Lade Inhalt...

Die richtige Diagnose in der Kleintierpraxis

Untersuchung und Befunderhebung

von Ad Rijnberk (Autor:in) Freek J. van Sluijs (Autor:in)
368 Seiten

Zusammenfassung

Die fachgerechte und systematische Untersuchung von Patienten ist die Basis einer sicheren und präzisen Diagnosestellung und Therapie. Professionelle diagnostische Fähigkeiten sind somit das größte Kapital jedes Tierarztes!
Dieses Buch stellt systematisch den kompletten Untersuchungsgang bei Hund, Katze, kleinen Heimtieren und Vögeln dar. Die Autoren geben praktische Anleitungen für die einzelnen Untersuchungsmethoden und zeigen häufige Fehler. Sie beschreiben den Umgang mit den Instrumenten und gehen auf tierartliche Besonderheiten ein.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Autoren

Department Geneeskunde van Gezelschapsdieren, Utrecht Universiteit, Niederlande

M. H. Boevé

W. E. van den Brom

S. C. Djajadiningrat-Laanen

A. M. van Dongen

J. de Gier

H. A. W. Hazewinkel

L. J. Hellebrekers

B. W. Knol

H. S. Kooistra

J. T. Lumeij

B. P. Meij

H. F. L’Eplattenier

J. J. van Nes

Ad Rijnberk

J. H. Robben

J. Rothuizen

G.R. Rutteman

A. C. Schaefers-Okkens

M. B. H. Schilder

Freek J. van Sluijs

F. C. Stades

A. A. Stokhof

E. Teske

L. F. H. Theyse

A. J. Venker-van Hagen

I. Westerhof

T. Willemse

M. A. Wisselink

Vakgroep Geneeskunde en klinische Biologie van de Kleine Huisdieren, Universiteit Gent, Belgien

A. De Rick

L. Van Ham

J. Declercq

E. Schrauwen

L. Verhaert

Vakgroep Medische Beeldvorming van de Huisdieren en Orthopedie van de kleine Huisdieren, Universiteit Gent, Belgien

B. Van Ryssen

 

 

DVD

Koordination: E. Teske, Utrecht

Technische Umsetzung: M. J. A. Mudde, Utrecht

Vertonung: P. Grinninger, Utrecht

Formulare: R. N. van Blokland, Y. W. E. A. Polllak

Vorwort zur ersten niederländischen Auflage

Die Anamnese und körperliche Untersuchung sind die tragenden Säulen der klinischen Arbeit, und dennoch hat eine detaillierte Beschreibung der Methodik für Kleintiere bislang gefehlt. Mit diesem Buch wurde der Versuch unternommen, diese Lücke zu schließen.

Der Ansatz basiert auf den Methoden der veterinärmedizinischen Fakultäten zweier niederländisch-sprachiger Universitäten, in Utrecht (Niederlande) und Ghent (Belgien), und zeigt auch die Verbindung zwischen diesen Universitäten. Das Buch folgt einem Konzept, das im letzten Jahrzehnt mit Nachdruck entwickelt wurde: ein Untersuchungsgang, der so weit wie möglich an der Fragestellung orientiert ist. Der Untersucher lernt, mittels einer limitierten Untersuchung das vom Besitzer geschilderte Problem zu definieren und durch entsprechende Auswahlschritte seine Effizienz zu steigern. Auf diese Weise wird es möglich, die vorhandene Zeit hauptsächlich zur Problemlösung zu nutzen.

In vielen Kapiteln folgt die Beschreibung der Methoden diesem selektiven Ansatz. Am Ende zahlreicher Kapitel findet sich ein Formular, das die rasche Orientierung im Themengebiet erleichtert. Einige dieser Formulare werden schon seit Jahren erfolgreich eingesetzt; andere wurden neu entwickelt und noch nicht abschließend in der Praxis getestet.

Die Herausgeber danken den Autoren herzlich für ihre Beiträge und ihr Einverständnis, diese an das Buchformat zu adaptieren. Wenngleich bereits im Umschlagteil genannt, verdienen E. M. Klaasen-van Slobbe, BA (Assistenz des Herausgebers), Bert Janssen (Zeichnungen) und R. N. van Blokland, DVM (Formulare) besonderen Dank für ihre engagierte und kompetente Mitwirkung. Wir hoffen, dass dieses Buch den Weg zu seinen Lesern findet und zur Verbesserung der tierärztlichen Behandlung von Kleintieren beiträgt.

Frühling 1990

A. Rijnberk und H. W. de Vries

1 |  Einleitung
A.Rijnberk

Anamnese und körperliche Untersuchung sind die Methoden, mit denen sich der praktizierende Tierarzt Zugang zur vom Besitzer beschriebenen Problematik bei einem Tier verschafft. Die dabei gewonnenen Informationen sind entscheidend für das weitere Vorgehen und dienen als Leitfaden für den klinischen Behandlungsplan. Diese Erfahrungswerte aus der Klinik wurden auch durch eine empirische Studie in der Humanmedizin bestätigt. Bei 26 von 100 Patienten führte die gründliche Untersuchung durch den behandelnden Arzt zu einer erheblichen Änderung der Diagnose und Behandlung.1

Der zielgerichtete Einsatz von biochemischen und biophysikalischen Prinzipien hat die Möglichkeiten der Labordiagnostik und bildgebenden Verfahren erheblich erweitert. Dennoch dienen Anamnese und körperliche Untersuchung nach wie vor als wichtigste Richtschnur für die weiterführenden Untersuchungen und die Kontrolle des Behandlungserfolgs. Ein breitflächiges Labor-Screening ist weit weniger ergiebig als eine gezielte Laboruntersuchung, die sich aus den Ergebnissen von Anamnese und körperlicher Untersuchung ableitet.2

Dieses Buch beschreibt die Methodik beim Kleintier so, dass es sich auch für die studentische Ausbildung eignet. Im Allgemeinen gilt der veterinärmedizinische Unterricht als Ausbildung in einer wissenschaftlichen Disziplin.3 Man kann diese Einschätzung zu einem gewissen Grad infrage stellen; zunächst muss man sich jedoch klarmachen, was Wissenschaft eigentlich bedeutet.

Die Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft (Pseudowissenschaft, Mythologie und Metaphysik) wurde insbesondere durch den Wissenschaftsphilosophen Karl Popper klar getroffen.4,5 Poppers kritischer Rationalismus ist eine rationelle Methode zur Lösung von Problemen,6 die im Wesentlichen folgende Vorgehensweise beinhaltet: Ein Problem wird erkannt. Zur Erklärung dieses Problems wird eine Theorie (Hypothese) formuliert. Von dieser Theorie werden mittels logischer Ableitung (Deduktion) angreifbare Basissätze abgeleitet, deren Gültigkeit durch Beobachtung und Experimente überprüft wird. Wenn die Ergebnisse mit den Voraussagen übereinstimmen, wird die Theorie vorläufig als bestmögliche Annäherung an die objektive Wahrheit akzeptiert. Wenn die Ergebnisse nicht mit den Voraussagen in Einklang stehen, ist die Theorie nicht gut (= angefochten und widerlegt) und muss verworfen werden. In der Folge ist das Problem noch einmal zu definieren und eine neue Theorie zu formulieren. Abbildung 1.1 stellt diesen Ablauf schematisch dar.

Die zentrale Frage der Wissenschaft lautet daher nicht, wie die mutmaßliche Wahrheit zu finden ist, sondern wie die Unwahrheit zu ermitteln und auszuschließen ist. Dabei gewinnt die stärkste Theorie. Die überlebende Theorie ist in diesem Moment die größtmögliche Annäherung an die Wahrheit und wird praktisch »nach bestem Wissen und Gewissen« bis auf Weiteres als Wahrheit angesehen. Theorien müssen so klar wie möglich formuliert sein, um so eindeutig wie nötig widerlegt (falsifiziert) werden zu können. So wird deutlich, welches Experiment sich eignet, die Theorie zu widerlegen. An diesem Punkt gelangt man an die Grenze zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft: Eine Theorie ist wissenschaftlich, wenn sie falsifizierbar ist. Es ist also unwissenschaftlich, Beweismaterial zu sammeln, um eine Theorie zu stützen; hierdurch würde die Theorie vielmehr den Charakter eines nicht anfechtbaren Glaubenssatzes (Religion) erhalten.

In Poppers Nachfolge haben andere, wie der Philosoph Kuhn mit seiner Paradigmentheorie, eine bedeutsame gedankliche Erweiterung der Unterscheidung zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft unternommen. Kuhn hat unter anderem gezeigt, dass wissenschaftliche Entwicklungen langfristig nicht nur rationalen Gesetzmäßigkeiten folgen, sondern auch durch soziale, ökonomische, kulturelle, politische und religiöse Faktoren beeinflusst werden. Später stellte Lakatos wieder die Entwicklung oder Auswahl von Theorien in den Mittelpunkt, wobei Wissenschaft als rationale Tätigkeit gegen die irrationalen Elemente aus Kuhns Paradigmentheorie verteidigt wird.7 Dieser sogenannte Falsifikationismus kann als Erweiterung von Poppers rationalem Ablaufschema zum Ausschluss von Theorien angesehen werden.

Poppers naive Falsifikation kennt nur einen Weg: die Elimination des Schwachen. Im Gegensatz dazu geht bei der raffinierten Falsifikation der Ausschluss einer Theorie mit der Annahme einer Alternative einher. Beim raffinierten Falsifikationismus wird die wissenschaftliche Theorie T1 nur dann aufgegeben, wenn sie von einer Theorie T2 ersetzt wird, welche die folgenden Eigenschaften aufweist:

 

 

1. Der empirische Gehalt von T2 ist größer als der von T1; aus T2 sind neue Tatsachen ableitbar, die nach T1 unwahrscheinlich oder sogar unzulässig waren.

2. T2 erklärt den vorausgegangenen Erfolg von T1; alle nicht widerlegbaren Anteile von T1 werden von T2 übernommen.

3. Die neuen Anteile von T2 sind teilweise experimentell belegt.

Ein weiteres Merkmal von Lakatos' raffiniertem Falsifikationismus ist die gleichzeitige Entwicklung unterschiedlicher alternativer Theorien. Manchmal können unterschiedliche Theorien eine Zeitlang nebeneinander existieren. Die Entscheidung zwischen Ausschluss und Annahme kann nicht immer sofort getroffen werden. Zwischen dem Aufstellen der Theorie und der Entdeckung neuer Tatsachen kann Zeit verstreichen. Als wissenschaftlichen Maßstab verwendet Lakatos nicht die einzelne Theorie, sondern die Art und Weise, wie die zentralen Theorien aufeinander aufbauen, wobei er sie mit dem neu gefundenen Faktenmaterial in Beziehung setzt.

Der raffinierte Falsifikationismus scheint eine gute methodische Basis für klinische Entscheidungsprozesse zu sein. Wir werden in Kapitel 3 darauf zurückkommen. Allerdings wird schon jetzt darauf hingewiesen, dass nicht alle Diagnosen auf rein deduktiven Schlussfolgerungen beruhen.8 Oft spielt auch eine auf Wissen und Erfahrungen basierende Mustererkennung eine Rolle.9 Sie führt zur Entwicklung von Ideen, die dann überprüft werden.10

Auf den ersten Blick ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Methodenbeschreibungen für körperliche Untersuchungsgänge wissenschaftliche Elemente enthalten. Das Problemelösen ist hier kein Thema, aber es werden kleine Exkurse in klinische Fragestellungen unternommen.

Das Buch selbst verdient es, auf wissenschaftliche Weise studiert zu werden. Der Stoff und die Aussagen wurden nach unserem besten Wissen sorgsam ausgearbeitet. Es stellt dar, was wir zurzeit als Wahrheit annehmen, da es der am wenigsten wackelige Sockel ist, den wir zur Verfügung haben. Natürlich sind alle darin enthaltenen Aussagen sehr geeignet für eine Falsifizierung. Dieser Ansatz ist hier besonderes wichtig, weil vieles auf Mitteilungen von Klinikern beruht und nicht systematisch getestet wurde. Diese Überprüfung könnte in den kommenden Jahren stattfinden.

Die Inhalte dieses Buches bieten sich als »Handwerkzeug« zur Lösung der Fälle an, mit denen Kleintierbesitzer an uns herantreten. Um die zur Verfügung stehende Zeit bestmöglich zur wissenschaftlichen Problemlösung zu nutzen, haben wir uns für eine Vorgehensweise entschieden, bei der die körperliche Untersuchung stark auf die Fragestellung fokussiert ist. Das Handwerkzeug kann auf effiziente Weise zur Eingrenzung der Fragestellung eingesetzt werden, um eine anschließende Konzentrierung auf die wissenschaftliche Problemlösung zu ermöglichen.

Literatur

1. Reilly BM (2003): Physical examination in the care of medical patients: an observational study. Lancet 362: 1100–1105.

2. Dzankic SD, Pastor C, Gonzalez C (2001): The prevalence and predictive value of abnormal preoperative laboratory tests in elderly surgical patients. Anesth Analg 93: 301–308.

3. Rapportage Werkgroep Ontwikkelingsplan Diergeneeskunde. 112th meeting. Veterinary Faculty Council, Utrecht University, 16 Oct, 1980.

4. Magee B: Popper. Aula-boek 533. Het Spectrum, Utrecht, 1974.

5. Popper KR: The logic of scientific discovery. Hutchinson, London, 1980. Originaltitel: Logik der Forschung, Erstausgabe Wien 1934.

6. Koningsveld H: Het verschijnsel wetenschap. Boom, Meppel, 1980.

7. Lakatos I: Wetenschapsfilosofie en wetenschapsgeschiedenis. De controverse tussen Popper en Kuhn. Boom, Meppel, 1974. (Originaltitel: Falsification and methodology of scientific research programmes. In: Lakatos I, Musgrave A (eds.): Criticism and the growth of knowledge. Cambridge University Press, Cambridge, 1970.)

8. Ridderikhoff J (1993): Problem-solving in general practice. Theor Med 14: 343–363.

9. McCormick JS (1986): Diagnosis: the need for demystification. Lancet 2: 1434.

10. Karhausen LR (1987): Diagnosis: the need for demystification. Lancet 1: 387.

2 |  Ziel der Problemorientierten Untersuchung
A. Rijnberk und F. J. van Sluijs

2.1 Ziel des Buches

Dieses Buch richtet sich an Studenten der Veterinärmedizin und an Tierärzte, die sich für Kleintierkrankheiten interessieren. Es ist auf das fachliche Profil eines Kleintierpraktikers in einer regulären Praxis abgestimmt, in der sich mindestens ein Tierarzt hauptsächlich mit der Behandlung von Kleintieren befasst.1 Dementsprechend beschränkt sich die Beschreibung der Untersuchungsmethoden auf das, was ein Praktiker mit Schwerpunkt Kleintier tatsächlich einsetzen würde. Methoden, die nur in spezialisierten Kliniken zum Einsatz kommen, werden in diesem Buch lediglich am Rande erwähnt, um aufzuzeigen, welche zusätzlichen diagnostischen Möglichkeiten beim Spezialisten existieren.

Das Buch befasst sich vornehmlich mit der Anamnese und körperlichen Untersuchung von Hund und Katze. Im Allgemeinen sind diese Methoden auch auf andere Spezies übertragbar. Tierartspezifische Besonderheiten für die Anamnese und körperliche Untersuchung von Vögeln, Kleinsäugern und Reptilien werden in eigenen Kapiteln abgehandelt.

Der Titel wurde gewählt, um stärker auf die Thematik hinzuweisen, als ältere Begriffe wie »Klinische Diagnostik« oder »Klinische Untersuchung« das tun, die lediglich betonen, dass es sich um einen Gegenstand aus dem Bereich der Diagnostik oder Untersuchung in einem klinischen Umfeld handelt. Dieser könnte schließlich auch Labordiagnostik oder Radiologie beinhalten.

Das Buch stützt sich auf die Annahme, dass der Tierarzt sich aus zwei Gründen mit der Anamnese und körperlichen Untersuchung befasst:

1. Um die Hintergründe eines vom Tierhalter geschilderten Problems auszuleuchten. Auf dieser Grundlage (Diagnose) kann der Tierarzt die Erwartungen des Besitzers erfüllen, die darin bestehen, dass er Erkenntnisse über Art und Schweregrad der Erkrankung gewinnen und nach Möglichkeit eine Behandlung verordnen soll.

2. Um einen konkreten Wunsch des Tierhalters anforderungsgerecht zu erfüllen, wie z. B. eine Impfung, das Ausstellen eines Gesundheitszeugnisses oder eine Untersuchung auf Zuchttauglichkeit.

Auch wenn diese Aufzählung vollständig erscheint, gibt es eine wichtige Einschränkung: Beim ersten Punkt würde eine Unregelmäßigkeit, die noch keine für den Tierhalter sinnfälligen Symptome hervorruft, nicht zwangsläufig entdeckt. Hierfür wären regelmäßige Gesundheits-Check-Ups besser geeignet als eine Untersuchung, die aus einem speziellen Anlass durchgeführt wird.

Die Untersuchung wird also in hohem Maß durch die Motive gelenkt, aus denen der Tierhalter den Rat des Tierarztes sucht. Deshalb wird hier ein Konzept gewählt, bei dem nur solche Untersuchungen durchgeführt werden, die im Hinblick auf das vom Besitzer dargestellte Problem tatsächlich gute Erfolgschancen haben.

2.2 Aufbau der Untersuchung

Beim Blick in Bücher über die körperliche Untersuchung von menschlichen oder tierischen Patienten wird klar, dass die meisten Autoren großen Wert auf eine gründliche und vollständige Untersuchung als Grundlage für den weiteren Behandlungsplan legen.2 In der Praxis hingegen findet eine vollständige körperliche Untersuchung selten oder nie statt. Hier wird die Untersuchung mithilfe der Vorgeschichte und des ersten Eindrucks rasch auf den Bereich eingegrenzt, der wahrscheinlich am schnellsten zur genaueren Abklärung der Fragestellung führen wird.3

Es finden also zahlreiche Selektionsschritte statt, um die Effizienz einer Untersuchung zu steigern. Mit wachsender Erfahrung werden diese Auswahlschritte spezifischer, woraus sich meist sehr leistungsfähige Verfahren entwickeln. Allerdings ist diese Arbeitsweise dem Studierenden schlecht zu vermitteln, sodass wir Modelle für ein selektiveres Untersuchungskonzept gesucht haben. Es scheinen jedoch keine brauchbaren Modelle zu existieren, auch wenn es vereinzelt Ansätze gibt.4 Sogar die Literatur zum problemorientierten Herangehen an den Patienten beschreibt die körperliche Untersuchung als essenzielle Grundlage, ohne zu erläutern, dass diese Untersuchung durch die Anamnese und den ersten Eindruck vom Patienten beeinflusst wird.5 Es gibt auch Autoren, die eine selektivere Untersuchung ablehnen und die Auffassung vertreten, der Tierarzt müsse sich darin üben, alle Organsysteme angemessen zu untersuchen. Es wurde sogar behauptet, dass »der erfahrene Praktiker ein Tier mit Leichtigkeit in weniger als zehn Minuten gründlich untersuchen kann« und »eine vollständige körperliche Untersuchung nicht mehr als fünf bis acht Minuten dauern sollte«.7 Es muss klar sein, dass diese Einstellung zu einer flüchtigen Untersuchung oder, in der Praxis häufiger, zu einer Einschränkung der Untersuchung führt. Das Missverständnis scheint sich aus dem Begriff der »Routineuntersuchung« herzuleiten, der auch in der medizinischen Lehre verbreitet ist. Es gibt keine Routineuntersuchung. Die körperliche Untersuchung hat immer einen spezifischen Grund und ein bestimmtes Ziel.8

Seit 1971 wird an der Veterinärmedizinischen Fakultät Utrecht die körperliche Untersuchung so gelehrt, dass nach der allgemeinen Untersuchung die Entscheidung getroffen werden kann, nur eines oder wenige Organsysteme zu untersuchen.9 An dieses Konzept halten wir uns. Daraus hat sich in Verbindung mit dem problemorientierten Ansatz der Untersuchungsaufbau entwickelt, der in Abb. 2.1 dargestellt wird. Bei diesem Aufbau sind zwei wichtige Fragen zu beantworten:

1. Handelt es sich um einen Notfall?

Wenn der Eindruck besteht, die Situation könne ein Organ bedrohen oder lebensgefährlich sein, muss die Untersuchung vollständig nach dem in Kapitel 23 aufgezeigten Schema ablaufen. In den übrigen Fällen werden – soweit es sich um einen Erstkontakt mit dem Patienten handelt – erste Informationen vom Tierhalter eingeholt und das Signalement des Tieres dokumentiert (Kap. 5). Im Anschluss wird die Vorgeschichte erfragt (Kap. 6) und dann ein Gesamteindruck vom Tier gewonnen (Kap. 7).

2. Wurde das Problem mittels Anamnese und Feststellung des Gesamteindrucks so weit erfasst, dass spezielle Untersuchungen (anhand eines Leitfadens) durchgeführt werden können?

Diese Frage ist mit ja zu beantworten, wenn der Tierhalter ein konkretes Anliegen hat: z. B. eine Impfung oder das Ausstellen eines Gesundheitszeugnisses (Kap. 27). Gleiches gilt in der Regel für Fälle mit lokal begrenzten Veränderungen z. B. an Ohren und Augen, Lahmheiten oder oberflächlichen Läsionen und Schwellungen. Auch in anderen Fällen kann die Problemerfassung manchmal in diesem Stadium abgeschlossen und mit einer speziellen Untersuchung (mit oder ohne Leitfaden) fortgefahren werden.

Wenn das Problem mithilfe von Anamnese und Gesamteindruck nicht hinreichend erfasst werden kann und/oder Symptome einer Allgemeinerkrankung vorliegen, wird eine ausführlichere Allgemeinuntersuchung durchgeführt (Kap. 8), um Veränderungen zu finden, die im ersten Überblick nicht aufgefallen sind und helfen, das Problem zu verdeutlichen. Je nach Problemlage werden dann ein oder mehrere Organsysteme ganz oder teilweise untersucht (Kap. 9 und folgende).

Aus Abb. 2.1 geht hervor, dass der Ablauf der Untersuchung weitgehend durch die Aufgabenstellung festgelegt ist. Die Aufgabenstellung umfasst alles, was untersucht und/oder behandelt werden soll.10 Mit diesem Aufbau ist es möglich, das Problem zu einem frühen Zeitpunkt zu formulieren und durch die dann erhobenen Befunde weiter zu präzisieren. Die Dokumentation (Notierung) der Befunde wird in Kapitel 5 abgehandelt.

Für einige Fragestellungen steht ein »Leitfaden« zur Verfügung (siehe Kap. 2.6), anhand dessen die Untersuchung durchgeführt werden kann. Wenn während dieser Untersuchung neue Fragen auftauchen, können sie der Aufgabenliste hinzugefügt und im Anschluss angegangen werden (mit oder ohne Leitfaden). Natürlich kann auch eine spezielle Untersuchung, die sich direkt an die Anamnese und Feststellung des Gesamteindrucks anschließt, um Bestandteile der ausführlichen Allgemeinuntersuchung erweitert werden. Aus der Untersuchung kann der Vorschlag resultieren, einen chirurgischen Eingriff oder eine betäubungspflichtige weitere Untersuchung vorzunehmen. Hierzu muss das Tier nach der Anleitung in Kapitel 26 auf Narkosefähigkeit untersucht werden.

Mit diesem System wird versucht, die Untersuchungen auf das notwendige Maß zu beschränken, um die verfügbare Zeit so weit wie möglich zur Lösung des Problems zu nutzen, dessentwegen der Tierhalter das Tier vorgestellt hat. Mit einer gut durchgeführten limitierten Untersuchung soll das bestmögliche diagnostische Ergebnis erzielt werden. Dieses Ziel ist gegenüber der »vollständigen körperlichen Untersuchung« zu bevorzugen, die meist in einer Fahndung nach offensichtlichen Veränderungen endet.

Der Ansatz steht zur Diskussion. Man könnte anführen, dass eine Einschränkung der Untersuchung nicht zu rechtfertigen ist, weil die Selektion auf unvollständigen Informationen basiert. Für die Autoren spielte diese Überlegung bei der Erstellung des Kapitels über die Allgemeinuntersuchung (Kap. 8) eine Rolle. Hier wurde überlegt, weitere Komponenten der körperlichen Untersuchung aufzunehmen, um so viele Organsysteme wie möglich zu erfassen. Allerdings blieb es dann doch bei dem jetzigen Kapitelinhalt, da die vorgeschlagenen Erweiterungen (z. B. Abtasten des Abdomens) für eine schnelle, aber sehr sensitive Übersichtsuntersuchung ungeeignet sind. Solche Erweiterungen kosten bei korrekter Durchführung viel Zeit, die meist nicht zur Verfügung steht oder zu Lasten anderer Aspekte der Allgemeinuntersuchung geht.

 

2.3 Wegweiser

Wie in Abb. 2.1 gezeigt kann dieses Konzept zu »speziellen Untersuchungen« führen. Nicht bei jedem Patienten muss eine spezielle Untersuchung Punkt für Punkt abgearbeitet werden. Bei vielen Fragestellungen hat sich ein Konsens herausgebildet, der hier als Wegweiser in Textform oder als Flussdiagramm (Algorithmus) dargestellt wird. Diese Thematik wird in Kapitel 3.2 ausführlicher diskutiert.

Das auch als »protokollarische Medizin« bezeichnete Konzept versucht dem Tierarzt einen Wegweiser für die Diagnose und/oder Behandlung an die Hand zu geben. Zusätzlich können diese Wegweiser auch zur Überprüfung der Kollegen dienen, denn es muss mit Nachdruck betont werden, dass sie ausschließlich auf Literaturangaben, theoretischen Überlegungen und klinischer Erfahrung beruhen und nicht systematisch getestet wurden. Ein Konsens leitet sich aus dem ab, was wir »nach bestem Wissen« sagen können, und wird sich in der Zukunft noch vielfach ändern.

In den letzten Jahren wurde großer Wert darauf gelegt, Entscheidungen in der Diagnostik und Behandlung so weit wie möglich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu stützen. Beispielsweise erschien im Jahr 2002 in der Humanmedizin eine neue Zeitschrift, die ausschließlich Standardprotokolle publiziert, die sich sehr stark auf Forschungsergebnisse stützen.11 Diese »Evidenzbasierte Medizin« (EbM) wird am Ende von Kapitel 3 kurz diskutiert.

Literatur

1. Nota Globale beroepsprofielen van de dierenarts en kwalitatieve kurrikulumprofielen van eerste en tweede fase (General report on professional profiles of the veterinarian and qualitative curriculum profiles of the first and second phase). Faculty of Veterinary Medicine, Utrecht University, September 1981.

2. McCurnin DM, Poffenbarger EM: Small animal physical diagnosis and clinical procedures. Philadelphia, Saunders, 1991, V.

3. Elstein AS, Shulman LS, Sprafka SA: Medical problem solving. An analysis of clinical reasoning. Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts, 1978.

4. Kelly WR: Veterinary clinical diagnosis. 2nd edn. Baillière Tindall, London, 1974, 13.

5. Osborne CA (1975): The transition of quality patient care from an art to science: the problem oriented concept. J Am Anim Hosp Assoc 11:250.

6. Low DG, Osborne CA, Finco DR (1975): The pillars of diagnosis: history and physical examination. In: Ettinger SJ (ed.): Textbook of veterinary internal medicine, diseases of the dog and cat. Saunders, Philadelphia, 1975, Chapter 3.

7. Lorenz MD (1993): The problem-oriented approach. In: Lorenz MD, Cornelius LM (eds.): Small animal medical diagnosis. 2nd edn. Lippincott, Philadelphia, 1993, 1–12.

8. Pols J (1989): Wie heeft er aandacht voor de prostaat? (Who cares for the prostate?) Ned Tijdschr Geneeskd 133: 2521.

9. Syllabus Klinische diagnostiek van de huisdieren (Clinical diagnosis in domestic animals). Faculty of Veterinary Medicine, Utrecht University, 1971.

10. van Sluijs FJ (1983): De toepassing van het probleemgerichte medisch dossier in de diergeneeskunde (Use of the problem-oriented medical record in veterinary medicine). Tijdschr Diergeneesk 108: 520.

11. Cannon CP (ed.): Critical pathways in cardiology. A journal of evidence-based medicine. Lippincott, Williams & Wilkins, Philadelphia, 2002.

3 |  Begriffsinventar und diagnostischer Prozess
A. Rijnberk und E. Teske

3.1 Begriffe

Die bei der körperlichen Untersuchung benutzten Begriffe wurden bisher nicht standardisiert.1 Im Gegenteil, die zur Beschreibung von Beobachtungen verwendeten Bezeichnungen variieren von Lehrbuch zu Lehrbuch. Einige klinisch bedeutsame Begriffe, die gelegentlich zu Missverständnissen führen, werden hier erläutert.

3.1.1  Klinische Zeichen und Symptome

In der Tierheilkunde werden die Begriffe »Symptome«, »Beschwerden« und »klinische Zeichen« manchmal synonym verwendet. Da unsere Patienten in der Regel nicht klagen, erscheint der Ausdruck »Beschwerden« in der Tiermedizin fehl am Platz. In der Humanmedizin wird der Ausdruck »Symptome« verwendet, um die Beobachtungen und Empfindungen des Patienten bezüglich des eigenen Körpers und seiner Produkte zu beschreiben. »Klinische Zeichen« sind die Befunde des Arztes während der körperlichen Untersuchung.1 In der Pädiatrie wird die Anamnese nicht vom Kind, sondern meist von den Eltern vorgetragen. Ähnlich präsentiert in der Tiermedizin der Besitzer oder Betreuer des Tieres die (Hetero-)Anamnese. Folglich kann man, ohne sich in semantischen Details zu verlieren, im Allgemeinen in der Tierheilkunde folgende Unterscheidung treffen:

1. Symptome sind die Veränderungen, die vom Tierhalter beobachtet werden.

2. Klinische Zeichen sind abweichende Befunde, die der Tierarzt während der körperlichen Untersuchung feststellt.

Möglicherweise beobachtet der Tierhalter eine Vielzahl von Symptomen, aber nur wenige davon veranlassen ihn, einen Tierarzt aufzusuchen. Letztere werden als iatrotrop bezeichnet (griechisch: iatros = Arzt, tropein = aufsuchen). Iatrotrope Symptome sind bedeutsam, da sie meist das Problem darstellen, das – aus Sicht des Besitzers – durch den Tierarzt zu lösen ist. Nicht immer werden sie durch das Hauptproblem des Patienten verursacht. Manchmal geht dessen Hauptproblem mit Symptomen einher, welche die Schwelle zur iatrotropen Erscheinung noch nicht überschritten haben.

3.1.2  Maßskalen

Bei der körperlichen Untersuchung spielt die Beobachtung eine tragende Rolle. Sie hat in vielen Fällen auch quantitativen Charakter und kann daher in Maßeinheiten ausgedrückt werden. In der Regel beinhaltet die Messung den Vergleich mit einer Menge derselben Art (Standard). Bei der Längenmessung bedienen wir uns einer Intervallskala,2 die auf einer Standardlänge basiert und bei der die Breite der Intervalle (Kalibrierung) die maximale Messgenauigkeit vorgibt. Bei der Gewichtsbestimmung vergleichen wir mit einem Standardgewicht.

Allerdings ist eine Intervallskala bei der körperlichen Untersuchung nicht immer zur Erhebung quantitativer Daten geeignet. Beispielsweise kann ein Knoten oder eine Umfangsvermehrung anhand der Größe und Beschaffenheit beschrieben werden. Die Größe kann durch sorgfältige Messung in drei Richtungen (je nach Zugänglichkeit) metrisch angegeben werden. Die Beschaffenheit kann mit bekannten Gegenständen oder Materialien verglichen werden, z. B. »wie Knetgummi«. Eine solche Beschreibung ist nicht quantitativ. Wir können sie aber mithilfe einer Ordinalskala in eine semiquantitative Rangfolge bringen.2 Eine Rangfolge für Beschaffenheiten könnte folgendermaßen aussehen: Die Beschaffenheit erinnert an (1) Wasser in einem Plastikbeutel, (2) Knetgummi, (3) Weichgummi, (4) Hartgummi oder (5) Stein.

Dieses Beispiel demonstriert auch das Problem von Ordinalskalen: die Exaktheit der Abgrenzung von Gruppen. Solche Skalen sind bisher in der Human- und Tiermedizin wenig verbreitet. In diesem Buch werden sie verwendet, wo sie angebracht erscheinen; z. B. werden in Kapitel 17.3.2 die Lahmheiten anhand einer Ordinalskala klassifiziert.

Zusätzlich zu der auf semiquantitative Klassifizierung einzelner Merkmale ausgelegten Ordinalskala stehen Nominalskalen2 zur Verfügung, die Merkmale anhand ihrer Bezeichnung kategorisieren. Einsatzgebiet ist z. B. die Klangbeschreibung bei der Perkussion: (1) hohler Klang, (2) gedämpfter Klang, ähnlich der Kategorisierung von Musikinstrumenten: (1) Piccoloflöte, (2) Blockflöte, (3) Oboe, (4) Klarinette. Nominalskalen unterliegen einer Reihe von Vorbedingungen, wobei die wichtigste die Eindeutigkeit der Kategorien ist, sodass keine Beobachtung mehr als einer Kategorie zuzuordnen ist. Das führt bei Untersuchungsbefunden unmittelbar zu Schwierigkeiten, sodass der Einsatz von Nominalskalen hier limitiert ist. Er beschränkt sich für gewöhnlich auf die Feststellung des Vorliegens oder der Abwesenheit (Skala mit zwei Kategorien = dichotome Skala).

Wir fassen zusammen, dass sich Befunde in drei Maßskalen beschreiben und bewerten lassen: der Nominalskala, der Ordinalskala und der Intervallskala. Mithilfe einer Ordinalskala können nominale Beobachtungen in eine Rangfolge gebracht werden, indem ihnen eine Punktzahl zugeschrieben wird (z. B. eine Beschaffenheit von 4). Wenn die Abstände zwischen den Punktzahlen gleich sind, erhält man eine Intervallskala.

Die Messung von Symptomen und klinischen Zeichen bezeichnet man als Klinimetrie.3 Diese Methode vereinfacht die Dokumentation des Krankheitsverlaufs und Behandlungserfolges. Auch bei der Überweisung von Patienten wird die weiterführende Diagnostik und Behandlung für den nachfolgenden Arzt durch möglichst quantitative Aufzeichnungen erleichtert.

3.1.3  Messfehler

Mehr noch als bei anderen Säulen der klinischen Untersuchung, z. B. der Labordiagnostik, ist die Messgenauigkeit bei der körperlichen Untersuchung beschränkt. Es gibt (1) zufällige und (2) systematische Messfehler. Ein Beispiel: Bei einer stationär aufgenommenen Katze beträgt die Körpertemperatur an sechs aufeinanderfolgenden Tagen zwischen 37,6°C und 37,8°C. Am siebten Tag wird die Temperatur von einem anderen Untersucher gemessen, der das Thermometer korrekt benutzt (weit genug einführt), und die Temperatur beträgt 38,2°C. Die Messreihe hatte also eine recht kleine Streuung und damit ziemlich große Präzision (= hohe Reproduzierbarkeit), aber einen systematischen Fehler, sodass die Ergebnisse auf einer Intervallskala eine geringe Genauigkeit aufweisen.

Dieselben Grundsätze gelten für Beobachtungen auf einer Nominalskala. Beispielsweise können mehrere unabhängige Untersucher einen Perkussionsklang als gedämpft bewerten. Dies ist eine präzise Beobachtung mit vollständiger Urteiler-Übereinstimmung (Interrater-Reliabilität). Wäre der eigentliche Perkussionsklang jedoch hohl gewesen, wäre ihre präzise Bewertung falsch. Es ist offensichtlich, dass eine falsche Zuordnung auf einer Ordinal- oder Nominalskala in der Regel ein schwerer Fehler ist.

Die Urteiler-Übereinstimmung spielt im klinischen Alltag eine große Rolle. Dies zeigt auch eine Studie, in der sechs Tierärzte die Herzen von 57 Hunden einer Rasse mit einer hohen Prävalenz an Klappendefekten auskultierten. Das Vorliegen des Klappendefekts war ultrasonographisch und phonokardiographisch bestätigt. Der Anteil von defekten Klappen mit Herzgeräusch, der von den Tierärzten entdeckt wurde, lag zwischen 63 und 88%. Hierbei erzielten die erfahrensten Untersucher die besten Ergebnisse.4

3.1.4  Prävalenz und Inzidenz

Bei Hunden lösen Magenkarzinome manchmal Erbrechen aus. In einer Gruppe von 200 Hunden mit chronischem Erbrechen wurde bei 30 Tieren ein Magenkarzinom gefunden. Dies bedeutet ein Auftreten (Prävalenz) von 30/200 = 0,15 oder 15% in dieser Population. In den Begrifflichkeiten der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird die Zufallswahrscheinlichkeit (P) für das Vorliegen einer Erkrankung (D) – Magenkarzinom – bei einem beliebigen Hund in der Population als P(D) = 0,15 ausgedrückt. Die Prävalenz ist klar vom Begriff der Inzidenz abzugrenzen, der das Auftreten neuer Erkrankungsfälle in einer Population innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z. B. ein Jahr) beschreibt. So kann in einer Population die Prävalenz an chronischen Erkrankungen hoch sein, obwohl die Inzidenz gering ist. Umgekehrt können kurzfristige Störungen wie z. B. Atemwegsinfekte in einer Population hohe Inzidenz, aber geringe Prävalenz aufweisen.

