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Kompendium der Allgemeinen Veterinärchirurgie

von Martin Kramer (Herausgeber:in)
352 Seiten

Zusammenfassung

Dieses kurzgefasste Lehrbuch der Allgemeinen Chirurgie ist für die klinische Ausbildung im Studium der Veterinärmedizin konzipiert. Namhafte Veterinärchirurgen der tierärztlichen Bildungsstätten sowie Spezialisten aus privaten Kliniken haben die aktuellen chirurgischen Standards zusammengetragen. Das Kompendium fasst diese klinischen Erfahrungen und Ratschläge zusammen. Damit steht dem Studierenden endlich ein kompaktes und verbindliches Lehrbuch mit allen vorlesungs- und prüfungsrelevanten Inhalten zur Verfügung.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Es existieren schon einige Fachbücher über die Allgemeine veterinärmedizinische Chirurgie im deutschsprachigen Raum, so dass immer wieder die Frage auftauchte, welche Aspekte dieses Grundlagenfaches von einem neuen Buch erwartet werden.

Mit dem hier vorliegenden Werk, das seinen Schwerpunkt ganz bewusst auf die Kleintierchirurgie setzt, soll eine Verbindung zwischen der chirurgischen Propädeutik, den klassischen Themen der allgemeinen Chirurgie und zu neueren Themen (wie z. B. Intensivpatient, Physikalische Therapie) geknüpft werden.

In diesem neuen Kompendium sind die meisten deutschsprachigen veterinärmedizinischen Bildungsstätten involviert. Viele junge und engagierte Wissenschaftler und Chirurgen (sowohl aus den Universitäten als auch aus Privatkliniken) sind als Mitautoren vertreten und haben mitgeholfen das Buch zu vollenden.

Unser Kompendium will nicht den Anspruch erheben, alle Themen der Allgemeinen Chirurgie komplett abzuhandeln. Wir haben versucht, einen gut verständlichen, kompakten Leitfaden für die allgemeine Chirurgie beim Kleintier zu erstellen, der besonders für junge Tierärzte und Tierärztinnen bzw. für Studierende der klinischen Semester gedacht ist.

Um den Preis des Buches niedrig zu halten, wurde auf Farbabbildungen gänzlich verzichtet. Ausgewählte Sachverhalte bzw. Techniken (z. B. Nahttechniken, Instrumente) werden durch Zeichnungen verdeutlicht.

Es bleibt mir noch, allen Mitautoren für ihre Arbeit zu danken, die sie trotz zahlreicher anderweitiger Aufgaben immer in der vorgegebenen Zeit und mit aus meiner Sicht großem Enthusiasmus erledigt haben. Der Schlüterschen Verlagsgesellschaft in Hannover danke ich für die effiziente Zusammenarbeit. Besonders herzlich danke ich Frau Dr. Ulrike Oslage, die mir mit vielen guten Ideen und Ratschlägen sehr geholfen hat.

Gießen, November 2003 Martin Kramer

1 Begriffsbestimmungen

Das Kapitel Begriffsbestimmungen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es sollen die am häufigsten vorkommenden Begriffe in der allgemeinen Chirurgie kurz definiert und erklärt werden.

Abszess

Ein Abszess wird auch als Eitergeschwür bezeichnet. Darunter versteht man die Ansammlung von Eiter in einem nicht vorgebildeten Gewebehohlraum, der durch Einschmelzung (Verflüssigung von nekrotischem Gewebe) entsteht. In chronischen Fällen besitzen Abszesse häufig eine bindegewebige Kapsel. Die am häufigsten beteiligten Erreger sind Staphylokokken, Streptokokken, E. coli oder Mischkulturen. Abszesse können nach ihrer Lage (oberflächlich, tiefliegend), nach dem Organ (z. B. Prostataabszess) oder nach spezifischen Ursachen (z. B. Aktinomykose) unterschieden werden.

Adipositas

Die Fettsucht, auch als Obesitas bezeichnet, ist die übermäßige Bildung oder Vermehrung von Fettgewebe.

Anamnese

Die Anamnese ist die Vorgeschichte eines Patienten (siehe Kapitel 2.2).

Aneurysma

Bei arteriellen Ektasien handelt es sich um die Ausweitung von Gefäßwänden. Sie können durch Thrombose oder Embolie, Verletzungen der Gefäßwände oder vor Gefäßverengungen entstehen. Durch traumatische Verletzung der Gefäßwand entwickelt sich das Aneurysma spurium. Als echtes Aneurysma wird das Dehnungsaneurysma (Aneurysma vera) bezeichnet, welches sich durch Weitung und Ausbuchtung der Wand entwickelt. Nach einer stumpfen Gewalteinwirkung kann sich die Arterienwand durch Zerreißung der Media oder einer anderen Wandschicht ausweiten. (Aneurysma cicatriceum). Beim Riss der Intima oder der Intima und Media entwickelt sich ein intramurales Hämatom in dieser Ausbuchtung (Aneurysma dissecans).

Ankylose

Die knöcherne oder kapsuläre Versteifung von Gelenken mit vollständigem Bewegungsverlust wird als Ankylose bezeichnet. Sie tritt vor allem nach Frakturen, Luxationen, Arthrosen und falsch durchgeführten Osteosynthesen auf. Man unterscheidet eine äußere (extrakapsuläre) Ankylose (Knochenbrücken ankylose) von der weitaus selteneren inneren (intrakapsulären) Ankylose, bei der die Gelenkflächen selbst miteinander verwachsen.

Arthritis

Die Gelenkentzündung wird als Arthritis bezeichnet. Dabei entstehen an den einzelnen Gelenkanteilen spezifische Schäden, Veränderungen und/oder Reaktionen. Polyarthritis ist das gleichzeitige Auftreten einer Erkrankung an mehreren Gelenken.

Arthrose
(Arthrosis deformans, Arthropathia deformans)

Bei der Arthrose handelt es sich um ein degeneratives, nicht-entzündliches Gelenkleiden, welches immer mit Schädigungen des Gelenkknorpels einhergeht. Es werden primäre Formen (z. B. Abnutzungsschäden, Überbeanspruchungsschäden) von sekundären Formen (z. B. angeboren dysplastisch bei Hüftgelenksdysplasie) unterschieden.

Atrophie

Als Atrophie wird die Rückbildung eines Organs oder Gewebes bezeichnet. Dies kann mit einfacher Verkleinerung der Zellen (Hypotrophie) oder mit numerischer Abnahme (Hypoplasie) der Zellzahl einhergehen. Man kann zwischen der physiologischen Atrophie (z. B. Altersatrophie) und der physiologischen Involution (z. B. der Thymus) unterscheiden. Generalisierte Atrophien sind häufig metabolisch oder endokrin bedingt. Als lokalisierte Atrophie bezeichnet man die Rückbildung von Gewebe in einem umschriebenen Gebiet. Darunter fallen z. B. die Inaktivitätsatrophie oder die Druckatrophie. Es können einzelne spezielle Gewebe (z. B. Haut, Muskulatur, Knochen, Nerven) oder verschiedene Gewebe zusammen betroffen sein.

Combustio (Verbrennung)

Verbrennungen kommen beim Tier deutlich seltener vor als bei Menschen. Sie entstehen vor allem durch heiße Gegenstände, Elektrizität, Feuer, kochendes Wasser oder Dämpfe. Sie können in verschiedene Verbrennungsgrade unterteilt werden.

Commotio (Erschütterung)

Die Commotio ist die Erschütterung von Gewebe, die durch ein Trauma von außen ausgelöst wird (z. B. Gehirnerschütterung = Commotio cerebri). Dabei kommt es zu keiner anatomischen Gewebezerstörung, die funktionellen Ausfälle können aber enorm sein.

Congelatio (Erfrierung)

Bei Erfrierungen sind die Schäden an den Gefäßen größer als bei Verbrennungen. Es kommt zur Hyperämie, Ödem, Blasenbildung und Nekrosen. Auch hier werden in der Regel drei Schweregrade unterschieden.

Contusio (Kontusion, Quetschung, Prellung)

Meist durch stumpfe Traumen auf bestimmte Körperstellen kommt es zum Druck auf das betroffene Gewebe und damit zu strukturellen Veränderungen. In Druckrichtung wird das Gewebe sowohl komprimiert als auch gedehnt und es kommt zu einer Verschiebung der Gewebe untereinander. Wenn die Dehnungsfähigkeit des Gewebes überschritten ist, zerreißt es. Der Grad der Zerstörung ist abhängig von der Art, der Dauer und der Intensität der auftreffenden Kraft.

Degeneration

Als Degeneration wird die Entartung zellulärer Strukturen oder Funktionen durch verschiedene Schädigungen der Zelle verstanden. Man unterscheidet hydropische, fettige und hyaline Formen.

Dilatation (Ektasie)

Die allseitige, gleichmäßige Erweiterung von Hohlorganen (z. B. Harnblase) oder Kanälen (z. B. Rektum) wird als Dilatation beziehungsweise Ektasie bezeichnet. Sie entstehen oberhalb von Strikturen oder Stenosen durch Stauung und Druck des Inhaltes von innen her. Alle Schichten der betroffenen Organe erweitern sich gleichmäßig.

Dislokation

Die Dislokation ist die Verschiebung der Knochenbruchenden gegeneinander (siehe Kapitel 18.1). Es können folgende Dislokationsarten unterschieden werden:

Dislocatio ad axim: winklige Dislokation

Dislocatio ad latus: seitliche Dislokation

Dislocatio ad longitudinem: Längsverschiebung

Dislocatio ad longitudinem cum contractione: Längsverschiebung mit Verkürzung

Dislocatio ad longitudinem cum distractione: Längsverschiebung mit Verlängerung

Distractio ad peripheriam: Dislokation mit Drehung der Fragmente

Disposition

Eine Disposition ist die Veranlagung für bestimmte Erkrankungen. Bei den angeborenen Dispositionen müssen Rassen-, Familien- und Geschlechtsdispositionen unterschieden werden. Beispiele für Rassendispositionen sind der Boxer für Mastzelltumoren oder der Deutsche Schäferhund für Hüftgelenkdysplasie. Bestimmte Labradorfamilien sind prädisponiert für Erkrankungen der Ellenbogengelenke und einige Doggenlinien für eine Magendrehung. Klassische Geschlechtsdispositionen bestehen z. B. für die Hernia perinealis oder für Perianaltumoren bei männlichen Hunden.

Im Gegensatz zu den angeborenen stehen die erworbenen Dispositionen, die individuell sind. Hierzu zählen die altersbedingten Erkrankungen (z. B. Prostataabszess beim älteren, nicht kastrierten Rüden).

Distorsion (Verdrehung, Verrenkung)

Distorsion ist die kurze, abnormale Verlagerung oder Verschiebung von Gelenkflächen gegeneinander. Dies tritt häufig an den Bandstrukturen von Carpus und Tarsus bei kleinen Hunden und Katzen auf (Überdehnung mit Zerreißungen). In der Regel werden Distorsionen durch ein Trauma verursacht.

Distraktion

Unter einer Distraktion wird z. B. das Auseinanderziehen von dislozierten Knochenfragmenten verstanden.

Divertikel

Ein Divertikel ist die angeborene oder erworbene Ausstülpung bestimmter Wandteile eines Hohlorgans. Dabei unterscheidet man echte Divertikel, mit der Ausstülpung aller Wandschichten, von falschen Divertikeln (auch Pseudodivertikel genannt), bei denen ausschließlich die Mukosa beziehungsweise die Submukosa durch Lücken in der Muskularis tritt. Das sogenannte Pulsationsdivertikel entsteht durch plötzlichen Druck von innen heraus, wobei die Muskularis reißt und die dann ausgebuchtete Wand nur noch aus Serosa und Mukosa besteht. Beim Traktionsdivertikel tritt der Zug von außen auf (z. B. durch Narbenzug oder Verwachsungen).

Entzündung

Unter dem Begriff Entzündung fasst man alle Vorgänge an Gewebe und Zellen zusammen, die als Folge äußerer Einwirkungen (z. B. Trauma, chemische oder infektiöse Reize) zur Zerstörung beziehungsweise Entfernung der schädlichen Substanzen führen.

Empyem

Unter einem Empyem wird die Eiteransammlung in einer präformierten Körperhöhle durch direkte oder indirekte Infektion verstanden (z. B. Kieferhöhlenempyem).

Emphysem

Ein Emphysem ist die abnormale Ansammlung von Luft oder Gasen (z. B. durch gasbildende Bakterien) in bereits lufthaltigen Gewebe oder Organen (z. B. Lungenemphysem) oder in physiologischerweise luftlosen Geweben (z. B. Unterhautemphysem). Wunden mit kleinen Hautperforationen aber großen, ausgedehnten subkutanen Wundhöhlen, oder Verletzungen der Thoraxwand und/oder der Lunge beziehungsweise der Trachea können zu ausgeprägten Emphysemen führen (z. B. mediastinales Emphysem). Iatrogen kann es nach verschiedensten Operationen (z. B. Thorakotomie, Rhinotomie) zu ausgeprägten Unterhautemphysemen kommen, die meist nach wenigen Tagen resorbiert werden.

Fistel

Bei einer Fistel handelt es sich um eine röhrenförmige, mit Granulationsgewebe oder Epithelgewebe ausgekleidete Verbindung zwischen Körperhöhlen (z. B. oronasale Fistel), Hohlorganen (z. B. arteriovenöse Fistel) untereinander (innere Fistel) oder mit der Körperoberfläche (z. B. Analfistel, sogenannte äußere Fistel). Fisteln bestehen aus der Fistelöffnung, dem Fistelkanal, dem Fistelgrund und der Fistelursache (z. B. Holzsplitter oder Knochensequester).

Fisteln können angeboren oder erworben sein (z. B. durch Traumen, Entzündungen oder iatrogen). Zudem werden sie, je nachdem welche Flüssigkeit austritt, als Eiter-, Sekret- (z. B. Speicheldrüsenfistel), oder Exkretfisteln (z. B. Rektumfistel) bezeichnet.

Fraktur (Bruch)

Unter einer Fraktur versteht man die Zusammenhangstrennung eines Knochens mit der Bildung von Bruchstücken (Fragmenten). Frakturen entstehen meist durch direkte oder indirekte Traumen beziehungweise sind pathologisch bedingt (z. B. Knochentumor). Sie werden unterschieden nach der Entstehung (z. B. Biegungsfraktur), nach der Bruchform (z. B. Längsbrüche, Epiphysiolyse) und danach, ob essich um offene oder geschlossene Brüche handelt (siehe Kapitel 18.1).

Gangrän

Das Gangrän ist eine Form der ischämischen Hautnekrose, welches mit Autolyse und Blau-Schwarz-Verfärbung des Gewebes einhergeht. Es wird die trockene Form (Nekrose mit Eintrocknung und Schrumpfung des Gewebes) von der feuchten Form (Nekrose mit Verflüssigung des Gewebes durch bakterielle Infektion, meist durch Anaerobier) unterschieden.

Geschwür (Ulcus)

Als Geschwür werden Entzündungen im Bereich der Haut oder Schleimhaut bezeichnet, die mit fokalem Substanzverlust einhergehen. Ätiologisch können primäre, idiopathische oder sekundäre Geschwüre unterschieden werden. Die beim Kleintier am häufigsten auftretenden Geschwüre sind das Hornhautund das Magengeschwür.

Geschwulst (Tumor)

Allgemein bezeichnet man als Geschwulst jede fokal umschriebene Zunahme des Gewebevolumens. Dies kann durch Ödeme, Entzündungen oder durch gewebige Neubildungen entstehen. Bei Neubildungen (Blastom, Neoplasie) handelt es sich um ein spontanes, selbstständig entstehendes und irreversibles Überschusswachstum von Gewebe, mit verschiedenartig ausgeprägtem Verlust sowohl der Zell- als auch der Gewebefunktion. Generell werden Geschwülste in benigne (gutartig) und maligne (bösartig) eingeteilt. Der Reifezustand der sich teilenden Zellen ist für das Krankheitsgeschehen von entscheidender Bedeutung (siehe Kapitel 21).

Hämatom (Bluterguss)

Unter dem Begriff Hämatom versteht man einen Bluterguss im Weichteilgewebe oder in den Zwischengewebsräumen. Es entsteht durch Quetschungen mit anschließenden Blutungen, die das Gewebe auseinanderdrängen und blutgefüllte Höhlen bilden (z. B. Othämatom, intramuskuläres Hämatom). Ätiologisch kommen vor allem äußerliche Traumen in Frage. Bei erhöhter Blutungsneigung (z. B. bei Hämophilie A) kann es praktisch an allen Stellen des Körpers zu Hämatomen kommen.

Hämorrhagie (Blutung)

Zu Blutungen kann es durch eine Verletzung von Arterien, Venen und Kapillaren kommen. Die verschiedenen Gefäße zeigen verschienartige Blutungseigenschaften (z. B. arteriell hellrot, venös dunkelrot). Blutverluste von ¼ bis 1/3 der Gesamtblutmenge können vom Körper selbst kompensiert werden. Die Menge an Blut in Abhängigkeit von der Körpermasse beträgt beim Hund ca. 1/12 und bei der Katze ca. 1/20 Primäre Blutungen entstehen bei Verletzungen, während sich sekundäre Blutungen nach bereits vorübergehendem Verschluss einstellen (Nachblutung).

Hämostase (Blutstillung)

Die spontane Blutstillung läuft im Hämostaseprozess in verschiedenen Phasen ab. Die Blutgerinnung, die unter anderem von verschiedenen Gerinnungsfaktoren abhängig ist, dauert beim Hund zwischen 4–8 Minuten (siehe Kapitel 12).

Hernie (Bruch)

Eine Hernie ist der Vorfall von abdominalen Organen durch Öffnungen in der Bauchwand unter die Haut oder aus dem Abdomen in benachbarte Hohlorgane. Der Vorfall von Gewebe durch Lücken in die sie umgebenden Hüllen wird zum Teil auch als Hernie bezeichnet.

Bei echten Hernien werden Bruchpforte, Bruchring, Bruchsack und Bruchinhalt unterschieden. Aus der Bruchpforte treten die Organe aus dem Abdomen. Bruchpforten können physiologischerweise vorhanden sein (z. B. Leistenring) oder sind erworben (z. B. Riss der Abdominalmuskulatur). Der Bruchring umschließt die Bruchpforte. Beim Bruchsack wird ein äußerer Bruchsack, der durch die Haut und Unterhaut gebildet wird, und ein innerer Bruchsack, gebildet durch das Peritoneum, unterschieden.

Der Bruchinhalt besteht in der Regel aus Organen des Abdomens (z. B. Fett, Netz, Darm, Milz oder Uterus).

Unter einer interstitiellen Hernie, auch als falsche Hernie bezeichnet, versteht man einen Riss im Peritoneum. Abdominale Organe fallen in die Subkutis vor. Der innere Bruchsack fehlt. Es werden äußere Hernien (Herniae externae), die durch Lücken in der Bauchdecke austreten, von inneren Hernien (Herniae internae), bei denen Organe z. B. durch das Zwerchfell treten, unterschieden. Zu den äußeren Hernien zählen die Hernia umbilicalis (Nabelbruch), Hernia inguinalis (Leistenbruch), Hernia scrotalis (Hodensackbruch), Hernia femoralis (Schenkelbruch), Hernia perinealis (Dammbruch) und die Hernia ventralis bzw. abdominalis (Bauchbruch). Die beim Kleintier am häufigsten vorkommenden inneren Hernien sind die Hernia diaphragmatica (Zwerchfellbruch) und die Hernia peritoneopericardialis (Bauchfellperikardbruch).

Bei freien Hernien (Hernia reponibilis) lässt sich der Bruchinhalt leicht in die Bauchhöhle reponieren, was bei der Hernia irreponibilis nicht der Fall ist. Als Hernia incarcerata werden eingeklemmte, inkarzerierte Brüche bezeichnet.

Hygrom (Bursahygrom, Schleimbeutelhygrom)

Jegliche Form der vermehrten Füllung einer Bursa wird als Schleimbeutelhygrom bezeichnet. Die nach einem Entzündungsprozess im Schleimbeutel zurückbleibenden, zystenähnlichen, mit Synovia gefüllten Erweiterungen werden Hygrome (Hydrops) genannt. Auch die chronische Entzündung von Sehnenscheiden mit Ergussbildung kann als Hygrom bezeichnet werden.

Hypertrophie

Hypertrophie ist eine die normale Größe überschreitende Vergrößerung der Zelle ohne Einlagerung fremder Substanzen. Sie entsteht durch vermehrte Arbeit der Zelle (z. B. Muskelhypertrophie bei Rennhunden).

Hyperplasie

Die Vergrößerung eines Gewebes oder Organs durch Vermehrung der Zellen bei unveränderter Zellgröße wird als Hyperplasie bezeichnet. Zum Beispiel entsteht die sogenannte Bindegewebshyperplasie durch chronische Reizungen (chronische Entzündungen, ständig sich wiederholende Traumen) mit Vermehrung und Verdichtung des Bindegewebes.

Ileus

Ein Ileus ist die Störung der Darmpassage durch Darmlähmung oder Darmverschluss. Beim mechanischen Ileus kann man den Okklusions- vom Strangulationsileus unterscheiden. Der Okklusionsileus entsteht durch Verlegung des Lumens (z. B. Tumor, Fremdkörper), durch Kompression der Darmwand (z. B. durch Briden oder Tumoren benachbarter Organe) oder Abknickungen von Organen durch Adhäsionen. Beim Strangulationsileus kommt es zu Durchblutungsstörungen in den Mesenterialgefäßen (z. B. durch Inkarzeration in einer Hernie). Der funktionelle Ileus kann wiederum in den paralytischen und den spastischen unterteilt werden. Der paralytische Ileus ist entzündlich (z. B. Pankreatitis), metabolisch (z. B. Urämie), reflektorisch (Blasenüberdehnung nach Bandscheibenvorfall), vaskulär oder medikamentell bedingt. Der spastische Ileus kann z. B. bei einer Bleivergiftung entstehen. Der gemischte Ileus (Kombinationsileus) entwickelt sich häufiger bei länger bestehenden mechanischen Hindernissen.

Invagination

Eine Invagination ist die Einstülpung eines Darmabschnittes in einen anderen. Beim Hund invaginiert am häufigsten Jejunum in Jejunum oder Jejunum in das Zäkum beziehungsweise in das Kolon.

Kachexie

Kachexie ist die Auszehrung oder allgemeine Atrophie des gesamten Körpers mit einer Gewichtsabnahme um mehr als 20% des Sollgewichts (z. B. bei Mangelernährung oder bei malignen Tumoren).

Kontraktur

Das Zusammenziehen und die damit verbundene Verkürzung von Muskeln, Sehnen oder anderen Weichteilstrukturen bezeichnet man als Kontraktur. Dadurch wird die Beweglichkeit der Gelenke und anderer beweglicher Teile behindert oder ist überhaupt nicht mehr möglich. Ursächlich kommen vor allem Retraktionen von Narbengewebe nach der Wundheilung (Narbenkontraktur), chronische Entzündungen, Quetschungen oder Zerreißungen in Frage. Es können angeborene von erworbenen Kontrakturen sowie nach der Gelenkstellung Beugekontraktur, Streckkontraktur oder Abduktionskontraktur unterschieden werden (siehe Kapitel 18.3).

kurativ

Eine kurative Behandlung ist auf die Heilung des Patienten ausgerichtet. Ihr gegenüber stehen die palliative bzw. die präventive Medizin (siehe dort).

Luxation (Verrenkung)

Permanente oder habituelle Verlagerung von Gelenkflächen. Dabei wird zwischen einer kompletten oder inkompletten (Subluxation) Luxation unterschieden. Sie kann angeboren, pathologisch oder traumatisch entstehen. Eine Luxation wird immer nach dem distalen luxierten Anteil beschrieben (z. B. ist eine Luxatio humeri die Verlagerung des Caput humeri aus der Gelenkfläche der Skapula) (siehe Kapitel 18.1).

Nearthrose

Nearthrose ist die Neubildung eines Gelenkes nach Frakturen oder Luxationen, wie sie z. B. bei der Entstehung einer Sekundärpfanne nach einer Luxatio femoris auftritt (siehe Kapitel 18.4).

Nekrose, Apoptose

Bei Nekrosen handelt es sich um das Absterben von Gewebe. Dies kann durch direkte Zellschädigung oder durch Unterbrechung der Blut- und/oder der Lymphzirkulation entstehen. Je nach Grad der Störung werden die Zellen allmählich (Nekrobiose) oder schnell abgetötet (Nekrose). Die betroffenen Zellen schwellen an und platzen. Ihr Inhalt ergießt sich in den extrazellulären Raum und ruft eine Entzündungsreaktion hervor. Es werden die Koagulationsnekrose (Gerinnungsnekrose), die verkäsende Nekrose und die Kolliquationsnekrose (Erweichungsnekrose) unterschieden.

Bei der Apoptose dagegen kommt es zum programmierten Zelltod. Die Zellen platzen nicht sondern schrumpfen vollständig und werden vor allem von Makrophagen phagozytiert. Dadurch kommt es zu keiner Entzündungsreaktion.

Ödem

Das Ödem ist die Ansammlung von seröser Flüssigkeit im interstitiellen Gewebe. Ursächlich sind die Erhöhung des hydrostatischen Drucks in den Kapillaren, eine Erniedrigung des hydrostatischen Drucks im Bindegewebsraum oder Störungen des Lymphabflusses. Das am häufigsten vorkommende Ödem ist das subkutane Ödem. Flüssigkeitsansammlungen in den Körperhöhlen werden als Hydrops bezeichnet; im Abdomen spricht man von Aszites, im Thorax von Hydrothorax. Das Ödem ist keine selbstständige Erkrankung, sondern wird als Symptom bei zahlreichen Krankheiten gesehen. Es werden unterschiedlichste Formen von Ödemen unterschieden (z. B. das Stauungsödem, das Senkungsödem, das entzündliche Ödem oder das traumatische Ödem).

Pädiatrie

Die Pädiatrie ist das Gebiet der Tiermedizin, welches sich mit der Diagnose und Therapie von Erkrankungen der Welpen und jugendlicher Tiere beschäftigt.

palliativ

Unter einer palliativen Operation versteht man einen chirurgischen Eingriff, der bestimmte Symptome der Erkrankung beseitigt bzw. lindert, ohne die grundlegende Erkrankung zu heilen.

Palpation

Palpation ist die Untersuchung des Tieres durch Betastung.

Pathogenese

Die Pathogenese beschreibt die Krankheitsursache.

Perkussion

Bei der Perkussion werden bestimmte Körperoberflächen beklopft. Durch die unterschiedlichen Schallqualitäten (Ausdehnung und Beschaffenheit) wird auf den Zustand darunter liegender Organe oder Körperteile geschlossen.

Phlegmone

Als phlegmonöse Entzündung bezeichnte man die flächenhafte, fortschreitende, eitrige Entzündung des Bindegewebes und der Lymphgefäße, die durch pyogene Bakterien verursacht wird. Sie entsteht in der Regel sekundär als Folge einer Wundinfektion. Man kann die Phlegmone auch nach ihrer Lage in subkutan, subfaszial oder intramuskulär einteilen.

präventiv

Unter Präventivmedizin werden die Maßnahmen verstanden, die sich mit der Verhütung von Erkrankungen durch vorbeugende Maßnahmen (z. B. Impfung) und der Krankheitsfrüherkennung befassen.

Pseudarthrose

Es handelt sich hierbei um eine falsche Gelenkbildung. Die knöcherne Überbrückung wie im Anschluss an eine Fraktur bleibt aus. Es können hypertrophische von atrophischen sowie entzündliche von nicht-entzündlichen Pseudarthrosen unterschieden werden (siehe Kapitel 18.4).

