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Lymphologie und Manuelle Lymphdrainage beim Pferd

Indikationen, Therapie, Prävention

von Dirk Berens v. Rautenfeld (Herausgeber:in) Christina Fedele (Autor:in) Dr. Anna Rötting (Mit Beiträgen von)
228 Seiten

Zusammenfassung

Das fundierte Lehrbuch über die Anwendung der Manuellen Lymphdrainage beim Pferd in der zweiten, überarbeiteten Auflage. Das Buch gibt einen praktischen Überblick über Funktion und Bedeutung des Lymphsystems. Es stellt die Grundlagen und Anwendungsgebiete, Behandlungsstrategien und Indikationen der Manuellen Lymphdrainage beim Pferd umfassend, verständlich und reich illustriert dar. Die Kenntnis über das Lymphgefäßsystem und die beim Pferd hocheffektive Manuelle Lymphdrainage gehört zum Basiswissen für Tierärzte. Als ¿Kursbuch¿ der Manuellen Lymphdrainage wendet sich das Werk außerdem an die am Pferd ausgebildeten Physiotherapeuten der Humanmedizin sowie an fachlich interessierte Pferdebesitzer.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Autoren

Prof. Dr. med. vet. Dirk Berens v. Rautenfeld
Medizinische Hoschschule Hannover
Funktionelle und Angewandte Anatomie
Hannover

Dr. med. vet. Christina Fedele
Praktizierende Tierärztin
Hattingen

Dr. med. vet. Anna Rötting
Klinik für Pferde
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Hannover

Stefanie Brandenburger
Physiotherapeutin
Wedemark

Ruth Negatsch
Tierärztin
Schönfließ

 

Mitarbeiter

Sarah Aurenz
Tierärztin
Hannover

Dr. med. vet. Carola Ballat
Bovenden

Dr. med. vet. Bianca Carstens (Brandhorst)
Rotenburg

Monika Fuggert
Physiotherapeutin
Glashütten

Dr. med. vet. Natalie Klages
Rodewald

Helmut Kreczik
Grafiker
Hannover

Vorwort der 2. Auflage

Dem Leser der 1. Auflage unseres Buches wird auffallen, dass sich der Titel verändert hat, was durchaus ungewöhnlich sein mag. Die Integration der »Lymphologie« aus dem Unter- in den Haupttitel weist nun deutlich darauf hin, dass dieses Buch weit mehr Informationen als nur die Anleitung zur Manuellen Lymphdrainage (MLD) vermittelt.

Viele der von uns ausgebildeten tierärztlichen und physiotherapeutischen Lymphdrainagetherapeuten bedauern, dass sie häufig erst im fortgeschrittenen Stadium der chronischen Phlegmone mit schlechter Prognose in die Behandlung dieser Pferde integriert werden. Auch in der Humanmedizin hat es vergleichsweise lange gedauert bis die Phlegmone als Lymphödem bezeichnet wurde und die physiotherapeutische Anwendungen wie die MLD Akzeptanz fanden: Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte R. Virchow als Erster den Begriff des »lymphatischen Ödems« für die Phlegmone des Menschen (vergleichbar mit der chronischen Phlegmone des Pferdes), die Lymphangitis und das Erysipel (vergleichbar mit der akuten Phlegmone des Pferdes), während andere Autoren noch bis nach dem 2. Weltkrieg bezweifelten, dass es sich mit Ausnahme der Lymphangitis um Lymphgefäßerkrankungen handelt. Ebenfalls in der Ära von Virchow beschrieb der Chirurg A. Winiwater eine »spezielle Massagebehandlung« zur Therapie der chronischen Phlegmone, welche über 100 Jahre in Vergessenheit geriet und erst in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts als »Manuelle Lymphdrainage« von den Krankenkassen als Methode der Wahl zur Behandlung der nunmehr als Lymphödem bezeichneten Erkrankung Akzeptanz fand. In der Veterinärmedizin besteht die Hoffnung, dass der historische Begriff der Phlegmone sehr viel schneller durch den des »equinen Lymphödemkomplexes (ELK)« ersetzt wird (siehe Kapitel 10.2).

Die überarbeitete, mit zahlreichen neuen Abbildungen versehene Auflage, berücksichtigt in erster Linie neue Behandlungsstrategien für die Arbeit der MLD-Therapeuten.

 

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Prof. Dr. A. v. Winniwarter (1848–1927, obere Reihe, zweiter von rechts) war als Chirurg in Lüttich tätig. Er beschrieb im 19. Jahrhundert als erster eine »Massagemethode« zur Therapie der Elephantiasis.

 

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Prof. Dr. phil., Dr. med. vet. h.c.,
Dr. med. h.c. Hermann Baum (1864–1932).

Sowohl der Chirurgin Dr. Anna Rötting als auch Dr. Tanja Helling verdanken wir den Impuls zur palliativen MLD-Behandlung von Tendopathien, welche in der Zukunft der wichtigste Einsatzbereich der lymphologischen Behandlung werden könnte. Von Anna Rötting stammt das neue Unterkapitel »Besondere Krankheitsberichte« innerhalb der Krankheitslehre. Diese vortrefflich dokumentierten Fälle veranschaulichen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Tierärzten und Physiotherapeuten am lymphologischen Patienten Pferd unbedingt erforderlich ist.

Neue Erfahrungen im Rahmen der Kompressionsbehandlung zeigen, dass zunehmend Kompressionsstrümpfe bei Pferden mit chronischer Phlegmone den lymphologischen Behandlungserfolg einschränken, besonders dann, wenn kombinativ keine MLD-Behandlung zur Anwendung kommt. Bisher ist bei der Behandlung von equinen Lymphödemen zu sehr auf die Reduzierung von Umfangsvermehrungen und zu wenig auf die Wiederherstellung der physiologischen Konsistenz des fibrosierten Ödemgewebes geachtet worden, welches nur durch MLD-Griffe in Kombination mit lymphologischen Verbänden erfolgreich behandelt werden kann.

In das Buch integriert sind die Ergebnisse einer reiterlichen Umfrageaktion zum Thema »Angelaufene Beine (AGB)«, welcher wir neue Erkenntnisse zum Verständnis der Genese des equinen Lymphödemkomplexes verdanken. Der Umfrage konnte u. a. entnommen werden, dass es sich bei mehr als 50% der Pferde mit angeblichen AGB bereits um chronische Phlegmonen handelt und die Neigung zu dieser Erkrankung bereits im Fohlenalter auftreten kann.

Neben der Berücksichtigung neuer Therapieansätze soll das Buch der Tierärzteschaft »lymphologisches Denken« auch bei Erkrankungen wie z. B. dem Fesselringbandsyndrom vermitteln, welche bisher im lymphologischen Therapiekonzept keine Berücksichtigung fanden.

Der Vergleich der Lymphödemformen bei Mensch und Pferd (Kapitel 10) musste völlig neu geschrieben werden, weil das »lymphvaskuläre Bäumchen« dank vieler Impulse unserer Lymphdrainagetherapeuten, besonders aber auch durch den Nachweis eines erblichen (hereditären) Lymphödems beim Pferd, in den Jahren nach Erscheinen der ersten Auflage, gewachsen ist. Der Namensgeber unserer Arbeitsgruppe, Prof. Dr. phil., Dr. med. vet. h.c., Dr. med. h.c. (1864–1932) Hermann Baum mag uns wegen der Verniedlichung seines Namens posthum verzeihen oder sogar stolz auf die klinische Bedeutung seiner Lymphgefäßanatomie beim Pferd sein.

Aufgrund der uns zugeführten großen Zahl besonders von tierärztlich austherapierten Pferden mit Umfangsvermehrungen aus dem In- und Ausland zeichnet sich eine Mitbeteiligung peripherer Venen beim Lymphödem ab. Deshalb war es erforderlich auch Phlebolymphödeme zu thematisieren, auf welche zukünftig besonders geachtet werden sollte.

Wir freuen uns, dass zwei veterinärlymphologische Publikationen unseres Autorenteams durch wissenschaftliche Preise geehrt wurden. Es handelt sich um Arbeiten von Dr. Christina Fedele und von Dr. Tanja Helling.

Der Tierärztin Sarah Aurenz sei für die unermüdliche redaktionelle Arbeit bei der Neugestaltung des Buches besonders auch deshalb gedankt, weil sich dadurch die Vollendung ihrer Doktorarbeit verzögert hat.

Es ist dem Herausgeber ein besonderes Anliegen, den im Verlauf der ersten Auflage verstorbenen Hochschullehrern, dem allseits geschätzten ehemaligen Leiter der Pferdeklinik der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. E. Deegen und dem Anatomen der Freien Universität Berlin Prof. Dr. F. Preuß die zweite Auflage des Buches zu widmen. Beide haben unsere veterinärlymphologische Arbeit maßgeblich gefördert.

 

Hannover, im Oktober 2011
Dirk Berens von Rautenfeld

Geleitworte zur 1. Auflage

Der Herausgeber dieses Buches, Prof. Dr. D. Berens v. Rautenfeld, ist Tierarzt und Reiter. Beruflich hat ihn der Weg über die Veterinäranatomie und sein besonderes Interesse an der vergleichenden Lymphologie in die Humanmedizin geführt. Seine Begeisterung für das Lymphgefäßsystem blieb an der Medizinischen Hochschule Hannover ungebrochen. Vergessen schien sein equiner Bezug, da er Gründungsmitglied der deutschsprachigen Gesellschaft für Lymphologie (GDL) in Wien wurde. Nur wenige in der Humanmedizin wussten, dass sie einen Fachtierarzt für Geflügel und Veterinäranatomie zum Präsidenten der GDL gewählt haben.

»Back to the roots« legt er nun mit seinem Team von Autorinnen diese erste tiermedizinisch ausgerichtete Lymphologie vor. Das Wagnis einer vergleichenden Lymphologie im Zeitalter einer immer mehr molekular ausgerichteten Forschung ist notwendig, da die Humanmedizin immer auf der Suche nach einem klinischen »Lymphödemmodell« für den Menschen war. Die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe zeigen, dass die Ursachen für das Lymph ödem beim Menschen in der Vergangenheit andere waren und in der Dritten Welt, aber auch beim Pferd, noch andere sind.

Das Buch birgt auch für den Humanlymphologen eine Quelle von Informationen sowohl für den Arzt als auch für den Physiotherapeuten. Es enthält zahlreiche eigene Forschungsergebnisse beim Pferd, welche schon jetzt vom Pferd auf den Menschen übertragbar sind (z. B. die Existenz dermaler Kollektoren) oder unbedingt beim Menschen zu überprüfen sind (z. B. die Funktion der Myofibroblasten und der enorm hohe Anteil elastischer Fasern in der Wand der Kollektoren beim Pferd). Auch deshalb sollte das Werk nicht nur von Tierärzten und Physiotherapeuten mit Interesse am Pferd, sondern von möglichst vielen Humanlymphologen und am Menschen tätigen MLD-Therapeuten gelesen werden.

Der wissenschaftlichen Kreativität der Autoren verdanken aber auch die »Pferdepatienten« und ihre Besitzer, dass bereits am Anfang der Entwicklung einer Veterinärlymphologie an Prävention bzw. Prophylaxe von Lymphgefäßerkrankungen gedacht wird. Es scheint so, dass das Verhalten der Lymphgefäße eine Art »Bioindikator « für die besonderen zivilisatorischen Umweltbedingungen des Pferdes darstellt. Dass uns der Herausgeber auch weiterhin in der Humanlymphologie erhalten bleibt, zeigen seine Projekte und die seiner Mitarbeiter zur molekular orientierten Charakterisierung von Lymphgefäßen, aber auch seine Bemühungen um die Ausbildung von MLD-Therapeuten am Menschen. Ich empfehle das Lesen dieses Buches auch allen in der Humanmedizin tätigen Lymphologen.

 

Hinterzarten, im Frühjahr 2005          
Prof. Prof. h.c. Dr. med. Michael Földi

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Pferde mit Erkrankungen des Lymphsystems spielen in der tierärztlichen Praxis immer wieder eine bedeutende Rolle und gehören zu den schwer therapierbaren Fällen. Obwohl schon BAUM (1864–1932) die Grundlagen der Topographie der Lymphknoten und der makroskopisch darstellbaren Lymphgefäße beim Pferd erforscht hat, fehlten bis jetzt Befunde zum Feinbau und zur funktionellen Anatomie der Lymphgefäße. Die Forschungsgruppe Hermann- Baum-Seminar (HBS) der Medizinischen Hochschule Hannover, unter der Leitung des Tierarztes Prof. Dr. Dirk Berens von Rautenfeld, hat sich diesem Thema erfolgreich gewidmet.

Dem Herausgeber und seinen Mitarbeitern ist es gelungen, basierend auf den Untersuchungen in der Humanmedizin, die Grundlagen der funktionellen Anatomie des Lymphsystems des Pferdes für die Anwendung in der Praxis zu erarbeiten und dabei gleichzeitig die Unterschiede zum Lymphsystem und zum Lymphödem des Menschen zu erforschen.

Dargestellte Lymphdrainagegriffe, die auf den Grundgriffen in der Humanmedizin basieren, bewirken eine Steigerung der Kontraktion der Kollektoren und der Lymphgefäßstämme und führen zum Lymphabfluss. Damit wird für die praktizierenden Tierärzte eine neue Therapieform bei Lymphstau des Pferdes dargestellt. Zum Erlernen dieser Technik werden Kurse in Manueller Lymphdrainage (MLD) angeboten, deren Inhalte hier vorgestellt werden und die auch für Humanphysiotherapeuten zugängig sind. Außerdem werden hier erstmals Kompressionsstrümpfe für Pferde in ihrer Anwendung dargestellt.

Sehr wertvoll sind die Angaben über Lymphgefäße für Pferdebesitzer, helfen sie doch z. B. das Putzen gezielter als bisher im Sinne einer Förderung des Lymphflusses durchzuführen. Sowohl für Humanlymphologen und Physiotherapeuten als auch für Veterinärmediziner stellt dieses Buch eine sprudelnde Informationsquelle dar, aus der alle an der Thematik interessierten Studenten, Praktiker und Wissenschaftler schöpfen können.

 

Burgdorf, Juli 2005               
Prof. a.D. Prof. extraord.      
Dr. med. vet. Horst Wißdorf

1 | Einführung in die Lymphologie und die Manuelle Lymphdrainage
D. Berens v. Rautenfeld

In der Humanmedizin wird die Lymphologie von verschiedenen Gebietsärzten (Fach- bzw. Gebietsärzten), z. B. Anatomen, Physiologen, Dermatologen, Radiologen, Gynäkologen, vertreten. Sowohl in der Human- als auch der Veterinärmedizin existiert kein anerkannter Weiterbildungsgang und somit auch kein Facharzt bzw. Fachtierarzt für Lymphologie.

Die Manuelle Lymphdrainage (MLD) ist ein in der Humanmedizin anerkannter physiotherapeutischer Weiterbildungsgang von vier Wochen. Die MLD-Anwendungen sind wissenschaftlich und seit 1973 durch die Krankenkassen anerkannt. In der Veterinärmedizin ist die Ausbildung in Manueller Lymphdrainage von Tierärzten, Masseuren oder Physiotherapeuten bzw. Krankengymnasten gesetzlich weder geregelt noch geschützt. Das trifft auch für alle in Deutschland angebotenen physiotherapeutischen Fortbildungsgänge am Pferd zu. Allerdings besitzen einige dieser Kursanbieter eine Anerkennung durch die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) zur Qualitätssicherung im Hinblick auf die Anzahl von Ausbildungsstunden und einer Abschlussprüfung, zu welcher nur Physiotherapeuten und Tierärzte zugelassen sind. In Deutschland können Tierärzte die Zusatzbezeichnung »Physiotherapie« durch Prüfung der Tierärztekammer erlangen.

In der Schweiz bietet Frau Brigitte Stebler einen entsprechenden deutschsprachigen Physiotherapiekurs mit staatlicher Anerkennung an, den auch Physiotherapeuten und Tierärzte aus Deutschland belegen können. Die Absolventen dieses Kurses erhalten ein eidgenössisches Diplom zur Führung der Berufsbezeichnung »Physiotherapeut für Pferde, Hunde und Katzen«. Nur innerhalb dieses Kurses und in einem weiteren durch die FN und den Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnasten (ZVK) anerkannten Ausbildungsgang zum Pferdephysiotherapeuten von Frau Christel Auer ist eine reguläre Ausbildung in Manueller Lymphdrainage integriert, welche von den Autoren dieses Buches ausgerichtet wird.

1.1 Lymphologie: eine »Blackbox«
beim Pferd?

Über die Beteiligung des Lymphgefäßsystems an equinen (equus, lat.: das Pferd) Erkrankungen ist im Vergleich zum Menschen wenig bekannt. Dies betrifft in erster Linie die Lymphgefäße und nicht die Lymphknoten, welche eine wichtige Rolle in der Veterinärpathologie und der Fleischuntersuchung spielen. Das Wissen um Lymphgefäßerkrankungen ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges in der Tiermedizin in Vergessenheit geraten, weil durch den Einsatz hochwirksamer Medikamente (wie z. B. Antibiotika) bakterielle Wundinfektionen i. d. R. vom Tierarzt beherrscht werden. Die Folge nicht medikamentös behandelter Wundinfektionen war u. a. ein Übergreifen von Bakterien auf die außerordentlich empfindliche Muskelwandpumpe peripherer Lymphgefäße mit anschließender Lymphgefäßentzündung (Lymphangitis), wodurch die weitgestellten (dilatierten), hautnahen größeren Lymphgefäße deutlich in Erscheinung traten. Besonders während und nach dem Ersten Weltkrieg bot sich der Tierärzteschaft bei vielen Pferden das Bild dieser teilweise enorm entzündlich dilatierten Lymphgefäße (Abb. 1.1). Dies hatte seine Ursache darin, dass die Kavalleriepferde unter anderem mit dem bakteriellen Erreger der Lymphangitis ulcerosa, mit Nocardiose und Rotzerkrankungen in Süd- und Osteuropa in Kontakt gerieten, ohne dass eine Antibiotikatherapie zur Verfügung stand. Aber auch die bakteriell bedingte Elephantiasis war bis Ende des Zweiten Weltkrieges mit entsprechenden lymphvaskulären Veränderungen aufgrund der nicht vorhandenen Antibiotikatherapie weitverbreitet.

Kurz angedeutet in Bezug auf den Ersten Weltkrieg sei noch, dass Pferde, welche innerhalb der Giftgasangriffe mit Senfgas (»Gelbkreuz«) in Kontakt gerieten, besonders ausgeprägte Lymphödeme im Bereich des Rumpfes entwickelten (Richters, 1939).

Im Vergleich zu anderen Haussäugetieren ist die Neigung des Pferdes zu Umfangsvermehrungen im Bereich der Extremitäten auch ohne Beteiligung einer bakteriellen Wundinfektion, z. B. in Form von »angelaufenen Beinen«, schon lange bekannt. Dass einige Pferde eine besondere funktionelle Schwäche der Lymphgefäße im Bereich des Fußes zeigen, hat Meyer (1988) durch Einsatz der indirekten Lymphangiographie an sedierten ödemfreien Pferden im Stadium 0 des »equinen Lymphödemkomplexes« (ELK; siehe Kapitel 10.2) nachweisen können. Die mit Röntgenkontrastmittel gefüllten Lymphgefäße zeigten einen auffallend geschlängelten und somit gestauten Verlauf (Abb. 1.2). Aufgrund dieser Untersuchungen wurde ein Konzept der Manuellen Lymphdrainage beim Pferd durch Berens v. Rautenfeld entwickelt, das Rötting 1999 in ihrer Dissertation (FU Berlin) bei der chronischen Phlegmone (Elephantiasis) mit Erfolg erprobte. Ein Jahr später wurde die Manuelle Lymphdrainage der Tierärzteschaft in der Pferdeheilkunde vorgestellt (Berens v. Rautenfeld et al., 2000; Rötting et al., 2000). In der Folge wurden weitere Artikel zum Thema Manuelle Lymphdrainage veröffentlicht (Fedele und Berens v. Rautenfeld, 2005; 2007; Fedele et al., 2006; 2009; Berens v. Rautenfeld et al., 2010).

 

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Abb. 1.1:
Spritzenabszess mit Darstellung eines afferenten Kollektors zu den Buglymphknoten (aus Marek und Mósey, 1960).

 

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Abb. 1.2:
Indirekte Lymphangiographie am Fuß der Beckengliedmaße bei einem Pferd ohne Umfangsvermehrung (siehe Weichteilschatten) bzw. Neigung zu »angelaufenen Beinen«. Die mit einem Röntgenkontrastmittel gefüllten Kollektoren zeigen beim stehenden Pferd einen gestauten, mäanderförmigen Verlauf vom Hufsaum ausgehend in die Fesselbeuge. Beachte, dass rechts neben dem tiefen Kollektor kurze oberflächliche Kollektoren aus der Haut kontrastiert sind.

Tabelle 1.1: Tierärztliche Dissertationen zum Thema Lymphologie, welche seit Erscheinen der letzten Auflage (2005) von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover verabschiedet wurden

Kurzbeschreibung der Dissertation Autor(in) und Erscheinungsjahr
Grundsätzliche Untersuchungen am Pferdebein zur Messgenauigkeit des opto-elektronischen Perometers im Vergleich zur Wasserverdrängung, Bandmaßmessung und des 3-D-Perometers Frauke Haase (2006)
Perometrische Messungen von Volumenschwankungen der Extremitäten vor und nach der Bewegung von Pferden mit und ohne Reitergewicht Ariane Böttcher (2006)
Erprobung des Perometers zur Umfangsbemessung der Wirkung von Bandagen auf Volumenschwankungen am Vorder- und Hinterbein des Pferdes Nicole Korella (2007)
Erste quantitative lymphszintigraphische Studie mit zahlreichen Hinweisen auf die Existenz des »equinen Lymphödemkomplexes« Christine Gaedke (2007)
Morphologische Darstellung der lymphvaskulären Architektur equiner Beugesehnen mit erstem Nachweis der Manuellen Lymphdrainage, Wirkung mit der neuen indirekten Depot-Sehnen- Lymphangiographie Tanja Helling (2008)

Seit 1999 werden regelmäßig Fortbildungskurse in Manueller Lymphdrainage am Pferd durch das »Europäische Seminar für Equine Lymphdrainage« (E.S.E.L.) für Tierärzte und Physiotherapeuten angeboten. Seitdem bearbeitet das Hermann-Baum-Seminar an der Medizinischen Hochschule Hannover auch wissenschaftliche lymphologische Themen beim Pferd. In der Vorauflage wurden folgende Dissertationen des Hermann-Baum-Seminars besonders vorgestellt: Harland (2003), Brandhorst (2004), Braun (2004), Risse (2004), Rothe (2004). In der vorliegenden aktualisierten Tabelle 1.1 sind die fünf Dissertationen aufgeführt, welche seit 2006 erschienen sind.