3.1.5  Sensitivität, Spezifität und Vorhersagewert

Von den 200 zuvor genannten Hunden mit chronischem Erbrechen lag in 40 Fällen sporadisches Erbrechen von Blut vor. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf ein Magenkarzinom. Zur Veranschaulichung der Situation eignet sich das Venn-Diagramm (Abb. 3.1). In diesem Diagramm steht U für das Universum, hier die Gesamtpopulation von Hunden mit chronischem Erbrechen. Die Patientengruppe mit der Erkrankung (Magenkarzinom) ist mit D gekennzeichnet. Die Gruppe mit dem nosographischen (= krankheitsbeschreibenden) Merkmal »Erbrechen von Blut« ist mit C gekennzeichnet. Nun können wir schauen, welche Aussage über D wir mithilfe von C treffen können.

Das Diagramm umfasst vier Untergruppen:

1. C ∩ D: Die Tiere, die Blut erbrechen und an einem Magenkarzinom leiden. Hier ergibt die Frage im Vorbericht nach dem Erbrechen von Blut ein »richtig positives« Ergebnis.

2. C ∩ D̅: Tiere mit »positivem Vorbericht«, aber ohne Magenkarzinom. Diese sind »falsch positiv«.

 

3. C̅ ∩ D: Tiere, die kein Blut erbrechen, aber dennoch an einem Magenkarzinom leiden. Sie sind »falsch negativ«.

4. C ∩ D̅: Tiere, die weder Blut erbrechen noch ein Magenkarzinom haben. Hier führt der Vorbericht zu einem »richtig negativen« Ergebnis.

Aus diesen Mengen und Teilmengen lassen sich mehrere bedingte und unbedingte Wahrscheinlichkeiten errechnen (siehe auch Tab. 3.1). Die unbedingte Wahrscheinlichkeit P(D) ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein erbrechender Hund ein Magenkarzinom aufweist. P(C) ist die unbedingte Wahrscheinlichkeit, dass ein beliebiger Hund Blut erbrechen wird. Allerdings bestand ja bei der Selektion die Bedingung »Hund erbricht«. P(D) und P(C) sind nur im gewählten »Universum« (Erbrechen) unbedingt. In großen epidemiologischen Studien nähert man sich den wirklich unbedingten Wahrscheinlichkeiten stärker an, wird sie aber niemals ganz erreichen.

Eine bedingte Wahrscheinlichkeit ist eine Wahrscheinlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen. Wenn z. B. die Voraussetzung »Bluterbrechen« erfüllt ist, welche Möglichkeiten bestehen dann? Hier wird auch nach diagnostischen und nosologischen Wahrscheinlichkeiten unterschieden.

Die nosologische Wahrscheinlichkeit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient Blut erbricht, unter der Voraussetzung, dass er ein Magenkarzinom hat bzw. nicht hat. Sie wird ausgedrückt als P(C/D). Die nosologische (= der Krankheit innewohnende) bedingte Wahrscheinlichkeit lässt sich aus Lehrbuchwissen ableiten; sie beinhaltet im Wesentlichen die Häufigkeit, mit der eine Auffälligkeit bei einer bestimmten Krankheit auftritt. Sie ist wenig relevant, wenn der praktische Tierarzt einer Fragestellung bei einem individuellen Patienten gegenübersteht.

Der Tierarzt ist hier mit einem anderen Problem konfrontiert: Der Patient erbricht Blut und es gilt herauszufinden, ob er an einem Magenkarzinom leidet. Deshalb ist die umgekehrte Wahrscheinlichkeit P(D/C) interessanter: die diagnostische Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient, der Blut erbricht, ein Magenkarzinom hat. Tabelle 3.1 fasst die verschiedenen bedingten und unbedingten Wahrscheinlichkeiten aus diesem Fallbeispiel unter Berücksichtigung der aktuellsten Terminologie zusammen.

Tab. 3.1

 

image

Bei sorgfältiger Betrachtung dieser Tabelle zusammen mit dem Venn-Diagramm wird vieles deutlich. Man erhält Einblick in zwei Eigenschaften eines Merkmals (einer Abweichung), nämlich in die Sensitivität und die Spezifität.1,5 Die Sensitivität P(C/D) gibt an, welcher Prozentsatz von Patienten, die an der Krankheit leiden, mithilfe einer bestimmten Diagnostik entdeckt werden. Die Spezifität P( C̅/D̅) gibt an, welcher Prozentsatz von Patienten, die die Krankheit nicht haben, auch wirklich negativ diagnostiziert wird. In obigem Zahlenbeispiel sind Sensitivität (0,83) und Spezifität (0,91) akzeptabel.

Der Vorhersagewert des Merkmals »Erbrechen von Blut« ist allerdings mittelmäßig (0,63), wohingegen der Vorhersagewert des Merkmals »kein Bluterbrechen« sehr hoch liegt (0,97). Daraus folgt, dass bei der Aufnahme des Vorberichts die Frage nach Bluterbrechen wertvolle Informationen zum Ausschluss eines Magenkarzinoms liefert, jedoch sehr viel weniger zur Diagnose eines Magenkarzinoms.

In der einschlägigen Literatur wird vielfach nur der nosologische Ansatz diskutiert, der – wie bereits erwähnt – nur von begrenztem klinischem Nutzen ist. Auch sind die Begriffe »falsch positiv« und »falsch negativ« doppelt belegt. Im Fallbeispiel liefert das Merkmal »Bluterbrechen« innerhalb der Patientengruppe ohne Magenkarzinom für den nosologischen Ansatz 9% falsch positive Daten, für den diagnostischen Ansatz hingegen 37%. In beiden Fällen spricht man von »falsch positiv«, was sehr missverständlich ist.

Die statistischen Berechnungen sind hier der Einfachheit halber nicht gezeigt, wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir von einer sehr kleinen Patientengruppe sprechen. Extrapoliert man die Ergebnisse (Stichprobe) auf künftige Patienten (Gesamtpopulation), so erfordert das die Festlegung eines Konfidenzintervalls.6 Den entsprechenden Tabellen7 ist beispielsweise zu entnehmen, dass der Vorhersagewert P(D/C) = 25/40 in 95% der Fälle zwischen 0,46 und 0,77 liegt.

In diesem Anschauungsbeispiel wurde zunächst entschieden, welche nosographische Eigenschaft (»Erbrechen«) der Stichprobe betrachtet werden sollte. Dann wurde überlegt, welchen Vorhersagewert ein bestimmtes Merkmal (»Erbrechen von Blut«) für das Vorliegen eines Magenkarzinoms hat. In diesem Fall wurde zugunsten eines Merkmals aus der Anamnese entschieden; ebenso wäre natürlich ein Test wie die Untersuchung von Erbrochenem auf Hämoglobin oder sogar der Hämatokrit im peripheren Blut infrage gekommen.

In der oben dargestellten direkten Methode zur Ermittlung des Vorhersagewertes eines bestimmten Symptoms oder diagnostischen Tests hängt das Ergebnis von der Indikation und damit von der Zusammensetzung der Stichprobe ab. Wenn die Stichprobe z. B. anstelle der Patienten, bei denen chronisches Erbrechen das iatrotrope Problem darstellt, alle Patienten mit Vorbericht Erbrechen enthielte, würden mit ziemlicher Sicherheit andere Vorhersagewerte resultieren. Bei der direkten Methode kann also immer die relevanteste Patientenstichprobe ausgewählt werden.

Manchmal wird stattdessen der konventionelle Ansatz der indirekten oder nosologischen Methode gewählt. Hierbei wird zuerst eine Patientengruppe mit gesicherter Diagnose ausgewählt und dann eine Kontrollgruppe aus größtenteils gesunden Tieren gebildet. Beide Gruppen werden einer bestimmten Untersuchung unterzogen und anschließend der Anteil von positiven und negativen Untersuchungsergebnissen in beiden Gruppen errechnet. Liegt dann z. B. der Prozentsatz positiver Ergebnisse in der Patientengruppe bei 90% und der Prozentsatz negativer Ergebnisse in der Kontrollgruppe bei 95%, beträgt die Sensitivität P(C/D) = 0,90 und die Spezifität P(C̅/D̅) = 0,95.

Diese nosologischen Ergebnisse ermöglichen dem Tierarzt eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit eines positiven oder negativen Testergebnisses bei einem individuellen Patienten, der eine bestimmte Krankheit tatsächlich hat. Sie sind in der Praxis relativ irrelevant, da bei der Konfrontation mit einem Patienten genau das Gegenteil gefragt ist: die diagnostischen Wahrscheinlichkeiten P(D/C) und P(D̅/C̅). Der praktische Tierarzt kennt aus Lehrbüchern die nosologischen Wahrscheinlichkeiten und dreht sie im Alltag zu diagnostischen Wahrscheinlichkeiten um. Diese (oft unbewusste) Umkehr gehört zur »klinischen Erfahrung«. Sie kann auch exakter vorgenommen werden, nämlich mithilfe des Bayes-Theorem.* In seiner einfachsten Form und auf die vorliegenden Daten bezogen kann man es so darstellen:

 

image

d.h., eine bedingte Wahrscheinlichkeit lässt sich aus der umgekehrten bedingten Wahrscheinlichkeit und den beiden unbedingten Wahrscheinlichkeiten errechnen. Man kann nun umformen:

P(C) = P(C/D)PD + {1 – P(C̅/D̅)}{1 – P(D)}

sodass der Vorhersagewert eines Tests errechnet werden kann, wenn seine Sensitivität und Spezifität sowie die Verbreitung der betreffenden Krankheit in der Population bekannt sind. Wie schon bei der direkten Methode hängt der Vorhersagewert auch hier stark von der Zusammensetzung der Stichprobe und damit von der Prävalenz P(D) der Erkrankung ab. Tabelle 3.2 veranschaulicht dies anhand einer fingierten Untersuchung über den Nutzen des peripheren Pulses zur Aufdeckung von (durch EKG bestätigten) Herzarrhythmien.

Offensichtlich beträgt für die Pulsmessung die Sensitivität P(C/D) = 90/100 = 0,90 und die Spezifität P(C̅/D̅) = 80/100 = 0,80. Der Vorhersagewert für die Pulsmessung als Indikator einer Arrhythmie liegt bei P(D/C) = 90/110 = 0,82.

Wäre in diesem Beispiel die Kontrollgruppe ohne Arrhythmien doppelt so groß gewesen, ergäben sich andere Werte (Tab. 3.3). Die Sensitivität und Spezifität wären dann ebenso wie das Risiko eines falsch negativen Ergebnisses unverändert (dies ist bedenkenswert!). Im Gegensatz dazu sinkt der Vorhersagewert eines positiven Befundes für das Vorliegen einer Arrhythmie deutlich: P(D/C) = 90/130 = 0,69, während der Vorhersagewert eines negativen Befundes für das Vorliegen einer Arrhythmie deutlich steigt: P(D̅/C̅) = 160/170 = 0,94 anstatt 80/90 = 0,89.

Diese Beispiele zeigen, dass die nosologischen Wahrscheinlichkeiten wenig nützen, wenn die unbedingte Wahrscheinlichkeit P(D), dass der Patient die Krankheit hat, unbekannt ist. Deutlich wird ferner, dass der Vorhersagewert eines diagnostischen Tests in einer großen Klinik mit vielen Patienten derselben Kategorie höher sein kann als in einer kleinen Praxis, in der diese Patientengruppe seltener auftritt. In Letzterer empfiehlt sich ein solcher Test eher zum Ausschluss dieser Krankheit.

 

Tab. 3.2

image

 

Tab. 3.3

image

Ein weiterer Einwand gegen die indirekte nosologische Methode bezieht sich auf die Zusammensetzung der Gruppen. Die Patientengruppe enthält manchmal besonders eindeutige Fälle, in denen ein positives Testergebnis früher auftritt als in weniger schweren Fällen. Eine Kontrollgruppe kann ebenso unrealistisch ausfallen, wenn sie nur gesunde Tiere enthält. Bedenken bestehen auch bei der Anwendung besonders invasiver diagnostischer Verfahren (z. B. Nierenbiopsie) an gesunden Tieren. Eine Kontrollgruppe erübrigt sich hingegen bei der direkten diagnostischen Methode, bei welcher der diagnostische Test aufgrund einer spezifischen Indikation durchgeführt wird. Dennoch muss gelegentlich auf den nosologischen Ansatz zurückgegriffen werden, insbesondere bei ersten Untersuchungen in einem neuen Gebiet. Bei sehr seltenen Krankheiten ist der Einsatz der direkten Methode manchmal nicht möglich.

Das zuvor Gesagte soll auch dazu anregen, sich mit Publikationen in veterinär- und humanmedizinischen Fachjournalen kritisch auseinanderzusetzen, in denen insbesondere bei der Erstbeschreibung neuer Methoden nur nosologische Wahrscheinlichkeiten angegeben werden. Diese können auf die beschriebene Weise in diagnostische Wahrscheinlichkeiten umgedreht werden und wie erläutert ist die direkte Methode zur Ermittlung des Vorhersagewertes eines diagnostischen Verfahrens meist zu bevorzugen. Zwar erscheint die Berechnung etwas kompliziert und die Informationen, die zur Berechnung dieser objektiven Wahrscheinlichkeiten gebraucht werden, sind oft (noch) nicht verfügbar. Doch das ist nicht das Entscheidende. Wichtiger ist, dass der Kliniker Einblick in das Zustandekommen mancher Ergebnisse gewinnt. So muss jedem klar sein, dass in einem Umfeld, in dem viele Patienten eine bestimmte Krankheit nicht haben, mit einer relativ großen Zahl von falsch Positiven zu rechnen ist. Wenn andererseits ein Großteil der Patienten die Krankheit hat, dann ist ein negatives Testergebnis weniger verlässlich und die Zahl der falsch Negativen steigt. Folglich hängen Test und Rahmenbedingungen voneinander ab. Im letztgenannten Fall (einer Universitätsklinik) ist ein Test mit einer hohen Sensitivität angemessen. In erstgenanntem Fall (einer kleinen Praxis) herrscht mehr Bedarf an einem schnellen Screening-Test mit hoher Spezifität zum Ausschluss einer Krankheit.

Bisher wurde hier nur das diagnostische Gewicht eines einzelnen nosographischen Merkmals betrachtet, doch ist dies eine allzu vereinfachte Darstellung des klinischen Entscheidungsprozesses. Fast immer fallen Entscheidungen aufgrund einer Vielzahl von nosographischen Merkmalen, wobei das Bayes-Theorem unbewusst auf subjektive Weise zur Entscheidungsfindung eingesetzt wird. Später können dann weitere Informationen dazukommen (z. B. Röntgenbilder, Biopsieergebnisse), die ebenfalls Unschärfen aufweisen und mit den bisherigen Befunden in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Auch hier kann die Wahrscheinlichkeitsrechnung zum Einsatz kommen.811 So denkt der Tierarzt bei einem Patienten mit einer Umfangsvermehrung an eine Entzündung, einen gutartigen oder einen bösartigen Tumor. Das Alter und Geschlecht des Patienten sowie Eigenschaften der Umfangsvermehrung könnten den Tierarzt veranlassen, die Wahrscheinlichkeiten für diese drei Diagnosen mit 0,65, 0,30 und 0,05 anzugeben. Hiermit leistet der Tierarzt eine integrierte Schätzung für drei komplexe diagnostische Wahrscheinlichkeiten [= P(D/C)]. Der Pathologe arbeitet bei der Beurteilung einer Biopsie anders. Er nutzt das Archiv oder sein eigenes Gedächtnis, um zu bewerten, wie ähnlich das histologische Bild demjenigen der drei erwähnten Differenzialdiagnosen ist [= P(C/D)]. Dann kann die Anfangswahrscheinlichkeit (A-priori-Wahrscheinlichkeit oder Meinung) des Praktikers mit der nosologischen Wahrscheinlichkeit des Pathologen multipliziert werden (Tab. 3.4). Damit wird die ursprüngliche Meinung durch den Beitrag des Pathologen gewichtet und das Ergebnis sind statistische Wahrscheinlichkeiten (A-posteriori-Wahrscheinlichkeiten). Das Überraschende daran ist, wie das Beispiel zeigt, dass am Ende oft ein Ergebnis steht, mit dem niemand gerechnet hat. Dieser Ansatz kann im diagnostischen Prozess außerordentlich nützlich sein.

Tab 3.4

 

3.2 Diagnostischer Prozess

Der diagnostische Prozess ruht auf drei Säulen:1

1. Mustererkennung, bei der der Tierarzt mithilfe von Lehrbuchwissen das klinische Bild einer bekannten Krankheit erkennt. So kann z. B. die Hundestaupe aufgrund des Zusammentreffens einiger charakteristischer Symptome erkannt werden.

2. Kausale Annäherung, deren Kern das logische Denken und pathophysiologische Kenntnisse bilden. Die Ursache eines Ödems kann z. B. anhand der Pathophysiologie dieses Phänomens analysiert werden.

3. Wahrscheinlichkeitsdiagnose, wobei sich die Diagnose auf die Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten stützt. Diese »Bayes-Diagnose« wurde oben beschrieben.

Oft wird die Diagnose mittels Interaktion dieser drei Komponenten gestellt, wobei die folgende Reihenfolge12 eingehalten wird (siehe auch Kap. 2):

image Zusammenstellung der Befunde, diese führt zur

image Formulierung des Problems.

image Auflistung der infrage kommenden Ursachen (soweit pathophysiologisch möglich).

image Zusammenstreichen dieser Liste, wobei vor dem Hintergrund der klinischen Manifestation des Problems die Wahrscheinlichkeit P(D/C) jeder Ursache betrachtet wird. Die Ursachen mit sehr geringen Wahrscheinlichkeiten werden von den weiteren Überlegungen ganz ausgeschlossen oder zeitweise zurückgestellt.

image Aufstellen eines Untersuchungsplans zur Abklärung der verbliebenen Differenzialdiagnosen. Dieser diagnostische Plan beruht auf den pathophysiologischen Möglichkeiten; allerdings spielen bei seiner Ausarbeitung auch andere Faktoren wie z. B. die technischen Möglichkeiten der Praxis und finanzielle Erwägungen eine Rolle.

image Beantwortung der Frage, ob sich alle klinischen Zeichen des Patienten mit der abschließenden Diagnose erklären lassen. Falls nein, erneute Problemformulierung und Wiederholung des Prozesses.

Dies ist im Wesentlichen die in Kapitel 1 beschriebene Methodik zur Problemlösung. Auf den klinischen Entscheidungsprozess bezogen kann das in Kapitel 1 (Abb. 1.1) dargestellte Schema zu dem in Abb. 3.2 gezeigten Schema erweitert werden. Ein bedeutsamer Unterschied zwischen diesem und dem in Kapitel 1 behandelten Schema ist das gleichzeitige Vorliegen mehrerer Theorien, die das Problem erklären könnten, und ihrer meist parallelen Überprüfung. Doch auch hier wird deduktiv für jede theoretisch mögliche Ursache ein bestimmtes Phänomen vorhergesagt, das dann überprüft wird. Beispielsweise kommen als Ursachen für eine Polyurie theoretisch unter anderem osmotische Diurese durch Niereninsuffizienz oder Diabetes mellitus in Betracht. In diesem Fall lässt sich vorhersagen, dass eine Isosthenurie (spez. Harngewicht von 1,010) oder eine Glukosurie vorhanden ist, und beide Phänomene können überprüft werden.

 

Ein weiterer Unterschied zu der Situation in Kapitel 1 liegt darin, dass aus den Befunden in der Regel mehrere Probleme abgeleitet werden. Außerdem wird im Anschluss an die Diagnose noch ein Schritt (Rückkehr zum Problem) eingefügt, der zu einer neuen Problemformulierung führen kann.

So ergibt sich ein Bild von der komplizierten Methodik, die der Kliniker zur Problemlösung anwenden muss. Wie erläutert lässt sich die Qualität des diagnostischen Prozesses prinzipiell durch Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung verbessern. Allerdings sind die dazu notwendigen Wahrscheinlichkeiten meist unbekannt. Im Gesamtablauf sind auch oft Zwischenentscheidungen zu treffen. Zusammengenommen erscheint es manchmal, als käme eine Diagnose eher durch einen diffusen Einfall zustande als durch logisches Denken.

Bis vor Kurzem fehlte dem Kliniker auch das sprachliche Rüstzeug, diese Gedankenprozesse auszudrücken, was als »wissenschaftliche Aphasie« bezeichnet wird.13 Chemiker und Physiker drücken ihre Gedankenmuster schon seit Langem in chemischen und mathematischen Formeln aus, wohingegen der Kliniker versucht, die Logik seiner Gedanken mit Worten zu beschreiben. Der Einsatz des Computers hat hier in den letzten Jahren eine Veränderung angestoßen. Weniger durch den Computer selbst als vielmehr durch computerbasierte Aufzeichnungsformate kann der Kliniker inzwischen den gedanklichen Ablauf genauer beschreiben. Hierzu dienen sogenannte Algorithmen, systematische Darstellungen der Abfolge von Schritten und/oder Entscheidungen, die notwendig sind, um ein Problem zu lösen. Zur Veranschaulichung dieses Sachverhaltes zeigt Abb. 3.3 ein Flussdiagramm zum Problem Mammatumor beim Hund. Solche Wegweiser sollen dem Tierarzt beim Aufstellen eines Untersuchungsplanes helfen, nachdem – wie im Ablaufschema erläutert – das Problem formuliert wurde. Nach diesem Ablaufschema und mit einem Untersuchungsplan verläuft die Annäherung an den Patienten stark heuristisch. Dieser heuristische Unterbau soll die Unzulänglichkeiten eines klinisch denkenden Verstandes, die man aus wissenschaftlichen Untersuchungen kennt, ausgleichen. Einige Ergebnisse aus Untersuchungen zur Psychologie klinischer Analysen14 seien hier kurz zusammengefasst:

 

 

image Im Gegensatz zu dem, was Studenten seit Langem als richtiger Ansatz gelehrt wird, fängt der Kliniker schon in einem sehr frühen Stadium an, Hypothesen zu formulieren.

image Die Zahl der gleichzeitig betrachteten Hypothesen ist in der Regel gering (selten mehr als fünf). Innerhalb dieses begrenzten Gedankenhorizontes können immer noch folgende Phänomene auftreten:

Die Hypothese kann ungenau formuliert sein, um auch widersprüchliche Befunde zu erklären.

Befunde können ignoriert werden, um nicht neue Hypothesen formulieren zu müssen.

Befunde, welche die bestehende Hypothese stützen, könnten überproportional gewichtet werden.

image Es gibt eine starke Neigung, Beobachtungen, die nicht zur Hypothese passen, einfach im Raum stehen zu lassen, anstatt eine neue Hypothese zu entwickeln. Dies scheint auf dem Bedürfnis des menschlichen Geistes zu beruhen, Schwierigkeiten auf eine Weise zu betrachten, die sie weniger schwierig erscheinen lassen.

image Die Fähigkeiten der Kliniker schwanken je nach Beschaffenheit des Problems ziemlich stark. Eine Methode zur Beschreibung der Kompetenzen eines Klinikers sind Fähigkeitsprofile, die problem- und situationsbezogen die individuellen Fähigkeiten darstellen.

image Die Fähigkeiten des Klinikers hängen zum Großteil von seinen Kenntnissen und Erfahrungen ab. Zusätzlich zu den Fachkenntnissen muss er vor allem über eine große Bandbreite an Erfahrungen mit ähnlichen Problemen verfügen, um zu entscheiden, welche Symptome und klinischen Zeichen im diagnostischen Prozess relevant sind. Der Stellenwert der Erfahrung bei der Lösung komplexer Probleme wurde schon in den 1960er Jahren in den klassischen Studien von De Groot15 deutlich. Seine Untersuchungen mit Schachspielern zeigten, dass Schachmeister sich von weniger guten Spielern nicht etwa in ihrer Fähigkeit zum vorausschauenden Denken unterschieden, sondern in ihrem Erinnerungsvermögen. Über die Qualität des Schachspiels entscheidet offenbar vor allem das Langzeitgedächtnis für die Anordnung der Figuren auf dem Brett.

image Bei schwer kranken Patienten neigen Ärzte dazu, eine zu gute Prognose abzugeben.16 In der Tiermedizin wurde diese innere Haltung nicht untersucht; hier könnte das Ergebnis aufgrund der Möglichkeit zur Euthanasie anders ausfallen.

Der hier skizzierte Weg zur Problemlösung ist kein Allheilmittel für alle klinischen Fragen. Er versteht sich als Richtschnur, die – vor dem Hintergrund des zuvor Diskutierten – folgende Möglichkeiten offeriert:

image Das Konzept der körperlichen Untersuchung und der Ablauf der diagnostischen Entscheidungsfindung erlauben eine frühe Formulierung von Hypothesen.

image Die Algorithmen (Wegweiser) bieten zahlreiche Alternativen und verringern so die Gefahr einer zu starken gedanklichen Einschränkung.

image Ein Kliniker mit weniger ausgeprägten Fähigkeiten hinsichtlich eines bestimmten Problems kann sich auf einen klaren Wegweiser verlassen.

Wir beschließen dieses Kapitel zu Recht mit einigen Anmerkungen über die zuvor angesprochenen Algorithmen. Diese Algorithmen sind meist auf den ersten Blick attraktiv; sie erscheinen als sehr rationaler Lösungsweg für das Problem. Wie bereits im vorausgehenden Kapitel erläutert, stellen sie jedoch im besten Fall das Ergebnis von Konsensgesprächen dar, d.h. Gesprächen zwischen Klinikern, die für das betreffende Gebiet eine Expertise ausweisen können. In den letzten Jahren gab es starke Bestrebungen, diagnostische Entscheidungswege auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zu stützen. Diese evidenzbasierte Medizin verbindet die besten wissenschaftlichen Daten und klinische Expertise mit den Prioritäten, Sorgen und Erwartungen der Patienten (in der Humanmedizin) und Klienten (in der Tiermedizin).17,18

Literatur

1. Wulff HR: Rational diagnosis and treatment. An introduction to clinical decision-making. 2nd edn. Blackwell Scientific Publications, Oxford, 1981.

2. Stevens SS (1946): On the theory of scales of measurement. Science 103: 677.

3. Feinstein AR (1983): An additional basic science for clinical medicine. IV. The development of clinimetrics. Ann Intern Med 99: 843.

4. Pedersen HD, Haggstrom J, Falk T (1999): Auscultation in mild mitral regurgitation in dogs: observer variation, effect of physical maneuvers, and agreement with color Doppler echocardiography and phonocardiography. Vet Intern Med 13: 56.

5. Galen RS, Bambino SR: Beyond normality: the predictive value and efficiency of medical diagnosis. Wiley, New York, 1975.

6. Bulpitt CJ (1987): Confidence intervals. Lancet 1: 494.

7. Diem K, Lentner C: Wissenschaftliche Tabellen. Documenta Geigy 7. Georg Thieme, Stuttgart, 1975.

8. Diamond GA, Forrester JS (1979): Analysis of probability as an aid in the clinical diagnosis of coronary-artery disease. New Engl J Med 300: 1350.

9. Sackett DL, Haynes RB, Tugwell P: Clinical epidemiology. A basic science for clinical medicine. Little, Brown, Boston/Toronto, 1985.

10. Schwartz WB, Wolfe HJ, Pauker SG (1981): Pathology and probabilities. A new approach to interpreting and reporting biopsies. New Engl J Med 305: 917.

11. Vandenbroucke JT (1980): De regel van Bayes. Hart Bulletin 11: 77.

12. Eddy DM, Clanton CH (1982): The art of diagnosis. Solving the clinicopathological exercise. New Engl J Med 306: 1263.

13. Feinstein AR (1974): An analysis of diagnostic reasoning. III. The construction of clinical algorithms. Yale J Biol Med 47: 5.

14. Elstein AS, Schulman LS, Sprafka SA: Medical problem solving. An analysis of clinical reasoning. Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts, 1978.

15. De Groot AD: Perception and memory versus thought. In: Kleinmuntz B (ed.): Problem solving: research, method and theory. Wiley, New York, 1966.

16. Christakis NA, Lamont EB (2000): Extent and determinants of error in doctor’s prognoses in terminally ill patients: prospective cohort study. Br Med J 320: 469.

17. Sackett DL, Straus SE, Richardson W: Evidence-based medicine. 2nd edn. Churchill Linvingstone, Edinburgh, 2000.

18. Cockcroft PD, Holmes MA: Handbook of evidence-based veterinary medicine. Blackwell, Oxford, 2003.


* Thomas Bayes (1702–1761). Presbyterianischer Pfarrer in England. Seine Schriften befassen sich mit Mathematik und Religion.

4 |  Methoden und Instrumente
A. Rijnberk und W. E. van den Brom

Die körperliche Untersuchung beruht auf unseren sensorischen Wahrnehmungen und manchmal wird unsere Wahrnehmung durch Zuhilfenahme von Instrumenten verbessert. Dieses Kapitel vermittelt grundlegende Informationen zu den Methoden, die bei sensorischen Beobachtungen zum Einsatz kommen.

Prinzipiell stehen uns der Geschmacks- und Geruchssinn, das Gehör, der Tastsinn und das Sehen zur Verfügung. Die Zeiten, in denen der Geschmackssinn eine Rolle spielte (süßer Geschmack von diabetischem Urin), liegen weit zurück. Der Geruchssinn spielt keine tragende Rolle bei der körperlichen Untersuchung. Lediglich bei Untersuchungen der Haut oder Maulhöhle kann ein besonderer Geruch bei der Erkennung einer spezifischen Krankheit helfen.

Heutzutage wird die körperliche Untersuchung vor allem mithilfe des Seh-, Tast- und Hörsinnes durchgeführt. Die Nutzung des Sehsinnes nennt man Adspektion, hier werden Form, Farbe und Bewegung erfasst. Mit dem Tastsinn werden Informationen über Form, Konsistenz und Temperatur des Untersuchungsgegenstandes gewonnen. Den Einsatz des Tastsinnes nennt man Palpation. Abgesehen von Geräuschen, die schon auf Distanz vernehmbar sind, wird der Hörsinn hauptsächlich zur Wahrnehmung von Lauten in der Brusthöhle eingesetzt. Diese Auskultation kann stattfinden, indem das Ohr an den Körper des Tieres gepresst wird, sie wird jedoch fast immer mithilfe eines Instruments durchgeführt, das den Schall zum Ohr des Untersuchers überträgt. Instrumente werden zum Teil auch bei der Adspektion und Palpation eingesetzt. Die Körpertemperatur wird nicht palpatorisch, sondern mittels eines Fieberthermometers ermittelt. Manchmal werden Reaktionen ausgelöst, die eine visuelle oder auditive Beurteilung erfordern, wie z. B. beim Patellarreflex oder dem Klopfen auf eine Körperhöhle (Perkussion).

Im Folgenden werden die Methoden und die dabei eingesetzten Instrumente und anderen Hilfsmittel beschrieben.

4.1 Methoden

4.1.1  Adspektion

Die Adspektion kann allgemein oder lokal sein. Die allgemeine Adspektion ist eine visuelle Betrachtung des gesamten Tieres oder großer Teile desselben (siehe Kap. 7). Sie muss immer bei guten Lichtverhältnissen durchgeführt werden.

In späteren Kapiteln ist auch von lokaler Adspektion die Rede. Manchmal wird dort die entsprechende Methode beschrieben, wie z. B. das Öffnen der Maulhöhle. In anderen Fällen wird ein Instrument benutzt, um sich Zugang zum Untersuchungsgebiet zu verschaffen, wie z. B. eine Pinzette zum Anheben der Haare bei der Hautuntersuchung (Kap. 8.3.4).

Für die lokale Adspektion ist manchmal eine lokale Lichtquelle erforderlich, meist eine kleine Stablampe. Einige Hohlräume und Gänge werden mit einem Spezialinstrument betrachtet, z. B. einem Otoskop oder Vaginoskop.

Beim Auge können aufgrund seiner Teiltransparenz die inneren Strukturen mithilfe einer Spaltlampe betrachtet werden (Kap. 19.4.9). Ihr spaltförmiger Lichtstrahl erzeugt eine optische Schnittfläche im Auge, an der optisch dichtere Teile oder Flächen durch Brechung und Streuung des Lichtstrahls heller erscheinen (Tyndall-Effekt). Tiefere Strukturen können mithilfe eines Ophthalmoskops betrachtet werden, wobei eine Dilatation der Pupille hilfreich ist.

4.1.2  Palpation

Die Palpation wird auf unterschiedliche Art und an vielen Orten eingesetzt. Sie beinhaltet die bestmögliche Nutzung des Tastsinns, was nur bei behutsamem Tasten gegeben ist. Bei zu hohem Druck verlieren die Fingerspitzen ihre Empfindlichkeit und die zu palpierenden Strukturen (z. B. im Bauchraum) könnten von der palpierenden Hand teilweise weggedrückt werden.

Zusätzlich zum reinen Tasten kann der sensorische Eindruck durch andere Manipulationen erweitert werden. Eine davon ist die Undulation, bei der eine Hand an die laterale Bauchwand gelegt wird, um Schwingungen im Bauchraum zu erfassen, die an der gegenüberliegenden Seite des Abdomens ausgelöst werden (Kap. 10.2.3 und 11.2.3).

Bei der Palpation einer Umfangsvermehrung werden Größe, Form, Konsistenz, Schmerzhaftigkeit und Verschieblichkeit beurteilt. Wenn Teile der Umfangsvermehrung sichtbar sind, kann auch eine adspektorische Beschreibung vorgenommen werden. Da die adspektorische und palpatorische Beschreibung von Umfangsvermehrungen in den folgenden Kapiteln nicht vorkommt, besprechen wir an dieser Stelle die wichtigsten Kriterien zur Charakterisierung einer Umfangsvermehrung.

image Ort. Die Lokalisation einer Umfangsvermehrung muss so genau wie möglich beschrieben werden. Oft kann schon dadurch ihr anatomischer Ursprung festgestellt werden.

image Größe. Die Größe einer Umfangsvermehrung wird in drei Dimensionen in metrischen Einheiten angegeben, wobei die Dicke von darüberliegenden Strukturen so gut wie möglich zu subtrahieren ist. Manchmal muss die Größe geschätzt werden, aber oft erlaubt die Lokalisation der Umfangsvermehrung eine Messung mit dem Lineal oder Maßband. Eine vergleichende Größenangabe wie z. B. »hühnereigroß«, »erbsengroß«, »orangengroß« ist zu ungenau.

image Form. Viele Umfangsvermehrungen haben eine charakteristische Form. Manchmal handelt es sich um eine diffuse Organvergrößerung bei Erhalt der ursprünglichen Form. In anderen Fällen steht die Form der Umfangsvermehrung mit derjenigen des Organs, aus dem sie hervorgeht, in keinerlei Zusammenhang. Als sehr nützlich haben sich Skizzen von Größe und Form der Umfangsvermehrung (mit Maßangaben!) erwiesen, die eine objektive Beurteilung von Veränderungen, wie z. B. Behandlungserfolgen, ermöglichen.

image Konsistenz. Konsistenzen von Umfangsvermehrungen reichen von weich und fluktuierend bis zu steinhart. Sie können mithilfe einer Ordinalskala (siehe Kap. 3) beschrieben werden.

image Schmerzhaftigkeit. Die Palpation eines Tumors löst meist keine Schmerzreaktion aus. Tumoren sind nur selten innerviert und entstehen häufig an Stellen, an denen sie keinen Druck auf umgebende Gewebe ausüben. Allerdings können Tumoren, die Knochen zerstören oder in Nervengewebe hineinwachsen, sehr schmerzhaft sein. Auch entzündliche Prozesse verursachen aufgrund des akuten Anschwellens von innervierten Geweben oft starken Schmerz.

image Verschieblichkeit. Die Verschieblichkeit einer Umfangsvermehrung wird untersucht, um festzustellen, ob eine Verbindung mit anderen Strukturen wie Knochen oder Haut besteht. Wenn hinsichtlich der Haut Zweifel bestehen, muss geprüft werden, ob sich eine kleine Hautfalte über der Umfangsvermehrung ebenso leicht aufziehen lässt wie über dem angrenzenden Gewebe.

image Abgrenzung und Oberfläche. Eine undeutlich abgegrenzte Umfangsvermehrung könnte ein infiltrierender bösartiger Tumor sein. Gutartige Tumoren sind in der Regel gut abgegrenzt. Neben der Frage der Ebenmäßigkeit und Abgegrenztheit kann auch die Dokumentation der Oberfläche (unregelmäßig oder glatt) nützlich sein.

image Farbe und Temperatur. Bei akuten Entzündungen ist die darüberliegende Haut oft durch den gesteigerten Blutfluss gerötet und warm. Wenn die Schwellung mit einem Blutaustritt aus den Gefäßen einhergeht, kann ihre Farbe von rot bis zu blau-violett oder gelb reichen, je nach Menge von reduziertem Hämoglobin und Hämoglobin-Abbauprodukten. Schwarzbraune Färbungen können durch Melanin-Ablagerungen entstehen.

image Ähnliche Umfangsvermehrungen. Manchmal kann das Vorhandensein weiterer Umfangsvermehrungen zur Identifizierung beitragen, da einige Neoplasien bevorzugt an mehreren Stellen auftreten und in einigen Fällen multiple Umfangsvermehrungen auf die Beteiligung regionaler Lymphknoten hinweisen.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse der Adspektion und der Palpation in hohem Maße von der darauf verwendeten Zeit und Aufmerksamkeit abhängen. Das gilt für alle Untersuchungen. Dies wurde durch eine Studie bestätigt, in der Ärzte hinsichtlich ihrer Fähigkeiten getestet wurden, eine Umfangsvermehrung in einem Silikonmodell zu palpieren.1 Hier korrelierte die Häufigkeit der Detektion positiv mit der Zeit, die für die Palpation aufgewendet wurde.