Pustel, Follikulitis (Akne), Furunkel, Karbunkel

Unter dem Begriff Pustel wird ein fokaler, kleiner Eiterherd in der Haut verstanden. Die Follikulitis (Akne) ist eine eitrige Entzündung der Haarfollikel und der Talgdrüsen, die meist durch Staphylokokken entsteht. Das Furunkel, welches oft aus einer Follikulitis entsteht, ist die eitrige Entzündung der Haarfollikels mit zentraler Eitereinschmelzung und ausgeprägtem Ödem der Umgebung. Aus mehreren Furunkeln kann das Karbunkel entstehen. Es stellt eine flächenhafte, abszedierende, schmerzhafte Entzündung dar, die mit Lymphangitis, Fieber oder sogar mit Sepsis einhergeht.

Resektion

Eine Resektion ist die Entfernung von meist kranken Organteilen, z. T. mit Wiederherstellung der Kontinuität des betroffenen Organs (z. B. Nierenteilresektion).

Ruptur (Zerreißung)

Rupturen sind durch Zugkräfte entstehende Verletzungen, bei denen sich die betroffenen Gewebe über das physiologisch normale Maß hinaus ausdehnen (z. B. der vordere Kreuzbandriss beim Hund). Es kommt zur Zerstörung des Gewebeverbandes. Die Widerstandsfähigkeit, die ein Gewebe diesen Zugkräften entgegenbringt, ist vor allem von ihrem Wasser- und Kollagengehalt und von der Zugkraft selber abhängig.

Schmerz

Schmerz ist eine komplexe Sinneswahrnehmung von verschiedenster Qualität, die meist mit Störungen des Wohlbefindens des Tieres einhergeht. Die Schmerzempfindung ist als Antwort des Körpers auf starke äußere Reize aufzufassen. Diese können mechanischer, chemischer oder thermischer Natur sein. Die Reize überschreiten ein gewisses Niveau und erregen so spezialisierte Schmerzrezeptoren. Man unterscheidet primären und sekundären Wundschmerz. Während der erste durch die Verletzung selbst ensteht (z. B. durch Zerrung, Quetschung, Zerreißung) tritt der zweite erst deutlich später ein und wird auch als Tiefenschmerz bezeichnet. Ursache für diesen Tiefenschmerz sind hauptsächlich die Wundschwellung und die Entzündung des traumatisierten Gewebes. Der Schmerz dient ganz allgemein als lebenswichtiges Frühwarnsystem für den Körper (siehe Kapitel 14.2).

Schock

Ein Schock setzt in der Regel akut bis subakut ein und ist gekennzeichnet durch ein fortschreitendes und generalisiertes Kreislaufversagen sowie Störungen der Mikrozirkulation. Die häufigsten Schockformen sind hypovolämisch, kardiovaskulär, endokrinologisch, metabolisch-toxisch, septisch-toxisch, anaphylaktisch oder neurogen bedingt (siehe Kapitel 4).

Signalement

Unter Signalement versteht man die Angaben zur Identität eines Tieres. Die wichtigsten Punkte sind Tierart, Rasse, Geschlecht, Alter, Abzeichen und Verwendungszweck (siehe Kapitel 2.1).

Stenose

Stenose ist die angeborene oder erworbene Verengung, Enge oder Einengung von Hohlorganen oder Gefäßen. Angeborene Stenosen mit Verkleinerung des Lumens von Hohlorganen oder Kanälen kommen beim Kleintier häufig vor (z. B. Trachealkollaps beim Yorkshire Terrier, Nasenstenose bei brachiozephalen Rassen). Die erworbenen Stenosen können nach Ursache und Art in Obturations-, Kompressions-, Narben- und funktionelle Stenosen unterschieden werden.

Als Obturationsstenose wird die Verstopfung eines Hohlorganes verstanden (z. B. Fremdkörperileus im Dünndarm). Koprostase ist eine Kotanschoppung im Dickdarm bei Hund und Katze. Bei einer Kompressionsstenose drücken Zubildungen aus der Umgebung Hohlorgane oder Kanäle so zusammen, dass sie verengt oder komplett verschlossen sind (z. B. großes Adenokarzinom der Thyroidea, welche die Trachea zusammendrückt). Narbenstenosen (Strikturen) entstehen dagegen nach perforierenden Wunden, chronischen Entzündungen, Quetschungen oder Zerreißungen an Hohlorganen oder Kanälen (z. B. Ösophagusstenose nach operativer Entfernung eines Fremdkörpers oder Strikturen im Bereich der Urethra durch Steine oder chronische Entzündungen). Die funktionelle Stenose entsteht durch vegetatitve Funktionsströrungen, die vor allem im Bereich des Magen-Darm-Traktes auftreten.

Sterilisation

Eine Sterilisation umschließt die Maßnahmen, welche eine völlige Keimfreiheit bewirken (siehe Kapitel 6).

Torsion

Als Torsion wird die Drehung bzw. Achsendrehung eines Organs bezeichnet (z. B. Torsio ventriculi oder Hodentorsion).

Trauma

Durch akute oder chronische Einwirkungen von abnormen Zug- oder Druckkräften entstehen Gewebeschäden. Die Art und das Ausmaß der Schäden sind u. a. von der Größe und der Richtung der eintretenden Kraft abhängig. Dabei spielt auch die Zusammensetzung des traumatisierten Gewebes eine große Rolle. Gewebe mit sehr hohem Wassergehalt sind empfindlicher als solche mit einem höheren Kollagengehalt.

Nach der Art der Einwirkung können spitze von stumpfen Traumen unterschieden werden. Zur ersten Kategorie gehören Schuss-, Schnitt- und Stichverletzungen. Sie können durch den Menschen, aber auch durch herumliegende Glasscherben oder spitze Gegenstände, durch die sich die Tiere selbst verletzen, verursacht werden (z. B. das Einspießen von kleineren oder größeren Stöckchen in den Rachenraum beim Spielen). Bissverletzungen gehören zu den häufigsten hautperforierenden Traumen bei Hund und Katze. Stumpfe Traumen entstehen meist durch Autounfälle oder durch das Fallen aus größeren Höhen (»high rise syndrome«).

Die Traumatologie, auch Unfallmedizin genannt, ist ein Teilgebiet der Chirurgie, das sich mit den Auswirkungen, der Therapie und der Verhütung von Traumen beschäftigt.

Tyloma (Schwiele)

Die Schwiele ist eine derbe Narbe, die mit starker Verdickung der Haut und des Bindegewebes einhergeht. Liegeschwielen entstehen dort, wo die Haut einer wenig gepolsterten Unterlage aufliegt (z. B. palmar lateral am Ellenbogen).

Verletzung (Laesio)

Wird Gewebe durch äußere oder innere Einwirkungen über seine natürliche Widerstandsfähigkeit beansprucht, werden die anatomischen Strukturen teilweise oder vollständig zerstört. Die Ursachen können mechanisch, thermisch oder chemisch sein. Bleiben Haut und Unterhaut dabei unversehrt, wird von einer gedeckten oder geschlossenen Verletzung gesprochen. Sind sie zerstört, wird die Verletzung als offen bezeichnet. Gedeckte Verletzungen haben den Vorteil, dass das geschädigte Gewebe vor äußeren Einflüssen geschützt wird. Aus geschlossenen Verletzungen kann durch Absterben der Haut eine offene Verletzung entstehen. Verletzungen, die mit Durchtrennung der Haut oder Schleimhaut einhergehen, werden als Wunde bezeichnet.

Volvulus

Unter einem Volvulus wird die Stiel- oder Achsendrehung eines Organs verstanden (z. B. Volvulus nodosus ist die Drehung des Darmes um die Mesenterialgefäße, so dass es zum Absterben des Dünndarms kommt).

Wunde (Vulnus)

Wunden haben immer eine Verbindung zwischen dem verletzten Körpergewebe und der Außenwelt, da die schützende Haut beziehungsweise Schleimhaut nicht mehr vorhanden ist. In der Regel sind die darunter befindlichen Geweben in den Prozess mit einbezogen. Dadurch muss der Körper auch gegen störende Einflüsse von Außen ankämpfen. Mögliche Komplikationen bei Wunden sind die Austrocknung sowie die Verunreinigung mit Fremdmaterialien oder mit Keimen, die durch die Verletzung in den Körper eingeschleppt werden.

Sind mehrere verschiedene Gewebe (z. B. Faszien, Muskeln, Sehnen, Gefäße oder Knochen) betroffen, spricht man von einer zusammengesetzten Wunde. Wunden werden nach der Ursache (z. B. Stich-, Schnitt-, Bisswunde), nach der Lokalisation (z. B. Kopf-, Bauch-, Brustwunde), nach der Tiefe und nach dem betroffenen Gewebe (z. B. Haut-, Muskel-, Hornhautwunde) unterschieden. Penetrierende Wunden reichen im Regelfall bis in das Abdomen bzw. in den Thorax.

Dagegen sind perforierende Wunden solche, die quer durch ein Gewebe gehen, also Eingangs- und Ausgangsöffnungen besitzen. Nach der Form der Wunden können Riss-, Lappen-, Schlitz- und Höhlenwunden sowie Wunden mit bzw. ohne Substanzverlust unterschieden werden.

Zyste

Zysten sind kugelige oder sackartige Hohlräume, die mit Deckzellen ausgekleidet sind. Sie besitzen einen flüssigen oder mehr breiigen Inhalt. Die Auskleidung kann dem Aufbau der Haut entsprechen (z. B. Epithelzysten oder Dermoidzysten) oder dem der Schleimhaut (z. B. branchiogene Zysten, Enterozysten). Echte Zysten können durch Fehl- oder Missbildung (z. B. Retentionszysten) oder durch Abtrennung von Gewebe oder Organkeimen entstehen. Pseudozysten sind dagegen flüssigkeitsgefüllte Hohlräume ohne epitheliale oder endotheliale Auskleidung. Sie entstehen durch Trauma, Nekrose oder Degeneration.

Literatur

BOLZ, W. (1985): Lehrbuch der Allgemeinen Chirurgie für Tierärzte. Enke, Stuttgart.

STÜNZI, H., WEISS, E. (1982): Allgemeine Pathologie. Parey, Berlin.

WIESNER, E., RIBBECK, R. (1983): Wörterbuch der Veterinärmedizin. Fischer, Stuttgart.

ZINK, C. (1990): Psychrembel Klinisches Wörterbuch 256. Auflage. W. de Gruyter, Berlin.

2 Chirurgische Propädeutik

2.1 Signalement (Kennzeichen) M. Kramer

Vor Beginn jeder klinischen Untersuchung muss das Signalement des Patienten sorgfältig festgehalten werden. Dies kann in vielen Fällen schon dazu führen, dass bestimmte Erkrankungen ausgeschlossen bzw. in die Überlegungen mit einbezogen werden müssen. Zu einem korrekten Signalement gehören die Tierart bzw. Rasse, das Geschlecht, die angeborenen und erworbenen Abzeichen (z. B. Narben), das Alter, der Verwendungszweck, die Fellfarbe, der Stammbaum und der Name des Tieres.

2.1.1 Rasse

Der Tierarzt sollte in der Lage sein, zumindest die am häufigsten vorkommenden Hunde- und Katzenrassen zu erkennen. Durch die in den letzten Jahren rasante Zunahme von Rassen und die verschiedensten Kreuzungen ist es jedoch kaum möglich, alle Rassen zu kennen. Die Rassenbestimmung ist für das weitere Vorgehen wichtig, da bestimmte Erkrankungen bei speziellen Rassen gehäuft vorkommen (z. B. Mastzellentumor beim Boxer, Achillessehnenerkrankungen beim Dobermann, Trachealkollaps beim Yorkshireterrier oder die »polycystic kidney disease« (PKD) bei der Perserkatze).

Weiterhin muss beachtet werden, dass manche Rassen in verschiedenen Größen (z. B. Riesenschnauzer, Mittelschnauzer und Zwergschnauzer), mit unterschiedlichem Haarkleid (z. B. Langhaar-, Kurzhaar-, oder Rauhaardackel) oder auch in verschiedenen Farben (z. B. Schnauzer in schwarz oder Pfeffer und Salz; Perserkatzen in blau oder rot) vorkommen.

2.1.2 Geschlecht

Das Geschlecht des Tieres wird dokumentiert: männlich oder weiblich; intakt, kastriert oder sterilisiert; einseitiger oder beiderseitiger inguinaler oder abdominaler Kryptorchide.

2.1.3 Abzeichen

Abzeichen am Tier werden allgemein in angeborene und erworbene unterteilt. Zu den angeborenen Abzeichen gehören missgebildete (z. B. Knickschwanz beim Dackel), falsch angelegte (z. B. Mikrophthalmie) oder überzählig angelegte Organe (z. B. die zweifach angelegte erste Zehe an den Hintergliedmaßen bei bestimmten Hirtenhunden). Zum Teil sollten bestimmte angeborene Abzeichen zum Ausschluss von der Zucht führen und nur mit gleichzeitig stattfindender Kastration operiert werden (z. B. Knickschwanz). Einige dieser Abzeichen sind jedoch erwünscht bzw. rassespezifisch (z. B. die doppelt angelegte erste Zehe).

Zu den erworbenen Abzeichen zählen Narben oder Tätowierungen (z. B. in der Ohrmuschel oder im proximalen Innenschenkel). Das Kupieren von Ohren ist nicht mehr erlaubt und das Kupieren von Schwänzen auf wenige Rassen beschränkt. Die einwandfreie Erkennung des Einzeltieres wird heutzutage immer häufiger durch subkutan implantierte Transponder mit einer für dieses Tier spezifischen Nummer gewährleistet.

Auch bei Mischlingshunden sollte die Ähnlichkeit zu einer Rasse (z. B. Deutscher Schäferhund oder Pudel), die Größe, der Haarcharakter (kurz-, lang- oder drahthaarig) und die Farbe des Felles festgehalten werden.

2.1.4 Alter

Die Altersbestimmung eines Hundes oder einer Katze wird i. d. R. gestützt auf die Aussagen der Besitzer oder die Eintragungen im Abstammungsnachweis oder im Impfpass. Zudem kann der Tierarzt den Patienten allgemein auf Alterserscheinungen untersuchen. Dabei ist z. B. auf das Grauwerden der Haare im Bereich des Kopfes ab dem 6. bis 7. Lebensjahr zu achten.

Die Beurteilung der Zähne kann ggf. einen exakteren Aufschluss geben. Allerdings ist auch diese Beurteilung mit großen Fehlermöglichkeiten behaftet. Das Nagen an Knochen und anderen sehr harten Gegenständen oder das Apportieren von Steinen machen die Beurteilung z. T. sehr schwierig bis unmöglich. Zudem haben bestimmte Rassen auch Stellungsanomalien der Zähne oder aber einen verspäteten Zahnwechsel (z. B. Zwergrassen). Dies führt zu Unkorrektheiten bei der Alterseinschätzung.

2.1.5 Größe

Die Mindest- und Maximalgröße von Hunden wird bei bestimmten Rassehunden festgehalten und Normwerte sind festgelegt. Sie wird bei gerader Gliedmaßenstellung bis zum höchsten Punkt des Widerristes mit Hilfe eines Stockmaßes gemessen.

2.1.6 Verwendunszweck

Der Verwendungszweck der Tiere, insbesondere der Hunde, spielt bei der Beurteilung bestimmter Erkrankungen, chirurgischer Eingriffe und der Prognosestellung eine nicht unerhebliche Rolle. Jagdlich eingesetzte Tiere, Polizeihunde, sportlich genutzte Tiere, Blindenführhunde oder Rennhunde müssen teilweise anders beurteilt werden als Patienten, die nur als Partner oder Begleithund genutzt werden.

Literatur

FREUDIGER, U., GRÜNBAUM, E.-G., SCHIMKE, E. (1993): Klinik der Hundekrankheiten. Fischer. Jena, Stuttgart.

JAKSCH, W., GLAWISCHNIG, E. (1990): Klinische Propädeutik der inneren Krankheiten und Hautkrankheiten der Haus- und Heimtiere. Parey. Berlin.

NIEMAND, H.-G., SUTER, P. (2001): Praktikum der Hunde. Paray. Berlin.

2.2 Anamnese (Vorbericht) M. Kramer

Die Erhebung der Anamnese sollte nach festgelegten, standardisierten Schemata erfolgen. Hier sind nicht nur die Erfahrung und die Kenntnisse des Tierarztes von Bedeutung, sondern die gute Zusammenarbeit mit dem Patientenbesitzer spielt ebenfalls eine große Rolle. Beobachtungsgabe und die Angabe des korrekten zeitlichen Verlaufs der Erkrankung oder anderer wichtiger Details ist für die Diagnosestellung häufig von großer Wichtigkeit. Die Befragung sollte so erfolgen, dass auch die Dinge erzählt werden, die der Besitzer als unwichtig oder den Fall nicht betreffend ansieht. Fangfragen müssen vermieden werden. Durch gezieltes Lenken des Gesprächs in Richtung auf die Symptome der Erkrankung können Rückschlüsse gezogen werden.

Die Erhebung der Anamnese bei Tieren, die chirurgisch versorgt werden sollen und damit eine meist mehr oder weniger tiefe Sedation oder Anästhesie benötigen, sollte sich mit dem Bekanntsein allgemeiner Erkrankungen befassen (z. B. Herzinsuffizienz), um ein Narkoserisiko auszuschließen. Erst im Anschluss erfolgt die Befragung auf das aktuell anstehende Problem. Bei einem Notfall (z. B. Torsio ventriculi) muss sich die Erhebung der Anamnese zunächst auf kurze knappe Fragen beschränken, um das Leben des Tieres nicht unnötig zu gefährden.

Im allgemeinen Vorbericht müssen bei Hund und Katze immer der komplette Impfstatus sowie Entwurmungen erfasst werden. Bei der Katze ist zusätzlich noch von Interesse, ob spezielle Untersuchungen durchgeführt worden sind (z. B. Test auf Leukose oder FIP).

Literatur

FREUDIGER, U., GRÜNBAUM, E.-G., SCHIMKE, E. (1993): Klinik der Hundekrankheiten. Fischer, Jena, Stuttgart.

JAKSCH, W., GLAWISCHNIG, E. (1990): Klinische Propädeutik der inneren Krankheiten und Hautkrankheiten der Haus- und Heimtiere. Parey, Berlin.

NIEMAND, H.-G., SUTER, P. (2001): Praktikum der Hundeklinik. Parey, Berlin.

Zu den wichtigsten Dingen, die der behandelnde Tierarzt erfragen muss, gehören:

1. Hat sich das Leistungsvermögen des Patienten verändert?

Die Leistungsfähigkeit ist immer im Vergleich mit den früheren Aufgaben des Tieres zu sehen. Zum Beispiel müssen Rennhunde ganz anders beurteilt werden als reine Freizeithunde. Rassenunterschiede sind zu beachten (z. B. Bernhardiner oder Greyhound, Terrier oder Pudel).

2. Seit wann ist das Tier erkrankt?

3. Wann traten die ersten Symptome auf?

4. Ist das Problem schon früher aufgetreten und ist es zwischenzeitlich besser oder schlechter geworden?

5. Welche Erkrankungen hatte das Tier früher?

6. Wie äußern sich die Erkrankungserscheinungen und wie haben sie begonnen?

7. Ist nur dieses Tier erkrankt oder vielleicht weitere Tiere oder sogar Menschen im Hause oder in der nahen Umgebung?

8. Seit wann befindet sich das Tier in Besitz, war es im Ausland und wenn ja wo? Hatte es dort ggf. Kontakt mit anderen Tieren aus der Umgebung? Waren diese Tiere gesund?

9. Wie wurde das Tier gefüttert?

Zusammensetzung und Menge des Futters, Fertigfutter, wenn ja welches, Wasserangebot. Die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme muss genau erfragt werden (frisst nicht, nur spezielle Dinge, weich oder hart, wählerisch, übermäßig, Allotriophagie).

Der Urin- und Kotabsatz sollte erfragt werden. Dabei ist die Frequenz, die Menge und die Konsistenz von großer Bedeutung.

10. Wurde das Tier bereits von einem oder mehreren Tierarzt bzw. Tierärzten untersucht oder behandelt?

Wenn ja, welche Diagnose wurde gestellt, welche Medikamente verabreicht und welche Operationen bereits durchgeführt. Vorherige Behandlungen können das Krankheitsbild verschleiern oder verfälschen und dadurch die Diagnose erschweren oder verunmöglichen.

11. Wie wird das Tier bzw. die Tiere gehalten (z. B. im Haus, auf dem Gelände oder im Zwinger, auf hartem oder weichem Untergrund)?

Der Verwendungszweck des Patienten (Renn-, Sporthund, Jagdhund, Blindenhund oder einfach zur Freizeitgestaltung) muss erfragt werden. Bei weiblichen, nicht kastrierten Tieren sind die Läufigkeitsdaten, die Anzahl der Würfe, Probleme bei vorherigen Trächtigkeiten und ggf. wann, wie häufig und womit eine Läufigkeitsunterdrückung vorgenommen wurde von Interesse.

2.3 Zwangsmaßnahmen D. Lorinson und K. Größlinger

Zwangsmaßnahmen sind Manipulationen am und mit dem Tier, die eine korrekte und vollständige klinische Untersuchung des Patienten ermöglichen oder erleichtern sollen. Besuche beim Tierarzt sind stets mit Stress für den Patienten und seinen Besitzer verbunden. Vorsichtige, freundliche und ruhige Begrüßung von Tier und Mensch können Zwangsmaßnahmen unnötig machen. Dennoch ist stets auf mögliche Gefahren für Tierarzt und Arzthelfer zu achten, diese sind durch die im folgenden beschriebenen Maßnahmen zu minimieren.

2.3.1 Zwangsmaßnahmen beim Hund

Die meisten Untersuchungen, wie z. B. ein orthopädischer oder neurologischer Untersuchungsgang, werden am besten in stabiler Seitenlage durchgeführt (Abb. 2.1). Der Assistent fixiert mit dem kopfnahen Unterarm den Hals des Hundes und hält mit dieser Hand dessen tischnahes Vorderbein. Der zweite Arm des Assistenten fixiert Lende bzw. Flanke des Tieres und mit dieser Hand wird das tischnahe Hinterbein des Hundes gehalten.

Für Untersuchungen im Kopfbereich wird der Hund mit der rechten Hand an Kopf bzw. Nacken und mit der linken Hand unter dem Unterkiefer fixiert. Diese Technik ist bei bissigen und aggressiven Tieren meist nicht durchführbar oder bedarf einer zweiten Person, die den Hund am Rückwärtsgehen hindert.

Bissige Hunde sollten bereits vom Tierbesitzer mit einem Maulkorb (Abb. 2.2) versehen werden. Es gibt Beißkörbe aus verschiedensten Materialien wie Kunststoff oder Metall, wichtig ist jedoch ihre exakte Passform. Bei Fehlen eines Maulkorbs in entsprechender Größe kann mit Hilfe eines Köperbandes das Maul des Hundes verschlossen werden (Abb. 2.3). Dabei wird eine Schlaufe mit dem Knopf auf dem Nasenrücken angebracht, um dann das Köperband zur ventralen Kontur des Unterkiefers zu führen, dort zu kreuzen und letztendlich das Band hinter beiden Ohren auf Höhe des Scheitelbeines zu verknüpfen.

Bei brachyozephalen Hunderassen empfiehlt sich als Beißschutz eine große Halskrause, die den Kopf ausladend umgibt.

Um aggressive Tiere einzufangen oder aus dem Käfig zu fangen und zu fixieren, eignet sich eine Schlinge, die um den Hals des betreffenden Hundes gelegt und dort festgezogen wird.

Zur Blutentnahme an der Vena cephalica eignet sich am besten eine stehende oder sitzende Position des Hundes, wobei der Assistent mit dem hundenahen Arm von dorsal nach ventral greifend den Kopf und Hals des Hundes nach dorsolateral zieht und mit der anderen Hand die V. cephalica proximal des Ellenbogengelenks staut (Abb. 2.4.). Die Blutentnahme an der Vena jugularis erfolgt auf einem Tisch in Brustbzw. Bauchlage des Hundes, wobei der hundenahe Arm des Assistenten von dorsal Kopf und Hals des Tieres leicht nach dorsal überstreckt. Mit der anderen Hand werden beide Vorderbeine über die Tischkante in Richtung Boden gezogen (Abb. 2.5). Die Stauung der V. jugularis erfolgt durch den Arzt, der die Venenpunktion durchführt.

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Abb. 2.1: Halten des Hundes auf dem Tisch.

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Abb. 2.2: Verschiedene Maulkörbe für den Hund.

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Abb. 2.3: Zubinden des Mauls beim Hund.

Neben diesen angeführten Zwangsmaßnahmen zur Ruhigstellung und Fixierung des Hundes gibt es Schlingen, die eine gewisse Disziplinierung und Einschränkung des Gangbildes des Hundes ermöglichen. Dazu gehören:

Die Ehmer-Schlinge dient dem Fixieren des Hinterbeines in maximal gebeugter Position. Die Indikationen sind z. B. Hüftgelenksluxation oder Vorbereitung des Tieres auf eine eventuelle Amputation des betroffenen Beines.

Die Velpeau-Schlinge fixiert das Vorderbein in maximal gebeugter Position. Indikationen dafür sind z. B. Muskelrupturen (M. infraspinatus, M. supraspinatus), Schultergelenkluxationen oder die Vorbereitung des Tieres auf eine eventuelle Amputation des betroffenen Beines.

Die Karpalschlinge dient der Entlastung der Beugesehnen im distalen Extremitätenbereich.

Die Tarsal-/Metatarsalschlinge verbindet die Metatarsi der rechten und linken Hinterextremität. Sie dient der Entlastung der Adduktoren.

2.3.2 Zwangsmaßnahmen bei der Katze

Die stabile Seitenlage, wie sie beim Hund beschrieben wurde, kann bei ruhigen, geduldigen Katzen ebenfalls gut angewendet werden. Hierbei umfassen die Hände des Assistenten beide Vorder- und Hinterextremitäten der Katze im Karpal- und Tarsalbereich. Bei heftigeren Abwehrbewegungen der Katzen eignet sich am besten der feste Nacken- und Extremitätengriff. Mit der kopfnahen Hand greift der Assistent von dorsal den Nacken bzw. um den Hals des Tieres, während die zweite Hand beide Hinterextremitäten auf Höhe des Sprunggelenkes umfasst. Durch diese Griffe kann die Katze gestreckt und auf die Tischplatte gedrückt werden. Diese Methode eignet sich nicht für Menschen mit wenig Muskelkraft bzw. für adipöse Katzen mit wenig lockerer Unterhaut.

Bei hochgradig aggressiven Katzen, die aus einem Käfig oder freilaufend gefangen werden müssen, bietet sich die Anwendung einer Schlinge oder eines Catchers an. Ein Catcher ist ein Fangnetz, das nach Einfangen der Katze durch Drehbewegungen zugezogen wird. Durch den Haltegriff des Catchers kann das Tier am Boden oder am Tisch fixiert werden, während das Fangnetz die gezielte Applikation von Medikamenten ermöglicht.

Die Fixierung von Katzen zu Untersuchungen im Kopfbereich wird wie bei Hunden durchgeführt. Eine zusätzliche Hand zur Fixierung der Vorderextremitäten kann bei wehrhaften Katzen gute Dienste leisten. Die Blutentnahme aus der V. cephalica und der V. jugularis erfolgt mit Hilfe der gleichen Handgriffe wie beim Hund.

Trotz aller gezielten und routinierten Zwangsmaßnahmen kann es vorkommen, dass die Aggressivität und Wendigkeit mancher Katzen eine klinische Untersuchung im Wachzustand gänzlich unmöglich machen. Diese Tiere können eventuell in Quetschkäfige gelockt werden, deren Zwischenwand die Katzen in engstem Raum fixiert und so eine subkutane oder intramuskuläre Injektion ermöglicht.

