von Nervengewebe ab. Die am häufigsten betroffene Rasse ist der Rhodesian Ridgeback (128, 129).
6.4.4 Trauma
Frakturen, Luxationen und Subluxationen kommen meistens anVerbindungsstellen von beweglicheren zu unbeweglicheren Segmenten der Wirbelsäule vor: dem (atlantoaxialen, atlantookzipitalen, zervikothorakalen, thorakolumbalen und lumbosakralen Übergang. Einwirkende Kräfte sind Biegung, Torsion und Kompression;je nach vorherrschender Krafteinwirkung entstehen unterschiedliche Läsionen.
Bei traumatisierten Patienten werden die ersten Röntgenaufnahmen in Seitenlage ohne Sedation oder Narkose durchgeführt, da die Muskelrelaxation eine Instabilität entscheidend verstärkt und bei Manipulation zu zusätzlichem Trauma des Rückenmarks führen kann. Außerdem können Blutdruckabfall und verminderte Durchblutung während der Anästhesie zu weiteren Schädigungen des Rückenmarks führen. Für Schrägaufnahmen und ventrodorsale Aufnahmen müssen die Tiere sehr vorsichtig und mit Hilfe von stabilisierenden Lagerungshilfen umgelagert werden.
Röntgenzeichen eines Wirbelsäulentraumas sind veränderte Form und Größe eines Wirbelkörpers, die Dichte kann erhöht (Kompressionsfraktur) oder vermindert (Dislokation eines Knochenfragments) sein. Des Weiteren können Frakturlinien, Fragmente, Stufenbildung nach dorsal oder ventral oder Rotation festgestellt werden. Ein enger oder kollabierter, keilförmiger Zwischenwirbelspalt kann auf einen traumatischen Diskusprolaps hinweisen (siehe Abb. 10.24-10.28).
Die Hyperflexion der Wirbelsäule führt meist zu einer Verschiebung der Wirbelkörper und Extrusion der Bandscheibe nach dorsal durch einen Riss des Anulus fibrosus. In Kombination mit einer Kompression kommt es zu Stauchungsfrakturen der Wirbelkörper. Hyperextension ist seltener und führt zu Frakturen im Bereich der kleinen Wirbelgelenke und evtl. Extrusion der Bandscheibe nach ventral. Kombinationen von Biegung und Rotation sind häufig und führen zu Subluxationen oder Luxationen, die mit Frakturen kombiniert auftreten können. Dabei muss berücksichtigt werden, dass während des Traumas die Bewegungen der einzelnen Segmente und damit auch die Rückenmarksschädigungen sehr viel ausgeprägter sein können als der Befund auf dem Röntgenbild annehmen lässt (26).
Um eine Instabilität abschätzen zu können, teilt man die Wirbelsäule in zwei (je nach Autor auch in drei) Kompartimente ein. Zum ventralen Kompartiment gehören Wirbelkörper, Bandscheiben und das Ligamentum longitudinale dorsale und ventrale. Das dorsale Kompartiment besteht aus den Skelettstrukturen des Wirbelbogens inklusive Bogenwurzeln, kleinen Wirbelgelenken und Dornfortsätzen mit dem dazugehörenden Bandapparat (siehe Abb. 10.24). Bei Verletzung beider Kompartimente gilt die Wirbelsäule als instabil und muss chirurgisch oder konservativ stabilisiert werden.
Der Zustand des Rückenmarks nach Trauma zur Abschätzung der Prognose kann am besten mit einer MRT-Untersuchung charakterisiert werden (130). In der Humanmedizin hat sich gezeigt, dass Patienten mit Rückenmarksödem nach Trauma eine bessere Prognose haben als Patienten mit Blutungen oder Rückenmarksnekrose. Ein Ödem zeigt sich als diffuse, schlecht definierte Region von erhöhter Signalintensität in T2w-Sequenzen mit normaler Signalintensität in T1 und einer leichten Rückenmarksschwellung. Erniedrigte Signalintensität der grauen Substanz in T1w- und hohe Signalintensität in T2w-Sequenzen ist mit schwereren Rückenmarksschäden assoziiert, die auch Spätschäden wie Zystenbildung und Myelomalazie zur Folge haben können (131, 104) (Abb.6.24).
6.4.5 Metabolische Erkrankungen
Metabolische Erkrankungen wie Hyperparathyreoidismus oder Morbus Cushing führen oft zu veränderter Röntgendichte des Skeletts, sind aber nur selten mit neurologischen Störungen assoziiert.
Hypervitaminose A ist gekennzeichnet durch Knochenproliferationen und eine Verknöcherung der Weichteile entlang der Wirbelsäule und gelegentlich der Gliedmaßen, wobei oft Bandansatzstellen betroffen sind. Vor allem in der Halswirbelsäule kommt es zu massiven Brückenbildungen und schließlich zur Ankylosierung. Die Zubildungen können die Foramina intervertebralia einengen und so zu Nervenwurzelkompressionen führen (55).
Bei Hund und Katze treten verschiedene Typen von lysosomalen Speicherkrankheiten oder Mukopolysaccharidose auf.Typ VI ist bei der Katze am häufigsten. Die Röntgendichte des ganzen Skeletts ist herabgesetzt und zeigt eine grobe trabekuläre Struktur und dünne Kortizes. Die Wirbelkörper sind unterschiedlich groß, verkürzt oder teilweise fusioniert und zeigen verbreiterte Metaphysen. Typischerweise treten auch degenerative Gelenksveränderungen an Wirbelsäule, Schulter- und Hüftgelenken auf. Der Dens axis ist meist hypo- oder aplastisch, kann aber auch Fragmentierung oder ungenügende Ossifikation aufweisen. Wirbelkanalstenosen mit Rückenmarkskompressionen oder Nervenwurzelkom-pressionen durch proliferative Spondylosen kommen häufig vor (46).
Zwergwuchs, verzögerte Ausbildung und verspäteter Schluss der Epiphysenfugen am ganzen Skelett sowie verkürzte Wirbelkörper sind die wichtigsten Röntgenzeichen einer kongenitalen Hypothyreose. Unregelmäßig verbreiterte Epiphysenfugen und Endplatten der Wirbelkörper mit Zubildungen und asymmetrischen Zwischenwirbelspalten werden beschrieben, Rückenmarkskompressionen kommen aber selten vor. Die Schädelsuturen bleiben ebenfalls länger offen, und die Tiere zeigen eine kurze, breite Schädelform (45).
6.4.6 Vaskuläre Erkrankungen
Prädilektionsstellen für die Infarzierung eines Rückenmarksegmentes infolge eines Gefäßverschlusses durch Nucleus pul-posus-Material sind die Zervikal- und Lumbalschwellung. Junge Hunde großer Rassen sind am häufigsten betroffen. Eine Röntgenuntersuchung und die Myelographie dienen vor allem dazu, akute kompressive Rückenmarksläsionen wie Bandscheibenvorfall oder Blutung auszuschließen. In Leerröntgen und Myelographie sind meist keine Veränderungen feststellbar. Eine Diagnosestellung ist mittels MRT möglich (132, 133): Die Läsionen stellen sich in der T2w hyperintens dar und zeigen in der T1w variable, meist schwache Kontrastmittelaufnahmen (Abb. 14.2 a, b).
