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Risikomanagement in der stationären Altenhilfe

Anforderungen, Methoden, Erfahrungen

von Harald Blonski (Herausgeber:in)
156 Seiten

Zusammenfassung

Mangelnde Hygiene in Pflegeeinrichtungen, unsachgemäße Handhabung von Geräten, gesundheitsschädliche Substanzen, Keime oder Verunreinigungen im Klinikessen – Vorfälle dieser Natur erhitzen die Öffentlichkeit und führen zu großen Verunsicherungen und einem erheblichen Vertrauensverlust seitens der Patienten und ihren Angehörigen.
Doch was tun? Wie können diese Risiken im Alltag einer Einrichtung minimiert oder aus dem Weg geräumt werden? – Die Autoren und Autorinnen dieses Buches gehen aus interdisziplinären Perspektiven Ansätzen,Techniken und Verfahren des Risikomanagements auf die Spur. Sie fragen:
• Was ist effizient?
• Was hat sich in der Praxis bewährt?
• Wie aufwendig ist die Umsetzung
Das Ergebnis: Methoden, Wege und Konzepte, die die Sicherheit von Patienten und Bewohnern nachhaltig sichern und praxisnah umgesetzt werden können.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Harald Blonski (Hrsg.)

Risikomanagement
in der stationären Altenhilfe

Anforderungen, Methoden, Erfahrungen

schlütersche

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-89993-334-5 (Print)
ISBN 978-3-8426-8543-7 (PDF)
ISBN 978-3-8426-8544-4 (EPUB)

© 2014 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,
Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover

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Titelbild: Romolo Tavani – 123rf.com
Satz: PER Medien+Marketing GmbH, Braunschweig
Druck und Bindung: Stürtz GmbH, Würzburg