Zum Schutz vor Katzenbissen oder Kratzwunden sind dicke, lange Lederhandschuhe empfehlenswert.

2.3.3 Zwangsmaßnahmen bei Heimtieren

Für alle Heimtiere gilt ein wichtiger Grundsatz: Jeglicher Stress für das Tier muss vermieden werden! Starke Zwangsmaßnahmen müssen aufgrund der Gefahr des Schocktodes dieser Tiere unbedingt unterlassen werden.

Bei ruhigen Tieren bietet sich die Adspektion und vorsichtige Palpation der frei laufenden Patienten im Käfig oder in den Transportbehältern an. Genauere Untersuchungen erfolgen in sitzender Stellung auf einem Tisch, wobei die Tiere vorsichtig durch Umgreifen der Brust- und Bauchwand fixiert werden.

Der sicherste Griff zur festeren Fixierung bei Kaninchen, Meerschweinchen und Frettchen ist der Nackengriff. Hierbei muss unbedingt das Becken mit der anderen Hand unterstützt werden.

Zur Fixierung von Ratten und Mäusen eignet sich ebenfalls der Nackengriff, wobei man sich diese Tiere zur weiteren Stabilisierung in die Handfläche legen kann.

Literatur

JAKSCH, W., GLAWISCHNIG, E. (1990): Klinische Propädeutik der inneren Krankheiten und Hautkrankheiten der Haus- und Heimtiere. Parey. Berlin.

BERGE, E., WESTHUES, M. (1969): Tierärztliche Operationslehre. Parey. Berlin.

2.4 Klinischer Untersuchungsgang S. Scharvogel

Vor einem chirurgischen Eingriff muss jeder Patient klinisch untersucht werden, damit der gesundheitliche Status bekannt ist. Dies ist notwendig, um die Risiken von Anästhesie und Operation besser einschätzen zu können. Darüber hinaus kann durch die Untersuchung, unter Einbeziehung der Daten aus dem Signalement und der Anamnese, eine erste Einschätzung des Schweregrads des bestehenden Problems erfolgen. Die bei der Untersuchung gefundenen Abweichungen müssen als einzelne Probleme benannt werden, da sich daraus im weiteren Verlauf die entsprechenden Untersuchungsschritte ergeben. Hierbei kann es notwendig sein, zusätzliche Untersuchungen wie z. B. bildgebende Verfahren (siehe Kapitel 3) oder Laboruntersuchungen durchzuführen.

Im Rahmen der präoperativen Risikoeinschätzung ist durch die klinische Untersuchung eine Einordnung des chirurgischen Patienten möglich. Mit der Einteilung in verschiedene präanästhetische Risikogruppen (Tabelle 2.1) kann das Risiko für Komplikationen während der Narkose und der Operation gut eingeschätzt werden. Weiterhin ist es möglich eine Prognose zu stellen. Eine sehr gute Prognose ergibt sich, wenn die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen minimal ist und der Patient nach der Operation völlig wiederhergestellt ist. Mit der Zunahme von Risiken durch Erkrankungen steigt die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen und die Prognose verschlechtert sich. Dabei muss immer abgewogen werden, ob die Operation mit den Risiken für den Patienten im Einklang steht. So wird man bei einem Tier mit einer Fehlfunktion von Leber oder Nieren einen benignen Hauttumor nicht entfernen, da das Komplikationsrisiko weitaus höher ist als der mögliche positive Effekt durch die Operation.

Die klinische Untersuchung wird systematisch durchgeführt, wobei alle Organsysteme einbezogen werden. Es erscheint sinnvoll, jeden Patienten, einem festen Schema folgend, auf die gleiche Art und Weise zu untersuchen. Auch bei einem gesunden Patienten (Risikogruppe I) darf die Untersuchung nicht unterbleiben, damit mögliche unbekannte Erkrankungen nicht übersehen werden. Zudem ist es aus forensischen Gründen zwingend erforderlich, neben der Aufklärung eine präoperative Untersuchung durchzuführen. Während beim gesunden Tier eine kurze Untersuchung ausreichend sein kann, muss bei Patienten höherer Risikogruppen eine eingehendere Untersuchung durchgeführt werden, die auch weiterführende Untersuchungen wie bildgebende Diagnostik oder Laboruntersuchungen einschließen kann. Traumatisierte Patienten werden zusätzlich orthopädisch (siehe Kapitel 2.5) und neurologisch (siehe Kapitel 2.6) untersucht. Lebensbedrohende Notfälle erlauben nur eine kurze Untersuchung, die erst nach Stabilisierung des Patienten fortgeführt wird. Bei der Notfalluntersuchung wird nach dem Prinzip der Triage verfahren. Innerhalb kürzester Zeit gilt es den Patienten richtig einzuschätzen und festzustellen, ob eine Bedrohung der Vitalfunktionen gegeben ist und eine sofortige lebenserhaltende Therapie eingeleitet werden muss. Eine ausführliche Untersuchung kann ggf. später erfolgen. In schwerwiegenden Fällen kann aufgrund irreversibler Verletzungen eine Euthanasie angezeigt sein.

Tabelle 2.1: Einteilung der Patienten in verschiedene präanästhetische Risikogruppen

Grad Status Beispiel
I Gesund, keine erkennbare Erkrankung Elektiver Eingriff geplant
II Gesund mit lokalisierter Erkrankung oder milder systemischer Erkrankung Patellaluxation etc.
III Schwere systemische Erkrankung Pneumonie, Fieber, Dehydratation
IV Lebensbedrohende systemische Erkrankung Nierenversagen
V Moribund Endotoxischer Schock etc.

Die klinische Untersuchung kann nach Organsystemen durchgeführt werden oder alternativ nach der Topographie von kranial nach kaudal. Wie immer man sich entscheidet, sollte die Untersuchung immer nach dem gleichen Schema erfolgen, um nichts zu vergessen. Da bei chirurgischen Patienten die Untersuchung des Herz-Kreislauf-Systems für die präanästhetische Untersuchung einen besonders hohen Stellenwert hat, ist sie hier aus der topographischen Untersuchung ausgegliedert.

2.4.1 Grunduntersuchung (Temperatur, Puls, Atmung)

Nach Kontaktaufnahme mit dem Patienten wird die Körpertemperatur rektal gemessen. Während der Messung kann der Untersucher bereits einen Überblick über etwaige allgemeine Auffälligkeiten (z. B. Ernährungs-, Pflegezustand) und Veränderungen von Haut und Haarkleid erhalten. Die Umgebung des Rektums wird auf mögliche Veränderungen untersucht. Durch Aufregung können die Normalwerte der Körpertemperatur (siehe Tabelle 2.2) um bis zu 0,5 Grad erhöht sein. Schmerzäußerungen beim Einführen des Thermometers in das Rektum können Zeichen pathologischer Veränderungen im Enddarm sein. Bei kleinen Hunden und besonders bei Katzen kommt es auch ohne pathologische Veränderungen zu Abwehrreaktionen. Am Thermometer anhaftende Kotbestandteile werden begutachtet. Anschließend wird der Puls an der Schenkelinnenseite an der A. femoralis bestimmt (beiderseits vergleichend). Beurteilt werden Frequenz, Gleichmäßigkeit, Rhythmus, Amplitude, Form und Symmetrie. Die Frequenz kann bei Aufregung verändert sein. Hohe Pulsfrequenzen sind bei kleineren Hunderassen und Jungtieren physiologisch. Bei Hunden kommt es durch eine Zunahme der Pulsfrequenz in der Inspiration bzw. der Abnahme in der Exspiration zu einer Arrhythmie (Sinusarrhythmie). Diese ist physiologisch und verschwindet bei Steigerung der Frequenz (z. B. bei Belastung). Die Atmung dient neben der Ventilation der Lunge auch zur Thermoregulation. Bei der allgemeinen Untersuchung werden der Atemtyp und die -frequenz festgehalten. Diese ist bei Hunden sehr variabel, insbesondere große Rassen haben eine niedrigere Atemfrequenz als kleinere Rassen. Weiterhin werden die Regelmäßigkeit (Rhythmus) und die Tiefe der einzelnen Atembewegungen beurteilt. Da bei Hund und Katze sowohl das Diaphragma als auch die Interkostalmuskeln zur Atmung beitragen, ist ein kostoabdominaler Atemtyp physiologisch. Abweichungen hiervon (kostal, abdominal) sowie sonstige Veränderungen im Atemtyp werden dokumentiert (z. B. Atemnot [Dyspnoe], Hyperpnoe oder Hypopnoe). Bei Abweichungen der normalen Atmung sind weitergehende Untersuchungen zur Abklärung der Ursache erforderlich.

Tabelle 2.2: Physiologische Parameter von Temperatur, Puls und Atmung bei Hund und Katze

Parameter Hund Katze
Temperatur 38,0–39,0 °C 38,5–39,0 °C
Puls Groß: 70–100/min
Mittel: 80–130/min
Klein: 90–150/min
90–150/min
Atmung 10–30/min 20–40/min
2.4.2 Topographische Untersuchung

Die topographische Untersuchung beginnt rostral im Bereich des Nasenspiegels. Hier achtet man auf Nasenausfluss und eine freie Atmung. Gegebenenfalls vorliegender Nasenausfluss wird beurteilt (z. B. serös, mukös). Liegt ein Atemgeräusch vor (Stridor nasalis, pharyngis, laryngis), sind weitergehende Untersuchungen (z. B. Röntgen, Endoskopie) durchzuführen. Anschließend werden die Augen und ihre Umgebung untersucht und ggf. vorhandene Abweichungen dokumentiert. Die Konjunktivalschleimhaut wird durch leichtes Herabziehen des Unterlides sichtbar gemacht. Geachtet wird auf die Färbung (blassrosa) und die Zeichnung der Episkleralgefäße. Die einzelnen Gefäße sollten gut abgesetzt sichtbar sein (im Gegensatz zur pathologischen schmutzig verwaschenen Zeichnung). Beide Ohren und der äußere Gehörgang werden untersucht. Man achtet auf Verschmutzungen oder sonstige Veränderungen in den Gehörgängen. Anschließend wird die Maulhöhle untersucht. Dabei wird die Schleimhaut begutachtet und die kapilläre Rückfüllungszeit (KFZ) bestimmt. Die Lefzen werden hierzu angehoben, so kann die Beurteilung bei vielen Tieren bei geschlossenem Fang erfolgen. Viele Tiere tolerieren die Adspektion der Maulhöhle nur schlecht. Wenn möglich wird auf Veränderungen an den Zähnen und an der Schleimhaut geachtet. Die Tonsillen sollten inspiziert werden. Es wird auf Husten geachtet, der feucht oder trocken sein kann. Auswurf (z. B. Schleim, Eiter, Blut) wird dokumentiert. Weiterhin ist auf Stridor im Bereich des Pharynx oder Larynx zu achten. Die Untersuchung der mandibulären und retropharyngealen Lymphknoten schließt sich im Seitenvergleich an. Man achtet auf deren Größe, Verschieblichkeit, Schmerzhaftigkeit und Wärme. Anschließend wird der Hals palpiert, um Veränderungen erkennen zu können (z. B. Schilddrüsenvergrößerungen). Durch vorsichtigen Druck auf den Kehlkopf und die Trachea wird etwaiger Hustenreiz getestet. Bei kleinen Hunden (Kleinpudel) kann eine sehr flache Trachea im Sinne eines Trachealkollaps erkannt werden. Am Übergang zum Brustkorb werden die Lnn. cervicales supff. überprüft.

Im Bereich des Thorax werden das Herz (siehe Herz-Kreislauf-System) und die Lunge untersucht. Bei der Auskultation der Lunge wird auf Atemgeräusche geachtet. Ein bronchiales Atemgeräusch, das durch die Strömung der Luft bedingt ist, ist physiologisch. Vesikulär-alveoläre Knistergeräusche sind pathologisch. Sie können inspiratorisch, exspiratorisch oder während beider Atemphasen hörbar sein.

Die Untersuchung des Abdomens beginnt im kranialen Abschnitt. Die Bauchdeckenspannung wird geprüft und der Rumpf abgetastet (z. B. Erkennen von Hernien). Die Palpation ist bei adipösen Tieren erschwert und kann bei pathologischen Veränderungen schmerzhaft sein. In der Regel wird mit beiden Händen vorsichtig das Abdomen abgetastet. Nur bei Katzen und sehr kleinen Hunden kann es sinnvoll sein das Tier mit einer Hand zu fixieren, während die andere Hand das Abdomen abtastet. Bei großen tiefbrüstigen Hunden ist das vordere Abdomen der Palpation nur sehr eingeschränkt zugänglich. Es wird versucht, einzelne Organe der Bauchhöhle mit den Händen abzugrenzen. Im kranialen Bereich ist z. B. häufig eine vergrößerte Leber tastbar. Kaudal davon wird auf Veränderungen von Magen und Darm geachtet. Die Milz ist unterschiedlich gut fühlbar. Bei Katzen sind die Nieren gut tastbar und Veränderungen können erkannt werden. Im kaudalen Bereich des Abdomens ist die gefüllte Harnblase zu erfühlen. Dorsal kann unter Umständen die Gebärmutter palpiert werden. Darüber liegt der Enddarm. Weiterhin wird auf Flüssigkeit (undulierendes Abdomen) und sonstige Zubildungen geachtet. Die Gesäugeleisten werden nach Veränderungen abgetastet (z. B. Knoten, Verhärtungen, Schwellungen, Schmerzen).

Die äußeren Geschlechtsorgane werden inspiziert. Bei Rüden werden das Präputium und der Penis untersucht und die beiden Hoden im Skrotum ertastet. Sie liegen physiologischerweise vollständig im Skrotum, haben die gleiche Größe und sind bei leichtem Druck nicht schmerzhaft. Bei Hündinnen wird die Vulva begutachtet und auf Ausfluss untersucht. Bei Katzen ist diese Untersuchung meist auf eine kürzere Adspektion von Penis und Vulva beschränkt.

2.4.3 Herz-Kreislauf-System

Das Herz-Kreislauf-System besteht aus dem Herzen selbst, dem arteriellen, dem venösen und dem Kapillarsystem. Alle vier Anteile werden untersucht. Das Herz liegt zwischen dem 3. und 6. Interkostalraum, wobei der Apex nach kaudoventral und links gerichtet ist und die Herzbasis kraniodorsal und rechts liegt. Die Untersuchung beginnt mit der Palpation, die mit einer Hand (unimanuell) oder mit beiden Händen (bimanuell) durchgeführt werden kann. Zwischen dem 3. und 6. Interkostalraum wird der Herzspitzenstoß (Ictus cordis) gefühlt und auf mögliche fühlbare Herzgeräusche (Fremitus) geachtet. Die Auskultation folgt als Denkhilfe dem »FIRAG«-System. Geachtet wird auf Frequenz (F), Intensität (I), Rhythmus (R), Abgesetztheit (A) der Herztöne und Herzgeräusche (G). Unter physiologischen Verhältnissen ist bei Hund und Katze der erste (S1) und der zweite Herzton (S2) hörbar, wobei der erste Herzton frühsystolisch durch den AV-Klappenschluss und der zweite Herzton endsystolisch durch den Semilunarklappenschluss entsteht. Davon abzugrenzen sind die pathologischen Herztöne (S3: frühdiastolischer Füllungston, S4: spätdiastolischer Füllungston) und Galopprhythmus. Im Gegensatz zu den Herztönen sind Herzgeräusche pathologische Schallphänomene (Vitia cordis), die durch kardiale oder extrakardiale (dann werden sie auch Herznebengeräusche genannt) Ursachen entstehen. Ursachen können beispielweise abnorme Blutflüsse, Turbulenzen, Vibrationen von Klappen oder Gefäßwänden sein. Unterschieden werden systolische, diastolische und kontinuierliche Herzgeräusche. Für die Zuordnung sollte die Stelle der besten Hörbarkeit (Punctum maximum) angegeben werden. Die Intensität wird in 6 Grade unterteilt (siehe Tabelle 2.3). Die Auskultation der einzelnen Klappen kann anhand der Interkostalräume durchgeführt werden. Links beginnt man im 3. Interkostalraum für die Pulmonalklappe, im 4. Interkostalraum für die Aortenklappe sowie die Mitralis (5. Interkostalraum). Als Denkhilfe dient hierbei die Abkürzung »PAM«. Rechts kann die Trikuspidalklappe im 4. Interkostalraum auskultiert werden. Zusätzlich wird gleichzeitig der Puls gefühlt, um ein Pulsdefizit zu erkennen. Das arterielle Gefäßsystem wird mittels Pulsmessung an der A. femoralis untersucht. Es wird auf Füllung, Spannung und Qualität geachtet. Der arterielle Puls gibt Hinweise zum Pulsdruck (Differenz zwischen systolischem und diastolischem Druck) aber nicht zum Blutdruck. Einen Eindruck des venösen Gefäßsystems gibt der Füllungszustand der V. jugularis. Weiterhin wird auf die episkleralen Venen, die Größe der Leber und möglichen Aszites geachtet. Das Kapillarsystem wird anhand der Körperschleimhäute, der Episkleren und der kapillären Rückfüllungszeit (KFZ) beurteilt. Weitergehende Untersuchungen beinhalten die Messung des Blutdruckes, die Aufzeichnung der Herzstromkurve (Elektrokardiographie, EKG) und die bildliche Darstellung des Herzens mittels Röntgenbild oder besser im Ultraschall (Echokardiographie).

Tabelle 2.3: Einteilung von Herzgeräuschen

Grad Lautstärke
I/VI Sehr leise, erst nach einigen Minuten hörbar
II/VI Leise, sofort hörbar
III/VI Laut, Steigerung möglich
IV/VI Sehr laut, nicht fühlbar
V/VI Sehr laut, fühlbar (Fremitus)
VI/VI Sehr laut, mit abgehobenem Stethoskopkopf hörbar
Literatur

RIJNBERK, A., DE VRIES, H. W. (1993): Anamnese und körperliche Untersuchung kleiner Haus- und Heimtiere. Gustav Fischer.

SYRING, R. S., DROBATZ, K. J. (2000): Preoperative Evaluation and Management of the Emergency Surgical Small Animal Patient. Vet. Clin. North Am. Small Anim. Pract. 30, 473.

WILLARD, M. D., TVEDTEN, H., TURNWALD, G. H. (1994): Small Animal Clinical Diagnosis by Laboratory Methods. W. B. Saunders. Philadelphia.

ETTINGER, S. J., FELDMAN, E. C. (1995): Textbook of Veterinary Internal Medicine. W. B. Saunders. Philadelphia.

SLATTER, D. (2003): Textbook of Small Animal Surgery. W. B. Saunders. Philadelphia.

DAVIES C., SHELL, L. (2001): Common Small Animal Diagnoses. An Algorithm Approach, Harcourt.

NELSON, S. J., COUTO, R. G. (2003): Small Animal Internal Medicine. Mosby.

NOSWORTHY, G. D., FOSHEE, S. K. (1998): The Feline Patient: Essentials of Diagnosis and Treatment. Lippincott.

2.5 Klinisch-orthopädischer Untersuchungsgang
S. Scharvogel

Die Orthopädie befasst sich mit Entstehung und Therapie der angeborenen und erworbenen Erkrankungen des Bewegungsapparates. Dieser setzt sich aus Knochen und Gelenken inklusive der Gelenkbestandteile (z. B. Menisken) sowie Bändern, Sehnen und Muskeln zusammen. Der Bewegungsapparat besteht aus einem axialen (Wirbelsäule) und einem abaxialen Anteil (Gliedmaßen). Aufgrund des direkten Zusammenhangs zwischen der knöchernen Wirbelsäule und dem Rückenmark erscheint es sinnvoll, die Erkrankungen des axialen Anteils des Bewegungsapparates der Neurologie zuzuordnen (siehe Kapitel 2.6).

Erkrankungen von Knochen, Gelenken, Bändern, Sehnen und Muskeln sind häufig und stellen somit einen bedeutenden Anteil der Patienten in der tierärztlichen Praxis dar (siehe Tabellen 2.4, 2.5). Dem Patientenbesitzer fällt i. d. R. eine Veränderung im Bewegungsablauf des Tieres auf. Seltener kann es bei ungestörter Bewegung nur zu einer Abweichung der Konturen (z. B. Verkrümmung einer Gliedmaße) kommen. Klinisch stellen sich pathologische Veränderungen meist als Lahmheiten unterschiedlicher Ausprägung dar und es gilt mittels geeigneter Maßnahmen zu einer Diagnose zu gelangen. Hierfür stehen neben der speziellen orthopädischen Anamnese vor allem die klinisch-orthopädische Untersuchung, sowie zahlreiche weiterführende spezielle Untersuchungsverfahren zur Verfügung (siehe Tabelle 2.6). Diese diagnostischen Techniken, allen voran das Röntgen, stellen eine wichtige Ergänzung dar.

Gerade für den noch unerfahrenen Untersucher ist es sinnvoll, nach einem festgelegten Schema vorzugehen. So wird nichts Wichtiges vergessen und auch in scheinbar offensichtlichen Fällen nichts übersehen. Die Diagnose einer Fraktur bei einem Patienten mit hochgradiger Lahmheit ist im Allgemeinen einfach zu stellen. Doch selbst in einem derartigen Fall muss die vollständige klinisch-orthopädische Untersuchung durchgeführt werden, um weitere, weniger auffällige Veränderungen (z. B. eine zweite Fraktur) zu erkennen.

Bei der Vorstellung eines Patienten mit Lahmheit sollte immer die allgemeine klinische Anamnese und Untersuchung vorangestellt sein. Dies ist notwendig, um einerseits einen Überblick über den gesundheitlichen Status des Patienten zu bekommen. Andererseits können Lahmheiten ihre Ursachen auch außerhalb des Bewegungsapparates in anderen Organsystemen haben (z. B. endokrine Erkrankungen, Knochenmetastasen).

Die orthopädische Untersuchung beginnt mit der speziellen Anamneseerhebung, gefolgt von der adspektorischen und palpatorischen Untersuchung des Patienten. Hierbei sollte problemorientiert vorgegangen werden. Dies bedeutet, ausgehend vom Problem der Lahmheit, dieses einzugrenzen, um Schritt für Schritt zur Diagnose zu gelangen. Zuerst ist eine möglichst genaue anatomische Lokalisation des Prozesses zu erfassen. Im nächsten Schritt wird die Art der Veränderung charakterisiert. Lahmheiten können grundsätzlich durch zwei Mechanismen entstehen. In den weitaus meisten Fällen reagiert das Nervensystem auf eine pathologische Veränderung mit Schmerzen. Diese wiederum führen zu einer Schonhaltung bzw. Lahmheit. Seltener kommt es durch mechanische Beeinträchtigungen, z. B. durch eine hochgradige Arthrose, zu Einschränkungen in der Bewegung. Davon abzugrenzen sind Änderungen des Bewegungsablaufes, die durch neurologische Ausfallerscheinungen ausgelöst werden. Sie können nicht immer einfach von orthopädischen Ursachen getrennt werden. Wenn anatomische Lokalisation und die funktionelle Art der Veränderung feststehen, muss durch weitere Untersuchungsschritte die pathologisch-anatomische Ursache der Lahmheit gefunden werden. Als letzter Punkt wird versucht die Ätiologie der Erkrankung zu klären. Dies ist in vielen Fällen nicht einfach, aber für die Prognosestellung wichtig.

Nach Erlangung der orthopädischen Diagnose sollten alle patientenspezifischen Daten erfasst werden. In diesem Zusammenhang können u. a. neben dem Alter oder weiteren Erkrankungen auch der Verwendungszweck (z. B. Jagdhund) und die finanziellen Möglichkeiten des Besitzers eine wichtige Rolle spielen. So tolerieren viele Besitzer bei einem Familienhund eine geringgradige Lahmheit, während sie bei einem Gebrauchshund (z. B. Polizeihund) dazu führt, dass dieser nicht mehr im Dienst eingesetzt werden kann.

Erst jetzt kann eine abschließende Einschätzung des Patienten erfolgen. Aus dieser ergeben sich Prognose und die möglichen Therapieoptionen, die mit dem Patientenbesitzer erörtert werden müssen. Auf diese Weise wird eine optimale Versorgung des Patienten gewährleistet.