Blutungen im Rückenmark oder im Epiduralraum sind meistens sekundär. Gerinnungsstörungen, Trauma (explosiver Diskusprolaps, vaskuläre Missbildungen [arteriovenöse Fisteln, Aneurysmen]) oder Neoplasien wie Hämangiosarkom oder Lymphom können ursächlich beteiligt sein (134). Blutungen im Epiduralraum präsentieren sich in der Myelographie als extradurale Rückenmarkskompressionen, die über mehrere Segmente vorhanden sein können. Intramedulläre Blutungen hingegen können in der Myelographie sehr diskrete Rückenmarksschwellungen aufweisen, erst in der MRT-Untersuchung kann das Ausmaß der Veränderung abgeschätzt werden (Abb. 6.32). Explosiv prolabierte Bandscheiben können das Rückenmark perforieren und zu hämorrhagischer Myelomalazie führen. Extravasation von Kontrastmittel in den Extraduralraum und evtl. Eintritt von Kontrastmittel ins Rückenmark oder den Zentralkanal sind wichtige und schwerwiegende Indizien (135).
Extradurale Blutungen treten meist im Zusammenhang mit Bandscheibenvorfällen auf und führen zu unregelmäßigen Konturen oder vollständigem Verschwinden der Kontrastmittelsäulen über längere Strecken.
6.4.7 Entzündliche Erkrankungen
Bei Diskospondylitis, Physitis und Osteomyelitis der Wirbelkörper sind Röntgenleeraufnahmen meist diagnostisch. Bei der Diskospondylitis sind die frühesten Veränderungen diskrete Aufhellungen in den Endplatten zweier benachbarter Wirbelkörper und vielleicht Weichteilschwellung. Im weiteren Verlauf nimmt die Lyse der Endplatten und Wirbelkörper zu, und bandförmige Sklerosierungen der Wirbelkörper begrenzen oder ersetzen die lytischen Zonen. Eine Sequestration der Endplatten ist ebenfalls möglich. Der Zwischenwirbelspalt ist unregelmäßig verbreitert oder kollabiert. Im chronischen Stadium ist der Zwischenwirbelspalt meist kollabiert und ventral durch Spondylosen überbrückt. Eine Fusion der Wirbelkörper bedeutet Heilung. Es können mehrere Zwischenwirbelspalten betroffen sein (Abb. 6.33). Zu beachten ist die Tatsache, dass die radiologischen Veränderungen den klinischen Befunden mit Verzögerung nachfolgen. Bei unklaren Fällen kann auch CT oder MRT zur Diagnose eingesetzt werden. Die CT-Veränderungen entsprechen den Röntgenbefunden mit unregelmäßiger Knochenlyse der Endplatten Sklerose und knöchernen Proliferationen der Wirbelkörper (136). MRT gilt als die sensitivste Untersuchung (Abb. 6.34) Zusätzlich zu den anderen Modalitäten können auch Weichteilveränderungen und Übergreifen der Infektion auf andere Strukturen (Myelitis, Arthritis der kleinen Wirbelgelenke) sowie eventuelle Rückenmarkskompressionen beurteilt werden. In T2-gewichteten Sequenzen ist eine starke Erhöhung der Signalintensität der Bandscheibe, Endplatten und angrenzenden Wirbelkörper sichtbar. In T1-gewichteten Sequenzen ist die Signalintensität erniedrigt, die betroffenen Gewebe zeigen eine unregelmäßige Kontrastmittelanreicherung (137, 136).
Abb. 6.32
Akutes, hochgradiges Rückenmarksödem unbekannter Genese – MRT: In der T2w-Sequenz (oben) fokale RM-Schwellung mit unscharf begrenzter erhöhter SI, in der T1w-Sequenz verminderte SI (unten). Akute Infarkte mit Ödematisierung sind oft raumfordernd, in der T1w- hypo-und in der T2w-Sequenz hyperintens.
Lyse und Knochenreaktionen, zentriert auf die Wachstumsfuge eines Wirbelkörpers ohne Veränderungen des Zwischenwirbelspaltes oder Erosion der benachbarten Endplatte wird als Physitis bezeichnet. Sie wird vor allem bei jungen Hunden beschrieben, wobei eine hämatogene Infektion vermutet wird (138). Die Lyse kann zum Kollaps des Wirbelkörpers und Kyphose der Wirbelsäule führen. Die Sequestration eine Knochenstückes nach einer Physitis ist eine weitere mögliche Komplikation (139). Die Osteomyelitis der Wirbelkörper kann durch migrierende Grasgrannen (Prädilektions-stelle: L1–L4) verursacht werden, wobei periostale Reaktionen ventral am Wirbelkörper, aber auch die Schwellung der Sublumbalmuskulatur mit erhöhter Signalintensität und Kontrastmittelanreicherung in der MRT beschrieben sind (140). Nocardia-Infektionen (141) und Infektionen mit Spiro-cerca lupi (Prädilektionsstelle Th8) (54) führen zu ähnlichen Läsionen der Wirbelkörper.
Abb. 6.33 a-c
Röntgen-Verlaufskontrolle einer Discospondylitis. Abb. (a) zeigt bei L2-L3 einen engen und unregelmäßigen Zwischenwirbelspalt mit Osteolyse der angrenzenden Endplatten und Sklerose der Wirbelkörper. Ventral Osteophytenbildung; Spondylose L1-L2. Das Myelogramm zeigt nur eine ggr. Verlagerung und Einengung der ventralen Kontrastmittelsäule. (b) Drei Wochen später überwiegen die skleroti-schen Veränderungen, ventral Konsolidierung der Zubildungen. Sehr kleines Neu-roforamen. Neu aufgetretener Herd L1–L2 mit Osteolyse der Endplatten, vom normalen Knochen durch einen sklerotischen Saum abgegrenzt (Pfeile). (c) Wiederum einen Monat später ist der Herd auf Höhe L2–L3 abgeheilt, die Wirbel sind fusioniert. Bei L1–L2 überwiegen jetzt die proliferativen Veränderungen. (Abb.:Tuez, Tenniken).
Abb. 6.34 a–d
Röntgenaufnahme (a) und MRT (b–d) einer chronischen Diskospondylitis. (a) Die Röntgenaufnahme zeigt einen engen, welligen Zwischenwirbelspalt, massive Sklerose der angrenzenden Wirbelkörper und periostale Reaktionen an der ventralen Wirbelkontur. (b) Die sagittale CBASS-Sequenz vor KM-Gabe zeigt den kollabierten Zwischenwirbelspalt lumbosakral. Beide Wirbelkörper weisen einen Signalverlust und eine ausgeprägte ventrale Brückenbildung auf. Die massiv erhöhte Signalintensität der Bandscheibe ist typisch für eine entzündliche Veränderung. (c, d) Die T1w-Aufnahmen nach KM zeigen ausgedehnte und deutliche KM-Anreicherungen in den beiden Wirbelkörpern, im Wirbelkanal, in den reaktiven Zubildungen ventral L8 (Pfeil) und des Sakrums sowie im Iliosakralgelenk (Pfeilspitze).