Der Einsatz des Perometers zur Umfangsbemessung von Extremitäten kann zukünftig im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen genutzt werden.

Ebenfalls für wissenschaftliche Untersuchungen könnte die Funktionslymphszintigraphie in der Zukunft als bildgebende Methode der Wahl zum Einsatz kommen. Das hier vertretene Konzept des equinen Lymphödemkomplexes (ELK) wird durch einige Befunde der ersten Funktionslymphszintigraphiestudie gestützt.

Die drei Stadien des equinen Lymphödemkomplexes (ELK) sind:

imageAngelaufene Beine = subkutanes equines Lymphödem

image Einschuss = akutes equines Lymphödem

image Elefantenbein = chronisches equines Lymphödem

Der wissenschaftliche Nachweis der Wirkung der Manuellen Lymphdrainage durch die Depot-Sehnen-Lymphangiographie dürfte für die Überzeugungsarbeit unseres lymphologischen Therapiekonzeptes in der Tierärzteschaft von eminent wichtiger Bedeutung sein. Darüber hinaus veranschaulicht der enorme Lymphgefäßbesatz der Sehne (siehe Kapitel 2.2.9.2) deren Bedeutung für die Behandlung von Tendopathien, für welche es bereits zahlreiche Behandlungserfolge unserer Lymphdrainagetherapeuten gibt.

1.2 Komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE)

Für den lymphologischen Laien oder den Reiter sollten »dicke Pferdebeine« (Abb. 1.3) mit Manueller Lymphdrainage (MLD) behandelt werden, obwohl zur Behandlung fast aller Lymphödematisierungen nicht nur die MLD, sondern drei weitere Therapiemaßnahmen zur Anwendung kommen müssen, um einen maximalen Therapieerfolg zu erzielen. Diese Vierstufentherapie wird nach Földi und Földi (2002a) als »komplexe physikalische Entstauungstherapie«, kurz KPE, bezeichnet.

 

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Abb. 1.3:
Chronische Form der Elephantiasis an der linken Hintergliedmaße einer Friesenstute. Das letzte Fohlen dieser Stute entwickelte nach einer Phlegmone ebenfalls eine Elephantiasis.

Die vier Therapiesäulen der KPE sind:

1. Bewegung und Bewegungstherapie

2. Manuelle Lymphdrainage

3. Kompressionsverband oder Kompressionsstrumpf

4. Haut- und Hufpflege

Der Therapieerfolg sollte nach jeder KPE-Behandlung durch Umfangsmessungen in verschiedenen Höhen der ödematösen, aber auch der kontralateralen gesunden Extremität verifiziert werden.

Nicht nur Lymphtherapeuten (Tierärzte, Masseure oder Physiotherapeuten mit MLD-Ausbildung), sondern auch Reiter sollten wissen, dass es aus therapeutischer Sicht i. d. R. unzureichend ist, wenn der Lymphtherapeut eine Lymphödematisierung lediglich mit MLD behandelt. Nur in Ausnahmefällen ist die Anwendung einer oder mehrerer, also nicht aller Therapiemaßnahmen vertretbar.

 

Die Bewegung des beingesunden Pferdes repräsentiert die traditionell billigste Vorbeugung (Prävention) von Umfangsvermehrungen der Extremitäten – sowohl aus Sicht des Reiters durch Einsparung von Tierarztkosten, aber auch für das Pferd, dessen Lymphfluss maßgeblich ohne Energieaufwand mittels elastischer Kräfte (siehe Kapitel 2.1.3.2) vergleichbar mit dem Pendel einer Uhr angetrieben wird. Selbst bei Pferden mit Neigung zu »angelaufenen Beinen« (AGB) glaubt der Reiter, dieses Problem durch Bewegung seines Pferdes »in den Griff« zu bekommen. Der Reiter bemerkt aber auch, dass die Umfangsvermehrung des betroffenen Beines nach Ruheperioden im Laufe des Lebens zunimmt.

Darüber hinaus zeigt eine groß angelegte reiterliche Umfrageaktion zum Thema »Umfangsvermehrungen der Extremitäten«, dass Pferde mit AGB besonders durch Einschüsse (Phlegmone, akute Phlegmone) gefährdet sind.

Die ersten quantitativen lymphszintigraphischen Untersuchungen (Gaedke, 2007) beweisen, dass es sich beim Phänomen der AGB tatsächlich um ein Lymphgefäßproblem handelt. Damit wird die Arbeit von Lymphtherapeuten bestätigt, denen es gelingt, den Zustand AGB durch mehrwöchigen Einsatz der KPE nachhaltig zu therapieren.

Die Bewegungstherapie beim Lymphödem der Extremitäten (AGB, chronische Phlegmone) ist mit lymphologischen Extremitätenverbänden am effektivsten (siehe unten). Perometrische Untersuchungen (Böttcher, 2006) und praktische Erfahrungen der Lymphdrainagetherapeuten zeigen, dass lymphödematöse Umfangsvermehrungen der Extremitäten deutlicher unter dem Reitergewicht und weniger deutlich durch Longenarbeit reduziert werden (Abb. 1.4).

Eine Überanstrengung des Pferdes durch Bewegungstherapie kann den Entstauungseffekt negativ beeinflussen (siehe dazu Kapitel 2.1.3.3).

Längere vom Tierarzt verordnete Stehzeiten (z. B. bei Fesselbeinfrakturen) führen häufiger zu hohen Ödematisierungen der Extremitäten, mitunter bis in den Skrotal- bzw. Milchdrüsenbereich, seltener auch in den Beckenraum.

Die Manuelle Lymphdrainage fördert am Anfang des Lymphdrainagesystems den Einstrom von Gewebsflüssigkeit in den Bereich initialer Lymphgefäße und steigert den Lymphfluss durch Anregung glatter Muskelzellen in der Wand größerer Lymphgefäße (Kollektoren) zur Kontraktion. Der Effekt auf die Lymphbildung und den Lymphtransport hält auch noch Stunden nach der MLD-Behandlung an (siehe Kapitel 2.2.9.4). Der MLD-Behandlungserfolg variiert von Therapeut zu Therapeut enorm, in Abhängigkeit von seiner Grifftechnik und Berufserfahrung.

Während die Anregung der Lymphangiomotorik sowohl durch Einsatz der MLD als auch durch Bewegungstherapie erzielt wird, vermag beim Lymphödem allein die Hand des Lymphdrainagetherapeuten die aus dem Blutsystem in den Bindegewebsraum transsudierten Plasmaproteine in das Lymphsystem zu verlagern.

Der lymphologische Kompressionsverband unterstützt den Antifibroseeffekt der MLD, nicht jedoch Kompressionsstrümpfe (siehe unten).

Beachte, dass die Manuelle Lymphdrainage ohne den Einsatz der Bewegungs- und Kompressionstherapie eine vergleichsweise geringe Volumenabnahme im Bereich lymphödematöser Extremitäten bewirkt. Dennoch ist ihr Einsatz zur Bewältigung der Plasmaproteine beim chronischen Lymphödem unbedingt erforderlich.

 

Für die Kompressionstherapie sind reiterliche Bandagen und tierärztliche Verbände ohne Verwendung von Kurzzugbandagen und ausreichende Wattepolsterung ungeeignet. Der lymphologische Kompressions(säulen)verband gewährleistet einen optimalen Therapieeffekt. Auch wenn er teuer und aufwendig in der Handhabung ist, sollte er stets und mindestens in den ersten beiden Wochen der MLD-Therapie zur Anwendung kommen (Abb. 1.5).

Kompressionsstrümpfe führen zwar auch zu Ödemabnahmen, verstärken jedoch die Ausbildung eiweißbedingter Gewebeverhärtungen. Einen ähnlichen Effekt erzielen Diuretika, welche leider nicht selten bei Lymphödemen in der Tiermedizin zum Einsatz kommen.

Kompressionsstrümpfe können präventiv und bei Pferden mit Neigung zu AGB zum Einsatz kommen. Bei Pferden mit chronischer Phlegmone ist der Einsatz von lymphologischen Verbänden erforderlich. Nur der lymphologisch versierte Tierarzt oder equine Lymphdrainagetherapeut sollte entscheiden, ob es sich bei der Umfangsvermehrung der Extremität um AGB oder bereits um das Frühstadium einer chronischen Phlegmone handelt.

Die Haut- und Hufpflege ist aufgrund der entzündlichen Genese beim equinen Lymphödem unbedingt erforderlich. Dazu gehört in erster Linie der tägliche Wechsel der Einstreu, um die Gefahr von Einschüssen (Phlegmonen) zu minimieren. Das trifft auch für die Pflege des Hufsaums zum Schutz des Hornbildungsmechanismus zu, da es beim chronischen Lymphödem zu ausgeprägten Veränderungen des Hufschuhs kommen kann.

1.3 Ganzkörperbehandlung beim »dicken Bein«?

Bei einer lymphödematösen Erkrankung einer der beiden Beckengliedmaßen leitet der Lymphdrainagetherapeut die MLD-Behandlung stets an der linken Halsseite vor der Schulter und am Rumpf des Pferdes ein. Erst nach dieser »zentralen Vorbehandlung« darf mit der »peripheren Behandlung« (siehe dazu Kapitel 5) im Bereich der erkrankten Extremität begonnen werden. Ist der Rumpf ödematös betroffen, dann repräsentiert die (anguläre) Halsbehandlung die »zentrale Vorbehandlung« und die Rumpfbehandlung die »periphere Behandlung«.

Es ist ein therapeutischer Kunstfehler, wenn der Lymphtherapeut die MLD-Behandlung im Bereich der Umfangsvermehrung, also z. B. am betroffenen Hinterbein, beginnt, ohne zuvor an Hals und Rumpf eine zentrale Vorbehandlung durchzuführen. Die Begründung dafür ist stets dem Patientenbesitzer zu erläutern: Innerhalb der Lymphödematisierung sind die erkrankten größeren Lymphsammelgefäße überfüllt, die Muskelwandpumpe und die Klappen sind erkrankt (insuffizient). Dadurch können die insuffizienten und deshalb stark gedehnten glatten Muskelzellen mittels der MLD-Griffe nicht oder nur unzureichend zur Kontraktion angeregt werden.

Einen annähernd analogen Vergleich dieser pathophysiologischen Verhältnisse liefert die »Auflösung eines Autobahnstaus«. Ein Autobahnstau löst sich nicht auf, indem immer mehr Fahrzeuge auf das Stauende auffahren, vielmehr muss die Stauursache am Stauanfang gelöst werden. In Bezug auf die MLD-Behandlung eines »dicken Beines« bedeutet dies, dass die Behandlung nicht peripher, sondern zentral eingeleitet werden muss.

Die zentrale Vorbehandlung erzeugt einen Sog auf die gestauten Lymphgefäße der erkrankten Beckengliedmaße, wodurch diese mehr oder weniger entstaut werden, damit die periphere MLD-Behandlung am Bein eingeleitet werden kann.

Ein korrekt arbeitender Lymphtherapeut kann unter anderem dadurch erkannt werden, dass er die MLD-Behandlung nicht im Bereich der erkrankten Extremität, sondern zunächst an Hals und Rumpf einleitet.

 

1.4 Apparative intermittierende Kompressionstherapie (AIK)

Bei der apparativen intermittierenden Kompressionstherapie (AIK; auch intermittierende apparative Kompressionstherapie, IAK, genannt) handelt es sich um eine maschinelle Methode der Lymphdrainage mittels gekammerter Manschetten, welche sowohl für den Menschen als auch für das Pferd zur Verfügung stehen. Da beim Menschen der Einsatz der AIK zurzeit kontrovers diskutiert wird, erscheint es erforderlich, dem Leser diese Methode vorzustellen, welche ein alternatives Behandlungskonzept zur MLD darstellt. Beim Pferd ist gegenwärtig eine AIK-Manschette der Firma Villa Sana (Abb. 1.6) erhältlich, welche mittels Klettverschlüssen an die ganze Schulter- und Beckengliedmaße angelegt werden kann. Zu einem vom Markt genommenen AIK-Gerät der Firma Bösel liegen zwei Untersuchungen von Onderka et al. (1991; 1992) vor. Vergleicht man die Ödemabnahme bei Einsatz dieses Gerätes mit der durch MLD (Rötting, 1999), scheint der Entstauungseffekt für die MLD zu sprechen. Allerdings sind beide Methoden bisher nicht direkt gegeneinander evaluiert worden. Grundsätzlich bietet der Einsatz der AIK beim Pferd den Vorteil, dass die Behandlung lymphödematisierter Patienten auch dort möglich ist, wo ausgebildete Lymphtherapeuten nicht zur Verfügung stehen.

 

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Abb. 1.7:
Lymphangiographie des Pferdes aus Abb. 1.6.

Gegen den Einsatz der AIK sprechen besonders zwei Gründe:

1. Bei ausschließlichem Einsatz der AIK an einer lymphödematös erkrankten Extremität wird versucht, ohne zentrale Vorbehandlung (siehe Kapitel 1.3) insuffiziente Lymphgefäße zur Kontraktion anzuregen, was der MLD-Behandlungsstrategie widerspricht. Beim Menschen kann es dadurch zu einer Ödemverlagerung z. B. in den Hodensack oder in die Schamlippen kommen. Da in Deutschland beim Pferd AIK-Geräte nur selten zur Anwendung kommen, gibt es keine entsprechenden Erfahrungsberichte.

2. Am Pferdebein ist die Anpassung einer Schlauchmanschette äußerst schwierig, da ausgeprägte »Erhebungen« im Bereich der Gelenke und »Einziehungen« zwischen den Gelenken vorkommen. Dies ist unvorteilhaft, da in allen Bereichen der Extremität annähernd identische Druckbedingungen zu fordern sind.

Geht man davon aus, dass die AIK beim Pferd kombinativ mit einer MLD-Vorbehandlung und einer passgenauen Manschette zur Anwendung kommt, bleibt die Frage, ob die Lymphgefäße des Pferdefußes durch den intermittierenden Kompressionsimpuls zur Kontraktion angeregt oder abgedrückt werden. In diesem beim Pferd äußerst empfindlichen Bereich (besonders am Fesselkopf) liegen die tiefen und oberflächlichen Lymphgefäße ohne ein fettzellreiches subkutanes Polster und Skelettmuskelpolster den Gleichbeinen direkt auf.

Innerhalb des Hermann-Baum-Seminars wurden Lymphangiographien (radiologische Darstellungen der Lymphgefäße mit einem Röntgenkontrastmittel) am Fuß eines Pferdes mit einer AIK-Manschette (Fa. Villa Sana) durchgeführt. Diese Orientierungsuntersuchungen zeigten, dass bei hohem und mittlerem Manschettendruck die Lymphgefäße am Pferdefuß total komprimiert werden, während bei niedrigem Manschettendruck die Durchgängigkeit der Lymphgefäße zumindest teilweise gewährleistet war (Abb. 1.7). Zurzeit ist eine abschließende Bewertung der AIK sowohl beim Pferd, als auch beim Menschen nicht möglich, da eine statistisch abgesicherte, wissenschaftliche Studie fehlt und eine bessere Untersuchungsmethode als die Lymphangiographie, z. B. die Lymphszintigraphie, für diese Fragestellung noch nicht zur Anwendung kam.

2 | Allgemeine anatomische Grundlagen
D. Berens v. Rautenfeld

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Abb. 2.1:
Blutgefäßsystem mit Lungenkreislauf (oben) und großem Körperkreislauf (unten). Das Lymphgefäßsystem (grün) ist dem Venensystem links im Bild parallel geschaltet.
Beachte, dass die Lymphgefäße blind im Bereich des Netzes der terminalen Blutgefäße im Interstitium beginnen. Die Lymphknoten sind als spindelförmige Verdickungen innerhalb des Lymphdrainageweges dargestellt. Die jeweils von den Lymphknoten zum Venensystem zeigenden Pfeile sollen verdeutlichen, dass eigentlich innerhalb des Lymphknotens ein Flüssigkeitstransfer aus dem Lymphdrainagesystem ins Venensystem erfolgt, sodass nur ein geringer Teil der Lymphe am Ende des Lymphgefäßsystems in das präkardiale Venensystem abfließt. Ein Austritt von Lymphwasser aus dem Lymphdrainagesystem erfolgt auch durch die Lymphgefäßwand (siehe unterster Pfeil in der Abbildung) in das perivaskuläre Bindegewebe (siehe systemeigene Überlaufventilfunktion).

Die für das Verständnis der Manuellen Lymphdrainage (MLD) erforderlichen Grundlagen beschränken sich keineswegs nur auf die Angioarchitektur der Kollektoren, deren glattmuskuläre Wandpumpe durch MLD-Griffe zur Kontraktion angeregt wird. Von besonderem lymphologischem Interesse sind die funktionellen und pathophysiologischen Vernetzungen des Lymphgefäßsystems mit dem Venensystem (Abb. 2.1) und der Haut (siehe Kapitel 2.1), die anatomischen Grundlagen der Lymphbildung, Besonderheiten des Lymphgefäßsystems gegenüber dem Blutgefäßsystem sowie die spezifischen lymphvaskulären Drainageverhältnisse der Lymphknoten.

2.1 Funktionelle Vernetzung des Lymphgefäßsystems mit dem Blutkreislauf und der Haut

Der arterielle Schenkel des großen Blutkreislaufs repräsentiert ein Hochdrucksystem, der venöse Schenkel des großen Blutkreislaufs und der Lungenkreislauf ein Niederdrucksystem. Das ebenfalls als Niederdrucksystem arbeitende Lymphgefäßsystem ist dem Venensystem parallel geschaltet. Während die Anfänge des Lymphgefäßsystems nicht an den Blutkreislauf angeschlossen sind, münden die Endabschnitte des Lymphdrainageapparates in die herznahen Venen ein. Das venöse und das lymphvaskuläre Niederdrucksystem bilden eine funktionelle Symbiose gegenüber dem leistungsstärkeren Arteriensystem. Dabei kann das Venensystem als »Hauptventil« und das Lymphgefäßsystem als »Reserveventil« für die Rückführung des Flüssigkeitsstromes zum Herzen aufgefasst werden (Abb. 2.2). Földi bezeichnet die Reserveventilfunktion des Lymphgefäßsystems als »Sicherheitsventilfunktion« (siehe Kapitel 3.4), denn das Lymphgefäßsystem kann sein Lymphzeitvolumen vielfach erhöhen, um das Venensystem funktionell und pathophysiologisch zu entlasten.

Bei Erkrankungen des Venensystems oder des Lymphsystems kann daher das jeweils andere Flüssigkeitssystem mitbetroffen sein.

In den Extremitäten sind nicht nur die oberflächlich gelegenen Lymphgefäße und Venen, sondern auch die Haut funktionell miteinander verknüpft. Im Gegensatz zum Menschen mit seiner außerordentlich weichen (kollagenarmen) Haut (Meyer, 2010) erfüllt die vergleichsweise harte (kollagenreiche) Haut des Pferdes die Aufgabe eines wirksamen natürlichen (körpereigenen) Kompressionsstrumpfes.

Földi (persönliche Mitteilung) postuliert, dass in den Extremitäten des Menschen die Schwäche des oberflächlichen Venensystems (die sog. ambulatorische venöse Hypertension) durch ein vergleichsweise leistungsstarkes Lymphgefäßsystem kompensiert werden muss, um die Rückführung der Lymphe und des venösen Blutes zum Herzen zu gewährleisten. Leider wissen wir im Vergleich zum Menschen über die venöse und lymphvaskuläre Dynamik des Pferdes wenig. Dennoch scheint das Pferd ebenfalls ein schwaches peripheres Venensystem zu besitzen, da sowohl der Mensch als auch das Pferd artspezifisch an Varikosen erkranken können. Im Vergleich zum Menschen besitzt das Pferd eine schwache Lymphgefäßwandpumpe im Hinblick auf eine geringe Anzahl glatter Muskelzellen, sodass es naheliegt, dass der beim Pferd vorhandene dermale Kompressionsstrumpf besonders auch für die Rückführung der interstitiellen Flüssigkeit durch Lymphgefäße als auch Venen aus den Extremitäten verantwortlich ist.

In der Regel handelt es sich bei den equinen Umfangsvermehrungen der Extremitäten um Lymphödeme: Bei Erkrankungen des rechten Herzens treten Ödeme in der Regel nur am Rumpf und nur selten auch an den Extremitäten auf. Daneben kommen beim Pferd Phlebolymphödeme vor, deren venöse Beteiligung nur klinisch nachzuweisen ist. Das trifft auch für Thrombosen peripherer Venen (z. B. der Beckenvenen) mit Umfangsvermehrungen der Extremitäten zu (siehe dazu Kapitel 10.2.2). Da die Sicherheitsventilfunktion (siehe oben) des Lymphsystems nur kurzfristig die Funktionsschwäche des Venensystems kompensieren kann, erkranken auch sie, sodass sich aus der zunächst rein venösen Umfangsvermehrung ein Phlebolymphödem entwickelt.