Tabelle 2.4: Lahmheitsursachen bei Hunden

Große Hunderassen, Vordergliedmaße
    Wachsendes Tier Ausgewachsenes Tier
  Schultergelenk Osteochondrosis dissecans Tendovaginitis der Bizepssehne
Ruptur/Teilruptur der Bizepssehne

Kontraktur M. infraspinatus/M. supraspinatus

Arthritis
(Arthrose)
  Humerus Panostitis
Nicht vereinigter medialer Epicondylus
Knochentumor (proximal)
Panostitis (bis 3 Jahre)
  Ellenbogengelenk Osteochondrosis dissecans

Fragmentierter Proc. coronoideus medialis ulnae

Isolierter Proc. anconaeus
Inkongruenz nach Epiphysenverletzung
Arthrose
Arthritis
Synoviale Chondrometaplasie
  Radius/Ulna Panostitis
Radius curvus/Carpus valgus
Knorpelzapfen der Ulna
Hypertrophe Osteodystrophie
Knochentumor (distaler Radius)
Hypertrophe Osteopathie
Große Hunderassen, Hintergliedmaße
    Wachsendes Tier Ausgewachsenes Tier
  Hüftgelenk Hüftdysplasie Arthrose
Femurkopfluxation
(Arthritis)
  Femur Panostitis Knochentumor (proximal/distal)
Panostitis (bis 3 Jahre)
Kontraktur M. gracilis
Kontraktur M. quadriceps
  Kniegelenk

Avulsion des M. extensor digitalis longus

Osteochondrosis dissecans
Patellaluxation (lateral/medial)
Genu valgum
Arthrose
Kreuzbandruptur/-teilruptur
Patellaluxation (lateral/medial)
Arthritis
Synoviale Chondrometaplasie
  Tibia/Fibula Avulsion der Tuberositas tibiae
Panostitis
Hypertrophe Osteodystrophie
Knochentumor (distal)
Ruptur/Tendinitis Achillessehne
Hypertrophe Osteopathie
  Tarsalgelenk Osteochondrosis dissecans (Talus)  
Kleine Hunderassen, Vordergliedmaße
    Wachsendes Tier Ausgewachsenes Tier
  Schultergelenk Kongenitale Luxation/Subluxation Luxation/Subluxation
Arthritis
(Arthrose)
  Ellenbogengelenk Isolierter Proc. anconaeus
(chondrodystrophe Rassen)
Inkongruenz
Arthrose
Arthritis
Synoviale Chondrometaplasie
  Radius/Ulna Radius curvus (Knochentumor)
Hypertrophe Osteopathie
Kleine Hunderassen, Hintergliedmaße
    Wachsendes Tier Ausgewachsenes Tier
  Hüftgelenk Hüftdysplasie Arthrose
Femurkopfluxation
(Hüftdysplasie)
(Arthritis)
  Femur Aseptische Femurkopfnekrose (Legg-Calvé-Perthes) Knochentumor (proximal/distal)
Panostitis (bis 3 Jahre)
  Kniegelenk Patellaluxation (lateral/medial) Arthrose
Kreuzbandruptur/-teilruptur
Patellaluxation (lateral/medial)
Arthritis
  Tibia/Fibula Tibiadysplasie (Knochentumor)
Hypertrophe Osteopathie

Tabelle 2.5: Lahmheitsursachen bei Katzen

Vordergliedmaße
    Wachsendes Tier Ausgewachsenes Tier
  Schultergelenk   Luxation/Subluxation
Arthritis
  Ellenbogengelenk Luxation Arthrose
Arthritis
Luxation
  Radius/Ulna (Knochentumor)  
Hintergliedmaße
    Wachsendes Tier Ausgewachsenes Tier
  Hüftgelenk Hüftdysplasie Arthrose
Femurkopfluxation
  Femur   (Knochentumor)
  Kniegelenk Patellaluxation Patellaluxation
Luxation (vollständige Disruptur)
Arthrose
Arthritis
  Tibia/Fibula   (Knochentumor)

Tabelle 2.6: Indikationen für weiterführende Diagnostik

    Diagnostisches Verfahren Untersuchtes Gewebe/Struktur Untersuchtes Gewebe/Struktur
    Hauptindikation Nebenindikation
  Röntgen – konventionell Knochen Gelenke, Knochentumoren
  Röntgen – Kontrast Gelenke  
  Ultraschall Sehnen, Muskeln, Bänder Gelenke (soweit einsehbar)
  Computertomographie Knochen Gelenke
  Kernspintomographie Alle Weichteilstrukturen (z. B. Gelenkinnenstrukturen) Tumoren
  Szintigraphie Entzündliche Prozesse Tumoren
  Laboruntersuchungen Endokrinopathien Arthritiden
  Zytologie Tumoren, entzündliche Prozesse Arthropathien
  Histologisch-pathologische
Untersuchung
Tumoren, Myopathien  
2.5.1 Anamnese

Basierend auf dem Wissen, das während der Erhebung der allgemeinen Anamnese erworben wurde, soll mit speziellen Fragen eine möglichst genaue Krankengeschichte des orthopädischen Problems des Patienten erhoben werden. Aus praktischen Erwägungen wird man natürlich nur eine Gesamtanamnese durchführen. Da einige Fragen aus dem allgemeinen Teil der Anamnese wichtige Anhaltspunkte für die orthopädische Diagnostik darstellen, seien sie hier nochmals kurz erwähnt. Es erscheint sinnvoll, insgesamt nach einem Schema vorzugehen. Wobei mit allgemeinen Fragen begonnen werden sollte, um durch zunehmend gezieltere Fragestellung das Problem einzugrenzen. Hierdurch kann bereits eine vorläufige Differentialdiagnosenliste und vor allem auch eine erste Gewichtung dieser Differentialdiagnosen erstellt werden. So wird man bei einem neunjährigen Berner Sennenhund, der nach Trauma eine Lahmheit der rechten Vordergliedmaße zeigt, eine völlig andere Reihung der wahrscheinlichen Differentialdiagnosen vornehmen als bei einem fünf Monate alten Tier der gleichen Rasse. Während bei ersterem Tier arthrotische Veränderungen des Ellenbogengelenkes oder auch ein muskuloskeletaler Tumor wahrscheinlich sind, wird man bei einem jungen, wachsenden Hund dieser Rasse als erstes an Wachstumsstörungen wie eine Osteochondrosis dissecans (OCD) des Schulteroder Ellenbogengelenkes denken. Dies darf allerdings nicht dazu führen, nur aufgrund von Signalement und Anamnese zu einer Diagnose zu gelangen. Aus der allgemeinen Anamnese stammend, sind Rasse und Größe des Tieres ebenfalls wichtige orthopädische Parameter. So finden sich bei Hunden bestimmte Erkrankungen weitaus häufiger bei großen Rassen, während andere Krankheiten hauptsächlich bei kleinen oder Toy-Rassen vorkommen (siehe Tabelle 2.4). Aber nicht nur die Größe an sich spielt eine Rolle. Bestimmte Hunde- und Katzenrassen zeigen spezifische Erkrankungen, die bedacht werden müssen. Auch das Alter des Patienten ist von großer Wichtigkeit. Junge, wachsende Tiere zeigen spezielle Erkrankungen, die bei ausgewachsenen Tieren entweder weitaus seltener oder gar nicht auftreten. So sind spezielle Frakturen (Epiphysiolysen) der Wachstumsfugen nur möglich, solange diese geöffnet sind. Während das Geschlecht bei orthopädischen Fragestellungen keine große Rolle spielt, sollte immer nach Vorerkrankungen gefragt werden. Dabei ist auch an weit zurückliegende Veränderungen des Bewegungsapparates zu denken. Außerdem können Krankheiten, die primär einem völlig anderen Organsystem zugeordnet werden, einen Einfluss auf den Stütz- und Bewegungsapparat haben.

Nach diesen allgemeinen Fragen sollte der Besitzer über das aktuelle Problem befragt werden. Zunächst wird nach der Dauer der bestehenden Lahmheit gefragt. Ist in diesem Zusammenhang ein akuter Beginn (Trauma) festzulegen? Oder entwickelte sich die Lahmheit langsam? Hierbei sollte ein möglichst enger Zeitrahmen der ersten Anzeichen festgelegt werden. In vielen Fällen wird ein Trauma (Sturz, Unfall) als Ursache genannt. Häufig sind es aber auch gerade weiter zurückliegende Ursachen (evtl. lange vor der jetzigen Lahmheit) oder ein Bagatelltrauma, das der Besitzer nicht mit der Lahmheit in Verbindung bringt. Die Art und Intensität der Probleme sollte angesprochen werden. Welche Gliedmaße ist betroffen? Wie stellt sich die Lahmheit dar? Lässt sich diese Veränderung genau beschreiben? Es kann auch nur von einem »eigenartigen« Gangbild gesprochen werden. Weiter richten sich die Fragen nach der Intensität der Probleme. Ist die Lahmheit immer gleich stark ausgeprägt oder gibt es Variationen? Ist insgesamt eine Steigerung (Progression) oder Abschwächung der Problematik zu erkennen? Inwieweit haben Belastung (z. B. Spaziergänge) oder Ruhe (z. B. nach längeren Liegephasen) eine Auswirkung auf die Lahmheit? Manchmal liegen zwischen Lahmheitsabschnitten völlig ungestörte Phasen, bzw. die Lahmheit kann zwischen verschiedenen Gliedmaßen variieren. Sind Veränderungen bei Kälte oder Wärme feststellbar? Speziell bei jungen Hunden größerer Rassen ist nach der Fütterung (Energiegehalt, Kalzium-/Phosphor-Verhältnis) zu fragen. Zeigen Geschwistertiere eine ähnliche Symptomatik? Ist bereits eine Vorbehandlung bei einem Tierarzt erfolgt?

2.5.2 Untersuchung

Durch die Anamnese ist das allgemeine Problem »Lahmheit« bereits eingegrenzt und strukturiert worden. Durch die adspektorische und palpatorische Untersuchung soll nun Schritt für Schritt die weitere Eingrenzung des Problems erfolgen um schließlich zur Diagnose zu gelangen, oder die notwendigen weiteren diagnostischen Schritte einzuleiten (z. B. Röntgen). Um hierbei eine Vergleichbarkeit eigener Untersuchungen, aber auch zu Untersuchungen von anderen Tierärzten herstellen zu können, ist eine Einteilung der verschiedenen Lahmheitsgrade notwendig. Es gibt in der Literatur eine Vielzahl verschiedener Schemata mit vielfältigen Unterteilungen. Im deutschsprachigen Raum hat sich die Einteilung in vier Lahmheitsgrade weitgehend durchgesetzt und soll hier Verwendung finden (Tabelle 2.7).

2.5.2.1 Adspektion

Ziel der adspektorischen Untersuchung ist es, durch genaue Beobachtung des Patienten im Stand und in der Bewegung wichtige Informationen zu Lokalisation und Art der Lahmheit zu erhalten. Während die Beobachtung der Bewegungsabläufe bei vielen Hunden einfach durchzuführen ist, fällt dies bei sehr kleinen Rassen und vor allem bei Katzen aufgrund der sehr schnellen Bewegungen bedeutend schwerer. Katzen widersetzen sich meist einem Führen über längere Strecken, so dass sich die Adspektion auf den Stand beschränkt. Hier hat sich die Untersuchung in einem abgesperrten ruhigen Raum bewährt, in dem sich die Katze frei bewegen kann. Bei einigen Erkrankungen kann aufgrund der typischen Lahmheit bereits eine Diagnose gestellt werden (z. B. Kontraktur des M. gracilis beim Deutschen Schäferhund). In anderen Fällen fällt selbst die Zuordnung zu einer Gliedmaße schwer. Grundsätzlich wird bei einer Lahmheit der Vordergliedmaßen der Kopf beim Auftreten auf die gesunde Gliedmaße gesenkt. Ist die Lahmheit an den Hinterextremitäten lokalisiert, wird das Gewicht ebenfalls auf die gesunde Seite verlagert. Dies ist allerdings schwieriger zu erkennen. Bestimmte Erkrankungen kommen bilateral vor. Da eine beidseitige Lahmheit nicht möglich ist, kann im ersten Augenschein gar keine Lahmheit zu erkennen sein. Bei dem Versuch, beide kontralateralen Gliedmaßen zu entlasten, wird soviel Gewicht wie möglich auf die nicht betroffenen Vorder- bzw. Hinterläufe gebracht. Der Patient wird, wenn möglich, bereits im Wartezimmer und weitergehend während der gesamten Anamneseerhebung (aus den Augenwinkeln) beobachtet. Der Hund steht in dieser Zeit nicht im Mittelpunkt des Interesses und gerade geringgradige Veränderungen/Lahmheiten, wie beispielweise die teilweise Entlastung einer Gliedmaße können hier beobachtet werden. Durch die Aufregung während der Untersuchung können diese dezenten Abweichungen überdeckt werden und sind nicht mehr sichtbar. Bei dem eigentlichen Beginn der Untersuchung sollte der Patient möglichst gleichmäßig stehen, um Abweichungen besser beurteilen zu können. Ausgehend von rassespezifischen Unterschieden werden pathologische Abweichungen vom Standard beschrieben. So kann beispielweise die Gliedmaßenstellung bei einem Teckel rassebedingt normal sein, während eine ähnliche Stellung bei einem Golden Retriever pathologisch wäre. Weiterhin muss auf Symmetrieunterschiede, auf Schwellungen oder Hypo- bzw. Atrophie geachtet werden. Eine gleichmäßige Belastung sollte vorhanden sein. Die gesamte Erscheinung des Tieres wird betrachtet, um jegliche Fehlstellungen an den Gliedmaßen zu erkennen. Liegt eine Varus- oder Valgusstellung der Gliedmaßen vor? Sind einzelne Gliedmaßenabschnitte verdreht (Torsion)? Ist hierbei eine Exo- oder Endorotation oder eher eine Supination oder eine Pronation vorherrschend? Ist eine Abduktion oder Adduktion zu erkennen? Sind einzelne Gelenke in Hyperextension oder Hyperreflexion gestellt? Die sog. Durchtrittigkeit (Hyperextension) im Bereich von Tarsal- und Karpalgelenken muss dokumentiert werden, gibt sie doch wichtige Informationen über mögliche Erkrankungen. Eine absolute Hyperextension im Tarsalgelenk kann z. B. durch eine Achillessehnenruptur verursacht werden. Steht im Gegensatz dazu das Tarsalgelenk sehr steil, kann dies eine deutliches Zeichen für eine Osteochondrosis dissecans des Talus sein.

Tabelle 2.7: Einteilung der Lahmheitsgrade (nach BRUNNBERG)

Grad I Kaum gestört, undeutlich Geringgradig
Grad II Gestört, aber stetig belastet Deutlich geringgradig
Grad III Gestört, nicht stetig belastet Mittelgradig
Grad IV Gestört, keine Belastung Hochgradig

Die Adspektion in Bewegung muss in den verschiedenen Gangarten (Schritt und Trab) durchgeführt werden. Da bei Hunden und Katzen meist gemischte Lahmheiten vorliegen, ist die Unterscheidung in Hangbein-, bzw. Stützbeinlahmheit nicht sinnvoll. Der Galopp bringt in den allermeisten Fällen keine weiteren Befunde. Die Tiere sollten allerdings in Geraden, Schlangenlinien und unterschiedlich großen Kreisen laufend beobachtet werden, wobei immer mehrere vollständige Gangzyklen notwendig sind. Ist dies aufgrund der Platzverhältnisse nicht möglich, sollte die Untersuchung im Freien durchgeführt werden, wobei darauf zu achten ist, dass der Patient nicht durch Umwelteinflüsse beeinflusst wird. Bei bestimmtem Veränderungen sind Untersuchungen auf schrägen Ebenen und Treppen sinnvoll, wobei auf einen griffigen Boden geachtet werden muss. In bestimmten Fällen kann auch eine vorherige Belastung oder Ruhe notwendig erscheinen (z. B. wenn die Untersuchung keine Abweichungen erkennen lässt und diese nur nach stärkerer Belastung auftreten).

2.5.2.2 Palpation

Die palpatorische Untersuchung gliedert sich in drei Abschnitte. Zunächst erfolgt eine oberflächliche Untersuchung. Diese beginnt an der Wirbelsäule und wird an den Gliedmaßen jeweils von proximal nach distal fortgeführt. Im zweiten bzw. dritten Teil werden die einzelnen Gliedmaßenabschnitte genauer untersucht. Hierbei unterscheidet man zwischen der Untersuchung einzelner Gelenke im Stand und der Begutachtung der Gliedmaßen im Liegen, die von distal nach proximal ausgeführt wird. Alle Untersuchungen werden im Seitenvergleich durchgeführt. Es wird jeweils mit der scheinbar gesunden Seite begonnen.

Angemerkt sei, dass vor jeglicher Manipulation der Tiere auf den Schutz von Untersucher und Hilfskräften zu achten ist. Der Tierarzt ist nicht nur für sich, sondern auch für alle weiteren an der Untersuchung beteiligten Personen verantwortlich. Da orthopädische Probleme häufig sehr schmerzhaft sind und gerade diese Schmerzen durch die Untersuchung ausgelöst werden sollen, kann es zu starken Abwehrreaktionen durch den Patienten kommen. Auch Patienten, die sonst problemlos sind, können in derartigen Situationen zubeißen. Das Anlegen eines Maulkorbes oder sonstige Zwangsmaßnahmen erscheinen angeraten (siehe Kapitel 2.3).

1. Teil: Oberflächliche Palpation

Begonnen wird die oberflächlichen Palpation am stehenden Tier im Bereich des Rumpfes. Die Hände liegen auf der Haut und bewegen sich vorsichtig über die einzelnen Bereiche nach distal. Hierbei hat es sich bewährt, beide Hinter-, bzw. Vordergliedmaßen synchron zu untersuchen. Man achtet auf Schwellungen, Muskelveränderungen (Hypo-, Hyper-, Atrophie) vermehrte Wärme oder Kälte, Dolenz und Gelenkschwellungen. Bei diesem Teil der Untersuchung sollte eine weitergehende »festere« Palpation der Strukturen insbesondere mit Bewegung der Gelenke unterbleiben. Die tastbaren Knochenpunkte werden im Seitenvergleich gefühlt und etwaige Unterschiede beurteilt.

Für die Untersuchung der Hintergliedmaßen steht der Untersucher hinter dem Patienten. Man beginnt am Becken mit dem Darmbeinkamm bzw. den Tuber coxae und dem Sitzbeinhöcker sowie den beiden Trochanter majores. Im Bereich des Oberschenkels wird vor allem die Muskulatur überprüft. Hierbei ist kranial und lateral besonders der M. quadriceps wichtig, kaudal ist an den M. semitendinosus und medial ist an den M. gracilis und den M. pectineus zu denken. Im distalen Abschnitt ist die Metaphyse des Femurknochens zu palpieren. Das Kniegelenk ist auf Schwellung und Wärme, sowie mögliche Osteophytensäume im Bereich der Rollkämme zu untersuchen. Weiterhin werden die Patella, die beiden Femurkondylen und die Tuberositas tibiae ertastet und im Seitenvergleich der Abstand zwischen Tuberositas und Patella gemessen. Der Sitz der Patella zwischen den Rollkämmen ist zu überprüfen, um eine Patellaluxation nach lateral oder medial erkennen. Hierbei sollte man sich grundsätzlich ein Schema angewöhnen und von der Patellarsehne ausgehend zur Patella hinfühlen. Eine sehr kleine, hypoplastische Patella kann sonst sehr schwierig zu tasten sein. Im Verlauf des Unterschenkels ist die Tibia medial in ihrem gesamten Verlauf fühlbar. Ausgehend von den beiden Kondylen werden die Tibia und die Fibula bis zum Malleolus medialis, bzw. die Fibula am Malleolus lateralis beurteilt. Bei der Beurteilung der Weichteile wird ein besonderes Augenmerk auf die Spannung der Achillessehne gelegt, wobei auf guten Stand des Beines zu achten ist. Am Sprunggelenk sind der Fersenbeinhöcker, die Seitenbänder und dorsal auch der Füllungszustand des Tarsalgelenkes zu beurteilen. Im Bereich der Zehen wird auf Zubildungen und Dolenz, sowie auf Schwellung der Zehengelenke geachtet.

An der Vordergliedmaße steht der Untersucher vor dem Patienten. In einigen Fällen kann aber ein Teil der Untersuchung auch über dem Rücken des Tieres stehend durchgeführt werden. Es wird, wieder im Seitenvergleich, im Bereich des Schultergürtels begonnen. Die dorsale Begrenzung der Skapula, die Spina scapulae und das Akromion werden begutachtet. Bei der Muskulatur sind besonders der M. infraspinatus und der M. supraspinatus von Bedeutung, da sie verändert sein können (Kontraktur, Tendinose). Sie sollten über den gesamten Bereich abgetastet werden. Beurteilt werden die Lage der Skapula und die Entfernung zwischen Akromion und Tuberculum majus. Im Bereich des Oberarmes werden die tastbaren Knochenvorsprünge (Tuberculum majus und minus mit Sulcus intertubercularis) des Humerus palpiert. Sowohl der M. biceps humeri als auch der M. triceps humeri müssen ertastet werden. Am Ellenbogengelenk werden sowohl der Epicondylus lateralis und medialis, als auch das Olekranon palpiert. Weiterhin sollte medial der Proc. coronoideus medialis der Ulna auf Schmerzhaftigkeit überprüft werden. Die Füllung des Gelenkes kann lateral und medial im Bereich des M. anconaeus eruiert werden und sollte von einer periartikulären Schwellung unterschieden werden. Vom Olekranon ausgehend wird die Ulna kaudal in ihrem Verlauf verfolgt. Der Radius kann aufgrund der aufliegenden Muskulatur im proximalen Teil erst ab der mittleren Diaphyse palpiert werden. Distal werden die Procc. styloidei ertastet. Das Karpalgelenk wird auf vermehrte Füllung untersucht. Gut fühlbar ist das Os carpi accesorium, an dem der M. flexor carpi ulnaris ansetzt. Die Metakarpalknochen werden in ihrem Verlauf palpiert, weiterhin wird auf die physiologische Krümmung der einzelnen Phalangen und der Krallen geachtet. An den Krallen sollten das Krallenbett und das Aussehen sowie die Krallenlänge erkundet werden. Die Krallen sollten den Boden nicht berühren.

2. Teil: Gelenkpalpation am stehenden Tier

Bevor nun die genaue Palpation der Gliedmaßen im Liegen erfolgt, werden die einzelnen Gelenke im Stehen bewegt. Hierzu wird jedes Gelenk gebeugt, gestreckt, ab- und adduziert, sowie in Pronation und Supination untersucht. Da gerade der weitergehende Schritt der Palpation im Liegen für manche Hunde einen großen Stressfaktor darstellt, können sie verkrampfen oder durch ausgelöste Schmerzen verspannen. Dies kann gerade bei größeren kräftigen Hunden weitergehende Untersuchungen an Gelenken (z. B. Schubladenphänomen) erschweren bzw. unmöglich machen. Bei Verdacht ist es deshalb sinnvoll, die für die Untersuchung im Liegen beschriebenen Provokationstests bereits im Stand durchzuführen. Um aussagekräftige Ergebnisse über die einzelnen Gelenke zu erhalten, müssen die angrenzenden Gelenke und andere Strukturen wie Muskeln und Knochen möglichst vorsichtig behandelt werden. So kann bei vorliegender Panostitis eine Gelenkpalpation hochgradigen Schmerz vortäuschen, obwohl nicht das Gelenk schmerzhaft ist, sondern der distal oder proximal gelegene Knochen.

Hintergliedmaße

Der Untersucher steht hinter bzw. neben dem Patienten. Während die eine Hand auf der kaudalen Wirbelsäule bzw. dem Darmbeinkamm liegt und ein Daumen dabei den Trochanter major fühlt, wird die Gliedmaße im Bereich des Kniegelenkes mit der zweiten Hand gehalten und das Hüftgelenk damit nach kranial gebeugt bzw. nach kaudal gestreckt. Weiterhin erfolgt eine Ab- und Adduktion des gesamten Beines. Es ist wichtig, hierbei keinen Druck dorsal auf den lumbosakralen Übergang auszuüben um keinen Schmerz auszulösen (lumbosakrale Stenose). Um das Kniegelenk zu beugen und zu strecken, werden sowohl der Ober- als auch der Unterschenkel von lateral umfasst und das Gelenk jeweils in Beugung und Streckung gebracht. Als nächstes wird mit dem Zeigefinger der rechten Hand, wie bereits beschrieben, von distal über die Patellarsehne die Patella aufgesucht. Der Finger wird auf der Patella belassen und das Bein mehrmals gebeugt und gestreckt. Hierbei wird darauf geachtet, ob die Patella zwischen den Rollkämmen verbleibt oder luxiert. Kommt es bereits durch die Beugung bzw. Streckung zu einer spontanen Luxation der Patella, oder war die Patella bereits luxiert, ist mindestens der Luxationsgrad III vorhanden (Tabelle 2.8). Wenn der Patient durch diese Manipulationen abgelenkt ist, kann man die Provokationstests für die Stabilität der Kreuzbänder anschließen. Diese werden ausführlich weiter unten beschrieben. Für die Manipulation des Tarsalgelenkes umfasst der Untersucher mit einer Hand den Unterschenkel von innen und hebt die Gliedmaße vom Untergrund ab. Mit der zweiten Hand wird der Fuß distal des Sprunggelenkes gefasst und wiederum gebeugt und gestreckt. Es erfolgt eine erste Ab- und Adduktion des Gelenkes. Für die Beugung und Streckung der Zehengelenke greift eine Hand den Metatarsus und hebt die Gliedmaße hoch, während mit der zweiten Hand die einzelnen Gelenke manipuliert werden.

Vordergliedmaße

Für diese Untersuchung steht der Untersucher vor dem Patienten (außer Schultergelenk), wobei aufgrund möglicher Abwehrreaktionen des Patienten dieser unbedingt gut fixiert sein muss.

Wie bei der neurologischen Untersuchung ist es auch bei Lahmheiten sinnvoll, mit der Untersuchung der Halswirbelsäule zu beginnen. Hierbei wird der Kopf vorsichtig überstreckt, gebeugt und nach beiden Seiten gedreht. Kommt es durch diese Manipulation zu Schmerzäußerungen, müssen weitergehende Untersuchungen (z. B. Röntgen) durchgeführt werden. Für die Untersuchung des Schultergelenkes wird das Schulterblatt mit einer Hand von dorsal fixiert. Die andere Hand fasst den Oberam von kranial und beugt das Schultergelenk durch Druck auf den Oberarm nach kaudal. Für die Streckung hält eine Hand von kranial das Schultergelenk während die zweite Hand im Bereich des Ellenbogengelenkes durch Zug nach kranial die Extension des Schultergelenkes auslöst. Aufgrund des sowohl Schulter- als auch Ellenbogengelenk überspringenden M. biceps brachii wird hierbei immer auch das Ellenbogengelenk manipuliert (gestreckt). Für die Untersuchung des Schultergelenkes kann der Untersucher auch über dem Rücken des Patienten stehen, dann werden die gleichen Untersuchungen seitenverkehrt durchgeführt. Nun kann ein Provokationstest für die Ruptur der Bizepssehne durchgeführt werden (Abb. 2.6). Hierfür wird die Gliedmaße von lateral am Unterarm umfasst und bei gestrecktem Ellenbogengelenk das Schultergelenk gebeugt. Als positiv (Bizepssehnenruptur) wird der Test bewertet, wenn bei vollständig gebeugtem Schultergelenk das Ellenbogengelenk vollständig gestreckt werden kann. Zur Prüfung des Ellenbogengelenkes steht der Untersucher seitlich versetzt vor dem Patienten. Für die Flexion fasst eine Hand das Ellenbogengelenk von kaudal, während die andere Hand proximal des Karpalgelenkes das Bein anhebt und damit das Ellenbogengelenk beugt. Für die Extension verbleiben die Hände in dieser Stellung und strecken das Gelenk. Nun wird das Gelenk ab- und adduziert. Bei leicht gebeugtem Gelenk wird dieses mit einer Hand umfasst, wobei leichter Druck im Bereich des Proc. coronoideus medialis ulnae ausgeübt wird. Jetzt wird das Gelenk aus- und einwärts rotiert. Schmerzen bei der Auswärtsrotation deuten auf Veränderungen des Proc. anconaeus hin, während Dolenz bei Einwärtsrotation auf Probleme des Proc. coronoideus medialis ulnae hinweisen. Die Untersuchung des Karpalgelenkes wird von der Seite durchgeführt. Hierbei wird die Gliedmaße sowohl über als auch unter dem Gelenk gefasst und gebeugt bzw. gestreckt. Da eine zu starke Beugung immer schmerzhaft ist, muss darauf geachtet werden, dies durch ein bis zwei Finger in der Beugefläche zu unterbinden. Die Untersuchung der Zehengelenke erfolgt analog der Hintergliedmaße.

Tabelle 2.8: Einteilung Patellaluxation (nach KOCH, 1998)

Luxationsgrad Position der Patella Luxation der Patella nach medial/lateral auslösbar Reposition der Patella
Keine Patellaluxation In der Trochlea Nicht möglich reitend  
1 In der Trochlea Durch Manipulation möglich (Fingerdruck) Spontane Reposition
2 In der Trochlea Durch Manipulation möglich (Fingerdruck) Reposition nur durch
Manipulation (Rotation, Beugung/Streckung)
3 Immer oder zeitweise außerhalb der
Trochlea
Bereits luxiert oder zeitweise luxiert Reposition durch
Manipulation
(Fingerdruck)
4 Immer außerhalb der Trochlea Immer luxiert Keine Reposition möglich
image

Abb. 2.6: Bizepstest.

3. Teil: Tiefe Palpation am liegenden Tier

Nachdem der Patient im Stand untersucht wurde, erfolgt die weitere Untersuchung im Liegen. Es sollten auch hier wieder beide Gliedmaßen im Vergleich geprüft werden.

Die Untersuchung wird von distal nach proximal durchgeführt. Es müssen alle Weichteil- und Knochenstrukturen palpiert werden. Weiterhin sollten alle Gelenke nochmals in den unterschiedlichen Stellungen untersucht werden. Die einzelnen Schritte werden mit ansteigender Intensität durchgeführt. Auch hier muss auf die Verhältnismäßigkeit der ausgeübten Kraft geachtet werden (z. B. kann bei einem kleinen Hund während der Untersuchung der Patella iatrogen eine Luxation ausgelöst werden). Eine angemessene Fixation des Patienten ist unbedingt notwendig, da es bei der Manipulation zu Schmerz kommen kann. Um Abwehrreaktionen weitgehend zu unterbinden, wird der Patient auf dem Untersuchungstisch in Seitenlage verbracht. Die zu untersuchende Gliedmaße liegt oben. Der Helfer fixiert den Patienten, indem er mit einer Hand die Vordergliedmaße unterhalb des Ellenbogengelenkes fasst und mit der zweiten Hand den Hinterlauf unterhalb des Kniegelenkes hält. Bei größeren Tieren kann weiterhin durch die Arme etwas Druck auf den Körper aufgebracht werden, um eine ausreichende Fixation zu erreichen. In einigen Fällen muss der Kopf zusätzlich von einem zweiten Helfer gehalten werden.