Andere entzündliche Erkrankungen. Entzündliche Erkrankungen des Rückenmarkes und der Meningen bedürfen selten einer radiologischen Abklärung, die Diagnose beruht meist auf klinischen und Liquorbefunden. Feline infektiöse Peritonitis (FIP) kann zu Meningitis, Bildung von Granulomen und Ependymitis im Zentralkanal führen (142). Myelographisch stellen sich diese Läsionen als intramedulläre Raumforderungen dar (Abb. 6.35). Die MRT-Untersuchung zeigt in T2-gewichteten Sequenzen eine erhöhte und in T1-gewichteten Sequenzen eine erniedrigte Signalintensität mit Kontrastmittelanfärbung. Durch die Lokalisation der Läsion im Zentralkanal kann sekundär eine Stauung des Zentralkanals und des Ventrikelsystems erfolgen.
Abszesse in der epaxialen Muskulatur können in seltenen Fällen in den Epiduralraum expandieren und zu einem spinalen Empyem mit rasch fortschreitender Myelopathie führen (143).
6.5 Schädel
Die Röntgenuntersuchung des Schädels und Kontrastuntersuchungen wie Theko- oder Zisternographie, Ventrikulographie oder zerebrale Angiographie haben beim Kleintier als Untersuchungsmethoden neurologischer Erkrankungen eine sehr begrenzte Bedeutung. Als Erstuntersuchung wird eine Röntgenuntersuchung vor allem bei Patienten mit Traumaanamnese, Tumoren des Gesichts- und Hirnschädels, bestimmten kongenitalen Malformationen sowie bei Verdacht auf eine periphere vestibuläre Störung eingesetzt. Um bestmögliche Resultate zu erhalten, und da Veränderungen oft nur durch den Vergleich der beiden Schädelhälften zu erkennen sind, muss einer optimalen Röntgentechnik im Allgemeinen und der Lagerung der Tiere im Besonderen Beachtung geschenkt werden. Um eine symmetrische Lagerung zu erzielen, müssen die Tiere – außer in Ausnahmefällen wie bei einem akuten Schädel-Hirntrauma – in Narkose untersucht werden. Als Lagerungshilfen und zum Fixieren der Tiere werden Kissen, Bänder und andere Hilfsmittel verwendet; das Halten der Tiere mit den Händen ist aus Gründen des Strahlenschutzes zu unterlassen.
Standardaufnahmen sind die seitliche und die ventrodorsale oder dorsoventrale Projektion. Wegen der komplexen Anatomie des Schädels werden für die Darstellung einzelner Regionen verschiedene Spezialaufnahmen benötigt (Tabelle 6.5). Die Darstellung der übrigen Strukturen des Gesichtsschädels wie Unterkiefer, Zähne oder Nasengänge erfordert andere Projektionen. Diese wurden bereits an anderer Stelle beschrieben.
Abb. 6.35 a, b
FIP-Granulom des Halsmarkes mit sekundärem obstruktivem Hydrozephalus bei einer Katze. Sagittale T1w-Sequenzen (a) nativ und (b) nach Gadolinium i. v. In der Nativaufnahme im Bereich C2 verdicktes Halsmark mit großem hypointensem intramedullärem Herd (Pfeilspitze). Kranial davon dilatierter Zentralkanal und di-latierte Ventrikel. Das Granulom zeigt eine deutliche Kontrastaufnahme mit zentralem signalarmen Herd (Nekrose *).
Tabelle 6.5: Die wichtigsten Zusatzprojektionen zur Röntgenuntersuchung des Schädels
Lagerung | Projektion | |
Nasengänge, Nebenhöhlen inkl. Sinus frontalis | Rückenlage | VD: geöffneter Fang Frontalprojektion zur Darstellung des Sinus frontalis. ei Katzen und brachyzephalen Tieren nur bedingt möglich. |
Bauchlage | DV: Abbildungssystem intraoral | |
Mittelohr, Bulla tympanica | Seitenlage | Latero-mediale Projektion: Kopf um 15–20 Grad rotiert |
Rückenlage | Frontalprojektion mit geöffnetem Fang. Winkel Zentralstrahl -Palatum durum:
■ dolychozephale Hunde: 0–5 Grad ■ mesatizephale Hunde: 10–15 Grad ■ brachyzephale Hunde: 25 Grad |
|
Foramen magnum | Rückenlage | Frontalprojektion mit gebeugtem Kopf und um 25–40 Grad nach kaudal gerichteter Röntgenröhre. |
Hauptsächliche Indikation der zerebralen Angiographie war die Darstellung der Gefäßarchitektur beiVerdacht eines raumfordernden Prozesses im Gehirn.Aus verschiedenen Gründen erlangte sie in der Tiermedizin keine große Bedeutung. Im Gegensatz dazu sind CT und MRT-gestützte Gefäßdarstellungen und dynamische KM-Untersuchungen von zunehmender Bedeutung in der Diagnostik und für die Planung einer Therapie.
Mit der Zisternographie können anatomische Details der Gehirnoberfläche dargestellt werden. Beispiele sind die Gyrierung von Groß- und Kleinhirn, basilar liegende Gefäße (A. basilaris, Circulus Willisi), Hypophyse und Sehnerven. Die Injektion des Kontrastmittels erfolgt subokzipital über die Cis-terna magna.Verwendet werden vor allem Negativ- wie Positivkontrastmittel (nicht-dissoziierende, siehe Kap. 6.3.2). Die Ventrikulographie nach Punktion eines Seitenventrikels hat eine gewisse historische Bedeutung und diente zur Darstellung von Größe und Position der Gehirnventrikel. Beide Methoden wurden weitestgehend durch CT und MRT abgelöst.
6.5.1 Grundsätze der Interpretation bildgebender Untersuchungen
Eine genaue Kenntnis der komplexen anatomischen Strukturen des Schädels und Gehirns ist Grundlage einer jeden Röntgenuntersuchung. Dafür stehen eine Reihe Anatomiebücher und Röntgenatlanten zur Verfügung. Die Beurteilung der Skelettstrukturen des Schädels beruht wesentlich auf sehr präzise gelagerten Tieren für laterale Projektionen, beispielsweise symmetrischer Lagerung für VD-, DV- sowie frontale Projektionen und dem Vergleich einer jeden Struktur mit der anderen Schädelhälfte. Kriterien sind ihre Dichte, der Kontrast zur Umgebung und die Architektur. Besonders wichtig ist dieses Vorgehen bei der Untersuchung der Nasengänge und Nasennebenhöhlen, der Turbinalia des Ethmoids und der Konchen sowie des Mittel- und Innenohrs. Neurologische Erkrankungen im Bereich des Schädels mit positivem Röntgenbefund sind selten (Tabelle 6.6). Hirntumore, Infarkte, Entzündungen, usw. bedürfen der CT oder MRT. Diese Untersuchungen stehen im Zentrum der bildgebenden Diagnostik des Gehirns und liefern die Grundlagen für eine gezielte Therapie. Kriterien zur systematischen Beurteilung von intrakraniellen Läsionen sind in Tabelle 6.7 zusammengefasst.