Umfangsvermehrungen der Extremitäten, welche auch durch Angiodysplasien (Tumoren des Gefäßendothels) verursacht sein können, kommen bei Pferd und Hund sehr selten vor. Bei diesen angeborenen Missbildungen der Blut- und Lymphgefäße wird eine gutartige (Hämangiome, Lymphangiome) und eine bösartige Verlaufsform (Hämangiosarkome, Lymphangiosarkome) unterschieden (Gehlen und Wohlsein, 2000; Ijzer und van den Ingh, 2000; Wiegand et al., 2008). Typisch für diese zystösen Gefäßveränderungen ist ihr fluktuierender Palpationsbefund, vergleichbar mit Flüssigkeitszubildungen in den Körper- und Gelenkhöhlen. Zur Abklärung von Angioplasien ist ein pathologischer Befund erforderlich.

 

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Abb. 2.2:
Funktionelle Symbiose von Venen- und Lymphsystem.

Angiodysplasien sprechen i.d.R. nicht auf eine KPE-Behandlung an.

2.1.1 Gliederung und Definition des Lymphgefäßsystems

Das lymphatische System lässt sich in das Abwehrsystem (z. B. Milz, Lymphknoten, Thymus, Tonsillen, Peyersche Platten) und das Lymph(drainage)system unterteilen (Vollmerhaus und Roos, 1996; Budras und Röck, 2009). Die Lymphknoten werden sowohl den Abwehrorganen als auch dem Lymphgefäßsystem zugeordnet. Auch die anderen lymphatischen Einrichtungen sind an das Lymphgefäßsystem angeschlossen, wobei sie jedoch i. d. R. keine afferenten Lymphgefäße besitzen.

Folgende Gefäßabschnitte werden in Lymphflussrichtung unterschieden:

image Initiale Lymphgefäße (Vasa lymphatica [ll.] initialia). Als Anfangsabschnitte des Lymphsystems können sie auch als Organlymphgefäße oder Lymphbildungsgefäße bezeichnet werden.

image Kollektoren (Vasa ll. collectoria). Die Lymphsammelgefäße drainieren (»sammeln«) die Lymphe der initialen Lymphgefäße.

image Lymphknoten (Lymphonodi, Nodi lymphatici, Nodi lymphoidei). Die innerhalb der Lymphknoten gelegenen Lymphgefäße werden als Lymphsinus bezeichnet.

image Lymphgefäßstämme (Trunci lymphatici). Die Lymphgefäßstämme bilden die zentralen Abflusswege für die Lymphe in den Körperhöhlen und am Hals. Zum Verständnis der Manuellen Lymphdrainage sind folgende Lymphgefäßstämme von besonderer Bedeutung: Ductus thoracicus (Milchbrustgang), Truncus lymphaticus dexter, Trunci jugulares und Trunci lumbales

Daneben kommen folgende anatomische Definitionen in der Lymphologie zur Anwendung:

image Cisterna chyli (Lendenzisterne). Es soll sich um ein in der Bauchhöhle, nahe den Nieren gelegenes, zisternenartig erweitertes Lymphgefäßsegment handeln. Eine Cisterna chyli kann als Gefäßerweiterung nur etwa bei jedem dritten Menschen nachgewiesen werden und müsste hier eigentlich als »Brustzisterne« bezeichnet werden, da sie i. d. R. in Höhe des letzten Brustwirbels aufzufinden ist (Berens v. Rautenfeld und Aurenz, pers. Mitt.). Die Cisterna chyli bildet den Anfangsabschnitt des Ductus thoracicus (Milchbrustgang) und stellt die Sammelstelle der Trunci lumbales (sammeln die afferente Lymphe der Beine und Bauchhöhle) sowie der Trunci coeliacus und intestinalis (sammeln die afferente Lymphe von Leber, Magen, Milz und Darm) dar.

image Venenwinkel oder Terminus. Der Begriff »Terminus« ist in der Anatomie nicht bekannt. Er wird ausschließlich in den Kursen der Manuellen Lymphdrainage bei Mensch und Pferd gelehrt. Die Endabschnitte des Lymphsystems (»Terminus«) münden in die vor dem Herzen (präkardial) gelegenen Venen ein (z. B. beim Pferd im Allgemeinen in die Vena jugularis externa). Zu beachten ist, dass die Einmündungsstelle der Lymphgefäßstämme in das Venensystem bei jeder Spezies aber auch individuell variieren kann, weshalb der übergeordnete Begriff (oder Terminus) »Venenwinkel« gerechtfertigt erscheint. Allerdings wird im »Prometheus« (Schünke et al., 2009) postuliert, dass grundsätzlich Winkelbildungen zweier Venen von nahezu 90 ° als »Venenwinkel« zu bezeichnen sind.

image Lymphovenöse Anastomosen (LVA). Die in den rechten und linken Venenwinkel einmündenden Lymphgefäßstämme repräsentieren lymphovenöse Anastomosen. Daneben sollen physiologische LVA in anderen Bereichen des Körpers existieren, welche jedoch nicht konstant vorkommen. Unter pathophysiologischen Bedingungen konnten auch periphere LVA mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden. In der Embryonalentwicklung sollen LVA regelmäßig im Lendenbereich in Höhe der Nieren angelegt sein. Aus therapeutischen Gründen werden LVA chirurgisch beim Menschen angelegt, wobei auch Lymphknotenanschnitte in nahe gelegene Venen vernäht werden.

 

2.1.2 Initiale Lymphgefäße

Innerhalb der Ausbildung der Lymphdrainagetherapeuten wird den initialen Lymphgefäßen mitunter zu wenig Beachtung geschenkt, obwohl das intensive Studium dieser Gefäße für die Beantwortung von mindestens zwei Fragen wichtig ist:

1. Warum existiert das Lymphsystem neben dem Blutsystem?

2. Was sind die spezifischen Aufgaben initialer Lymphgefäße im Vergleich zu den terminalen Blutgefäßen?

Daneben sollten sowohl Tierärzte als auch am Tier arbeitende Physiotherapeuten für die Gefahren der offenen Verbindung zwischen dem Bindegewebsraum und den Anfängen des Lymphsystems sensibilisiert werden.

Die initialen Lymphgefäße lassen sich in zwei Abschnitte untergliedern:

 

1. Lymphkapillaren (Vasa lymphocapillaria)

2. Präkollektoren (Vasa lymphatica precollectoria)

Der Präkollektor ist dem System der Kollektoren vorgeschaltet, wodurch seine Benennung erklärt ist. Fälschlich wird häufig der Begriff des initialen Lymphgefäßes mit dem der Lymphkapillare gleichgesetzt.

 

2.1.2.1 Anatomie
Angioarchitektur

Initiale Lymphgefäße bilden unterschiedlich dichte Gefäßnetze in den Organen. Dadurch variiert ihre Lymphbildungsrate stark. Weitgestellte, maximal gefüllte Lymphkapillaren (Abb. 2.3) besitzen Durchmesser von 30–50 μm (Vergleich: Kaliber der Blutkapillaren bis zu 10 μm), während der Querdurchmesser der Präkollektoren etwa 100 μm beträgt. Im Inneren der Beugesehnen des Pferdes hat Helling (2008) offenbar aufgrund der Druckbedingungen mitunter nur lymphkapilläre Kalibergrößen von 10 μm gemessen.

Initiale Lymphgefäße besitzen keine glatten Muskelzellen und einen nur wenig effektiv funktionierenden Klappenbesatz.

 

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Abb. 2.5:
Schematische Darstellung einer Lymphkapillare als Rohr im Ohr. Dem Endothelrohr aufliegend sind Basal- und Ankerfilamente in rautenförmiger Anordnung zu erkennen, welche mit einem System von kollagenen Fasern sowohl mit der Epidermis (oben) als auch mit dem elastischen Knorpel des Ohres (unten) in Verbindung stehen.

Öffnungsapparat

Zum Öffnungsapparat zählen spezifische Strukturen der initialen Lymphgefäßwand, welche die Lymphbildung ermöglichen:

image interendotheliale Öffnungen (Accessus interendotheliales); gleichbedeutend: klappenförmige endotheliale Überlappungen, Einflussventile, open junctions (Abb. 2.4)

image Anker- und Basalfilamente (Fibrae fixationes et basales); gleichbedeutend: subendotheliale Filamente, Aufhängeapparat der initialen Lymphgefäße (Abb. 2.5)

Die interendothelialen Öffnungen gewährleisten den weitgehend unfiltrierten Einstrom von Gewebsflüssigkeit in das initiale Lymphgefäßlumen, da den initialen Lymphgefäßen auch ein mit dem Blutgefäßsystem vergleichbarer Basalmembranfilter fehlt. Die Anker- und Basalfilamente fixieren die initiale Lymphgefäßwand im umliegenden Bindegewebsfasergerüst (Abb. 2.5). Mit steigendem Gewebedruck werden dadurch die initialen Lymphgefäße und die interendothelialen Öffnungen zunehmend weitgestellt, wodurch Gewebsflüssigkeit in das Lymphgefäßlumen eintritt. Die subendothelialen Filamente sind nach Gerli et al. (1990) elastisch organisiert (Abb. 2.6). Somit verfügen die initialen Lymphgefäße über einen elastischen Retraktionsapparat für die Entleerung des initialen Flüssigkeitsvolumens in Richtung der nachgeschalteten Kollektoren.

 

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Abb. 2.6:
Die Elastizität der Basalfilamente initialer Lymphgefäße wird nach experimenteller Injektion von Elastase in die Dermis deutlich. Das Enzym hat den Verbund der elastischen Mikrofibrillen vom Endothelüberzug eines initialen Lymphgefäßes gelöst. Der feine Filz (hellgrau) der elastischen Basalfilamente begrenzt den weitgestellten Hohlraum des Gefäßes (Pfeilspitzen) und der davon gelöste Endothelüberzug bildet eine Schleife (Pfeile) im Bild unten.

Interendotheliale Öffnungen sowie Anker- und Basalfilamente bilden die Schlüssellöcher zum Verständnis des Lymphbildungsmechanismus.

2.1.2.2 Funktion
Lymphpflichtige Lasten (nach Földi)

Lymphpflichtige Lasten sind Inhaltsstoffe der Lymphbildung, welche vom Lymphgefäßsystem aus dem Bindegewebsraum bewältigt werden (siehe Kapitel 3.2) oder innerhalb der Lymphknoten aus den Blutgefäßen in die Lymphsinus gelangen. Da der Endothelüberzug initialer Lymphgefäße bei starker Vergrößerung bildlich gesehen mit den Öffnungen einer »Gießkannentülle« vergleichbar ist, handelt es sich im Gegensatz zu den kontinuierlichen Wandverhältnissen der Blutkapillare um ein offenes Verbindungssystem zwischen dem Bindegewebsraum und dem initialen Lymphgefäßlumen. Dadurch können kurzfristig größere Mengen von Gewebswasser, jedoch auch größere Molekülverbände und mobile Zellen (Lymphozyten, Langerhans-Zellen, Monozyten, Makrophagen, aber z. B. auch Erythrozyten nach einer Gewebsblutung) die bis zu 5 μm weiten interendothelialen Öffnungen passieren (Abb. 2.7, Abb. 2.8).

 

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Abb. 2.7:
Schematische Darstellung der Invasion von Lymphozyten und Makrophagen in ein initiales Lymphgefäß. Die Passage physiologischer Zellen erfolgt durch den Filz der subendothelialen Basalfilamente und über interendotheliale Öffnungen in das initiale Lymphgefäßlumen, während Melanomzellen (Tumorzellen) beim Menschen in der Regel transendothelial in das Lymphgefäßlumen eindringen (hier nicht dargestellt).

Zu den wichtigsten und spezifischen Lasten des Lymphdrainagesystems gehören Plasmaproteine, Hyaluronsäure und Fette (Abb. 2.9).

Die Proteinlast (z. B. Albumine) ist im Rahmen des chronischen Lymphödems sowohl beim Menschen als auch beim Pferd von besonderer Bedeutung, da im Bindegewebe verbleibende Plasmaproteine Fibrosierungen induzieren. Ihre lymphvaskuläre Bewältigung macht neben der Drainage des Gewebswassers eine spezifische Wirkung der Manuellen Lymphdrainage aus. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass physiologisch die Hälfte aller Plasmaproteine aus dem Blutgefäßsystem über den Bindegewebsraum und das Lymphgefäßsystem wieder in das Blutgefäßsystem rezirkuliert.

Ebenso wichtig erscheint der lymphvaskuläre Abtransport von Hyaluronsäure, welche z. B. von Fibroblasten und Myofibroblasten gebildet, im Lymphknoten gebunden und in der Leber abgebaut wird. Etwa ein Drittel der im Gewebe gebildeten Hyaluronsäure wird täglich lymphvaskulär abtransportiert. Hyaluronsäure ist stark wasserbindend (hydrophil), reguliert jedoch auch die Bindung (Adhäsion) und Bewegung (Migration) mobiler Zellen.

 

Bisher wenig berücksichtigt ist die Hormonlast des Lymphsystems. So ist z. B. über den lymphvaskulären Abtransport von männlichen Geschlechtshormonen aus dem Hoden wenig bekannt.

Letztlich lassen sich im Lymphplasma wesentliche Inhaltsstoffe des Blutplasmas nachweisen, z. B. Koagulationsfaktoren, wobei beachtenswert erscheint, dass Lymphe im Vergleich zum Blutplasma verzögert koaguliert. In Bezug auf die Abwehrfunktion des Lymphgefäßsystems ist von Bedeutung, dass Zytokine (Interferon, Interleukin) und Immunglobuline auch im Lymphplasma nachweisbar sind. Daneben gelangen über das Lymphgefäßsystem Pathogene (Antigene) und Langerhans-Zellen aus der Haut in die Lymphknoten. Außerdem werden innerhalb der Lymphknoten nahezu 10 % aller zirkulierenden Lymphozyten aus dem Blutsystem in die Lymphsinus verlagert. Bei Anwendung der MLD ist zwar die Anzahl der Lymphozyten in den efferenten Kollektoren der Lymphknoten erhöht, doch bedeutet dies nicht unbedingt, dass die MLD einen positiven Einfluss auf die Immunantwort im Sinne einer Erhöhung der Abwehrkräfte hat (siehe dazu Kapitel 10.2.2).

 

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Abb. 2.9:
Intraoperative Darstellung eines Dünndarmabschnittes mit Kollektoren, welche weiße Fettlymphe (Chylus) enthalten und nahe an blutgefüllten Venen am Darm und im Gekröse verlaufen.

2.1.2.3 Pathophysiologische Bedeutung des Öffnungsapparates

Unter pathologischen Bedingungen funktionieren die interendothelialen Öffnungen nicht nur als Einflussöffnung in das initiale Lymphgefäßlumen, sondern auch als Ausflussöffnung in Richtung auf das Interstitium (Abb. 2.10). Ursache dafür ist die Transformation der physiologisch klappenförmigen Einflussöffnungen zu porenförmigen Öffnungen. Dadurch werden die Einflussöffnungen zu Ausflussöffnungen für den Übertritt von Lymphe in den Bindegewebsraum. Diese »Ausflussventilfunktion« initialer Lymphgefäße wird von Berens v. Rautenfeld als »systemeigene Überlaufventilfunktion« (SUV) bezeichnet. Die SUV ist nicht nur im Bereich initialer Lymphgefäße, sondern auch in den Kollektoren und Lymphknoten gegeben (siehe Kapitel 3). Sowohl in Kollektoren als auch in Lymphknoten kommt es zu einer ausgeprägten Diffusion von Lymphwasser aus dem Lymphdrainageweg, allerdings nicht über interendotheliale Öffnungen, sondern transendothelial. Das Phänomen der SUV ist bildgebend z. B. durch lymphangiographische und lymphszintigraphische Befunde nachgewiesen worden.

Der Effekt der systemeigenen Überlaufventilfunktion als ödemprotektiver Mechanismus ist eine Antwort des Lymphdrainageweges auf seine zunehmende Überfüllung.

 

Porenförmige Öffnungen können neben physiologischen interendothelialen Einflussklappen auch in mäßig weitgestellten initialen Lymphgefäßen, also unter physiologischen Bedingungen, nachgewiesen werden. Die Vorstellung einer sich schließenden Einflussklappe in der Füllungsphase kann daher nicht generell gegeben sein, da sich offenbar einige interendotheliale Öffnungen auch unter normalen interstitiellen Druckbedingungen zu porenförmigen Öffnungen transformieren können (siehe Abb. 2.10).

Über die interendothelialen Öffnungen gelangen u. a. exogene Pigmente (z. B. bei Tätowierungen) und Erythrozyten (bei Blutungen) aus dem Interstitium in das initiale Lymphgefäßlumen (Abb. 2.11, Abb. 2.12). Die Passage von 7 μm großen roten Blutzellen durch den Filz subendothelialer Filamente verdeutlicht, dass die initialen Lymphgefäße keinen eigentlichen Basalmembranfilter besitzen.

Ein regulärer Basalmembranfilter ist im Bereich initialer Lymphgefäße nicht vorhanden, weil z. B. Plasmaproteine aus dem Bindegewebsraum nur über das Lymphsystem in den venösen Schenkel des Blutsystems rezirkulieren können.

 

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Abb. 2.11:
Blutbeimengung in Lymphtropfen, welche im Rahmen einer Sektion aus einem Kollektor der Beckengliedmaße ausgetreten sind.

2.1.2.4 Manuelle Lymphdrainage (MLD) und Lymphbildung

Die MLD steigert nicht nur die Lymphangiomotorik der Kollektoren und Lymphgefäßstämme, sondern sie forciert auch die Lymphbildung im Bereich der initialen Lymphgefäße der Haut. Allen Varianten der Lymphdrainagegriffe ist eine manuelle Druckphase mit anschließender Entlastungsphase gemein (siehe Kapitel 4).

In der manuellen Druckphase (Tab. 2.1) auf das Gewebe wird das initiale Lymphgefäß komprimiert, die elastischen subendothelialen Filamente (Anker- und Basalfilamente) sind entspannt und die Einflussventile (interendotheliale Öffnungen) verschlossen. Dadurch fließt die Lymphe aus den initialen Lymphgefäßen in Richtung der Kollektoren (Entleerungsphase der initialen Lymphgefäße).

In der anschließenden manuellen Entlastungsphase (Tab. 2.1) dehnt sich das Gewebe aus und die subendothelialen Filamente spannen sich, wodurch sowohl die initialen Lymphgefäße als auch die interendothelialen Öffnungen weitgestellt werden. Dadurch fließt Gewebsflüssigkeit vermehrt in das initiale Lymphgefäßlumen ein (Füllungsphase der initialen Lymphgefäße).

 

2.1.2.5 Indirekte (interstitielle) Applikationsmethode

Da die initiale Lymphstrombahn als partiell offenes System angelegt ist, können in den perilymphvaskulären Bindegewebsraum injizierte wasserlösliche Farbstofflösungen (wie Berliner Blau, Patentblau, Tusche; Abb. 2.13) oder wasserlösliche Röntgenkontrastmittel (wie bei der indirekten Lymphangiographie oder Lymphographie) und Radionuklide (wie bei der Isotopenlymphographie) selektiv in das Lymphgefäßsystem gelangen. Auf diesem indirekten Passageweg ließen sich aber auch Medikamente in das Lymphgefäßsystem einbringen (Abb. 2.14).

Die indirekte Applikation in Bindegewebsräume mit dichtem Besatz initialer Lymphgefäße (Dermis, Sehnen, Gelenkkapseln u. a.) wird bisher nicht zur medikamentösen Therapie entzündlicher Lymphgefäßerkrankungen genutzt.

Tabelle 2.1: MLD und Lymphbildung

Lymphdrainagegriff Initiales Lymphgefäß
Druckphase Entleerung
Entlastungsphase Füllung

 

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Abb. 2.13:
Bei der indirekten Lymphographie können wasserlösliche Röntgenkontrastmittel (z. B. Iotasul®) in das Interstitium der Haut (unten), aber auch in innere Organe (wie hier am Magen) zur radiologischen Darstellung des Lymphgefäßsystems appliziert werden. Das Röntgenkontrastmittel gelangt aus dem Bindegewebsraum über interendotheliale Öffnungen des Endothelüberzugs in das Lymphkapillarlumen (in Anlehnung an eine Abbildung von Frau Dr. Wenzel-Hora †, Schering AG, Berlin).

 

Bei Anwendung der indirekten Lymphangiographie (siehe dazu Wenzel-Hora et al., 1982, 1985; Gerriets et al., 1992) im Bereich der Extremitäten können bei größeren Spezies (Mensch, Pferd) lediglich die zuführenden Kollektoren der ersten Lymphknotenstationen dargestellt werden, da wasserlösliche Injektionslösungen die Neigung besitzen, aus dem Lymphdrainageweg zu diffundieren. Beim Pferd ist die radiologische Darstellung der tief gelegenen Kollektoren mit Röntgenkontrastmitteln nur bis in Höhe des Knie- bzw. Ellbogengelenkes möglich, während Radionuklide vom Hufsaum der Beckengliedmaße bis zu den iliakalen Lymphknoten verfolgt werden können (siehe unten). Bei kleineren Spezies (Hund, Katze) gelingt die radiologische Kontrastierung des Lymphsystems der Beckengliedmaße dagegen bis zum Venenwinkel (Abb. 2.15).

Beim Pferd sollte man den Begriff »Lymphangiographie« statt »Lymphographie« nutzen, da nur periphere Kollektoren im Bereich der Extremitäten radiologisch kontrastiert werden können.

Die Lymphszintigraphie wurde erstmals von De Cock et al. (2006a) qualitativ und von Gaedke (2007) quantitativ beim Pferd vorgestellt. Mit der qualitativen Methode konnte lediglich die nach proximal in den Kollektoren aufsteigende Aktivitätsspur nachgewiesen werden, während es Gaedke erstmals gelang, den Anteil der interstitiell und subkutan applizierten Radiopharmaka (Radionuklide) in den Lymphknoten mit einer Gammakamera zu quantifizieren. Nur diese Lymphknoten-Uptake-Werte der sogenannten Funktionslymphszintigraphie (FLS) sind für das Verständnis sowohl der Physiologie als auch der Pathophysiologie des Lymphgefäßsystems von Bedeutung.