4.1.3  Perkussion

Streng genommen bedeutet Perkussion Klopfen. Manchmal wird ein Areal abgeklopft, um eine Schmerzhaftigkeit zu lokalisieren (Kap. 17.6). Im Allgemeinen jedoch bezeichnet der Begriff die akustische Perkussion.

Bei der Perkussion wird versucht, ein Gewebe so in Schwingungen zu versetzen, dass Schallwellen entstehen. Dabei handelt es sich um Longitudinalwellen, deren Schwingung der Dichte des Medium entspricht. Damit einhergehend entsteht eine Druckwelle – je dichter das Medium, desto höher ist der Druck. Die Intensität eines durch Klopfen erzeugten Tons ist am höchsten, wenn seine Frequenz der natürlichen Schwingungsfrequenz des Objektes entspricht (Resonanzschwingung). So ist es beispielsweise bei der Thoraxperkussion, bei der eine Vielzahl unterschiedlicher Schallfrequenzen erzeugt wird. Beim gesunden Großhund liegt die maximale Amplitude bei einer Frequenz von 200 Hz, was der natürlichen Schwingungsfrequenz des Thorax in einer von vielen möglichen Schwingungsformen entspricht. Bei kleinen Hunden liegt der Perkussionsschall höher als 200 Hz. Es kommt also durch Resonanz zu einer selektiven Schallverstärkung, wobei die Selektion der Frequenzen von mehreren Eigenschaften des Thorax beeinflusst wird. Im Allgemeinen wird die Resonanzfrequenz eines Objektes durch seine geometrischen Eigenschaften (Form und Größe) sowie durch physikalische Eigenschaften seines Materials (Festigkeit und Dichte) bestimmt. Je kleiner und unelastischer das Objekt, desto höher die Frequenz. Bei der Organperkussion können im Grunde alle Strukturen, wie Wände und Inhalt (auch gasförmiger), unabhängig voneinander schwingen. Außerdem kann der Organinhalt (z. B. bei Gasanteilen) oder auch das umgebende Gewebe die Schwingung dämpfen. Demzufolge variiert der Perkussionsschall erheblich.

Die Methode wurde vom Wiener Arzt Leopold Auenbrugger 1761 eingeführt.2 Er klopfte direkt mit dem Finger an die Brustwand, was heute als direkte Perkussion bezeichnet wird und keinen sehr eindeutigen Perkussionsschall hervorruft. Der Legende nach soll er diese Methode bei seinem Vater abgeschaut haben, der so als Gastwirt den Füllungszustand seiner Weinfässer beurteilte. Im Jahr 1827 wurde die Methode durch Piorry erheblich verbessert.3 Er klopfte mit dem Finger nicht direkt auf den Thorax, sondern auf eine Elfenbeinplatte, die er als Plessimeter bezeichnete.3 Damit wird ein deutlicherer Perkussionsschall erzeugt, sodass die Perkussion erheblich genauer wurde. Im 19. Jahrhundert wurde viel mit Plessimeter und Perkussionshammer experimentiert. Beim Kleintier kommt in der Regel die indirekte Finger-Finger-Perkussion zum Einsatz, wenngleich bei großen Hunden mit Perkussionshammer und Plessimeter ein deutlicherer Perkussionsschall erzeugt werden kann. Rechtshänder führen die Methode durch, indem sie mit dem Mittelfinger der rechten Hand auf das mittlere Fingerglied des Mittelfingers der linken Hand nahe dem Gelenk zum distalen Fingerglied klopfen (Abb. 4.1). Die linke Hand liegt dabei locker am Tierkörper, wobei der Mittelfinger mäßig stark gegen die Haut des Tieres gedrückt wird. Dieser Druck muss konstant sein, da sich eine Druckänderung als Änderung des Perkussionsschalls auswirkt.

Die rechte Hand wird zur Schallerzeugung eingesetzt. Der Mittelfinger wird so gebeugt, dass sich ein Halbkreis vom Handgelenk her ergibt (Abb. 4.1). Das Klopfen muss gleichmäßig erfolgen. Die besten Ergebnisse erzielt man mit einzelnen Schlägen, gefolgt von einer Pause, in welcher der Schall angehört und bewertet wird, bevor man erneut klopft. Ein zu fester Schlag bewirkt eine lang andauernde Schwingung, ein zu leichter Schlag dringt nicht richtig durch. Die optimale Schlagfestigkeit hängt von der Dicke der Brustwand ab und muss für jeden Patienten individuell ermittelt werden. In einigen Fällen sind Perkussionshammer und Plessimeter für gute Ergebnisse unerlässlich.

 

image

Abb. 4.1:
Finger-Finger-Perkussion beim Rechtshänder.

Zur genauen Bestimmung der Grenze zwischen zwei Flächen mit unterschiedlicher Schwingung muss oft im vermuteten Grenzbereich mehrmals hin- und hergeklopft werden. Die akustische Perkussion hat am Thorax eine maximale Eindringtiefe von 7 cm,4 sodass tiefer gelegene Läsionen nicht aufgespürt werden können. Kompakte Läsionen (Tumoren oder Flüssigkeiten) müssen einen Mindestdurchmesser von 5 cm haben, um eine wahrnehmbare Dämpfung zu bewirken.

Bei der Perkussion des Rumpfes (Thorax und Abdomen) treten im Wesentlichen drei Arten von Perkussionsschall auf:

1. Voller Schall. Dies ist der ziemlich tiefe, klangvolle Ton von gasgefülltem Lungengewebe.

2. Gedämpfter Schall. Er ist über jedem Körperbereich zu hören, der kein Gas enthält, wie Muskeln oder Leber. Es handelt sich um einen kurzen (abgehackten) Ton von geringer Intensität.

3. Tympanischer Schall. Dieser Schall ist klangvoller und etwas höher als der volle Schall. Ein gutes Beispiel ist der Schall eines gasgefüllten Magens. Er tritt in kleineren Hohlräumen (Magen, Darm) auf als der volle Schall und hat deshalb eine höhere Tonlage. Zusätzlich zur Größe des Hohlraums spielt vermutlich auch die Wandspannung (d.h. ihre Festigkeit) eine Rolle bei der Schallentwicklung.

4.1.4  Auskultation

Im Körper können Geräusche durch schnelle Fluktuation im Gasdruck oder durch Gewebevibration entstehen. Sie sind nur wahrnehmbar, wenn die entstehenden Schallwellen im hörbaren Frequenzbereich liegen. In der Regel besteht ein Geräusch aus einem Gemisch von Schwingungen verschiedener Wellenlänge. Wenn diese Schwingungen in keiner inhaltlichen Beziehung zueinander stehen, spricht man von einem Geräusch. Ein Geräusch hat auch keine zeitliche Regelmäßigkeit. Wenn ein inhaltlicher Zusammenhang gegeben ist, spricht man von einem Ton. Die Tonhöhe wird durch die tiefste beteiligte Schwingungsfrequenz bestimmt (Grundton). Die Klangfarbe (Timbre) wird durch die höheren beteiligten Frequenzen bestimmt (sog. Obertöne oder höhere harmonische Schwingungen). Die Tonintensität ist proportional zum Quadrat der Amplitude der beteiligten Schwingungen.

Von den verschiedenen Schall erzeugenden Prozessen im Körper, die hörbar (auskultierbar) sind, werden wir vier im Detail besprechen.

1. Bei der Verschiebung von Gas (Atmung) und Flüssigkeiten (Blutkreislauf) können zwei Arten von Strömung entstehen: Laminare Strömung: Die Teilchen bewegen sich alle in dieselbe Richtung, aber nicht alle mit derselben Geschwindigkeit. Eine durch ein Rohr fließende Flüssigkeit besteht aus Schichten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, wobei das Tempo zur Mitte hin zunimmt.
Turbulente Strömung: Wenn das Tempo eine bestimmte Grenze überschreitet, hört der geordnete Fluss auf. Nun bewegen sich die Teilchen quer oder entgegen der Flussrichtung. Es kommt zur Energieübertragung durch Kollisionen, die zu kurzzeitigen Druckänderungen führt. So kann eine Gewebeschwingung mit einer Vielzahl verschiedener Frequenzen entstehen, die als Geräusch wahrnehmbar sind. Das Auftreten von Turbulenzen wird nicht nur von der Geschwindigkeit (v), sondern auch von der Viskosität (η) und Dichte (ρ) des Materials bestimmt. Ferner ist in Rohren mit einem geringen Radius (r) die Entstehung von Wirbeln erschwert. Die Wahrscheinlichkeit einer turbulenten Strömung wird als Reynolds-Zahl (Re) ausgedrückt:

Image

In einem zylindrischen Rohr mit glatter Innenwand entstehen Wirbel bei Re > 1000. Durch Verkleinerung des Radius oder abrupte Änderung der Flussrichtung wird der Zähler in der Gleichung vergrößert.
Diese Beschreibungen treffen für Flüssigkeiten (Blutkreislauf) und Gase (Atmung) zu. Die hämodynamischen Prozesse im Herz und die Vorgänge im oberen Respirationstrakt sind besonders von Turbulenzen betroffen und erzeugen daher Geräusche.

 

image

Abb. 4.2:
Venturi-Effekt bei verringertem Durchmesser in einem Rohr.

 

2. Bronchien können so eng werden, dass sich die gegenüberliegenden Wände fast berühren und anfangen zu vibrieren. Dieses pathologische Pfeifen hat mit dem Venturi-Effekt zu tun, der beim Durchfluss von Engstellen in einem Rohr auftritt (Abb. 4.2). Nach dem Energieerhaltungssatz ist die Summe aus der inneren Energie (dem Druck P) und der kinetischen Energie (½ρpv2) in einem geschlossenen System in Abwesenheit von Reibung konstant (Konstante H). Vor der Engstelle ist H1 = P1 + ½ρv12 und im verengten Abschnitt ist H2 = P2 + ½ρv22. Man setzt voraus, dass kein Energieverlust durch innere Reibung stattfindet (H1 = H2); im verengten Abschnitt ist aber v2 > v1 und damit ½ρv22 > ½ρv12. Daher ist H1 = H2 nur möglich, wenn P2 < P1. Das bedeutet, wenn ein Rohr (Bronchus oder Blutgefäß) verengt ist, kann der Druckabfall zu einer weiteren Verengung oder gar Verlegung des Lumens führen. Beim Verschluss hört der Venturi-Effekt auf, der Durchgang wird wiederhergestellt und der Venturi-Effekt setzt wieder ein. Diese wiederkehrenden, sich endlos fortsetzenden Abläufe lösen eine Gewebeschwingung aus, die in den Atemwegen musikalische Töne hervorrufen kann (Kap. 9). Die Tonhöhe wird durch die Materialeigenschaften bestimmt, wie beim Blättchen am Mundstück vieler Blasinstrumente.

3. Beim Ausatmen nimmt die Geschwindigkeit des Luftstroms zu, da der Gesamtdurchmesser der Bronchien von der Peripherie zum Zentrum hin abnimmt. Die Größe ½ρv2 im Energieerhaltungssatz wird also auf Kosten des Drucks größer. Es kommt zu einem immer stärkeren Druckverlust und bei hohem Durchstrom können Energieverluste durch innere Reibung die Geschwindigkeit weiter erhöhen. In bestimmten Regionen kann P sogar in Abwesenheit morphologischer Auffälligkeiten (wie beim Venturi-Effekt) so niedrig werden, dass der Bronchus durch den Druck des umliegenden Gewebes kollabiert. In diesem Moment nimmt v den Wert Null an, der Druck steigt sprunghaft an und der Bronchus öffnet sich wieder. In vollständiger Analogie zum Venturi-Effekt kann auch dieser Vorgang sich wiederholen und zu einer Geräuschquelle werden.

4. Wird eine Trennwand zwischen zwei gasgefüllten Räumen mit unterschiedlichem Druck entfernt, kommt es zum Druckausgleich. Das passiert so schnell, dass die Gasmasse und sogar die umgebenden Wände in Schwingungen geraten können. Die Schwingungsfrequenz hängt von der Größe der Räume ab. Wenn die Wände stark absorbieren, kann der Effekt der explosiven Neuverteilung des Gases so kurz sein (wenige Millisekunden), dass ein Ton oberhalb des hörbaren Spektrums entsteht. Unter bestimmten Umständen kann der Untersucher diesen explosiven Druckausgleich als eine Art »Klicken« wahrnehmen, ohne die Tonhöhe bestimmen zu können. In der Lunge ist dies der Fall, wenn sich ein Luftweg, der durch Druckabnahme auf seine Wände verschlossen war, plötzlich durch einen entsprechenden Druckanstieg bei der Inspiration oder Exspiration wieder öffnet. In den Bronchiolen kommt es dann zum Druckausgleich. Dies wird in Kapitel 9 ausführlicher diskutiert.

Das Ausmaß, in dem diese und womöglich auch andere Geräusche von außen wahrgenommen werden können, hängt nicht nur von der Intensität der Geräuschquelle ab, sondern von mindestens zwei weiteren Faktoren:

1. Abnahme der Intensität I des Geräuschs bei der Durchdringung von Gewebe infolge von Energieverlust. In vielen Fällen verhält sich diese Abnahme exponentiell nach dem Lambert-Beerschen Gesetz, das in der Strahlenphysik verbreitet ist: I = I0e-ax, wobei x die Länge der Gewebestrecke und α der spezifische Absorptionskoeffizient des Gewebes ist. Der Wert von α ist für massive Gewebe höher als für gasgefüllte Gewebe. Außerdem hängt a stark von der Frequenz ab, höhere Frequenzen werden stärker abgeschwächt. So wirkt die Lunge als akustischer Filter, der die Übertragung von Frequenzen oberhalb von etwa 200 Hz stark einschränkt. Zusätzlich zur Abnahme der Intensität kommt es, bedingt durch die Frequenzabhängigkeit von α, bei der Gewebepassage zur Änderung der Klangfarbe.

2. Reflexion von Schallwellen. Wenn Schallwellen beim Durchdringen eines Mediums auf ein neues Medium mit anderen akustischen Eigenschaften treffen, wird ihre Energie zum Teil an der Grenzfläche reflektiert. Das Verhältnis zwischen der auftreffenden Intensität (I0) und der reflektierten (Echo-)Intensität (It) ist:

Image

Das Produkt Z aus der Dichte (ρ) und Schallgeschwindigkeit (v) wird als akustische Impedanz bezeichnet. Wenn die Impedanz in beiden Medien weitgehend gleich ist, wie bei einem Lungeninfiltrat und der Brustwand, wird wenig Schall reflektiert (It/I0 ist klein) und der Hauptanteil des Geräuschs wird weitergeleitet.

Allerdings wird an der Grenzfläche von lufthaltigem Lungengewebe und Thoraxwand ein großer Teil des Schalls zurück gegen die Pleurafläche reflektiert. (Für Luft ist ρ = 1,05 kgm-3 und v = 340 ms−1, für Wasser ist ρ = 1000 kgm−3 und v = 1480 ms−1.) Übrigens sind es die unterschiedlichen akustischen Impedanzen, die uns die Nutzung von Ultraschall ermöglichen.

Trotz dieser Einflussfaktoren auf die Schallübertragung dringt genug von den in Thorax und Abdomen entstehenden Geräuschen zur Körperwand durch, um mittels Auskultation wichtige Informationen zu gewinnen. Ursprünglich (zu Beginn des 19. Jahrhunderts) wurde hierzu das Ohr an die Körperwand gepresst. Die indirekte Auskultation wurde zuerst von Laennec im Jahre 1819 beschrieben.5 Er nannte sein Instrument, das aus einem einfachen Holzrohr bestand, ein Stethoskop. Dieser Begriff leitet sich vom griechischen stethos (Brust) ab. Da nicht nur der Brustraum auskultiert wird, bevorzugen wir den Begriff Phonendoskop (das griechische phonein bedeutet schallen), der in den Niederlanden normalerweise in der Veterinärmedizin verwendet wird. Laennec machte seine Erfindung in einem Moment der Verlegenheit, als das Alter und Geschlecht seiner Patientin es ihm nicht gestatteten, sein Ohr direkt an die Brust zu legen. Er beschrieb dies folgendermaßen:

»Je fus consulté, en 1816, par une jeune personne qui présentait des symptômes généraux de maladie du cœur, et chez laquelle l’application de la main et la percussion donnaient peu de résultat à raison de l'embonpoint. L'âge et le sexe de la malade m interdisant l'expèce d'examen dont je viens de parler, je vins à me rappeler un phénomène d'acoustique fort connu: si l'on applique l'oreille à l'extrémité d'une poutre, on entend très distinctement un coup d'épingle donné à l'autre bout. J'imaginai que l'on pouvait peutêtre tirer parti, dans le cas dont il s'agissait, de cette proprieté de corps. Je pris un cahier de papier, j'en formai un rouleau fortement serré dont j'appliquai une extrémité sur la région précordiale, et posant l'oreille à l'autre bout, je fus aussi surpris que satisfait d'entendre les battements du cœur d'une manière beaucoup plus nette et plus distincte que je ne l'avais jamais fait par l'application immédiate de l'oreille.«

(Im Jahre 1816 wurde ich von einer jungen Person aufgesucht, die allgemeine Symptome einer Herzerkrankung zeigte und bei der wegen ihrer Korpulenz Abtasten und Perkussion wenig Erfolg versprechend waren. Da mir Alter und Geschlecht der Kranken die soeben genannte Art von Untersuchungen verboten, rief ich mir ein bekanntes Schallphänomen in Erinnerung: hält man das Ohr an das eine Ende eines Holzbalkens, hört man sehr deutlich den Schlag einer Nadel gegen das andere Ende. Ich überlegte, dass man vielleicht im vorliegenden Fall Nutzen aus diesen stofflichen Eigenschaften ziehen könnte. Ich nahm ein Stück Papier, wickelte es zu einer festen Rolle und drückte das eine Ende gegen die Herzregion, und als ich nun das Ohr an das andere Ende hielt, war ich gleichermaßen überrascht und befriedigt, da ich den Herzschlag viel klarer und deutlicher hören konnte, als ich es mit dem bloßen Ohr jemals vermocht habe.)

 

Nach der Einführung der indirekten Auskultation durch Laennec wurden viele Versuche unternommen, das Instrument zu verbessern und anders zu benennen.6 Die Modelle mit einer Membran im Bruststück wurden als Phonendoskope oder »schwingende Stethoskope« bezeichnet. Untersuchungen zu optimaler Länge und Durchmesser der Verbindung zwischen Bruststück und Ohr führten zur Entwicklung des mit zwei Ohrstücken versehenen Instruments von Littman im Jahre 1961, das weiter unten ausführlicher besprochen wird. Das für ein Ohr ausgelegte Stethoskop wird inzwischen nur noch in der Humanmedizin von Geburtshelfern zum Abhorchen der Herztöne eines Fetus eingesetzt.

4.2 Instrumente und diagnostische Hilfsmittel

Die Instrumente und diagnostischen Hilfsmittel, die der Tierarzt alltäglich zur körperlichen Untersuchung von Haus- und Heimtieren benötigt, sind in den Abb. 4.34.8 dargestellt. Für einige dieser Instrumente werden im Folgenden Leistungsmerkmale beschrieben und Anwendungshinweise gegeben.

4.2.1  Perkussionshammer und Plessimeter

Für die Perkussion mit Instrumenten benötigt man einen Perkussionshammer mit Gummikopf und ein Plessimeter, bei dem es sich um eine Metallplatte mit Flügeln handelt, an denen es gehalten werden kann. Der Hammer wird locker zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten. Die Perkussion wird durch lockeres Schwingen des Hammers gegen das Plessimeter ausgeführt, welches fest gegen die Körperwand gedrückt wird. Wird der Hammer zu fest gehalten oder die Schwingung aus dem Hand- oder Ellbogengelenk heraus geführt, so kann der Hammer nicht genügend federn und der Klang wird verfälscht.

 

 

 

 

 

 

4.2.2  Reflexhammer

Der Taylor-Reflexhammer empfiehlt sich aufgrund seiner Größe, Gewicht und Form. Der Gummikopf ist dreieckig. Die Basis des Dreiecks wird für den Patellarreflex und die Spitze für Muskelreflexe verwendet. Zum effektiven Einsatz klopft man mit dem Reflexhammer kurz und unerwartet auf Sehne oder Muskel. Hierzu ist Übung erforderlich. Die korrekte Haltung des Hammers ist in Abb. 4.9 dargestellt. Die schnelle, zirkuläre Bewegung des Hammers hängt von zwei Drehpunkten ab: dem Handgelenk und dem Punkt, an dem der Griff durch Daumen und Mittelfinger gehalten wird. Die Bewegung wird ausgelöst, indem der Griff durch den Zeigefinger in Richtung Handfläche angestoßen wird.

4.2.3  Phonendoskop

Die Ohroliven müssen gut passen und groß genug sein, um den äußeren Gehörgang vollständig zu verschließen. Phonendoskope, bei denen die beiden Schläuche mit einem flexiblen Metallbügel verbunden sind, verschließen den Gehörgang oft besser als Instrumente mit beweglichen Schläuchen. Das scheibenförmige Bruststück enthält in der Regel eine Plastikmembran. Sie ermöglicht die Wahrnehmung sehr hoher Töne, da sie tiefe Töne ausfiltert.

Bei der Auswahl eines Phonendoskops müssen zwei Eigenschaften beachtet werden:

1. gute Schallübertragung zum Ohr

2. keine Schallverzerrung oder Störgeräusche

Diese Eigenschaften korrelieren schlecht miteinander. Je besser die Schallübertragung, desto mehr Störgeräusche sind zu hören. Das gilt insbesondere für batteriebetriebene Mikrofone, die als Phonendoskop verwendbar sind. Diese Instrumente können sehr sensitiv sein, allerdings hört man auch viel mehr Störgeräusche. Das Littman-Phonendoskop ist ein guter Kompromiss für die beiden oben genannten Merkmale. Das Instrument besitzt ein flaches, scheibenförmiges Bruststück mit Plastikmembran sowie einen kleineren, leicht konischen offenen Trichter zur selektiven Auskultation. Es gibt inzwischen auch batteriebetriebene Phonendoskope, die den Schall nicht nur verstärken, sondern auch eine Frequenzauswahl ermöglichen. Sie eignen sich zur Beurteilung von niederfrequenten Herztönen, indem hohe Frequenzen unterdrückt werden.

Wichtiger als der Typus des Phonendoskops ist wohl das ständige Praktizieren mit demselben Phonendoskop, um die diagnostisch relevanten Geräusche selektiv erkennen zu lernen. Anfänger hören meist eher zu viel als zu wenig. Sie haben noch nicht gelernt, sich zwischen den gehörten Geräuschen zurechtzufinden und die diagnostisch unwichtigen Geräusche zu ignorieren. Beim Einsatz eines Phonendoskops sei auf Folgendes hingewiesen:

image Das Bruststück muss fest und flach gegen die Körperwand gepresst werden. Wenn der Kontakt unterbrochen ist, wird ein leichtes Rauschen oder Knistern hörbar, wie bei einer ans Ohr gehaltenen Seemuschel. Ein ähnliches Geräusch entsteht bei schlecht passenden Ohroliven.

image Das Geräusch beim Verschieben des Bruststücks auf dem Haarkleid kann sich genauso anhören wie die Rasselgeräusche pathologisch veränderter Lungen (siehe Kap. 9). Diese Störgeräusche verschwinden normalerweise, wenn das Bruststück fester angepresst wird. Wenn erforderlich, kann das Haar über der Auskultationsstelle angefeuchtet werden.

image Geräusche von Muskeln, Sehnen und Gelenken können ebenfalls verwirrend sein. Ein aufgeregtes Tier mit angespannten und zitternden Muskeln kann ein unterbrochenes, gedämpftes muskuläres Geräusch hervorbringen. Dieses ist vor allem bei der Auskultation des Thorax im Bereich der Musculi trapezius, serratus dorsalis und latissimus dorsi zu hören. Manchmal muss man abwarten, bis sich das Tier beruhigt hat.

4.2.4  Thermometer

Maßband und Thermometer sind die einzigen hier genannten Instrumente, die sich für quantitative Bestimmungen eignen. Das Thermometer ist ein wichtiger Vertreter der großen Instrumentengruppe, bei denen die Ermittlung eines korrekten Ergebnisses etwas Zeit braucht. Die Trägheit solcher Instrumente beruht auf ihren spezifischen Eigenschaften. Beim Quecksilberthermometer spielen die spezifische Wärmekapazität und der Wärmewiderstand der Glaswand des Quecksilberreservoirs eine große Rolle. Die Trägheit lässt sich mithilfe der Messzeit beschreiben: Dies ist die Zeit, die bei einer plötzlichen Signaländerung (beim Thermometer z. B. ein Sprung von 20°C nach 38°C) benötigt wird, um 95% der Differenz zwischen dem Anfangswert und dem Endwert anzuzeigen (Abb. 4.10). Das Nichtbeachten der Messzeit, d.h. ein zu frühes Ablesen des Thermometers, führt zu einer falschen Aussage. Für ein Quecksilberthermometer ist bei gutem Kontakt zum Messobjekt eine Messzeit von zehn bis 20 Sekunden zu erwarten. Bei schlechtem Kontakt zwischen dem Quecksilberreservoir und der Wärmequelle durch einen dazwischenliegenden schlechten Wärmeleiter wie Luft, oder weil das Reservoir selbst eine lokale Abkühlung seiner Umgebung bewirkt, kann die Messzeit sehr viel länger sein. Zu bedenken ist, dass die angezeigte Temperatur bei 95% des Sprungs von 20°C nach 38°C immer noch 1°C unter der tatsächlichen Körpertemperatur liegt, was für klinische Zwecke nicht akzeptabel ist. Bei einer Verdopplung der Messzeit sinkt der Fehler auf 0,1%. Folglich darf ein Quecksilberthermometer nicht zu rasch abgelesen werden; als Faustregel gilt eine Mindestmesszeit von einer Minute.

Das Quecksilberthermometer wird zunehmend von der Transducer-Technik (Transducer = Signalumwandler) abgelöst. Die Variable, in diesem Fall die Temperatur, wird in ein leicht messbares elektrisches Signal umgewandelt. Dabei werden temperaturabhängige Widerstände (sog. Thermistoren) eingesetzt, sodass aus dem Widerstand nach entsprechender Kalibrierung die Temperatur abgelesen werden kann. Diese Art von Thermometern hat eine kürzere Messzeit (weniger als 5 s) und eine digitale Anzeige.

Beide Arten von Thermometer werden rektal eingeführt (Kap. 8.3.3), da die Rektaltemperatur allgemein als gutes Maß für die Körperkerntemperatur gilt. Da diese Art der Messung für Patient und Untersucher unangenehm sein kann, wird in der Humanmedizin oft oral (am Zungengrund) oder in der Achselhöhle gemessen. Dort liegt die Temperatur 0,5 bzw. 1,5°C niedriger als die Rektaltemperatur.8

 

image

Abb. 4.10:
Messzeit eines Thermometers.

Eine weitere Möglichkeit ist das Ohrthermometer, das bei Hund und Mensch getestet wurde. Hier beruht die Messung auf der Ermittlung von Infrarotstrahlung (Wärme) von Blutgefäßen hinter dem Trommelfell. In der Humanmedizin wird diese Messung oft als gute Alternative zur Rektalmessung angesehen.9 Allerdings wurde kürzlich nachgewiesen, dass die beiden Werte nur mäßig miteinander korrelieren (r = 0,77) und bei Fieber kann die mit dem Ohrthermometer gemessene niedrigere Temperatur zur Unterschätzung des Problems führen.10

Bei Hunden ist der Einsatz von Ohrthermometern durch die Morphologie der Ohrmuschel zusätzlich erschwert (Kap. 20). Da der Gehörgang zum Teil senkrecht verläuft, ist es schwierig, das Thermometer auf das Trommelfell auszurichten. Der Vergleich von Ohr- und Rektaltemperatur bei Hunden führt zu ähnlichen Ergebnissen wie beim Menschen. Es gibt einen befürwortenden11 und einen deutlich ablehnenden Bericht12. Eine vergleichende Studie an der Utrecht University Clinic for Companion Animals hat ebenfalls ergeben, dass Messungen mit dem Ohrthermometer nicht konsistent genug für den Routineeinsatz waren.

4.2.5  Techniken zur arteriellen Blutdruckmessung

Der bereits erwähnte Einsatz von Transducern (Sensoren) zur Erhebung physiologischer Parameter hat sich enorm ausgeweitet, was zum Teil an den Fortschritten in der Miniaturisierung und digitalen Signalverarbeitung liegt. Zwei wichtige Beispiele aus dem Gebiet der nichtinvasiven arteriellen Blutdruckmessung werden hier diskutiert.

Zur nichtinvasiven arteriellen Blutdruckmessung wird eine aufblasbare elastische Manschette um einen Körperteil (Gliedmaße oder Schwanz) gelegt und so weit aufgeblasen, dass der Druck die Arterie vollständig verschließt.* Dann wird der Druck durch Ablassen von Luft aus der Manschette allmählich verringert und in dem Moment, in dem er unter den systolischen Blutdruck fällt, öffnet sich das Gefäß und das Blut fließt wieder. Wird der Druck weiter gesenkt, so öffnet sich die Arterie weiter und bei Erreichen des diastolischen Drucks fließt das Blut wieder völlig ungehindert.

Die physikalischen Veränderungen bei wieder einsetzendem Blutfluss und beim Übergang zum ungehinderten Blutfluss ermöglichen die Messung von systolischem und diastolischem Blutdruck mit den folgenden Methoden:

Auskultation. Ein Phonendoskop wird direkt distal der Manschette auf die Arterie platziert. Zu Beginn bei hohem Manschettendruck ist kein Geräusch zu hören. Wird der Manschettendruck auf das Niveau des systolischen Blutdrucks gesenkt, so wird ein mit dem Herzschlag synchrones Geräusch hörbar. Es entsteht durch Turbulenzen beim wiedereinsetzenden Blutfluss, da die Reynolds-Zahl überschritten ist (siehe Kap. 4.1.4). Bei weiterer Verringerung des Manschettendrucks wird das Geräusch konstant, bis es bei Erreichen des diastolischen Drucks plötzlich aufhört.7 Die mit dieser Technik erfassten Geräusche werden als Korotkow-Geräusche** bezeichnet, sie stellt die am meisten verwendete Technik zur nichtinvasiven Blutdruckmessung beim erwachsenen Menschen dar. Bei Babys ist der Einsatz schwierig7 und bei Kleintieren sind die Korotkow-Geräusche für eine eindeutige Messung nicht deutlich genug wahrzunehmen.14

Oszillometrie. Bei absinkendem Manschettendruck löst das wieder einströmende Blut auch pulsierende Bewegungen der Arterienwand aus. Diese kleinen Schwingungen werden durch das Gewebe nach außen übertragen und können von Sensoren innerhalb der Manschette erfasst werden. Der Manschettendruck, bei dem ein Anstieg der Schwingungen messbar ist, wird als systolischer Blutdruck interpretiert. Die Amplitude der Schwingungen steigt auf einen Maximalwert an, der sich mit dem mittleren arteriellen Blutdruck deckt. Es folgt ein Rückgang auf einen konstanten Wert, der dem diastolischen Blutdruck entspricht. Die größte Schwierigkeit bei dieser Technik ist die genaue Festlegung von Anfang und Ende des Schwingungsmusters. Bei Tieren mit Bluthochdruck ergibt die oszillometrische Messung niedrigere Werte als die direkte (invasive) Messung, bei Tieren mit niedrigem Blutdruck eher höhere Werte.14

Doppler-Effekt. Der wieder einsetzende Blutfluss kann auch mithilfe des Doppler-Effekts*** ermittelt werden. Dabei handelt es sich um die Änderung der wahrgenommenen Frequenz einer Schallquelle bei Veränderung des Abstands zwischen Schallquelle und Beobachter. Die Frequenzänderung ist proportional zur Geschwindigkeit der Bewegung. Sie ist als Änderung der Tonhöhe bei einer vorbeifahrenden Sirene oder einem vorbeifahrenden Zug hörbar. Das Phänomen ist qualitativ leicht zu verstehen. Wenn eine Schallquelle 100 Impulse pro Sekunde abgibt (dies entspricht per Definition 100 Hz), so wäre der Zeitabstand zwischen der Wahrnehmung des ersten und des letzten Impulses durch eine stationäre Person ebenfalls eine Sekunde. Wenn diese Person sich allerdings zwischen dem ersten und letzten Impuls von der Schallquelle weg bewegt, erreichen die letzten Impulse die Person erst nach mehr als einer Sekunde. Folglich ist die Zahl der Impulse, welche die Person pro Minute erreichen, kleiner als 100, d.h., die Frequenz ist niedriger als 100 Hz.

Für die Blutdruckmessung mithilfe des Doppler-Effekts wird eine Schallquelle distal der Manschette auf die Haut platziert. Die Schallwellen werden von verschiedenen Geweben reflektiert, darunter auch von Blutzellen (vor allem Erythrozyten). Die akustische Impedanz (siehe Kap. 4.1.4) der Erythrozyten ist anders als die von Plasma. Die Bewegung der Erythrozyten induziert den Doppler-Effekt. Die von den sich bewegenden Erythrozyten reflektierte Schallfrequenz ist anders als die der Schallquelle. Ein Sensor erfasst die Frequenzverschiebung. Der elektronische Abgleich zwischen der ausgesendeten und der zurückkommenden Frequenz ist ein Maß für die Flussrate im Blutgefäß. Doppler-Systeme arbeiten im Ultraschallbereich (oft bei etwa 8 MHz). Die Frequenzunterschiede können hörbar gemacht und auch auf dem Bildschirm dargestellt werden.

Sobald das verschlossene Gefäß sich wieder öffnet und die Erythrozyten in Bewegung geraten, wird ein Signal erzeugt. Es kennzeichnet den systolischen Druck oft genauer als die Oszillometrie. Dem steht entgegen, dass der diastolische und mittlere arterielle Druck mit der Doppler-Technik nicht gut bestimmt werden können.

Der Frequenzunterschied macht nur einen Bruchteil der Frequenz der Schallquelle aus. Um ein nutzbares (hörbares) Signal zu erhalten, muss die emittierte Schallfrequenz hinreichend hoch sein, d.h. im MHz-Bereich. Hierzu eignen sich Materialien mit Piezo-Effekt. Beim Anlegen eines elektrischen Feldes ändern diese Materialien durch Ausdehnen und Zusammenziehen ihre Abmessungen. Wechselstrom induziert einen alternierenden Effekt und damit eine Vibration der Materialoberfläche. Diese Erscheinung tritt auch bei sehr hohen Frequenzen auf. Hier liegt also ein Beispiel für einen Transducer vor, der ein elektrisches in ein mechanisches Signal umwandelt. Der Piezo-Effekt ist auch umgekehrt möglich: Wird das Material mechanischem Druck ausgesetzt, so bildet es ein messbares elektrisches Feld. Auf diese Weise arbeitet ein Transducer als Sensor.

Die Oszillometrie und die Doppler-Technik reagieren empfindlich auf äußere Einflüsse, wie z. B. die Art der Manschette und die Geschwindigkeit des Luftablassens. Als allgemeine Richtschnur gilt, dass die Manschette eine Breite von 40–60% des Umfangs des betreffenden Körperteils haben muss. Breitere Manschetten erzeugen zu niedrige, schmalere Manschetten zu hohe Werte.14

Literatur

1. Fletcher SW, O'Malley MS, Bunce LA (1985): Physicians' abilities to detect lumps in silicone breast models. J Am Med Assoc 253: 2224.

2. Auenbrugger L: Neue Erfindung, mittels des Anschlagens an den Brustkorb, als eines Zeichens, verborgene Brustkrankheiten zu entdecken (1761). Aus dem Original übersetzt und eingeleitet von V. Fossel. Johann Ambrosius Barth Verlag, Leipzig, 1912.

3. Piorry PA: De la percussion médiate et des signes obtenus à l'aide de ce nouveau moyen d'exploration, dans les maladies des organes thoraciques et abdominaux. Claudé & Baillières, Paris, 1828.

4. Rosenberger G: Clinical examination of cattle. Paul Parey, Berlin, 1979.

5. Laennec RTH: De l'auscultation médiate ou traité du diagnostic des maladies des poumons et du cœur, fondé principalement sur ce nouveau moyen d'exploration. Brosson & Chaudé, Paris, 1819.

6. Bishop PJ (1980): Evolution of the stethoscope. J Roy Soc Med 73: 448.

7. Jordan FLJ: Algemeen lichamelijk onderzoek. 8th edn. Bijleveld, Utrecht, 1976, 56–59.

8. Bickley LS, Szilagyi PG: Bates' guide to physical examination and history taking. 8th edn. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, 2003, 81–82.

9. Jakobsson J, Nilsson A, Carlsson L (1992): Core temperature measured in the auricular canal: comparison between four different tympanic thermometers. Acta Anaesthesiol Scand 36: 819–824.

10. Crétel E, Sibaï A, Taupin P (1999): Étude comparative de la temperature corporelle par mesure rectale et tympanique. Rev Méd Interne 20: 981–984.

11. Gonzalez AM, Mann FA, Preziosi DE (2002): Measurement of body temperature by use of auricular thermometers versus rectal thermometers in dogs with otitis externa. J Am Vet Med Assoc 221: 378–380.