6.5.2 Gesichtsschädel
6.5.2.1 Nasengänge und Nasennebenhöhlen
Erkrankungen der Nasengänge und Nasennebenhöhlen führen dann zu neurologischen Störungen, wenn destruktive Erkrankungen wie Tumore im Bereich des Sinus frontalis und Sinus sphenoidalis sowie des Ethmoids in die vordere Schädelgrube eindringen. Mögliche Folgen sind Kompression des Riechhirns und Frontallappens bei Tumoren und Meningitis oder Meningoenzephalitis bei Infektionen. Die meisten Tu-more der Nasengänge bei Hund (80%) und Katze (>90%) sind maligne, häufig sind Plattenepithel- und vor allem Adenokarzinom (zusammen 60–75% aller Nasentumoren [144]) Fibro- und Chondrosarkom sowie bei der Katze das Lympho-sarkom.Adenokarzinome der Nasengänge entstehen oft in der Umgebung des Ethmoids (145). Nasentumore können sich sehr destruktiv verhalten, das Nasenseptum durchbrechen, und durch die Lamina cribrosa, die Facies interna des Os frontale oder über den Sinus sphenoidalis in die vordere Schädelgrube eindringen. Ein Durchbruch in die Orbita ist ebenfalls nicht selten.
Tabelle 6.6: Röntgenologisch erfassbare Erkrankungen des Schädels
Kongenitale und familiäre Erkrankungen |
■ Missbildungen des Schädels ■ Hydrocephalus internus ■ Okzipitale Dysplasie (Arnold-Chiari-Malformation) (Hd) ■ Okzipitoatlantoaxiale Malformation (Ktz/Hd) ■ Kraniomandibuläre Osteopathie (Hd) |
Stoffwechselstörungen Angeboren oder erworben |
■ LAD (leucocyte adhesion protein deficiency)(Hd) ■ Mukopolysaccharidose (Ktz, Hd) ■ Hyperparathyreoidismus |
Tumore |
■ Primäre und metastatische Tumore des Kopfskeletts ■ Tumore der Nasengänge und Nebenhöhlen ■ Gelegentlich Tumore des Mittelohrs ■ Gelegentlich Meningiome (Ktz) |
Trauma |
■ Frakturen, wenn disloziert ■ Schussverletzungen ■ Kiefergelenksluxation |
Infektionen |
■ Osteomyelitis ■ Otitis media: Empyem und Bulla-Osteitis ■ Nasengänge, Nebenhöhlen |
Tabelle 6.7: Intrakranielle Läsionen: Beurteilungskriterien CT/MRT
a) Ursprung und anatomische Lokalisation ■ Betroffene Schädelgrube ■ Intra-axial: ■ Extra-axial: b) Form ■ Ovoid, breitbasig, Plaque-ähnlich c) Konturen: ■ Glatt bis unregelmäßig ■ Gut bis schlecht begrenzt d) Masseneffekt: ■ Verlagerung von Ventrikel und Mittellinie, Kompression e) CT-Zahl/Signalintensität (MRT) Die meisten Tumore sind ■ im CT: iso- bis leicht hyperdens ■ im MRT: f) Kontrast Enhancement: Intensität und Muster ■ −/+/++/+++ ■ Uniform ■ Nicht-uniform ■ Ringförmig g) Weitere Befunde ■ Ödem, Hydrozepahlus ■ Nekrose ■ Mineralisation ■ Osteolyse ■ Knochensklerose ■ Knochenproliferation |
Mit Röntgenuntersuchung oder CT gelingt die Unterscheidung einer destruktiven Rhinitis von einem neoplastischen Prozess recht gut. Bei beiden Untersuchungsmethoden muss die Diagnose allerdings durch Biopsie und andere Tests gesichert werden (146, 147). Fokale und multifokale Herde mit Weichteildichte, lytische Herde mit variabler Größe, oft gut begrenzt im Bereiche der Nasenhöhle sprechen eher für eine infektiöse Ursache. Für einen Tumor typisch sind homogene einseitige Weichteilverschattungen der Nasenhöhle mit Ausdehnung in den Sinus frontalis, Überlagern oder Zerstören der Turbinalia, der Konchen und des Ethmoids (148, 149). Der wichtigste Einzelbefund im Röntgenbild, der für Rhinitis spricht, sind fehlende Veränderungen im Sinus frontalis, während ein Übergreifen auf die knöcherne Begrenzung der Nasenhöhle für einen neoplastischen Prozess spricht. Die Lage der Läsion in der Nasenhöhle, ein- versus beidseitige Veränderungen, Mineralisation oder das Fehlen von Zähnen haben in Bezug auf die Differentialdiagnose wenig Aussagekraft (147).
Röntgen kann Nasentumore mit hoher Sensitivität darstellen, die Ausbreitung des Tumors in umgebende Skelettstrukturen und Weichteile werden aber auch mit multiplen Projektionen nur ungenau wiedergegeben. Im Gegensatz zur Röntgen-untersuchung kann die genaue Lokalisation und Ausdehnung der Veränderungen mit CT (Abb. 6.36) und MRT präzise dargestellt werden; dies sind wesentliche Grundlagen einer gezielten Therapie. Da die Strahlentherapie bei Tumoren der Nasengänge und bei intrakraniellen Tumoren in jüngerer Zeit an Bedeutung gewinnt, werden CT- und MRT-Untersuchun-gen mit zunehmender Häufigkeit durchgeführt (150, 151, 152, 153, 146, 154). In der CT wird das Bild der Aspergillose geprägt durch Destruktion der Turbinalia mit unterschiedlich ausgeprägter Weichteilreaktion, Verdickung der Schleimhautauskleidung von Sinus frontalis, Recessus maxillaris und Nasengängen sowie knöcherne Reaktionen. Die Veränderungen können ein- oder beidseitig auftreten (155). Mit einer MR-Untersuchung können zwar kompakte Skelettstrukturen weniger detailliert untersucht werden, Destruktion von Knochenstrukturen wie der Lamina cribrosa durch Tumorinfilrate werden aber mit hoher Sensitivität dargestellt. MRT erlaubt wegen der unterschiedlichen Signalgebung von Tumorgewebe, Nekrose, Blutung und perifokalem Ödem die präzise Darstellung der Tumorausbreitung in die umliegenden Weichteile und die Schädelkapsel.Typischerweise stellt sich der Tumor als hyperintens in T2w-Sequenzen dar. Masseneffekt mitVerlagerung und Kompression normaler Strukturen wie Seitenventrikel und perifokales Ödem – hyperintens in T2w-Sequen-zen – sind typisch. Adenokarzinome zeigen nach Gadolinium in der T1w-Sequenz durch Kontrastanhebung eine vermehrte Signalintensität (156, 150).