 

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Abb. 2.15:
Lymphangiographie beim juvenilen Foxhound ohne Erkrankung des Lymphgefäßsystems.
Beachte die Kniekehllymphknoten, die iliakalen Lymphknoten und die zentralen Lymphgefäßstämme (Trunci lumbales und Ductus thoracicus) in der Becken- und Bauchhöhle.

Deshalb wird ein wenig ausführlicher auf die FLS eingegangen. Einzelbefunde finden sich auch im Text (siehe Stichwortverzeichnis). Methodische Einzelheiten sind in der Dissertation von Gaedke (2007) nachzulesen.

Die FLS ist zeitlich und methodisch aufwendig und relativ teuer, wodurch die Möglichkeit für systematische wissenschaftliche Untersuchungen außerordentlich eingeschränkt ist. Ein weiteres Hindernis für die Durchführung lymphologischer Untersuchungen dürfte das primäre Interesse der Pferdemedizin an Knochenszintigraphien sein, sodass es wohl noch einige Jahre dauern wird, bis die Lymphszintigraphie sowohl klinisch als auch wissenschaftlich systematisch genutzt werden kann.

Die ersten Befunde der FLS beim Pferd sind noch nicht statistisch abgesichert, da Gaedke (2007) zunächst das aufwendige Methodendesign entwickeln musste. Dennoch gibt es einige für die Durchführung der MLD wichtige lymphvaskuläre Hinweise, welche auch die Lymphdrainagetherapeuten wissen sollten:

image Beim Pferd wird mit der FLS im Gegensatz zum Menschen nicht das oberflächliche, sondern das tiefe Kollektorensystem der Beckengliedmaße dargestellt.

image Nur nach Bewegung können Lymphknoten-Uptake-Werte erfasst werden.

image Beim Pferd ergeben sich deutlich höhere Lymphknoten-Uptake-Werte als beim Menschen. Allerdings sind beim Menschen die oberflächlichen und beim Pferd die tiefen Kollektoren bemessen worden und es kamen beim Pferd höhere radioaktive Aktivitäten zum Einsatz.

image Die Lymphknoten-Uptake-Werte scheinen von Pferd zu Pferd enorm zu streuen.

image Junge Pferde (Altersgruppe 1.–5. Lebensjahr) zeigen einen Trend zu höheren Uptake-Werten und eine bessere Darstellungsqualität von Kollektoren als ältere Pferde.

image Hengste, Wallache und Stuten zeigen keine signifikanten geschlechtsspezifischen Lymphknoten-Uptake-Werte.

image Die Lymphknoten-Uptake-Werte lymphödematisierter Extremitäten sind deutlich geringer im Vergleich zu gesunden Beinen.

Vergleicht man die diagnostische Bedeutung der radiologischen indirekten Lymphangiographie und der FLS, dann ermöglicht die kostengünstigere radiologische indirekte Lymphangiographie die qualitative Beurteilung peripherer Lymphgefäße z. B. ihr Füllungsverhalten im Bereich des Pferdefußes, während mittels der FLS die Transportkapazität der Lymphgefäße einer Extremität quantifiziert werden kann, um z. B. nachzuweisen, ob ein Bein zu wenige Lymphgefäße (Hypoplasie) im Vergleich zu einer statistisch abgesicherten Mindestanzahl von Lymphgefäßen eines lymphvaskulär unauffälligen Beines aufweist.

2.1.3 Lymphsammelgefäße oder Kollektoren

Der Begriff »Kollektor« fehlt bisher in der veterinär- und humananatomischen Nomenklatur noch kommt er in der klinischen Veterinärmedizin zur Anwendung (Berens v. Rautenfeld et al., 1996; Berens v. Rautenfeld und Schacht, 2002).

2.1.3.1 Definition

Kollektoren (Vasa lymphatica collectoria) sind Lymphsammelgefäße, weil sie die Lymphe aus den Lymphbildungsgefäßen (initialen Lymphgefäßen) »sammeln«, aber auch aktiv weiterleiten (Baum, 1920, 1928). Spezifische Strukturmerkmale des Kollektors sind seine Größe von mindestens 150–600 μm und das Vorhandensein glatter Muskelzellen in der Gefäßwand. Grundsätzlich besitzen das Pferd und andere Haussäugetiere (Baum, 1918) zwar größere, dafür jedoch weniger Kollektoren als der Mensch. Man unterscheidet mit Bezug auf die oberflächliche Faszie:

image Oberflächlich gelegene oder epifasziale Kollektoren (Vasa collectoria superficialia)

image Tief gelegene oder subfasziale Kollektoren (Vasa collectoria profunda)

Innerhalb der Extremität bilden beim Pferd die subfaszialen (tiefen), beim Menschen dagegen die epifaszialen (oberflächlichen) Kollektoren den Hauptdrainageweg.

Auch Gaedke (2007) konnte lymphszintigraphisch die Bedeutung der subfaszialen Kollektoren als Hauptdrainagesystem nachweisen.

Darüber hinaus existieren ebenso innerhalb der Körperhöhlen Kollektoren, welche die Lymphe aus den Organen in die Lymphgefäßstämme drainieren. Diese Kollektoren besitzen i. d. R. keine Eigennamen (Fachtermini). Auch diese Kollektoren (z. B. im Gekröse des Dünndarms) können beim Fohlen erkranken (siehe Kapitel 9.5.6).

2.1.3.2 Anatomie
Angioarchitektur

Kollektoren können gestreckt bzw. strangförmig, aber auch netzartig angeordnet sein. Ihre Gefäßkaliber variieren von Pferd zu Pferd.

Das Pferd und auch andere Haussäugetiere besitzen im Allgemeinen wenige und dafür großkalibrige Kollektoren, während beim Menschen zahlreiche, aber kleinkalibrige Kollektoren ausgebildet sind.

 

Da beim Menschen die epifaszialen Hautkollektoren der Extremitäten mehr oder weniger dicht zusammen verlaufen, spricht man auch von Kollektorenbündeln (z. B. ventromediales Kollektorenbündel um die V. saphena magna; Abb. 2.16). Beim Pferd ergeben sich dagegen gebündelte Kollektorenverläufe nur im Bereich der subfaszialen Kollektoren um die tief gelegenen Venen und Arterien der Extremitäten (Abb. 2.17). Typisch ist die Vernetzung epifaszialer Kollektoren einiger Spezies (z. B. bei Rind und Hund, aber auch beim Menschen z. B. im Bereich des ventromedialen Kollektorenbündels am Bein). Mitunter werden die Anteile des Kollektorennetzes beim Menschen in Hauptkollektoren, Anastomosen und Kollateralen untergliedert (Kubik, 2002).

Besonders das tiefe Kollektorensystem des Pferdes zeigt eine individuell unterschiedliche Anzahl von Anastomosen und Kollateralen.

Gefäßwandaufbau

Kollektoren lassen weniger deutlich als Arterien und Venen eine Wandschichtung in Intima (Interna), Media und Adventitia (Externa) erkennen. Besonders wichtig für das Verständnis der Lymphodynamik sind folgende Wandstrukturen der Kollektoren:

 

image Kontraktile Zellen: glatte Muskelzellen, Myofibroblasten

image Elastischer Wandanteil

image Klappen

image Arteriolen

Glatte Muskelzellen finden sich speziesübergreifend in allen drei Wandschichten der Kollektoren (Abb. 2.18), während die beim Pferd von Harland et al. (2004) beschriebenen Myofibroblasten in der Intima und vornehmlich subendothelial nachzuweisen sind (Abb. 2.19). Neuere Untersuchungen beim Pferd zeigen, dass die überwiegende Anzahl glatter Muskelzellen in den subfaszialen Kollektoren auch im intimalen Wandanteil gelegen sind.

Bei den glatten Muskelzellen der Kollektoren handelt es sich wahrscheinlich um besonders kontraktile Zellen (sog. »Single-Unit-Typ«), welche z. B. auch in den Eingeweideorganen vorkommen und auf äußere Dehnungsreize, MLD, aber auch durch Schrittmacherzellen (siehe Myofibroblasten) erregt werden (siehe dazu Zilles und Tillmann, 2010).

 

Das System glatter Muskelzellen der Kollektoren wird in der Lymphologie als Lymphgefäßwandpumpe oder als Lymphpumpe bezeichnet. Der Begriff »Lymphpumpe« ist zweideutig, da nicht nur die in der Kollektorenwand gelegenen glatten Muskelzellen, sondern auch die quergestreifte Skelettmuskulatur als aktives System der Lymphodynamik wirken.

Grundsätzlich existieren speziesübergreifend drei Kollektorentypen in Bezug auf den glattmuskulären Wandteil:

1. Muskelzellfreier Kollektorentyp (bisher nur beschrieben in den dermalen Kollektoren des Pferdes; siehe Kapitel 2.2.2)

2. Muskelzellarmer Kollektorentyp (Hund und subkutane Kollektoren des Pferdes)

3. Muskelzellreicher Kollektorentyp (z. B. Mensch, Rind, Schaf, Ziege, Ratte und subfasziale Kollektoren des Pferdes)

Prinzipiell ist diese Einteilung der Lymphgefäße aufgrund ihres Besatzes mit glatten Muskelzellen bereits von Properai et al. (1962) beschrieben worden, wobei die Autoren nicht alle oben aufgeführten Spezies untersucht haben.

 

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Abb 2.18:
Tiefes histologisches Kollektorensegment vom Pferd im Querschnitt mit glatten Muskelzellen (lila) und kollagenen Fasern (blau). Die elastischen Fasern können mit dieser Färbung nicht dargestellt werden. Beachte, dass glatte Muskelzellen nicht nur in der Media, sondern auch in der Intima der Kollektoren zu finden sind.

 

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Abb. 2.19:
Histologischer Schnitt aus dem Metatarsalbereich (Pferd) mit zwei gegenüberliegenden Gefäßwandsegmenten (tiefer Kollektor). Glatte Muskelzellen und subendothelial gelegene Myofibroblasten sind blau, elastische Fasern braun markiert. Beachte die Anhäufung kontraktiler Zellen (blau) in der Intima des rechten Wandsegments im Vergleich zum linken Wandsegment. In kurzen Abschnitten der Kollektoren können kontraktile Zellen völlig fehlen. Doppelfärbung mit Anti-ASM1 und Anti-Elastin (aus Harland, 2003).

 

 

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Abb. 2.20c:
Entsprechender Serienschnitt aus der Kollektorenwand der Beckengliedmaße eines Pferdes (siehe
Abb. 2.20a, b). Immunhistochemische Färbung mit Anti-Elastin. Der hohe Anteil an elastischen Fasern (braun) ist auffällig.

Die Anzahl glatter Muskelzellen variiert innerhalb eines Kollektorenabschnittes, aber auch innerhalb einer Spezies. Beim Menschen sind z. B. mehr glatte Muskelzellen in den Kollektoren des Beines als in den Kollektoren des Armes ausgebildet. Vergleichsweise besitzt das Pferd maximal sechs glatte Muskelzelllagen in der Wand subfaszialer Kollektoren der Beckengliedmaße.

Grundsätzlich besitzt das Pferd weniger glatte Muskelzellen in den Kollektoren als der Mensch.

 

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Abb. 2.21:
Kreisdiagramm der Wandanteile oberflächlicher und tiefer Kollektoren der Beckengliedmaße des Pferdes (in Anlehnung an Harland, 2003). Beachte den hohen elastischen Wandanteil.

Die in der Intima gelegenen Myofibroblasten des Pferdes sind wie die glatten Muskelzellen kontraktil (Abb. 2.20a, b). Sie besitzen jedoch möglicherweise auch andere wichtige Funktionen, welche besonders im Rahmen der Manuellen Lymphdrainage von Bedeutung sind (siehe Kapitel 2.1.3.3).

Neben den kontraktilen Zellen ist von Harland et al. (2004) in den Kollektoren des Pferdes ein beachtlicher Wandanteil von elastischen Fasern quantifiziert worden (Abb. 2.20c, Abb. 2.21), der für das Verständnis der Lymphodynamik, aber auch für die Kompressionstherapie von Bedeutung ist.

 

 

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Abb. 2.22b:
Rasterelektronenmikroskopische (REM) Ansicht (Gießharzausguss) einer fast geschlossenen Kollektorklappe mit weitgestellten Klappentaschen (KT). Auf der Oberfläche des Gießharzausgusses sind Kernabdrücke von Endothelzellen zu erkennen.

Pferde besitzen in allen Abschnitten des Kollektorensystems der Beckengliedmaße einen elastischen Wandanteil von annähernd 40 %.

Bei anderen Tierspezies (und beim Menschen) ist der Wandanteil elastischer Fasern im Vergleich zu allen anderen Strukturelementen der Kollektoren bisher nicht quantifiziert worden.

Im Alter und beim Lymphödem nimmt die Anzahl glatter Muskelzellen ab und es kommt zur Elastolyse in der Kollektorenwand.

Darüber hinaus weisen Kollektoren ein effektives System von »Rückflusssperren« in Form von Taschenklappen auf (Abb. 2.22a, b). Grundsätzlich besitzen das Pferd und andere Tierspezies, aber auch der Mensch, innerhalb der Kollektoren im Bereich der Extremitäten sehr viel mehr Klappen als in den Venen.

Der Gefäßabschnitt zwischen zwei Klappen wird als Zwischenklappensegment oder Lymphangion bezeichnet (Abb. 2.23). Das Lymphangion sollte nicht mit dem Lymphangiom (siehe Kapitel 2.1 und Kapitel 9.5.4), einem Tumor des Lymphgefäßendothels, verwechselt werden.

 

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Abb. 2.23:
Rasterelektronenmikroskopische (REM) Ansicht (Gießharzausguss) eines tief verlaufenden Extremitätenkollektors mit drei Zwischenklappensegmenten.

 

Die einzelnen Klappensegmente oder Lymphangione werden von größeren Blutgefäßen versorgt, welche in elastischen Bindegewebsscheiden in die Kollektorenwand ein- bzw. austreten und als Vasa vasorum bzw. Vasa lymphorum bezeichnet werden (Abb. 2.24). Den Blutkapillaren der Vasa vasorum wird in der Literatur eine nutritive Aufgabe zugesprochen.

In der Wand der Kollektoren des Pferdes zeigen sich auffallend wenige Blutkapillaren, stattdessen finden sich zwei mäanderförmig angedeutete Arteriolenarkaden zwischen Intima und Media einerseits (Abb. 2.25) und Media und Adventitia andererseits.

Auch die Arteriolen in den Kollektorenwänden des Pferdes besitzen möglicherweise eine lymphodynamische Funktion (siehe Abb. 2.24).

Beim Menschen soll der Lymphfluss in den tiefen Lymphsammelgefäßen der Extremitäten auch durch die nahe gelegenen, stark pulsierenden Arterien gefördert werden, weil die Blutgefäße mit den Lymphgefäßen durch einen derben Bindegewebsmantel gemeinsam umschlossen dicht beieinanderliegen. Dieser auffällige Bindegewebsmantel fehlt dem Pferd und anderen Haussäugetieren, sodass der arteriellen Pulsübertragung bei diesen Spezies keine oder nur eine geringe Bedeutung für die Lymphflussverhältnisse zukommen dürfte.

2.1.3.3 Funktion

Die kleinste funktionelle Einheit der Kollektoren sind die Zwischenklappensegmente (Lymphangione). Sie funktionieren ähnlich wie die Lymphherzen der Amphibien, Reptilien und Vögel, sind jedoch mit diesen nicht homolog. Die Zwischenklappensegmente der Säugetiere kontrahieren sich von Segment zu Segment oder im Verbund mehrerer Segmente. Beim Menschen werden z. B. zehn bis zwölf Kontraktionen pro Minute registriert, wobei die Frequenz geringer sein kann, wenn z. B. die Kollektoren maximal gefüllt sind. Ähnlich wie das Herz zeigt das Lymphangion eine zweiphasige Aktion (Tab. 2.2; Abb. 2.26) mit einer Entleerungsphase (Systole) und einer Füllungsphase (Diastole).

 

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Abb. 2.25:
Histologisches Wandsegment eines tiefen Kollektors aus dem Metatarsalbereich eines Pferdes. Beachte den dichten Besatz von Arterienquerschnitten (blau) des inneren Gefäßplexus. Doppelfärbung mit Anti-ASM1 und Anti-Elastin (aus Harland, 2003).

Der bisher nur beim Pferd beschriebene elastische Retraktionsapparat (siehe Kapitel 2.1.3.2) der Kollektoren unterstützt ganz wesentlich die Kontraktion des Lymphangions, zumal das Pferd im Vergleich zum Menschen wenige glatte Muskelzellen in der Kollektorenwand besitzt.

Die funktionelle Regulation der Lymphangione erfolgt analog zu den Verhältnissen des Herzens, indem sensorische und vegetative (sympathische bzw. parasympathische) Nerven, aber auch ein Schrittmachersystem (Reizleitungssystem) auf die glatte Muskelwandpumpe der Kollektoren wirken. In der Kollektorenwand sind neben sensorischen Nervenfasern fast ausschließlich sympathische Nervenfasern zu finden, welche u. a. durch Bewegung des Pferdes oder mittels MLD angeregt werden:

image Die bewegungsbedingte Füllung der Lymphangione führt zu einem Anstieg des lymphvaskulären Drucks und zur Erhöhung der Lymphangiomotorik, welche durch sensorische Fasern reguliert wird.

image Besonders beim reiterlich kontrollierten Galopp bewirkt der sympathische Tonus eine Steigerung der peripheren Lymphangiomotorik. Beim Galopp am Zügel wird gleichzeitig in der inspiratorischen Phase der Atmung Lymphe aus dem Ductus thoracicus in das präkardiale Venesystem angesaugt.

image Dagegen kann ein Hypersympathikotonus, z. B. beim im Galopp durchgehenden Pferd, einen Lymphangiospasmus der glatten Kollektorenwandpumpe bewirken.

 

image Unter Ruhebedingungen (stehendes oder liegendes Pferd) wird die Frequenz der Lymphangiomotorik u. U. durch das Schrittmachersystem der Myofibroblasten gesteuert.

Vieles spricht dafür, dass die Myofibroblasten der Kollektoren nicht nur kontraktil sind, sondern auch das Reizleitungssystem bzw. Schrittmachersystem beim Pferd repräsentieren (Harland, 2003; Harland et al., 2004) (Tab. 2.3).

Mittels der MLD-Griffe wird die pulsauslösende Wirkung analog einem intralymphvaskulären Druckanstieg von außen simuliert. Hierdurch wird ebenfalls die Lymphangiomotorik angeregt.

Tabelle 2.2: Entleerungs- (Systole) und Füllungsphase (Diastole) des Lymphangions

Wandstrukturen Entleerungsphase (Systole) Füllungsphase (Diastole)
Einflussklappe Geschlossen Offen
Ausflussklappe Offen Geschlossen
Glatte Muskelzellen Kontrahiert Dilatiert
Elastischer Retraktionsapparat Retrahiert Gedehnt

Tabelle 2.3: Mögliche Funktionen der Myofibroblasten beim Pferd und ihre praktische Bedeutung bei der MLD (in Anlehnung an Harland, 2003)

Physiologisch Mögliche Bedeutung bei der MLD
Kontraktile Zellen Anregung durch MLD-Griff
Transformation aus Fibroblasten Verstärkung/Vermehrung Muskelwandpumpe
Schrittmacherzellen (Reizleitungssystem) Griffferne Anregung der Kollektoren zur Kontraktion
Bildung der hydrophilen extrazellulären Matrix Sogwirkung Lymphwasser durch die Kollektorenwand (systemeigene Überlaufventilfunktion)

Moduliert wird die Lymphangiomotorik sowohl durch extralymphvaskuläre Faktoren (Atmung, Bewegung der Eingeweide, Gelenk- und Muskelsehnenpumpe) als auch durch intralymphvaskuläre Faktoren (Leukotriene, Eikosanoide, Prostaglandine [PGF2a], biogene Amine wie Histamin, Bradykinin, Serotonin und andere). Dabei fällt dem Endothel der Lymphgefäße eine wichtige sekretorische Rolle zu, z. B. die Bildung des Vasokonstriktors Endothelin. Da Endothelin auch auf Arteriolen vasokonstriktorisch wirkt, lässt sich die Funktion der Arteriolen in der Kollektorenwand zur Unterstützung der Muskelwandpumpe erklären (siehe Abb. 2.24, Abb. 2.25). Ein ähnlicher funktioneller Bezug zwischen benachbarten initialen Lymphgefäßen und Arteriolen ist innerhalb der Skelettmuskulatur gegeben. Nach Schmid-Schönbein und Zweifach (1994) dilatieren bei einer Kontraktion der Arteriolen die benachbarten initialen Lymphgefäße, wodurch Gewebsflüssigkeit über die weitgestellten interendothelialen Öffnungen in das initiale Lymphgefäßlumen einfließen kann (Füllungsphase; siehe Kapitel 2.1.2.4). Dagegen sind in der Entleerungsphase initialer Lymphgefäße die Arteriolen erschlafft, also dilatiert.

Beim Lymphödem des Menschen senkt Prostaglandin F2a den erhöhten Druck in den Lymphkapillaren signifikant (Aman-Vesti, 2006).

 

2.1.3.4 Chirurgie und epifasziale Kollektoren

Grundsätzlich sollten chirurgische Schnitte parallel zum Verlauf der epifaszialen Kollektoren angelegt werden, um die Ausbildung postoperativer Ödematisierungen zu minimieren (siehe Kapitel 2.2.3). Diese »lymphgefäßfreundliche« Schnittführung wird sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin nicht immer beachtet.