12. Huang HP, Shih HM (1998): Use of infrared thermometry and effect of otitis externa on external ear canal temperature in dogs. J Am Vet Med Assoc 213: 76–79.

13. Beyer T, Apeldoorn CGL: Woordenboek van medische eponiemen (Dictionary of medical eponyms). 2nd edn. Bohn Stafleu Van Loghum, Houten/Diegem, 1998.

14. Erhardt W, Henke J, Carr A (2003): Techniques. In: Egner B, Carr A, Brown S (eds.): Essential facts of blood pressure in dogs and cats. Beate Egner Vet Verlag, Babenhausen (D), 2003, 34–59.


* Dieses Prinzip wurde im Jahre 1896 von dem italienischen Arzt Scipione Riva-Rocci (1863–1937) am Menschen eingeführt. Die Manschette wurde am Oberarm angebracht und so weit aufgeblasen, dass kein Puls mehr fühlbar war.13

** Bei einem Vortrag vor der Kaiserlichen Militärakademie in St. Petersburg im Jahre 1905 beschrieb der russische Militärarzt Nikolai Sergejewitsch Korotkow (1874–1920) zum ersten Mal die auskultatorische Blutdruckmessung.

*** Der österreichische Physiker Christian Johann Doppler (1803–1853) entdeckte den nach ihm benannten Effekt anhand der Veränderung der Lichtfarbe von wandernden Sternen. Ein sich auf die Erde zu bewegender Stern sieht blau aus, ein sich entfernender Stern hingegen eher rot. Im Jahr 1842 beobachtete Doppler, dass auch bei einem sich bewegenden Schall derartige Änderungen der Wellenlänge auftreten.

5 |  Die Patientenakte
F. J. van Sluijs und J. J. van Nes

5.1 Einleitung

Jede Praxis sollte ein Verwaltungssystem zur Sammlung von Daten über Tiere und Tierhalter haben, das so organisiert ist, dass dem Tierarzt und anderen Berechtigten diese Informationen zur Verfügung stehen.

Das Zeitalter, in dem sich Praxisverwaltung auf die finanzielle Buchführung beschränkte, während medizinische Informationen über den Patienten allein im Gedächtnis von Tierarzt und Tierhalter gespeichert waren, sind längst vorbei. In den letzten Jahrzehnten ist die Notwendigkeit guter medizinischer Aufzeichnungen sehr deutlich geworden. Das Arsenal an diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten und die Anzahl spezifischer Diagnosen ist deutlich gestiegen, ebenso die durchschnittliche Lebenserwartung unserer Patienten. Die Kapazität eines menschlichen Gehirns reicht inzwischen nicht mehr aus, um alle relevanten Informationen über jeden Patienten einer Praxis zu speichern. Auch die Notwendigkeit zur Weitergabe von Patienteninformationen an Kollegen hat stark zugenommen. Durch den häufigen Einsatz von Vertretungstierärzten an Wochenenden und während des Urlaubs, die steigende Zahl von Gemeinschaftspraxen, den Trend zu größeren Praxisgemeinschaften mit interner Spezialisierung sowie die in Mode gekommenen Überweisungspraxen und Tierkliniken hat die Zahl von Tierärzten, die an der Behandlung eines Patienten beteiligt sein können, erheblich zugenommen. Folglich ist die korrekte Übermittlung von Patientendaten inzwischen eine dringende Notwendigkeit.

Eine gute Patientenbetreuung ist ohne eine gute Patientenakte unmöglich. Die Ausgestaltung, Anwendung und Überwachung des Aufzeichnungssystems sollte dem Grad der Betreuung entsprechen. Umgekehrt spiegelt die Qualität der Aufzeichnungen meist das Niveau einer tierärztlichen Praxis wider. Insbesondere in Tierkliniken muss die Dokumentation hohen Anforderungen genügen.

Der Bedarf an guten Aufzeichnungen wird in unserem Beruf sehr wohl erkannt. Das zeigt sich auch an den Mindestanforderungen und Richtlinien, die von der Königlich Niederländischen Gesellschaft für Tierheilkunde (K. N. M. v. D.) und der Föderation der Tierärzte in Europa (FVE) aufgestellt wurden.1,2

In diesem Kapitel wird erläutert, welche Ansprüche eine tierärztliche Patientenakte zu erfüllen hat. Besonders berücksichtigt wird anhand entsprechender Beispiele das problemorientierte Krankenblatt nach Weed.2

5.2 Funktion von Patientenakten

Die wichtigsten Funktionen von Patientenakten sind:

1. Datenspeicher: Sie helfen dem behandelnden Tierarzt hinsichtlich früherer Beobachtungen, Diagnosen und Behandlungen.

2. Kommunikation: Sie nützen Kollegen und Teilzeitkräften und sind bei Praxisübergaben oder Überweisung von Patienten hilfreich.

3. Ordnung: Das Aufzeichnungssystem bietet eine Übersicht über relevante Informationen und leistet damit einen Beitrag zu effizienter und genauer Arbeit.

4. Leitfaden: Eine auf Protokollen aufbauende Patientenakte kann die Effizienz von Arbeitsabläufen und die Vollständigkeit der erhobenen Daten steigern, z. B. durch Nutzung gedruckter Untersuchungsformulare. In dienstrechtlichen Gerichtsprozessen spielen Protokolle zunehmend eine Rolle.*

5. Dokumentation: Ein Dokumentationsbedarf besteht bei der Überweisung von Patienten, Ankaufsuntersuchungen, Versicherungsfällen und der Strafverfolgung.

Informationen aus der Patientenakte können auch in finanziellen Fragen wie dem Ausstellen der Rechnung und Kostenschätzungen nützlich sein. In Universitätskliniken erfüllen Patientenakten darüber hinaus eine wichtige Unterstützungsfunktion für die Forschung und Lehre.

5.3 Festlegung des Inhalts von Patientenakten

Die Ausführlichkeit eines Systems zur Führung von Patientenakten wird zum Teil durch ökonomische Faktoren bestimmt, hängt also von der Größe, Art und Struktur der Praxis ab. Mindestens ebenso entscheidend sind das Interesse der beteiligten Tierärzte, die das System pflegen und überwachen müssen, und die Entschlossenheit, mit der sie sich um die gute Versorgung ihrer Patienten und das Niveau der Praxis bemühen.5

Ein einfaches Karteikartensystem mit handschriftlicher Aufzeichnung von individuellen Erkenntnissen lässt dem Benutzer große Entscheidungsfreiheiten, welche Informationen notiert werden. Es ist wenig zeitintensiv und die Archivierung ist enorm platzsparend. Dieses System zeichnet sich jedoch auch durch Unvollständigkeit und schlechte Funktionalität aus.

Der Aufbau von Patientenakten sollte, um alle zuvor genannten Bedingungen angemessen zu erfüllen, die folgenden Informationen enthalten:

1. Persönliche Angaben zum Tierhalters

2. Identifikation des Patienten

3. Informationen über Impfungen, Entwurmungen und Gesundheitszeugnisse

4. Informationen über vorausgegangene Erkrankungen und Behandlungen einschließlich der Art und des Zeitraums der Erkrankung

5. Der Vorstellungsgrund: das iatrotrope Problem (siehe Kap. 3.1.1)

6. Die Anamnese für den aktuellen Besuch

7. Die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung

8. Ergebnisse anderer Untersuchungen (Röntgen, Labor, Histopathologie etc.)

9. Schlussfolgerungen und Diagnosen

10. Eingesetzte diagnostische und therapeutische Substanzen einschließlich Dosierung, Datum und Art der Verabreichung

11. Operations- und Narkoseberichte

12. Sektionsbericht (falls zutreffend)

13. Erläuterungen, die dem Tierhalter gegeben wurden

14. Überweisungen (wohin und weshalb)

15. Abrechnung der Leistungen

Die meisten dieser Punkte sind selbsterklärend oder werden in diesem und späteren Kapiteln erläutert. Nur die ersten beiden Punkte sollen an dieser Stelle besprochen werden.

1. Persönliche Angaben zum Tierhalter. Sie sollten nicht nur Name und Anschrift, sondern auch die Telefonnummern umfassen, unter denen der Tierhalter tagsüber und am Abend erreichbar ist. Damit ist für dringende Fälle die bestmögliche Erreichbarkeit gewährleistet (z. B. beim Eintreffen von Laborergebnissen oder bei akuten Problemen eines in der Klinik eingestellten Patienten).

2. Identifikation des Patienten. Sie besteht aus dem Namen und Signalement des Tieres (unveränderliche Kennzeichen wie Rasse, Geschlecht, ggf. einschließlich Kastration, Geburtsdatum, Farbe und Struktur des Haarkleides, Abzeichen, anatomische Besonderheiten, Narben, Tätowierungen, Zuchtnummer). Gelegentlich ist das Geburtsdatum nicht bekannt und kann auch mithilfe des Tierhalters oder Betreuers nicht ermittelt werden. Dann muss der Tierarzt das Alter des Patienten schätzen (siehe Kap. 11.2.1). Zunehmend werden Hunde und Katzen auch mit einem zwischen die Schulterblätter implantierten Mikrochip (Transponder) gekennzeichnet. Mit einem Detektor kann der einmalige Barcode ausgelesen werden, über den sich der Tierhalter bei der europäischen Tierkennzeichnungsdatenbank EUROPETNET registrieren lassen kann.* Auch viele Tierkliniken und Kleintierpraxen vergeben an die Patienten eine eindeutige Registrierungsnummer.

In den Patientenunterlagen übernimmt die Aufnahme der Kennzeichen die folgenden Funktionen:

1. Wiedererkennung des Patienten. Das Verwechseln von Patienten ist einer der schlimmsten Fehler, die in der Humanoder Veterinärmedizin passieren können. Eine falsche Identifizierung ist besonders bei Heimtieren, und hier insbesondere bei in der Klinik eingestellten Patienten, eine echte Gefahr, da sie einander in Verhalten und äußerer Erscheinung oft sehr ähnlich sind und ihre Identität nicht preisgeben können. Die sorgfältige Aufnahme der Kennzeichen senkt dieses Risiko. Die Gefahr, Patienten zu verwechseln oder einen geflüchteten Patienten nicht wiederzufinden, kann auch durch Anlegen von Halsbändern mit eindeutiger Beschriftung eingedämmt werden. Eine genaue Beschreibung der Kennzeichen ist auch bei Gesundheitszeugnissen, Impfpässen und bei Gerichtsverfahren, in denen es um ein Tier geht, erforderlich. Ideal ist die Identifizierung eines Tieres anhand eines einzigartigen Merkmals oder Kennzeichens. Da dies aber selten ist, beruht die Wiedererkennung meist auf einer Kombination von weniger spezifischen Merkmalen. Die Verwechselungsgefahr nimmt mit steigender Anzahl solcher Merkmale ab. Normalerweise reichen wenige Informationen zur eindeutigen Identifizierung aus (z. B. »fünfjähriger Dobermann, männlich, Name: Bobby«). Allerdings sind Situationen vorstellbar, in denen Zusatzinformationen wie z. B. »Laparotomienarbe« sehr hilfreich wären. Das Signalement muss also in erster Linie eine so eindeutige Beschreibung wie möglich bieten. Tätowierungsnummern sind von Natur aus einzigartig und müssen immer aufgenommen werden. Leider sind sie manchmal unleserlich, besonders bei älteren Tieren. Implantierte Mikrochips sind dagegen lebenslang ablesbar und stellen zusammen mit der Abfrage über das Internet eine echte Verbesserung dar.

2. Kennzeichnung von Patientenproben. Blut, Harn oder Kotproben, Gewebeaspirat etc. werden meist mit dem Familiennamen des Tierhalters gekennzeichnet. Bei häufigen Namen führt das leicht zu Fehlern. Die Ergänzung mit dem Namen oder der Rasse des Tieres verringert die Fehlerquote erheblich. Der beste Weg zur Vermeidung von Verwechselungen ist die Vergabe von eindeutigen Patientennummern. Allerdings ist deren Verwendung (oder anderer Zahlen) allein ebenfalls fehlerträchtig, da Zahlen falsch abgelesen oder abgeschrieben werden können. Das Risiko steigt, je mehr Ziffern die Zahl enthält. Die Vertauschung von Proben kann für den Patienten schwerwiegende Konsequenzen haben. Sie ist einer der häufigsten Fehler in Kliniken und Laboren.

3. Diagnose. Das Signalement kann für die Diagnosefindung eine wichtige Rolle spielen, namentlich bei den bedingten Wahrscheinlichkeiten (siehe Kap. 3.1.5). Es gibt viele Beispiele für Krankheiten, die aufgrund von Alter, Rasse oder Geschlecht eines Patienten unwahrscheinlich sind oder sogar ausgeschlossen werden können.

5.4 Aufbau von Patientenakten

Die folgenden Kriterien sind für den Aufbau von Patientenakten besonders wichtig:

image Klare Strukturierung der Akte

image Vollständigkeit der Aufzeichnungen

image Verfügbarkeit der Akte

image Arbeitsaufwand und Kosten

5.4.1  Klare Strukturierung

Klarheit ist für funktionsfähige Patientenakten unabdinglich. Sie umfasst sowohl die gute Leserlichkeit als auch eine logische Abfolge bei der Datenaufnahme. Für die Leserlichkeit sind Formulare, entweder in Papierform oder am Bildschirm, eine gute Hilfe, insbesondere wenn sie aus Multiple-Choice-Fragen bestehen, die durch Ankreuzen beantwortet werden. Hierdurch werden handschriftliche Notizen auf ein Minimum reduziert. Diese Art Formular erleichtert auch das Wiederauffinden von Daten, da jede Information einen festen Platz hat. Dieser Platz kann bei der Erstellung des Formulardesigns aktiv ausgewählt werden. Ein gutes Layout trägt zur Leserlichkeit bei und erleichtert die Wahrnehmung von Informationen mit Signalfunktion, wenn diese z. B. in einer gesonderten Spalte festgehalten werden (siehe Kap. 6.2 und das dazugehörige Formular auf der DVD). Im Allgemeinen kann man sagen, je stärker Papierformulare eingesetzt werden, desto größer ist die Klarheit der Aufzeichnungen. Diese Aussage gilt für Patienten, über die wenig bekannt ist, natürlich nur mit Einschränkungen.

Damit Informationen leicht wiedergefunden werden können, müssen sie einheitlich und in logischer Abfolge notiert werden. Die Einheitlichkeit kann gesteigert werden, indem an wichtigen Stellen des Formulars vorgegebene Begriffe zur Auswahl stehen. Die Auswahl aus einer Liste verhindert Schreibfehler und Unstimmigkeiten in der Terminologie. Dies ist besonders wichtig, wenn Informationen (z. B. Signalement, Probleme oder Diagnosen) anhand von Stichworten abgerufen werden sollen (elektronisch oder per Hand).

Patientendaten können im Prinzip auf drei Arten organisiert werden: chronologisch, quellenorientiert oder problemorientiert. Bei einem streng chronologischen Aufbau wird die Information in der Reihenfolge ihres Eingangsdatums abgelegt. Diese Methode bietet nicht viel Klarheit, weil unvorhersehbar ist, an welcher Stelle eine Informationen in den Aufzeichnungen zu finden ist. Bei einer streng quellenorientierten Ablage werden die Informationen anhand ihrer Herkunft sortiert (d.h. bildgebende Verfahren, klinische Chemie, Histologie). Das führt zur Entstehung mehrerer unabhängiger Informationspakete, innerhalb derer eine chronologische Reihenfolge eingehalten wird. Bei dieser Methode lassen sich Informationen meist leicht wiederfinden, aber die Gründe für ihre Erhebung, die inhaltlichen Zusammenhänge zwischen den Daten und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen können bei größeren Datenmengen schwierig zu rekonstruieren sein.

Einige dieser Probleme lassen sich verhindern, indem für unterschiedliche Daten jeweils verschiedenfarbige Formulare verwendet und immer in derselben Reihenfolge in der Patientenakte abgelegt werden. Dadurch wird die Akte klarer. Grundsätzlich nicht zu empfehlen sind Formulare von unterschiedlichem Format. Für die häufige und regelmäßige Aufzeichnung von Daten, die sich schnell ändern, sollten Flussdiagramme angelegt werden (Abb. 5.1). Die grafische Darstellung erleichtert die Nachverfolgung von Unregelmäßigkeiten erheblich. Kurven, die eine Variable gegen die Zeit abbilden, wie Pulsrate, Temperatur, Atmung oder Blutharnstoff, sind hier geläufige Beispiele.

 

Die Aufstellung einer Liste, in der alle Probleme des Patienten kompakt und in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben werden, bietet einen ganzheitlichen Überblick über den klinischen Status des Patienten und verhindert das Übersehen relevanter Informationen. Die Zusammenstellung einer solchen »Problemliste« wird weiter unten in diesem Kapitel detaillierter beschrieben. Sie ist ein essenzieller Bestandteil der problemorientierten medizinischen Dokumentation, kann aber auch bei quellenorientierten oder chronologischen Aufzeichnungen hilfreich sein.

Bei der problemorientierten Patientenakte werden die Daten nach den dazugehörigen Problemen sortiert. Befunde aus verschiedenen Quellen (z. B. bildgebende Verfahren, Labor) werden immer aus dem Originalbericht in einen Tagesstatus übertragen, wo sie unter der Rubrik des Problems eingetragen werden, aufgrund dessen sie erhoben wurden. Der Originalbericht wird weggeworfen oder als Supplement in die Patientenakte aufgenommen. Diese Methode erleichtert das Wiederfinden von Informationen, wenn das Problem, das zur Datenerhebung geführt hat, bekannt ist. Da dieses System zur Interpretation der Befunde zwingt, erlaubt die Betrachtung der Aufzeichnungen einen Einblick in die Gedankengänge, die zu den resultierenden Folgerungen oder Planungen geführt haben. Abbildung 5.4 gibt hierfür ein Beispiel.

5.4.2  Vollständigkeit

Eine Patientenakte kann nur dann gut funktionieren, wenn sie alle verfügbaren relevanten Informationen enthält und gut ausgearbeitet ist. Neue Informationen müssen so schnell wie möglich eingetragen werden. Die sofortige Notierung von Untersuchungs- und Behandlungsinformationen bei jedem Besuch muss zur Routine gehören, sie darf nur im Ausnahmefall verschoben werden.

Die Vollständigkeit der Informationen hängt naturgemäß von der Vollständigkeit der Untersuchungen selbst ab. Hier kann die Befolgung eines festgelegten Ablaufschemas nützlich sein. Die Verwendung von Formularen (auf Papier oder am Bildschirm) für die Anamnese, Untersuchung und Behandlung erleichtert eine solche Arbeitsweise. Derartige Formulare können auch als Vorlage für einen Bericht dienen. Man kann sogar verschiedene Probleme auf einem einzigen Formular ausarbeiten. Wenn nach Abschluss eines bestimmten Teils einer Untersuchung eine neue Fragestellung aufgegriffen werden muss, kann diese Entscheidung auf dem Formular durch Querverweis auf eine Folgeseite dokumentiert werden, die zu demselben Formular gehören kann oder auch nicht (für ein Beispiel siehe das Formblatt zu Kap. 23 auf der DVD).

 

5.4.3  Verfügbarkeit der Akte

Patientenakten müssen immer frei verfügbar sein, deshalb hat ein gutes Ablagesystem oberste Priorität. Es kann aus Karteikästen oder Hängeregistern bestehen, in denen die Akten alphabetisch oder numerisch abgelegt werden. Bei numerischer Ablage kann das Risiko einer falschen Einsortierung durch einen farbigen Aufkleber auf dem Aktenrücken verringert werden, der die Nummer ganz oder teilweise wiedergibt (Abb. 5.2). Akten müssen immer an ihrem Platz im Ablagesystem oder während der Behandlung beim Patienten aufbewahrt werden. Sie dürfen niemals durch die Praxis vagabundieren und sie mit Sicherheit niemals verlassen.

5.4.4  Computergestützte Patientenakten

Die systematische Ablage von Patientendaten kann durch ein Computersystem und eine entsprechende Praxissoftware deutlich verbessert werden. Elektronische Patientenakten haben gegenüber den Papierakten wichtige Vorteile: Sie können nicht verlegt werden oder verloren gehen, sie erleichtern das Wiederauffinden von Informationen und sie erlauben die Dateneinsicht an jedem angeschlossenen Computer. Nahezu alle Kleintierkliniken nutzen inzwischen Praxissoftware für die Buchführung und Abrechnung. Diese Programme bieten meist auch einfache Formulare zur Speicherung von Patientendaten an, in der Regel als unstrukturierte, quellenorientierte Formulare. Als erweiterte Optionen gibt es Programme für menschliche Patienten oder maßgeschneiderte Software-Lösungen. Beides ist allerdings sehr teuer und mit einem hohen Aufwand für die Organisation der Datenbank und die Gestaltung der Formulare verbunden. Jedenfalls ist die papierlose Kleintierpraxis eingeführt und wird zweifellos weiter ausgebaut werden.6

In einigen Tierkliniken werden Patientenakten mittlerweile vollständig elektronisch geführt. Wenngleich dieser Wechsel meist durch Übernahme von Systemen aus der Humanmedizin vollzogen wurde,7 ist ein größerer Programmieraufwand nötig, um die Systeme an die Erfordernisse der Tiermedizin anzupassen. Außerdem müssen die Anwender eine Lernkurve beschreiben. Sind diese Schwierigkeiten gemeistert, scheinen die Hauptvorteile in der ständigen Verfügbarkeit der Akte (!) und ihrer (fast immer) Vollständigkeit zu liegen. Weitere Vorteile gegenüber dem Papiersystem beinhalten die teilautomatisierte Erstellung von Entlassungsbriefen, Zugang zum Internet und die Einbindung von digitalen Bildern. Der verbesserte Zugang zu den klinischen Befunden ist auch für die Lehre von Vorteil und die elektronischen Aufzeichnungen ermöglichen die Analyse von Gedankengängen während der Untersuchung und Behandlung.7

In den Abb. 5.35.6 sind einige Beispiele für elektronische Patientenakten dargestellt, die an der Utrecht University Clinic for Companion Animals (Vetware Utrecht) im Jahre 2003 eingeführt wurden. Sie zeigen die Bildschirmoberflächen für eine Untersuchung des Ohres. Das Formular für die Registrierung nimmt den größten Teil des Bildschirms ein. Die Spalte auf der linken Seite ist die Symbolleiste mit den Befehlsknöpfen. Ein Knopf dient dem Aufruf der Problemliste. Ein anderer, »Invoerverrichtingen«, ruft das Rechnungsformular auf. In der Kopfzeile jedes Formulars sind persönliche Angaben zu Besitzer und Tier, der überweisende Tierarzt und der behandelnde Tierarzt aufgeführt.

 

 

 

 

5.4.5  Arbeitsaufwand und Kosten

Grundsätzlich muss die Zeit, die in die Entwicklung und Pflege der Patientenakten investiert wird, ökonomisch gerechtfertigt sein. Der »Gewinn«, der sich aus der Führung von Patientenakten ergibt, ist schwierig als Geldwert auszudrücken, da er sich vor allem in der Qualität der Patientenversorgung widerspiegelt. Wenngleich Qualität ein leicht zu verstehender Begriff ist, ist ihr ökonomischer Wert nicht eindeutig bestimmbar. Außerdem schwankt er je nach wirtschaftlicher Situation.

Gute Patientenakten können in der Praxis Zeit sparen. Es gibt allerdings ein optimales Verhältnis zwischen investierter und gewonnener Zeit. Wenn zu wenige Informationen aufgezeichnet werden, ist das Risiko hoch, dass viele Tätigkeiten wiederholt bzw. unnötig oder sogar fälschlicherweise ausgeführt werden. Werden sehr viele Informationen notiert, ist es unvermeidbar, dass einige dieser Informationen nie genutzt werden, z. B. weil der Patient nicht mehr wiederkommt.

Von den in Kap. 5.4.1 erwähnten Systemen ist die problemorientierte Patientenakte am ausführlichsten und arbeitsaufwendigsten und damit am teuersten. Das quellenorientierte System ist einfacher und billiger, aber auch weniger zugänglich und unvollständiger. Die Art der Praxisführung, die wirtschaftlichen Möglichkeiten und die gewünschte Qualität der Patientenversorgung bestimmen den Umfang und Typ des eingesetzten Systems. Natürlich hat die Entscheidung zwischen Papierakten und elektronischen Aufzeichnungen auch finanzielle Konsequenzen. Sowohl die Geräte als auch die Software stellen erhebliche Investitionen dar und müssen mit den Wünschen und Möglichkeiten des Anwenders in Einklang stehen.

5.5 Problemorientierte Patientenakten

Die klassische Patientenakte ist quellenorientiert. Ihr Vorteil liegt darin, dass das Hinzufügen neuer Informationen wenig Zeit beansprucht. Sie bietet dem Tierarzt darüber hinaus große Freiheit hinsichtlich Format und Ausführlichkeit seiner Aufzeichnungen. Der große Nachteil des quellenorientierten Systems liegt darin, dass die Rekonstruktion der Krankheitsgeschichte sehr zeitaufwendig ist, da die dazugehörigen Informationen, die aus verschiedenen Quellen stammen, nicht miteinander in Verbindung stehen. Durch diese strukturelle Unzulänglichkeit – die Akte eignet sich wenig für eine systematische Datensammlung – stellt man oft später fest, dass Informationen fehlen. Ferner muss jeder Tierarzt erneut darüber nachdenken, welche Untersuchungen bei dem Patienten erforderlich sind, was für die Selektivität und Beurteilung nicht förderlich ist. Das Fehlen eines systematischen Ansatzes bei der Sammlung und Niederschrift der Informationen führt zum Verlust der Einheitlichkeit. Das kann zu Verständigungsschwierigkeiten führen, wenn mehrere Tierärzte an der Behandlung beteiligt sind. Abträglich ist dies auch bei Fällen von Schadensersatzforderungen oder dienstrechtlichen Gerichtsverfahren, wo die Qualität der medizinischen Dokumentation meist eine wichtige Rolle spielt.4

Aus Unzufriedenheit mit diesen Defiziten entwickelte der amerikanische Arzt Weed ein alternatives Aufzeichnungssystem, das seitdem als problemorientiertes Krankenblatt (POMR, problem oriented medical record) bekannt ist. Das POMR ist so strukturiert, dass alle dokumentierten Informationen sichtbar einem oder mehreren definierten Problemen zugeordnet sind. Den Kern dieser Aufzeichnungen bildet eine »Problemliste«, die sämtliche Probleme dieses Patienten auflistet. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff »Problem« von Weed definiert als alles das, was einer Untersuchung oder Behandlung bedarf.3 Hierbei kann der Grund, aus dem der Tierhalter das Tier vorstellt (das iatrotrope Problem), ebenso notiert werden wie eine Unregelmäßigkeit, die im Verlauf der Untersuchung entdeckt wird.

Die Definition der Probleme ist einer der wichtigsten Schritte im Patientenmanagement, da sie die Auswahl an diagnostischen und therapeutischen Verfahren für diesen Patienten festlegt. Die achtlose oder fehlerhafte Notierung von Problemen birgt das Risiko, dass die Behandlung am falschen Ende ansetzt. Im schlechtesten Fall können hieraus teure Untersuchungen resultieren, die dann keine brauchbaren Informationen liefern, oder drastische Behandlungen, die den Zustand des Patienten nicht verbessern oder ihn sogar verschlechtern.

Die Definition der Probleme beginnt in einem frühen Untersuchungsstadium. Nach Aufnahme der Anamnese hat der Untersucher in der Regel ein klares Bild davon, weshalb der Tierhalter das Tier vorstellt. Dies ist das iatrotrope Problem (Kap. 3.1.1), das immer in der Problemliste dokumentiert wird. Im Verlauf der Untersuchung werden weitere Informationen verfügbar, die zur Aufnahme weiterer Probleme in die Problemliste führen können.

Für die Zugänglichkeit der Aufzeichnungen ist die Art und Weise wichtig, wie die Probleme definiert werden. Man kann z. B. jede Beobachtung als Problem aufschreiben. Dies hat zwar den Vorteil, dass nichts übersehen wird, führt aber zu einer zu langen und komplexen Problemliste. Die Problemliste wird deutlicher, wenn die Zahl der Probleme so stark wie möglich eingeschränkt wird. Dies ist zu erreichen, indem mehrere Beobachtungen zu einer nosologischen Einheit zusammengefasst werden, welche die diagnostische Richtung vorgeben, z. B. »Polyurie/Polydipsie« oder »Fieber unbekannter Genese«. Eine Liste mit standardisierten Beschreibungen häufiger Probleme kann die Erstellung der Problemliste erleichtern. Darüber hinaus können diese Standarddefinitionen mit diagnostischen und/oder therapeutischen Szenarien verknüpft werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Verwendung einer standardisierten Terminologie die Gesamtzahl der Begriffe reduziert, ohne dass die Genauigkeit der Problembeschreibung leidet.6,9

 

Regelmäßiger Bestandteil der Diagnostik ist die Aufnahme eines Basisdatensatzes für das betrachtete Problem. Damit sind die Daten gemeint, die zum nächsten Konkretisierungsschritt führen. Der Basisdatensatz kann auf die körperliche Untersuchung beschränkt sein, kann aber auch weiterführende Untersuchungen wie Labor oder bildgebende Verfahren beinhalten. Die Ausführlichkeit des Basisdatensatzes hängt vom Problem sowie von den Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen Praxis ab.

Manchmal ist es nicht möglich, ein Problem anhand der Vorgeschichte genau zu bestimmen. In diesen Fällen kann ein allgemeiner Basisdatensatz erhoben werden. Er umfasst eine Reihe von nicht spezifischen Untersuchungen, bei denen sich Befunde ergeben können, die der Eingrenzung des Problems dienen. Diese Vorgehensweise ist jedoch nur selten nötig, da in den meisten Fällen das iatrotrope Problem klar genug eingegrenzt werden kann, um die entsprechende Diagnostik einzuleiten.

Einer der Vorteile von POMR liegt darin, dass der Nutzer bereits in einem frühen Stadium gezwungen wird, das Problem so simpel wie möglich zu formulieren. Das wirkt der Neigung entgegen, verfrüht eine spezifische Diagnose zu stellen, und bringt den Tierarzt dazu, das Problem auf der Ebene zu beschreiben, auf der es tatsächlich präzisiert werden kann (z. B. »Erbrechen« anstelle von »Pankreatitis«). Andererseits nötigt POMR den Nutzer auch dazu, Probleme und Symptome so logisch wie möglich zusammenzustellen und irrelevante Dinge wegzulassen. Damit werden unnötige Schreibarbeiten und die Gefahr einer zu großen Ausführlichkeit verhindert. POMR hilft dem Tierarzt auch dabei, bereits zu einem frühen Zeitpunkt zu erkennen, ob sein eigenes Wissen zur Lösung des Falles ausreicht oder ob andere Quellen zu Rate gezogen werden müssen (Fachzeitschriften, Bücher, Besprechung mit Kollegen, Unterstützung durch einen Spezialisten).

Das Innehalten zur Formulierung der Probleme kostet Zeit, die aber gut investiert ist. Ein gut definiertes Problem ist schon halb gelöst. Wird ein Problem dagegen schlecht oder sogar falsch beschrieben, resultiert daraus die Gefahr unzweckmäßiger diagnostischer Maßnahmen. Nicht immer ist es leicht, das Problem anhand der Anamnese korrekt zu bestimmen. So waren die von einem unabhängigen Interviewer befragten Patienten einer Allgemeinpraxis mit 12% der von ihrem Arzt definierten Probleme nicht einverstanden.10 Dieses Beispiel zeigt, dass es nützlich sein kann, die Definition der Probleme vor der Niederschrift mit dem Klienten zu besprechen.

 

Die Probleme in der Liste werden der Reihe nach durchnummeriert, diese Nummern werden in die übrigen Teile der Aufzeichnungen übernommen, um zu kennzeichnen, wo sich die zum Problem gehörenden Informationen wiederfinden (Abb. 5.7). Die Problemliste beinhaltet auch diverse Zeitangaben zum Problem. So kann das Datum, an dem das Problem dem Tierhalter zum ersten Mal auffiel, als erstes genannt werden. Der Buchstabe (a) kann dahinter vermerkt werden, um zu kennzeichnen, dass es sich um eine Information aus der Anamnese handelt. Das zweite Datum ist der Tag, an dem der Tierarzt das Problem beobachtet hat. Am Ende steht das Datum, an dem das Problem gelöst wurde.

Der Begriff »gelöst« bedarf hier einer Erläuterung, da er sich in diesem Zusammenhang vom allgemeinen Sprachgebrauch abhebt. Im POMR gilt ein Problem als gelöst, wenn die Diagnose gestellt wird. Das kann, muss aber nicht bedeuten, dass das Problem aufhört zu existieren. Es bedeutet vielmehr, dass eine Prognose gestellt und die adäquate Therapie eingeleitet werden kann.

Der Übergang eines Problems zur Diagnose wird in der Problemliste als waagerechter Pfeil dargestellt. Das Problem steht links vom Pfeil und die Diagnose wird zu gegebener Zeit rechts eingetragen. Steht auf der rechten Seite nichts, ist davon auszugehen, dass das Problem noch nicht gelöst wurde. Die Niederschrift des Problems erfüllt somit eine doppelte Funktion:

image Sie bietet auf einen Blick eine Übersicht über alle Probleme des Patienten und den Grad ihrer diagnostischen Abklärung.

image Sie führt durch die Nummerierung der Probleme zu den Stellen in der Akte, an denen sich die dazugehörigen Informationen finden.

Zur Erfüllung des letztgenannten Punkts müssen die Untersuchungsergebnisse auf das dazugehörige Problem verweisen. Hierzu können die Befunde für jedes Problem zusammengefasst und in ein Verlaufsformular eingetragen werden. Diese Verlaufsformulare bilden einen durchgehenden Fortschrittsbericht zur Diagnostik und Therapie für die in der Problemliste aufgeführten Probleme. Die Verlaufsnotizen (Abb. 5.8) folgen einem festen Schema und sind in drei Kategorien aufgeteilt: Beobachtungen*, Interpretation und Planung.8 Im Verlaufsformular werden diese drei Kategorien mit den Buchstaben B, I und P am Rand neben dem Datum der Niederschrift und der Nummer des Problems, auf das sie verweisen, vermerkt. Die Aufzeichnungen werden noch klarer, wenn außer der Nummer auch der Name des Problems angegeben wird.

 

Der Abschnitt »Beobachtungen« umfasst alle Informationen, die zum entsprechenden Termin bezüglich des jeweiligen Problems gesammelt wurden. Der Abschnitt »Interpretation« beinhaltet die Schlussfolgerungen, die der Tierarzt aus diesen Beobachtungen hinsichtlich der Schwere und der mutmaßlichen Ursache der beobachteten Unregelmäßigkeiten (soweit nicht bereits bekannt) gezogen hat. In diesem Stadium werden auch Hypothesen zur Erklärung der Beobachtungen aufgestellt (siehe Kap. 3.2).

Der Abschnitt »Planung« besteht aus drei Einheiten:

image (Pd) diagnostischer Plan

image (Pt) therapeutischer Plan

image (Pi) Information für den Tierhalter

Der diagnostische Plan zeigt an, (1) welche Untersuchungen durchgeführt werden sollen, um die unter A aufgestellte Hypothese zu prüfen, und (2) wann diese Untersuchungen durchgeführt werden. Der therapeutische Plan beschreibt, welche Behandlungen eingeleitet werden und wie lange sie dauern sollen. Die Information für den Tierhalter besteht aus einer Erläuterung der diagnostischen und therapeutischen Pläne und erklärt, wann und warum diese Pläne umgesetzt werden müssen.

Bei der Erstuntersuchung werden die Beobachtungen in die Datenbank aufgenommen, und die Interpretation besteht in erster Linie aus einer Zusammenfassung aller Unregelmäßigkeiten zu einem oder mehreren Problemen, die dann in der Problemliste notiert werden. Theoretische Überlegungen zur Ursache der Probleme (Differenzialdiagnosen) müssen unter der Überschrift »Interpretation« auf dem Verlaufsblatt eingetragen werden. Zu jeder Differenzialdiagnose können Argumente dafür oder dagegen mit notiert werden.

Diagnostische Pläne enthalten zwei Arten von Planungen: diagnostische Abläufe und Überwachungspläne. Die diagnostischen Abläufe dienen der Überprüfung der Differenzialdiagnosen. Sie folgen ggf. einem festgelegten Schema. Die Überwachungspläne ermöglichen die Nachverfolgung abweichender Werte und werden im Wesentlichen durch den Grad der Veränderung bestimmt. Das zuvor beschriebene Verlaufsformular kann hier sehr nützlich sein. Beim POMR ist es unverzichtbar, da immer auch Befunde erhoben werden, die sich nicht eindeutig einem bestimmten Problem zuordnen lassen (z. B. Körpergewicht). Therapeutische Pläne können symptombezogen oder kausal aufgebaut sein. Die Tierhalterinformation kann auch die Bitte enthalten, einer bestimmten Behandlung zuzustimmen.

Die vollständige Umsetzung der hier beschriebenen Methode erfordert erhebliche Schreibarbeit, wovon sich ein Teil als überflüssig herausstellen kann. Es kann eine sehr ausgedehnte Problemliste entstehen, bei der für jeden Aufzählungspunkt die BIP-Prozedur abzuarbeiten und zu notieren ist (Abb. 5.9). Es empfiehlt sich daher, die klinischen Beobachtungen in der Problemliste so weit wie möglich zu Syndromen zusammenzufassen, sodass eine Überschneidung zwischen den dazugehörigen diagnostischen Plänen weitestgehend vermieden wird.