Abb. 6.36
Plattenepithelkarzinom bei einem 9-jährigen Berger des Pyrenees mit Exoph-thalmus. Tumor ausgehend von der linken Nasenhöhle mit Destruktion der Endoturbinalia des Ethmoids, des Septums sowie ventral der Lamina basalis des Ethmoids und des Vomer mit Tumorgewebe im Meatus bzw. dem Naso-pharynx. Die mediale Wand der Orbita ist durchbrochen, erhebliche minera-lisierte Tumormasse in der Orbita. (Abb.: Barbara Kaser-Hotz, Zürich)
6.5.2.2 Auge
Pathologien der Orbita wie Weichteiltumore (inkl. Meningio-me des N. opticus), Abszesse und Granulome sind radiologisch nur ausnahmsweise erfassbar. Gelegentlich können bei Infektionen und Tumoren lytische oder proliferative Knochenveränderungen im Bereich der Orbita gesehen werden (z. B. Tumore der Nasenhöhle). Weit sensitivere Methoden sind Sonographie, CT (Abb. 6.36) und vor allem die MRT. Die Sensitivität der Sonographie ist bei retrobulbären Erkrankungen, die mit Exophthalmus verbunden sind, recht hoch, obwohl falsch negative und positive Resultate beschrieben sind. Eine Deformation des Bulbus, Störung der normalen Architektur der retrobulbären Gewebe mit Veränderung der Echogenität und abgrenzbare raumgreifende Prozesse sind Hinweise auf entzündliche oder neoplastische Prozesse (157). Die Sonographie liefert zwar nur ausnahmsweise spezifische Befunde (z. B. Fremdkörper), erlaubt aber durch Ultraschall geführte Gewebeentnahmen. Die Beurteilung der knöchernen Begrenzungen ist dagegen schwierig.
Die CT- und MRT-Anatomie der Orbita ist bekannt (158, 159). Beide Methoden stellen die Anatomie der Orbita und der angrenzenden Strukturen dar. CT und in noch höherem Maße die MRT vermögen als Schnittbildtechniken mit sehr hoher Kontrastauflösung pathologische Prozesse präzise darzustellen und zu differenzieren. CT erlaubt vor allem transversale Schnitte, mit MRT werden direkte transversale, sagittale und dorsale Schnittebenen gelegt. Es werden T2w- und T1w-Sequenzen nativ und nach Injektion eines paramagnetischen Kontrastmittels verwendet (Abb. 6.37). In einer Serie von 25 Hunden und Katzen wurde die Diagnose in 22 Fällen allein auf der Basis der MRT-Resultate korrekt gestellt. Solide raumgreifende Prozesse mit Masseneffekt mit oder ohne Osteolyse der umliegenden Knochen und Beteiligung von Nasenhöhle, Sinus frontalis, Recessus maxillaris, Lamina cribrosa, Präsphenoid, Os palatinum, Schädelkapsel und Schädelgrube wurden bei Tumoren beschrieben. Diese und eine Serie mit 26 Hunden und Katzen, die mittels CT untersucht wurden, nennen Beteiligung des Skeletts als ein Charakteris-tikum für das Vorliegen eines Tumors. Kontrastanhebung nach intravenöser Gabe von Gadolinium (MRT) oder eines jodhaltigen KM (CT) ist dagegen nicht spezifisch und wird auch bei entzündlichen Prozessen beschrieben. Diese zeigen sich in der Regel als diffuse, oft sehr inhomogene Bezirke im Bereich des retrobulbären Fettes und der Augenmuskulatur, von Adnexal-strukturen und gelegentlich auch der Kaumuskulatur. Flüssigkeitsgefüllte Taschen mit ringförmiger Kontrastanreicherung sind Hinweise auf Abszesse. In der Regel bleiben die knöchernen Begrenzungen intakt. Die Darstellung von Fremdkörpern gelingt dagegen mit der Sonographie besser als mit der MRT (160, 161).
Abb. 6.37 a, b, c
Adenokarzinom bei einem Hund mit Exophthalmus. (a) Die fettunterdrückte Sequenz in dorsaler Schnittrichtung zeigt den stark hyperintensen Tumor, der sich von der Orbita in die Temporalmuskulatur ausbreitet. (b) Im T2w-Transversal-schnitt zeigt sich die Ausdehnung des fleckig hyperintensen Tumors in der Temporalmuskulatur. (c) Der Schädelknochen ist intakt.
6.5.3 Schädelbasis und Schädelkapsel
Radiologisch fassbare Prozesse dieser Regionen beschränken sich im Wesentlichen auf Infektionen und Tumore des Kopfskeletts, kongenitale Missbildungen sowie Entwicklungsstörungen und Frakturen.
6.5.3.1 Mittel- und Innenohr
Bei der Beurteilung der Ohrregion muss spezies- und rassespezifischen Unterschieden Rechnung getragen werden. Bei der Katze weist die Bulla ossea zwei Kompartimente auf, bei brachyzephalen Hunden erscheint sie oft klein und deformiert. Die häufigste Indikation einer bildgebenden Untersuchung von Mittel- und Innenohr ist eine Otitis media, bzw. Otitis media et interna.Tumore des Mittel- und Innenohrbereiches sind dagegen sehr selten, meistens handelt es sich um die Invasion durch Tumore des äußeren Gehörkanals.Verkal-kungen und Knochenmetaplasien in der Wand des äußeren Gehörganges sind Folgen einer chronischen Otitis externa, ein enger und unregelmäßig begrenzter Gehörkanal kann Hinweis auf Otitis oder Tumor sein. Eine akute Otitis media/interna ist mit konventionellen Methoden meist nicht fassbar.Vorallem bei einseitigen Prozessen kann mit optimaler Röntgentechnik und durch Vergleich der beiden Seiten in Ausnahmefällen eine diskrete, diffuse Erhöhung der Röntgendichte gesehen werden (Abb. 6.38). Ein verminderter Kontrast mit Weichteildichte der normalerweise mit Luft gefüllten Bulla ossea sind bei Empyem, granulomatösen Prozessen, oto-phayryngealem Polyp oder Tumor zu sehen. Chronisch entzündliche Prozesse (siehe Abb. 15.1) führen zu Sklerosierung und durch periostale Auflagerungen zu aufgerauhten Konturen mit gelegentlich sehr ausgedehnten Knochenneubildungen in den umgebenden Weichteilen. Bei destruktiven Formen können osteolytische Prozesse überwiegen und die Wand der Bulla zerstören. Sehr ausgedehnte Osteolyse nicht nur der Bulla ossea, sondern auch der Schädelbasis und des Proc. zygomaticus des Os temporale spricht im Allgemeinen eher für einen neoplastischen als entzündlichen Prozess. CT und MRT sind bei Erkrankungen von Mittel- und Innenohr Untersuchungsmethoden der Wahl; beide sind bei Infektionen und Tumoren sensitiv und spezifisch. Mittels CT (siehe Abb. 15.2) lassen sich die knöchernen Strukturen des Mittel- und Innenohres im Detail darstellen (162). In der MRT weisen folgende Befunde auf eine Otitis media hin: mit im Vergleich zur Umgebung isointensem Material gefüllte Bulla in T1w-Aufnah-men, die in der T2w-Sequenz hyperintens erscheint. Nach Gabe eines paramagnetischen KM kann die Auskleidung der Bulla in der T1w-Sequenz eine ringförmige Kontrastanhebung zeigen (163, 164) (Abb. 6.39). Dieses Phänomen ist mit CT wegen des benachbarten röntgendichten Knochens weniger eindeutig.Allerdings kann eine mit Flüssigkeit oder Weichteilgewebe gefüllte Bulla sicher dargestellt werden. Cave: Bei einer mit Flüssigkeit gefüllten Bulla kann in der CT die Dicke der Bulla ossea überschätzt werden. Dieses Phänomen ist bei großer Schichtdicke und im Weichteilfenster besonders auffällig (165). Eine Destruktion der Bulla oder Hyperostose kann in fortgeschrittenen Fällen gesehen werden (siehe Abb. 15.2). Der membranöse Teil des Labyrinths stellt sich im Transversalschnitt in der T2w-Sequenz normalerweise als Z-förmige hyperintense Struktur dar, im Dorsalschnitt stellen die Bogengängen rundliche hyperintense Strukturen dar (Abb. 6.39b). Das Fehlen dieser charakteristischen Struktur und Kontrastanfärbung des Os petrosum in der T1w-Sequenz sind Hinweise auf eine Otitis interna (Abb. 6.39b, c). Otitis media und interna können zu Destruktion des Os petrosum führen oder über den Meatus acusticus internus in die hintere Schädelgrube gelangen. In diesen Fällen können intrakraniell im Bereich des Hirnstamms bzw. im Bereich des cerebello-pontinen Winkels Zeichen von Meningitis und fokale, in der T2w-Sequenz hyperintense Läsionen gesehen werden (163).