2.1.3.5 Direkte Applikationsmethode der Kollektoren

Zur Markierung der in der Subkutis gelegenen epifaszialen Kollektoren muss zunächst eine Farbstofflösung (z. B. Patentblau) indirekt (interstitiell) beim Pferd subkutan appliziert werden. Anschließend erfolgt eine Querinzision der Haut zur Verlaufsrichtung des Kollektors, wodurch direkt, also intralymphvaskulär, z. B. ein Röntgenkontrastmittel appliziert werden kann. Man bezeichnet deshalb die radiologische Darstellung von Kollektoren als »direkte Lymphangiographie« oder »direkte Lymphographie«, wenn nicht nur Kollektoren, sondern auch Lymphknoten kontrastiert werden. Zum Einsatz kommen i. d. R. ölige Röntgenkontrastmittel (z. B. Lipiodol®). Diese invasive bildgebende Methode wird nur noch selten in der Humanmedizin durchgeführt. In der Tiermedizin wurden Lymphographien sowohl beim Pferd (Auer, 1974) als auch beim Hund meist nur experimentell eingesetzt. Wie in der Humanmedizin ist auch in der Tiermedizin die indirekte Lymphographie (z. B. beim Hund) für die Diagnostik von Aplasien zentraler Lymphabflussstämme (z. B. beim Fehlen des Ductus thoracicus) von Bedeutung.

Beim Pferd können die Lymphgefäßstämme nach Durchführung einer direkten Lymphangiographie der Extremitäten nicht erfasst werden, weil die radiologische Darstellung im Bereich der kompakten Verhältnisse der Körperhöhle grundsätzlich keine Detaildiagnostik zulässt.

Mittels der indirekten (Abb. 2.27) und der direkten Lymphangiographie können beim Pferd lediglich die Kollektoren des Fußes radiologisch beurteilt werden (Meyer, 1988). Bei Hund und Katze gelingt auch die Darstellung der zentral in der Bauch- und Brusthöhle gelegenen Lymphgefäßstämme sowohl bei Einsatz der direkten als auch der indirekten Lymphangiographie. In der Regel kommen bei der indirekten Lymphangiographie wasserlösliche und bei der direkten Lymphangiographie fettlösliche Röntgenkontrastmittel zum Einsatz.

2.1.4 Lymphknoten

Aus lymphangiologischer und embryologischer Sicht repräsentieren Lymphknoten ein in das Lymphdrainagesystem eingeschaltetes Wundernetz (Rete mirabile) aus Lymphsinus, welche mehr afferente Zuflüsse als efferente Abflüsse besitzen (Abb. 2.28). Zu beachten sind folgende Definitionen und Begriffe:

Einzugs- oder Tributärgebiet der Lymphknoten. Es handelt sich hierbei um den Bereich des Körpers, welcher von einem oder mehreren zusammenhängenden Lymphknoten drainiert wird. Üblich ist die Nutzung des Adjektivs »tributär« (z. B. die oberflächlichen Lymphknoten des Halses sind beim Pferd u. a. tributär für die Haut der Schultergliedmaße).

Lymphocentrum und Territorium. In der Tiermedizin versteht man unter einem Lymphocentrum (Lc.) nach Grau (1943) konstant auftretende, einzelne oder mehrere Lymphknoten in verschiedener Lokalisation, welche die Lymphe aus einer kutanen Gegend (Tributärgebiet = Territorium) oder einem Organbereich drainieren (z. B. die oberflächlichen Halslymphknoten werden auch als Lc. cervicale superficiale bezeichnet). Darüber hinaus können in Abhängigkeit von der Spezies innerhalb einer Lokalisation mehrere, mitunter zahlreiche Lymphknoten zu Lymphknotengruppen zusammengefasst sein (z. B. beim Pferd).

 

Afferente (zuführende) Kollektoren (Abb. 2.29) münden in Lymphflussrichtung in Lymphknoten ein. Man spricht von »afferenter Lymphe«, aber auch von Eingangs- oder Primärlymphe.

Efferente (abführende) Kollektoren treten in Lymphflussrichtung aus dem Lymphknoten aus. Die efferente Lymphe kann auch als »Ausgangslymphe« bezeichnet werden, weil sie aus dem Lymphknoten austritt.

Primäre (regionale) Lymphknoten repräsentieren die ersten Lymphknotenstationen eines Einzugs- oder Tributärgebietes. Den primären Lymphknoten können sekundäre, tertiäre usw. Lymphknoten nachgeschaltet sein. In der Humanmedizin wird für den primären Lymphknoten gleichbedeutend der Begriff des »sentinel lymphnode« (Wächterlymphknoten) verwendet, weil der Lymphknoten über sein Einzugs- oder Tributärgebiet »wacht« (Schauer et al., 2005). Mitunter gibt es mehrere Wächterlymphknoten für ein Einzugsgebiet bzw. ein kleineres Hautareal um einen Tumor. Da z. B. Primärtumoren der Haut (wie etwa Melanome) im Allgemeinen nicht in alle Lymphknoten eines Lymphocentrums metastasieren, wird zurzeit in der Humanmedizin versucht, die Lymphgefäße zwischen dem Tumor und seine(n) »Wächterlymphknoten« mit verschiedenen Markierungsflüssigkeiten (z. B. Patentblau, Radionuklide) darzustellen. Die so markierten bzw. detektierten Lymphknoten können in der Folge zur Diagnostik auf Metastasen chirurgisch entnommen werden, während die nicht markierten Lymphknoten im Patienten verbleiben. Bei dieser lymphologisch schonenden Vorgehensweise können unter Umständen postoperative Ödematisierungen verhindert werden. Die »Wächterlymphknoten-Methode« wird in der Humanmedizin in verschiedenen Bereichen des Körpers bereits praktiziert (z. B. beim »Brustkrebs« [Mamma-Ca] oder vor der chirurgischen Entfernung von Tumormetastasen in den Lymphknoten des Halses [neck dissection]). Diese Methode könnte auch in der Veterinärmedizin zur Reduktion von postoperativen Schwellungen oder zur Lokalisation von Lymphknotenmetastasen genutzt werden.

 

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Abb. 2.29:
Rasterelektronenmikroskopische Ansicht (Gießharzausguss) eines netzartig angelegten Randsinus des Lymphknotens und afferente Kollektoren mit ihren Lymphangionen. Auch die Kapsel der Lymphknoten weist hier nicht dargestellte Lymphgefäße auf.

Übergeordnete Schaltlymphknoten. Diese Lymphknoten repräsentieren die letzten Lymphknotenstationen, deren efferente (Ausgangs-)Lymphe in Lymphgefäßstämme gelangt, in denen i. d. R. keine lymphnodulären Filterstationen eingeschaltet sind, bevor deren Lymphe das Venensystem erreicht (siehe dazu Kapitel 2.2.6).

 

 

2.1.4.1 Anzahl und Größe

Das Pferd besitzt insgesamt etwa 8000 Lymphknoten (Mensch: 600–700; Rind: 300; Hund: 60), welche aber z. B. im Vergleich zum Hund relativ kleine Durchmesser aufweisen (ca. 5 mm).

In Bezug auf das Lebensalter sind bei allen Haussäugetieren sowie beim Menschen die juvenilen Lymphknoten bzw. Lymphocentren besser tastbar, da ihre Größe mit zunehmendem Alter abnimmt (Altersinvolution der Lymphknoten).

Die physiologische Größe eines Lymphknotens bzw. Lymphocentrums kann alters- oder individuell bedingt, aber auch aufgrund unterschiedlicher Füllungszustände variieren.

Pathologisch vergrößerte Lymphknoten können grundsätzlich bei Immunantworten aufgrund ihrer erhöhten Durchblutung, durch Tumormetastasen und Infektionen palpiert werden (siehe unten).

Die manuelle Aktivierung geschwollener Lymphknoten ist grundsätzlich wenig effektiv. Deshalb sollte die afferente Lymphe des betroffenen Lymphocentrums in benachbarte Territorien kollateralisiert (verlagert) werden, deren Lymphknoten nicht geschwollen sind.

 

2.1.4.2 Funktion

Der Lymphknoten dient als biologischer Filter und besitzt immunologische (Abwehr-)Funktionen. Makrophagen und Sinusendothelien phagozytieren u. a. Melanin, Blutpigmente und Erythrozyten, aber auch Tätowierungspigmente, fettlösliche Röntgenkontrastmittel, Bakterien und Tumorzellen (Abb. 2.32, Abb. 2.33).

Die Lymphknoten besitzen eine wichtige Filterfunktion zum Schutz des blutvaskulären Milieus, da die initialen Lymphgefäße ihres Einzugs- bzw. Tributärgebietes in offener Verbindung mit dem interstitiellen Bindegewebsraum stehen (siehe Kapitel 2.1.2.1).

Die afferente (Eingangs-)Lymphe enthält nur wenige Zellen (z. B. antigenpräsentierende Langerhans-Zellen aus der Haut), während die efferente (Ausgangs-)Lymphe zahlreiche Abwehrzellen (z. B. Lymphozyten) aufweist. Die meisten Lymphozyten gelangen innerhalb der Lymphknoten aus dem Blutsystem in die Lymphsinus (Rezirkulation der Lymphozyten), da intranodal vergleichsweise wenige Lymphozyten gebildet werden.

Aus immunologischer Sicht ist der Lymphknoten mit einem Bahnhof vergleichbar, da er Umsteigestationen besonders für Lymphozyten und andere Zellen der Abwehr, Antigene, aber auch Flüssigkeitsanteile zwischen dem Lymphsystem einerseits und dem Venensystem andererseits enthält. Die eigentlichen Bahnsteige befinden sich zwischen Rinde (Cortex) und Mark (Medulla) im Paracortex, dort, wo nahe beieinanderliegend hochendotheliale Venolen (HEV) und Lymphsinus einen Austausch von Inhaltsstoffen zwischen dem Blut- und Lymphsystem ermöglichen.

 

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Abb. 2.33:
Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme eines im Lymphknoten gelegenen Öltropfens (rechts im Bild) mit Makrophagen, welche das ölige Röntgenkontrastmittel Lipiodol® innerhalb eines Lymphsinus flankieren. Lipiodol® kann nach Anwendung der direkten Lymphographie über Monate im Lymphknoten nachgewiesen werden. Beachte phagozytiertes Öl (Pfeile) in einem der Makrophagen.

Über die afferenten Kollektoren werden u. a. antigenbeladene dendritische (Langerhans-)Zellen dem Lymphknoten zugeführt, während die für die Immunantwort erforderlichen Lymphozyten aus dem Blutsystem durch die Wand der HEV in die Kompartimente der Lymphknoten umsteigen.

In den Lymphknoten verweilen die Lymphozyten etwa 30–60 Stunden (Westermann, 2010). In dieser Zeit vervielfältigen sie sich beim Zusammentreffen mit ihrem entsprechenden Antigen, sodass ein reger Verkehr innerhalb des Bahnhofs herrscht. Darüber hinaus wird in den HEV aller Lymphknoten des Körpers etwa die Hälfte des gesamten in der Peripherie der Lymphknoten gebildeten Lymphwassers ins Venensystem umgeschlagen (siehe unten).

Bei Anwendung der Manuellen Lymphdrainage im Bereich von Lymphknoten und aus lymphodynamischer Sicht sind folgende funktionelle Aspekte von Bedeutung:

image Bei manueller Aktivierung wird die Entleerung und Füllung der Lymphknoten in der Druck- und Entlastungsphase des MLD-Griffs passiv (mechanisch) gefördert. Daneben werden aber auch die afferenten und efferenten Kollektoren in unmittelbarer Nähe der Lymphknoten zur Kontraktion angeregt.

image Lymphknoten neigen bereits unter physiologischen Bedingungen zur Vergrößerung bzw. Schwellung (siehe Abb. 2.31), da sie mehr afferente als efferente Kollektoren besitzen (Abb. 2.34). Zusätzlich bildet das Netzsystem der Lymphsinus einen beachtlichen lymphodynamischen Strömungswiderstand.

image Der Flüssigkeitstransfer zwischen den intranodalen Lymphsinus und den hochendothelialen Venulen (HEV) ist ein bisher wenig beachtetes Phänomen. Nach Renkin (1989) soll innerhalb aller Lymphknoten mehr Lymphwasser aus den Lymphsinus in das intranodale Blutsystem gelangen, als Lymphe aus dem Milchbrustgang (Ductus thoracicus) in das Venensystem abfließt.

 

Dieser lymph-blutvaskuläre Flüssigkeitstransfer innerhalb der Lymphknoten wird auf den höheren kolloidosmotischen Druck in den Blutgefäßen im Vergleich zum geringeren kolloidosmotischen Druck in dem Lymphsinus zurückgeführt. Die Druckverhältnisse innerhalb der Lymphknoten können sich unter pathophysiologischen Verhältnissen innerhalb des Venensystems umkehren (z. B. bei chronischer Veneninsuffizienz und Rechtsherzinsuffizienz), d. h., es gelangt vermehrt Blutwasser in das Lymphgefäßsystem.

Die Rezirkulation der Lymphozyten innerhalb der Lymphknoten wirft die Frage auf, ob die Manuelle Lymphdrainage diesen Zelltransfer und somit die Abwehrbereitschaft fördert. Diesbezüglich sind den Autoren des Buches keine Untersuchungen bekannt. Selbst wenn die Lymphozyten durch Anwendung der Manuellen Lymphdrainage mobilisiert werden sollten, bedeutet dies nicht unbedingt, dass dadurch die Immunantwort positiv beeinflusst wird.

2.1.4.3 Klinische Untersuchung

Zur lymphologischen Untersuchung der Lymphknoten werden die Palpation (Tastbefund) und bildgebende Verfahren (Lymphographie, Lymphszintigraphie, Sonographie, MRT und CT) eingesetzt.

Die Palpation der Lymphknoten gehört im Rahmen der Manuellen Lymphdrainage zur Basisdiagnostik bei Pferd und Hund. Zu beachten ist, dass die equinen Lymphknotenkonglomerate der oberflächlichen Lymphocentren in Form einer beerenförmigen Lappung (besonders im Bereich des mandibulären Lymphocentrums) palpiert werden können (siehe Abb. 2.31).

Die Tabelle 2.4 enthält tastbare Qualitäten bzw. sichtbare Lymphknotenveränderungen beim Pferd.

Bei Anwendung der Manuellen Lymphdrainage sollten die oberflächlichen Lymphknoten vor und nach der MLD-Behandlung palpiert werden, um physiologische Füllungsphänomene von pathologischen Befunden abzugrenzen.

Tabelle 2.4: Lymphknotenveränderungen beim Pferd

Palpationsbefund/Qualität Klinische Beispiele
Größe Lokale Schwellung eines Lymphocentrums (z. B. bei Rotz und Druse)
Generalisierte Schwellungen mehrerer Lymphocentren (z. B. bei Leukämie und beim Lymphosarkom)
Schmerzhaftigkeit und Temperatur Schmerzhaftigkeit und Temperaturerhöhung (z. B. bei akuter Phlegmone)
Schmerzfreiheit und normale Temperatur (z. B. bei Elephantiasis)
Konsistenz Fibrosierung (z. B. bei Elephantiasis)
Fluktuation Zum Beispiel bei eitriger Lymphadenitis (akutes Lymphödem)
Verwachsungen mit Lymphknotenumgebung Zum Beispiel bei Elephantiasis
Durchbrüche, Fisteln (Haut) Zum Beispiel bei Rotz und Druse

 

2.1.5 Lymphgefäßstämme (Trunci lymphatici)

Die Lymphgefäßstämme oder Lymphsammelgänge repräsentieren am Hals und in den Körperhöhlen tief gelegene, besonders bis zu 1 cm starkkalibrige Lymphgefäße, deren Wandaufbau prinzipiell dem der tief verlaufenden Kollektoren gleicht (Baum, 1928).

Bei den Haussäugetieren bilden die terminalen Abflusswege der Schultergliedmaße und Brusthöhle keine dem Menschen vergleichbaren Lymphgefäßstämme (z. B. Truncus subclavius, Truncus bronchomediastinalis) bzw. sind durch spezielle anatomische Bezeichnungen ausgewiesen.

2.1.5.1 Ductus thoracicus

Der Brustlymphgang drainiert den größten Anteil der Körperlymphe mit der Fettlymphe (Chylus), weshalb er auch als Milchbrustgang bezeichnet wird (Abb. 2.35). In der Regel soll der Ductus thoracicus (DT) noch in der Bauchhöhle aus der Lendenzisterne (Cisterna chyli; siehe Kapitel 2.1.1) hervorgehen. Der Ductus thoracicus passiert das Zwerchfell rechts der Aorta und gelangt erst in Höhe des Herzens auf die linke Körperseite.

Beim Pferd wechselt der DT in Höhe des 6. Brustwirbels (Mensch: 5. Brustwirbel) auf die linke Seite, um unter dem mediastinalen Brustfell zwischen Speise- und Luftröhre verlaufend in Höhe der 1. Rippe in die Vena jugularis externa oder V. cava cranialis zu münden (Abb. 2.36). Der Ductus thoracicus ist i. d. R. 7–10 mm stark, weist zehn bis 15 Klappen auf und ist vor seinem Eintritt in das Venensystem ampullenförmig erweitert. Der präkardiale Anteil des DT kann spangenförmig paarig angelegt sein. Der DT soll beim Pferd täglich 24–36 l Lymphe in das Venensystem drainieren.

 

Beim Menschen kann der Ductus thoracicus anlagebedingt rechts in den Venenwinkel einmünden oder fehlen (Aplasie). Das Fehlen des DT wird im Allgemeinen erst dann erkannt, wenn die kollateralen Lymphabflusswege im Bereich der Brustwand und des Mittelfells (etwa durch einen operativen Eingriff) chirurgisch perforiert werden. Obwohl beim Pferd diesbezüglich keine Befunde existieren, muss mit ähnlichen Varietäten wie beim Menschen gerechnet werden.

2.1.5.2 Ductus lymphaticus dexter

Beim Pferd ist auf der rechten Seite analog dem DT ein etwa 4 cm langer, aber auch 8–10 mm starker Ductus lymphaticus dexter angelegt (Abb. 2.37). Der Lymphgefäßstamm entwickelt sich aus efferenten Zuflüssen der Lnn. cervicales profundi caudales, Lnn. cervicales superficiales (Buglymphknoten) und Lnn. mediastinales craniales, um in die rechte V. subclavia, V. jugularis externa oder V. cava cranialis einzumünden. Die Tabelle 2.5 veranschaulicht die Körperbereiche, die durch die beiden terminalen Lymphgefäßstämme drainiert werden.

Tabelle 2.5: Seitenvergleich der Abflüsse der terminalen Lymphgefäßstämme

Ductus lymphaticus dexter Ductus thoracicus
Rechte Kopf-/Halsseite Linke Kopf-/Halsseite
Rechte Schultergliedmaße Linke Schultergliedmaße
Rechter kranialer Rumpfquadrant (siehe Territorien III und IV, rechts) Linker kranialer Rumpfquadrant (siehe Territorien III und IV, links)
Rechte Pleurahöhle

Image Linke Pleurahöhle

Image Rechter und linker kaudaler Rumpfquadrant (Territorien V und VII, beidseits)

Image Bauch- und Beckenhöhle

Image Rechte und linke Beckengliedmaße

2.1.5.3 Truncus jugularis dexter et sinister

Die 3–5 mm starken Trunci jugulares des Pferdes liegen in Höhe der Drosselrinne beidseits am Hals auf der Trachea. Deswegen werden sie auch als Trunci tracheales bezeichnet. Der Truncus jugularis liegt zwischen den Lnn. cervicales profundi craniales einerseits und den tiefen kaudalen Halslymphknoten Lnn. cervicales profundi caudales andererseits (Abb. 2.38). Bilateral kann der Lymphgefäßstamm netzartig angelegt sein oder Lymphgefäßschlingen aufweisen.

Der Truncus jugularis wird nur im kaudalen Halsbereich von dünnen Muskelfasern des Musculus cutaneus colli bedeckt. Dies ist ein Grund, warum die Punktion der Drosselvene (V. jugularis ext.) im kranialen Halsbereich durchgeführt werden sollte. Für die Manuelle Lymphdrainage ist die Hautmuskelbedeckung des Truncus jugularis ohne Bedeutung.

 

 

 

2.1.5.4 Cisterna chyli

Die meist spindelförmige Lendenzisterne des Pferdes reicht i. d. R. vom 2. Lendenwirbel bis zum letzten Brustwirbel und liegt in der Bauchhöhle zwischen den beiden Zwerchfellschenkeln (Abb. 2.39). Die Lendenzisterne kann beim Pferd 110–180 mm lang und bis zu 200 mm dick sein. In die Cisterna chyli münden der Truncus coeliacus, der Truncus intestinalis und die Trunci lumbales ein, welche als Besonderheit Einmündungsklappen aufweisen. Efferente Lymphgefäße aus Zwerchfell und Leber können ohne Lymphknotenpassage ihre Lymphe direkt in die Lendenzisterne drainieren. Beim Pferd ist aufgrund der Formvarianz und Größe der Cisterna chyli ihre eindeutige Abgrenzung zu den einmündenden Lymphgefäßstämmen nicht immer möglich.

2.1.5.5 Truncus c(o)eliacus und Truncus intestinalis

Die beiden beim Pferd nur etwa 1–5 cm langen Lymphgefäßstämme drainieren die Lymphe von Leber, Magen und Milz (Truncus c[o]eliacus) sowie des Dünndarms (Truncus intestinalis). Der Truncus intestinalis ist beim Pferd oft paarig angelegt.

Beachte den lymphvaskulären Passageweg der Fettlymphe (Chylus) in das Venensystem: Dünndarm → mesenteriale Lymphknoten → Truncus intestinalis → Ductus thoracicus → linker Venenwinkel. Beachte auch, dass beim Hund und beim Menschen spontane und chirurgische Durchtrennungen des DT mit Ausbildung eines Chylothorax in der linken Pleurahöhle beschrieben sind.

2.1.5.6 Truncus lumbalis

Ein bis zwei etwa 10 mm starke Lendenlymphstämme (Trunci lumbales) drainieren die Lymphe der Beckenhöhle einschließlich des Dickdarms, der kaudalen Rumpfquadranten und der Beckengliedmaßen. Innerhalb der Trunci lumbales können Lnn. lumbales aortici direkt eingeschaltet sein.