 

 

image

Abb. 5.11:
Problemliste aus Abb. 5.9, auf ein Problem reduziert.

 

image

Abb. 5.12:
Die Problemliste aus Abb. 5.11 zu einem späteren Zeitpunkt. Das erste Problem wurde zusammengefasst und ein neues Problem der Liste hinzugefügt.

Ein verminderter Turgor, verlängerte kapilläre Rückfüllungszeit, erhöhter Hämatokrit und Hyperproteinämie sind Anzeichen einer Dehydrierung, sodass die Verlaufsnotizen zu den Punkten 2, 3, 4 und 5 nahezu identisch sein werden. Zusätzlich beeinflussen pH-Wert und Kalziumgehalt des Blutes sich gegenseitig, sodass sich auch die Notizen für die Punkte 7 und 8 überschneiden werden. Solche Duplikationen sind durch Zusammenfassen der Beobachtungen vermeidbar (Abb. 5.10, Abb. 5.11).

Es ist klar, dass die Verdichtung vieler Beobachtungen zu wenigen Problemen umso einfacher wird, je besser der Einblick in die klinische Situation des Patienten wird. Es ist nicht unmittelbar deutlich, welche Informationen relevant sind und welche nicht. Einige Autoren empfehlen deshalb, die Problemliste nicht in der ersten Untersuchungsphase, sondern erst in einem späteren Stadium auszufüllen.11

Das Problem ist dauerhaft in der Patientenakte dokumentiert, wird bei jeder weiteren Untersuchung wieder besprochen und, soweit nötig, durch weitere Probleme ergänzt. Natürlich kann eine so aufgebaute Problemliste extrem lang werden, insbesondere wenn der Patient viele Probleme hat und lange lebt. Sie wird dann auf die Dauer immer unübersichtlicher. Das lässt sich vermeiden, indem die Liste von Zeit zu Zeit neu geschrieben wird. So können beispielsweise alle notierten Probleme, die der Vergangenheit angehören, wie in Abb. 5.12 gezeigt, komprimiert werden.

Wenn sich bei der Überarbeitung von Problemlisten die Nummerierungen ändern, kann das zu Fehlern bei den Querverweisen führen. Deshalb ist es besser, das Problem jedes Mal mit Worten zu benennen (Abb. 5.9).

Ein Nachteil von POMR ist, dass es die Freiheit des Anwenders hinsichtlich der Art und Ausführlichkeit der Aufzeichnungen einschränkt. Das ergibt sich einerseits aus der Verwendung der Formulare, andererseits ist es ein Bestandsmerkmal dieser Methode. Frei bleibt der Anwender trotzdem in einem wesentlichen Punkt: in der Interpretation.

In der Kleintierpraxis spielen Lehre und Forschung keine große Rolle und der Wert von Patientenakten liegt im Wesentlichen in der Erfassung von Informationen und dem Informationsfluss zwischen Kollegen. Auch wenn POMR in beiderlei Hinsicht dem traditionellen System überlegen ist, so ist doch der Arbeitsaufwand ein Hinderungsgrund für ihren breitflächigen Einsatz. Aber auch wenn ein anderes System als POMR verwendet wird, lohnt sich die Übernahme von ausgewählten Elementen aus POMR. So erleichtert beispielsweise die Erstellung einer Problemliste die Rekonstruktion der Krankengeschichte für den behandelnden Tierarzt und Kollegen und verbessert so die fachliche Verständigung.

Literatur

1. NN (1996): Kwaliteitsrichtlijnen voor Dierenartsenpraktijken. Koninklijke Nederlandse Maatschappij voor Diergeneeskunde, Utrecht. (Quality guidelines for veterinary practices. Royal Netherlands Veterinary Association, Utrecht, 1996.)

2. NN (2002): Code of good veterinary practice. Federation of Veterinarians in Europe, Brussels.

3. Weed LL: Medical records, medical education, and patient care. Yearbook Medical Publishers, Chicago, 1971.

4. van der Helm JJ (2001): Specialist en assistent-geneeskundige; tuchtrechtelijke verdeling van verantwoordelijkheden (Specialists and assistant physicians; disciplinary division of responsibilities) Ned Tijdschr Geneeskd 145: 1416–1419.

5. Ho LM, McGhee SM, Hedley AJ (1999): The application of computerized problem-oriented medical record system and its impact on patient care. Int J Med Inf 55: 47–59.

6. McCurdy HD (2001): The paperless practice. J Am Vet Med Assoc 218: 1776–1777.

7. Hornof WJ, Brentson PR, Balance DW (2001): Development of a complete electronic medical record in an academic institution. J Am Vet Med Assoc 218: 1171–1175.

8. van Sluijs FJ (1983): De toepassing van het probleemgerichte medisch dossier in de diergeneeskunde. (The application of the problem-oriented medical record in veterinary medicine.) Tijdschr Diergeneesk 108: 520–525.

9. Brown SH, Miller RA, Camp NH (1999): Empirical derivation of an electronic clinically useful problem statement system. Ann Intern Med 131: 117–126.

10. Lauteschlager M, Brouwer HJ, Mohrs J (2002): The patient record as a source to improve the medical record. Fam Pract 19: 167–171.

11. Osborne CA (1983): The problem oriented medical system. Improved knowledge, wisdom and understanding of patient care. Vet Clin North Am 13: 745–790.

Untersuchungsprotokolle

Zu den meisten Kapiteln dieses Buches findet sich auf der DVD ein Formular. Dieses Formular dient dazu, die wesentlichen Befunde aus der Anamnese und körperlichen Untersuchung so vollständig wie möglich zu erfassen. Im Allgemeinen sind diese Formulare folgendermaßen gegliedert:

image Kennzeichen, Name, Anschrift etc.

image Anamnese und iatrotropes Problem

image Körperliche Untersuchung

image Formulierung des Problems/der Probleme

Anamnese

Auf dem allgemeinen Anamneseblatt kann der Tierhalter eine Reihe von Fragen schon vorab beantworten, z. B. im Wartezimmer oder sogar zu Hause, wenn der überweisende Tierarzt das Formblatt zur Verfügung stellt. In der linken Spalte finden sich die Antworten, auf die der Tierarzt reagieren muss. Die Formulare einiger Spezialthemen beginnen mit zusätzlichen Anamnesefragen.

Körperliche Untersuchung

Für jeden Bestandteil der körperlichen Untersuchung wird zum Ankreuzen eine Anzahl möglicher Befunde vorgegeben. In Abb. 5.13 ist ein Beispiel aus dem Formular »Allgemeinuntersuchung« dargestellt.

 

image

Abb. 5.13

In anderen Fällen, wie in dem in Abb. 5.14 gezeigten Beispiel aus dem Formular »Verhalten«, wird Raum zum freien Eintragen von Möglichkeiten oder Befunden gelassen.

 

image

Abb. 5.14

In einigen Formularen, so z. B. bei »Nervensystem« oder »Bewegungsapparat«, können die Befunde in Spalten mit Kästchen eingetragen werden (Abb. 5.15), beispielsweise mit einer Nummer wie bei den Reflexen: 0 = fehlend, 1 = vorhanden, 2 = gesteigert, 3 = klonisch.

 

image

Abb. 5.15

Die Spalte ganz rechts im Formular dient der Notierung »keine Abweichung«. Zum Ankreuzen der Befunde oder Gruppen von Befunden sind kleine Kreise vorgesehen. Ein Kreuz an dieser Stelle bedeutet, dass dieser Teil der Untersuchung durchgeführt und keine Auffälligkeit festgestellt wurde. In Abb. 5.16 ist ein Beispiel aus dem Formular »Haut, Haarkleid und Krallen« wiedergegeben.

 

image

Abb. 5.16

Auf einigen Formularen lassen sich Befunde in eine Zeichnung eintragen, wie in Abb. 5.17 gezeigt.

 

image

Abb. 5.17


* Das betrifft nicht nur die Einhaltung von Protokollen, sondern auch die Frage, ob alle notwendigen Protokolle zur Verfügung stehen.4

* EUROPETNET ist eine Gruppe von nationalen und lokalen Vereinigungen in Europa, welche die Registrierung von Tierhaltern anbietet, deren Tiere durch Mikrochips eindeutig zu identifiziert sind (www.europetnet.org). EUROPETNET ermöglicht jedes Jahr die Rückgabe von mehreren Tausend verschwundenen Heimtieren an ihre Besitzer in ganz Europa. Die Website enthält Informationen zu den Registrierungsstellen in den beteiligten Ländern.

* Im Originalentwurf von Weed wurde zwischen subjektiven und objektiven Beobachtungen unterschieden. Subjektive Beobachtungen stammen vom Patienten selbst, objektive Beobachtungen von Arzt und Krankenschwestern. In der Veterinärmedizin kann man nur erahnen, was der Patient selbst bezüglich seiner Krankheit empfindet, sodass diese Unterscheidung nicht anwendbar ist.

6 |  Die Anamnese
A. Rijnberk

6.1 Der Vorbericht

6.1.1 Einleitung

Der medizinische Vorbericht wird in einem Gespräch mit dem Halter oder Betreuer des Patienten aufgenommen. Gegenstand dieses Gesprächs sind nicht nur spezifische Informationen über den Grund des Tierarztbesuches (das iatrotrope Problem), sondern auch allgemeinere Informationen über den Zustand des Patienten, seine Haltungsbedingungen und vorausgegangene gesundheitliche Probleme.

Da Haustiere und ihre Besitzer meist in engem Kontakt zueinander stehen, kann der Vorbericht viele wertvolle Hinweise für die Formulierung der Fragestellung geben. Beim problemorientierten Ansatz führen die Fragen oft sehr schnell zu einem spezifischen Problem. Die dazu notwendigen Informationen werden allerdings nicht hier, sondern in späteren Kapiteln über die Organsysteme diskutiert. Das liegt an ihrer Verknüpfung mit der Anatomie, Pathophysiologie und den Untersuchungstechniken, die dort besprochen werden.

Zwar erscheint diese Vorgehensweise für die Besprechung des Vorberichts auf den ersten Blick etwas unlogisch, aber es kommt immer wieder vor, dass Befunde aus der körperlichen Untersuchung zu neuen Fragestellungen führen. Dann müssen erneut Informationen über den Funktionszustand der Organe gesammelt werden. Zu diesem Zweck nutzt man sowohl die Anamnese als auch die körperliche Untersuchung, was deutlich zeigt, wie sehr diese beiden Methoden miteinander verwoben sind, insbesondere bei der Betrachtung einzelner Organsysteme.

6.1.2  Kontaktaufnahme mit Tierhalter und Patient

Um unseren Auftrag bestmöglich zu erfüllen, müssen wir den richtigen Rahmen für ein gutes Gespräch schaffen. Sehr häufig entscheiden die ersten Minuten des Kontakts von Tierarzt und Klient über den Charakter aller zukünftigen Zusammentreffen. Zunächst ist der Klient in Ruhe (ohne Hektik!) und mit echtem Interesse zu begrüßen. Bei der Erstuntersuchung machen Sie die erste Bekanntschaft miteinander. Auch wenn die gesellschaftlichen Gepflogenheiten sich ändern, ist es doch wünschenswert, Klienten mit »Guten Morgen, Herr ...« oder »Guten Tag, Frau ...« zu begrüßen und sie nicht mit dem Vornamen anzusprechen. Kinder und Jugendliche können weniger formal mit dem Vornamen angesprochen werden. Wenn die Aussprache des Namens ein Problem darstellt, sollte man nicht zögern, sich nach der korrekten Aussprache zu erkundigen.1 Die sorgsame Aussprache und Buchstabierung des Namens (ggf. einschließlich Initialen) wird von vielen Menschen hoch geschätzt.

Bei den ersten Zusammentreffen spielt die nonverbale Kommunikation eine wichtige Rolle. Zur Begrüßung des Klienten sollte man aufstehen, einige Schritte in Richtung des Klienten machen und ihm die Hand geben. Das Händeschütteln ist eine Form der nonverbalen Kommunikation, die eine beruhigende Wirkung hat, insbesondere wenn sie von einem freundlichen Gesichtsausdruck begleitet wird. So vermittelt der Tierarzt den Eindruck, dass er den Patienten mit wachem Interesse und frischer Energie empfängt.2

Der Erstkontakt sollte einige Minuten dauern. Auch bei weiteren Besuchen ist das Zusammentreffen mit dem Klienten nicht gleich beispielsweise durch das Lesen der Patientenakte zu unterbrechen, was nach Möglichkeit bereits im Vorfeld geschehen sein sollte. Ein guter Kontakt erfordert ein ruhiges Umfeld. Das Gespräch sollte nicht durch Lärm, umherlaufende Menschen oder ein ständig klingelndes Telefon gestört werden. Der Klient darf nicht den Eindruck bekommen, dass unsere Zeit und Aufmerksamkeit bemessen sind. Indem Sie dem Klienten einen Stuhl anbieten und sich auch selbst hinsetzen, schaffen Sie eine gute Gesprächseröffnung. Sie sitzen einander dann auf Augenhöhe gegenüber, im Allgemeinen sollten Sie den Klienten auch anschauen, wenn er spricht. Allerdings kann das Gesprächsthema für den Klienten manchmal so belastend sein, dass ein Blickkontakt nicht erwünscht ist. Ebenso kann es den Klienten verunsichern, wenn Sie ständigen Blickkontakt halten, während Sie selbst sprechen.

Es gibt zwei Stilarten, einen Besuch zu gestalten: (1) den führenden Stil, in dem der Tierarzt die Gesprächsführung übernimmt, und (2) den gemeinsamen Stil, in dem der Klient zu großen Teilen den Gesprächsverlauf bestimmt. In der humanmedizinischen Allgemeinpraxis waren Patienten bei der Behandlung kleiner Probleme zufriedener, wenn der Arzt den führenden Stil einsetzte, während bei größeren Problemen kein Unterschied in der Patientenzufriedenheit zwischen den beiden Stilarten ermittelt wurde.3 Wie in Kapitel 6.1.3 erläutert wird, sollte ein Gleichgewicht zwischen den beiden Stilarten gefunden werden.

Der Kontakt zum Patienten muss nicht sofort hergestellt werden. Besser ist es, wenn das Tier sich zunächst ein wenig an das Umfeld gewöhnt. Dadurch haben Sie Gelegenheit, sich einen Gesamteindruck vom Patienten zu verschaffen (Kap. 7). Es ist aber angebracht, dem Klienten Ihr Interesse am Patienten durch eine positive Bemerkung über das Erscheinungsbild oder Verhalten des Tieres zu zeigen. Interesse kann z. B. auch durch die Frage signalisiert werden: »Hat sich Ihre Katze im Wartezimmer wohlgefühlt?« Oft kommt der Patient dem Tierarzt während der Anamnese neugierig näher, was ein guter Moment ist, um den direkten Kontakt verbal und körperlich herzustellen.

6.1.3  Das Gespräch

Das eigentliche Gespräch beginnt mit der Frage: »Was ist das Problem?« oder »Was kann ich für Sie tun?« Wir fragen nicht: »Welche Beschwerden gibt es?«, da unsere Patienten keine Beschwerden äußern können (Kap. 3.1.1). Der Klient sollte Gelegenheit bekommen, die Geschichte ohne Unterbrechungen zu erzählen. Entgegen der landläufigen Meinung dauern diese ersten Schilderungen meist nicht sehr lange. Studien aus der Humanmedizin haben ergeben, dass 70% der Patienten weniger als zwei Minuten für ihre Darstellung des Problems benötigen und 95% der Patienten weniger als fünf Minuten.4

Wenn es sich um eine Folgeuntersuchung handelt, für die ein Termin vergeben wurde, muss ihr Zusammenhang mit der vorausgegangenen Untersuchung herausgestellt werden. Zum Beispiel: »Beim letzten Mal gab es schwerwiegende Hautprobleme und wir haben eine Behandlung begonnen. Wie hat es sich seitdem entwickelt?« Der Klient muss die Möglichkeit erhalten, die erste Frage ohne Unterbrechung zu beantworten, da er hierbei einschneidende Erfahrungen zu berichten haben könnte und diese auch loswerden muss. Der eine Klient wird hier Detailbeschreibungen liefern wollen, ein anderer hingegen nicht. Es kann nützlich sein, eine wichtige Bemerkung des Klienten zu wiederholen und um mehr Details zu bitten. Ein Beispiel:

Klient: » ... besonders schmerzhaft, wenn sie aufsteht.«

Tierarzt: »Wenn sie aufsteht? Wie macht sie das denn genau?«

Durch Wiederholung dessen, was der Klient sagt, zeigen Sie einerseits Interesse an seiner Darstellung und können andererseits das Gespräch lenken. Wenn der Klient den ersten Teil seiner Schilderungen beendet hat, sollten Sie das Gesagte in wenigen Worten zusammenfassen und den Klienten fragen, ob er dieser Zusammenfassung zustimmt. Dann sollten Sie ihm erläutern, wie die Untersuchung ablaufen wird (Vervollständigung der Anamnese, körperliche Untersuchung und ggf. weiterführende Untersuchungen). Das Gespräch geht dann nach dem unten dargestellten Ablaufschema weiter. Bei der Abarbeitung dieses Schemas hat der Klient etwas weniger Spielraum als bei der Schilderung des iatrotropen Problems. Der folgende Leitfaden sollte befolgt werden:

1. Stellen Sie offene Fragen und auch Fragen, auf die der Tierhalter nur mit Ja oder Nein antworten kann (geschlossene Fragen). Die Antworten auf offene Fragen haben erzählenden Charakter und bergen daher neben Fakten über das Tier auch nützliche Informationen zum Verhältnis zwischen Tierhalter und Tier. Manchmal beschreiben Tierhalter alles in den schwärzesten Farben (Verschlimmerung), was den Wunsch widerspiegeln kann, eine Entscheidung über die Euthanasie des Tieres zu treffen. Andere Klienten neigen zum Kleinreden oder Leugnen von Problemen (Verheimlichung), weil sie einen bösartigen Tumor oder einen chirurgischen Eingriff befürchten. Oft ist es hilfreich, mit offenen Fragen zu beginnen und dann nach und nach zu geschlossenen Fragen überzugehen. Zum Beispiel:
»Wie sieht es zu Hause für ihn aus?«
»Wie viele Tiere haben Sie zu Hause?«
»Haben Sie eine Katze?«
Wenn ausschließlich geschlossene Fragen gestellt werden, bleiben wichtige Informationen unausgesprochen.

2. Vermeiden Sie es, mehrere Fragen auf einmal zu stellen, wie: »Möchten Sie mit Ihrem Hund züchten oder erwägen Sie eine Kastration?« Solche Fragen können suggerieren, es gäbe keine anderen Möglichkeiten. Außerdem erschweren Sie es dem Klienten, seine eigene Meinung und Absichten auszudrücken.

3. Bombardieren Sie den Klienten nicht mit Fragen, wie z. B.: »Was können Sie über Fressverhalten, Trinkverhalten und Kotabsatz sagen?«

4. Vermeiden Sie Fragen mit anklagendem Charakter, z. B.: »Sind Sie sicher, dass der Hund das Medikament wirklich erhalten hat?«

5. Versuchen Sie, einen sehr erzählfreudigen Klienten wieder auf den Punkt zu bringen, indem Sie ihn unterbrechen, z. B.: »Entschuldigen Sie, Herr ..., ich verstehe gut, dass es schwierig für Sie war, Astrid vom Erbrechen abzuhalten, aber ich würde nun gern mehr darüber erfahren, wie sich das Erbrechen abspielt« oder: »Da ich Ihre Katze vor der Erkrankung nicht gesehen habe, helfen Sie mir sehr, wenn Sie den Unterschied zwischen vorher und jetzt beschreiben«.
Die Schwierigkeit liegt natürlich darin, den Vorteil, den das Stoppen von überschäumenden Informationen bietet, gegen den eventuellen Nachteil abzuwägen, nützliche Informationen zu verpassen.

6. Bei einer Unterbrechung von außen (z. B. durch das Telefon) müssen Sie immer zwei Regeln beachten:

image Entschuldigen Sie sich für die Unterbrechung

image Vergessen Sie nicht, was Sie vor der Unterbrechung besprochen haben, sodass Sie den Faden unmittelbar wieder aufnehmen können. Zum Beispiel: »Sie sagten gerade, dass Sie die Schwellung in der Milchleiste vor vier Wochen entdeckt haben.«

7. Vermeiden Sie kategorische Antworten zur Ursache des Problems. An diesem Punkt der Untersuchung ist es oft noch nicht möglich, mit Ja oder Nein auf eine Frage zu antworten, wie: »Herr Doktor, glauben Sie, es ist Krebs?« Eine solche Frage drückt die Sorge um das Tier aus und kann manchmal mit einer Gegenfrage beantwortet werden, wie: »Weshalb denken Sie, das es Krebs ist?« Diese Art von Gegenfragen nimmt die Sorgen des Klienten auf. Wenn er gesprochen hat, können Sie erläutern, weshalb eine Antwort jetzt noch nicht möglich ist.

Viele dieser Empfehlungen beruhen auf schlichter Höflichkeit oder Verbindlichkeit. Man kann sie als übertrieben empfinden, sie betonen aber, wie wichtig es ist, die Atmosphäre eines gemeinsamen Gesprächs zu schaffen, anstatt ein Verhör abzuhalten.

6.1.4  Der Fahrplan für die Anamnese

1. Das/die iatrotropische(n) Problem(e)

2. Allgemeininformation zum Patienten:

image Aufrechterhaltung der Homöostase

image Wechselbeziehungen mit Menschen und anderen Tieren

3. Haltungsbedingungen:

image Tierhaltungsaspekte

image Kontakt mit schädlichen Substanzen und Materialien

4. Vorgeschichte:

image Krankheiten, medikamentöse Behandlungen, Impfungen

image Familiäre Vorbelastungen

Punkt 1. Wie bereits am Anfang des Kapitels erwähnt, sollte die erste Frage lauten: »Was ist das Problem?« oder »Was führt Sie hierher?« Wenn das Problem beschrieben wurde, werden Fragen zu Dauer und Verlauf gestellt, ob Behandlungsversuche unternommen wurden und wie sich die Situation aktuell darstellt. Gleichzeitig ist wichtig zu erfahren, was der Klient persönlich beobachtet hat und was nur durch andere (Familienangehörige oder Nachbarn) gesehen wurde.

Punkt 2. Das Aufrechterhalten der Homöostase beinhaltet Futter- und Wasseraufnahme, Atmung, Harn- und Kotabsatz. Es muss also nach Folgendem gefragt werden:

image Futter- und Wasseraufnahme, Schluckstörungen, Erbrechen

image Kurzatmigkeit, Hecheln, veränderte Atemgeräusche und Husten

image Veränderungen beim Harnabsatz oder der Harnbeschaffenheit

image Veränderungen beim Kotabsatz oder der Kotbeschaffenheit

Bei den Wechselbeziehungen mit Menschen und anderen Tieren könnten folgende Faktoren eine Rolle spielen oder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Aktivität, Fortbewegung, sexuelle Aktivität (und ihre Folgen), Reaktion auf visuelle und auditive Reize, Habitus und Verhalten. Daraus ergeben sich die folgenden Fragen:

image Veränderung von Schlafdauer, Anteilnahme an der Umgebung und Reaktionen auf Reize

image Wie bewegt sich das Tier: leicht, schmerzvoll, lahm, kraftvoll, gut koordiniert

image Weibliches Tier: regelmäßige Läufigkeit/Unterdrückung der Läufigkeit, Datum und Verlauf der letzten Läufigkeit, Trächtigkeiten

image Männliches Tier: Interesse an weiblichen Tieren, Kastration

image Visuelle Wahrnehmung und Gehör

image Veränderungen im Habitus: Körperproportionen, Fell, Körperteile wie Kopf, Pfoten, Ohren, Augen

image Veränderung von Gewohnheiten, ungewöhnliches Verhalten (Bewusstlosigkeit, Krämpfe, Kratzen)

Punkt 3. Fragen zu den Haltungsbedingungen zielen darauf ab, wie der Besitzer das Tier hält (seit wann und wozu) und wie das Tier untergebracht ist (im Haus, im Zwinger, im Freien). Es wird auch nach Art und Umfang der körperlichen Bewegung gefragt, nach Kontakt mit anderen Tieren und nach Aufenthalten in anderen Gebieten oder Ländern (wegen nichtendemischer Krankheiten).

Fragen zur Fütterung richten sich vorwiegend auf die Futterzusammensetzung. Es muss klar werden, wie viel Fertigfutter angeboten und was zusätzlich gegeben wird, insbesondere an Kalzium und Vitaminen. Wird kein Fertigfutter verwendet, muss die qualitative und quantitative Zusammensetzung des angebotenen Futters besprochen werden.

Die Möglichkeit einer Vergiftung kann durch Fragen nach der Verwendung giftiger Materialien (z. B. gegen Parasiten oder Nager) in der Umgebung des Tieres erörtert werden. Hat das Tier unbeobachtet oder unbeaufsichtigt Freigang?

Punkt 4. Hier wird gefragt, ob irgendwelche Vorerkrankungen vorliegen und ob diese tierärztlich behandelt wurden. Gegebenenfalls werden Zeitraum der Erkrankung und Name des behandelnden Tierarztes notiert. Dann wird nach vorausgegangenen chirurgischen Eingriffen gefragt. Das Thema Impfung wird durch die Frage geklärt, ob der Hund innerhalb der letzten zwölf Monate gegen Staupe, ansteckende Leberentzündung, Leptospirose und Parvovirose geimpft bzw. ob die Katze gegen Katzenseuche und Katzenschnupfen geimpft wurde. Notiert wird auch eine aktuelle oder kürzlich erfolgte Medikamentengabe, wenn möglich einschließlich der Dosierung. Manchmal kann ein Medikament anhand der Farbe oder Kennzeichnung der Tablette oder Kapsel identifiziert werden. Behandlungen zur Unterdrückung der Läufigkeit müssen ebenso aufgenommen werden wie Verabreichung von Hausmitteln (z. B. Aspirin).

Zum Thema familiäre Vorbelastungen wird der Tierhalter gefragt, ob ihm Krankheiten bei Wurfgeschwistern oder anderen nahen Verwandten des Patienten bekannt sind. Schließlich wird nach Erkrankungen bei Nachkommen des Patienten oder bei anderen Tieren oder Menschen gefragt, mit denen der Patient regelmäßig Umgang hat.

6.2 Dokumentation

Während der Besprechung der Probleme mit dem Klienten müssen Aufzeichnungen gemacht werden. Wird die Anamnese nicht schriftlich erfasst, so ist das Risiko groß, dass sie unvollständig bleibt. Eine vollständige Anamnese ist auch deshalb von größter Wichtigkeit, weil bei der Auswertung der Befunde oder der darauf basierenden Behandlung noch Fragen auftauchen können, wenn der Klient nicht mehr verfügbar ist.

Dieses Problem kann weitgehend durch Formulare vermieden werden, die der Klient während der Wartezeit vor der Untersuchung ausfüllt. Bei Verwendung des Formulars auf der DVD ist es möglich, die Vorgeschichte rasch durchzusehen. Ein Blick auf das ausgefüllte Formular reicht, um zu wissen, welche Punkte durch weitere Fragen abgeklärt werden müssen. Dieses Formular spart Zeit und trägt erheblich zur Vollständigkeit bei.

Auf dem Formular mit dem Titel Anamnese 1 wird der Punkt 2 detailliert ausgearbeitet. Mit den Fragen zu den Körperfunktionen erhält man ein Bild vom aktuellen Zustand des Tieres. Die Fragen zu Punkt 3 und Punkt 4 finden sich im Formular Anamnese 2. Manchmal ist es notwendig, in einem späteren Untersuchungsstadium wieder auf diese konstanten Faktoren der Patientengeschichte zurückzukommen. Bei einem Folgetermin genügt das Formular Anamnese 1 (Punkt 2) in Kombination mit der Frage, ob es bei Punkt 3 oder Punkt 4 Veränderungen gegeben hat.

6.3 Ablaufschema

Bei Verwendung der Formulare läuft die Anamnese wie folgt ab: Nach der Begrüßung im Untersuchungsraum wird das iatrotrope Problem wie oben beschrieben mit dem Klienten besprochen. Die Informationen zum iatrotropen Problem werden vom Tierarzt auf dem Bogen Anamnese 3 notiert. Dann schaut sich der Tierarzt die Formulare an, die der Tierhalter ausgefüllt hat, und stellt alle notwendigen Fragen zu den Punkten, bei denen die erste oder dritte Spalte angekreuzt wurde. Diese zusätzlichen Informationen werden ebenfalls im Formular Anamnese 3 eingetragen.

Literatur

1. Bickley LS, Szilagyi PG: Bates. guide to physical examination and history taking. 8th edn. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, 2003, 21–57.

2. Wagener DJT (1995): Het vraaggesprek met de patiënt met kanker (Discussion with the patient with cancer). Ned Tijdschr Geneeskd 139: 85–89.

3. Savage S, Armstrong D (1990): Effect of a general practitioner's consulting style on patient's satisfaction: a controlled study. Br Med J 301: 968–970.

4. Blau JN (1989): Time to let the patient speak. Br Med J 298: 39.

7 |  Gesamteindruck
A. Rijnberk

7.1 Zielsetzung

Der Gesamteindruck wird gewonnen, indem der Patient aus geringer Distanz betrachtet und belauscht wird. Ziel ist es, in verhältnismäßig kurzer Zeit Informationen zu erhalten, die – zusammen mit der Anamnese – die Entscheidung ermöglichen, was als Nächstes zu tun ist, d.h. zu entscheiden, ob das Problem klar genug eingegrenzt ist, um spezifische Untersuchungen einzuleiten (Abb. 2.1).

7.2 Zum Begriff »Gesamteindruck«

Der Gesamteindruck beinhaltet eine Reihe von offensichtlichen Anzeichen für eine Allgemeinerkrankung.

7.2.1  Anteilnahme an der Umgebung

Ein gesundes Tier ist im Untersuchungsraum des Tierarztes aufmerksam und zeigt meist ein deutliches Interesse an seiner Umgebung. Je nach Schwere und Art einer Erkrankung kann stattdessen Sopor (Schläfrigkeit), Stupor (Reaktion nur auf starke Reize) oder Koma (keine Reizreaktion) vorliegen.

7.2.2  Verhalten

Die meisten Patienten sind ruhig und kooperativ, doch manche Tiere sind im Untersuchungsraum nervös und angespannt, gelegentlich auch sehr ängstlich und unruhig. In seltenen Fällen führt dies zu Abwehrverhalten wie Beißen oder Kratzen, sodass Zwangsmaßnahmen erforderlich werden (Kap. 24.2). Abgesehen von dieser Variationsbreite an physiologischem Verhalten gibt es pathologisches Verhalten wie Selbstverstümmelung, Zwangsstörungen (Kopfpressen, Manegebewegungen), Krämpfe oder Aggressivität.

7.2.3  Haltung

Manchmal ist das Befinden so schlecht, dass der Patient in den Raum getragen werden muss. In sehr schweren Fällen bleibt er in Seitenlage liegen, in weniger schweren Fällen in Brustlage. Bei Problemen mit den Hintergliedmaßen kann das Tier eine sitzende Haltung einnehmen. Im Stehen kann ein Tier eine Gliedmaße entlasten oder seine Beine können gebeugt oder überstreckt sein. Auch die Haltung der Wirbelsäule kann auffällig sein (aufgekrümmt, durchhängend, steif abgestreckter Hals).

7.2.4  Fortbewegung

Bei veränderter Haltung ist oft auch die Fortbewegung gestört. Meist werden die Haltungsstörungen in der Bewegung deutlicher. Manche Tiere nehmen in Ruhe eine normale Körperstellung ein, benutzen aber in der Bewegung eine oder mehrere Extremitäten auf auffällige Weise, was durch Schwäche, gestörte Koordination oder mechanische Behinderung mit oder ohne Schmerz bedingt sein kann. Zunächst interessieren wir uns für den Gesamteindruck bei der Fortbewegung. Eine detailliertere Untersuchung des Bewegungsapparats folgt in Kapitel 17.

7.2.5  Körperbau

Aufgrund der großen Variationsbreite im Körperbau verschiedener Rassen muss besonders beim Hund die Beurteilung des Körperbaus immer vor dem Hintergrund der betreffenden Rasse erfolgen. Das führt bei Mischlingen aus zwei Rassen mit sehr unterschiedlichen Körpermerkmalen zu speziellen Problemen. Eine Kreuzung zwischen Foxterrier und einer chondrodystrophen Rasse wie dem Dackel ergibt ein Tier, das äußerlich einem Foxterrier ähnelt, aber unproportional kurze Beine hat. Weitere Körperteile können ebenfalls unproportioniert sein. Manchmal erscheint das Abdomen zu groß oder der Kopf zu schwer. Auch das Verhältnis von Muskel zu Skelett kann verändert sein.

7.2.6  Ernährungszustand

Der Ernährungszustand kann von Fettleibigkeit bis zur vollständigen Abmagerung (Kachexie) reichen. Die meisten unserer Patienten liegen zwischen diesen Extremen. Zur Beurteilung eines Krankheitsverlaufs oder einer Therapie empfiehlt es sich, das Tier zu wiegen. Fett sammelt sich vor allem am Rumpf an, manchmal findet man zusätzlich eine bilaterale Ansammlung im Lendenbereich. Bei starkem Gewichtsverlust können die Rippen und Dornfortsätze der Wirbel deutlich sichtbar werden. Bei Verlust des retrobulbären Fettkörpers sinken die Augäpfel ein, was einen Nickhautvorfall auslösen kann.

Der Ernährungszustand eines Tieres lässt sich auf einer Skala beschreiben, die zwischen einer Nominal- und Ordinalskala liegt (siehe Kap. 3.1.2): kachektisch, dünn, schlank, normal, übergewichtig, fettleibig.1 Übergewicht und Fettleibigkeit sind mit Gesundheitsrisiken verbunden. Im Vergleich zu normalgewichtigen Katzen ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Lahmheit bei übergewichtigen Katzen 2,8-fach höher. Fettleibige Katzen haben ein 3,9-fach höheres Risiko für Diabetes mellitus als normalgewichtige Katzen.1

7.2.7  Haarkleid

Wir befassen uns hier mit dem Haarkleid in seiner Gesamtheit. Es kann bei schlechtem Allgemeinzustand stumpf und trocken aussehen. Hauterkrankungen können zu Haarverlust, Verfärbung des Fells sowie zu lokaler oder allgemeiner Alopezie mit Pigmentierung der Haut führen.

7.2.8  Abnorme Geräusche

Bei den in einem Untersuchungszimmer üblichen Abständen sind von einem Tier in Ruhe keine Geräusche zu hören. Die lauten Atemgeräusche bei einigen brachyzephalen Rassen resultieren aus Funktionsmängeln bei diesen Rassen. Aufstoßen und Flatulenz sind beim gesunden Fleischfresser selten, Flatulenz wird häufiger am Geruch bemerkt als am Geräusch. Unter pathologischen Bedingungen können Geräusche im Atmungs- oder Verdauungstrakt so laut sein, dass sie in einiger Entfernung zum Tier wahrnehmbar sind. Störungen in den Gelenken können beim Laufen knackende Geräusche hervorrufen.

7.2.9  Auffällige Besonderheiten

Hier handelt es sich um offensichtliche Veränderungen wie verdickte Ohrmuscheln, geschwollene Beine oder pumpende Atmung.

7.3 Untersuchungstechnik

Das Wiegen des Patienten findet meist vor der Untersuchung statt und wird bereits am Empfang in die Wege geleitet.

Wie schon im vorausgegangenen Kapitel erwähnt, kann der Gesamteindruck während des Gesprächs mit dem Tierhalter aufgenommen werden, da der Patient in dieser Zeit den Untersuchungsraum erkundet und eine gute Gelegenheit zur Beurteilung von Anteilnahme, Verhalten, Haltung und Fortbewegung bietet. Manchmal wird die visuelle Beurteilung des Ernährungszustands durch langes Fell verhindert, sodass man das Tier entlang der Wirbelsäule palpieren muss. Dies geschieht am einfachsten als Erweiterung des Begrüßungskontakts mit dem Patienten.

Die Beobachtungen zum Gesamteindruck dürfen das Gespräch mit dem Tierhalter nicht stören und sollten nötigenfalls erst danach stattfinden. Wenn das Tier in einer Kiste oder Transportbox hereingebracht wird, fordert man den Tierhalter am besten auf, das Tier während des Gespräches im Behältnis zu belassen. Bei einigen Katzen lässt sich die Fortbewegung nicht adäquat beurteilen, da sie nach dem Hervorholen aus der Kiste auf dem Tisch sitzen bleiben und nicht bereit sind, sich zu bewegen.

Wenn der Gesamteindruck erst nach der Anamnese gewonnen wird, bildet er den ersten Schritt der Untersuchung. Die Untersuchung wird im Allgemeinen immer auf dem Untersuchungstisch durchgeführt. Kleinsäuger und Vögel werden meist vom Besitzer spontan auf den Tisch gestellt. Auch mittelgroße Hunde werden meist auf den Tisch gehoben, sodass man sie auf Augenhöhe untersuchen kann. Sehr große Hunde wie die Dänische Dogge oder Bernhardiner sind schwer auf einen Tisch zu heben und möchten auf Tischen nicht gern stehen, sodass man sie am besten am Boden untersucht.

Wenn auf die Allgemeinuntersuchung die Untersuchung eines oder mehrerer Organsysteme folgt, kann es notwendig sein, auch sehr große Hunde auf den Tisch zu heben, wo sie in Seiten- oder Brustlage untersucht werden.