Vordergliedmaße

An jeder Zehe werden die Sohlenballen, die Krallen, die Krallenhaut sowie die Zwischenzehenbereiche untersucht. Die Spannung der Beugesehnen im Phalangealbereich wird an den einzelnen Zehen und im Verbund überprüft. Dazu fasst der Untersucher mit der einen Hand den Metakarpus von lateral, während die andere Hand durch Druck auf den Mittelballen die Gelenke überstreckt. An jeder Kralle werden die Form, der Abnutzungsgrad, der Stand und der feste Sitz überprüft. An jedem Ballen wird die Integrität der Oberfläche kontrolliert. Auch bei intakter Oberfläche sollten durch Druck die Schmerzhaftigkeit (z. B. durch Fremdkörper) untersucht werden. Das Krallenbett der einzelnen Zehen wird auf Veränderungen überprüft (z. B. Mykosen, Tumoren). Durch Palpation der einzelnen Phalangen wird die Unversehrtheit der Knochen untersucht (Frakturen). Die kleinen Zwischenzehengelenke werden in den verschiedenen Stellungen (Beugung, Streckung, Abund Adduktion) getestet (z. B. kommt es durch die Überbelastung bei Rennhunden nicht selten zu Seitenbandinstabilitäten). Bei Veränderungen an den proximalen Sesambeinen können Schmerzen ausgelöst werden. Hierzu fasst eine Hand die Phalanx III und überstreckt die Zehe, während mit der anderen Hand Druck auf den Bereich der Sesambeine ausgeübt wird.

Die Mittelhandknochen werden abgetastet. Es wird zusätzlich auf Schwellungen und Krepitation geachtet.

Für die Untersuchung des Karpalgelenkes werden zuerst die einzelnen Knochen soweit möglich ertastet, es wird auf Schwellung, Dislokation einzelner Knochen, Schmerzen und Krepitation geachtet. Dann wird, wie bereits beschrieben, der Unterarm von einer Hand fixiert, während die andere Hand das Gelenk beugt und streckt. Bei der Beugung muss vorsichtig vorgegangen werden, da eine Überbeugung auch ohne pathologische Befunde Schmerzen auslöst. Weiterhin wird das Gelenk ab- und adduziert, um Läsionen der Kollateralbänder zu erkennen. Bei Verdacht auf eine Seitenbandläsion sollte diese Untersuchung in Narkose wiederholt und weitergehende Untersuchungen angeschlossen werden (z. B. gehaltene Röntgenaufnahmen).

Der gesamte Bereich von Radius- und Ulnaknochen wird zusammen mit dem Weichteilmantel untersucht. Es ist auf Achsenabweichungen, Umfangsvermehrungen, Schmerzhaftigkeiten sowie Krepitation zu achten. Bei großen Hunderassen sollten besonders die metaphysären Bereiche untersucht werden. Bei jungen Hunden ist dabei an Skelettentwicklungsstörungen zu denken, bei älteren Tieren stellen sie Prädilektionsstellen für Knochentumoren dar.

Am Ellenbogengelenk wird auf eine Gelenkschwellung geachtet. Dann werden die Knochenpunkte (Epicondylus lateralis und medialis, Tuber olecrani) palpiert. Sie sollten bei mäßig gebeugtem Gelenk in einer Ebene liegen. Bei Dislokation spricht dies für eine Fraktur, meist im Bereich des Condylus humeri, oder für eine Luxation. Anschließend wird das Gelenk in den verschiedenen Ebenen bewegt (Beugung, Streckung, Ab- und Adduktion). Weiterhin sollte gerade bei jungen Hunden mit dem Daumen bei Streckung Druck auf den Proc. anconaeus gebracht werden. Bei Dolenz ist dies ein Zeichen für einen nicht vereinigten bzw. isolierten Proc. anconaeus (IPA). Zur Prüfung der medialen Strukturen des Gelenkes (Proc. coronoideus, Trochlea humeri) wird die Gliedmaße im Karpalgelenk um 90° gebeugt und die Pfote supiniert. Der Daumen der anderen Hand liegt unmittelbar distal des Epicondylus medialis. Wenn die Gliedmaße anschließend im Ellenbogengelenk gebeugt wird, ist der Proc. coronoideus medialis ulnae und die Gelenkfläche der Trochlea humeri maximal belastet. Sind diese Manipulationen schmerzhaft, deutet dies auf einen fragmentierten Proc. coronoideus (FPC) oder auf eine Osteochondrosis dissecans der Trochlea (OCD) hin. Es sind weitergehende bildgebende Untersuchungen notwendig, um diese klinischen Befunde zu sichern (z. B. Röntgen, CT, Arthroskopie). Bewegungseinschränkungen weisen bei älteren Hunden häufig auf eine Arthrose hin.

Der Oberarm ist im Bereich des Kondylus und der distalen Metaphyse sowie kranial im proximalen Drittel palpierbar. Diese Bereiche sollten ertastet werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf die proximale Metaphyse gelegt wird (Prädilektionsstelle für Knochentumoren). Alle Muskeln werden abgetastet. Am Schultergelenk achtet man auf Schwellungen oder Schmerzäußerungen. Die tastbaren Knochenpunkte von Schulterblatt und Humerus (Tuberculum majus, Akromion) werden palpiert. Sind diese in ihrer Lage verändert, besteht der Verdacht auf eine Luxatio humeri. Die Luxation ist in alle vier Richtungen (kranial, kaudal, lateral, medial) möglich und kann fast schmerzlos sein. In diesen Fällen ist nur eine geringgradige Lahmheit zu erkennen. Wie bei jeder Luxation wird die Richtung der Luxation durch den distalen luxierten Anteil beschrieben. Anschließend wird das Schultergelenk gebeugt und gestreckt, sowie abund adduziert. Für die Streckung fasst eine Hand den Oberarm im distalen Drittel von kaudal, die andere liegt kranial auf der Skapula. Ist die Überstreckung schmerzhaft, kann dies durch eine Osteochondrose des Caput humeri bedingt sein. Es folgt die Flexion des Gelenkes. Dazu fixiert eine Hand die Skapula. Die andere Hand fasst den Unteram von lateral und schiebt in nach kaudodorsal. Bei schmerzhafter Hyperflexion ist eine Veränderung der Bizepssehne möglich. Dabei steht an erster Stelle die Tendinitis bzw. Tendovaginitis, gefolgt von der partiellen und vollständigen Ruptur der Bizepssehne, häufig liegt auch eine Kombination vor. Die Luxation der Bizepssehne ist sehr selten und durch eine nur geringe Hyperflexion gekennzeichnet. Bei der vollständigen Bizepssehnenruptur kann das Bein, wie bereits beschrieben, vollständig überbeugt werden, wobei keine oder nur geringe Dolenz vorhanden ist. Bei Vorliegen einer Tendinitis ist der Druck auf die Bizepssehne medial des Tuberculum majus schmerzhaft, während bei der Luxation das Wegschnippen der Sehne in der Beugung, bzw. das Zurückgleiten bei Streckung gefühlt werden kann.

Für die Untersuchung des Schulterblattes werden zunächst die Konturen (Spina scapulae, Cartilago scapulae) sowie die Muskulatur (M. infraspinatus, M. supraspinatus) des Schulterblattes beurteilt. In der Achselhöhle wird die Pektoralismuskulatur ertastet. Etwaige Umfangsvermehrungen oder Schmerzhaftigkeiten in diesem Bereich können auf eine Neoplasie des Plexus brachialis oder vergrößerte Lymphknoten hinweisen. Bei Vorliegen einer Kontraktur des M. infraspinatus ist das passive Beugen nicht mehr möglich und der Muskel erscheint sehr hart. Auffällig ist die Haltung der Gliedmaße, die nach außen rotiert erscheint. Kann im Verlauf der Spina scapulae eine Beweglichkeit und Krepitation ertastet werden, muss an eine Fraktur gedacht werden. Frakturen der Skapula sind bisweilen klinisch nicht einfach nachweisbar und die Tiere zeigen häufig nur geringgradige Lahmheiten. Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen sichern die Diagnose. Dorsal an der Skapula wird die Schultergürtelmuskulatur palpiert. Hier kann es nach Trauma zu Rupturen kommen (z. B. M. serratus ventralis). Dies zeigt sich an einem sog. Schulterblatthochstand (Luxatio scapulae).

Hintergliedmaße

Auch an der Hintergliedmaße wird distal bei den Zehen begonnen. Dies erfolgt analog der Vorgehensweise an den Vordergliedmaßen. Bei vielen Hunden ist die erste Zehe nicht vorhanden. Andererseits ist sie bei einigen Rassen doppelt ausgebildet und zählt zum Rassenstandard (z. B. Hirtenhunde). Nach der Untersuchung der Mittelfußknochen wird das Tarsalgelenk im Bereich der Gelenkaussackungen dorsomedial bzw. dorsolateral auf seinen Füllungszustand überprüft. Anschließend wird die Gliedmaße im Sprunggelenk gebeugt und gestreckt. Dazu fasst eine Hand die Pfote an den Metatarsalknochen, die andere Hand greift um den Unterschenkel. Es wird auf Krepitation, Schmerzhaftigkeit und auffällige Hyperextension bzw. Hyperflexion geachtet. Beim Vorliegen solcher Veränderungen müssen die einzelnen Knochenreihen separat untersucht werden, um eine genauerer Zuordnung der Verletzung zu ermöglichen. Die Kollateralbänder sind am Tarsalgelenk medial und lateral doppelt ausgebildet. Die langen Seitenbänder werden in Streck-, die kurzen Seitenbänder in Beugestellung geprüft. Für die Untersuchung der Stabilität der Seitenbänder wird das Gelenk adduziert (laterale Seitenbänder) und abduziert (mediale Seitenbänder). Diese Stressuntersuchungen sind bei frischen Läsionen sehr schmerzhaft und sollten ggf. in Narkose durchgeführt werden. Hierbei müssen gehaltene Röntgenaufnahmen (in größtmöglicher Öffnung des Gelenkes) angefertigt werden. Die am Kalkaneus inserierende Achillessehne wird auf Schwellungen, Dellen, Schmerzhaftigkeit und Spannung geprüft. Die größte Spannung sollte bei gebeugtem Knie- und gestrecktem Sprunggelenk vorliegen. Aufgrund des wenig ausgeprägten Weichteilmantels lässt sich die Tibia medial vollständig, die Fibula nur distal (Malleolus lateralis) und proximal (Caput fibulae) palpieren. Es wird wieder auf Dolenz, Krepitation und Schwellungen geachtet.

Die Untersuchung des Kniegelenkes beginnt mit dem Aufsuchen der tastbaren Knochenpunkte und ihrer Lage im Seitenvergleich. Palpiert werden die Tuberositas tibiae, lateraler und medialer Kondylus von Tibia und Femur sowie die Patella. Die Patella wird ausgehend von der Tuberositas tibiae über das gerade Kniescheibenband aufgesucht. Es wird auf eine vermehrte Gelenkfüllung, die besonders lateral und medial des Ligamentum patellae nachzuweisen ist, geachtet (undeutliche Konturen), sowie auf Dolenz und Krepitation. Lateral wird der Ansatzes des langen Zehenstreckers palpiert. Es folgt die Beugung und Streckung des Gelenkes. Die Untersuchung der Stabilität der einzelnen Bandstrukturen schließt sich an. Für die Prüfung der Seitenbänder wird die Gliedmaße im Kniegelenk gestreckt. Der Oberschenkel wird mit einer Hand fixiert, der Unterschenkel mit der anderen und das Gelenk wird adduziert (laterales Seitenband) bzw. abduziert (mediales Seitenband). Anschließend werden die Kreuzbänder untersucht. Die isolierte Ruptur des kranialen Kreuzbandes ist die häufigste orthopädische Erkrankung des Hundes. Bei Katzen kommt es dagegen i. d. R. zu traumatisch bedingten vollständigen Zerstörungen aller Kniegelenksbänder (Kreuz- und Seitenbänder). Die Diagnostik eines Kreuzbandrisses erfolgt klinisch mit Hilfe der Provokationstests (Schubladenphänomen, Tibiakompression).

Aufgrund des häufig degenerativen Charakters einer Ruptur kommt es erst zu partiellen Zerreißungen und die Provokationstests können zunächst negativ sein. Hier helfen sekundäre Merkmale (z. B. Schwellung des Kniegelenkes in Kombination mit Dolenz), den Verdacht auf einen Kreuzbandschaden zu äußern. Andere Erkrankungen des Kniegelenkes, wie Patellaluxation, Seitenbandläsionen oder die Avulsion des langen Zehenstreckers, müssen klinisch ausgeschlossen werden. Weitere Erkenntnisse liefern Röntgenaufnahmen (z. B. Gelenkerguss, Arthrose). In schwierigen Fällen ist die sichere Diagnose aller pathologischen Knieinnenläsionen (Kreuzbänder, Menisken, etc.), wie in der Humanmedizin üblich, durch eine Kernspintomographie (Magnetresonanztomographie, MRT) zu stellen.

Zur Auslösung des Schubladenphänomens (Abb. 2.7) werden mit Daumen und Mittelfinger einer Hand die beiden Femurkondylen gehalten, während der Zeigefinger auf der Patella ruht. Daumen und Mittelfinger der anderen Hand halten die beiden Kondylen der Tibia, während hier der Zeigefinger auf der Tuberositas tibiae liegt. Bei mäßig gebeugtem Gelenk wird nun versucht, die Tibia nach kranial zu verschieben. Gelingt der Provokationstest, ist von einer Ruptur des vorderen Kreuzbandes auszugehen. In den seltenen Fällen der Ruptur des hinteren Kreuzbandes lässt sich dieser Test besser bei stärker gebeugtem Gelenk durchführen. Die Unterschiede können marginal sein und sind daher selbst für den geübten Untersucher schwierig zu erkennen. Zu beachten ist, dass junge Hunde häufig noch ein relativ bewegliches Gelenk mit einem vermeintlich positiven Schubladenphänomen zeigen können. Bei großen kräftigen bzw. sehr verspannten Hunden kann der Test Probleme bereiten. Hier kann sowohl der Oberschenkel als auch der Unterschenkel mit der ganzen Hand gefasst werden. Gerade bei diesen Tieren bietet es sich an, die Hebelwirkung zu nutzen und einen anderen Provokationstest durchzuführen. Für den Tibiakompressionstest (Abb. 2.8) werden, bei leicht gebeugtem Kniegelenk und gestrecktem Tarsalgelenk, mit einer Hand die Femurkondylen gefasst. Der Zeigefinger gleitet über die Patella und das gerade Kniescheibenband auf die Tuberositas tibiae und bleibt hier locker liegen. Mit der anderen Hand wird das Bein im Bereich des Metatarsus gefasst und die Gliedmaße im Tarsalgelenk gebeugt. Bei Vorliegen eines Kreuzbandrisses gleitet die Tibia nach kranial, dies kann mit dem Zeigefinger gut kontrolliert werden.

Die Untersuchung der Patella bzw. auf Patellaluxation (Abb. 2.9, 2.10) schließt sich an. Diese Untersuchung ist auch Teil der Zuchtuntersuchung auf Patellaluxation (Tabelle 2.8). Die Patella wird über das gerade Kniescheibenband aufgesucht und der Sitz wird geprüft. Nun wird mit dem Daumen nach lateral bzw. medial gerichteter Druck auf die Patella ausgeübt. Anschließend wird die Gliedmaße bei gestrecktem und gebeugtem Kniegelenk exo- und endorotiert. Hierzu bleibt eine Hand auf dem Kniegelenk liegen mit dem Zeigefinger auf der Patella, während die andere Hand bei gebeugtem Tarsalgelenk den Mittelfuß fasst und diesen einwärts oder auswärts rotiert. Eine mediale Luxation ist leichter bei gestrecktem Hüftgelenk und Endorotation der Tibia auslösbar, während die laterale Luxation bei gebeugtem Hüftgelenk und Exorotation der Tibia herbeigeführt werden kann. In der Zuchtuntersuchung wird der Hund zusätzlich auf den Rücken gelegt. Hüft-, Knie- und Tarsalgelenk werden in einen 90°-Winkel verbracht. Die beiden Tarsalgelenke werden gefasst und die Stabilität des Kniegelenkes in Innen- und Außenrotation überprüft. Der Oberschenkel ist im Bereich der Femurkondylen und des Trochanter major gut palpierbar. Bei weniger bemuskelten Hunden kann der Knochen auch weitergehend lateral und medial im Bereich der distalen Metaphyse ertastet werden. Sonst ist der Oberschenkel von kräftiger Muskulatur umgeben, die klinisch untersucht wird. Der Knochen wird auf Dolenz, Krepitation und Schwellung untersucht, während die Muskulatur auf Dolenz, Schwellung, Dellen oder Verhärtungen geprüft wird (z. B. Kontraktur des M. quadriceps oder die Kontraktur des M. gracilis).

Bei der Untersuchung des Hüftgelenkes werden zunächst die tastbaren Knochenpunkte (Trochanter major des Femur, Sitzbeinhöcker, Darmbeinkamm bzw. Darmbeinhöcker) aufgesucht. Die Gliedmaße wird im Hüftgelenk gebeugt und gestreckt. Sie wird einwärts- und auswärts rotiert. Hierbei sollte eine Hand auf dem Gelenk ruhen, um dieses auf Krepitation zu prüfen. Durch Ad- und Abduktion ist der Sitz des Oberschenkelkopfes im Acetabulum zu untersuchen. In Rückenlage wird die Länge der Gliedmaßen im Seitenvergleich beurteilt. Erscheint die Gliedmaße verkürzt und ist der Trochanter im Seitenvergleich höher, kann eine Luxation nach dorsal (meist kraniodorsal) vorliegen. Differentialdiagnostisch ist in diesen Fällen an eine Fraktur des Acetabulum zu denken. Im Gegensatz hierzu ist bei der ventralen Luxation ein Trochantertiefstand und eine scheinbare Verlängerung der Gliedmaße auffällig. Zur Untersuchung auf Hüftdysplasie (HD) kann der Sitz des Oberschenkelkopfes in der Pfanne auf verschiedene Weise überprüft werden. Eine erste orientierende Untersuchung ergibt die Beugung/Streckung bzw. Ab- und Adduktion. Tritt hierbei Schmerz auf, sollten genauere Untersuchungen in Narkose durchgeführt werden. Für die Untersuchung nach ORTOLANI (Abb. 2.11a, b) wird der Oberschenkel im rechten Winkel zur Wirbelsäule gehalten und die Gliedmaße im Kniegelenk um 90° gebeugt. Nun wird der Oberschenkel umfasst und in Femurlängsachse in Richtung Hüfte gedrückt. Wenn der Femurkopf hierbei luxiert oder subluxiert, ist von einer vermehrten Laxizität des Hüftgelenkes und damit einer Dysplasie auszugehen. Bei bestehender Luxation/Subluxation kommt es anschließend durch das Zurückgleiten des Kopfes zu einem typischen Klicken (ORTOLANI-Klick). Eine weitere Methode, um die Laxizität des Hüftgelenkes zu messen, ist die Palpation nach BARDENS. Hierbei wird der Daumen einer Hand auf den Sitzbeinhöcker gelegt, der Mittelfinger ruht auf dem Darmbeinkamm und der Zeigefinger liegt auf dem Trochanter major. Mit der zweiten Hand wird die Gliedmaße nach lateral gezogen um den Femurkopf aus dem Acetabulum zu ziehen. Anhand des Zeigefingers kann der Abstand und damit die Laxizität des Gelenkes gemessen werden. Beide Methoden eignen sich nur gut für junge Hunde, da durch die einsetzende Fibrosierung bei erwachsenen Hunden das Hüftgelenk trotz Dysplasie fest erscheint. Bei älteren Tieren wird auf die Arthrosezeichen wie mechanische Bewegungseinschränkung und Schmerz geachtet. Medial am Hüftgelenk wird der M. pectineus überprüft. Bei dysplastischen Hüftgelenken kommt es zur Verhärtung des Muskels. Im Rahmen der Untersuchung des knöchernen Beckens werden Darm-, Sitz- und Hüftbeinhöcker beiderseits ertastet. Die Muskulatur dorsal und ventral im Inguinalspalt wird auf Veränderungen untersucht. Zum Schluss wird eine rektale Untersuchung durchgeführt, bei der dorsal und lateral der Beckenring abgetastet wird um Schmerzhaftigkeiten und Zubildungen zu erkennen. Besonders am Übergang des letzten Lendenwirbels zum Kreuzbein ist auf Veränderungen zu achten.

Nachdem alle klinischen Befunde vorliegen, kann entweder bereits eine Diagnose gestellt werden oder es werden die notwendigen Zusatzuntersuchungen eingeleitet.

Literatur

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2.6 Klinisch-neurologischer Untersuchungsgang
M. Kornberg

Die Untersuchung von Kleintieren mit neurologischen Symptomen sollte mit einer genauen Anamneseerhebung und Allgemeinuntersuchung beginnen. Die Anamneseerhebung dient vor allem dazu, Beginn und Verlauf sowie weitere Zusammenhänge der Krankheit zu klären und sie dann als neurologisch bedingt zu lokalisieren. Neurologische Störungen sind oft Folge einer Allgemeinerkrankung, weshalb die Allgemeinuntersuchung gewissenhaft durchgeführt werden sollte. Für eine schnelle und korrekte Untersuchung empfiehlt sich ein neurologisches Untersuchungsprotokoll (siehe S. 37).

2.6.1 Neurologischer Untersuchungsgang
2.6.1.1 Bewusstsein

Funktion: Aufmerksamkeit, Kontakt zwischen Lebewesen und Umwelt, Wachzustand.

Anatomie: Zusammenspiel zwischen Hirnstamm, der Formatio reticularis und dem zerebralen Kortex. Sensorische Signale des Körpers und der Umwelt wie Schmerz, Berührung, Geruch etc. werden über die Formatio reticularis auf den Kortex projiziert.

Testverfahren:

Beobachtung des Patienten

Akustische oder taktile Stimuli

Schmerzreize

Normal: Normaler Wachheitszustand und normale Reaktionen.

Abnormal: Apathie: Vermindertes Interesse an der Umgebung.

Stupor: Teilnahmslos, keine Reaktion auf akustische oder taktile Reize, aber auf Schmerzstimuli. Koma: völliger Bewusstseinsverlust ohne Reaktion auf Schmerzreize.

Ursachen: Trauma, Tumor, Infektion, Stoffwechselstörung.

2.6.1.2 Verhalten

Funktion: Aktions- und Reaktionsformen eines Individuums.

Anatomie: Insbesondere das limbische System bestehend aus zerebralen Bereichen, dem Hypothalamus, Hippocampus, dem Riechhirn und einem Teil der Formatio reticularis regelt das Verhalten des Tieres. Verhaltens- und Bewusstseinstörungen können von einer primären Hirnläsion (z. B. Hirntumor) oder sekundär durch metabolische Abnormalitäten (z. B. Hypoglykämie; Hepathopathie) verursacht werden.

Testverfahren:

Beobachtung des Tieres

Beschreibung des Besitzers

Normal: Rasse- und typspezifisch.

Abnormal: Aggressiv, unruhig, desorientiert, Kreiswandern, Kopfpressen.

Ursachen: Primäre Hirnläsionen (z. B. Tumor) oder sekundäre (z. B. Stoffwechselstörungen wie Hepatoenzephalopathien).

2.6.1.3 Haltung

Funktion: Wird gewährleistet durch ein Zusammenspiel vieler sensorischer Informationen aus den Gliedmaßen, dem Rumpf, den Augen und dem Gleichgewichtsorgan und den entsprechenden motorischen Antworten aus dem Rückenmark, den peripheren Nerven und der Muskulatur. Erregende und hemmende Kräfte aus diesen Organen beeinflussen sich gegenseitig.

Testverfahren:

Begutachtung der Haltung von Gliedmaßen, Rumpf, Hals und Kopf

Gliedmaßen: Überköten, breitbeinige Haltung, abgeschliffene Krallen, Schürfwunden der Pfoten oder Durchtrittigkeit?

Normal: Physiologische Haltung

Abnormal: Das Schiff-Sherrington-Phänomen, spastisch gestreckte Vorder- und schlaffe Hintergliedmaßen, wird durch ein schweres thorakolumbales Rückenmarktrauma verursacht.

Der Opisthotonus ist durch Rückwärtsbeugung des Kopfes und Extensorspasmus von Hals, Rumpf und Gliedmaßen gekennzeichnet. Liegt zusätzlich ein Bewusstseinsverlust vor, spricht man von einer zerebralen Enthirnungsstarre. Schwere Mittelhirnläsionen sind die möglichen Ursachen.

Kollabiert eine stark spastische Gliedmaße nach dem Versuch, sie passiv zu beugen, spricht man vom Klappmesserphänomen. Hypotonie oder Atonie deuten meist auf eine Läsion der peripheren Nerven oder der grauen Rückenmarksubstanz hin. Hypertonie und Spastizitäten kommen bei Großhirn- oder Hirnstammproblemen oder bei kranialen Rückenmarkläsionen vor (Schädigungen im Verlauf des oberen motorischen Neurons), da die inhibitorischen Einflüsse auf die Rückenmarkneurone gehemmt sind.

Myoklonien, rhythmische Zuckungen einzelner Muskeln und Muskelgruppen, können überall auftreten, meist sind aber die Gliedmaßen oder der Kopf betroffen und können im Schlaf persistieren. Sie werden oft im Zusammenhang mit Staupe oder anderen Enzephalomyelitiden gesehen. Man vermutet fokale Rückenmarks- oder Basalganglienläsionen.

Von einem Tremor (Zittern, Zitterkrampf) spricht man, wenn unwillkürliche, rhythmische Kontraktionen antagonistischer Muskeln lokal (z. B. am Kopf) oder am ganzen Körper auftreten. Diese können von feiner oder grobschlägiger Qualität sein. Man unterscheidet einen Ruhetremor, einen Ermüdungs- oder Haltungstremor und einen Intentionstremor. Ursache sind Störungen des Kleinhirns, des Myelins, Intoxikationen oder Stoffwechselstörungen wie Hypokalzämie. Haltungsstörungen des Rumpfes sind oft durch angeborene Wirbelsäulenabnormalitäten bedingt, können aber auch erworben sein (z. B. Kyphose des Dackels durch Dolenz bei Diskopathie). Die Lordose ist gekennzeichnet durch eine Biegung der Wirbelsäule nach ventral, die Kyphose durch eine Biegung nach dorsal, die Skoliose durch eine seitliche Verbiegung.

Abnormale Kopfhaltung: Bei einer Kopfschiefhaltung neigt das Tier den Kopf meist zur Seite der Läsion. Auch passiv lässt der Kopf sich nicht in eine normale Position bringen. Im Extremfall fallen die Tiere auf die betroffene Seite oder drehen sich um die eigene Achse. Vestibuläre und/oder zerebelläre Läsionen können die Ursache sein.

2.6.1.4 Gang

Funktion und Anatomie: Der Gang wird über viele verschiedene Systeme organisiert. Spinale Reflexe regeln das Stehen und das Vorwärtstreten, ein Teil des Bewegungsablaufes wird durch den Hirnstamm organisiert, die unwillkürliche Koordination findet über das Kleinhirn statt, der Vestibulärapparat erhält das Gleichgewicht, das Großhirn steuert die willkürlichen und erlernten Bewegungsabläufe. Störungen sind oft subtil und schwer zu erkennen.

Testverfahren:

Beobachtung des Gangs: Das Tier sollte zuerst auf griffigem Boden im Schritt und Trab, dann eine Treppe hinauf- und hinunter geführt werden. Kleine und große Volten, Hindernisse oder andere Gangerschwernisse machen auch feine Gangunsicherheiten deutlich. Man beobacht das Tier von der Seite, von vorne und von hinten. Jede Gliedmaße wird auf Schrittverkürzungen oder andere Abnormalitäten kontrolliert.