2.2 Spezielle Anatomie der Manuellen Lymphdrainage

Der an sich widersinnige Kurztitel soll den Leser auf die besondere Bedeutung des hautnahen (»speziellen«) Anteils des Lymphsystems für die MLD-Behandlungsstrategie aufmerksam machen. Aus Sicht der MLD muss der Lymphtherapeut besonders die Lymphgefäße und Lymphknoten kennen, in deren Abflussrichtung die MLD-Griffe in verschiedenen Bereichen des Hautorgans gezielt zur Anwendung kommen.

Die MLD-Griffe haben zwar auch auf die Lymphdynamik in den Körperhöhlen, z. B. auf den Truncus lumbalis, einen wesentlichen Einfluss, jedoch nicht durch direkten Griffkontakt, sondern indirekt über den Lymphabfluss aus oberflächlichen (hautnah gelegenen) Lymphknoten.

2.2.1 Initiale Lymphgefäße und Kollektoren der Haut

Die MLD-Griffe erreichen bei Pferd, Hund und Katze die oberflächlich verlaufenden Lymphgefäße der Haut (Kutis), Unterhaut (Subkutis oder Hypodermis) und im Gegensatz zum Menschen auch die tief verlaufenden Kollektoren zwischen der oberflächlichen Körperfaszie und der Skelettmuskulatur.

Beachtet werden muss, dass Lymphgefäße speziesübergreifend stets in bindegewebig organisierten Schichten und somit nicht in der Oberhaut (Epidermis) angesiedelt sind.

Die Dermis (Corium) ist beim Pferd erheblich kollagenreicher und deshalb »härter« als beim Menschen. Deshalb müssen andere Griffintensitäten bei der Ausführung der MLD im Vergleich beider Spezies zur Anwendung kommen. Beim Pferd werden drei Dermisschichten unterschieden (oberflächliche, mittlere und tiefe Dermis) (Abb. 2.40), wobei aus lymphangiologischer Sicht eine Konzentration von elastischen Fasern als Verschiebeschicht nahe der Subkutis bedeutsam ist (Meyer, 2010). In dickeren Hautarealen des Pferdes ist die tiefe Dermis besonders durch kollagene und elastische Fasern verdichtet.

Die Haut des Pferdes erfüllt die Funktion eines körpereigenen Kompressionsstrumpfes, der u. a. für die Lymphdynamik der oberflächlichen Kollektoren besonders im Bereich der Extremitäten von Bedeutung ist.

 

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Abb. 2.40:
Rasterelektronenmikroskopische Darstellung der einzelnen Hautschichten des Pferdes nach Braun (2004). Die tiefe Schicht des untersten Dermisabschnittes ist besonders kompakt angelegt. Dermale Kollektoren mit Querdurchmessern von 100–300 µm kommen zwischen der mittleren und tiefen Dermis und in der tiefen Dermis vor. Die Kollektoren können hier nicht lokalisiert werden, da sie nicht injektorisch weitgestellt wurden.

Die dünn angelegte equine Subkutis wird in der Veterinärmedizin auch als Hypodermis bezeichnet (Meyer, 2010). Sie enthält bei normal ernährten und trainierten Pferden im Vergleich zum Menschen auffallend wenige Fettzellen, die eher dermisnah angeordnet sind. Dagegen sind die Hautmuskeln des Pferdes in der tieferen Schicht der Subkutis zu finden. Beim Anlegen eines Hautschnittes kann i. d. R. die Kutis mit dem oberflächlichen Anteil der Subkutis mobilisiert werden, während der tiefe Anteil der Subkutis am oberflächlichen Fasziensystem verbleibt (siehe auch Kapitel 2.2.3).

2.2.2 Lymphgefäße der Dermis

In der Dermis des Pferdes sind drei Lymphgefäßabschnitte zu finden (Lymphkapillaren, Präkollektoren und dermale Kollektoren), welche miteinander vernetzt grundsätzlich in zwei Schichten angeordnet sind (Abb. 2.41):

image Oberflächlich dermales Lymphgefäßnetz aus Lymphkapillaren (Abb. 2.42a, b)

image Tiefes dermales Lymphgefäßnetz aus Präkollektoren und Kollektoren (Abb. 2.42a, b)

Zu beachten ist, dass dermale Kollektoren bisher in keinem human- oder veterinärmedizinischen Lehrbuch aufgeführt sind, da sie erstmals von Braun (2004), Risse (2004) und Rothe (2004) beim Pferd beschrieben wurden.

Dermale Kollektoren besitzen keine glatten Muskelzellen, dafür aber Myofibroblasten und einen hohen elastischen Wandanteil. Hierdurch unterscheiden sie sich sowohl von Präkollektoren, in deren Wand keine Myofibroblasten ausgebildet sind, als auch von hypodermalen Kollektoren, welche wenn auch nur wenige glatte Muskelzellen aufweisen.

Da in den dermalen Kollektoren reguläre glatte Muskelzellen fehlen und nur wenige kontraktile Myofibroblasten ausgebildet sind, fällt dem elastischen Wandanteil von nahezu 40 % eine besondere Bedeutung für die Lymphdynamik zu (Harland, 2003; Harland et al., 2004). Die elastischen Retraktionskräfte werden verstärkt durch einen in der tiefen Dermis gelegenen Filz elastischer Fasern (Abb. 2.43), welcher mit dem dichten Besatz kollagener Fasern den körpereigenen Kompressionsstrumpf bildet.

 

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Abb. 2.41:
Halbschematische Darstellung epifaszialer Lymphgefäße des Hautorgans beim Pferd (nach Berens v. Rautenfeld und Rothe, 2002). Direkt unter der Epidermis (oben) liegt ein dichtes Netz von Lymphkapillaren (grün) in der Dermis. Darunter, noch in der Dermis, befindet sich ein gemeinsames Netzsystem aus Präkollektoren (hellblau) und Kollektoren (rot). Das dermale Kollektorennetz zeigt fünf Gefäßverbindungen zu einem längsverlaufenden subkutanen Kollektor (rot) in der Subkutis (weiß, unten).

Beachte, dass die Präkollektoren und die dermalen Kollektoren innerhalb des natürlichen Kompressionsstrumpfes gelegen sind.
Durch die großkalibrigen dermalen Kollektoren steht der Haut auch dann in horizontaler Richtung ein effektives Drainagesystem zur Hautoberfläche zur Verfügung, wenn der physiologische Lymphabfluss in den hypodermalen Kollektoren behindert ist.

In den Präkollektoren und dermalen Kollektoren ist die Klappenfunktion dadurch eingeschränkt, dass nur eine geringe Anzahl von Klappen, und häufig lediglich Trichterklappen, ausgebildet ist (Abb. 2.44). Bei maximaler Füllung des dermalen Lymphgefäßnetzes können die Trichterklappen umschlagen (insuffizient werden), sodass sich die Lymphe sowohl horizontal als auch vertikal (also multidirektional) ausbreiten kann.

Bei Anwendung der MLD im Bereich einer Umfangsvermehrung oder Narbe kann versucht werden, die Lymphe horizontal innerhalb der Dermis, z. B. also um eine Narbe herum, zu drainieren und nicht nur in Verlaufsrichtung der hypodermalen Kollektoren.

 

 

 

 

 

Die Dichte des dermalen Lymphgefäßnetzsystems aus initialen Lymphgefäßen und Kollektoren variiert in Abhängigkeit zur Dicke der Dermis sowohl beim Menschen als auch bei Pferd und Hund. Beim Pferd und beim Menschen ist die relative dermale Hautstärke in den verschiedenen Arealen des Hautmantels annähernd gleich ausgebildet (Abb. 2.45). Dichte dermale Lymphgefäßnetze finden sich beim Pferd besonders dort, wo die Dermis dünn angelegt ist (z. B. im Hodensack, den Schamlippen, der Milchdrüse und im Ohr).

2.2.3 Hypodermale (oberflächlich verlaufende) Kollektoren der Haut

Die hypodermalen (subkutanen) Kollektoren verlaufen beim Pferd überwiegend dermisnah, also in der oberflächlichen Schicht der Subkutis, beim Menschen dagegen auch in den tiefer gelegenen Anteilen der Subkutis.

Beim Pferd werden die hypodermalen Kollektoren durch Hautinzisionen besonders leicht durchtrennt (Abb. 2.46), da sie vorwiegend dermisnah angeordnet sind (siehe Kapitel 2.1.3). Beachte den ausgeprägten Fettmantel der Subkutis beim Menschen (Abb. 2.47a, b) im Vergleich zum Pferd.

Obwohl hypodermale Kollektoren des Pferdes nahe der Dermis in der Subkutis gelegen sind, sieht man in der Regel nur oberflächliche Venen an der Hautoberfläche. Lediglich extrem gestaute hypodermale Kollektoren zeichnen sich durch das Haarkleid und die Cutis hindurch sehr selten ab (Abb. 2.48).

Wie kann man oberflächlich gelegene Venen von Lymphgefäßen unterscheiden? Oberflächliche Venen besitzen zahlreiche rechtwinklige Gefäßverzweigungen, während hypodermale Kollektoren nur wenige, eher spitzwinklige Gefäßverzweigungen zeigen. Dermale Kollektorennetze kann man nur nach Eröffnung der Haut zur Ansicht bringen, während initiale Lymphgefäßnetze mit dem »nackten Auge« in der Regel nicht erkannt werden können.

Beim Hund liegt im Gegensatz zum Pferd eine auffallende Vernetzung der hypodermalen Kollektoren vor.

Eine regionale Anordnung mehrerer hypodermaler Kollektoren zu »Kollektorenbündeln« ist im Gegensatz zum Menschen beim Pferd, aber auch beim Hund, nicht vorhanden.

Beachte, dass beim Pferd zwei oberflächlich (epifaszial) verlaufende Kollektorensysteme (Vasa ll. collectoria superficiales) zu unterscheiden sind:

1. Dermale Kollektoren

2. Hypodermale (oder subkutane) Kollektoren

Die Wand der hypodermalen Kollektoren besitzt nur wenige glatte Muskelzellen (Abb. 2.49) sowie Myofibroblasten und einen ausgeprägten elastischen Wandanteil.

 

 

 

 

 

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Abb. 2.49:
Semidünnschnitt eines kurzen oberflächlichen Kollektors in Höhe des Fesselgelenks beim Pferd. In der Wand des Lymphsammelgefäßes sind ausschließlich kollagene Fasern (hellblau), aber keine glatten Muskelzellen zu erkennen. Bei den tief blauen Partikeln handelt es sich um Berliner Blau zur Markierung des Kollektors.

2.2.4 Subfasziale (tief verlaufende) Kollektoren

Die unterhalb der oberflächlichen Faszie verlaufenden Kollektoren repräsentieren das subfasziale Kollektorensystem. Die tief verlaufenden subfaszialen Kollektoren bilden zusammen mit den Blutgefäßen ein Gefäßbündel. Sie können auch intrafaszial, z. B. im Ober- und Unterschenkelbereich des Pferdes, gelegen sein. Dadurch, dass das Pferd im Vergleich zum Menschen nur eine dünne Subkutis besitzt (besonders im Bereich der Extremitäten), liegen sowohl die hypodermalen als auch die subfaszialen Kollektoren relativ hautnah. Sie reagieren deshalb beim Pferd auch auf einen manuellen Impuls bei der MLD.

Aufgrund der dünnen Subkutis des Pferdes kann der Lymphtherapeut auch die subfaszialen Kollektoren zur Kontraktion anregen, welche im Gegensatz zu den oberflächlichen Kollektoren eine kontinuierliche und mehrschichtige glattmuskuläre Gefäßwandpumpe besitzen.

Der Wandaufbau subfaszialer Kollektoren unterscheidet sich von den hypodermalen Kollektoren durch eine größere Anzahl glatter Muskelzellen (siehe Abb. 2.18). Dennoch beträgt der prozentuale Wandanteil glatter Muskelzellen subfaszialer Kollektoren etwa nur 8 % (Harland, 2003) im Vergleich zu annähernd 40 %, allerdings nur im Bereich der epifaszialen Kollektoren des menschlichen Beines (Schacht, 2000). Beim Menschen ist der Wandanteil glatter Muskelzellen in den subfaszialen Kollektoren der Extremitäten bisher nicht quantifiziert worden.

2.2.5 Territorien, Wasserscheiden und oberflächliche Lymphocentren des Pferdes

Die territoriale Einteilung der Haut entspricht den anatomischen Einzugsgebieten oder Regionen jeweils einer oberflächlich gelegenen Lymphknotengruppe bzw. eines Lymphocentrums.

Das Pferd zeigt auf jeder Körperseite sieben Territorien (Abb. 2.50). Bei Anwendung der MLD hat es sich bewährt, die Territorien nach Berens v. Rautenfeld mit römischen Buchstaben zu benennen.

So wie der Neurologe die Anordnung der für das Auge verborgenen Dermatome kennt, muss der Lymphdrainagetherapeut die Territorien auf die Körperoberfläche jeder seiner Patienten projizieren können (siehe Abb. 2.50). Ein Lymphdrainagetherapeut ohne diese Kenntnisse arbeitet wie ein Chirurg ohne topografische Anatomieausbildung.

Die Territorien werden bei jeder Tierspezies identisch ausgewiesen, auch wenn ein Territorium innerhalb der numerischen Reihenfolge nicht vorhanden ist (z. B. ergibt sich beim Hund ein numerischer Sprung zwischen den Territorien V und VII, da ein Territorium VI bei dieser Spezies nicht vorhanden ist). Einige Tiere besitzen zusätzlich ein Territorium VIII (z. B. Hund und Rind).

Die Lymphe jedes Territoriums wird durch oberflächlich (epifaszial) gelegene Kollektoren in das zugehörige primäre Lymphocentrum drainiert. Dabei handelt es sich um die afferenten Kollektoren des Lymphocentrums.

Bei Anwendung der MLD bildet die Verlaufsrichtung der afferenten Kollektoren eines territorialen Lymphocentrums die anatomische Grundlage für die Richtung der MLD Grifffolgen.

Die lymphatischen Wasserscheiden (oder »Lymphscheiden«; nach Grau, 1943) markieren den etwa 4 cm breiten Grenzbereich benachbarter Territorien (Abb. 2.50: weiße Streifen zwischen den Territorien), wobei sich weder in der Human- noch in der Veterinäranatomie dieser lymphologische Begriff etablieren konnte.

Obwohl der Begriff »Lymphscheide« zutreffender als der der »Wasserscheide« ist, erscheint eine Umbenennung der in der Humanlymphologie etablierten Bezeichnung unrealistisch.

Aufgrund der funktionellen und klinischen Bedeutung der Wasserscheiden schlagen Berens v. Rautenfeld et al. (1996) den Fachterminus Divortia aquorum für die Wasserscheiden vor.

Der Begriff »Wasserscheide« bedeutet in der Geographie und Wasserwirtschaft, dass der Abfluss aus zwei benachbarten Quellgebieten durch geographische Gegebenheiten (z. B. durch einen Berg) in unterschiedliche Richtungen erfolgt. In Analogie zu diesen Verhältnissen bildet das Quellgebiet lymphologischer Wasserscheiden (initiale Lymphgefäße und Kollektoren der Dermis) ein lymphvaskuläres Kontinuum mit dem Quellgebiet dermaler Lymphgefäße benachbarter Territorien. Die dermalen Lymphgefäße werden also nicht durch Wasserscheiden innerhalb der Hautdecke getrennt. Lediglich die Lymphflussrichtung in den hypodermalen (subkutanen) Kollektoren ist fast immer von der Wasserscheide, also aus der Peripherie der Territorien, zu ihrem regionalen Lymphocentrum gerichtet. Während die Lnn. mandibulares, cervicales supff., subiliaci et inguinales innerhalb ihrer Territorien zu finden sind, liegen die Lnn. poplitei, axillares et anorectales außerhalb ihrer Territorien.

 

 

Selbst vergrößerte extraterritorial gelegene Lymphknoten können vom Lymphdrainagetherapeuten nur in Ausnahmefällen palpiert werden.

Aus physiologischer Sicht grenzen die Wasserscheiden den Lymphfluss benachbarter Territorien voneinander ab, da der Strömungswiderstand nach zentral zu den Lymphocentren geringer ist als zu den peripher gelegenen initialen Gefäßwurzeln der hypodermalen Kollektoren im Bereich der Wasserscheiden.

Beim Pferd müssen nach Berens v. Rautenfeld zwei Typen von Wasserscheiden unterschieden werden:

1. Absolute Wasserscheiden, bei denen die hypodermalen Kollektoren die Wasserscheide nicht überschreiten (Abb. 2.51)

2. Relative Wasserscheiden, welche die hypodermalen Kollektoren die Wasserscheide wechselseitig überschreiten (Abb. 2.52)

Beim Menschen fehlen Untersuchungen in Bezug auf die Existenz dieser beiden Typen von Wasserscheiden, während beim Hund ausschließlich relative Wasserscheiden vorhanden sind.

Bei Anwendung der MLD kann im Bereich der relativen Wasserscheiden im Gegensatz zur absoluten Wasserscheide der Lymphfluss nicht nur innerhalb der dermalen Lymphgefäße (initiale Lymphgefäße und dermale Kollektoren), sondern auch innerhalb der hypodermalen Kollektoren wechselseitig zwischen benachbarten Territorien verlagert (kollateralisiert) werden.

Umfangsvermehrungen können sowohl im Bereich der absoluten als auch der relativen Wasserscheide abgegrenzt sein. Das zeigt sich z. B. im Bereich der transversalen Wasserscheide nach medianer Laparotomie beim Pferd (siehe Abb. 9.13). Andererseits können sich pathophysiologische Flüssigkeitsansammlungen eines Territoriums über die Wasserscheide innerhalb der dermalen Lymphgefäße in das benachbarte Territorium hinein ausbreiten. In der Regel können sowohl eine relative als auch eine absolute Wasserscheide die Ödemausbreitung in ein benachbartes Territorium nicht langfristig aufhalten.

 

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Abb. 2.52:
Relative Wasserscheide mit abweichenden subkutanen Kollektorenverbindungen (dicke Pfeile, unten) im Vergleich zur absoluten Wasserscheide (siehe
Abb. 2.51). Die relative Wasserscheide ermöglicht im Gegensatz zur absoluten Wasserscheide einen interterritorialen Lymphabfluss auch über subkutane Kollektoren aus dem Territorium A in das Territorium B oder umgekehrt, d. h., die relative Wasserscheide gewährleistet bei Anwendung der MLD eine effektivere Kollateralisierung zwischen zwei benachbarten Territorien.

Auch das oberflächliche Fasziensystem kann funktionell als absolute Wasserscheide interpretiert werden (Berens v. Rautenfeld), da Lymphödeme isoliert einerseits epifaszial, andererseits subfaszial entstehen können, weil nur wenige Lymphgefäßverbindungen zwischen dem oberflächlichen und dem tiefen Kollektorensystem vorhanden sind.

Für die territoriale Einteilung der Haut sind drei Wasserscheiden von besonderer Bedeutung (siehe auch Abb. 2.50):

1. Die ventromediane Wasserscheide (VMW) verläuft von der Unterlippe beginnend, bauchseitig genau in der Mittellinie über den Hals und in der Linea alba bis zur Schweifrübe. Sie repräsentiert die einzige absolute Wasserscheide des Pferdes.

2. Die dorsomediane Wasserscheide (DMW) verläuft entsprechend rückenseitig in der Mittellinie von der Oberlippe bis zur Schweifrübe. Sie repräsentiert eine relative Wasserscheide.

3. Die transversale Wasserscheide (TW) teilt vertikal verlaufend die kranialen (III und IV) von den kaudalen (V und VII) Territorien am Rumpf und repräsentiert eine relative Wasserscheide. Ihre Lage kann durch den Verlauf der 11. Rippe, mitunter aber auch durch den tiefsten Punkt der ventralen Wölbung des Rumpfes (des Bauches) ermittelt werden.

Im Rahmen der MLD wird die transversale Wasserscheide zur Umleitung (Kollateralisierung) des zentralen Lymphflusses innerhalb der Körperhöhlen zwischen den Territorien VII und III, VII und IV, V und IV sowie V und III genutzt (siehe Kapitel 5.1.2).

Die regionalen Lymphknoten oder Lymphocentren der Territorien sind nachstehend tabellarisch aufgeführt (Tab. 2.6). Zu beachten ist, dass in der Veterinärmedizin folgende Bezeichnungen (Termini technici) und Abkürzungen für eine regionale Lymphknotengruppe gleichbedeutend genutzt werden können: Lymphonodi (Lnn.), Lymphocentrum (Lc.) und Nodi lymphatici (N. ll.).

2.2.6 Topografie, Afferenzen und Efferenzen der territorialen Lymphocentren des Pferdes

Die Lnn. mandibulares (Unterkieferlymphknoten) repräsentieren die einzige oberflächlich gelegene Lymphknotengruppe, welche regelmäßig im Kehlgang tastbar ist (siehe Abb. 2.30, Abb. 2.31).

Beurteilt werden bei der palpatorischen Untersuchung der Lymphocentren (unter Berücksichtigung des Alters): Größe, Konsistenz, Struktur, Verschieblichkeit gegen die Umgebung und Schmerzhaftigkeit (siehe auch Tab. 2.4). Zu unterscheiden ist der Befund in Bezug auf das gesamte Lymphknotenpaket von dem einzelner veränderter Lymphknoten innerhalb des Lymphocentrums.

Die Lnn. mandibulares bilden für beide Kopfseiten ein einheitliches, u-förmiges Konglomerat von 70 bis 150 Einzellymphknoten, wobei die Verbindung der beiden Lymphknotenschenkel nach rostral zeigt. Sie werden jeweils lateral von der A. facialis flankiert, deren Puls auf der Innenseite des Unterkieferastes tastbar ist. Zu beachten ist, dass die Schenkelenden des Lymphknotenpaketes den rostralen Ausläufern der Unterkiefer(speichel)drüse (Glandula mandibularis) angelagert sein können, sodass eine Verwechslung zwischen Anteilen der Unterkieferlymphknoten und dieser Speicheldrüse möglich ist.