INHALT

Vorwort

Harald Blonski

Einleitung

Aktualität und Bedeutung des Risikomanagements für Einrichtungen der Altenpflege

Literatur

Stephanie Welters

1 Neue gesetzliche Anforderungen an ein funktionierendes Risikomanagement

1.1 Einführung

1.2 Patientenrechtegesetz

1.2.1 Patient in neuer Rolle

1.2.2 Regelungsinhalt

1.3 Patientenrechtegesetz und Rechtsprechung

1.3.1 Beispiele aus der bisherigen Rechtsprechung

1.3.2 Auswirkungen auf die Praxis

1.4 Neue gesetzliche Regelung zur Zwangsbehandlung

1.4.1 Überblick

1.4.2 Neuregelung

1.4.3 Auswirkungen auf die Praxis

1.5 Fazit

Literatur

Karla Kämmer

2 Pflegerisches Risikomanagement

2.1 Risikopotenziale (er)kennen

2.1.1 Risiken der Bewohner

2.1.2 Risiken in den Bereichen Personal und Organisation

2.2 Den Umgang mit den wichtigsten praktischen Pflegerisiken systematisieren

2.2.1 Personbezogene Risiken erheben, analysieren, steuern

2.3 Mit lebensweltlicher Organisation Risiken vorbeugen

2.4 Ein spezielles Risikomanagement für alle fachlichen, organisatorischen und monetären Risiken aufbauen

2.5 Pflegecontrolling als Rahmen des pflegerischen Risikomanagements

2.5.1 Struktur des Pflegecontrollings (Basis: Marker-Umbrella-Modell)

2.5.2 Die Vorteile des Pflegecontrollings

2.6 Was hat Risikomanagement mit Ressourcenmanagement zu tun?

Literatur

Manfred Borutta

3 Hohe Zuverlässigkeit – Risikomanagement in der Pflege nach dem Achtsamkeitsansatz der HRO-Prinzipien

3.1 Pflegemängel als Nicht-Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen

3.2 Die totale Mobilmachung im QM: »Stochern im Nebel« statt Vertragskonformität

3.3 Wissenschaftliche Fundierung von Risikomanagementansätzen

3.4 Evidenzbasiertes Management

3.5 Hohe Zuverlässigkeit als Grundlage des Risikomanagements

3.6 Das Management von Risiken als paradoxe Aufforderung

3.7 Risikomanagement als Sonderperspektive kritischer Beobachtungen

3.8 Konzentration auf wesentliche pflegerische Kernbereiche

3.9 Nicht-strafende Fehlerkultur statt Sündenbockmentalität

3.10 Implementierung des HRO-Ansatzes in Pflegeorganisationen

3.10.1 Ebenen der Organisationsstrukturen

3.10.2 Verantwortung des Managements

Literatur

Claus Offermann

4 Risikomanagement in der stationären Altenhilfe – DIN 15224 und ISO 31000 als Orientierung

4.1 Einleitung

4.2 Qualitätsgrundsätze

4.3 Patientenbezogene Qualitätsmerkmale

4.4 Dienstleistungsbezogene Qualitätsmerkmale

4.5 Klinische Prozesse

4.6 Interessierte Parteien

4.7 Das Risikomanagement

4.7.1 Grundsätze

4.7.2 Strategischer Rahmen für Risiken

4.8 Risiken für Pflegeeinrichtungen

4.8.1 Risiken: Ziele und Ergebnisse

4.8.2 Risiken: Maßnahmen und Effizienz

4.8.3 Risiken: Soziale Beziehungen, Rechte und Interessen

4.9 Die Konsequenzen für das QM-System der stationären Altenhilfe

4.10 Abschließende Bewertung

Literatur

Frank Hanke

5 Risikomanagement in der Arzneimittelversorgung chronisch kranker Senioren – Aspekte einer Geriatrischen Pharmazie

5.1 Geriatrische Pharmazie: Herausforderungen und Zielsetzungen im demografischen Wandel

5.1.1 Warum können wir diese hohen Risiken bei Altenheimbewohnern nicht erkennen?

5.1.2 Der geriatrische Blickwinkel in der Pharmazie

5.2 Das Arzneimittel im Versorgungsprozess – der Medikationsprozess als interdisziplinäres Geschehen

5.3 UAE – Risiken und arzneimittelbezogene Probleme im Medikationsprozess

5.3.1 Risikokonstellationen

5.3.2 Die einrichtungsbezogenen Arzneimittelrisiken

5.4 Arzneimittelassoziierte Erkrankungen in der Geriatrischen Pharmazie

5.4.1 Arzneimittelassoziierte Kognitionsstörungen

5.4.2 Arzneimittelassoziierte Instabilität

5.4.3 Das Phänomen der Polypharmazie (Synonyme: Polypharmakotherapie, Multimedikation)

5.5 Risikomanagement – Was kann getan werden?

5.5.1 Versorgungsforschung und Pilotmodell

5.5.2 Das VERIKO® Medikations- und Risikomanagementsystem

Literatur

Carola Reiner

6 Risikomanagement in Hauswirtschaft und Küche

6.1 Das HACCP-Konzept bei der Lebensmittelverarbeitung