Ursachen: Grundsätzlich lassen sich zwei Arten von Bewegungsstörungen diagnostizieren: sensibel-sensorische und motorische. Sensibel-sensorische Störungen können durch Schmerzen hervorgerufen werden und sich als Lahmheit äußern. Ursache kann aber auch der Verlust der Tiefensensibilität (Propriozeption) sein. Die Propriozeption wird bewusst von der kontralateralen Großhirnrinde, unbewusst über das Kleinhirn gesteuert; die sensiblen Nerven bilden die Afferenzen. Störungen der Propriozeption nennt man Ataxien. Selten haben sie ihre Ursache im Großoder Kleinhirn, meistens liegen ihre Ursachen in den peripheren Nerven, im Vestibulärapparat und/oder im Rückenmark. Motorische Störungen können ihre Ursachen in folgenden Regionen haben: 1. unteres motorisches Neuronsystem, 2. oberes motorisches Neuronsystem, 3. Zerebellum, 4. Großhirn oder 5. Hirnstamm.

Untere motorische Neurone liegen in allen spinalen Segmenten und in den Hirnstammkernen von N. III bis VII sowie IX bis XII.

Das untere motorische Neuronsystem besteht aus dem alpha-Motoneuron im Ventralhorn des Rückenmarks, der Ventralwurzel, dem peripheren Nerven, der neuromuskulären Endplatte und dem Muskel. Störungen in diesem Bereich sind gekennzeichnet durch eine schlaffe Lähmung, Paralyse, schwache Reflexe und Muskelatrophie.

Das obere motorische Neuronsystem beinhaltet Neurone im Kortex, in den Basalganglien, dem Hirnstamm und dem Kleinhirn sowie den dazugehörigen Bahnen in der weißen Rückenmarksubstanz. Sie beeinflussen das untere motorische Neuron vor allem hemmend. Bei einer Läsionen in diesem System fallen daher ein normaler Muskeltonus oder Spastizität und gesteigerte Reflexe auf.

Erkrankungen des Kleinhirns sind gekennzeichnet durch hypermetrische Bewegungen, Tremor und das Unvermögen zu bremsen.

In den selten erkennbaren Gangabnormalitäten bei Großhirnerkrankungen liegt die Läsion kontralateral zu den beobachteten Ausfällen. Nur die genaue Untersuchung der Haltungs- und Stellreaktionen gibt Hinweise.

Hirnstammläsionen – ebenfalls selten – können zu einer Hemiparese führen, eine Tetraparese ist je nach Ausdehnung der Läsion möglich.

Ataxie ist eine Koordinationsstörung des Gangs. Die Ursache kann spinal (sensorisch, motorisch), zerebellär oder vestibulär sein. Typische Symptome für eine spinale Ataxie sind Stolpern, Überköten, Zehenschleifen, Überkreuzen der Gliedmaßen und Schwanken in der Nachhand.

Die zerebelläre Ataxie ist gekennzeichnet durch eine breitbeinige Körperstellung, Spastizität der Gliedmaßen, Hypermetrie, einem feinen Kopftremor in Ruhe und einem groben Kopftremor bei Bewegungen (sog. Intentionstremor).

Die vestibuläre Ataxie fällt auf durch Kopfschiefhaltung, den Verlust des Gleichgewichts und der Tendenz der Tiere zur Seite der Läsion zu fallen oder sich im Kreise zu drehen.

Als Plegie oder Paralyse bezeichnet man den völligen Verlust der Bewegungsfähigkeit. Man unterscheidet Tetra- (alle vier Beine), Hemi- (zwei Gliedmaßen ipsilateral), Para- (zwei symmetrische Gliedmaßen) und Mono- (ein Bein)plegien. Bei einer Parese ist die Bewegungsfähigkeit herabgesetzt. Auch hier unterscheidet man Tetra-, Hemi-, Para- und Monoparesen. Allgemein kann man sagen, dass der Schweregrad der Läsion bei der Plegie stärker ist als bei der Parese, die Lokalisation ist jedoch gleich. Der Passgang ist meist eine Gangvariante ohne pathologische Bedeutung.

Als Zwangsbewegungen bezeichnet man ohne ersichtliche Motivation auftretende, koordinierte, gleichartige Fortbewegungen. Dazu gehören das kompulsive Wandern, im-Kreis-gehen und Drehbewegungen, sowie das »Wände-Drücken« oder das Drängen nach vorn. Ursache sind fokale oder diffuse Läsionen im Großhirnbereich, wobei die Zwangsbewegung bei fokalen Läsionen oft in Richtung der betroffenen Hirnseite erfolgt (z. B. Drängen nach rechts bei Tumor in der rechten Hemisphäre).

2.6.1.5 Haltungs- und Stellreaktionen

Funktion: Das Zusammenwirken aller Anteile des Nervensystems ermöglicht die Bewegung und Haltung eines Lebewesens. Die Überprüfung der Haltungs- und Stellreaktionen fungiert als Lokalisationshilfe, weitere Untersuchungen wie die Reflexprüfung sind aber nötig.

Anatomie: Überprüfung der Propriozeption (Tiefensensibilität); sensorische Fasern leiten die Information über die Extremitätenposition via dorsolateralen Faszikulus des Rückenmarks zum kontralateralen sensomotorischen Kortex. Die Umschaltung des Reizes auf die kontralaterale Seite findet im Bereich des Rückenmarksegments C1 statt. Die motorische Antwort geht vom Kortex aus. Mit den Haltungsreaktionen wird sowohl das sensorische als auch motorische System getestet.

Testverfahren:

Korrekturreaktion

Tier unter der Brust stützen und jede einzelne Gliedmaße passiv überköten, das heißt, man beugt das Karpal- oder Tarsalgelenk, so dass die Dorsalfläche der Pfote den Boden berührt.

Normal: Pfote wird sofort wieder in physiologische Position gebracht.

Abnormal: Korrekturreaktion verzögert, abwesend, hypermetrisch.

Ursachen: Läsion im Kortex, Kleinhirn, Hirnstamm, Pons, Medulla oblongata, Rückenmark, in peripheren Nerven oder Muskeln.

Hüpfen auf einem Bein

Drei Beine anheben, Tier auf dem zu untersuchenden vierten Bein nach kranial und lateral hüpfen lassen.

Normal: Jedes Bein kann das Eigengewicht tragen und hüpfen.

Abnormal: Schwäche, Stolpern oder Kollabieren der Gliedmaße sowie dysmetrische Reaktionen.

Ursachen: Schwäche Großhirn, Hirnstamm oder Rückenmark; Hypermetrie Kleinhirn.

Halbgehen/Halbstehen
(Hemiwalking/Hemistanding)

Die ipsilateralen Beine des Tieres werden vom Boden angehoben und möglichst proximal am Körper unterstützt, während die kontralateralen Beine weiter den Boden berühren.

Normal: Tier kann sich nach vorne und lateral bewegen.

Abnormal: Vor allem bei Läsionen des Kortex gestört.

Ursachen: Zusammenwirken von Rückenmark und Kortex wird überprüft, wie bei Hüpfen auf einem Bein.

Schubkarrenprobe

Die Hinterbeine nicht zu hoch anheben, so dass der Hund auf seinen Vorderbeinen nach vorne läuft. Dieser Test kann erschwert werden, indem man den Hals des Hundes passiv dorsal überstreckt. Dadurch wird ihm die visuelle Orientierung entzogen.

Normal: Symmetrische Laufbewegungen mit waagerecht gehaltenem Kopf.

Abnormal: Stolpern, Kopfhaltung tief, Hypermetrie.

Ursachen: Tiere mit zervikalen Läsionen versuchen, den Kopf niedrig zu halten, stolpern oder machen ungleiche Schritte. Tiere mit Läsionen des Plexus brachialis, des Hirnstamms oder des Kortex gehen ebenfalls unsicher. Bei Störungen im kaudalen Hirnstamm oder im Kleinhirn sind hypermetrische Bewegungen möglich.

Unterstützungsreaktion

Das Tier wird im Bereich der Vorderbeine an der Brust angehoben bis die Hinterbeine den Bodenkontakt verloren haben und langsam wieder zu Boden gelassen. Dann rückwärts laufen lassen.

Normal: Strecken die Hinterbeine sobald der Untergrund mit den Pfoten berührt wird und Rückwärtsschritte ausführen.

Abnormal: Fehlende oder nur einseitige Gehbewegungen.

Ursachen: Bei Querschnittsläsionen des Rückenmarks ist keine Auffußungsreaktion vorhanden. Bei einseitiger Läsion fußen die Hunde nur einseitig, bei fokalen zerebralen Schäden fällt die Auffußungsreaktion kontralateral zur Hirnläsion aus, bei einseitigen vestibulären Läsionen fehlt die Auffußungsreaktion ipsilateral.

Aufrichtungsreaktion

Das Tier wird angehoben bis die Vorderbeine über dem Boden schweben und dann langsam wieder zu Boden gelassen. Bei schweren Tieren ist es ausreichend, sie in Seitenlage zu bringen und zu beobachten, wie sie in der Lage sind, eine normale Sternal- und Kopfposition einzunehmen und aufzustehen.

Anatomie: Involviert sind in diesem Test das visuelle, vestibuläre und das propriozeptive System.

Normal: Bei Berührung des Bodens Kopfhaltung ohne Rotation in einem 45-Grad-Winkel zum Boden und die Beine strecken.

Abnormal: Flexion des Kopfes nach ventral.

Ursachen: Bei einseitigen, vestibulären Störungen neigt das Tier zu einer abnormalen Reaktion der ipsilateralen Seite.

Tonische Halsreaktion

Beim stehenden Tier werden Kopf und Hals sanft nach dorsal gedrückt und der Hals nach hinten und oben gebogen.

Anatomie: Überprüfung von Vestibulärapparat und Nackenmuskulatur.

Normal: Vorderbeine werden gestreckt, die Hinterbeine knicken ein (andeutungsweise Sitzposition). Bei einer Flexion des Halses und einer Verlagerung des Kopfes nach ventral kommt es zur umgekehrten Reaktion. Bei seitlicher Bewegung des Kopfes und Abbiegen des Halses beugt sich normalerweise das Vorderbein der ipsilateralen Seite, während sich das kontralaterale Vorderbein streckt.

Abnormal: Abwehrreaktionen, unphysiologische Flexion der Gliedmaßen.

Ursachen: Bei einseitigen, vestibulären Läsionen bestehen ipsilaterale, bei fokalen, zerebralen Läsionen kontralaterale Defizite, bei zerebellären Läsionen findet man übersteigerte Reaktionen. Tiere mit zervikalen Schmerzen wehren sich gegen das Überstrecken oder/und Abbiegen des Halses. Bei vestibulären Störungen ist außerdem ein pathologischer Nystagmus erkennbar.

Tischkantenprobe

Tier aufheben und mit den Vorderbeinen in Richtung einer Tischkante bewegen. Man unterscheidet eine visuelle oder optische Tischkantenprobe, bei der das Tier die Tischkante sehen kann und eine taktile Probe mit verdeckten Augen.

Normal: Tiere mit unverdeckten Augen heben kurz vor der Tischkantenberührung die Beine und fußen auf der Tischplatte. Mit unverdeckten Augen wird das visuelle System überprüft. Bei der taktilen Tischkantenprobe verdeckt man die Augen des Tieres und kontrolliert die Reaktion bei Berührung der Tischkante mit der Dorsalfläche des Karpus. Schon eine leichte Berührung sollte eine Reaktion der Gliedmaße mit Fußung auf der Tischplatte hervorrufen.

Abnormal: Fehlen der Reaktion, Überköten oder überschießende Bewegungen.

Ursachen: Läsion der sensorischen Systeme, des Mittelhirns oder es liegt eine Blindheit vor.

2.6.1.6 Spinale Reflexe

Wichtig ist, dass der Patient für jede Untersuchung möglichst entspannt ist.

Man unterscheidet Muskelstreckreflexe und Oberflächenreflexe.

Muskelstreckreflexreaktionen

Testverfahren: Dehnung durch Schlag eines Reflexhammers.

Anatomie: Dadurch Aktivierung der Muskelspindel, sensibler Nerv leitet den Reiz als Afferenz zum Dorsalhorn der grauen Substanz des Rückenmarks, Umschaltung zum Ventralhorn und der motorischen alpha-Efferenz. Diese leitet den Reiz zum Muskel und löst eine Muskelkontraktion aus.

Normal: Muskelkontraktion, vergleichbare Reflexantwort an allen vier Gliedmaßen.

Abnormal: Reduktion oder Ausfall des Reflexes (Hypo- oder Areflexie), schlaffe Parese oder Paralyse, Muskelatrophie = UMN. Oder: Hyperreflexie, übersteigerte Reflexantwort und Spastizität = OMN (siehe auch Kapitel 2.6.1.4).

Ursachen: Bei einer Läsion im unteren mortorischen Neuronsystem (UMN) sind Reflexe und Muskeltonus reduziert, das heißt die Läsion liegt im Reflexbogen und betrifft die graue Rückenmarksubstanz, den Nerv oder den Muskel.

Ganz anders fallen die Reflexreaktionen bei Läsionen im oberen motorischen Neuronsystem (OMN) aus. Über die langen Bahnen der weißen Rückenmarksubstanz üben die höheren Zentren vor allem aktivierende Einflüsse auf das UMN aus. Hyperreflexie oder übersteigerte Reflexreaktion und Spastizität sind die Folge bei einer Läsion in diesem Bereich.

Oberflächenreflexreaktionen

Die Rezeptoren der Oberflächenreflexe liegen als freie Nervenendigungen in der Haut. Sie reagieren auf Schmerz, Druck und Temperatur. Bei der Prüfung dieser Reflexe wird nicht nur die Oberflächensensibilität, sondern auch die Intaktheit der Rückenmarksbahnen, die zu den höheren Zentren führen, bewertet.

Bewertung der Reflexantworten: normale Reflexantwort (++), Hyporeflexie (+) = Reflexabschwächung, Areflexie (0) = völliger Verlust des Reflexes und die übermäßige Reflexantwort = Hyperreflexie (+++) sowie den Klonus (++++), eine zuckende, mehrfache Reflexantwort bei einmaliger Stimulation.

Als Massenreflex (»Enthemmung«) der Reflexaktivität bezeichnet man die übersteigerte Reaktion auf einen einseitigen Flexorreiz, der auch im gegenüberliegenden Bein eine massive Flexion, Rudern oder Strampeln hervorruft. Massenreflexe werden bei schweren Rückenmarksläsionen beobachtet.

Reflexe der Vordergliedmaße

M.-extensor-carpi-radialis-Reflex (Abb. 2.12)

Reflexzentrum C6–T1, N. radialis, sensibel und motorisch.

Testverfahren: Sehne des M. extensor carpi radialis knapp distal ihres Ursprungs mit dem Reflexhammer leicht beklopfen.

Normal: Streckung des Karpus.

Abnormal: Abgeschwächte oder gesteigerte Reflexantwort.

Ursachen: Abgeschwächt: Läsion im Zervikalmark, im Plexus brachialis oder Muskelbereich; Gesteigert: Schäden kranial von C7.

Trizepsreflex (Abb. 2.13)

Reflexzentrum C6 –T1. N. radialis, sensibel und motorisch.

Testverfahren: Der Ellenbogen des Tieres wird leicht nach vorne gezogen und in Flexion etwas nach außen rotiert, so dass die Trizepssehne proximal des Olekranons gut zu treffen ist.

Normal: Streckung des Ellenbogengelenks, Kontraktion des M.triceps.

Ursachen: Wie beim M.-extensor-carpi-radialis-Reflex.

Flexorreflex

Reflexzentrum C6–T2. Sensible Afferenzen: N. ulnaris, N. medianus, N. radialis, N. musculocutaneus. Motorische Efferenzen: N. musculocutaneus, N. axillaris, N. radialis, N. medianus, N. ulnaris.

Testverfahren: Kneifen der Zwischenzehenhaut.

Normal: Sofortiges Anziehen der Gliedmaße.

Abnormal: M.-extensor-carpi-radialis-Reflex.

Reflexe der Hintergliedmaße und des Perianalbereichs

Patellarsehnenreflex (Abb. 2.14), Quadrizepsreflex

Reflexzentrum L4–L6. N. femoralis, sensibel und motorisch.

Testverfahren: Knie in leichter Flexion von medial mit einer Hand unterstützt und die Patellarsehne mit dem Reflexhammer kurz beklopft.

Normal: Schnelle, kräftige Extension des Kniegelenks.

Abnormal: Eine Hypo- oder Areflexie deutet auf eine Läsion des N. femoralis oder der grauen Rückenmarkssubstanz (UMN-Schädigung), eine Hyperreflexie auf eine Läsion kranial von L4 (OMN-Läsion) hin.

M.-tibialis-Reflex (Abb. 2.15)

Reflexzentrum L6–S2. N. peronaeus oder N. fibularis, sensibel und motorisch.

Testverfahren: Beklopfen des M. tibialis cranialis unmittelbar unterhalb des Fibulaköpfchens.

Normal: Beugung des Sprunggelenks.

Abnormal: Schäden im Bereich des N. peronaeus/fibularis, einem Ast des N. ischiadicus, oder im grauen Rückenmarksegment L6–L7 haben eine Hypo- oder Areflexie zur Folge (UMN-Läsionen). Läsionen kranial von L6 (OMN-Läsionen) bewirken eine Hyperreflexie.

Achillessehnenreflex

Reflexzentrum L5–S1. N. tibialis, sensibel und motorisch.

Testverfahren: Achillessehne durch Beugung des Sprunggelenks leicht anspannen. Dann wird die Achillessehne unmittelbar proximal ihres Ansatzes am Fersenhöcker mit dem Reflexhammer beklopft.

Normal: Kontraktion des M. gastrocnemius und Streckung des Tarsalgelenks.

Abnormal: Bei einer UMN-Läsion z. B. im Bereich des N. tibialis, einem Ast des N. ischiadicus, oder im grauen Rückenmarkssegment von L6–L7 kommt es zu einer Reduktion dieser Reflexantwort. Zu einer Steigerung kommt es bei Schäden kranial von L6.

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Abb. 2.14: Patellarsehnenreflex.

Flexorreflex

Reflexzentrum L4–S3. N. ischiadicus, motorisch und sensibel.

Testverfahren: Zwischenzehenhaut kneifen.

Normal: Gliedmaße wird mit aller Kraft zurückgezogen, alle Gelenke werden maximal gebeugt.

Abnormal: Eine Abschwächung der Reflexantwort deutet auf eine Läsion des N. ischiadicus oder des entsprechenden Rückenmarkssegmentes hin. Eine einseitige Schwäche tritt bei Erkrankungen im Bereich der peripheren Nerven auf, beidseitige Hypo- oder Areflexie ist wahrscheinlicher bei Rückenmarksquerschnittläsionen. Ein übersteigerter Flexorreflex oder Massenreflexe werden oft bei chronischen Leiden der weißen Rückenmarkssubstanz gesehen. Außer der Beurteilung der Kraft beim Anziehen der Gliedmaße ist auch eine Beurteilung der Sensibilität möglich.

Gekreuzter Extensor-Flexorreflex

Testverfahren: Die Durchführung entspricht sowohl an der Hinter- als auch an der Vordergliedmaße dem beschriebenen Flexorreflex. Gleichzeitig mit der Flexion des stimulierten Beins kommt es beim liegenden Tier auf dem gegenüberliegenden Bein zu einer Streckung. Diese abnorme Reaktion spricht für eine Läsion der absteigenden Rückenmarksbahnen des Reflexzentrums (OMN-Läsion). Bei einem gesunden Tier kann es eventuell zu Abwehrmechanismen der kontralateralen Gliedmaße kommen, die mit einem gekreuzten Extensorreflex verwechselt werden können. Die Interpretation einer schwachen Reflexantwort ist daher oft schwierig.

Perianal/Analreflex; Bulbo- oder Vulvourethralreflex

Reflexzentrum S1–S3. N. pudendus, sensibel und motorisch.

Testverfahren: Am stehenden Tier wird die Rute angehoben und mit einer Peanklemme vorsichtig die Peri- und Analgegend, dann die Vulva bei der Hündin oder der Bulbus urethralis beim Rüden berührt.

Normal: Kontraktion des analen Sphinktermuskels und Niederdrücken der Rute.

Abnormal: Offener Anus, reduzierter Schwanztonus, Inkontinenzprobleme.

Ursachen: Läsion des N. pudendus oder des N. pelvicus (siehe auch vegetatives Nervensystem).

Nn. coccygeales

Reflexzentrum S3 und Schwanznerven.

Testverfahren: Tonus der Rute beurteilen.

Normal: Normaler Tonus.

Abnormal: Tonus ist schwach oder abwesend bei Läsionen im Cauda-Equina-Bereich.

Panniculusreflex

Reflexzentrum C6–T2.

Testverfahren: Am besten lässt sich dieser Reflex am sitzenden oder stehenden Tier durchführen. Kaudal etwa bei L6 beginnend wird die Rückenhaut beidseitig im Wechsel mit einer Peanklemme oder einem spitzen Gegenstand (Nadel/Bleistift) bis auf die Höhe der Schulterblätter stimuliert.

Anatomie: Sensible Nerven in der Rückenhaut werden dabei gereizt. Diese leiten die Information über die weiße Rückenmarkssubstanz zum Reflexzentrum im Bereich C8–T1, wo die motorischen Efferenzen entspringen.

Normal: Kontraktion der Hautmuskulatur.

Abnormal: Ein abgeschwächter oder fehlender Panniculusreflex deutet darauf hin, dass eine Rückenmarksläsion kranial von der getesteten Stelle vorliegt. Der Panniculusreflex lässt sich nicht bei allen Tieren auslösen. Daher ist die Beurteilung nicht immer einfach.

2.6.1.7 Hirnnerven

Die Untersuchung der Gehirnnerven sollte im Anschluss an die Prüfung der Haltungs- und Stellreaktionen auf dem Tisch stattfinden. Die Hirnnerven I, IV, VI, IX, XI und XII sind selten erkrankt, während die Hirnnerven II, III, V, VII, VIII und X häufig Läsionen aufweisen. Ihre Untersuchung ist nicht schwierig und bringt wertvolle Informationen.

Nervus olfactorius: N. I

Funktion: Riechen.

Anatomie: Stimulation der Chemorezeptoren in der Riechschleimhaut durch Gerüche, in den Neuriten der Riechzellen (»Riechfäden«) werden die Reize durch die Foraminae cribrosae zum Bulbus olfactorius geleitet und erreichen später das ipsilaterale Riechhirn, wo eine bewusste Geruchswahrnehmung stattfindet.

Testverfahren:

Futter anbieten

Falsch ist der Einsatz von reizenden Stoffen, da so der Nervus trigeminus stimuliert wird.

Normal: Lecken der Nase oder schnüffeln. Stechend riechende Stoffe wie Ammoniak reizen, verfälschen die Resultate und sollen nicht verwendet werden.

Abnormal: Anosmie, der Geruchsinn fehlt völlig; Hyposmie, Geruchssinn ist reduziert

Ursachen: Rhinitis, Tumoren, Staupe.

Nervus opticus: N. II (Abb. 2.16)

Funktion: Sehen.

Anatomie: In der Retina (1) liegen verschiedene Rezeptoren (Stäbchen/Zapfen), deren Impulse an den N. opticus (2) weitergeleitet werden. Im Tractus opticus (4) kreuzen die medialen, nasalen Fasern am Chiasma opticum (3) auf die kontralaterale Seite, während die lateralen, temporalen ipsilateral weiterziehen. Über die lateralen Genikulatumkerne (5) und die optischen Strahlen (6) wird das Sehen in der okzipitalen Hirnrinde (7) ermöglicht.

Testverfahren:

Beobachtung des Patienten

Hindernisse

Besitzerbeschreibungen

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Abb. 2.16: N. opticus (2)/N. oculomotorius (8).

Ophthalmoskopische Untersuchung

Der Augenhintergrund sollte direkt und auch indirekt überprüft werden.

Palpebralreflex (s. N. V).

Die Lider des Tieres werden vorsichtig angetippt, um die Aufmerksamkeit des Tieres für die folgenden Untersuchungen zu erreichen.

Normal: Schließen der Augen, Wegziehen des Kopfes.

Abnormal: Kein Lidschluss, kein Wegziehen des Kopfes.

Ursachen: Läsion des N. trigeminus (sensibel), des N. facialis (motorisch), des Hirnstamms oder des Kortex.

Drohreflex

Die flache Hand wird ohne Luftzugbildung (Trigeminusreizung!) schnell auf das Auge des Patienten zugeführt.

Normal: Schließen der Lider.

Abnormal: Kein Lidschluss.

Ursachen: Blindheit, zentral oder peripher; zur weiteren Abklärung ist die Überprüfung des Pupillarreflexes nötig. Bei einer Läsion des N. facialis erfolgt eine Lähmung der Lidbewegungen (siehe Palpebralreflex).

Wattebauschtest

Im lateralen Gesichtsfeld des Patienten wird ein Wattebausch fallengelassen.

Normal: Patient dreht den Kopf und verfolgt den Wattebausch.

Abnormal: Fehlende Reaktion.

Ursachen: Blindheit (peripher oder zentral), Bewusstseinsstörung.

Visuelle Tischkantenprobe

Siehe auch taktile Tischkantenprobe.

Der Patient wird angehoben und auf eine Tischkante zu bewegt.

Normal: Das Tier zieht bei Sicht der Tischkante die Beine an und setzt sie auf der Tischplatte ab.

Abnormal: Reaktion abwesend oder verzögert.

Ursachen: Blindheit (zentral oder peripher), Bewusstseinsstörung.

Pupillarreflex

Siehe N. III.

Anatomie: Man unterscheidet eine periphere und zentrale Blindheit. Bei der peripheren Blindheit, deren Ursachen rostral der Corpora geniculata lateralia, also hauptsächlich im Auge liegen, kommt es zu Pupillenreflexstörungen. Bei der zentralen Blindheit sind die Pupillenreaktionen erhalten, die Läsionen können in den Corpora geniculata lateralia, den Projektionen zum Großhirn oder im visuellen Kortex liegen.

Nervus oculomotorius: N. III.

Anatomie: Hauptverantwortlich für die Innervation der externen Augen- und Lidmuskulatur und der parasympathischen Innervation des Pupillensphinkters. Die motorischen Anteile entspringen im Bereich des Mittelhirns und ziehen nach rostral zur Periorbita, um die extraorbitalen Muskeln zu innervieren. Das Ursprungsgebiet der parasympathischen Faseranteile liegt in der Nähe und begleitet den N. III medial zur Periorbita und den Mm. ciliares. Der N. III muss im Zusammenhang mit N. IV und N. VI und dem Vestibulärsystem gesehen werden. Die Verbindung zwischen diesen Einheiten bildet der mediale Fasciculus longitudinale im Hirnstamm. Vor allem schwere Schädelhirntraumen verursachen »starre Pupillen« (Ophthalmoplegie), die sich bei Bewegungen des Kopfes nicht verändern und prognostisch als schlecht zu bewerten sind.

Als Nystagmus bezeichnet man die unwillkürliche Bewegung der Augen. Sie ist physiologisch und hat eine schnelle sowie langsame Komponente.

Pathologisch ist der Nystagmus bei vestibulären Störungen, die Richtung ist bei peripheren Störungen horizontal, die schnelle Komponente geht weg von der Läsion. Zentrale Störungen weisen meist einen vertikalen Nystagmus auf, der sich aber bei Verschiebung der Kopfposition ändern kann.

Testverfahren:

Beobachtung

Beobachtung der Symmetrie der Augenstellung und -bewegungen in horizontaler und vertikaler Richtung; Pupillengröße (Parasympathikus).