Die Afferenzen (Zuflüsse) der Haut zu den Lnn. mandibulares zeigt die Abbildung 2.53.

Unterkieferlymphknoten drainieren auch das Kiefergelenk, die Nasenhöhle etwa bis in Höhe der Augenhöhlen, die Mundhöhle und alle Speicheldrüsen, in deren Bereich pathophysiologische Flüssigkeitsansammlungen auftreten können.

Die Efferenzen (Abflüsse) der Lnn. mandibulares erreichen die Lnn. cervicales proff. craniales (Abb. 2.54).

Die Lnn. parotidei (Ohrspeicheldrüsenlymphknoten) liegen als kleine Gruppe von sechs bis zehn (nur 2–7 mm großen) Lymphknoten kaudal am Unterkieferrand (siehe Abb. 2.53) und ventral des Kiefergelenkes innerhalb oder unter der Parotis (Ohrspeicheldrüse). Sie können deshalb nur bei einer deutlichen Vergrößerung der Lymphknoten palpiert werden.

Zu beachten ist, dass die Lnn. parotidei physiologisch nicht tastbar sind und außerhalb ihres Territoriums II liegen.

Tabelle 2.6: Bezeichnungen der regionalen Lymphknotengruppen (siehe auch Abb. 2.36)

Territorium Regionale Lymphknoten
Territorium I Lnn. mandibulares/Lc. mandibulare
Territorium II Ln. parotidei/Lc. parotideum
Territorium III

image Lnn. cervicales supff./Lc. cervicale supf.

image Lnn. cubitales (ad Lc. axillare)

Territorium IV Lnn. axillares proprii (ad Lc. axillare)
Territorium V Lnn. subiliaci (ad Lc. inguinale superficiale seu inguinofemorale)
Territorium VI

image Lnn. anorectales et hypogastrici (ad Lc. iliosacrale)

image Lnn. ischiadici (ad Lc. ischiadicum)

Territorium VII

image Lnn. inguinales proff. (ad Lc. inguinale profundum seu iliofemorale)

image Lnn. poplitei proff./Lc. popliteum

image Lnn. inguinales supff. (ad Lc. inguinale superficiale seu inguinofemorale)

Zu beachten ist, dass die Territorien III, VI und VII jeweils in zwei bzw. drei regionale Lymphknotenpakete drainieren.

Außer von der Stirn- und Wangenhaut erhalten die Lnn. parotidei Afferenzen (Zuflüsse) von der Innenseite des Ohres sowie von der Ohrspeichel- und Tränendrüse.

Die Efferenzen (Abflüsse) werden in der Abbildung 2.54 gezeigt.

Die Lnn. cervicales supff. (Buglymphknoten) bilden ein 15–30 cm langes und etwa 2–4 cm breites Lymphknotenpaket von 60 bis 130 Einzellymphknoten, welche an der Vorderkante des Schulterblattes gelegen sind. Es reicht von der seitlichen Brust eine oder eineinhalb Handbreit (also etwa innerhalb einer MLD-Grifflänge) über das Schultergelenk.

Die Palpation der Buglymphknoten ist besonders bei stark bemuskelten Pferden erschwert, da zwischen dem Schulterblatt und dem Lymphknotenpaket der M. subclavius gelegen ist und die Buglymphknoten weitgehend vom M. cleidomastoideus bedeckt sind.

Die Afferenzen (Zuflüsse) der Buglymphknoten aus der Haut des Kopfes, des Halses, der seitlichen, ventralen und dorsalen Brustwand und der Schultergliedmaße zeigt die Abbildung 2.55. Neben einigen Muskeln der Schultergliedmaße drainieren die Buglymphknoten auch das Schultergelenk sowie das Karpalgelenk und die Zehengelenke.

 

 

 

 

Zu beachten ist, dass die Buglymphknoten die Außenseite des Ohres und die Ohrspeicheldrüsenlymphknoten dessen Innenseite drainieren (siehe Abb. 2.50, Abb. 2.55).

Die Efferenzen (Abflüsse) der Buglymphknoten sind im Rahmen der angulären MLD-Vorbehandlung von besonderer Bedeutung. Das Abflussschema (siehe Abb. 2.37) aus dem rechten und linken Buglymphknoten zeigt die Hauptdrainagewege (dicke Pfeile) und seltener (variabel) auftretende Nebendrainagewege (unterbrochene Pfeile) zum rechten Venenwinkel.

Zu beachten ist, dass bei Aktivierung der Buglymphknoten im Rahmen der MLD lediglich auf der rechten Körperseite ein regelmäßig vorhandener direkter Lymphabfluss zum Venenwinkel ausgebildet ist. Auch zu beachten sind die nicht immer auftretenden bilateralen Lymphgefäßverbindungen zwischen den rechten und linken Lnn. mediastinales craniales. Bei Pferden mit dieser Lymphgefäßvariation wird bei einseitiger Aktivierung des rechten oder linken Buglymphknotens auch der Lymphfluss in den kollateralen Lymphgefäßstamm (Ductus thoracicus bzw. Ductus lymphaticus dexter) gefördert (siehe Abb. 2.37).

Die Lnn. subiliaci (Kniefaltenlymphknoten) können in der Kniefalte auf halber Höhe zwischen dem Hüfthöcker und der Kniescheibe lokalisiert werden (Abb. 2.56). Sie liegen nahe einer muldenförmigen Grube der Haut. Beachte, dass der Haarwirbel der Kniefaltengegend meist kranial des Lymphknotenpaketes gelegen ist. Das Lymphknotenpaket aus 15 bis 50 Einzellymphknoten ist 6–10 cm lang, 2–3 cm breit und in ventrodorsaler Richtung ausgerichtet. Die Lnn. subiliaci liegen im Allgemeinen am Kranialrand des M. tensor fasciae latae, aber auch medial – also unter dem Muskel -, wodurch ihre Palpation erschwert ist.

Häufig werden die Kniefaltenlymphknoten (Lnn. subiliaci) mit den Kniekehllymphknoten (Lnn. poplitei) verwechselt. Letztere werden im Kapitel 2.2.7 besprochen.

Bei den Lnn. subiliaci handelt es sich um während der embryonalen Entwicklung des Pferdes in die Kniefalte verlagerte oberflächliche Leistenlymphknoten, weshalb sie dem Lc. inguinale superficiale (inguinofemorale) zugeordnet sind.

Die Afferenzen (Zuflüsse) erfolgen aus dem Territorium V der Haut, aber auch aus der Muskulatur (z. B. dem M. tensor fasciae lata und den Bauchmuskeln im Bereich des Territoriums VII).

Die Efferenzen (Abflüsse) passieren die Bauchwand auf kurzem Weg und erreichen die Darmbeinlymphknoten (Lnn. iliaci laterales und mediales), welche in der Bauchhöhle gelegen sind (Abb. 2.57). Nach Baum (1928) bestehen in den meisten Fällen efferente Verbindungen der Lnn. subiliaci sowohl zu den lateralen als auch zu den medialen Darmbeinlymphknoten.

Mittels der MLD im Bereich der rechten und linken Lnn. subiliaci wird beim Pferd der zentrale Lymphfluss in den Trunci lumbales innerhalb der Bauchhöhle über die Darmbeinlymphknoten (Lnn. iliaci laterales et mediales) aktiviert (siehe trunkuläre Vorbehandlung im Kapitel 5). Zu beachten ist – egal, ob die rechte oder linke Beckengliedmaße lymphödematös erkrankt ist –, dass stets die Kniefaltenlymphknoten beidseitig durch MLD angeregt werden sollten.

Lymphödematisierungen im Bereich des Territoriums V können durch chirurgische Flankenschnitte, bei welchen afferente Kollektoren der Lnn. subiliaci im Bereich der Rumpfwand durchtrennt werden, aber auch durch einen retrograden Lymphstau aus den Darmbeinlymphknoten der Bauchhöhle in das Territorium V auftreten. Im letzteren Fall ist vom Tierarzt eine Erkrankung im Bereich der weiblichen Geschlechtsorgane (Eierstöcke, Eileiter, Gebärmutter) bzw. der männlichen Geschlechtsorgane (Hoden, Nebenhoden, Samenleiter, akzessorische Geschlechtsdrüsen), der Leber, Harnorgane und des Bauchfells, aber auch der Hüftgelenke abzuklären, welche in die Darmbeinlymphknoten primär oder als Schaltlymphknoten drainieren.

 

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Abb. 2.57:
Zentrale Lymphdrainagewege der Körperhöhlen. Die Abbildung zeigt auch Umgehungs- bzw. Kollateralwege an der Rumpfwand, welche durch Anwendung der MLD angeregt werden können, wenn der zentrale Lymphabfluss blockiert ist bzw. entlastet werden soll (siehe rote Balken und gestrichelter grüner Pfeil im Anschnitt der Bauchwand). Die Territorien sind mit römischen Ziffern gekennzeichnet. Zwischen den Territorien VII und III, VII und IV sowie V und IV kann der Lymphfluss über die transversale Wasserscheide (TW) kollateralisiert werden. Beachte, dass diese relative Wasserscheide auch von subkutanen Kollektoren überschritten wird (gekreuzte gestrichelte Linien).
Lymphabfluss aus den Lnn. subiliaci (Ls) alternativ direkt zu den Lnn. iliaci mediales (Lim) oder indirekt über die Lnn. iliaci laterales (Lil) mit Zufluss aus den Lnn. hypogastrici (Lh).
Zentraler trunkulärer Lymphabfluss über die Trunci lumbales (Tl) mit beigeschalteten oder integrierten Lnn. lumbales aortici (Lla) in die Cisterna chyli (Cc) mit Zuflüssen der Oberbauchorgane über den Truncus coeliacus (Tc) und des Darmes über den Truncus intestinalis (Ti). Der Ductus thoracicus (Dt) passiert das Zwerchfell und verläuft zunächst rechts, dann links neben der Aorta (nicht eingezeichnet) und mündet in den linken Venenwinkel (LVW) ein.
Lymphabfluss aus den Territorien VII der Beckengliedmaße: Lnn. poplitei profundi (Lpp), Lnn. inguinales profundi (Lip), Lnn. inguinales superficiales (Lis), ventromediane Wasserscheide (VMW).
Lymphabfluss aus dem Territorium III der Schultergliedmaße: Lnn. cubitales (Lc), Lnn. axillares proprii (Lap).
Lymphabfluss aus dem Territorium III an der Hals-Brust-Grenze:
Lnn. cervicales superficiales (Lcs), Lnn. cervicales profundi caudales (Lcpc), rechter und linker Venenwinkel (RVW, LVW) können durch eine lymphvaskuläre Kollaterale verbunden sein.

Schaltlymphknoten (siehe dazu Abb. 2.35) sind die letzten Sammellymphknoten mehrer Tributär- oder Territorialgebiete, deren efferente Kollektoren in einen Lymphgefäßstamm einmünden, welche in der Regel keine weiteren Lymphknotenstationen aufweisen. So wird z. B. die Lymphe aller Territorien kaudal der transversalen Wasserscheide (V–VII) in die Lnn. iliaci mediales (Darmbeinlymphknoten), also in die Schaltlymphknoten für die kaudale Rumpfhälfte einschließlich der Beckengliedmaßen drainiert.

Frage: Wie heißen die Schaltlymphknoten für die Territorien I–IV? Beachte dazu die Abbildung 2.37 und das Kapitel 2.2.8.

Die Lnn. anorectales (After-Enddarm-Lymphknoten) gehören neben den Lnn. iliaci mediales et laterales und den Lnn. hypogastrici zum Lc. iliosacrale. Die 13 bis 46 anorektalen Lymphknoten liegen retroperitoneal am Rektum außerhalb des Territoriums VI im Winkel zwischen After, kaudalem Rand der Hinterbackenmuskulatur und Schweif in der seitlichen Aftergrube. Aufgrund der tiefen Lage der anorektalen Lymphknoten, aber auch durch ihre geringe Größe bei einem Gesamtgewicht von < 1 g, sind diese Lymphknoten nicht tastbar.

Die Lymphe aus dem Territorium VI kann nicht nur direkt in die Lnn. anorectales, sondern auch in die Lnn. ischiadici und die Lnn. hypogastrici drainiert werden.

Die Afferenzen (Zuflüsse) drainieren das Territorium VI und entsprechend ihrer Benennung den Endabschnitt des Kolons und des Rektums. Die anorektalen Lymphknoten drainieren jedoch auch die Schweifmuskeln, Harnröhre, Vagina, Vulva, Klitoris und Anteile des Uterus.

Die Efferenzen (Abflüsse) erreichen die Lnn. hypogastrici, Lnn. ischiadici und in die Lnn. mesenterici caudales (siehe Abb. 2.35).

Da beim Pferd transrektale Untersuchungen durchgeführt werden, müsste grundsätzlich auch eine transrektale MLD-Behandlung zur Anregung der zentralen Lymphabflusswege des Bauchraumes und der darmassoziierten Lymphknoten möglich sein. Eine diesbezügliche klinische Studie wird angestrebt.
Cave: Transrektale MLD-Behandlungen dürfen nur von tierärztlichen MLD-Therapeuten durchgeführt werden, da die Darmschleimhaut aufgrund der Gekröseverhältnisse ganz besonders am Übergang zwischen dem Rektum und dem Colon descendens leicht perforiert werden kann.

Die Lnn. inguinales superficiales (oberflächliche Leistenlymphknoten) bilden mit den Lnn. subiliaci und dem inkonstanten, nur in 25 % der Fälle vorhandenen Ln. coxalis das Lc. inguinale superficiale, welches auch als Lc. inguinofemorale bezeichnet wird.

Baum (1928) benennt die Lnn. inguinales superficiales als Schamlymphknoten und die Lnn. inguinales profundi als Leistenlymphknoten.

Die beim männlichen Geschlecht auch als Lnn. scrotales bezeichneten oberflächlichen Leistenlymphknoten (Abb. 2.58) liegen seitlich und dorsal des Penis und werden durch den kreuzenden Samenstrang in ein 11–13 cm langes kraniales und ein 4–6 cm langes kaudales Lymphknotenpaket unterteilt. Bei der Stute (Abb. 2.59) ist das 10–14 cm lange, i. d. R. einheitliche Lymphknotenpaket an der Euterbasis gelegen. Bei beiden Geschlechtern kreuzen die A. und V. pudenda externa die oberflächlichen Leistenlymphknoten.

Die Palpation der oberflächlichen Leistenlymphknoten soll aufgrund der einschlägigen Literatur stets leicht möglich sein. Erfahrungen im Rahmen der MLD-Ausbildung zeigen jedoch, dass die Tastbarkeit sowohl der oberflächlichen als auch der tiefen Leistenlymphknoten unter physiologischen Bedingungen und besonders beim älteren Pferd nicht immer gelingt.

Die Größe aller Lymphknoten ist beim alten Pferd reduziert (Altersinvolution), insbesondere im Vergleich zum Fohlen: Beim Fohlen beträgt das Gesamtgewicht aller oberflächlichen Leistenlymphknoten nach Baum (1928) 3–17 g, während es z. B. bei einem über 20-jährigen Pferd nur etwa 2 g betragen soll.

Die Afferenzen (Zuflüsse) des Territoriums VII im Bereich der ventralen Bauchwand und der Beckengliedmaße veranschaulicht die Abbildung 2.50. Darüber hinaus drainieren die oberflächlichen Leistenlymphknoten beim männlichen Geschlecht das Skrotum, den Penis, das Präputium und die Harnröhre; beim weiblichen Geschlecht die Vulva, die Klitoris und das Euter (nicht jedoch die weibliche Harnröhre!).

Der größte Anteil der Lymphe der inneren Geschlechtsorgane (z. B. von Hoden und Ovar) einschließlich der weiblichen Harnröhre wird primär oder sekundär von den Lnn. iliaci mediales drainiert.

Die Efferenzen (Abflüsse) der Lnn. inguinales superficiales erreichen die Lnn. inguinales profundi (siehe Abb. 2.572.59). Im Gegensatz zu Baum (1928) und der einschlägigen anatomischen Literatur wird nach Rothe (2004) die Lymphe der Haut des Fußes nicht in die oberflächlichen Leistenlymphknoten, sondern über tief verlaufende Kollektoren in die Lnn. inguinales profundi drainiert (siehe dazu Kapitel 2.2.7).

 

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Abb. 2.58:
Lymphdrainagesystem der männlichen Geschlechtsorgane nach Baum (1928): (1) Lnn. inguinales superficiales (scrotales), (2) Lnn. inguinales profundi, (3) Lnn. iliaci mediales, (4) Lnn. hypogastrici. Beachte, dass die Lymphgefäße des Hodensackes (Pfeile) die Lymphe in die Lnn. inguinales superficiales drainieren.

 

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Abb. 2.59:
Lymphdrainagesystem der weiblichen Geschlechtsorgane nach Baum (1928): (1) Lnn. inguinales superficiales (mamarii), (2) Lnn. Iliaci mediales., (3) Lnn. lumbales aortici, (4) Lnn. hypogastrici, (5) Lnn. ischiadici, (6) Lnn. anorectales, (H) Harnblase, (M) Milchdrüse, (O) Ovar, (R) Rektum, (UK) Uteruskörper, (UH) Uterushorn, (V) Vagina. Merke: Die zahlreichen in Reihe geschalteten Lymphknoten (siehe oben) bewirken einen hohen Strömungswiderstand bzw. verdeutlichen die eingeschränkte Effektivität bei MLD-Behandlung im Territorium VI.

 

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Abb. 2.60:
Medialansicht der tiefen Kollektoren der Beckengliedmaße nach Baum (1928): (1) Lnn. inguinales profundi, (2) Lnn. poplitei proprii, (3) Lnn. iliaci mediales, (4) Lnn. iliaci laterales. Die Lnn. inguinales profundi sind z. T. in der Beckenhöhle gelegen.

Die Lnn. inguinales profundi (tiefe Leistenlymphknoten) repräsentieren das Lc. inguinale profundum, welches auch als Lc. iliofemorale bezeichnet wird. Das 8–12 cm lange Lymphknotenpaket liegt im Schenkelkanal an der A. und V. femoralis am Ursprung der A. und V. profunda (Abb. 2.60).

Häufig wird von den MLD-Therapeuten der Schenkelkanal mit dem Schenkelspalt verwechselt. Zu beachten ist, dass ein mehr oder weniger großer Anteil der tiefen Leistenlymphknoten an der Innenwand der Beckenhöhle gelegen ist.

Die Palpation der tiefen Leistenlymphknoten ist aufgrund ihrer Lage noch schwieriger als die der Lnn. inguinales superficiales.

Aufgrund der engen topografischen Beziehung zwischen der V. femoralis und dem tiefen inguinalen Lymphknotenpaket können femorale Venenthrombosen den Lymphabfluss behindern, während ein vergrößertes Lymphknotenpaket Einfluss auf den venösen Abfluss nehmen kann. Dies ist eine Möglichkeit für die Entstehung von Phlebolymphödemen der Beckengliedmaße (siehe auch Kapitel 2.1 und Kapitel 10)

Die Afferenzen (Zuflüsse) der tiefen Leistenlymphknoten drainieren prinzipiell die Muskeln und Sehnen des Beckens und der Beckengliedmaße, alle Gelenke und das Periost der Knochen, aber auch Lymphe aus dem Uterus und Penis sowie aus der Haut des Fußes.

Auch die Efferenzen des Lc. popliteum (siehe Kapitel 2.2.7) drainieren in die Lnn. inguinales proff. (siehe Abb. 2.57).

Die Efferenzen (Abflüsse) der tiefen Leistenlymphknoten erreichen i. d. R. die Lnn. iliaci mediales (siehe Abb. 2.57).

Zu beachten ist, dass mitunter einzelne Efferenzen der Lnn. inguinales profundi ohne weitere Lymphknotenpassage direkt in die Lendenzisterne (Cisterna chyli) einmünden. In diesem Fall können z. B. Tumormetastasen ohne weitere Lymphknotenpassage in das Blutsystem gelangen.

 

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Abb. 2.61:
Richtungsbegriffe und Körperebenen beim Pferd, umgezeichnet in Anlehnung an Wissdorf et al. (2010).

2.2.7 Das Lymphgefäßsystem der Beckengliedmaße des Pferdes

Beim Pferd sind besonders genaue Kenntnisse über die Angioarchitektur der oberflächlichen und tief verlaufenden Kollektoren nach Baum (1928) erforderlich, da lymphvaskulär bedingte Umfangsvermehrungen häufiger am Hinterbein als am Vorderbein auftreten.

Eine bisher in der Veterinärmedizin wenig beachtete Erklärung (Berens v. Rautenfeld) dafür ist die vergleichsweise schwache Kollektorenwandpumpe und der im Vergleich zur Schultergliedmaße längere Lymphdrainageweg der Beckengliedmaße zum linken Venenwinkel.

Auch die im Vergleich zur Schultergliedmaße geringere Standbelastung der Beckengliedmaße und der Umstand, dass besonders alte Pferde im »Stehen schlafen«, könnten einen Einfluss auf die unterschiedliche Ödemneigung der Extremitäten haben. Diesbezüglich sollte auch bedacht werden, dass Pferde nur kurzfristig »stillstehen« und nur ältere Pferde grundsätzlich den passiven Stehapparat zum Standschlafen nutzen. Helling vermutet, dass beim liegenden Pferd der Lymphfluss durch den hohen Auflagedruck und die ungünstige Winkelung der Gelenke, besonders der Beckengliedmaße, ungünstig beeinflusst werden könnte. Eine Abklärung dieser These kann nur durch aufwendige invasive lymphszintigraphische Untersuchungen erfolgen.

Die Behandlungsstrategie der MLD muss im Gegensatz zu den Verhältnissen beim Menschen sowohl den Verlauf der hypodermalen Kollektoren als auch den Verlauf der sub- bzw. intrafaszialen Kollektoren berücksichtigen, da beim Pferd beide Kollektorensysteme an der Gliedmaße hautnah gelegen sind (siehe Kapitel 2.1.3.2).