Abb. 6.38 a, b
Akute Otitis media rechts bei einem jungen Mischling. (a) Dorso-ventrale und (b) frontale Projektion. Außer einer diskreten Erhöhung der Dichte im Bereich der rechten Bulla keine Veränderungen.
6.5.3.2 Die kraniomandibuläre Osteoarthropathie
Die kraniomandibuläre Osteoarthropathie (CMO) wurde gehäuft bei einigen Hunderassen wie West Highland White-, Scottish- und Cairn Terrier, aber auch vielen weiteren Rassen wie dem Boston- und Bull-Terrier, Dobermann, Labrador Retriever oder der Deutschen Dogge beschrieben. Sie gleicht der humanen infantilen Hyperostose und tritt während der Entwicklungsphase auf. Sie führt selten zu neurologischen Störungen, kann jedoch durch Schmerz und Knochenneubildungen im Bereich der Bulla tympanica und des Unterkiefers zu einer lebensbedrohlichen Kieferklemme führen. Die hauptsächlichenVeränderungen bestehen aus meist symmetrischen, am Kiefer oft palisadenartigen Knochenneubildungen im Bereich der Bulla ossea und der Schädelkalotte, die sich nach Ende des Wachstums wieder zurückbilden. Die langen Röhrenknochen können ebenfalls periostale Auflagerungen aufweisen, die sich durch ihre Lokalisation im Bereich der Diaphysen von der hypertrophen Osteodystrophie unterscheiden lassen (166, 167, 168). Bei 5 bis 10 Monate alten Bullmastiffs ist eine ähnliche Erkrankung beschrieben, die als idiopathische Hyperostose der Schädelkapsel bezeichnet wird. Im Röntgenbild stellt sie sich als unregelmäßige (sub)periostale Verdickung der Os frontale, temporale und occipitale, aber auch der Bulla dar und kann erhebliche Ausmaße annehmen. Die Erkrankung ist wie die CMO selbstlimitierend (169). Differentialdiagnostisch ist die LAD (leucocyte adhesion protein deficency) abzugrenzen, ein Defekt im Immunsystem, der beim Irish Setter mit ähnlichem radiologischen Bild beschrieben wurde.
Abb. 6.39 a-e
Otitis media et interna dextra in der MRT. (a) In der T2w-Sequenz zeigt das rechte Innenohr verminderte Signalintensität (weisse Pfeilspitze). Die ventralen und kau-dalen Anteile der rechten Bulla sind mit hyperintensem Substrat gefüllt (schwarzer Stern). (b) In der BASG – einer flüssigkeitssensitiven Sequenz – stellen sich die normale Bulla ohne Signal, die Bogengänge des Innenohres signalreich dar (weisse Pfeilspitze). Die mit Flüssigkeit gefüllte rechte Bulla weist eine hohe Signalintensität auf, während sich die Bogengänge signalärmer darstellen (weisser Pfeil). (c, d) In der dorsalen FE3DT1 MPR nimmt das Innenohr ebenso wie der N. vesti-bulocochlearis deutlich verstärkt Kontrastmittel auf. Geringgradig verstärkte Kontrastmittelaufnahme ist fokal auch an den angrenzenden Meningen (nur um den Nervenursprung) nachweisbar (weisser Pfeil).
(e) Transversale T1w-Sequenz nach Kontrastmittelgabe. Der weisse Pfeil zeigt die Kontrastmittelaufnahme des Innenohrs, des N. vestibulocochlearis und der an-grendzenden Meningen (weisse Pfeilspitze). Die rechte Bulla weist eine hohe Signalintensität auf.
6.5.3.3 Tumore der Schädelkapsel
Tumore der Schädelkapsel sind nicht häufig. Osteosarkome des Schädeldachs (10–15% aller Osteosarkome befinden sich am Schädel) haben in der Regel osteoblastischen Charakter, sind gut begrenzt und führen zu knochendichten proliferativen Veränderungen. Im Bereich der Schädelbasis haben sie dagegen eher osteolytische Veränderungen zur Folge und sind wegen der komplexen anatomischen Verhältnisse mittels Röntgenaufnahmen nur schwer darstellbar. Im übrigen Bereich des Schädels verhalten sie sich ähnlich wie am Gliedmaßenskelett. Andere primäre Tumore des Schädels sind selten und von geringer Bedeutung. Osteome sind sehr röntgen-dicht, Osteochondrome gleichen denen des übrigen Skeletts. Fibrosarkome, Chondrosarkome und Weichteiltumore führen zu fokalen Aufhellungen, obwohl auch bei diesen Tumoren Knochenneubildung beobachtet wird.
Ein Tumor eher großer Hunderassen und selten bei Katzen auftretend ist das multilobuläre Osteochondrosarkom, das unter verschiedenen Bezeichnungen wie multilobuläres Osteom, kalzifizierendes oder juveniles aponeurotisches Fibrom oder Chondroma rodens bekannt wurde. Der Tumor bevorzugt die temporo-okzipitale Region, wobei auch andere Regionen des Schädels betroffen sein können und hat eine eher niedrige Metastasierungsrate. Die Tiere sind im Mittel sieben Jahre (15 Monate bis 12 Jahre) alt. Im Röntgenbild stellt sich das multilobuläre Osteochondrosarkom als oft große lobulierte und schollig mineralisierte Weichteilmasse mit Osteolyse des darunter liegenden Schädelknochens dar. Die CT und MRT (103) sind Methoden der Wahl, um den charakteristischen Tumoraufbau, das Ausmaß der Osteolyse und den intrakraniellen Anteil, der zu bedeutender Kompression des Gehirns führen kann, darzustellen. Nach intravenöser KM-Gabe zeigt der Tumor eine kräftige Anfärbung der nicht minerali-sierten Bereiche (Abb. 6.5, 6.40).
6.5.3.4 Stoffwechselstörungen
Metabolische Erkrankungen können zu Veränderungen der Röntgendichte wie auch der Schädelform führen. Mukopolysaccharidosen verschiedener Typen wurden bei verschiedenen Spezies (Katze und Hund) und Rassen (z. B.Typ VI am häufigsten bei Siamesen, Typ I bei Hauskatzen) beschrieben.