Normal: »Physiologischer Nystagmus«, parallele Bewegung der Augen.

Abnormal: Motorisch: ventralolateraler Strabismus, Ptosis (Lähmung des M. levator palpebrae); Parasympathisch: Mydriase.

Ursachen: Siehe Pupillarreflex.

Pupillarreflex

Starkes Licht wird auf eine Pupille gerichtet.

Anatomie: Das Auge wird parasympathisch vom N. III innerviert. Bei Lichteinfall kommt es zu einer Konstriktion (Miosis) der Pupillen. Die sympathische Versorgung beginnt im Hypothalamus, verläuft über den Hirnstamm zum Rückenmark und wird bei T1–T3 umgeschaltet. Von hier zieht der Sympathikus als Truncus vagosympathicus rostral zum Ganglion cervicale. Nach der dortigen Umschaltung ziehen die postganglionären Fasern durch das Mittelohr zu den Zilliarmuskeln und bewirken bei Lichteinfall eine Mydriase. Läsionen des N. sympathicus in diesem Bereich verursachen das Horner-Syndrom (Ptosis, Miosis, Enophthalmus).

Normal: Sowohl die angeleuchtete (direkter Pupillarreflex) wie auch die gegenüberliegende Pupille zeigt eine Konstriktion (indirekter oder konsensueller Pupillarreflex).

Abnormal: Bei Schäden des N. III: Ventrolateraler Strabismus, Lähmung des Oberlids (Ptosis), Weitendifferenz der Pupillen (Mydriase).

Ursachen: Läsionen des Auges, des Mittelhirns oder der Orbita, Parasympathikusstörungen, tentorielle Hernie.

Nervus trochlearis: N. IV

Siehe N. III

Anatomie: »Rollmuskelnerv« des Auges, ermöglicht die Augapfeldrehung nach oben.

Abnormal: Störungen sind selten und fallen wenn dann nur bei der Katze sofort auf: ihre schlitzförmige Pupille rotiert lateral.

Nervus trigeminus: N. V

Funktion: Hauptverantwortlich für Sensibilität im Kopfbereich und Motorik der Kaumuskulatur.

Anatomie: Drei Hauptäste: 1. N. mandibularis versorgt die Kaumuskulatur (M. masseter, M. temporalis, M. pterygoideus und M. digastricus) motorisch und den Unterkiefer sensibel. 2. Der N. maxillaris innerviert unteres Lid, Nasenschleimhaut, Gaumen und Tränendrüse sensibel. 3. N. ophthalmicus versorgt Oberlid und Kornea sensibel. Die Kerne liegen in der Pons.

Testverfahren:

a) Überprüfung der sensiblen Trigeminusanteile

Palpebralreflex

Berührung des Ober- oder Unterlids stimuliert den N. V (sensibel) und führt zu einer Antwort des N. VII (motorisch).

Normal: Bei einer Berührung der Lider schließen sich die Augen.

Abnormal: Kein Lidschluss.

Ursachen: Trigeminus- und/oder Fazialisläsion.

Kornealreflex

Berührung der Kornea mit einem Tupfer von lateral.

Normal: Der N. V (sensibel) bewirkt über den N. VII (motorisch) und den N. VI eine Retraktion des Bulbus oculi.

Abnormal: Keine Retraktion oder Lidschluss.

Ursachen: Trigeminus-, Fazialis- oder Abduzensläsion.

Berührung der Nasenscheidewand

Berührung der Nasenscheidewand mit einem stumpfen Gegenstand.

Normal: N. V, sensibel, bewirkt das Wegziehen des Kopfes.

Abnormal: Keine Reaktion.

Ursachen: Läsion von N. V oder Bewusstseinsstörung.

Kneifen der Gesichtshaut

Kneifen der Gesichtshaut mit einer Peanklemme.

Normal: Abwehrreaktionen.

Abnormal: Hypo-, Analgesie oder Hyperästhesie im Gesichtsbereich (N. V).

b) Überprüfung der motorischen Trigeminusanteile

Kaumuskeltonus

Kaumuskulatur

Überprüfung des Kiefertonus durch Druck auf den Unterkiefer.

Normal: Kräftiger Kieferschluss.

Abnormal: Trismus (Kiefersperre) oder fehlender Kieferschluss, Kaumuskelatrophie.

Ursachen: Trigeminusneuritis, Trauma, Tumor, idiopathisch.

Nervus abducens: N. VI

Siehe N.III.

Anatomie: Er ermöglicht die Retraktion und Lateralbewegung des Bulbus.

Beobachtung: Beobachtung der Augenbewegungen/-stellung.

Kornealreflex: Bulbusretraktion

Abnormal: Medialer Strabismus, Unfähigkeit der Bulbusretraktion beim Kornealreflex, gestörte Bulbusbeweglichkeit.

Ursachen: Hirnstammtumor, orbitaler Tumor, Abszess.

Nervus facialis: N. VII

Funktion: Kontrolliert Mimik, versorgt einen Teil des Gaumens und der Zunge sensorisch sowie alle Tränen- und Speicheldrüsen außer der Glandula parotis und der Glandula zygomatica parasympathisch.

Anatomie: Die Nervenfasern ziehen von der rostralen Medulla durch den Meatus acusticus internus an der Paukenhöhle vorbei zum Foramen stylomastoideum.

Testverfahren:

Adspektion des Gesichtes

Beurteilt wird der Gesichtsausdruck auf Veränderungen wie Asymmetrie, Hängen einer Gesichtshälfte oder Fallenlassen von Futter von den Lippen beim Fressen sowie das Ohrenspiel, wenn man in die Hände klatscht.

Droh- und Palpebralreflex

N. II, N. V und N. VII.

Schirmer Tränentest

Tränendrüsenfunktion; Ausschluss einer eventuellen neurogen bedingten Keratitis sicca.

Atropin Test

Auf dem vorderen Drittel der Zunge einen Tropfen Atropin zur Kontrolle des Geschmackssinn.

Normal: Bewirkt sofortige Speichel-Reaktion bei gesunden Tieren.

Abnormal: Hängende ipsilaterale Lefze, Speicheloder Futterverlust; Keratitis sicca; fehlender Drohsowie Palpebralreflex und teilweiser Ausfall des Kornealreflexes. Verzögerte Reaktion auf Atropinabgabe. Vestibuläre Symptome sind oft zusammen mit Fazialisparalyse vorhanden, da N. VIII und N. VII im Bereich des Felsenbeins (Os petrosa) anatomisch nahe beieinander liegen. Ein hemifazialer Spasmus äußert sich als Gesichtsspasmus auf der Seite der Läsion.

Ursachen: Tumoren, Trauma, Otitis media, idiopathische Fazialislähmung, Hypothyreose.

Nervus vestibulocochlearis: N. VIII

Funktion: Verantwortlich für Gehör- und Gleichgewichtssinn.

Anatomie: Gehör: Im Felsenbein befindet sich die Cochlea mit dem Corti-Organ. Die von Schallwellen in der Endolymphe hervorgerufenen Schwingungen und Bewegungen werden im Corti-Organ in Nervenreize umgewandelt und über N. VIII in den Hirnstamm weitergeleitet. Von dort erreichen die Reize über mehrere Umschaltungen das Hörzentrum in der Großhirnrinde. Gleichgewichtsorgan: Das Vestibularorgan besteht aus 3 zueinander senkrecht stehenden Bogengängen, die mit Endolymphe gefüllt sind, und weiteren Sinneszellen, dem Sacculus und Ventriculus, die Zilien und Kalzitkristalle beherbergen. Durch Positionsänderungen geraten die Zilien dieser Sinneszellen in Bewegung, der Reiz wird durch N. VIII und die Ganglien zu den Vestibulariskernen geleitet. Von diesen führen Verbindungen zu den Motoneuronen des Rückenmarks, den Augenmuskel- und Kleinhirnkernen. Die vestibulospinalen Bahnen sorgen für die Koordination des Gliedmaßentonus und damit für den Bewegungsablauf und die Position des Kopfes.

Testverfahren Gehör:

Pfeifen und/oder Händeklatschen

Geräusche sollten hinter dem Tier erzeugt werden.

Normal: Bewegung der Ohrmuscheln (»Preyer-Effekt«) und/oder des Kopfes in der Richtung der Tonquelle.

Abnormal: Keinerlei Reaktion oder Bewegung des Kopfes in die falsche Richtung.

Ursachen: Beid- oder einseitige Taubheit

Otoskopische Untersuchung

Ist nötig, um Veränderungen am Trommelfell auszuschließen.

Normal: Saubere Ohren.

Abnormal: Braune Beläge, Schwellungen etc.

Ursachen: Otitis externa/media/interna.

Hörtest/Brainstem evoked potentials

Eine objektive Beurteilung der Hörnervfunktion ist nur mit Hilfe der Elektrodiagnostik möglich.

Normal: Entstehen einer Kurve mit 5–7 Peaks auf dem Monitor des Computers.

Abnormal: Gerade Linie bei hoher Dezibelzahl entspricht Taubheit.

Ursachen: Missbildung, Otitis media/interna, Tumoren, Intoxikationen. (Aminoglykoside, Chloramphenicol), idiopathisch (Alterungsprozesse).

Gleichgewichtsuntersuchung

Testverfahren:

Beobachtung von Haltung

Gang

Augenbewegungen

Bewusstsein

Normal: Gerader, gleichmäßiger Gang und entsprechende Haltung.

Abnormal: Kopfschiefhaltung, Drehen, Rollen, Fallen zur Seite der Läsion; horizontaler oder rotatorischer Nystagmus; vestibulärer Strabismus. Bei zentralen Läsionen kommen zu den genannten Störungen noch weitere Ausfälle wie Bewusstseinsstörungen und/oder Korrekturdefizite hinzu.

Ursachen: Missbildung, Otitis media/interna, Tumoren, Trauma, Degeneration.

Tabelle 2.9 zeigt eine Gegenüberstellung der Differentialdiagnosen von peripheren zu zentralen Vestibulärstörungen.

Nervus glossopharyngeus: N. IX

Funktion: Zusammen mit N. X verantwortlich für Sensorik und Motorik von Pharynx und Larynx.

Anatomie: Gemeinsam mit N. X und N. XI entspringt der N. glossopharyngeus aus dem Nuc. ambiguus in der Medulla oblongata. Motorisch versorgt der N. IX den Pharynx, sensorisch den kaudalen Teil der Zunge (Geschmack) und den Pharynx, parasympathische Fasern die Gld. parotis und Gld. zygomatica.

Testverfahren:

Schluckreflex

Mit dem Finger den Zungengrund des Tieres berühren oder von außen Druck auf den Pharynx ausüben. Vorsicht: Bei tollwutverdächtigen Patienten immer Handschuhe tragen.

Normal: Schluckbewegung.

Abnormal: Schluckreflex reduziert oder abwesend, pharyngeale Dysphagien und Regurgitieren durch die Nase.

Ursachen: Tollwut, Myasthenia gravis, Tumoren, Nerventraumata durch Fremdkörper, Hirnstammläsionen (rostraler Nuc. ambiguus).

Nervus vagus: N. X

Funktion: Teile des N. vagus gemeinsam mit dem N. IX sind für die motorische Innervation des Pharynx verantwortlich (Schlucken). Weitere Teile des N. vagus (N. recurrens) versorgen Larynx und Gaumen sensorisch und motorisch. Schließlich enthält der Vagus die parasympathischen Nervenfasern für thorakale (Herz, Lunge) und abdominale Viszera.

Anatomie: Ursprung kaudal von N. XI im Nuc. ambiguus.

Testverfahren:

Schluckreflex

Siehe N. IX; ist bei einer Läsion des N. X ebenfalls gestört.

Okulokardialer Reflex

Bei Druck auf beide Augenbulbi entsteht eine Reflexbradykardie des Herzens (N. X und N. IX).

Tabelle 2.9: Differentialdiagnosen periphere/zentrale Vestibulärstörungen

Läsion Peripher Zentral
Bewusstsein Normal, evtl. Apathie Apathie, Koma
Haltung Kopfschiefhaltung Kopfschiefhaltung
Gang Vestibuläre Ataxie Vestibuläre Ataxie
Nystagmus Horizontal Vertikal
Haltungs-/Stellreaktionen Normal Verzögert
Fazialislähmung Möglich Möglich
Horner-Syndrom Möglich Nein
Kopfnervenausfälle Normal Abnormal

Normal: Stimme und Atmung unverändert, normales Schlucken.

Abnormal: Stimmveränderungen wie Heiserkeit, erschwerte, geräuschvolle Einatmung infolge von Stimmbandlähmung, pharyngeale Dysphagiesymptome (Läsion des N. recurrens) oder zentrale Läsion des kaudalen Nuc. ambiguus; Megaösophagus (selten) oder Tachykardie.

Ursachen: Hirnstammläsionen, Nerventraumata des Pharynx z. B. durch perforierende Fremdkörper oder Bissverletzungen; im Zusammenhang mit Erkrankungen des PNS oder Myopathien.

Nervus accessorius: N. XI

Funktion: Teilinnervation der Halsmuskulatur. Funktionsstörungen sind nur schwer feststellbar und kommen selten vor.

Nervus hypoglossus: N. XII

Funktion: Motorik der Zungenmuskulatur, gerichtete Zungenbewegungen bei der Futteraufnahme oder dem Belecken der Nase.

Anatomie: Ursprung in der Medulla oblongata, jede Zungenseite wird individuell innerviert.

Testverfahren:

Adspektion: Symmetrie der Zunge, Abweichen nach der Seite; beträufeln der Zunge mit Wasser.

Normal: Symmetrische Zungenmuskulatur, Leckbewegungen bei Wasser.

Abnormal: Bei einer einseitigen Läsion des N. XII kommt es zur Atrophie der betroffenen Zungenseite, die gesunde Zungenhälfte wird in Richtung der gelähmten Seite gekrümmt. Bei beidseitiger Hypoglossuslähmung kann das Tier mit der Zunge weder Wasser noch Futter aufnehmen oder Bissen formen.

Ursachen: Nerventraumata, Hirnstammtumoren.

2.6.1.8 Prüfung der Schmerzreaktionen

Die Prüfung der Schmerzreaktion des Tieres ist die einzige prüfbare Komponente der Oberflächensensibilität. Die Schmerzreaktion ist nicht immer leicht auszulösen oder zu beurteilen. Individuelle und rassebedingte Unterschiede in der Schmerzempfindung sind beträchtlich. Auch Angst und Bewusstseinszustand spielen eine wichtige Rolle. Die Schmerzprüfung dient der Lokalisation einer vermuteten Läsion und zur Stellung einer Prognose.

Testverfahren: Freie, wenig oder gar nicht myelinisierte Nervenendigungen in der Haut werden durch Kneifen mit den Fingerspitzen, besser mit einer Peanklemme oder auch durch Nadelstiche, welche wirklich Schmerzen auslösen, gereizt. Zu untersuchen sind zum einen die Haut- oder oberflächliche Schmerzempfindung, zum anderen die tiefe Schmerzempfindung, das heißt die Schmerzempfindung von Muskeln, Knochen und Gelenken. Wird die Schmerzreaktion an einer Gliedmaße als verstärkt oder reduziert befunden, sollte sie mit der Reaktion an der kontralateralen, gesunden Gliedmaße verglichen werden. Die von einem Nerven innervierten Hautbezirke bezeichnet man als Dermatome. Die Kerne der sensiblen Nervenzellen liegen in den dorsalen Wurzelganglien, die Synapsen in der grauen Rückenmarkssubstanz. Die Axone ziehen in der weißen Rückenmarkssubstanz als Tractus spinomedullothalamicus auf der ipsilateralen, aber auch auf der kontralateralen Seite zum Thalamus. Von hier aus wird die Information auf die Großhirnrinde projiziert. Diese Axone leiten die oberflächliche Schmerzempfindung, Druck- und Temperaturempfindung sowie die unbewusste Propriozeption weiter.

Normal: Zucken der gereizten Haut, willentliches Wegziehen der Gliedmaße, Versuch zu beißen, Ausweich- oder Fluchtbewegungen, eine Vergrößerung der Pupillen und Lautäußerungen wie Knurren. Nur bewusste Schmerzwahrnehmung wie die vorgegangenen Reaktionen sind positiv zu bewerten. Sie müssen von reflexartigen Abwehrbewegungen (Flexor- und Panniculusreflex) unterschieden werden. Fehlt die oberflächliche Schmerzreaktion, überprüft man die tiefe Schmerzempfindung. Statt der Hautareale wird mittels Druckausübung mit einer Peanklemme die Schmerzempfindung der Knochenhaut oder der Krallengelenke stimuliert. Die Endigungen der Nerven, welche die tiefen Schmerzreize registrieren, sind viel dünner als die der oberflächlichen Schmerzfasern, nicht myelinisiert und leiten die Reize langsamer. Im Tractus spinoreticularis und propriospinalis des Rückenmarks wird der Impuls bilateral und multisynaptisch über die Formatio reticularis und den Thalamus zur Großhirnrinde geleitet. Diese Bahnen verlaufen in der Tiefe des Rückenmarks und werden erst bei schweren Rückenmarksläsionen betroffen.

Abnormal: Man spricht von Analgesie (Anästhesie), wenn eine Reaktion auf die zugefügten Schmerzen fehlt. Hypalgesie/Hypästhesie liegt vor, wenn die Schmerzempfindung deutlich reduziert ist im Vergleich zu der gegenüberliegenden Gliedmaße.

Ursache ist eine Läsion der peripheren Nerven oder des Rückenmarks: Die Prognose ist ungünstig oder schlecht, wenn sowohl Oberflächen- als auch Tiefenschmerz fehlen. Hyperalgesie (Hyperästhesie), Steigerung der Sensibilität oder Überempfindlichkeit entsteht durch Irritation eines Nervens, einer Nervenwurzel oder Meningen, z. B. durch vorgefallenes Diskusmaterial. Parästhesien (abnorme Empfindungen) sind Sensibilitätsstörungen, die beim Tier wegen der fehlenden Kommunikation schwer zu beurteilen sind, oft aber mit Belecken und/oder Kratzen einer Stelle sowie Automutilationen einhergehen können.

2.6.2 Beurteilung vegetativer Funktionen

Das vegetative oder autonome Nervensystem regelt und koordiniert die Organfunktionen des Körpers (Atmung, Verdauung, Sekretion). Einfache Reflexbögen sind möglich (z. B. Darmmotorik), aber auch komplexere Regelmechanismen mit Einbezug des Hypothalamus als Integrations- und Kontrollorgan (z. B. Drüsen) sind häufig beteiligt. Man unterscheidet drei anatomische Systeme: den Sympathikus, den Parasympathikus und das intramurale System.

Die Zentren des Sympathikus liegen im Brust- und Lendenmark. Die präganglionären Fasern enden an den Grenzstrangganglien und sezernieren Acetylcholin als Überträgersubstanz. Die zum Endorgan führenden postganglionären Fasern sezernieren Noradrenalin (Ausnahme Drüsen!). Eine typische Manifestation einer Sympathikusläsion ist das Horner-Syndrom (siehe auch N. III, Pupillarreflex): Das Auge auf der betroffenen Seite sinkt zurück, die Nickhaut fällt vor, die Pupille ist miotisch verengt. Ursache: Ein Abriss des Plexus brachialis kann durch die Läsion der Sympathikuswurzel zu einem Horner-Syndrom führen. Eine Otitis media oder ein penetrierender Fremdkörper im Hals- oder Brusteingangsbereich können den Sympathikus ebenfalls schädigen.

Die Zentren des Parasympathikus befinden sich im Hirnstamm und Sakralmark. Die Umschaltung von den prä - auf die postganglionären Fasern erfolgt in den peripheren Ganglien, die meist im Endorgan selber liegen. Sowohl die prä- als auch die postganglionäre Überträgersubstanz an den parasympathischen Synapsen ist Acetlycholin. Für eine Läsion des Parasympathikus sprechen z. B. eine Mydriase, Tachykardie und Miktionsstörungen.

Das intramurale System besteht aus Ganglien und Nerven in der Wand von Hohlorganen (Herz, Magen, Darm, Blase, Uterus), die eine gewisse Selbstständigkeit (Autonomie) aufweisen.

2.6.3 Lokalisation der Läsion

Die ersten zwei Aufgaben nach Beendigung des Neurostatus sind:

1. Die Protokollierung der Befunde.

2. Die Lokalisation der für die Symptome verantwortlichen Läsion im Nervensystem (Stellen einer topischen Diagnose). Aufgrund der Anamnese und der Untersuchungsbefunde ist eine Lokalisation meistens möglich.

Folgende Fragen sollte man sich stellen:

Liegt überhaupt eine neurologische Störung vor?

Typische Anzeichen sind Ataxien, Lähmungen, Anfälle, Bewusstseinsveränderungen, Kopfnervenausfälle.

Kann es sich auch um neurologische Symptome einer nicht-neuralen Erkrankung handeln?

Bei einem porto-kavalen Shunt z. B. treten neurologische Symptome oft nur zeitweise auf.

Wo liegt die Läsion: kranial oder kaudal des Foramen magnum?

Läsionen kranial des Foramen magnum gehen einher mit Kopfnervenausfällen, Anfällen, Bewusstseins-, Verhaltens- und/oder Koordinationsstörungen. Liegen isolierte Funktionsstörungen der Gliedmaßen vor, so ist die Läsion kaudal des Foramen occipitale zu suchen.

Betrifft die Läsion das ZNS oder das PNS?

Zum ZNS (Zentralnervensystem) gehören das Gehirn und das Rückenmark. Das PNS (Peripheres Nervensystem) besteht aus den Kopf- und Gliedmaßennerven sowie der Cauda equina. Hirnnervenausfälle mit Bewusstseinsstörungen sprechen für ZNS-Läsionen, während die Ursache für reine Hirnnervenausfälle zuerst im PNS zu suchen ist. Schwache Reflexantworten aller Gliedmaßen (UMN) deuten auf eine Läsion im PNS (z. B. Polyneuropathie), während schwache Reflexe einer oder zweier Gliedmaßen auch bei RM-Schäden auftreten können.

Kann eine einzige Läsion alle Symptome erklären?

Es sollte zuerst immer versucht werden, alle auftretenden Symptome auf eine einzige Lokalisation zu beschränken.

Ist die Erkrankung fokal oder diffus?

Fokale Erkrankungen sind meist durch raumfordernde Prozesse (z. B. Tumor), multifokale Ausfälle oft metabolisch oder infektiös bedingt.

2.6.4 Differentialdiagnostik

Ist die Lokalisation gesichert, muss man alle in Frage kommenden Differentialdiagnosen in Betracht ziehen und durch weiterführende Untersuchungen bestätigen oder ausschließen. Als »Eselsbrücke« für die Ätiologie dient das Akronym (nach JAGGY, Bern):

VETAMIN D

V wie vaskulär

E wie entzündlich (infektiös)

T wie traumatisch

A wie Anomalie

M wie metabolisch

I wie idiopathisch

N wie neoplastisch

D wie degenerativ

2.6.5 Weiterführende Untersuchungsmethoden

Röntgenuntersuchung/CT/MRT: siehe Kapitel 3.

2.6.5.1 Liquorentnahme

Für eine diagnostische Liquorentnahme ist die Subokzipitalpunktion am besten geeignet. Dazu wird der Hund narkotisiert, intubiert, in Seitenlage gebracht und im Bereich des Os occipitale und der ersten zwei Halswirbel chirurgisch vorbereitet. Dann biegt man den Kopf des Tieres bis er mit der Halswirbelsäule einen rechten Winkel bildet und fixiert ihn. Der Einstich mit der Spinalnadel erfolgt in der Mitte eines Dreiecks, das durch die Protuberantia occipitalis und die Ränder beider Atlasflügel gebildet wird. Langsam führt man die Nadel durch die Nackenmuskulatur bis der Widerstand plötzlich nachlässt. Oft zuckt das Tier beim Durchstechen der Hirnhäute. Dann entfernt man den Mandrin und lässt den Liquor in ein Reagenzglas tropfen. Aspirieren von Liquor ist unzulässig, da damit Blutungen provoziert werden.

2.6.5.2 Liquoruntersuchung

Empfehlenswert ist es, die Liquoruntersuchung einem Spezialisten (Labor, Neurologen) zu überlassen, da gewisse Utensilien und Erfahrung nötig sind, um auswertbare Resultate zu erlangen. Liquor muss sofort nach Entnahme untersucht werden, da die Zellen sehr fragil sind. Beurteilt werden Farbe, Eiweißgehalt und Zellen. Normaler Liquor ist wasserklar. Blutiger Liquor ist meist durch einen Punktionsfehler entstanden und bei starker Blutkontamination für eine Untersuchung ungeeignet. Gelbstichiger Liquor (Xantochromie) deutet auf eine alte Blutung oder Ikterus, eine Trübung auf hohen Zellgehalt hin. Der Eiweißgehalt beim Hund liegt zwischen 10 bis 30 mg/100 ml und wird vom Albumin bestimmt. Ein semiquantitativer Schnelltest kann in der Praxis mit gesättigter Karbolsäure (Pandyreaktion) erfolgen: Ein Uhrglasgefäß auf dunklem Untergrund mit der Pandylösung füllen und einige Tropfen Liquor dazu pipettieren. Eine Trübung deutet auf einen pathologisch erhöhten Eiweiß- v. a. Globulingehalt hin (Beurteilung je nach Trübung + bis ++++). Die Zellzählung muss innerhalb von 20 Minuten nach Entnahme erfolgen. Kann dies nicht im eigenen Labor erfolgen und steht auch kein humanmedizinisches Labor zur Verfügung, soll die Konservierung des Liquors mit dem Labor, zu dem er gesandt wird, abgesprochen werden. Will man den Liquor im eigenen Labor untersuchen, wird eine Färbung mit Fuchsin (Samsonsche Lösung) durchgeführt. Normal sind maximal 10 Zellen/mm3. Vor allem bei einer Pleozytose (>10 Zellen/mm3) ist eine Zelldifferenzierung wichtig. Unter Praxisbedingungen können durch Zuhilfenahme einer Sedimentationskammer die Zellen konzentriert und auf einem Objektträger aufgefangen werden. Anschließend erfolgt eine Schnellfärbung der Zellen wie bei Blutuntersuchungen. Bei bakteriellen Infektionen überwiegen die Neutrophilen, bei Virusinfektionen die mononukleären Zellen (Lymphozyten, Monozyten, Makrophagen).

2.6.5.3 Muskel- und Nervenbiopsien

Bei Verdacht auf eine Muskel- oder Nervenerkrankung besteht zur weiteren Abklärung des Falles die Möglichkeit einer Muskel- und/oder Nervenbiopsie.

2.6.5.4 Elektrodiagnostik

Dazu zählen (Elektromyographie (EMG), Elektroneurographie (ENG), Auditorisch evozierte Potentiale (BAEP), Elektroenzephalographie (EEG).

Die Elektrodiagnostik dient der Identifizierung muskulärer sowie neurogener Erkrankungen (EMG, ENG, BAEP) und kann bei Anfallsleiden oder Hirnläsionsverdacht eingesetzt werden (EEG).

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2.7 Augenuntersuchungsgang B. Nell

2.7.1 Anatomie

Unter der Augenuntersuchung versteht man die Untersuchung des Sehorgans. Das Sehorgan (Organum visus) besteht aus dem Augapfel (Bulbus oculi), dem Sehnerven (Nervus opticus), den zentralen Sehbahnen und den Sehzentren der Sehrinde des Hirnmantels. Zur Gewährleistung seiner Funktion tragen neben einem verzweigten Blutgefäß- und Nervensystem vor allem die Nebenorgane des Auges (Organa oculi accessoria, Adnexe) bei, die dem Schutz und der Beweglichkeit dienen (Orbita, äußere Augenmuskeln, Tränenapparat, Bindehaut, Lider).