Die oberflächlich gelegenen hypodermalen Kollektoren verlaufen isoliert ohne Kontakt zu großen Blutgefäßen im dermisnahen Anteil der subkutanen Verschiebeschicht. Im Gegensatz zu den subkutanen Kollektoren des Menschen bilden die hypodermalen Kollektoren des Pferdes keine Gefäßbündel. Bei Anwendung der MLD sollten der gewundene Verlauf der Kollektoren (siehe Abb. 2.50, Abb. 2.55) und deshalb die Richtungsbegriffe (Abb. 2.61) an der Beckengliedmaße bekannt sein:

 

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Abb. 2.62a:
Die halbschematische Abbildung zeigt die besondere Lymphdrainagesituation im Bereich des Pferdefußes der Beckengliedmaße nach Berens v. Rautenfeld und Rothe (Rothe, 2004). Beachte das angedeutete Netz von Lymphgefäßen in der Dermis. Beim Pferd wird die Haut zwischen Hufsaum (hier nicht dargestellt, unterhalb des Bildes) und Fesselgelenk, einschließlich der unteren Drittelgrenze der Röhre, von kurzen oberflächlichen Kollektoren drainiert, welche hier in nur einen tiefen Kollektor einmünden. In der Folge gelangt Lymphe über das subfasziale (tiefe) Hauptdrainagesystem der Beckengliedmaße in die tiefen Leistenlymphknoten (Lnn. inguinales profundi). Dagegen wird weiter proximal, etwa im Bereich des mittleren Drittels der Röhre (oben im Bild), die Lymphe der Haut über lange oberflächliche Kollektoren (siehe Kollektor oben links) innerhalb der Hypodermis bzw. Subkutis in die oberflächlichen Leistenlymphknoten (Lnn. inguinales superficiales) drainiert. Die Abbildung soll verdeutlichen, dass die Sehnen, das Periost sowie die Gelenkkapsel über das tiefe System von Kollektoren drainiert werden. Typisch für die Blutversorgung und möglicherweise auch für die Lymphdynamik sind zahlreiche aus dem Arteriensystem entspringende Vasa lymphorum, welche hier als Arteriolenringe um den tiefen Kollektor schematisch dargestellt sind. Die oberflächliche Faszie zwischen Hypodermis und subfaszialem Raum ist gestrichelt gezeichnet, da sie im Bereich des Pferdefußes keine fasziale Wasserscheide bzw. Ödem- und Infektionsbarriere gewährleistet.

Die Lnn. inguinales superficiales sind medial im Schenkelspalt gelegen. Deshalb schlingen sich ihre lateralen Afferenzen ab Höhe des Sprunggelenkes bis über das Kniegelenk einerseits um die »Vorderkontur« (über dorsal), andererseits über die »Hinterkontur« (über plantar) der Beckengliedmaße nach medial, um in die oberflächlichen Leistenlymphknoten einzumünden.

Die hypodermalen Kollektoren der Beckengliedmaße drainieren nicht nur in die oberflächlichen Leistenlymphknoten, sondern auch in vier weitere Lymphknotengruppen, die innerhalb des Territoriums VII besondere Bereiche der Haut drainieren (siehe Abb. 2.50, Abb. 2.55):

image Die Lnn. subiliaci drainieren das latero-kranial gelegene Hautareal am Oberschenkel.

image Die Lnn. inguinales superficiales drainieren den distalen Abschnitt des latero-kaudal gelegene Hautareals am Oberschenkel, die Haut des Unterschenkels und die Haut des proximalen und mittleren Mittelfußbereiches, nicht jedoch die Haut des distalen Fußes (siehe unten).

image Die Lnn. poplitei profundi drainieren ein relativ schmales Hautareal am latero-plantaren Oberschenkel, Unterschenkel und Mittelfuß. Die Lnn. poplitei profundi (Kniekehllymphknoten) fanden bisher keine Erwähnung, weil ihre efferenten Kollektoren in die Lnn. inguinales profundi drainieren. Deshalb bilden sie beim Pferd kein eigenes Territorium, sondern sollten dem Territorium VII zugeordnet werden. Bis zu zwölf Kniekehllymphknoten liegen auf dem M. gastrocnemius in der Tiefe der Kniekehle verdeckt zwischen dem M. biceps femoris und dem M. semitendinosus. Dadurch sind sie unter physiologischen Bedingungen nicht tastbar. Aus lymphologischer Sicht allerdings gibt die Palpation vergrößerter Kniekehllymphknoten einen Hinweis auf pathologische Flüssigkeitsansammlungen im Bereich ihrer afferenten Versorgungsgebiete. Dazu gehören das oben erwähnte laterale Hautareal, die Fascia cruris, die Sehnen bzw. Sehnenscheiden und Muskeln des Unterschenkels, aber auch die Gelenke des Fußes. Die lymphszintigraphischen Untersuchungen von Gaedke (2007) zeigen, dass nur bei jungen Pferden die Lnn. poplitei detektiert werden können.

image Die Lnn. inguinales profundi drainieren nach Berens v. Rautenfeld und Rothe (2002) die Haut des Fußes vom Kronsaum bis zur unteren Drittelgrenze des Mittelfußes (Abb. 2.62a, b).

Aufgrund der einschlägigen Literatur (siehe z. B. Vollmerhaus und Ross, 1996) soll die Haut des Fußes beim Pferd über lange hypodermale Kollektoren in die Lnn. inguinales supff. drainiert werden. Die Abbildung 2.63 (Rothe, 2004) zeigt jedoch, dass im distalen Fußbereich die Lymphe der Haut über kurze hypodermale Kollektoren direkt in tiefer gelegene Kollektoren gelangt. Aus pathophysiologischer Sicht ist dieser Befund von Bedeutung (Risse, 2004), da bei verletzungsbedingten Lymphgefäßerkrankungen im distalen Extremitätenbereich das tiefe Kollektorensystem einen effektiveren Lymphabfluss gewährleistet.

In Analogie zu den Verhältnissen beim Menschen ermittelte Rothe (2004), ob auch beim Pferd ein »kollektorenarmer« und »kollektorenreicher« Typ individuell (als Variabilität) ausgebildet sein können. Das individuelle Vorhandensein eines »kollektorenarmen« Typs ist wie beim Menschen auch beim Pferd von klinischer Bedeutung, da sich bei chirurgischen Hautschnitten bei Durchtrennung einzelner Kollektoren bereits eine Lymphödematisierung entwickeln kann, während Pferde mit einer größeren Anzahl von epifaszialen oder subfaszialen Kollektoren ödemfrei bleiben würden.

Beim Menschen variiert die Anzahl subkutaner, längs verlaufender sogenannter Hauptkollektoren individuell. Entsprechende Angaben bzgl. subfaszialer Kollektoren fehlen in der Literatur. Nach Kubik (2002) gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen einem epifaszialen »kollektorenarmen« und einem »kollektorenreichen« Typ, während Schacht (2000) einen eher »fließenden« Übergang zwischen beiden Kollektorentypen beschreibt.

 

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Abb. 2.62b:
Präparierter Pferdefuß der Beckengliedmaße, Kollektoren mit Berliner Blau gefüllt. Aus der rechten Farbstoffquaddel (blau) in der Dermis erreicht ein kurzer hypodermaler Kollektor einen tief verlaufenden Kollektor, welcher gemeinsam mit Blutgefäßen vom Huf (rechts im Bild) bis zum Daumen der Hand (links im Bild) verläuft. Aus der mittleren und linken Farbstoffquaddel gehen oberflächliche Kollektoren hervor, welche nicht in den tief verlaufenden Kollektor einmünden, sondern in der Subkutis, nach proximal verlaufend, die oberflächlichen Leistenlymphknoten erreichen.

Beim Pferd ist die individuelle Anzahl sowohl der hypodermalen (epifaszialen) als auch der tiefer gelegenen subfaszialen Hauptkollektoren nahezu identisch, während die Anzahl der kurzen oberflächlichen (epifaszialen) Kollektoren des Fußes und die Kollateralen bzw. Anastomosen zwischen den tief verlaufenden (subfaszialen) Hauptkollektoren außerordentlich variieren können.

Von besonderem Interesse ist die Frage, ob der Zustand des Pferdes mit »angelaufenen Beinen« auf eine geringere Anzahl von Kollektoren und somit auf das Vorliegen eines Lymphödems zurückzuführen ist. Die wenigen von Rothe (2004) untersuchten Pferde zeigten diesbezüglich eine auffallend geringe Anzahl von Kollateralen und Anastomosen der tiefen Kollektoren, während im Bereich der oberflächlichen Kollektoren nur die Anzahl kurzer Kollektoren des Fußes variiert. Eine statistische Absicherung dieser Einzelbefunde steht noch aus.

 

Die tief gelegenen subfaszialen Kollektoren verlaufen intraoder subfaszial im Verbund mit Blutgefäßen besonders dicht am venösen Saphena-System und somit vornehmlich auf der Medialseite der Beckengliedmaße mit Anschluss an die Lnn. inguinales proff. (siehe Abb. 2.60, Abb. 2.63). Grundsätzlich sollten alle in die tiefen Leistenlymphknoten drainierenden Lymphsammelgefäße dem tiefen Kollektorensystem zugeordnet werden.

Der Hauptabfluss der Lymphe erfolgt innerhalb der Beckengliedmaße im Gegensatz zum Menschen nicht über die subkutanen bzw. hypodermalen Kollektoren, sondern über das tief verlaufende System von Kollektoren.

Ein effektiver Abfluss der Lymphe innerhalb des tiefen Kollektorensystems ist nach Rothe (2004) nicht durch eine größere Anzahl von Hauptkollektoren im Vergleich zu den oberflächlichen Kollektoren gegeben, sondern in erster Linie durch die größere Anzahl glatter Muskelzellen in der Wand tief verlaufender Kollektoren.

Der Hufschuh wird ausschließlich von tiefen Kollektoren drainiert. Bei der MLD-Behandlung mit möglichst breitflächigem Handgriff auf der Medial- und Lateralseite der Extremität werden gleichzeitig sowohl die subfaszialen Kollektoren als auch die epifaszialen Kollektoren zur Kontraktion angeregt.

2.2.8 Das Lymphgefäßsystem der Schultergliedmaße des Pferdes

In Anlehnung an die Verhältnisse der Beckengliedmaße entsprechen sich die folgenden grundsätzlichen lymphvaskulären Gegebenheiten:

image In der Dermis sind ein oberflächliches Netz von Lymphkapillaren und ein tiefes Netzsystem von Präkollektoren und Kollektoren ausgebildet.

image In der Hypodermis (Subkutis) verlaufen hypodermale Kollektoren, welche mit den dermalen Kollektoren das oberflächliche oder epifasziale Kollektorensystem repräsentieren.

image Unterhalb der Armfaszien verlaufen die subfaszialen oder tiefen Kollektoren.

image Das Hauptdrainagesystem wird durch die tiefen Kollektoren gebildet, während die oberflächlichen Kollektoren das Nebendrainagesystem der Schultergliedmaße bilden.

image Der Fuß wird durch kurze hypodermale Kollektoren direkt in das System subfaszialer Kollektoren drainiert.

Zu beachten ist, dass die Lymphe des Vorderhufes im Gegensatz zum Hinterhuf nicht in eine, sondern in zwei Lymphknotengruppen, sowohl in die Lnn. cervicales supff. als auch in die Lnn. cubitales, drainiert wird.

Die Lymphe der Schultergliedmaße wird primär von drei Lymphknotengruppen drainiert:

image Die Lnn. cervicales superficiales drainieren die Schultergliedmaße mit Ausnahme des Hautanteils, welcher im Bereich der Schulter vom Territorium IV eingenommen wird (siehe Abb. 2.50). Beachte dass auch tief verlaufende Kollektoren in diese Lymphknotengruppe einmünden.

image Die Lnn. cubitales (Ellbogenlymphknoten) drainieren Muskeln, Sehnen und Gelenke des Unterarms und Fußes. Offen ist, ob sie auch für Anteile der Haut tributär sind (siehe unten). Die etwa fünf bis zehn Lymphknoten liegen proximomedial zwischen dem M. biceps brachii und dem Caput mediale des M. triceps brachii.

image Die Lnn. axillares proprii (Achsellymphknoten) drainieren das Hautterritorium IV, aber auch die Schulter- und Oberarmmuskulatur. Dieses Lymphknotenpaket liegt kaudomedial am Schultergelenk in der Höhe des Gefäßabganges der A. subscapularis aus der A. axillaris.

Im Bereich der Schultergliedmaße ergibt sich ein Problem im Hinblick auf die territoriale Einteilung des Pferdes, weil ungeklärt ist, ob den Lnn. cubitales ein eigenes Territorium zugestanden werden muss. Im Kapitel 2.2.5 wird der Begriff des »Territoriums« lediglich in Bezug auf die Haut (Berens v. Rautenfeld) als Einzugs- oder Tributärgebiet eines Lymphocentrums genutzt (z. B. sind die Lnn. axillares proprii tributär für das »Hautterritorium« IV).

Das bedeutet, dass den Lymphknoten, welche Strukturen unter der Haut (z. B. Muskeln, Sehnen, Gelenke, Knochen, aber auch die inneren Organe) drainieren, keine Territorien zugestanden werden. Die territoriale Einteilung ist somit keine anatomische, sondern eine lymphologische Definition, welche möglichst für alle Tierspezies einheitlich genutzt werden sollte, bei denen Bedarf für die Durchführung der MLD besteht.

Zurück zu den Lnn. cubitales und ihrem Anspruch auf ein eigenes Territorium. Der wichtigste Grund, warum wir den Lnn. cubitales kein Territorium zuordnen, ist die Ungewissheit, ob sie überhaupt ein Hautareal drainieren. Nach Baum (1928) sollen sie für die Haut des Fußes tributär sein, während der Fuß sowohl der Beckengliedmaße als auch der Schultergliedmaße nach Rothe (2004) über subfaszial verlaufende Kollektoren, drainiert wird. Die einschlägigen neuen veterinärmedizinischen Lehrbücher nehmen i. d. R. allein Bezug zur Monographie von Baum (1928) oder erwähnen die Haut als Einzugsgebiet nicht (Budras und Röck, 2009; Wissdorf et al., 2010).

Hinzu kommt, dass in der Baum’schen Abbildung (Abb. 2.64) die zwei dargestellten oberflächlich verlaufenden afferenten Kollektoren nur am Fuß ihren Ursprung haben, darüber hinaus können die Lnn. cubitales fehlen und sie sind nur beim Pferd als eigenständige Lymphknoten des Lc. axillare ausgewiesen. Bei Berücksichtigung aller dieser Aspekte können nur neue anatomische Untersuchungen diesen Sachverhalt klären, sodass wir den Lnn. cubitales zunächst kein Territorium zugestehen.

 

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Abb. 2.64:
Medialansicht des tiefen Lymphdrainagesystems der Schultergliedmaße nach Baum (1928): (1) Lnn. cubitales, (2) Lnn. axillares proprii. Beachte, dass fast alle Kollektoren der Medialseite in die Lnn. cubitales einmünden.

Für den Lymphdrainagetherapeuten sind diese Ausführungen über den Hautbezug der Lnn. cubitales vermutlich verwirrend. Ein Trost mag sein, dass bei »großflächiger MLD-Behandlung« der Medialseite am Fuß und Unterarm gleichzeitig sowohl die Kollektoren zu den Lnn. cervicales supff. als auch die zu den Lnn. cubitales unter einer Hand zur Kontraktion angeregt werden.

Aus lymphologischer Sicht ist besonders zu beachten, dass die Lnn. cubitales, neben Muskeln und Sehnen des Unterarms, alle Gelenke distal des Ellbogengelenkes drainieren.

Die Lnn. axillares proprii drainieren das Territorium IV (siehe Abb. 2.35, Abb. 2.50), welches von der Brust- und Bauchwand über den Margo tricipitalis auf die Haut der Schulter im Bereich des M. triceps brachii (Caput longum) übergreift.

Die Lnn. axillares proprii werden nicht als »tiefe«, sondern nur als Achsellymphknoten bezeichnet, weil beim Pferd keine oberflächliche Lymphknotengruppe vorhanden ist. Die Lymphknoten sind nicht tastbar, da sie tief kaudal des Schultergelenks medial auf dem M. teres major gelegen sind.

Afferenzen (Zuflüsse) sind von Baum (1928) aus der Schulter- und Oberarmmuskulatur, aus den Bauchmuskeln, dem M. latissimus dorsi und dem M. pectoralis profundus nachgewiesen worden. Aus therapeutischer Sicht ist zu beachten, dass die Achsellymphknoten das Schulter- und Ellbogengelenk, aber auch Teile des Rippenfells drainieren.

Die Efferenzen (Abflüsse) der Lnn. axillares proprii erreichen die Lnn. cervicales profundi caudales.

Zu beachten ist, dass die Lnn. cervicales profundi caudales als wichtige übergeordnete Schaltlymphknoten des »vorderen oberflächlichen Körperabschnittes« Lymphe aus den Lnn. axillares proprii (Territorium IV), aus den Lnn. cervicales superficiales (Territorium III), aber auch aus dem Truncus jugularis (Territorien I und II) drainieren (siehe Abb. 2.35). Das trifft allerdings nur für die linke Körperseite zu (Abb. 2.37), da sich kontralateral sowohl die Lnn. cervicales supff. als auch die Lnn. mediastinales cran. die Aufgabe als Schaltlymphknoten, als letzte Lymphknotenstation vor Einmündung in das Lymphgefäßsystem, »teilen«.

Zur Durchführung der MLD ist die Verlaufsrichtung der Kollektoren von Bedeutung (siehe Abb. 2.55). Dabei ist besonders Folgendes zu beachten:

image Im Bereich der Schultergliedmaße zeigen sowohl die oberflächlichen als auch die tief verlaufenden Kollektoren eine identische Verlaufsrichtung zu den Lnn. cervicales superficiales und Lnn. cubitales.

image Am Fuß und am Unterarm bis zum Ellbogengelenk ist die Anordnung aller Kollektoren sowohl medial als auch lateral geradlinig und parallel zur Extremitätenachse verlaufend ausgerichtet (siehe Abb. 2.64).

image Die lateral am Unterarm gelegenen Kollektoren der Lnn. cervicales superficiales verlaufen in proximaler Richtung konvergierend über (lateral) und hinter (kaudal) dem Buggelenk (siehe Abb. 2.50, Abb. 2.55).

image Die medial am Unterarm gelegenen Kollektoren der Lnn. cervicales superficiales konvergieren am proximalen Ende des Unterarms nach kranial, um bogenförmig verlaufend die seitliche Brustfurche vor dem Buggelenk zu erreichen und in die oberflächlichen Halslymphknoten einzumünden (siehe Abb. 2.50, Abb. 2.55).

2.2.9 Das Lymphsystem der Sehne

Der Dissertation von Tanja Helling (2008) ist ein eigenes Kapitel gewidmet, da die Autoren des Buches davon ausgehen, dass Tendopathien eine besonders wichtige Indikation für den palliativen Einsatz der MLD darstellen werden. Auf eine Verteilung dieser ausgezeichneten Befunde (Tanja Helling erhielt einen Vortragspreis der humanmedizinischen Gesellschaft Deutschsprachiger Lymphologen) auf verschiedene Kapitel des Buches ist verzichtet worden, um die anatomischen und klinischen Ergebnisse im Zusammenhang präsentieren zu können. Dennoch ist es ratsam, dass die Lymphdrainagetherapeuten die Dissertation im Original studieren.

2.2.9.1 MLD-Behandlung von Tendopathien

Anstoß zu dieser Dissertation waren unveröffentlichte sonographische Befunde, welche Anna Rötting an akut erkrankten Beugesehnen nach Anwendung der MLD in Berlin vor der Milleniumwende erhoben hatte. Sie konnte einen positiven Einfluss der MLD auf sonographische Strukturveränderungen in diesen Sehnen nachweisen, deren Relevanz auf eine mögliche Verkürzung der Therapiedauer durch Nutzung anderer therapeutischer Maßnahmen bisher noch schwer einzuschätzen ist.

Dennoch kommt die MLD bei Tendopathien zunehmend zum Einsatz, wobei sich die therapiebegleitenden Tierärzte besonders auch vom Entstauungseffekt akut ödematöser Sehnen überzeugen ließen. Ob die extrem lange Therapiedauer von Tendopathien durch die MLD tatsächlich verkürzt werden kann, müssen weitere wissenschaftlich orientierte Untersuchungen zeigen. Zur Verifizierung des Therapieerfolges von Tendopathien dürfte eine sonographische Beurteilung der Sehne nicht ausreichen, da elektronenmikroskopische Untersuchungen der Arbeitsgruppe um Drommer (Damsch et al., 1992) zeigen, dass bei einer großen Anzahl von Pferden ohne bekannte Vorgeschichte einer Tendopathie auffallende Veränderungen in der kollagenen Textur zu finden waren, welche sonographisch nur schwer zu erfassen sein dürften.

 

2.2.9.2 Lymphvaskuläre Angioarchitektur der Beugesehnen

Helling (2008) gelang es erstmals, den Aufbau des Lymphgefäßsystems besonders im Zentrum der Sehne zu rekonstruieren, da bislang entsprechende Untersuchungen einschließlich beim Menschen nicht vorliegen.

Betrachtet man zunächst die Oberfläche der Sehne, dann findet man in einem gefäßversorgenden Sehnensegment vier bis fünf starkkalibrige Kollektoren, aber nur eine Arterie und zwei Venen (Abb. 2.66).

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842685215
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Anwendung Behandlung Lehrbuch Lymphdrainage Lymphgefäßsystem Pferd Veterinärmedizin

Autoren

  • Dirk Berens v. Rautenfeld (Herausgeber:in)

  • Christina Fedele (Autor:in)

  • Dr. Anna Rötting (Mit Beiträgen von)

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Titel: Lymphologie und Manuelle Lymphdrainage beim Pferd