7.4 Dokumentation

Die Befunde zum Gesamteindruck werden auf einem Formular festgehalten; ein Beispiel findet sich auf der DVD. In diesem Formular gibt es für jeden Baustein des Gesamteindrucks eine Nominalskala und zusätzlich Platz für Kommentare. Das Formular enthält auch einen Abschnitt, in dem Probleme eingetragen werden können. Auf diesem basiert die Entscheidung über die Art der weiterführenden Untersuchungen.

Literatur

1. Scariett JM, Donoghue S (1998): Associations between body condition and disease in cats. J Am Vet Med Assoc 212: 1725–1731.

8 |  Allgemeinuntersuchung
A. Rijnberk und A. A. Stokhof

8.1 Zielsetzung

Die Allgemeinuntersuchung ist eine adspektorische und palpatorische Untersuchung, bei der innerhalb kurzer Zeit Informationen gesammelt werden, welche – in Verbindung mit Signalement, Anamnese und Gesamteindruck – die Präzisierung des Problems und die Festlegung von weiterführenden Untersuchungen ermöglichen. Die Symptome und klinischen Zeichen werden schriftlich festgehalten und zu Problemen zusammengefasst, die dann als Richtungsweiser für die Fokussierung der anschließenden Untersuchungen auf bestimmte Organsysteme (oder Teile davon) dienen. Auf diese Weise können die Probleme besser präzisiert und, hoffentlich, gelöst werden.

8.2 Umgang mit dem Patienten

Während der Allgemeinuntersuchung muss das Tier möglichst frei von Unruhe, Anspannung, Unannehmlichkeiten und Schmerzen sein, nicht nur aus Gründen des Tierschutzes, sondern auch, weil Unruhe und Anspannung die Untersuchung erheblich beinträchtigen können. Wie bereits in den Kapiteln 6 und 7 erwähnt, muss der Patient zunächst die Möglichkeit haben, sich mit der unbekannten Umgebung im Untersuchungszimmer vertraut zu machen, damit er sich entspannt. Ein an der Leine ziehender Hund kann damit ausdrücken, dass er den Raum erkunden möchte, und sollte Gelegenheit dazu erhalten. Aus der Beobachtung dieser Spontanhandlungen lassen sich nützliche Informationen ziehen (Kap. 6) und manchmal bieten sie einen guten Einstieg in ein entspanntes Gespräch mit dem Klienten.

Eine Katze sollte im Regelfall während der Anamnese in ihrer Kiste oder Transportbox verbleiben. Zu Beginn der Untersuchung wird der Tierhalter gebeten, das Tier herauszunehmen. Einige Katzen verlassen die Box selbstständig aus Neugier, sobald die Tür geöffnet wird. Sobald die Katze in der Öffnung erscheint, kann das hintere Ende der Box vorsichtig angehoben werden, sodass die Katze spontan heraustritt. Das Behältnis muss dann vom Tisch entfernt werden, da die Katze sonst in die Sicherheit der Transportbox zurückschlüpft, wenn ihr die Untersuchung nicht gefällt, und dann nicht einfach wieder herauszubekommen sein wird.

Große Hunde lassen sich am einfachsten untersuchen, wenn sie auf dem Boden stehen bleiben dürfen. Manchmal müssen sie für orthopädische Untersuchungen auf den Tisch gehoben werden (Kap. 17). Kleine Hunde kann meist der Besitzer auf den Tisch heben; sollte hier Hilfe erforderlich sein, so wird der Tierhalter am Kopfende des Hundes platziert. Er wird dann aufgefordert, am Tisch stehen zu bleiben, um das Tier während der Untersuchung festzuhalten. Dies hat meist eine beruhigende Wirkung auf das Tier.

Manche Tierhalter fordern ihre Hunde auf, auf den Tisch oder nach der Untersuchung vom Tisch zu springen. Auch wenn einige Hunde diese Aufgabe problemlos bewältigen, sollte man dies immer unterbinden, da das Verletzungsrisiko vielleicht klein, aber doch sicher unnötig ist.

Bei Katzen können auch umfangreiche Manipulationen häufig problemlos durchgeführt werden, wenn man sich der Katze entspannt nähert und sie nur lose festhält. Die meisten Katzen lassen sich von unangenehmen Untersuchungen auch durch fortwährendes und ziemlich kräftiges Reiben und Kratzen hinter den Ohren ablenken. Das funktioniert aber nur, wenn Tierhalter oder TFA sich voll und ganz darauf konzentrieren, die Katze abzulenken. Nur selten ist eine körperliche Untersuchung trotz dieser Vorkehrungen nicht durchführbar.

Wenn eine beabsichtigte Untersuchung mit sanfter Beharrlichkeit nicht oder nicht gründlich genug durchgeführt werden kann, muss die Katze durch eine erfahrene TFA gebändigt werden (siehe Kap. 24). Unsachgemäßes Festhalten durch den Besitzer ist unbedingt zu vermeiden, da es zu plötzlichem Widerstand der Katze führen und sowohl für die Umstehenden als auch für die Katze selbst gefährlich werden kann.

8.3 Konzept der Allgemeinuntersuchung

Die Allgemeinuntersuchung umfasst folgende Untersuchungen:

1. Atembewegungen

2. Puls

3. Körpertemperatur

4. Haarkleid und Haut

5. Schleimhäute

6. Periphere Lymphknoten

7. Auffällige Veränderungen

Durch Einhalten dieser Reihenfolge verhindert man die Beeinflussung von Atembewegungen und Puls durch andere Teile der Untersuchung.

8.3.1  Atembewegungen

Einleitung

Die Atembewegungen sind für zwei homöostatische Funktionen bedeutsam:

Atmung. Diese umfasst die Summe aller physikalischen und chemischen Prozesse, die der Aufrechterhaltung und Regulation des oxidativen Zellstoffwechsels dienen. In dieser Abfolge von Ereignissen (Ventilation, Diffusion, Transport und Gewebeatmung) sorgen die Atembewegungen für die Belüftung der Lunge. Die Bewegungen werden durch das Atemzentrum kontrolliert, das Signale von peripheren und zentralen Chemorezeptoren sowie von Mechanorezeptoren in Lunge und Brustwand erhält.

Thermoregulation.1 Bei steigender Körpertemperatur erhöhen Hund und Katze ihre Wärmeabgabe durch eine schnellere Atemfrequenz. Durch diese oberflächlichen Atembewegungen (Hecheln, thermische Polypnoe) ist die Einatemluft in den oberen Atemwegen zu 100% mit Wasserdampf gesättigt. Die dazu notwendige Verdampfungswärme wird den Schleimhäuten von Nase, Maul und Rachen entzogen. Zwar wird dieses Phänomen auch als Totraumventilation bezeichnet, es erzeugt aber eine leichte respiratorische Alkalose, woraus sich ableitet, dass auch die alveoläre Ventilation hier leicht erhöht ist.

Die Atembewegungen werden auch durch das Verhalten beeinflusst. Furcht kann eine plötzliche Apnoe auslösen und Anspannung kann mit nervösem Hecheln einhergehen. Beim komplexen Ablauf des Bellens kommen die Atemmuskeln mit großer Präzision zum Einsatz, sodass ein Geräusch mit der gewünschten Lautstärke und Tonhöhe entsteht.

Das Untersuchungsziel besteht darin, einen Eindruck von der Funktionsfähigkeit des Atmungsapparats zu gewinnen. Störungen in einer oder mehreren Komponenten können sich in veränderten Atembewegungen ausdrücken. Leider wird die Untersuchung manchmal durch verhaltensbedingte (Schnüffeln, Bellen) oder thermoregulatorische (Hecheln) Atembewegungen erschwert. Die Beurteilung umfasst Tiefe, Typus, Rhythmus und Frequenz der Atembewegungen.

Tiefe

Bei Bedarf an erhöhtem Gasaustausch wird die Atmung zunächst durch tiefere Atembewegungen verstärkt. Auch im Ruhezustand sind manchmal tiefere Atemzüge in Form von Seufzern erkennbar. Solche einzelnen tiefen Atemzüge verhindern durch Freisetzung von Surfactant einen Kollaps oder Atelektasen von Alveolen.

Wenn die Atembewegungen so vertieft werden, dass sie einen forcierten Eindruck machen, oder wenn die Bewegungen offensichtlich schwerfallen, spricht man von einer Dyspnoe. Tritt die Störung vornehmlich bei körperlicher Beanspruchung auf, handelt es sich um eine Belastungsdyspnoe. Bei der Dyspnoe wird zusätzlich zur normalen Atemmuskulatur die akzessorische Atemmuskulatur eingesetzt. Die wichtigsten Muskeln sind der M. scalenus und der M. sternocephalicus sowie die Muskulatur der Nasenflügel. Die Erstgenannten ziehen Rippen und Sternum nach vorn und unterstützen so die normale Atemmuskulatur. Die Muskulatur der Nasenflügel bewirkt eine geringfügige Weitstellung der Nasenlöcher während der Inspiration. Bei einigen brachyzephalen Rassen sind die Nasenlöcher unbeweglich; bei diesen Tieren können die nasalen Luftwege so eng sein, dass eine Dyspnoe mit Geräusch (Stridor) vorliegt. Bei Hunden mit schwerer Dyspnoe kann Backenblasen auftreten und einige Katzen atmen bei Dyspnoe mit offenem Maul.

Typus

Die Inspiration beruht zum Teil darauf, dass die Atemmuskeln (vornehmlich die internen und externen Interkostalmuskeln) die Rippen nach vorn, lateral und ventral ziehen (Rippenatmung). Hierdurch werden der laterale und dorsoventrale Durchmesser des Brustraums und damit sein Volumen vergrößert. Auch die Kontraktion des Zwerchfells trägt zur Inspiration bei. Das Zwerchfell flacht sich ab, was zur Vergrößerung des Thoraxvolumens und zur Vermehrung des Bauchumfangs führt. Dieser Vorgang erhielt den unzutreffenden Namen »Bauchatmung«. Bei Hund und Katze spielen sowohl die Atemmuskeln als auch das Zwerchfell eine tragende Rolle bei der Atmung. Dieses Zusammenspiel wird als kostoabdominale Atmung bezeichnet (Abb. 8.1).

Bei einem Funktionsverlust des Zwerchfells (z. B. durch Ruptur) dehnt sich das Abdomen beim Atmen nicht mehr aus. Im Gegenteil, jetzt verringert sich der Bauchumfang bei der Inspiration sogar, was in einer pendelnden Atembewegung resultiert.2 Gelegentlich kommt es bei schwerer Dyspnoe zu einer ausgeprägten Rippenatmung, bei der so wenig Luft eingesogen wird, dass sich das Zwerchfell nicht abflacht. Auch hier entsteht das Bild einer Pendelatmung. Diese forcierte Inspiration wird auch als Pseudo-Pendeln bezeichnet.

 

Bei einem Elastizitätsverlust der Lunge kann am Ende der Exspiration ein leichter Druck vom Bauchraum her auf das Zwerchfell einwirken. Man spricht dann von einem abdominalen Atemtypus. Bei der forcierten Exspiration kann der intraabdominale Druck so stark ansteigen, dass es zur Verengung von kleinen Bronchien kommt, was die Atemnot weiter verstärkt.

Während die Inspiration ein aktiver, von Muskeln getriebener Vorgang ist, erfolgt die Exspiration rein passiv. Nach Abschluss der Inspiration kehren Brustwand, Zwerchfell und Lunge in den Ruhezustand zurück. Ein Elastizitätsverlust der Lunge oder Flexibilitätsverlust des Thorax resultiert in einer langsamen und unvollständigen Atmung. Manchmal wird die Ausatmung durch die oben erwähnte Bauchpresse unterstützt, die das Zwerchfell nach kranial drückt. Bei dieser exspiratorischen Dyspnoe ändert sich auch das Verhältnis zwischen Einatmung und Ausatmung (beim gesunden Tier 1 : 1,3).*

Eine Verengung der Atemwege kranial des Thoraxeingangs führt zu einer inspiratorischen Dyspnoe. Sie manifestiert sich durch einen ausgeprägt kostalen Atemtypus und häufig auch durch Atemhilfsbewegungen wie z. B. Hochziehen der Lefzen (Lefzenatmung). Die Luft muss mit großer Anstrengung eingesogen werden, wodurch es zu einem starken Druckgefälle zwischen dem Innenraum der großen Atemwege und ihrer Umgebung kommt. So können sich die Wandungen der Atemwege bei der Inspiration leicht einwärts ziehen, wodurch die Verengung noch zunimmt. Auch weniger widerstandsfähige Teile der Brustwand werden nach innen gezogen, insbesondere am Brusteingang. Die kaudalen Rippen können sich bei der starken Auswärtsbewegung des Thorax etwas verzögert drehen, was besonders bei Junghunden mit weicher Thoraxwand gut zu erkennen ist.

Patienten mit schwerem Trauma, z. B. nach einem Autounfall, können einen speziellen Atemtypus zeigen, der darauf zurückzuführen ist, dass zwei benachbarte Rippen an mindestens zwei Stellen gebrochen sind. Dies führt zum sogenannten Brustwandflattern (siehe Kap. 23.2.3), bei dem sich das frakturierte Segment entgegengesetzt zur übrigen Brustwand bewegt, d.h., es bewegt sich bei der Inspiration einwärts und bei der Exspiration auswärts.3

Rhythmus

In manchen Fällen wechseln Atembewegungen mit kurzen oder längeren Phasen von Apnoe ab. Dieser als periodische Atmung bezeichnete Vorgang kommt nur bei Patienten mit einem niedrigen arteriellen PCO2 vor, der durch Hyperventilation entsteht. Der leichte Abfall des arteriellen PO2 und Anstieg des PCO2 bei der Apnoe stimulieren das Atemzentrum, sodass die Atmung wieder einsetzt, was wiederum zum Absinken des PCO2 führt etc.

Hyperventilation kann infolge der Verabreichung bestimmter Sedationsmittel auftreten. Man beobachtet dann eine periodische Atmung mit Phasen von Apnoe, die mit Phasen von völlig gleichförmigen Atembewegungen abwechseln (isovolumetrische periodische Atmung).

Frequenz

Bei gesunden ausgewachsenen Tieren gilt beim Hund eine Frequenz von 10–30/min und bei der Katze eine Frequenz von 20–40/min als normal. Die Variationsbreite ist besonders beim Hund hoch. Bei dieser Tierart sind die Größenunterschiede zwischen den Rassen besonders groß, was sich in unterschiedlichen Atemfrequenzen widerspiegelt. Bei großen Hunden sind die Werte im Allgemeinen geringer als bei kleinen.

Eine Steigerung der Atemfrequenz (Tachypnoe) verstärkt die Ventilation nicht so effizient wie eine Vertiefung der Atemzüge, da bei Erstgenannter das Totraumvolumen unverändert bleibt. In der Regel kommt es zunächst zu einer Vertiefung der Atemzüge und nur in schweren Fällen auch zu einer Frequenzsteigerung. Bei Tieren mit guter Körperkondition kann die Atemfrequenz in Ruhe sehr niedrig sein (Bradypnoe).

Untersuchungstechnik

Kleine und mittelgroße Hunde erhalten zunächst Gelegenheit, sich an die Tischfläche zu gewöhnen, auf der sie sitzen, und ebenso sollen sich große Hunde, die am Boden bleiben, zunächst mit der Umgebung vertraut machen. Dieser Zeitraum relativer Entspannung kann genutzt werden, um die Atembewegungen aus der Entfernung zu beobachten, ohne das Tier zu berühren.

Durch Betrachten des Tieres von der Seite und von oben kann man die Bewegungen des Brustkorbs und des Abdomens gut erkennen. Bei der Inspiration achtet man auf die Lateralbewegung des Thorax und das Vorwölben des Abdomens. Bei der Exspiration wird auf das Zusammensinken der Rippen und die Verringerung des Bauchumfangs geachtet. Wenn das Tier auf dem Untersuchungstisch steht, kann die ventrale Bewegung durch Betrachten aus einer niedrigeren Position heraus beobachtet werden (z. B. indem der Untersucher am Tisch sitzt).

 

Zusätzlich gilt die Aufmerksamkeit folgenden Faktoren:

image Dauer der Inspiration und Exspiration

image Regelmäßigkeit der Atembewegungen

image Tiefe der Atemzüge

image Typus der Atmung

image Bauchpresse am Ende der Exspiration

image Zuhilfenahme der akzessorischen Atemmuskulatur

Am Ende wird die Zahl der Atemzüge pro Minute ermittelt, indem für mindestens 30 Sekunden die Zahl der Inspirationen gezählt wird.

8.3.2  Puls

Einleitung

Der Begriff leitet sich vom lateinischen pulsis ab, was »Schlag« bedeutet. Beim gesunden Tier befördert jeder Herzschlag eine gewisse Menge Blut in das Arteriensystem hinein. Daraus resultiert die Pulswelle. Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Pulswelle ausbreitet, wird durch die Elastizität der Arterienwände bestimmt und ist unabhängig von der Blutflussrate. Die Blutflussrate beträgt etwa 0,5 m/s, die Geschwindigkeit der Pulswelle hingegen 4–5 m/s. Die palpierbare Pulsation ist die Front einer Druckwelle und nicht die Bewegung des Blutes selbst.

 

 

Die Form der Pulswelle ist hauptsächlich durch das Blutvolumen bestimmt, das pro Herzschlag in die Aorta hineingepumpt wird, sowie durch die Geschwindigkeit des Ausstoßes und die Elastizität der Arterien. Bei der Ausbreitung der Welle in die Peripherie verändert sich ihre Form (Abb. 8.2).

Zweck der Palpation einer peripheren Arterie ist es, einen Eindruck von der arteriellen Druckwelle und damit der Funktionsweise der arteriellen Komponente des Körperkreislaufs (im Gegensatz zum Lungenkreislauf) zu gewinnen. Bei Hund und Katze wird hierzu die A. femoralis genutzt. Auch andere Arterien (A. coccygealis, Aorta abdominalis, A. tibialis cranialis) sind manchmal palpierbar, sie eignen sich aber weniger zur Beurteilung der verschiedenen Pulsmerkmale. Die Kriterien zur Beurteilung des Pulses sind: Gleichmäßigkeit, Rhythmus, Amplitude, Fehlen einzelner Pulswellen, Form, Frequenz und Symmetrie.

Gleichmäßigkeit

Wenn die Amplitude jeder Pulswelle mit der nachfolgenden Pulswelle übereinstimmt, spricht man von einem gleichmäßigen Puls. Bei Arrhythmien kann das Herzschlagvolumen deutlich variieren, woraus sich ein ungleichmäßiger Puls ergibt (Abb. 8.3). Bei einer Arrhythmie kontrahiert sich das Herz zu einem Zeitpunkt, an dem die Ventrikel noch kaum gefüllt sind. Folglich wird wenig Blut ausgestoßen und in der Peripherie ist nur ein schwacher oder kein Puls palpierbar.

Ein auf diese Weise entstandener Puls darf nicht mit physiologischen Schwankungen der Pulsamplitude verwechselt werden. Beim sogenannten paradoxen Puls sinkt die Amplitude während der Inspiration und steigt während der Exspiration wieder an. Dieses Phänomen tritt nur bei großen intrathorakalen Druckschwankungen auf, z. B. bei sehr tiefen Atemzügen. Die Schwankung des systolischen Blutdrucks wird hier durch den Druckabfall im Thorax bei der Inspiration erzeugt. Dadurch kann sich in den Lungengefäßen mehr Blut sammeln, sodass weniger im linken Herz ankommt, was zur Verringerung des Schlagvolumens führt (Abb. 8.4). Diese kleinen Amplitudenschwankungen werden jedoch nur selten bei der Palpation bemerkt. Der negative intrathorakale Druck bei der Inspiration (= negativer Druck im zentralen Venensystem) sorgt aber auch dafür, dass die Amplitude nur so wenig schwankt. Da nämlich hierdurch auch der Blutrückfluss zum rechten Herz steigt, wird die verringerte Füllung des linken Herzens teilweise ausgeglichen und der arterielle Blutdruckabfall begrenzt.

Anders ist es, wenn die Füllung des Herzens auerhaft niedrig ist. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Herzbeutelerguss, der die Herzfüllung beeinträchtigt.4 Der oben beschriebene Ausgleichsmechanismus ist hier weniger erfolgreich und der systolische Blutdruckabfall während der Inspiration ist viel größer. Hier können die respiratorischen Amplitudenschwankungen palpierbar sein. Beim Menschen liegt der Vorhersagewert (siehe Kap. 3.1.5) eines Pulsus paradoxus für das Vorliegen eines Herzbeutelergusses bei 0,81–0,97.5

 

Eine Sonderform eines ungleichmäßigen Pulses ist der alternierende Puls, bei dem sich deutlich palpierbare mit kaum palpierbaren Pulswellen abwechseln (Abb. 8.5). Dies wird als Anzeichen einer Linksherzinsuffizienz interpretiert und tritt z. B. bei Hypovolämie auf; es gibt hierfür aber keine schlüssige Erklärung. Man weiß nur, dass in diesen Fällen der enddiastolische Druck mit derselben Regelmäßigkeit schwankt wie die Höhe der Pulswelle.

Amplitude

Wenn der Puls gleichmäßig ist, wird die Größe der Pulswelle (Amplitude oder Pulsvolumen) bestimmt. Bei einem ungleichmäßigen Puls ist es schwierig, eine Aussage über die Amplitude zu treffen. Die Amplitude von Pulswellen kann bei Änderungen des Schlagvolumens oder des peripheren Widerstands steigen oder sinken. Ein geringer peripherer Widerstand und damit eine starke Pulsation der palpierten Arterie treten bei Ängstlichkeit, Fieber und bei verringerter Blutviskosität durch Anämie auf. Es ist zu beachten, dass auch die umgebenden Strukturen Einfluss auf die Palpation haben. Bei einem fettleibigen Tier ist der Puls nur sehr schwach zu fühlen. Ein sehr starker Puls wird als Pulsus magnus bezeichnet, ein sehr schwacher als Pulsus parvus oder sogar Pulsus filiformis (fadenförmiger Puls).

Form

Kleine Änderungen im Aufbau der Pulswelle bleiben bei der Palpation unbemerkt. Nur bei deutlichen Veränderungen im Ausstoß des linken Herzens (z. B. bei Stenose oder Aortenklappeninsuffizienz) ändert sich die Form der Pulswelle so stark, dass dies bei der Palpation fühlbar ist. Bei einer Verlangsamung des Herzausstoßes durch eine Stenose ergibt sich eine breite Pulswelle (Pulsus tardus). Insuffizienz führt zu einer verkürzten Pulswelle (Pulsus celer).

Rhythmus

Beim Hund weist die Herzaktion unter dem Einfluss der Atmung eine Sinusarrhythmie auf (respiratorische Arrhythmie). Bei der Inspiration ist der Vagustonus verringert, was zu einer höheren Entladungsfrequenz des Sinusknotens führt; bei der Exspiration tritt das umgekehrte Phänomen ein. Bei Tieren mit niedriger Atem- und Herzschlagfrequenz kann die respiratorische Arrhythmie so ausgeprägt sein, dass ein wenig erfahrener Untersucher sogar an ein pathologisches Geschehen denkt. Das liegt insbesondere auch daran, dass beim ausgewachsenen Hund während der Exspiration die Verlangsamung des Herzschlags sehr plötzlich einsetzen kann.6 Durch sorgfältige Beobachtung der Atembewegungen während der Palpation des Pulses lässt sich diese Frage jedoch meist aufklären. Eine respiratorische Arrhythmie kann bei Pulsfrequenzen von mehr als 120/min in der Regel nicht mehr festgestellt werden. Meist fehlt sie auch, wenn der Hund hechelt.

Fehlen einzelner Pulswellen

Bei einer Herzkontraktion, die sehr rasch nach der vorausgegangenen Kontraktion stattfindet, wird nur sehr wenig Blut ausgestoßen, da hier die diastolische Füllungsphase sehr kurz ist. Dies tritt bei Arrhythmien auf und wird als frustrane Kontraktion bezeichnet, bei der keine Pulswelle entsteht. Sie kann durch gleichzeitige Palpation einer peripheren Arterie und des Herzspitzenstoßes im linken fünften Interkostalraum abgeklärt werden. Bei Herzfrequenzen von mehr als 100/min ist diese Methode allerdings wenig zuverlässig. In diesen Fällen wird zuerst die Pulsfrequenz ermittelt und dann die Herzfrequenz durch Auskultation bestimmt. Ist die Herzfrequenz höher als die Pulsfrequenz, liegt ein Fehlen einzelner Pulswellen (Pulsdefizit) vor.

Frequenz

Beim ausgewachsenen Tier beträgt die Frequenz beim Hund 60–120/min und bei der Katze 120–180/min. Eine genaue Auszählung der Pulsschläge ist bis zu einer Frequenz von etwa 200/min möglich. Bei sehr hoher Herz- und Pulsfrequenz (Tachykardie, Pulsus frequens) können Zählfehler auftreten. Bei der Katze tritt dies schon unter Normalbedingungen häufig auf. Eine Pulsfrequenz unterhalb des Normalbereichs wird als Pulsus rarus bezeichnet. Die genannten Grenzwerte decken einen weiten Bereich ab. Das ist eher auf die Folgen von Stress zurückzuführen als auf Rasseunterschiede. Zwei unabhängige Studien haben gezeigt, dass die Pulsfrequenz nicht mit dem Körpergewicht korreliert.*

 

Der Stress beim Tierarztbesuch kann die Pulsfrequenz eines Tieres erheblich beschleunigen. In den oben genannten Studien lag die Pulsfrequenz gesunder Hunde deutlich höher, wenn sie in der Klinik von einem Tierarzt gemessen wurde, als bei der Messung zu Hause durch den Besitzer. Bei einigen Hunden lag die Pulsfrequenz zu Hause bei weniger als 60/min. Bei angespannten Hunden kann die Frequenz in der Klinik höher als 140/min liegen. Bei Katzen lag die Pulsfrequenz zu Hause in Ruhe bei 80–160/min, in der Klinik hingegen (während eines EKG) bei 142–222/min.7

Symmetrie

Unter Normalbedingungen ist der Puls an der linken und rechten Femoralarterie gleich. Abweichungen sind nur bei Unterschieden an oder distal von der Aortenbifurkation zu erwarten. Manchmal fällt bei der Palpation einer Arterie ein Schwirren auf. Dieses ist kein Merkmal der Pulswelle, sondern resultiert aus Turbulenzen im Blutfluss. Durch die palpierenden Finger wird die Arterie leicht zusammengedrückt und so der normale laminare Blutstrom gestört, es bilden sich Turbulenzen. Das Phänomen tritt nur auf, wenn das Blut z. B. bei einer Anämie eine geringe Viskosität aufweist. Hier wird dann die Reynolds-Zahl überschritten (Kap. 4.1.4).

Untersuchungstechnik

Der Untersucher stellt sich hinter das Tier und umgreift die Vorderseite der Oberschenkel von beiden Seiten mit den Händen. Mit den Fingerspitzen wird nun die A. femoralis beidseits im proximalen Abschnitt auf der medialen Oberschenkelseite aufgesucht (Abb. 8.6). Dann werden nacheinander die Qualität (Gleichmäßigkeit, Amplitude und Form), der Rhythmus, das Fehlen einzelner Pulsschläge, die Frequenz und Symmetrie beurteilt. Am Schluss wird die Frequenz durch Auszählen der Pulsschläge für mindestens 15 Sekunden ermittelt.

Wenn man in dieser Reihenfolge arbeitet und nicht zuerst die Pulsfrequenz zählt, wird eine Überfokussierung auf die Frequenz und Unterbewertung der übrigen Merkmale vermieden. In einigen Fällen ist es nicht möglich, diese wichtigen Daten über den arteriellen Kreislauf zu erheben, da der Puls gar nicht ertastet werden kann. Das passiert manchmal bei sehr fettleibigen Tieren und vor allem bei sehr schweren Katzen. Bei diesen Tieren muss man sich auf die Bestimmung der Herzfrequenz durch Palpation des Herzspitzenstoßes (bei fettleibigen Tieren ebenfalls schwierig) oder durch Auskultation beschränken.

Die oben erwähnten Studien zur Pulsfrequenz haben auch gezeigt, dass die Bewertung der Pulseigenschaften stark erfahrungsabhängig ist. Das gilt besonders für Ungleichmäßigkeiten. Unerfahrenen Untersuchern entgehen häufig ein ungleichmäßiger Puls und damit eine Arrhythmie. Sie können ihre Ergebnisse aber deutlich verbessern, wenn sie sich genügend Zeit nehmen, alle Pulsmerkmale sorgfältig zu prüfen.

8.3.3  Körpertemperatur

Einleitung

Beim gesunden Tier wird die Körpertemperatur durch die Regulation von Wärmeproduktion und Wärmeverlust innerhalb enger Grenzen stabil gehalten. Wärme ist ein kontinuierliches Nebenprodukt des Stoffwechsels, das bei Muskelaktivität (einschließlich Zittern und verstärkter Atmung!) sowie bei erhöhter Stoffwechselaktivität, z. B. unter dem Einfluss von Schilddrüsenhormonen und Katecholaminen, zunimmt.

Wärmeverlust entsteht mittels Abstrahlung, Ableitung (durch Luft oder Berühren von Gegenständen) und Verdunstung. Diese Vorgänge können durch Dilatation von Hautgefäßen, Polypnoe, Änderung der Körperhaltung zur Vergrößerung der Körperoberfläche und durch das Aufsuchen kühler Orte verstärkt werden. Bei der Katze kann auch die Fellpflege einen Beitrag leisten, indem der auf dem Fell verteilte Speichel verdunstet. Wärmespeicherung wird durch Vasokonstriktion in der Haut, das Aufrichten der Haare mithilfe der Mm. arrectores pilorum, das Aufsuchen warmer Orte und die Verkleinerung der Körperoberfläche mittels Einnahme einer entsprechenden Körperhaltung erreicht.

Die Regulation erfolgt über zentrale und periphere Thermorezeptoren, die Signale an das Thermoregulationszentrum im Hypothalamus senden.8 Dieses Zentrum ist wahrscheinlich auch für die Schwankungen der Körpertemperatur im Tagesverlauf zuständig, die beim Hund und bei anderen Tierarten nachgewiesen wurden: Um etwa sechs Uhr morgens ist die Temperatur am niedrigsten (37,7–38,3°C) und um ca. drei Uhr nachmittags am höchsten (38,1–39,1°C).9 Die tageszeitlichen Schwankungen der Körpertemperatur stehen auch in engem Zusammenhang mit der körperlichen Aktivität.10

Bei vielen Erkrankungen kommt es durch Pyrogene, die den Richtwert für das Thermoregulationszentrum nach oben verschieben, zu einem Anstieg der Körpertemperatur. Die Messung der Körpertemperatur, wofür die rektale Temperatur verwendet wird, bietet daher oft den ersten Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Störung. Bei Krankheiten, die mit Temperaturänderungen einhergehen, gibt die wiederholte Messung außerdem Aufschluss über den Krankheitsverlauf.

Untersuchungstechnik

Die Messung erfolgt durch Einführen eines Fieberthermometers (Kap. 4.2) ins Rektum. Das Tier wird durch Ergreifen des Schwanzes (sofern unkupiert) mit ruhigem, aber festem Griff nahe der Schwanzwurzel einigermaßen gebändigt. Nachdem das Thermometer gründlich heruntergeschüttelt und mit Gleitmittel versehen wurde, wird es mit einer weichen, drehenden Bewegung eingeführt. Bei der Katze stößt man fast immer ca. 1 cm kranial des Anus auf einen Widerstand. Er wird durch eine Kontraktion hervorgerufen, die fast immer nachlässt, wenn man die weiche Drehbewegung für etwa 30 Sekunden ohne Druck fortführt. Wenn man den Druck erhöht, fügt man der Katze starke Schmerzen zu. Für die korrekte Messung der Körperkerntemperatur muss das Thermometer mindestens 2 cm tief eingeführt werden. Quecksilberthermometer müssen mindestens eine Minute im Darm verbleiben, digitale Thermometer benötigen nur fünf bis zehn Sekunden (Kap. 4.2).

Das Fiebermessen bietet außerdem eine gute Gelegenheit, ohne Zeitverlust den Schwanztonus, die Sauberkeit des Perineums (Kot, Parasiten), den Zustand des Anus (offen, geschlossen), den Analreflex, den Rektaltonus und mögliche Widerstände im Rektum zu beurteilen. Nach dem Herausziehen des Thermometers müssen anhaftende Kotbestandteile beurteilt werden (Farbe, Konsistenz, Blutbeimengungen).

Referenzwerte

Die Referenzwerte liegen beim Hund zwischen 38,0–39,0°C, bei der Katze zwischen 38,5–39,0°C. Bei Aufregung und Manipulationen in der Klinik können diese Werte leicht um 0,5–1°C steigen, sodass die Beurteilung schwierig wird. Wenn zuverlässigere Werte benötigt werden, kann man den Besitzer bitten, die Rektaltemperatur des Tieres zu Hause für einige Tage zweimal täglich zu messen.

8.3.4  Haarkleid und Haut

Einleitung

Die Haut schützt den Organismus vor dem Verlust von Wasser, Elektrolyten und Makromolekülen sowie gegen den Eintritt von chemischen und physikalischen Stoffen und Mikroben. Zusätzlich spielt die Haut mit ihrer starken Durchblutung eine wichtige Rolle bei der Thermoregulation, während die ausgeprägte sensorische Innervation den Kontakt zur Umgebung herstellt. Bei Hund und Katze trägt auch das Fell zu diesen Hautfunktionen bei.

Haarkleid

Beim Hund ist das Fell am Rücken und den Seiten sehr dicht. Im Gegensatz dazu sind die Innenflächen der Ohrmuscheln, die Leistengegend und die ventrale Schwanzfläche nahezu unbehaart. Bei der Katze ist der gesamte Rumpf dicht behaart. Das Haarwachstum bei Hund und Katze verläuft zyklisch (Abb. 8.7), wobei die anagene (Wachstum) und telogene Phase (Ruhezeit) am wichtigsten sind. In der anagenen Phase wächst das Haar durch Zellteilung in der Matrix der Papille des Haarfollikels tief in der Dermis. In der Übergangsphase (katagene Phase) schiebt sich das Haar nach oben, wobei sich der Follikel um etwa ein Drittel verkürzt. Das hierdurch in die Ruhephase eintretende Haar fällt wenig später durch den Schub des nachwachsenden Haares aus. Bei Hund und Katze wächst das Haar asynchron und mosaikartig, sodass benachbarte Haare sich in unterschiedlichen Stadien befinden können. Der Prozess wird zu einem gewissen Grad durch das Tageslicht beeinflusst (Dauer der Licht- und Dunkelphase). Der Anstieg der Tageslichtlängen im Frühjahr führt zu einer Zunahme an losem Haar.11 Die Tatsache, dass Haushunde das ganze Jahr hindurch Haare verlieren, hängt mit dem Ersatz der jahreszeitlichen Schwankungen durch die Bestrahlung mit künstlichem Licht zusammen. Während der Trächtigkeit und Scheinträchtigkeit wird das Haarwachstum teilweise synchronisiert und nur wenige Haare gehen in die telogene Phase über. Die hormonelle Umstellung nach der Geburt führt dann zum gleichzeitigen Verlust vieler Haare.

 

 

Man kann grob gesprochen drei Felltypen unterscheiden,12 wobei das Fell des Deutschen Schäferhundes (und des Wolfes) als die Normalform angesehen wird. Dieser Felltyp besteht nicht nur aus primären (Deck-)Haaren, sondern auch aus sekundären Haaren (Unterwolle). Der zweite Felltyp, der Kurzhaartyp, besteht im Wesentlichen aus kurzen primären mit nur wenigen sekundären Haaren (Boxer und Kurzhaardackel). Der dritte Felltyp ist der Langhaartyp, der in einen feinhaarigen Langhaartyp (Englischer Cockerspaniel) und einen wolligen Typ (Pudel) unterteilt werden kann. Diese beiden bestehen vornehmlich aus sekundären Haaren. Bei der Katze besteht der weitaus größte Teil des Fells aus sekundären Haaren.

Haare bestehen fast vollständig aus Protein (Keratin). Bei Erkrankungen kommt es schnell zu Störungen der Haarentwicklung. Die anagene Phase verkürzt sich, sodass mehr Haare in die telogene Phase übertreten. Die telogenen Haare sind weniger fest in der Haut verwurzelt, sodass das Fell bei Krankheit dünner wird. Krankheiten können auch Veränderungen der Haarstruktur hervorrufen, die sich in einem stumpfen Aussehen und manchmal in Pigmentverlust manifestieren.

Untersuchung des Haarkleides

Die Untersuchung des Haarkleides umfasst eine allgemeine und eine lokale Betrachtung. Bei der allgemeinen Betrachtung erfasst man den Gesamteindruck des Fells und achtet auf Farbe, Glanz, Geschlossenheit und Einheitlichkeit sowie haarlose Stellen (siehe auch Kap. 7). Die lokale Betrachtung beinhaltet die Beurteilung der Dichte (Deckhaare und Unterwolle) und des Vorhandenseins loser Haare. Zu diesem Zweck werden einzelne Haarpartien mit einer Pinzette angehoben (Abb. 8.8). Wendet man diese Methode in der Lumbosakralregion an, so erhält man gleichzeitig einen Eindruck vom Vorhandensein des wichtigsten Parasiten bei Hund und Katze, dem Floh.