Das Auge stellt einen Hohlkörper dar, dessen Wand aus drei Schichten aufgebaut ist:

1. Äußere Augenhaut (Tunica externa sive fibrosa bulbi) bestehend aus Hornhaut (Kornea) und Lederhaut (weiße Augenhaut, Sklera).

2. Mittlere Augenhaut (Tunica media sive vasculosa bulbi): Gefäßhaut, Traubenhaut, Uvea bestehend aus Regenbogenhaut (Iris), Strahlenkörper (Ziliarkörper, Corpus ciliare) und Aderhaut (Chorioidea oder Choroidea).

3. Innere Augenhaut (Tunica interna bulbi): Netzhaut (Retina) bestehend aus Pigmentepithel, sensorischer Retina und Sehnervenscheibe (Discus/Papilla nervi optici).

Den Inhalt des Bulbus bildet das Kammerwasser (vordere und hintere Augenkammer), die Linse (Lens oculi) mit ihrem Aufhängeapparat (Zonula zinni/Zonula ciliaris/Zonulafasern) und der zwei Drittel des okularen Binnenraumes einnehmende Glaskörper (Corpus vitreum, Vitreum).

2.7.2 Untersuchungsmethoden

Abhängig von der Blickrichtung und der Beleuchtungsrichtung unterscheidet man zwischen der Untersuchung im auffallenden und im durchfallenden Licht.

2.7.2.1 Untersuchung im auffallenden Licht (Auflicht, seitliches Licht)

Methode: Die Lichtquelle wird in einem variablen Winkel zur Blickrichtung gehalten, d. h. Beleuchtungs- und Blickrichtung korrespondieren nicht. Mit dieser Methode können die Augenabschnitte bis zum vorderen Glaskörper beurteilt werden, bei Fehlen der Linse auch der Fundus.

Geräte: Die fokale Lichtquelle wird nahe am Patientenauge gehalten, oder es wird zur Optimierung, das Handspaltlampenbiomikroskop verwendet.

Anwendung:

Purkinje-Sansonsche-Bilder sind die Spiegelbilder der Lichtquelle auf der Hornhaut und der Linsenvorder- und -hinterfläche (Abb. 2.17). Da die Kornea und Linsenvorderfläche konvexe Spiegel sind, erscheinen die beiden Bildchen aufrecht und bewegen sich bei Bewegung der Lichtquelle mit ihr mit. Die Linsenhinterfläche ist ein konkaver Spiegel und das Reflexbildchen ist verkehrt, kleiner und bewegt sich entgegengesetzt. Dadurch wird die Existenz und Position der Linse bestimmt.

Abnorme Spiegelbilder. Nur ein Hornhautbild bedeutet entweder Aphakie oder Luxation der Linse in den unteren Glaskörperbereich (Luxatio lentis posterior/inferior). Hornhautbild und vorderes Linsenbild fallen bei einer Luxatio lentis anterior zusammen.

Differenzierung von Linsentrübungen. Linsentrübungen, die im Auflicht weißlich erscheinen (hintere Naht, Linsenkern), im Durchlicht aber verschwinden, werden als Reflexe bezeichnet. Katarakte sind im Auflicht weißlich, im Durchlicht dunkel/hell leuchtend.

2.7.2.2 Untersuchung im durchfallenden Licht (Durchlicht)

Methode: Der Lichtstrahl und die Blickrichtung sind identisch, d. h. die Lichtquelle wird vor das Untersucherauge gehalten (Blick durch den Otoskopring, Kopfbandleuchte). Das Licht fällt durch die lichtbrechenden Medien hindurch und wird vom Hintergrund (Iris, Fundus) reflektiert (Retroillumination, Fundusreflex).

image

Abb. 2.17: Purkinjesche Reflexbilder.

Geräte: Die Untersuchung im durchfallenden Licht kann mit einer fokalen Lichtquelle direkt vor dem Untersucherauge oder dem binokularen Kopfbandophthalmoskop erfolgen.

Anwendung:

Untersuchung im reflektierten/regredienten Licht (Fundusreflex):

Nahbetrachtung mit Lupe: Der Untersucher fokussiert den zu untersuchenden Augenabschnitt durch Einnehmen der erforderlichen Entfernung, z. B. um abnormen Inhalt im Glaskörper festzustellen.

Distanzbetrachtung ohne Lupe (ca. Armlänge): Der Untersucher betrachtet das Patientenauge aus der Entfernung einer Armlänge und hält die Lichtquelle an sein Auge. Trübungen mit zunehmender Dichte erscheinen dunkler (Absorption) und Trübungen mit geringer Dichte heller leuchtend (Streuung) als im auffallenden Licht.

Seitliche Durchleuchtung der Vorderkammer: Die Blick- und Beleuchtungsrichtung erfolgt mit vorgeschalteter Lupe vom temporalen Limbus entlang des Iris-Linsen-Diaphragmas in den nasalen Anteil des Kammerwinkels. Beurteilt werden Gestalt und Beweglichkeit des Iris-Linsen-Diaphragmas, Tiefe und abnormer Inhalt der Vorderkammer sowie der nasale Kammerwinkel (Gonioskopie ohne Kontaktglas).

BERLINsches Phänomen: (Rudolf BERLIN 1882) Das BERLINsche Phänomen ist die beim Pferd und, bei gedrosseltem Licht, auch beim Hund zu beobachtende Kern-Rinden-Grenze in der Linse.

Parallaktische Verschiebung (Abb. 2.18): Sie dient der Lokalisation von Trübungen bei Änderung der Blickrichtung. Durch Eigenbewegung des Untersuchers vor dem Patientenauge bei Distanzbetrachtung wird die Verschiebung von Trübungen in Relation zum Pupillenrand beurteilt:

gegenläufig: vor der Pupillarebene

gleichbleibend: in der Pupillarebene

gleichläufig: hinter der Pupillarebene

Perspektivische Verschiebung: Dient der Lokalisation von Niveauunterschieden des Fundus. Durch Änderung der Beobachtungsrichtung verschieben sich weiter vorne gelegene Bereiche rascher gegenläufig als tiefer gelegene.

Erhabenheiten: gegenläufig

Ausbuchtungen: (scheinbar) gleichläufig

2.7.2.3 Direkte Ophthalmoskopie (Untersuchung im durchfallenden Licht)
(Abb. 2.19)

Methode: Die Lichtquelle wird vor dem Untersucherauge und nahe am Patientenauge gehalten, wobei der Untersucher nicht akkommodiert. Das Fundusbild erscheint aufrecht, seitenrichtig und abhängig von Bulbus- und Linsengröße vergrößert (Hund 15- bis 17fach).

Geräte: Es wird eine fokale Lichtquelle wie Otoskoplämpchen (großes Gesichtsfeld), Punktleuchte, Skleralleuchte, direktes Ophthalmoskop (kleines Gesichtsfeld) mit Rekoßscher-Scheibe, Farbfilter und Raster verwendet. Da das Gesichtsfeld durch die Breite des Lichtkegels, der durch die Pupillenöffnung auf den Fundus fällt, bestimmt wird, ist das direkte Ophthalmoskop für unsere Haussäuger nicht gut geeignet und das Otoskoplämpchen vorzuziehen.

2.7.2.4 Indirekte Ophthalmoskopie (Untersuchung im durchfallenden Licht) (Abb. 2.20)

Methode: Bei Distanzbeobachtung wird eine Sammellinse vor die weitgestellte Pupille des Patientenauges gehalten. Durch die Bündelung des Lichtstrahles und die Divergenz hinter dem Brennpunkt wird ein größeres Fundusareal ausgeleuchtet und es entsteht ein größeres Gesichtsfeld bei schwächerer Vergrößerung als bei der direkten Ophthalmoskopie. Außerdem entsteht ein umgekehrtes und seitenverkehrtes Bild.

Geräte: Lupen zu +20D (dreifache Vergrößerung) und +30D (zweifache Vergrößerung) und eine fokale Lichtquelle oder ein binokulares Kopfbandophthalmoskop.

Binokulares Kopfbandophthalmoskop: Es ermöglicht die stereoskopische Beurteilung des Fundus, weil das Bild mit beiden Augen gesehen wird. Zudem bleibt eine Hand des Untersuchers zum Offenhalten der Lidspalte frei.

2.7.2.5 Handspaltlampen-Biomikroskopie (Untersuchung im auffallenden Licht)

Methode: Ein variabel verengbarer Lichtstrahl (Spaltlicht) wird seitlich mittels einer Vergrößerungshilfe (Beobachtungsmikroskop) betrachtet.

Gerät: Das Gerät besteht aus einer Beleuchtungseinheit, die ein durch Blenden regulierbares Lichtfeld besitzt und seitlich ausschwenkbar ist. Die Beobachtungseinheit hat eine 10- bis 16-fache oder stufenlos einstellbare Vergrößerung. Die Fokussierung erfolgt durch Distanzänderung des Untersuchers vor dem Patientenauge.

2.7.2.6 Tests zur Überprüfung der Tränenproduktion

Methode: Die wässrige Phase des Tränenfilms wird mit Hilfe des Schirmer Tränentestes (STT) überprüft. Der STT I wird routinemäßig durchgeführt und erfolgt ohne Lokalanästhesie (Reflextränenfluss). Mit dem STT II mit Lokalanästhesie wird der Basistränenfluss überprüft. Das genormte, abgeknickte Filterpapierstreifchen wird in das laterale Drittel des unteren Fornix eingelegt und die Benetzung nach einer Minute abgelesen.

Geräte: Genormte Filterpapierstreifen mit oder ohne Farbindikator.

2.7.2.7 Externe Färbemethoden

Methode: Zur Anfärbung der Kornea wird kein Lokalanästhetikum verwendet. Der Papierstreifen wird mit physiologischer Kochsalzlösung angefeuchtet und ein gefärbter Tropfen wird in das Auge fallen gelassen. Der Farbaustritt aus dem Nasenloch beweist die Durchgängigkeit des Tränennasenganges, nicht aber die beider Tränenpunkte oder Tränenkanälchen.

Geräte: Es werden mit Bengalrosa (Vitalfärbung) oder Fluoreszein-Natrium (färbt Epitheldefekte an) imprägnierte Papierstreifen verwendet.

2.7.2.8 Untersuchung der Konjunktival- und Kornealflora

Methode: Ein Tupfer wird ohne Lokalanästhesie durch den Fornix oder über den Rand des Hornhautdefektes gerollt.

Gerät: Angefeuchteter (NaCl- oder Nährlösung aus Vorratskammer) steriler Tupfer.

2.7.2.9 Konjunktival- und Kornealzytologie

Methode: Unter Lokalanästhesie rollt man die Zytobürste durch den Fornix oder über den Rand des Hornhautdefektes.

Geräte: Zytobürste und Objektträger zum Ausrollen des Abstriches.

2.7.2.10 Tonometrie (Messen des intraokularen Druckes)

Methode: Die digitale Tensionsprüfung erfolgt durch die Palpation der vom Oberlid bedeckten Augäpfel mit Zeige- und Mittelfinger jeweils einer Hand. Es wird abwechselnd mit einem Finger ein leichter Druck ausgeübt (und nicht der Bulbus in die Orbita gedrückt), um die Eindrückbarkeit der Bulbuswand zu ermitteln. Bei der instrumentellen Tonometrie wird unter Lokalanästhesie das Schiötz Tonometer auf der Hornhaut aufgesetzt oder mit dem Tonopen® die Hornhaut wiederholt betupft.

Geräte: Schiötz Tonometer (Impressionstonometer), Tonopen® (Applanationstonometer).

2.7.2.11 Gonioskopie (Untersuchung des Kammerwinkels)

Methode: Die exakte Beurteilung des Kammerwinkels ist nur mit Hilfe eines Kontaktglases möglich. Unter Lokalanästhesie wird die Kontaktlinse auf die Hornhaut aufgesetzt und haftet durch Unterdruck oder mittels Gel.

Gerät: Lichtquelle (mit Lupe, Handspaltlampen-Biomikroskop, indirektes binokulares Kopfbandophthalmoskop), direkte sphärische Gonioskopielinsen (Lovac Linse nach Barkan, Köppelinse).

2.7.2.12 Untersuchung der Bindehautsäcke

Methode: Unter Lokalanästhesie werden die Nickhaut und die Bindehautsäcke (auch der obere Bindehautsack) erfasst und hervorgezogen.

Gerät: Bindehautpinzette.

2.7.2.13 Untersuchung der Tränenwege

Methode: Unter Lokalanästhesie werden die Tränenkanälchen, ausgehend von den Tränenpunkten, mit einer stumpfen Tränenwegsonde bis in den Tränensack sondiert und die gesamten tränenabführenden Wege mit physiologischer Kochsalzlösung gespült.

Geräte: Tränenwegsonden und -kanülen.

2.7.2.14 Elektroretinographie (ERG)

Methode: Unter Lokalanästhesie und Sedierung erfolgt eine Stimulation der Retina durch Lichtblitze und die abgeleiteten Potentiale werden über Elektroden gemessen.

Gerät: Elektroden, Blitzstimulator, Verstärker mit Filtern, Analog-Digital-Wandler, Monitor.

2.7.2.15 Punktionen und Biopsien
Vorderkammerpunktion/Glaskörperpunktion

Methode: Unter Lokalanästhesie und Sedierung wird die Vorderkammer vom Limbus her und der Glaskörper ca. 7 mm hinter dem Limbus Richtung hinteren Augenpol punktiert und 0,1–0,25 ml aspiriert oder Medikamente injiziert.

Gerät: 22G- oder 23G-Nadel (Glaskörper) 27G- bis 30G-Nadel (Vorderkammer), Spritze.

Biopsie von Konjunktiva und Kornea

Methode: Biopsien der Konjunktiva können unter Lokalanästhesie mit der Schere, die der Kornea unter zusätzlicher Neuroleptanalgesie mit der Klinge (oberflächliche Keratektomie) gewonnen werden.

Gerät: Pinzette und Schere für Konjunktiva, zumindest Lupenbrille, besser Operationsmikroskop, Klinge und Pinzetten für Kornea.

Biopsie von retrobulbärem Gewebe

Zur Klassifizierung von orbitalen Veränderungen kann die Feinnadelaspiration herangezogen werden. Die Punktion erfolgt in Neuroleptanalgesie hinter dem letzten Oberkiefermolaren.

2.7.2.16 Fluoreszenzangiographie

Methode: Ohne oder mit Sedierung, aber ohne dass der Bulbus abrotiert, wird die Verteilung von intravenös verabreichtem Fluoreszein-Natrium mit dem Blutstrom in den Fundusgefäßen mittels spezieller Funduskameras beobachtet.

Geräte: 10% Fluoreszein-Natrium (Hund) i. v., Funduskamera mit Exzitations- und Sperrfilter.

2.7.2.17 Dakryozystorhinographie

Methode: Die Kontrastdarstellung der ableitenden Tränenwege erfolgt unter Lokalanästhesie und Sedierung, indem Kontrastmittel über den oberen Tränenpunkt in Tränenwege injiziert wird.

Geräte: 40% jodiertes Mohnsamenöl, Tränenwegsonde, Röntgen.

2.7.2.18 Bildgebende Diagnostik

Geräte: Röntgen, Ultraschall, CT/MRI.

2.7.3 Untersuchungsplan

Die Untersuchung sollte nach feststehenden Standards durchgeführt werden. Hunde und Katzen werden auf einem stabilen Tisch stehend, sitzend oder liegend untersucht. Welpen werden unter den Achseln hochgehalten. Die freie Hand des Untersuchers spreizt die Lidspalte. Als ggf. notwendige Zwangsmaßnahmen zur besseren Fixation des Patienten kann ein Maulband verwendet oder das Tier sediert werden.

1. Anamnese

Was? Beobachtung des Besitzers!

Seit wann? Zeitangabe in Stunden, Tagen etc.

Wo?

Wie? Verlauf, Vorbehandlung, sonstige Veränderungen.

2. Klinik

Internistische, neurologische, orthopädische Untersuchung.

3. Augenuntersuchung

4. Weiterführende Untersuchungen

2.7.4 Untersuchungsgang
2.7.4.1 Untersuchung der Sehfähigkeit – Sehproben

Koordinierte Augenbewegungen: Der Blick sollte einem vor den Augen (ca. 50 cm) bewegten Gegenstand folgen.

Hindernisparcours: Beobachtung des Patienten in freier Bewegung und in fremder Umgebung mit Hindernissen (z. B. gegen eine parallel zum Boden gehaltene Besenstange führen). Eine differenziertere Aussage erhält man, wenn man das Tier den Hindernisparcour zuerst bei gedämpften (skotopisches Sehen) und dann bei weißem Licht (photopisches Sehen) machen lässt.

Wattebauschtest: Ein Wattebausch wird im lateralen Bereich des Gesichtsfeldes fallen gelassen. Als positive Reaktion wird die Kopf- und Augenbewegung in Richtung des fallenden Bausches gewertet, eine ausbleibende Reaktion ist nicht aussagekräftig.

Drohreflex (kortikaler Reflex): Plötzliche Bewegung eines gestreckten Zeigefingers Richtung Auge. Ein Lidschlag und evtl. ein Abwenden des Kopfes sollten erfolgen (erst ab der 6.–12. Lebenswoche anwendbar).

Visuelle Stellreaktionen, optische Tischkantenprobe: Der angehobene Hund hebt bei Annäherung an die Tischkante die Vorder- oder Hintergliedmaßen und versucht mit den Pfoten am Tisch aufzusetzen.

2.7.4.2 Vergleichende Distanzbetrachtung

Die routinemäßige Untersuchung erfolgt bei gedämpftem Umgebungslicht.

Kopf, Lidspalte, Bulbus

Betrachtung von vorne und von der Seite und Beurteilung von Lage, Beweglichkeit, Stellung und Größe des Bulbus.

Vergleich der Pupillenweite

Vor Benutzung einer Lichtquelle wird die Größe der Pupillenöffnung vergleichend beurteilt. Diese kann weit, mittelweit, mitteleng oder eng sein. Bei hellem Umgebungslicht wird die Pupillenöffnung enger und bei ängstlichen Tieren weiter sein. Bei zu schwachem Umgebungslicht wird der Vergleich der Pupillenweiten mittels der Distanzbetrachtung im reflektierten schwachen Licht vorgenommen.

STT

STT I: ohne Lokalanästhesie (Reflextränenfluss), Hund: >13 mm/min, Katze: >11 mm/min.

Lidreflex und Kornealreflex

Lidschluss bei Berühren des Lidrandes oder der Hornhaut. Afferenz: N. trigeminus, Efferenz: N. facialis.

Pupillarreflex, Pupillenreaktion auf Licht/Pupillen-Lichtreflex (PLR)

Eine Verengung der Pupille(n) bei Lichteinfall beweist die Intaktheit der afferenten Nervenbahnen bis zum Tractus opticus bzw. Mittelhirn, sowie die der efferenten Bahnen und des M. sphincter pupilllae. Der indirekte PLR beweist die Funktionstüchtigkeit der Afferenz des stimulierten Auges bis zum Chiasma opticum und die der Efferenz des anderen Auges. Die Beurteilung erfolgt vor und nach Reflexbahnung. Unter Reflexbahnung versteht man das raschere Einsetzen und den rascheren Ablauf des PLR nach wiederholtem Lichteinfall.

Direkter PLR (Abb. 2.21, a)

Normal: prompt, d. h. die Verengung setzt unmittelbar mit dem Lichteinfall ein, und vollständig, d. h. der für die jeweilige Tierart typische Engstand wird erreicht.

Pathologisch: ggr./mgr./hgr. verzögert, ggr./mgr./hgr. unvollständig.

Indirekter/Konsensueller PLR (Abb. 2.21, b)

Pupillenreaktion, die bei Belichtung eines Auges im anderen Auge abläuft; ggr. unvollständiger als der direkte.

Lichtschwenk-Probe (swinging flashlight test)

Durch Schwenken der Lichtquelle von einem Auge zum andern wird abwechselnd der direkte und indirekte PLR hervorgerufen. Es entsteht eine alternierende Anisokorie, wobei das direkt stimulierte Auge eine stärkere Pupillenverengung zeigt.

MARCUS-GUNN-Zeichen oder positive Lichtschwenkprobe: Pupille wird weiter, wenn direkt stimuliert (Läsion der Afferenz vor dem Chiasma).

Abdeck-Probe

Abwechselnde Abdeckung bei konstantem Lichteinfall. Damit wird der Einfluss des Umgebungslichtes auf das abgedeckte Auge und somit der indirekte PLR ausgeschaltet. Sie dient der Überprüfung einer positiven Lichtschwenkprobe.

Blendreflex

Lidschluss bei Blenden mit einer starken Lichtquelle. Subkortikaler Reflex, der nicht an eine intakte Sehrinde gebunden ist.

2.7.4.3 Detailuntersuchung eines Auges

Zuerst wird das gesund erscheinende oder weniger stark betroffene Auge untersucht. Es sollte die exakte Reihenfolge mit fixen Beurteilungskriterien eingehalten werden. Nach der Untersuchung mit der fokalen Lichtquelle kommen die Spaltlampenbiomikroskopie und die indirekte Ophthalmoskopie zum Einsatz.

Umgebung des Auges (Untersuchung im auffallenden Licht).

Lidstellung, Lidrand (Untersuchung im auffallenden Licht). Beurteilt werden Lidhaut, Lidstellung, Lidrand und Lidspalte.

Bulbus als Ganzes, Orbita. Bei der Distanzbetrachtung wurden Bulbusgröße und -position bereits evaluiert. Im Zusammenhang mit der Einzeluntersuchung wird noch zusätzlich das Vorhandensein abnormer Augenbewegungen beurteilt.

Sichtbare Teile der Konjunktiva und Sklera (Untersuchung im auffallenden Licht). Beurteilt werden Farbe und Strukturveränderungen der mittels manueller Lidöffnung sichtbaren Bindehaut- und Lederhautbereiche.

Kornea (Untersuchung im auffallenden und durchfallenden Licht). Der physiologische Befund lautet: glatt, glänzend (intakter präokularer Tränenfilm), eben (seitliche Betrachtung), durchsichtig, normal gewölbt (seitliche Betrachtung), sensibel.

Vorderkammer (Untersuchung im auffallenden und durchfallenden Licht, seitliche Durchleuchtung). Beurteilt werden Tiefe, Inhalt und der Kammerwinkel. Um eine abnorme Beweglichkeit des Iris-Linsen-Diaphragmas (Iris-/Linsenschlottern) feststellen zu können, muss eine Bulbusbewegung abgewartet werden. Im Kammerwinkel ist bei seitlicher Durchleuchtung von temporal der nasale Anteil des Ligamentum pectinatum zu sehen.

Iris (Untersuchung im auffallenden und durchfallenden Licht). Beurteilt werden Farbe (vergleichend) und Relief (erhalten, vermehrt, aufgehoben).

Pupille (Untersuchung im auffallenden und durchfallenden Licht). Neben der bereits beurteilten Funktionalität wird hier Form (Dyskorie) und Rand (gleichmäßig, unregelmäßig) beurteilt.

Mydriase (nach 10–20 min) mit Tropicamid

Linse (Untersuchung im auffallenden und durchfallenden Licht). Beurteilt werden Existenz (Purkinje-Sansonsche Bilder), Lage und Zonulainsertion, Größe und Form sowie Durchsichtigkeit.

Glaskörper (Untersuchung im auffallenden und durchfallenden Licht). Beurteilt werden Durchsichtigkeit, Konsistenz und Fremdinhalt. Trübungen schwingen bei Bulbusbewegungen nach.

Fundus (Untersuchung im durchfallenden Licht). Beurteilt werden Sehnervenkopf (Größe, Farbe, Gestalt, Rand), Netzhaut, Aderhautstrukturen (Tapetum lucidum) und Sclera posterior bei albinotischem Fundus.

2.7.4.4 Indikationsgebundene, fakultative Untersuchungen

Nach abgeschlossener Routineuntersuchung kommen die indikationsgebundenen Untersuchungen zum Einsatz. Bei der Reihenfolge muss das Nachfolgende bedacht werden:

Vor Mydriase: Tonometrie, Gonioskopie mittels Kontaktglas.

Vor Lokalanästhesie: Externe Färbemethoden (am Ende des Untersuchungsganges, um Sicht auf hinteren Augenabschnitte nicht zu beeinträchtigen), Tupferprobe der Konjuntival- und Kornealflora.

Nach Lokalanästhesie: Tonometrie, Gonioskopie, Konjunktival- und Kornealzytologie, Untersuchung der Bindehautsäcke und Tränenwege, Ultraschall.

Nach Sedierung: Elektroretinographie, Biopsie, Vorderkammer-, Glaskörperpunktion, Dakryozystorhinographie, CT/MRI.

Nach Sedierung und Mydriase: Elektroretinographie.

Literatur

GELATT, K. N. (2000): Essentials of Veterinary Ophthalmology, Lippincott Williams & Wilkins, A Wolters Kluwer Company. Philadelphia, Baltimore, New York, London, Buenos Aires, Hong Kong, Sydney, Tokyo.

WALDE, I., SCHÄFFER, E. H., KÖSTLIN, R. (1997), Atlas der Augenerkrankungen bei Hund und Katze. Schattauer, 2. Aufl. Stuttgart, New York.

2.8 Stomatologischer Untersuchungsgang bei Hund und KatzeP. Fahrenkrug

2.8.1 Einleitung

Die Erkennung und Behandlung von Zahn- und Maulhöhlenerkrankungen bei Haustieren nimmt in der Kleintierpraxis einen immer größeren Stellenwert ein. Nicht nur aus therapeutischer Sicht ist es wichtig, eine exakte Befunderhebung über den jeweiligen Status des zu untersuchenden Patienten durchzuführen. Auch für Gutachten auf Zuchttauglichkeit oder zur Beurteilung der Einsatzbereitschaft von Diensthunden (z. B. Polizei oder Zoll) sind exakte Befundungen erforderlich. Der häufig anzutreffende Eintrag »Gebiss o. b. B.« in der Dokumentation reicht für solche Bescheinigungen nicht aus. In der Praxis haben sich Befundbögen für Zahnpatienten bewährt, die mit Hilfe einer Checkliste in Form eines Fragebogens arbeiten (z. B. Fa. PHARMACIA, Erlangen, Abb. 2.22, 2.23).

Befundbögen für Zahnpatienten sind ein rechtssicherer Nachweis einer sorgfältigen Diagnostik und gleichzeitig ein wertvolles Hilfsmittel bei der Durchführung des klinischen Untersuchungsganges.

Die vollständige stomatologische Untersuchung kann mit einiger Übung zügig erhoben werden, erfordert aber dennoch Sorgfalt und Systematik. Für die Untersuchung genügen bei guter Beleuchtung als Instrumentarium ein kleiner Mundspiegel und eine zahnärztliche Sonde. Häufig können die Untersuchungen hinreichend exakt am unnarkotisierten Tier erhoben werden. Bei unruhigen Tieren oder bei Vorliegen schmerzhafter Gebisserkrankungen wird eine Sedierung oder eine Narkose angeraten. Die konsequente Beachtung des Quadrantensystems und des Zahnschemas nach TRIADAN erleichtert die Übersicht erheblich und vermeidet Fehler.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842685260
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Mai)
Schlagworte
Veterinärchirurgie Veterinärmedizin veterinärmedizinisches Fachbuch

Autor

  • Martin Kramer (Herausgeber:in)

Der Herausgeber und die Autoren: Professor Martin Kramer leitet die chirurgische Veterinärklinik der Universität in Gießen. Die rund 30 Autoren sind Spezialisten veterinärmedizinischer Bildungsstätten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien sowie privater Kliniken.
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Titel: Kompendium der Allgemeinen Veterinärchirurgie