Abhängig vom Typ führen sie zu neurologischen Symptomen und zu Deformationen des Schädels unterschiedlicher Ausprägung. Typische Veränderungen sind eine kurze, breite Maxilla mit aplastischem oder hypoplastischem Sinus frontalis und Sinus sphenoidalis und der Konchen (46).
Eine generalisierte verminderte Röntgendichte ist meist auf eine Stoffwechselstörung wie Osteodystrophia fibrosa infolge eines Hyperparathyreoidismus zurückzuführen. Typisch sind dabei der Verlust der trabekulären Struktur und die Verbreiterung und Auffaserung des kortikalen Knochens. Die Po-rosierung des Knochens führt zum sog. »Salz-und-Pfeffer«-Bild.
6.5.3.5 Trauma
Bei Schädelfrakturen kann die Röntgendiagnose schwierig sein. Ausmaß und Schweregrad der Läsion werden meist unterschätzt, da sie im Bereich des Schädels zu oft nur geringen Dislokationen führen. Frakturen der Schädelbasis sind zwar seltener als solche der Schädelkalotte, klinisch aber von großer Bedeutung und radiologisch nur schwer fassbar. Ausnahmen sind Impressions- und Ausrissfrakturen, z. B. durch Bissverletzungen. Frakturen bilden gerade, gezackte oder geschwungene Aufhellungslinien, die beim wachsenden Tier nicht mit noch offenen Fontanellen und Suturen verwechselt werden dürfen. Schädelfrakturen sind oft mit Weichteilveränderungen, intrakraniellen Blutungen und Hirntrauma verbunden, die nur mittels CT oder MRT erfasst werden können (Abb. 6.41). Die CT ist beim Schädel-Hirntrauma, besonders bei intrakraniellen Blutungen eine sehr sensitive Untersuchungsmethode und ist im akuten Stadium die Methode der Wahl. Für die CT als primäre Methode spricht auch die höhere Sensitivität der CT für Frakturen und die längere Untersuchungszeit einer MRT. Diese weist für Blutungen eine ähnliche Sensitivität auf, ist dagegen der CT in der Darstellung von nicht hämorrhagischen Läsionen, wie sie diffuse Verletzung von Axonen darstellen, weit überlegen. Rupturen von Axonen entstehen beim Menschen nach Trauma an der Grenze von grauer und weißer Substanz im Bereich des Corpus callosum, Großhirns, der Basalganglien und dem vorderen Teil des Hirnstamms (170).
Extradurale Hämatome bilden sich zwischen dem Schädelknochen und der Dura, bei einer arteriellen Blutung kann diese vom Knochen abgelöst werden. Die hohe Dynamik und oft bedeutende Größe solcher Geschehen führen zu entsprechender Kompression des Gehirns. Im CT stellen sich extradurale Hämatome als bikonvexe Läsionen zwischen Schädelknochen und Dura, bzw. dem Gehirn dar. Sie sind initial hyperdens mit einem Maximum nach einigen Stunden. Innerhalb von 1 bis 2 Wochen werden sie iso- bis hypodens, und die Größe nimmt ab. Das Signalverhalten in der MRT entspricht der Konzentration von Hämoglobin und Methämoglobin und ändert sich mit der Zeit. Subdurale Blutungen verhalten sich in der CT und MRT-Darstellung ähnlich. Da sie sich im virtuellen Spalt zwischen Dura und Pia/Arachnoidea bilden, sind sie flächiger als eine extradurale Blutung. Eine frische subarachnoidale Blutung zeigt sich in der CT als hyperdense Sulci und Zisternen. Bei subakuten und chronischen Blutungen hat die MRT eine höhere Sensitivität (171). Details zum Verhalten von Blutungen und Blut in der Darstellung mit CT und MRT sind im Kapitel 6.5.5.2 und der Tabelle 6.8 zu finden.
Abb. 6.40 a-c
(a) Transversale und (b) dorsale MPR-Sequenz vor (links) und nach Gadolinium (rechts). (c) Rekonstruktion in sagittaler Richtung paramedian. Riesiger lobulierter Tumor temporal mit Destruktion des Schädelknochens und extra- wie intrakraniel-len Tumorkomponenten. Der Tumor hat eine gut begrenzte Oberfläche mit unregelmäßiger, aber kräftiger KM-Anreicherung. Massive Kompression des Gehirns und stauungsbedingte Dilatation des linken Seitenventrikels (V).
Abb. 6.41 a, b
Schädelfraktur und Zerebritis: (a) Seitliche Röntgenaufnahme und (b) CT eines Berner Sennenhundes 1 Monat nach einem Trauma. Die Röntgenaufnahme zeigt weich-teildichte verschattete Stirnhöhlen und Osteolyse der Lamina interna des Os frontale. Der Seitenventrikel ist mit Gas gefüllt. (b) Die CT zeigt multiple Frakturen (Pfeile) im Bereich des Sinus frontalis (SF) mit Verbindung des Sinus zum Riechhirn (RH). Weichteildichte Verschattung der Stirnhöhlen und Gaseinschlüsse (Pfeilspitzen) im Bereich des Riechhirns. In der Pathologie eitrig-nekrotisierende Sinusitis und Zerebritis.
Besonders bei Tieren mit neurologisch schweren Symptomen ist es ratsam, die Halswirbelsäule ebenfalls zu untersuchen, da Frakturen und Luxationen der Wirbelsäule die Prognose wesentlich beeinflussen können.
6.5.3.6 Kongenitale Missbildungen
Missbildungen des Schädels führen zu Veränderungen der Schädelform unc/oder -größe. Beim Hund sind Hydrozephalus und Missbildungen der Okzipitalregion am häufigsten, bei Katzen dagegen selten. Der kongenitale Hydrozepha-lus zeigt im Röntgenbild einige charakteristischeVeränderungen. Ein vergrößertes Schädelvolumen mit auffällig gewölbtem Kranium und ausgeprägtem Stopp, komprimierten Sinus frontales, abgeflachter und verlängerter Schädelbasis und dünnem Schädeldach sind Hinweise auf einen Hydrozepha-lus. Die Jugae, die normalerweise zu einer charakteristischen Struktur der Schädelhöhle führen sind abgeflacht, was zu einem uniformen, Milchglas-ähnlichen Bild führt (Abb. 6.42). Fontanellen und Suturen können persistieren. In der VD-Pro-jektion scheinen die Kiefergelenke nach medial verlagert. Die Veränderungen sind beim kongenitalen Hydrozephalus am stärksten ausgeprägt, beim erworbenen Hydrozephalus, sofern er nach Abschluss des Wachstums auftritt, fehlen diese Röntgenveränderungen weitgehend. Die Diagnose und Charakterisierung der verschiedenen Typen geschieht mit der CT oder MRT, bei offenen Fontanellen kann auch Ultraschall eingesetzt und die Ventrikelgröße gemessen werden (siehe Abb. 7.14).