Die Haut

Die Haut (Kutis) besteht aus einer dünnen, avaskulären oberflächlichen Zellschicht (Epidermis) und einer fibroelastischen Schicht (Dermis). Letztere enthält Blutgefäße, Schweißdrüsen, Talgdrüsen und Haarfollikel. In der Dermis findet man eine ausgeprägte adrenerge motorische Innervation der Blutgefäße, Haaraufrichtemuskeln und des die apokrinen Schweißdrüsen umschließenden Myoepithels. Die sensorische Innervation ist nicht auf die Dermis beschränkt; auch die Epidermis enthält sensorische Nervenenden, die der Wahrnehmung von Kälte, mechanischen Einflüssen, Schmerz, Temperaturschwankungen und Juckreiz dienen. Die Haut ist am Rücken am dicksten und am Bauch, insbesondere in den Achseln und der Leistengegend, dünner.

Unter der Haut liegt die Subkutis, eine Schicht aus losem Bindegewebe und Fett. Die Fettmenge variiert von Hund zu Hund und von einer Körperstelle zur anderen. Hunde haben keine Fetteinlagerungen an den distalen Extremitäten, aber gut gefütterte Hunde können am Rumpf Fett einlagern.

Hautveränderungen können durch eine primäre Hauterkrankung bedingt sein oder infolge einer systemischen Erkrankung auftreten. Im Zuge der Allgemeinuntersuchung beschränkt sich die Untersuchung der Haut auf das Aufspüren von Veränderungen, die bei der Formulierung des Problems oder der Auswahl von weiterführenden Untersuchungen nützlich sein können. Die Hautuntersuchung liefert sowohl bei Vorliegen als auch bei Abwesenheit von Veränderungen wertvolle Hinweise auf die allgemeine Gesundheit des Patienten.

Untersuchung der Haut

Die Haut wird bei dieser Untersuchung anhand der folgenden vier Kriterien beurteilt:

Hautfarbe und Vorliegen von Blutungen. Hierzu werden die dünn behaarten Körperstellen untersucht. Bei Hund und Katze eignen sich die Innenflächen der Ohrmuscheln, wobei allerdings manchmal Tätowierungen stören. Beim Hund ist auch die Leistengegend geeignet. Zur gründlichen Inspektion dieses Bereichs muss der Hund in der Regel auf der Seite oder dem Rücken liegen. Gelegentlich behindert eine Pigmentierung der Haut die Untersuchung.

Beim gesunden Tier ist die Haut rosig. Manchmal ist die Haut so dick, dass die durchblutungsbedingte rosa Färbung kaum sichtbar ist und die Haut grauweiß erscheint. Bei verringerter Durchblutung oder Anämie kann die Haut blass aussehen. Eine lokal erhöhte Durchblutung verursacht Röte (Erythem). Eine Gelbfärbung entsteht bei erhöhter Bilirubinkonzentration im Blut (Ikterus).

Blutungen in der Haut können in Form von Petechien (stecknadelkopfgroße Blutungen) oder als größere Areale auftreten. Eine frische Hautblutung sieht rot aus. Nach kurzer Zeit wird sie grünlich und dann gelb, da sich das Hämoglobin lokal zu Biliverdin und dann zu Bilirubin umwandelt. Blutungen in die Subkutis oder Muskulatur führen zu einer Akkumulation von Blut, die als Hämatom bezeichnet wird.

Dicke, Elastizität und Turgor. Da diese Merkmale nicht an allen Körperstellen gleich sind, werden sie immer an einer festgelegten Stelle beurteilt, nämlich auf halber Höhe seitlich der Thoraxwand an der zehnten Rippe. Hier wird zwischen Daumen und Zeigefinger eine Hautfalte aufgezogen und beurteilt, wie dick sie ist und wie leicht sie sich aufziehen lässt. Die Zeit, die diese Hautfalte benötigt, um vollständig zu verstreichen, gibt einen Eindruck von der Elastizität (Hautspannung, Turgor) der Haut. Wenn der Turgor als Maß für die Dehydrierung beurteilt wird, muss man berücksichtigen, dass die Elastizität der Haut bei jungen Tieren eindeutig größer ist als bei älteren. Beim Jungtier verstreicht eine Hautfalte beim Loslassen fast sofort (< 0,5 s), wohingegen beim älteren Tier eine Dauer von einer Sekunde normal sein kann. Um trotzdem reproduzierbare und vergleichbare Ergebnisse zu erzielen, muss das Tier geradestehen, ohne den Rumpf seitlich zu verbiegen, da sich die Hautfalte sonst extrem schnell bzw. nur sehr langsam zurückbildet. Ein schlechter Ernährungszustand führt auch zum Verlust von Hautelastizität, ohne dass dies ein Anzeichen von Dehydrierung wäre.

Temperatur. Die Temperatur der Extremitäten wie Pfoten, Lefzen und Ohrmuscheln lässt sich feststellen, indem diese in der Hand gehalten oder mit dem Handrücken berührt werden. Bei gesunden Tieren, sofern sie nicht gerade aus einer kalten Umgebung hereinkommen, sind die Extremitäten warm. Bei schlechter peripherer Durchblutung (regional oder lokal) fühlen sie sich kalt an. Entzündete Areale können zusätzliche Wärme abstrahlen. Bei der Beurteilung muss der Einfluss des Fells berücksichtigt werden.

Vorliegen von Ödemen. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Adspektion und Palpation von Körperregionen, in denen Ödeme aufgrund von Schwerkraft und Gewebedruck am häufigsten auftreten. Bei Hund und Katze sind dies die Ventralflächen des Rumpfes (beim Rüden insbesondere über dem Präputium) und das Gebiet knapp oberhalb des Tarsus zwischen der Achillessehne und der Tibia. Hier können beim Betrachten eine Umfangsvermehrung und sogar eine leicht gespannte Haut auffallen. Eine mit dem Finger eingedrückte Delle bleibt eine Weile bestehen. Ein entzündlich bedingtes Ödem geht mit Wärme und Schmerz einher, Ödeme anderer Genese hingegen nicht.

8.3.5  Schleimhäute

Einleitung

Der Aufbau von Schleimhäuten gleicht dem der Haut. Auch hier findet man oberflächlich eine nicht vaskularisierte Zellschicht aus Plattenepithel. Darunter liegt gefäßreiches Bindegewebe (Lamina propria), das in der Regel nur wenige Drüsen enthält. Die Ausführungsgänge der in der Submukosa liegenden Drüsen führen durch diese Schicht hindurch.

Die Schleimhaut an der Genitalöffnung ist für die Untersuchung im Allgemeinen wenig geeignet, da ihr Zustand vom Reproduktionszyklus (Hündin) oder durch Entzündungen (Rüde) beeinflusst wird.

Untersuchung der Schleimhäute

Diese besteht aus der Beurteilung der Farbe und Feuchtigkeit der Schleimhäute, der kapillaren Füllungszeit sowie der Prüfung auf Blutungen oder Läsionen.

Farbe

Die Farbe von Schleimhäuten ist einfacher zu beurteilen, da hier die Lamina propria dünner ist als die vergleichbare fibroelastische Schicht (Dermis) der Haut. Dort, wo Lamina propria und Submukosa gut vaskularisiert sind, erscheint die Schleimhaut beim gesunden Tier rosa. Das gilt nicht für die Sklera, wo die darüberliegende konjunktivale Mukosa vollständig transparent ist. Unzureichende Perfusion oder Anämie bedingen blasse Schleimhäute. An der Sklera kann ein Ikterus erkannt werden. Bei einigen Rassen ist die Schleimhaut lokal pigmentiert, was bei der Untersuchung stören kann.

Kapillare Füllungszeit

Die Messung der kapillaren Füllungszeit vermittelt einen Eindruck vom peripheren Kreislauf. Nachdem durch leichten Druck eine Stelle der Schleimhaut »blutleer« gemacht wurde, kehrt die rosa Farbe innerhalb von maximal einer Sekunde zurück.13 Das wirkt auf den ersten Blick attraktiv: So lässt sich anscheinend auf schnelle und nichtinvasive Weise der periphere Kreislauf beurteilen. Wie andere klinische Methoden auch hat sich dieses Verfahren jedoch ohne Validierung etabliert (Kap. 1).

In der Humanmedizin gibt es einige kritische Stimmen zu diesem Verfahren.14 So wurde gezeigt, dass die Ergebnisse in hohem Maße vom Untersucher abhängen (hohe Interrater-Variabilität). Außerdem bleibt eine mäßige Hypovolämie unerkannt. Bei Blutspendern, denen 450 ml Blut abgenommen wurden, lag die Sensitivität der Methode (siehe Kap. 3.1.5) bei 0,11. In derselben Studie lag die Sensitivität bei Patienten mit einem eindeutig niedrigen arteriellen Blutdruck (Hypotension) bei 0,77.15

Feuchtigkeit

Beim gesunden Tier wird die Konjunktivalschleimhaut durch Tränen feucht gehalten und die Maulschleimhaut durch Speichel. Bei Dehydrierung können die Schleimhäute trocken und klebrig werden.

Blutungen

Manchmal sind in den Schleimhäuten Blutgefäße zu erkennen, insbesondere in der skleralen Konjunktiva (siehe auch Kap. 19.4.6 und 19.4.8). Blutungen sollten im Normalfall nicht vorliegen (Petechien und/oder Ekchymosen). Ihr Vorhandensein ist ein Anzeichen für Traumata oder Veränderungen an Gefäßen, Thrombozyten oder bei der Blutgerinnung.

Läsionen

Defekte der Maulschleimhaut können auf lokale Verletzungen oder auf systemische Erkrankungen mit Schleimhautbeteiligung zurückzuführen sein. Lokale Verletzungen beruhen meist auf einer Entzündung des Zahnhalteapparats (Parodontitis) oder auf Zahnstein.

Untersuchungstechnik

Zur Untersuchung der Augen- und Maulschleimhaut umgreift man am besten den Kopf des Tieres mit einer Hand von oben über den Schädel und mit der anderen unter dem Unterkiefer. Aus dieser Position heraus kann der Daumen der unteren Hand benutzt werden, um das Unterlid des Tieres zum Betrachten der Konjunktiva herunterzuziehen (Abb. 8.9). Der Daumen der oberen Hand kann das Oberlid zur Inspektion der Sklera nach oben ziehen. Das dritte Augenlid (Nickhaut) eignet sich aufgrund des darin befindlichen grauweißen Knorpels nicht zur Beurteilung der Schleimhautfarbe.

Im Anschluss wird die obere Hand etwas nach vorn verlagert, sodass mit Daumen und Zeigefinger die Lefzen angehoben werden können. Die Lefzen dürfen nicht lang gezogen werden, da sonst die Kapillaren abgedrückt werden und die Schleimhaut irreführend blass ist. Auf diese Weise kann ein großes Schleimhautareal betrachtet werden, ohne den Fang des Hundes zu öffnen (Abb. 8.9). Bei der Katze muss das Maul ein wenig geöffnet werden, da die Maulschleimhaut durch ihre faserige Lamina propria meist blass aussieht. Beim Öffnen des Mauls lässt sich auch die Zunge beurteilen, die bei der gesunden Katze in der Regel kräftig rosa aussieht (Abb. 8.10).

Zur Messung der kapillaren Füllungszeit wird mit einem Finger ein kurzer Druck auf eine Stelle unpigmentierter Schleimhaut der angehobenen Lefze ausgeübt. Nach plötzlichem Zurückziehen des Fingers wird die Zeit gemessen, bis der weiße Fleck verschwunden ist. Die Schleimhaut im Zahnfleischbereich ist dafür ungeeignet, da hier auch bei einem sehr schwachen peripheren Kreislauf die Füllungszeit noch gut sein kann. Die Maulschleimhaut wird auf beiden Seiten gleichermaßen betrachtet, einerseits um zu beurteilen, ob eine auf einer Seite gefundene Veränderung tatsächlich lokal begrenzt ist, aber auch, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, Blutungen, Defekte und andere Veränderungen sicher aufzuspüren.

 

 

8.3.6  Periphere Lymphknoten

Einleitung

Lymphknoten sind strukturelle und funktionelle Komponenten des lymphatischen Systems. Sie sind so lokalisiert, dass sie gut von äußeren Einflüssen abgeschirmt sind und trotzdem nicht störend auf die Fortbewegung oder das Kreislaufsystem einwirken. Was wir hier als Lymphknoten bezeichnen, wird in der Nomina Anatomica Veterinaria als Lymphzentrum angesprochen.16 Es umfasst einen oder mehrere Lymphknoten, die immer in derselben Lokalisation vorkommen und immer aus demselben Gebiet Lymphe aufnehmen. Daraus ergibt sich, dass das, was wir als Lymphknoten bezeichnen, tatsächlich aus mehreren Knötchen zusammengesetzt sein kann, deren Zahl individuell verschieden ist. Die Lymphknoten in einer Region können sich auch pathologisch vermehren, wobei unklar ist, ob es sich dabei um eine Hypertrophie von zuvor nicht palpierbaren Lymphfollikeln oder um eine Neubildung von Follikeln handelt.17

Jeder Lymphknoten ist von einer dünnen Kapsel aus kollagenem Bindegewebe umgeben, das in Form von Septen und Trabekeln in den Knoten hineinzieht. In der äußeren Schicht (Kortex) befinden sich die Lymphfollikel, in denen sich die Lymphozyten entwickeln und die zum Teil von einem Lymphsinus umgeben sind. Ein Lymphsinus ist der Bereich unter der Kapsel und entlang der Septen und Trabekel, durch den die Lymphe zirkuliert (Abb. 8.11).

Die Lymphfollikel dienen (1) als Lymphfilter und (2) als Keimzentren für Lymphozyten. Die um die Sinus herum angeordneten Phagozyten entfernen Mikroorganismen und andere Partikel aus der langsam fließenden Lymphe. Solche Fremdmaterialien werden während einer Lymphknotenpassage buchstäblich komplett aus dem Lymphstrom entfernt. Die Antigenphagozytose wird durch die Bindung spezifischer Antikörper potenziert, die einen Teil der Immunantwort darstellen.

Wie auch in anderen Lymphgeweben wird die Produktion von Lymphozyten und Plasmazellen hier durch Antigenstimulation induziert. Diese Zellen sind für die zellvermittelte Immunität, die Bildung von Antikörpern und das immunologische Gedächtnis verantwortlich.

 

image

Abb. 8.11:
Struktur eines Lymphknotens.

Lokalisation und Abflussgebiete

An vielen Stellen sind Lymphknoten bzw. Gruppen von Lymphknoten oberflächlich gelegen und damit zugänglich für die Palpation. Bei Hund18 und Katze sind folgende zu nennen:

Kehlgangslymphknoten. Der Mandibularlymphknoten besteht aus einer Gruppe von zwei oder drei Knoten, die ventral des Kieferwinkels liegen. Bei gesunden Hunden und Katzen lässt er sich knapp rostral von der Glandula mandibularis palpieren und wird oft mit dieser verwechselt. Der Mandibularlymphknoten ist zusammen mit den Nodi lymphatici (Nll.) parotidei, die unter dem kranialen Ende der Ohrspeicheldrüse liegen und normalerweise nicht palpierbar sind, für den Lymphabfluss von Haut und oberflächlichen Kopfstrukturen zuständig. Die afferenten Lymphbahnen dieser Knoten haben ein teilweise überlappendes Einzugsgebiet, sodass beispielsweise die Augenlider mit ihren Drüsen und die Kopfhaut an beide Knoten angeschlossen sind (Abb. 8.12).

Schlundkopflymphknoten. Der Retropharyngeallymphknoten ist ein großer, lang gestreckter Knoten, der zwischen Atlas und Larynx liegt und lateral vom M. brachiocephalicus bedeckt ist. Beim gesunden Tier ist er nicht palpierbar. Seine afferenten Lymphbahnen kommen aus tieferen Strukturen des Kopfes, wie z. B. der Zunge und den Nasenwänden, Maul und Pharynx sowie Larynx und Ösophagus.

 

Buglymphknoten. Er besteht meist aus zwei Knoten, die vom dünnen M. cleidocervicalis und vom M. omotransversarius bedeckt sind. Er ist auf halber Höhe genau am vorderen Rand des Schulterblatts palpierbar. Dieser Knoten hat ein großes Einzugsgebiet: die Haut an der Hinterseite des Schädels, oberflächliche Anteile des Halses, die lateralen und distalen Anteile des Vorderbeins, die Schulter und den kranialen Bereich des Thorax.

Achsellymphknoten. Dieser besteht aus den Nll. axillares und den Nll. axillares accessorii. Der Achsellymphknoten liegt wenige Zentimeter kaudal des Schultergelenks an der Abzweigung der A. subscapularis von der A. brachialis. Lateral wird er vom M. teres major und ventral von der tiefen Pektoralismuskulatur begrenzt. Aufgrund seiner Lage hoch oben in der Achsel ist dieser Knoten normalerweise nicht palpierbar und lässt sich nur bei ausgeprägter Vergrößerung ertasten.

Der akzessorische Achsellymphknoten liegt etwas kaudal des Achsellymphknotens in der Faszie zwischen dem M. latissimus dorsi und der tiefen Pektoralismuskulatur, die miteinander in Verbindung stehen. Beim gesunden Tier ist er im Regelfall nicht tastbar; wenn er vergrößert ist, lässt er sich an der Brustwand etwas oberhalb des Ellbogengelenks palpieren.

Der akzessorische Achsellymphknoten leitet die Lymphe der Brustwand und der tieferen Strukturen der Vordergliedmaße ab. Seine afferenten Bahnen am Thorax reichen nach vorn bis zum Hals und nach hinten bis zum Abdomen einschließlich der ersten drei Mammarkomplexe. Die Lymphbahnen von den Mammarkomplexen überlappen mit denen, die zum Leistenlymphknoten führen.

Leistenlymphknoten. Bei der Hündin liegt der Leistenlymphknoten im Fettgewebe zwischen der Bauchwand und dem medialen Oberschenkel, dorsolateral vom letzten Mammarkomplex. Bei der gesunden Hündin ist er meist nicht palpierbar. Beim Rüden liegt der Knoten dorsal vom hinteren Ende des Penis direkt unterhalb der Bauchwand. Er ist bei gesunden Rüden palpierbar, manchmal allerdings aufgrund von Fettgewebe schwierig zu ertasten.

Bei der Hündin umfasst das tributäre Gebiet die Bauchwand und die hinteren Mammarkomplexe. Auf Höhe des dritten Mammarkomplexes überlappt es in der Regel mit dem Einzugsgebiet der Achsellymphknoten (siehe auch Abb. 16.2). Beim Rüden nimmt der Leistenlymphknoten Lymphe aus dem Bereich von Penis, Präputium und Skrotum auf. Des Weiteren wird Lymphe aus dem ventralen Beckenbereich, dem Schwanz, dem medialen Oberschenkel und Knie aufgenommen.

Kniekehllymphknoten. Er liegt im Fettgewebe zwischen dem M. biceps femoris und M. semitendinosus kaudal des Kniegelenks. Er ist für die Drainage des gesamten Bereichs distal vom Knoten zuständig.

Untersuchung

Die Untersuchung der Lymphknoten umfasst die Beurteilung von Größe, Form, Konsistenz, Schmerzhaftigkeit und Verschieblichkeit.

Größe

Wenn ein Lymphknoten ertastet werden kann, der im Normalfall nicht palpierbar ist, muss dies als pathologische Veränderung gewertet werden. Diese Bewertung ist bei Lymphknoten, die auch im Normalfall tastbar sind, schwieriger. Ihr Umfang ist je nach Größe des Tieres unterschiedlich und kann von wenigen Millimetern bei Katzen und Zwerghundrassen bis zu 2,5 cm bei großen Hunden betragen. Die Normalgröße muss daher immer im Zusammenhang mit der Größe des Tieres gesehen werden. Hilfreich ist bei verdächtigen Lymphknoten eine Größenschätzung in Millimetern oder Zentimetern (nach Abzug des Beitrags darüberliegender Strukturen), insbesondere als Referenzwert bei Verlaufskontrollen. Eine Vergrößerung auf mehr als das 1,5-fache der erwarteten Normalgröße ist als verdächtig und eine noch stärkere Vergrößerung als pathologisch einzustufen.

Form

Viele Lymphknoten sind elliptisch und behalten diese Form bei einer Vergrößerung im Zuge von Entzündungen oder bei malignem Wachstum des Lymphgewebes. Bei Vergrößerungen anderer Ursache, z. B. Metastasen von malignen Tumoren im Einzugsgebiet, bleibt die Form meist nicht erhalten.

Konsistenz

Beim gesunden Tier haben die Lymphknoten die Konsistenz von weichem Gummi. Je nach Ursache der Veränderung eines Lymphknotens kann dieser weicher oder härter werden. Dies lässt sich mithilfe einer Ordinalskala festhalten (siehe Kap. 4.1.2 und 3.1.2).

Schmerzhaftigkeit

Beim gesunden Tier verursacht die Palpation der Lymphknoten keinen Schmerz.

Verschieblichkeit

Bei gesunden Tieren sind die Knoten nicht miteinander (insbesondere bei den Kehlgangslymphknoten) oder mit den umgebenden Geweben verwachsen. Verklebungen entstehen vor allem durch Entzündungsprozesse, sodass die einzelnen Knoten nicht mehr voneinander abgrenzbar sind. Sie können auch mit ihrer Umgebung verwachsen. Man stellt dann eine verringerte Verschieblichkeit fest. Auch eine Tumorevasion durch die Lymphknotenkapsel hinaus ins umliegende Gewebe führt zu verringerter Verschieblichkeit.

Untersuchungstechnik

Lymphknoten werden palpatorisch untersucht, wobei die korrespondierenden Knoten rechts und links wiederholt miteinander verglichen werden. Es ist sehr wichtig, dass vorsichtig palpiert wird: Durch zu starken Druck verringert sich die Empfindlichkeit der Finger und auch für das Tier kann dies sehr unangenehm sein.

Die meisten oberflächlichen Lymphknoten können zwischen Daumen und Fingern palpiert werden. Oft beginnt die Untersuchung mit einer Suche nach dem Lymphknoten, die am erfolgreichsten ist, wenn das fragliche Gewebeareal zwischen den Fingern angehoben und das Gewebe durch sanftes Rutschenlassen des Daumens über die Fingerkuppen durchpalpiert wird. So wird beispielsweise der Mandibularlymphknoten kaudoventral des Kieferwinkels aufgesucht, wobei es hilfreich sein kann, zunächst die mehr dorsokaudal gelegene (und größere) Glandula mandibularis zu suchen und sich dann nach ventral und rostral vorzuarbeiten (Abb. 8.13). Zum Auffinden der (normalerweise nicht tastbaren!) Parotislymphknoten wird das Gebiet um und unter dem äußeren Gehörgang palpiert.

Die Kehlgangsregion kann palpiert werden, indem ein oder mehrere Finger beidseits zwischen Atlas und Larynx platziert und dann nach medial verschoben werden. Bei gesunden Tieren mit gutem Ernährungszustand können die Fingerspitzen beider Hände nun so nahe zusammengebracht werden, dass sie sich fast berühren.

Zur Beurteilung des Buglymphknotens wird der M. omotransversarius, der unmittelbar vor dem Schulterblatt liegt, zwischen Daumen und Zeigefinger ergriffen. Dann werden die Finger nach kranial (d.h. entlang des Muskelverlaufs) bewegt, bis der Lymphknoten unter dem Muskel zu tasten ist.

 

Ein vergrößerter Achsellymphknoten lässt sich palpieren, indem hoch in die Achsel hineingetastet wird, wobei das Vorderbein leicht nach lateral abgestreckt sein kann. Der akzessorische Achsellymphknoten wird aufgesucht, indem die flache Hand über die Brustwand verschoben wird (Abb. 8.13 D1, D2).

Der Leistenlymphknoten kann beim Rüden ziemlich weit kaudal und hoch über dem Penis knapp unterhalb der Bauchwand ertastet werden (Abb. 8.13). Bei der Hündin wird die Palpation beidseits dorsolateral des letzten Mammarkomplexes durchgeführt. Für eine gründliche adspektorische und palpatorische Untersuchung muss das Tier manchmal auf die Seite oder den Rücken gelegt werden (siehe auch Kap. 16.2.2).

Die Kniekehllymphknoten sind am einfachsten aufzuspüren, wenn der M. semitendinosus und der M. biceps femoris hinter dem Knie leicht zusammengedrückt und die palpierenden Fingerspitzen dann nach kaudal verschoben werden. Der Lymphknoten tritt dabei kaudal zwischen den Muskeln hervor, sodass er direkt unter der Haut liegt und leicht beurteilt werden kann.

8.3.7  Andere auffällige Befunde

Bei den zuvor beschriebenen Untersuchungen können weitere Veränderungen auffallen, die mit der eigentlichen Allgemeinuntersuchung nichts zu tun haben. Beispielsweise kann ein Milchdrüsentumor oder eine Gasansammlung im Unterhautgewebe (subkutanes Emphysem) entdeckt werden. Auch solche Befunde werden im Formular für die Allgemeinuntersuchung festgehalten.

8.4 Dokumentation

Die Ergebnisse der Allgemeinuntersuchung können in das auf der DVD vorgegebene Formular in die Rubriken »Gesamteindruck« und »Allgemeinuntersuchung« eingetragen werden. Bei vergrößerten Strukturen müssen zusätzlich zu den adspektorischen und palpatorischen Befunden auch die Maße (abzüglich des Anteils von Haut und umgebendem Gewebe) angegeben werden (siehe Kap. 4.1.1 und 4.1.2).

Wenn ein Merkmal (z. B. die Körpertemperatur) für einen längeren Zeitraum überwacht werden soll, können die Daten auch grafisch dargestellt werden.

Literatur

1. Nichelmann M (1981): Thermoregulatorische Bedeutung der Mund- und Nasenhöhle von Hund und Katze (Thermoregulatory role of the oral and nasal cavities in dogs and cats). Monatsheft Vet Med 36: 64.

2. Macklem PT (1981): Normal and abnormal function of the diaphragm. Thorax 36: 161.

3. Fossum TW (2001): Pleural and extrapleural diseases. In: Ettinger SJ, Feldman EC (eds.): Textbook of veterinary internal medicine. 5th edn. Saunders, Philadelphia, 2000, S. 1098–1111.

4. Bouvy BM, Bjorling DE (1991): Pericardial effusion in dogs and cats. 1. Normal pericardium and causes and pathophysiology of pericardial effusion. Comp Cont Educ 13: 173–174.

5. Levi M, Hart W, Wieling W (1999): Fysische diagnostiek – pulsus paradoxus. (Physical diagnosis – paradoxical pulse). Ned Tijdschr Geneeskd 143: 2045–2048.

6. Haddad GG, Jeng HJ, Lai TL (1987): Heart rate variability during respiratory pauses in puppies and dogs. Pediatr Res 22: 306.

7. Hamlin RL (1989): Heart rate of the cat. J Am Anim Hosp Assoc 25: 284.

8. Musacchia XJ (1979): Fever and hyperthermia. Fed Proc 38: 27.

9. Kanno Y (1977): Experimental studies on body temperature rhythm in dogs. I. Application of Cosinor Method to body temperature rhythm in dogs. Jap J Vet Sci 39: 69.

10. Webb P (1993): Daily activity and body temperature. Eur J Appl Physiol Occup Physiol 66: 174–177.

11. Baker KP (1974): Hair growth and replacement in the cat. Br Vet J 130: 327.

12. Muller GH, Kirk RW, Scott DW: Small animal dermatology. 3rd edn. Saunders, Philadelphia, 1983.

13. Haskins SC (1983): Shock. The pathophysiology and management of the circulatory collapse states. In: Kirk RW (ed.): Current veterinary therapy VIII. Saunders, Philadelphia, 1983.

14. Gorelick MH, Shaw KN, Baker MD (1993): Effect of ambient temperature on capillary refill in healthy children. Pediatrics 92: 699–702.

15. Schriger DL, Baraff LJ (1991): Capillary refill – Is it a useful predictor of hypovolemic states? Ann Emerg Med 20: 601–605.

16. Nomina Anatomica Veterinaria. International Committee on Veterinary Anatomical Nomenclature, Vienna, 1973.

17. Jeghers H, Clark SL, Templeton AC (1983): Lymphadenopathy and disorders of the lymphatics. In: Blacklow RS (ed.): MacBryde's signs and symptoms. 6th edn. Lippincott, Philadelphia, 1983.

18. Evans HE, Christensen GC: Miller’s anatomy of the dog. 2nd edn. Saunders, Philadelphia, 1979.


* Dies ist ein ungefährer Wert, bei dem Atempausen nicht berücksichtigt sind.

* Lehrabschluss von Annelies Pernot und Annemiek van Dijk an der Utrecht University Clinic for Companion Animals.

9 |  Atmungssystem
A. A. Stokhof und A. J. Venker-van Haagen

Wenn die Übersichtsuntersuchung eine Problemformulierung und einen Untersuchungsplan ergeben hat, der eine Untersuchung des Respirationstrakts beinhaltet, muss zuerst die Anamnese für dieses Organsystem vervollständigt werden. Der zweite Schritt besteht in der Beobachtung der Atembewegungen, auch wenn dies im Zuge der Allgemeinuntersuchung schon einmal stattgefunden hat. Zur Beurteilung der Atemgeräusche kehren wir zu ihrer Beschreibung in der Anamnese zurück, wobei abweichende Atemgeräusche manchmal auch bei der Untersuchung deutlich zu hören sind. Dann folgt die äußere Untersuchung von Nase und Nebenhöhlen, gefolgt von Larynx und Trachea, und schließlich die Untersuchung des Thorax.

9.1 Anamnese

Bei der Konzentration auf die Anamnese des Atmungsapparats wenden wir dieselbe Vorgehensweise an wie bei der allgemeinen Anamnese (Kap. 6). Es werden weitere Fragen zu den Symptomen gestellt, die der Tierhalter beobachtet hat. Dann werden detailliertere Fragen zum Respirationstrakt gestellt, also zu Nasenausfluss, Niesen, Geräuschen, Husten, Auswurf, Würgen und forcierter Atmung. Danach folgen weitere gezielte Fragen zu den Haltungsbedingungen und nach vorausgegangenen Erkrankungen des Patienten oder seiner Blutsverwandten. Wir wenden uns diesen Aspekten der Anamnese im Folgenden zu.

9.1.1  Symptome

Nasenausfluss geht häufig mit einer oder mehreren oben genannten klinischen Zeichen einher. Der Tierhalter wird gefragt, ob der Nasenausfluss aus einem oder beiden Nasenlöchern kommt, ob er kontinuierlich oder nur zu bestimmten Gelegenheiten auftritt (z. B. vor allem morgens beim Aufwachen oder hauptsächlich beim Spazierengehen) oder ob er nur beim Niesen auffällt. Fragen zur Beschreibung des Exsudats, wie wässrig, schleimig, eitrig oder blutig, müssen in Laiensprache gestellt werden.

Ein Stridor ist ein wiederkehrendes Atemgeräusch, das schon in einiger Entfernung vom Tier zu hören ist; es zeigt eine ziemlich gleichmäßige Amplitude und Frequenz. Eine Verengung (Stenose) der oberen Atemwege kann zu einer solchen Beschleunigung des Luftstroms führen, dass die Reynolds-Zahl überschritten wird (Kap. 4.1.4) und sich eine starke Turbulenz bildet. Der Stridor wird nach dem Ort des Hindernisses benannt, also nasaler, pharyngealer oder laryngealer Stridor. Die Lokalisation des Hindernisses bestimmt auch den Klang. So ist Schnüffeln das Ergebnis eines nasalen Stridors, Schnarchen entsteht bei pharyngealem Stridor und ein leichtes »Sägen« ist typisch für einen laryngealen Stridor. Bei einigen Hunderassen hat die züchterische Selektion auf brachyzephale Merkmale verschiedene Stridortypen hervorgebracht. Das tutende Geräusch einer kollabierten Trachea ist exspiratorisch, während die oben genannten Geräusche je nach Ausprägung des Hindernisses inspiratorisch oder inspiratorisch und exspiratorisch sein können. Ein Stridor im Nasen- oder Pharynxbereich hört auf, sobald das Tier durch das Maul atmet. Bei einer sehr ausgeprägten Verstopfung der Nase erfolgt die Maulatmung spontan, oft wird jedoch abgewechselt mit Versuchen, durch die Nase zu atmen. Bei geringgradigen Stenosen ist ein Stridor oft nur während und kurz nach körperlicher Belastung zu hören.

Niesen ist einer von zwei Reflexen, die den Atmungsapparat vor Verletzungen schützen. Der Niesreflex wird durch Reizung subepithelialer Rezeptoren in der Nasenschleimhaut ausgelöst.1 Die auslösenden Reize können Entzündungen oder Entzündungsprodukte, Fremdkörper und Tumoren sein. Neben dem eigentlichen Niesen, das jedermann erkennt, gibt es beim Hund ein weiteres Phänomen, das als »Rückwärtsniesen« bezeichnet wird. Es entsteht durch die Reizung der nasopharyngealen Schleimhaut, die zu einem Spasmus der Pharynxmuskulatur führt, der nun den Eintritt von Luft in den Larynx verhindert. Der Hund (das Phänomen tritt vornehmlich beim Hund auf) macht ein inspiratorisches Schnarchgeräusch und zeigt gleichzeitig alle Anzeichen einer schweren Dyspnoe. Der pharyngeale Spasmus kann durch reflektorisches Schlucken unterbrochen werden, das man durch Kehlmassage auslösen kann oder aber durch Zuhalten der Nasenlöcher, bis der Hund schluckt. Rückwärtsniesen tritt ohne Vorwarnung bei ansonsten gesunden Tieren auf und kann wenige Sekunden, aber auch minutenlang andauern. Bei Irritation oder Entzündung der Schleimhäute von Nase und Rachen kann es auch mehrmals täglich auftreten.

Husten ist der zweite wichtige Reflex, mit dem sich das Respirationssystem gegen Verletzungen schützt. Der Reflex kann durch Reizung der Atemwege an jeder beliebigen Stelle zwischen Larynx und den großen Bronchien ausgelöst werden.2 Nach einem tiefen Atemzug wird der intrathorakale Druck durch Verschluss des Kehldeckels und Kontraktion der Brust- und Bauchmuskeln erhöht (manchmal bis auf 20 kPa!). Darauf folgt eine plötzliche Dekompression durch Öffnen des Kehldeckels und Ausstoß der Atemgase zusammen mit dem ggf. vorhandenen Sputum.3 Frequenz, Stärke und Eigenschaften des auslösenden Reizes werden durch (1) die Beschaffenheit der ursächlichen Läsion, (2) das Vorhandensein von Sputum und (3) erschwerende Faktoren wie Schmerzen oder verringerte Atemkapazität bestimmt. Je nach Lokalisation des auslösenden Reizes werden folgende Hustentypen unterschieden:

1. Ein Husten, der durch Stimulierung des Larynx ausgelöst wird, ist meist anfallsartig und oft sehr stark. Manchmal geht er mit Würge- und Brechreiz oder dem Aushusten von etwas Schleim oder Speichel einher.

2. Ein Husten durch Reizung der Trachea ist ein lauter, explosiver Husten, der oft einem Bellen ähnelt.

3. Die Reizung der Bronchien kann verschiedene Hustentypen hervorbringen. Im akuten Stadium ist das Muster nicht leicht von einem tracheal bedingten Husten abzugrenzen. Wenn viel Schleim und Eiter gebildet werden, erscheint der Husten feucht und rau.

Der tracheale Husten – und noch mehr der bronchiale Husten – sind vor allem in der akuten Phase trocken sowie unproduktiv und gehen in der chronischen Phase mit dem Hochhusten von Sputum einher. Bei der Aufnahme des Vorberichts wird versucht, den Husten hinsichtlich Frequenz, Dauer, Stärke, Schmerzhaftigkeit, Bildung von Sputum, vermuteter Lokalisation des Hustenreizes sowie des Zeitpunkts des Auftretens (Aufregung, Tageszeit, Umgebungsveränderungen) zu beschreiben.

Das Sputum ist der Inhalt der Atemwege, der beim Husten in Bewegung gerät. Bei Hund und Katze gibt die Anamnese meist nur wenig Auskunft über seine Beschaffenheit (serös = wässrig, mukös = schleimig, purulent = eitrig, mukopurulent = schleimig-eitrig) oder seine Menge, da das hochgehustete Material in der Regel sofort abgeschluckt wird. In den weitaus meisten Fällen lässt sich eine Aussage über das Vorhandensein von Sputum nur aus den Eigenschaften des Hustens (produktiv oder unproduktiv) ableiten. Sputum wird nur dann ausgehustet, wenn der Husten selbst den Pharynx so stark reizt, dass das Tier so sehr würgen muss, dass es nicht schlucken kann. Der Tierhalter kann die Beschaffenheit des Auswurfs mithilfe von Fragen nach dessen Farbe, Fädigkeit und Geruch beschreiben. Zu berücksichtigen sind die häufige Vermischung mit Speichel und die mögliche Beimengung von Mageninhalt. Beim akuten Lungenödem kann neben dem Hochhusten von serösem Sputum auch seröser Nasenausfluss mit Bläschenbildung an den Nasenlöchern bestehen. Der Ausfluss kann durch Blutbeimengungen auch rötlich aussehen. Bei Schädigung von Blutgefäßen ist das Sputum blutrot.

Dyspnoe (forcierte oder erschwerte Atmung) ist durch angestrengte Atembewegungen charakterisiert, wobei die akzessorische Atemmuskulatur aktiviert wird. Bei der Aufnahme des Vorberichts muss zunächst abgeklärt werden, ob die Dyspnoe akut und rekurrent oder chronisch und kontinuierlich ist. In Fällen von akuter Dyspnoe muss auf jeden Fall auch gefragt werden, unter welchen Umständen die Atemnot auftritt und ob es irgendwelche Begleiterscheinungen gibt (z. B. Stridor). Tierhalter haben manchmal Schwierigkeiten, Hecheln (thermische oder nervöse Polypnoe) von Dyspnoe zu unterscheiden. Hier können Fragen nach der Atemtiefe helfen. Eine chronische Dyspnoe ist manchmal für Tierarzt und Besitzer schon beim ruhenden Tier klar erkennbar. In anderen Fällen treten die Symptome nur bei körperlicher Belastung auf (Belastungsdyspnoe). In diesem Fall ist wichtig zu wissen, dass Tierhalter nicht immer den Unterschied zwischen dem vorschnellen Ermüden eines Tieres und einer Bewegungsunlust erkennen. Letzteres wird als Apathie bezeichnet und bedarf keines Herz-Kreislauf-Problems. Möglich ist auch die Bewegungsverweigerung aufgrund eines Problems im Bewegungsapparat. Diese vom Besitzer manchmal als »Konditionsmangel« bezeichneten Zustände lassen sich bei der Anamnese häufig erfolgreich voneinander abgrenzen, wenn wir nach den Merkmalen der Atmung im Anschluss an die scheinbare Atemnot, nach Atemhilfsbewegungen und nach der Fortbewegungsweise des Tieres fragen.

9.1.2  Haltungsbedingungen

Hier befassen wir uns mit den Anforderungen, die an das Tier gestellt werden (z. B. starke körperliche Belastungen), seine Kontakte mit anderen Tieren (Ansteckungsgefahren) und unbeaufsichtigten Freigang (erhöhte Unfallgefahr).

9.1.3  Frühere Erkrankungen

Die Kenntnis früherer Störungen kann für die Interpretation der aktuellen Befunde äußert hilfreich sein. Hierzu zählen neben Krankheiten, Verletzungen und Autounfällen auch vorausgegangene Operationen. Dasselbe gilt für Kenntnisse über familiäre oder rassebedingte Atemwegserkrankungen.

 

9.2 Körperliche Untersuchung

9.2.1  Atembewegungen und -geräusche

Die Beurteilung der Atembewegungen wurde bei der Allgemeinuntersuchung (Kap. 8.3.1) beschrieben. Die Atemgeräusche wurden beim Gesamteindruck (Kap. 7) und in diesem Kapitel bei der Besprechung der Anamnese abgehandelt.

9.2.2  Nase und Stirnhöhle

Einleitung

Die Nase erhält ihre Form durch eine feste knöcherne Struktur und im vorderen Teil durch einen weichen Teil mit einem Knorpelgerüst. Die flache Vorderfläche der Nase wird als Nasenspiegel bezeichnet. Sie besitzt mittig eine senkrecht verlaufende flache Rinne, das Philtrum. Die Nasenöffnungen (Nasenlöcher oder Nares) sind seitlich durch die Nasenflügel (Alae nasi) begrenzt. Bei brachyzephalen Rassen ist die Nase sehr kurz und die Nasenlöcher sind oft klein (Abb. 9.1), was zu Schwierigkeiten beim Atmen führen kann.

Bei Hund und Katze ist die Nase überwiegend mit stark vaskularisierten Nasenmuscheln (Conchae) gefüllt. Eine blasenförmige Ausbuchtung der ventralen Nasenmuschel (Flügelfalte, Plica alaris), die kraniolateral in den Nasenflügel hineinragt, verteilt die Luft auf die dorsalen, medialen und ventralen Nasengänge. Der größere Teil der Luft wird ventromedial in Richtung des weitesten ventralen Nasengangs (Meatus nasi ventralis) geleitet. Dies ist auch der einzige Weg (also ventromedial) für das Legen einer Sonde zur künstlichen Ernährung in den Ösophagus (Abb. 9.2).4 In ihrem kaudalen Abschnitt sind die ventralen Nasengänge ziemlich weit und führen durch die Choanen zum Nasopharynx. Dieser Bereich liegt dorsal des kaudalen Abschnitts des harten und weichen Gaumens (Abb. 9.2).

 

image

Abb. 9.2:
Querschnitt durch den Kopf einer Katze, bei der eine Sonde über den ventralen Nasengang in den Ösophagus eingeführt wurde.

Bei den Nasennebenhöhlen stellt der Sinus maxillaris eine laterale Erweiterung oder Ausbuchtung der Nasenhöhle dar, der nur im hinteren Abschnitt medial eine knöcherne Begrenzung aufweist (Abb. 9.3). Er wird daher nicht als eigenständige Nebenhöhle, sondern als eine Erweiterung der Nasenhöhle angesehen. Die Stirnhöhle liegt im Stirnknochen und ist aufgrund der großen Variationsbreite der Schädelformen beim Hund in ihrer Größe und Form ausgesprochen variabel.

Die hier kurz dargestellten Strukturen bilden den vordersten Abschnitt des Wegs zum Ort des Gasaustausches, den Lungen. Zusätzlich erfüllen diese oberen Luftwege aber einige weitere Funktionen:

image Sie wärmen und befeuchten die Einatemluft.

image Sie schirmen den Körper vor schädlichen oder infektiösen, eingeatmeten Partikeln ab. Die Nase trägt hierzu durch den Niesreflex und die Verwirbelung des Luftstroms über einer gut vaskularisierten Schleimhaut bei. Diese sondert ein klebriges Sekret mit bakteriziden Eigenschaften ab, das vom Zilienepithel zum Ösophagus befördert wird.

image Sie ermöglichen durch olfaktorische Nervenendigungen, die zur Hälfte in den Siebbeinmuscheln liegen, die Wahrnehmung von Gerüchen. Die Aufnahme verschiedener Gerüche wird durch die innere Struktur der Nasenhöhle unterstützt. Die gewundenen Conchae teilen den hereinkommenden Luftstrom in mehrere turbulente Ströme auf, sodass die aromatischen Moleküle ungleichmäßig verteilt und selektiv an die olfaktorischen Rezeptoren herangeführt werden.5

 

 

image Die oberen Luftwege fördern die Abgabe von Wärme durch Verdunstung. Bei Hund und Katze spielt hier bei hohen Außentemperaturen die laterale Nasendrüse eine wichtige Rolle, die dann mit exponentieller Steigungsrate Flüssigkeit sezerniert.6 Bei der thermischen Polypnoe wird der Großteil der Luft durch die Nase ein- und durch das Maul ausgeatmet.7 Dabei wird die Einatemluft an der großen Schleimhautoberfläche der Nase rasch mit Wasserdampf gesättigt und dann durch das Maul ausgestoßen. Dadurch wird verhindert, dass Wärme und Feuchtigkeit aus der Ausatemluft wieder zur Nasenschleimhaut zurück gelangen. Außerdem stimmt das Hecheln in seiner gleichmäßigen Frequenz mit der Resonanzfrequenz der Atembewegungen überein, was den nötigen Energieaufwand deutlich reduziert.8

Nase

Nach der Beurteilung des Gesamteindrucks der Nasenform werden folgende Aspekte der Reihe nach untersucht:

image Nasaler Stridor. In ruhiger Umgebung wird hierzu bei geschlossenem Maul sehr nahe an der Nase des Tieres gelauscht. Falls ein Stridor durch eine zu kleine Nasenöffnung vorliegt (brachyzephale Rassen), kann der Klang des Stridors durch Lateralbewegung der Nasenflügel verändert werden.

image Ausatemluft. Die Symmetrie des ausgeatmeten Luftstroms wird anhand der Bewegungen von kleinen Watteflusen beurteilt, die vor jedes Nasenloch gehalten werden (Abb. 9.4). Gleichzeitig wird der Geruch der ausgeatmeten Luft (foetor ex naso) beurteilt.

image Nasenausfluss. Bei gesunden Tieren ist manchmal ein Tropfen seröser Nasenausfluss vorhanden. Veränderter Nasenausfluss kann mukös, purulent, mukopurulent, jauchig (faulig) oder blutig sein. Episodisches Fließen von reinem Blut wird als Nasenbluten oder Epistaxis bezeichnet. Gelegentlich kommt es bei Vomitus oder Regurgitation zum Austritt von Mageninhalt aus der Nase. Wenn bei Welpen während der Fütterung die Milch oder andere Nahrung sofort aus der Nase austritt, kann ein unvollständiger Gaumenschluss vorliegen. Jegliches Material, das in den Nasengängen oder Nasenlöchern stecken bleibt, kann dort austrocknen und den vorbeiziehenden Luftstrom behindern.

image Nasenspiegel. Bei den meisten Tieren ist der Nasenspiegel leicht feucht und, je nach Pigmentverteilung am Körper, pigmentiert oder unpigmentiert (Abb. 9.5). Bei manchen völlig gesunden Hunden ist der Nasenspiegel fast immer trocken. Bei anderen Tieren scheint er trocken zu werden, wenn die Sekretion aus den Tränen- und Speicheldrüsen zurückgeht.

image Nasenlöcher. Zunächst muss auf die Größe der Nasenlöcher und die Beweglichkeit der Nasenflügel geachtet werden. Die oben beschriebene Plica alaris verhindert die direkte Betrachtung der Nasengänge mit dem bloßen Auge. Durch leichtes Seitwärtsschieben des Nasenflügels wird nur der Eingang des ventralen Nasengangs sichtbar. Mithilfe eines Otoskops oder Rhinoskops kann eine genauere Untersuchung unter Anästhesie durchgeführt werden.

 

 

image Gaumen. Beim Öffnen des Mauls des Tieres erhält man einen Blick auf die ventrale Begrenzung der Nasengänge und damit ggf. auf Deformationen durch krankhafte Prozesse in der Nase. Gleichzeitig werden Veränderungen in der Maulhöhle sichtbar (einschließlich der Canini), die Ursache einer Störung in der Nasenhöhle sein können.

Stirnhöhle

Die Stirnhöhle wird adspektorisch und palpatorisch auf Schwellungen, Schmerzhaftigkeiten oder Krepitation untersucht. Die Stirnhöhle ist allseits von Knochen umschlossen und ergibt einen etwas hohlen Perkussionsschall. Bei Füllung mit Flüssigkeit oder Gewebe wird der Schall eher dumpf. Dies lässt sich am ehesten bei unilateralen Veränderungen nachweisen, indem beide Seiten miteinander verglichen werden. Die Perkussion erfolgt durch bilaterales Klopfen gegen das Os frontale mit dem Zeige- oder Mittelfinger (Abb. 9.6).

Nasopharynx

Die Untersuchung des Nasopharynx erfolgt ausschließlich unter Anästhesie. Nur dann kann der kaudale Abschnitt durch die Maulhöhle erreicht und das Gebiet mithilfe von Instrumenten und Spiegeln untersucht werden. Wie oben erwähnt ist der Nasopharynx auch über den ventralen Nasengang mittels Tubus oder optischer Geräte zugänglich. Der Retropharyngeallymphknoten wird wie in Kap. 8.2.6 beschrieben palpiert.

Oropharynx

Hier kreuzen sich Atem- und Verdauungswege, sodass dieses Gebiet bei der Untersuchung beider Systeme inspiziert wird. Das Maul wird geöffnet und die Zunge am Zungengrund nach unten gedrückt (Abb. 9.7), sodass die Tonsillen sowie der harte und weiche Gaumen betrachtet werden können. Manchmal ist sogar die Glottis sichtbar. In der Regel kann eine gründliche Untersuchung dieses Gebiets nur am anästhesierten Tier erfolgen.

 

image

Abb. 9.6:
Perkussion des rechten Frontalsinus beim Hund.

9.2.3  Larynx und Trachea

Der Larynx liegt ventral des Atlas und reicht bis zur Zungenbasis und zum weichen Gaumen. Diese vorwiegend knorpelige Struktur ist bei einem mittelgroßen Hund etwa 6 cm lang. Kaudal schließt sie an die Trachea an, ein knorpeliges Rohr, dessen Innendurchmesser etwas kleiner ist als der des Larynx. Kranial des Larynx liegt der Zungenbeinapparat, der dorsal am Schädel befestigt ist und als Aufhängemechanismus für die Zunge und den Kehlkopf dient. Teile des Zungenbeinapparats können kranial des Kehlkopfes zwischen den Unterkieferästen palpiert werden.

 

Die Untersuchung erfolgt adspektorisch und palpatorisch. Bei der Adspektion ist auf eventuelle Deformationen in Hals- und Kehlkopfbereich zu achten. Die Palpation dient dem Auffinden von Formveränderungen und dem Feststellen von Druckempfindlichkeiten.

Unter normalen Umständen ist der Kehlkopf im Bereich der Kehle tastbar und der Übergang vom Kehlkopf zur Trachea, der durch den plötzlichen Übergang zu einem kleineren Durchmesser markiert wird, gut fühlbar. Die Trachea kann bis zum Brusteingang verfolgt werden. Bei nicht ausgeprägt brachyzephalen Hunden kann die Zungenbasis bei der Adspektion des Pharynx (Kap. 11) weit genug vorgelagert werden, um den kranialen Abschnitt des Larynx sichtbar zu machen. Falls eine eingehendere Untersuchung notwendig ist, muss sie unter Anästhesie mithilfe eines Laryngoskops und Bronchoskops durchgeführt werden.

Untersuchungstechnik Trachea

Hals und Kehlkopfbereich werden bei leicht vorwärts und aufwärts gestrecktem Kopf untersucht. In dieser Position kann die Palpation durchgeführt werden, indem eine Hand (ohne Druck!) um den Kehlkopf gelegt und dann nach kaudal verschoben wird.

Die Druckempfindlichkeit der Trachea wird durch leichten Druck auf drei Punkte überprüft: knapp vor dem Brusteingang, am Mittelpunkt des Halsteils der Trachea sowie auf Höhe der ersten Trachealspangen. Der Druck sollte gerade für eine leichte Verformung der Trachea ausreichen. Nach einer solchen tiefergehenden Palpation wird etwas abgewartet (zumindest bis zur nächsten Exspiration), ob das Tier hustet (nicht normal!). Schließlich wird auch der Larynx palpiert. Dies wird erst am Schluss durchgeführt, da der Kehlkopf bei Hund und Katze meist druckempfindlicher ist als die Trachea und die Palpation hier auch beim gesunden Tier Husten auslösen kann. Bei Verdacht auf einen laryngealen oder trachealen Stridor, der sich schwer lokalisieren lässt, kann ein kurzer leichter Druck auf den Larynx und verschiedene Punkte entlang der Trachea ausgeübt werden. Eine Klangveränderung des Stridors gibt dann meist Aufschluss über die Stelle der Obstruktion.

 

9.2.4  Thorax

Ziele der Untersuchung des Brustkorbs sind:

image Beobachtung der Atembewegungen

image Aufspüren von Veränderungen an der Brustwand mittels Adspektion und Palpation

image Aufspüren von Veränderungen in der Struktur und Funktion der Bronchien, des Lungengewebes und des Brustfells durch Auskultation und Perkussion

Die fachgerechte Untersuchung des Brustkorbs erfordert gute Anatomiekenntnisse. Die folgenden Bemerkungen beziehen sich auf die oberflächliche Anatomie von Thorax und kranialem Abdomen (Abb. 9.8) sowie auf die Verzweigung der Bronchien und die Aufteilung der Lungenlappen (Abb. 9.9).

Die Untersuchung der vordersten Rippen und der kranialen Lungenlappen wird durch die Vorderbeinmuskulatur teilweise oder sogar vollständig verhindert. Zum Abzählen von Zwischenrippenräumen als Referenzpunkt beginnt man daher mit dem letzten (zwölften) Interkostalraum. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Thorax hinter dem Vorderbein, insbesondere im dorsalen Abschnitt vom M. serratus, M. scalenus und M. latissimus dorsi, bedeckt ist.

Auf der rechten Seite ist das Lungenfeld kaudal durch die Leber begrenzt, die sich an das Zwerchfell anlehnt, während links vor allem der Magen die kaudale Begrenzung bildet. Der ventrale Abschnitt der Thorax wird überwiegend durch das Herz ausgefüllt. Trotzdem reicht die Lunge auf beiden Seiten mittels sehr schmaler Ausläufer der kranialen Lungenlappen beinahe an das Brustbein heran (Abb. 9.8). Die linke Lunge ist in zwei Lappen unterteilt, wobei der kraniale Lappen sich wiederum in einen kranialen und einen kaudalen Anteil gliedert. Die rechte Lunge besteht aus vier eigenständigen Lappen. Auch die Verzweigung der Bronchien auf beiden Seiten ist sehr unterschiedlich. Wie in Abb. 9.9 gezeigt, gehen aus dem rechten Bronchus drei Abzweigungen hervor, während auf der linken Seite nur ein großer Bronchus abzweigt, der sich später in zwei Äste zum kranialen und kaudalen Abschnitt des kranialen Lappens gabelt. Der Bronchus des rechten Mittellappens zeigt deutlich nach ventral.9 Dadurch sammelt sich insbesondere bei einer mukopurulenten Bronchitis das Sekret vor allem in diesem Lappen, was zu einer vollständigen Verlegung des Bronchus führen kann.

Brustwand

Die Untersuchung der Brustwand gilt der Beurteilung der Brustform und der Suche nach Veränderungen. Die Form des Brustkorbs variiert zwischen verschiedenen Rassen beträchtlich. Besonders bei Jagd- und Windhunden gibt es einige Rassen mit einem dorsoventral sehr tiefen Thorax. Wenn diese Hunde auf dem Brustbein liegen, bekommen sie sehr schnell Liegeschwielen. Bei anderen Rassen ist der Thorax weitaus weniger lateral komprimiert, besonders die Englische Bulldogge hat einen zylinderförmigen oder sogar dorsoventral abgeflachten Brustkorb. Welpen haben im Allgemeinen einen deutlich zylinderförmigeren Thorax als ausgewachsene Tiere.

Im Rahmen der Untersuchung des Atmungsapparats werden bei der Suche nach Veränderungen an der Brustwand nur solche betrachtet, die für die Atmung relevant sind. Veränderungen der Haut werden in Kapitel 15 besprochen. Wir konzentrieren uns hier also auf subkutane oder tiefer liegende Läsionen, die als Ursache oder Folge von Störungen der Pleura oder Lungen infrage kommen.

Untersuchungstechnik Brustwand

Bei der Adspektion werden Form und Symmetrie des Brustkorbs durch Betrachten von oben und leicht seitlich stehend beurteilt. Dann wird die oberflächliche Schicht der Brustwand palpiert, wobei man hinter dem Tier steht und beide Seiten gleichzeitig abtastet. Zu achten ist auf Temperaturunterschiede, Schmerzhaftigkeit und/oder Krepitation. Lokale Veränderungen werden ggf. detaillierter untersucht (Kap. 4.1.2). Als Nächstes werden die Rippen und die Ausprägung der Zwischenrippenmuskulatur untersucht. Der Herzspitzenstoß wird rechts und links palpiert, zuletzt schließt sich eine tiefer greifende Palpation zum Aufspüren von Schmerz oder Krepitation an.

Atembewegungen

Siehe Kapitel 8.3.1.

Bronchien, Lunge und Pleura

Diese Strukturen werden mittels Auskultation und Perkussion untersucht. Einige grundlegende Aspekte dieser Untersuchungstechniken wurden in Kapitel 4 erläutert.

Auskultation

Die bei der Auskultation zu hörenden Geräusche können aus dem extrathorakalen Raum, von der Pleura oder aus dem bronchopulmonalen Bereich stammen. Extrathorakale Geräusche entstehen z. B. durch Verschieben des Phonendoskops auf dem Fell oder durch Muskelzittern. Bewegungen der Pleura können ebenfalls Geräusche induzieren, so beispielsweise bei einer Pleuritis mit verringerter Bildung von Flüssigkeit (Pleuritis sicca). Sie werden als »Pleurareiben« bezeichnet und klingen wie knirschende Schritte auf hartem Schnee10 (im Deutschen auch »Lederknarren«). Allerdings sind sie bei Hund und Katze nur selten hörbar, da eine Pleuritis bei diesen Tierarten meist exsudativ und nicht fibrinös verläuft.

Bronchopulmonale Geräusche können entweder nicht wahrnehmbar (kein Geräusch), schwächer als erwartet (leichtes Atemgeräusch), von normaler Lautstärke und nur bei der Inspiration hörbar (normales Atemgeräusch) oder aber lauter als erwartet und auch zu Beginn der Exspiration hörbar sein (verstärktes Atemgeräusch). Schließlich können Atemgeräusche auch den Geräuschen an der Trachea ähneln, wo Inspiration und Exspiration gleichermaßen hörbar sind (bronchiale Atmung).

Die Bewegung der Atemgase ist nur bei Turbulenzen hörbar. Die Bildung von Turbulenzen hängt überwiegen vom Durchmesser der Atemwege, der Geschwindigkeit des Luftstroms (siehe auch Kap. 4.1.4) und damit vornehmlich von der Atemfrequenz ab. Bei großen Hunden mit normaler Atemfrequenz kommen Turbulenzen bis etwa auf Höhe der Bifurcatio tracheae vor. Peripher davon ist der Luftstrom laminar und damit unhörbar. Der Grund dafür ist, dass in der Peripherie der Gesamtdurchmesser der Atemwege immer weiter zunimmt und die Geschwindigkeit des Luftstroms daher immer geringer wird. Das weiche Gewebe der peripheren Atemwege und der Alveolen ist offenbar nicht in der Lage, bei allmählichen Druckänderungen Vibrationen im hörbaren Frequenzbereich zu erzeugen.11

 

image

Abb. 9.9:
Lungenlappen und Bronchialbaum bei Hund und Katze in ventrodorsaler Richtung (LA = akzessorischer Lappen der rechten Lunge).

Bei gesteigerter Atemfrequenz dehnen sich die Turbulenzen bis zur ersten Verzweigungsstelle der Hauptbronchien aus. Bei kleineren Tieren entstehen aufgrund der vergleichsweise höheren Atemfrequenz und des geringeren Durchmessers der Atemwege Geräusche, die über einen weiten Bereich hin zu hören sind. Im Gegensatz dazu findet man bei großen Hunden mit entspannter Atmung oft keine hörbaren Atemgeräusche auf Höhe der kaudalen Lungenlappen.

Die Übertragung von Geräuschen aus den großen Luftwegen zur Brustwand hängt von der akustischen Impedanz (Dichte des Materials × Geschwindigkeit der Schallwellen) der dazwischenliegenden Gewebe ab. Wenn die Impedanzen einander ähneln, z. B. wenn eine infiltrierte Lunge der Brustwand anliegt, wird ein Großteil der Geräusche übertragen.12 Liegt aber zwischen der Geräuschquelle und der Brustwand viel gasgefülltes Lungengewebe, wird ein Großteil des Geräuschs am Brustfell reflektiert. Wenn Lunge und Brustwand durch Gas- oder Flüssigkeitsansammlungen im Pleuralspalt voneinander getrennt sind, wird das Geräusch bereits an der Lungenoberfläche zurückgeworfen, sodass keine Atemgeräusche zur Brustwand vordringen.

 

Über der Trachea sind während des gesamten Atemzyklus Atemgeräusche hörbar. Das gleiche gilt zumindest bei kleineren Tieren auch für den kranialen Abschnitt der Brustwand; weiter kaudal am Thorax wird dann insbesondere das exspiratorische Geräusch leiser und verschwindet in manchen Fällen vollständig. Wenn während der Einatmung ein weitgehend gleichmäßiges Atemgeräusch zu hören ist, das dann bei der Exspiration abebbt, spricht man von einem normalen Atemgeräusch. Die Inspiration ist ein aktiver Vorgang, die Exspiration dagegen passiv. Bei der Exspiration sinkt die Geschwindigkeit der Atemgase so stark, dass in der Peripherie keine Laute mehr erzeugt werden, die bis zur Brustwand vordringen. Wie bereits erwähnt kann die Infiltration der Lunge zu einer besseren Schallübertragung führen, sodass exspiratorische Atemgeräusche an der Brustwand hörbar werden. Sie klingen dann wie das Atemgeräusch über der Trachea und werden als bronchiale Atemgeräusche bezeichnet. Es ist zu beachten, dass diese Art von Geräuschen bei kleinen Tieren auch unter Normalbedingungen über dem kranialen Thoraxabschnitt zu hören sind (Abb. 9.10).

Bei beschleunigter Atmung (auch bei thermischer Polypnoe) sind die Turbulenzen so intensiviert und der Bereich der turbulenten Strömung so weit vergrößert, dass auch weit kaudal bronchiale Atemgeräusche zu hören sind. Bei Lungenerkrankungen mit aktiver Exspiration infolge der Verlegung von peripheren Bronchien oder Bronchiolen ist ein sehr deutliches exspiratorisches Atemgeräusch vernehmbar. Hierbei steigt der intrathorakale Druck stark an, sodass sich die Hauptbronchien und die Trachea so verengen, dass sich Turbulenzen bilden.

Unter pathologischen Bedingungen können zusätzlich zu den Atemgeräuschen weitere Geräusche auftreten. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen über die Terminologie10,13,14 hat man sich inzwischen auf zwei Klassen von Rhonchi (griechisch: rhonchus = Schnarchen) geeinigt.11,14

Musikalische Rhonchi. Hier handelt es sich um piepsende oder pfeifende Atemgeräusche. Sie treten bei Patienten mit obstruktiven Lungenerkrankungen auf, die aktiv ausatmen. Manchmal sind sie schon auf Distanz vernehmbar. Teils durch den Venturi-Effekt (Kap. 4.1.4) bedingt, werden die großen Luftwege so eng, dass sich die einander gegenüberliegenden Wände fast berühren. Sie geraten nun zwischen dem offenen (Inspiration) und fast geschlossenen (Exspiration) Zustand in Schwingungen und erzeugen einen musikalischen Ton. Bei der Schwingung einer großen, weichen Gewebemasse ist der Ton tief, bei Vibration von leichten, formstabilen Geweben hingegen hoch. Ein solches »Piepsen« tritt manchmal auch inspiratorisch auf, wenn der Bronchus aufgrund einer persistierenden Stenose nicht hinreichend geöffnet ist, beispielsweise bei einem Fremdkörper oder einem Bronchialtumor.

Nichtmusikalische Rhonchi. Dies sind kurze knisternde Geräusche (Krepitation) am Ende der Inspiration, manchmal auch bis in die Exspirationsphase hinein. Sie entstehen in Bereichen, die flüssigkeitsgefüllt sind und daher nicht ausreichend belüftet werden können. Man nahm lange Zeit an, das Geräusch resultiere aus dem Flüssigkeitsüberschuss in den Atemwegen. Mittlerweile gibt es gute Gründe für die Annahme, dass es durch das plötzliche sich Öffnen von zuvor verschlossenen Bronchiolen entsteht.15 Durch den schnellen Druckanstieg kommt es in den Bronchiolen zu Turbulenzen. Außerdem versetzt der explosive Druckausgleich die umgebenden Wände der Atemwege in Schwingungen, wodurch das Geräusch entsteht.

Flüssigkeitsansammlungen im Interstitialraum beeinträchtigen die Elastizität der Lunge und führen zum Verschluss von Bronchiolen. Daraus erklärt sich auch, dass nichtmusikalische Rhonchi manchmal nach einem schweren Hustenanfall sofort wieder einsetzen, und zwar an genau derselben Stelle im Atemzyklus und mit genau demselben Rhythmus wie zuvor. Die Aneinanderreihung mehrerer feuchter Rhonchi kann aus der konsekutiven Öffnung mehrerer verschlossener und/oder aus dem wiederholten Öffnen derselben Bronchiolen resultieren.

In den größeren Bronchien können solche Geräusche auch durch Sputum ausgelöst werden, wobei auch hier wahrscheinlich Verengungen zur Geräuschentwicklung beitragen. Die Verengung eines großen Bronchus kann durch eine unzureichende Knorpelstütze bedingt sein,16,17 aber auch durch Zusammensacken des membranösen Anteils des Bronchus. Am Beginn der Inspiration bleiben die Wandungen des Bronchus miteinander in Kontakt (vielleicht durch anhaftendes Sputum) und öffnen sich erst bei der Ausdehnung der Lunge und Absinken des intrathorakalen Drucks.

Neben dem Muskelzittern können auch stimmhafte Laute die Auskultation stören. Stimmäußerungen werden durch die Lunge und Thoraxwand ebenso abgeschwächt und gefiltert wie Atemgeräusche und andere Laute. Tiefe Töne werden besonders gut weitergeleitet. Auch das Stöhnen eines Patienten kann die Auskultation behindern. Bei der Katze vereitelt Schnurren die Auskultation vollständig. Schnurren entsteht durch eine rasch abwechselnde Betätigung des Zwerchfells und der Kehlkopfmuskulatur.18 Auch ein Stridor in den oberen Atemwegen ist oft über dem gesamten Lungenfeld hörbar und kann die Auskultation der Lunge unmöglich machen.

 

image

Abb. 9.11:
Auskultation der linken Thoraxseite. Die Auskultationsstellen sind mit Punkten gekennzeichnet.

Borborygmi sind normalerweise im Bereich der Lunge nicht zu hören.

Untersuchungstechnik

Es ist entscheidend, dass die Auskultation in einem ruhigen Raum durchgeführt wird. Der Patient muss sich so weit wie möglich entspannen, da Muskelspannung ein ziemlich störendes Summgeräusch hervorruft. Durch festes, aber nicht zu festes Andrücken des Phonendoskops lässt sich das störende Kratzen von Haaren auf der Membran vermeiden.

Um auch kleine Läsionen aufzuspüren, wird die Membran bzw. der Trichter des Phonendoskops auf jeder Körperseite mindestens an fünf Stellen angelegt. Auskultiert wird auf zwei Dritteln der Thoraxhöhe im achten, sechsten und vierten Interkostalraum sowie auf einem Drittel der Höhe im sechsten und vierten Interkostalraum (Abb. 9.11). Zur Auskultation der linken Körperseite empfiehlt sich ein Standplatz schräg links hinter dem Tier (Abb. 9.12), wobei das Phonendoskop mit der linken Hand gegen die Brustwand gedrückt wird. Die rechte Hand kann das Tier in Position halten. Zur Auskultation der rechten Seite steht man am besten rechts und hält das Tier mit der linken Hand. An jedem Auskultationspunkt muss der Untersucher mindestens zwei Atemzyklen anhören und sich dabei vollständig auf die Inspiration und Exspiration konzentrieren, um Typus und Intensität der Atemgeräusche zu bestimmen. Zusätzlich wird nach weiteren Geräuschen gelauscht und ggf. auf ihren Typ, die Zahl und die Lokalisation geachtet.

 

image

Abb. 9.12:
Lungenauskultation bei einem Hund. Der Untersucher steht auf der zu auskultierenden Seite und hält mit seiner anderen Hand Kontakt zum Tier.

Perkussion

Im Gegensatz zur Perkussion eines luftgefüllten Fasses ergibt die Perkussion des Thorax nur eine schwache Resonanz. Die Schwingungen werden durch die Strukturen im Thorax rasch gedämpft. Die Tonhöhe und mehr noch die Intensität des Schalls sind hauptsächlich durch die Elastizität und Dicke der Brustwand determiniert. Daraus erklärt sich die große Variationsbreite des Perkussionsschalls bei verschiedenen Thoraxformen und zwischen Tieren mit unterschiedlichem Ernährungszustand. Bei Tieren mit dünner Brustwand klingt der Ton deutlich hohler als bei Tieren mit dicker Thoraxwand. Trotzdem können bei einem Individuum so unterschiedliche Tonqualitäten erzeugt werden, dass es möglich ist,

image die Lungengrenzen zu bestimmen,

image einen Hinweis darauf zu erhalten, ob der Gasgehalt der darunterliegenden Strukturen vergrößert oder verkleinert ist.

Untersuchungstechnik

Der Untersucher lehnt sich leicht gegen das stehende Tier und beugt sich so weit über das Tier, dass er die Perkussion auf der anderen Körperseite durchführen kann (Abb. 9.13). Ob das Tier hierbei auf dem Tisch stehen kann, hängt von dessen Größe und der Höhe des Untersuchungstischs ab. Eine Untersuchung am liegenden Tier bringt keine zufriedenstellenden Ergebnisse, da der darunterliegende Tisch ebenfalls mitschwingt. Allerdings kann je nach Umständen und Art des Tieres (Katze) eine Untersuchung im Stehen unmöglich sein, sodass sie in Brustlage durchgeführt werden muss. Hierzu wird das Tier so platziert, dass die gesamte Wirbelsäule von oben gesehen als gerade Linie erscheint, um Seitendifferenzen durch unterschiedliche Spannung der rechten und linken Thoraxmuskulatur zu vermeiden.

Beide Seiten der Brustwand werden entlang dreier vertikaler und dreier horizontaler Linien untersucht (Abb. 9.14). Zuerst wird die kaudale Lungengrenze durch Perkussion auf drei gleichmäßig über den Thorax verteilten horizontalen Linien festgelegt. Bei vielen Tieren liegen diese Linien (1) über der Mitte des Schulterblatts, (2) über dem Schultergelenk und (3) über der Mitte des Oberarmknochens. Es empfiehlt sich, die Perkussion auf der rechten Seite zu beginnen, da hier der kaudale Lungenrand durch den dumpfen Schall der angrenzenden Leber klar zu bestimmen ist. Wie schon zuvor erwähnt liegt auf der linken Seite der Magen, der oft auch Gas enthält und die Bestimmung der Lungengrenze erschwert.

Für die vertikale Perkussion wird das Vorderbein nach vorn verlagert, sodass der kraniale Abschnitt der Brustwand weniger durch die Trizepsmuskeln verdeckt ist. Trotzdem bleibt das Perkussionsgebiet bei kleinen Tieren recht minimal. Dementsprechend werden im Abschnitt kranial des sechsten Interkostalraums je nach Größe des Tieres ein bis drei Linien abgeklopft, um die ventrale Lungengrenze (= absolute Herzdämpfung) festzulegen.

Beim gesunden Tier ist entlang der obersten horizontalen Linie ein etwas dumpfer (Muskel-)Schall zu hören. Kaudal trifft man auf einen eher hohlen (Lungen-)Schall, der die Grenze (zehnter Interkostalraum) zum Abdomen kennzeichnet; das Abdomen ergibt besonders auf der rechten Seite eine dumpfe Schallqualität. Bei der Perkussion der mittleren horizontalen Linie ist nur direkt hinter dem Trizepsmuskel ein Muskelschall zu hören. Weiter kaudal trifft man auf den vollen Lungenschall, der die Festlegung der kaudalen Lungengrenze (achter Interkostalraum) leicht macht. Beim Abklopfen der untersten horizontalen Linie trifft man insbesondere auf der linken Seite auf eine relative Herzdämpfung; hier ist auch die Bestimmung der kaudalen Lungengrenze (sechster Interkostalraum) schwierig, da die Schallqualität des Abdomens auf dieser Höhe nicht eindeutig dumpf ist.

Die Perkussion entlang der vertikalen Linien ergibt im dorsalen Bereich zunächst einen Muskelschall und weiter ventral den vollen Lungenschall, der aufgrund der relativen Herzdämpfung in der unteren Thoraxhälfte zunehmend dumpfer wird. Hier bilden die Lungen, besonders auf der linken Seite, nur eine dünne Deckschicht über dem Herz. Je nach Größe des Patienten wird die untere Grenze des Lungenfeldes 1,5–4,5 cm oberhalb des Brustbeins als absolute Herzdämpfung festgestellt. Bei Hunden mit einem tiefen Brustkorb kann die absolute Herzdämpfung allerdings etwas höher liegen als bei Tieren mit einem runderen Thorax. Bei der Perkussion muss auf mögliche Reaktionen des Patienten, wie Husten und/oder Schmerzen, geachtet werden.

Einige Autoren sind der Ansicht, dass die Perkussion des Thorax bei Hund und Katze wenig oder sogar keinen diagnostischen Wert hätte.19,20 Als Hauptargument wird vorgebracht, die meisten Hunde und Katzen seien zu klein für diese Untersuchung.20 Wir haben – wie viele andere auch – die Erfahrung gemacht, dass gravierende Veränderungen im Brustraum (Liquothorax, Pneumothorax, Zwerchfellhernie) durchaus mithilfe der körperlichen Untersuchung charakterisiert werden können (Tab. 9.1). Bei großen Hunden bevorzugen einige Untersucher zur Erzeugung eines besser interpretierbaren Schalls Perkussionshammer und Plessimeter (Abb. 9.13). Bei kleinen Hunden und Katzen ist die Brustwand viel dünner als bei großen Hunden und meist erreicht man mit der Finger-Finger-Perkussion hier einen zweckmäßigen Perkussionsschall.

Tabelle 9.1 bietet einen Überblick über mögliche Veränderungen im Brustraum. Sie beschreibt allgemeine Merkmale, die bei der körperlichen Untersuchung von Lunge und Pleura festgestellt werden können.

 

 

Tab 9.1: Überblick über die Befunde bei der Adspektion/Palpation, Auskultation und Perkussion bei einigen Veränderungen der Lunge und Pleura (siehe auch Kap. 4, 8 und 10). (Diese Tabelle soll zum Nachdenken über die Grundlage der Befunde anregen und nicht auswendig gelernt werden.)

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842685246
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Diagnose Diagnostik Hund Katze Kleinsäuger Kleintiere Kleintierpraxis Klinische Untersuchung Propädeutik Reptilien Vögel

Autoren

  • Ad Rijnberk (Autor:in)

  • Freek J. van Sluijs (Autor:in)

Zurück

Titel: Die richtige Diagnose in der Kleintierpraxis