Die okzipitale Dysplasie ist eine Missbildung des Foramen magnum, die bei verschiedenen Zwergrassen wie Yorkshire Terrier, Chihuahua und Zwergpudel vorkommt. Sie ist charakterisiert durch ein verlängertes, einem Schlüsselloch ähnlichen Foramen magnum, das durch eine modifizierte Frontalprojektion dargestellt werden kann. Durch Vorfall des Kleinhirns kann es zu Störung des Liquorflusses und zu sekundärem obstruktivem Hydrozephalus und Hydromyelie kommen (Abb. 6.43). Allerdings scheint die okzipitale Dysplasie bei kleinen Hunderassen weit verbreitet und bleibt meistens ohne klinische Symptome (29). Kombinierte Missbildungen, dem Arnold-Chiari-Syndrom (Chiari-II-Malformation) des Menschen ähnlich, weisen zusätzlich zum vergrößerten Foramen magnum einen missgebildeten, verkürzten Atlas, manchmal auch eine überzählige Rippe an C7 auf. Bei der Chiari Malformation Typ I des Menschen kommt es zu einer Kaudalverlagerung von Teilen des Kleinhirns in den Halsbereich und Syringo-Hydromyelie, die von einem Hydro-zephalus begleitet sein kann. Beim Cavalier King Charles Spaniel tritt eine vergleichbare Erkrankung gehäuft auf (siehe Abb. 17.5). Die Hemmungsmissbildung des Okziput hat eine zu kleine hintere Schädelgrube mit Kaudalverlagerung der hinteren Kleinhirnanteile und Medulla oblongata durch das Foramen magnum (Herniation) zur Folge. Dadurch kommt es zu Obstruktion der Cisterna magna, Hydrozephalus und Sy-ringohydromyelie, die oft im kaudalen zervikalen und krania-len thorakalen Bereich am deutlichsten sind. Bei einem Cava-lier King Charles Spaniel wurde als Begleiterscheinung ein nach dorsal abgewinkelter Dens axis beschrieben. Es blieb dabei unklar, ob dies ein Teil der Chiari-Malformation oder eine unabhängige Missbildung des Dens oder Bandapparates darstellt (172, 173, 174). Die Missbildung des Schädels und Halsskeletts kann mit der CT nachgewiesen werden, ebenso die dilatierten Liquorräume. In der MRT zeigen T2w-Sagittalschnitte die erweiterten Liquorräume und T1w-Aufnahmen die Herniation des Kleinhirns am besten.
Tabelle 6.8: MR-Darstellung intrakranieller Blutung in Spin-Echo-Sequenzen bei 0, 5T-Magneten
Signalintensität im Vergleich zu grauer Substanz. (Tabelle nach Thomas: Nonneoplastic disorders of the brain; Clinical Techniques in Small Animal Practice 14, 1999.)
Abb. 6.42 a, b
(a) Ventro-dorsale und (b) latero-laterale Röntgenaufnahmen bei einem hochgradigen kongenitalen Hydrozephalus. Riesiges Volumen des Hirnschädels mit komprimiertem Sinus frontalis, gerader Schädelbasis und milchglasartiger Knochenstruktur (b). Auf der VD-Aufnahme weit nach medial gerückter Mittel-Innenohrbereich und Kiefergelenke. Offene Fontanellen und Suturen.
Abb. 6.43 a-c
Okzipitale Dysplasie bei einem Yorkshire Terrier. Kurze hintere Schädelgrube (a), verlängertes, einem Schlüsselloch ähnliches Foramen magnum, dargestellt durch eine modifizierte Frontalprojektion (b). Die Sonographie im Sagittalschnitt (c) zeigt die Cisterna magna (C), den Vermis cerebelli (V) und Syringo-Hydromyelie (*).
6.5.4 Intrakranielle Tumore
6.5.4.1 Allgemeine Überlegungen
Intrakranielle Tumore sind mit konventionellen Methoden nur ausnahmsweise zu erfassen. Bei Katzen führen Meningiome gelegentlich zu einer Verdickung und Sklerosierung der Schädelkapsel, die über dem Tumor liegt. Beschrieben sind auch verbreiterte und vermehrt sichtbare Gefäßimpressionen durch dilatierte Meningealarterien. Selten kommt es bei invasiven Formen zu ossärer Destruktion. Kalkdichte Schatten in der Schädelhöhle weisen ebenfalls auf diesen nicht selten zumindest partiell mineralisierten Tumor hin. Der Informationsgehalt eines Röntgenbildes ist auch im besten Fall für eine präzise Diagnose, Prognose und Therapieplanung ungenügend.
CT und MRT sind gegenwärtig die sensitivsten Methoden, um anatomische Veränderungen der Meningen, des Gehirns, der Ventrikel, Gehirnnerven oder Gefäße darzustellen (siehe Kap. 6.2.4). CT und MRT erfassen intrakranielle Tumore auf grund ihrer spezifischen Eigenschaften (Tabelle 6.7). Dazu gehören Verdrängung und Kompression normaler Strukturen durch Massenverschiebung, Veränderung der physikalischen Dichte, Ödembildung, Durchbrechen der Blut-Hirn-Schranke oder Blutungsneigung. Die MRT- ist der CT-Untersuchung in der Diagnostik von Hirnerkrankungen wegen der sehr hohen Kontrastauflösung überlegen, die durch geeignete Sequenzen noch verstärkt werden kann. Pathologische Zellinfiltrate können die Signalgebung in den verschiedenen Sequenzen beeinflussen, und auch ein geringes Ödem kann erfasst werden.Allerdings gibt es Läsionen, die in praktisch jeder Sequenz isointens zum umgebenden Hirngewebe sind und die nur mit KM-Untersuchungen dargestellt werden können.
Tabelle 6.9: Typen intrakranieller Raumforderungen
Neoplastisch | Nicht-neoplastisch |
■ Neuroepitheliale Tumore |
■ Granulom (GME) |
■ Nervenwurzeltumore |
■ Zyste |
■ Hypophyse |
■ Abszess |
■ Meningiom |
■ Infarkt |
■ Teratom |
■ Hämatom |
■ Metastase |
|
■ Lymphom |
|
■ Andere |
Um eine Läsion mittels CT darzustellen, muss diese zu veränderter Schwächung von Röntgenstrahlen führen. Die meisten Tumore sind daher vor KM-Applikation isodens zu normalem Hirngewebe. Bei einigen langsam wachsenden Tumoren wie infiltrativen Gliomen kann die CT versagen, weil der Tumor im Nativbild und nach der KM-Injektion wegen der oft unveränderten Vaskularisation und intakten Blut-HirnSchranke isointens bleibt. Auch sehr kleine Tumore können unentdeckt bleiben. Die Aufhärtung der Röntgenstrahlung im Bereich sehr dichter Knochen macht eine Beurteilung des Hirnstamms, Kleinhirns und der Medulla oblongata ebenfalls sehr schwierig. Neben Grundlagenliteratur über das Verhalten von Tumoren in der CT und MRT liegen der nachstehenden Zusammenfassung die Beschreibungen von Kraft und Gavin (174), Thomas et al. (175, 176) und Moore et al. (177) zugrunde. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass bei weitem nicht alle raumfordernden Prozesse neoplastischen Ursprungs sind. Missbildungen, Entzündungen oder vaskuläre Erkrankungen können ebenfalls mit einem Masseneffekt einhergehen (Tabelle 6.9).
Details
- Seiten
- ISBN (ePUB)
- 9783842685192
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2014 (Mai)
- Schlagworte
- Hund Katze Neurochirurgie Neurologie Neuroradiologie