6.1.1 Die Systematik des HACCP-Konzepts

6.1.2 Ein Beispiel: Muster-Gefahrenanalyse nach HACCP für eine Wohngruppenküche mit Selbstversorgung

6.2 Das RABC-Konzept bei der Textilpflege

6.2.1 Die Systematik des RABC-Konzepts

6.2.2 Ein Beispiel: Der Wäschekreislauf in der RABC-Risikoanalyse

6.3 Hauswirtschaftliche Betreuung: Mit der Gefahrenanalyse Unmögliches möglich machen

6.3.1 Systematisches Vorgehen

6.3.2 Beispiele für Gefahrenanalysen hauswirtschaftliche Mitarbeit

Literatur

Stefan Baars

7 Risikomanagement und Anforderungen an Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz

7.1 Risiken für Beschäftigte in der stationären Altenpflege

7.2 Einführen eines Risikomanagements zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz

7.2.1 Organisation

7.2.2 Personen

7.2.3 Qualifikation

7.2.4 Gefährdungsbeurteilung

7.2.5 Kommunikation

7.2.6 Informationsbeschaffung

7.2.7 Arbeitsmedizinische Vorsorge

7.2.8 Regelungen zur Planung und Beschaffung

7.2.9 Information und Einbindung von Fremdfirmen bzw. Leiharbeitnehmern

7.2.10 Organisation von Notfallmaßnahmen / Erste Hilfe

Literatur

Andreas Elser

8 Risikomanagement – Brandschutz in Pflegeeinrichtungen

8.1 Einleitung

8.2 Rechtsgrundlagen

8.3 Schutzziele

8.4 Grundsätze

8.5 Brandschutztechnische Mindestanforderungen

8.6 Brandfrüherkennungsanlagen

8.7 Kennzeichnung der Rettungswege

8.8 Prüfungen

Literatur

Thomas Althammer

9 Datenschutz & Datensicherheit: Risiken erkennen, einschätzen, vermeiden

9.1 Risikomanagement und Datenschutz

9.1.1 Kontrollen durch Aufsichtsbehörden

9.1.2 Konsequenzen bei Datenschutzverstößen

9.1.3 Umgang mit Datenpannen

9.2 Risikomanagement und Datensicherheit

9.2.1 Notfallmanagement-Prozessmodell

9.2.2 Prioritätensetzung und Fokussierung in der Risikoanalyse

9.3 Datenschutz und Datensicherheit wirksam kombinieren

Literatur

Anhang

Die Autorinnen und Autoren

Register

VORWORT

Mit dem vielbeachteten Buch von Ulrich Beck »Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne« (Frankfurt a. M. 1986), das fast zeitgleich mit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 veröffentlicht wurde, hat sich der Begriff »Risiko« in unserer Gesellschaft in besonderer Weise eingeprägt. Auch in den Unternehmungen und vor allem in den Gesundheitseinrichtungen hat sich dieser Begriff als wirkungsvoll gezeigt.

Es wurde nicht mehr alleine das Vorantreiben positiver Eigenschaften gefördert, wie zum Beispiel Qualität oder Kundenzufriedenheit. Vielmehr thematisierte man auch das Nicht-gelingen-Können und das Bedrohliche. So erweiterte und differenzierte sich der Risiko-Begriff: Risiko empfand man nicht länger ausschließlich als Bedrohung, sondern auch als Chance oder als Wagnis, das eingegangen werden muss, um positive Wirkungen erzielen zu können. Es wurde nicht nur als eine bedrohliche Masse ohne Einwirkungsmöglichkeit erlebt, sondern mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet, um erkennen zu können, ob das Risiko uns überhaupt und wann mit welcher Wirkung trifft. Zudem wurde durch die Auseinandersetzung mit dem Risikobegriff vielen Menschen bewusst, dass wir dem Risiko nicht entgehen können: Jede Operation, jeder Weg zu Fuß und jede Fahrt mit dem Auto oder mit der Bahn birgt ein »Rest-Risiko«, mit dem wir leben müssen, ob wir das akzeptieren oder nicht. Jetzt war es nicht mehr weit, sich zu überlegen, wie dem Risiko zu begegnen wäre: entweder durch Versicherungen zur Abdeckung von Risiken, durch Vermeidungsstrategien oder letztendlich durch das Managen von Risiken über seine Identifikation, Bewertung, Lenkung und Kontrolle.

Auch die Gesundheitseinrichtungen erkannten die Bedeutung von Risiken und wenden sich seitdem diesem Thema verstärkt zu, sodass das Risiko auf vielfältige Weise erlebt und quasi aufgespalten wurde.

Hier setzt die vorliegende Buchveröffentlichung an, indem die verschiedenen Risiken auf den stationären Altenpflegebereich bezogen werden. In einer weiteren funktionalen Differenzierung werden die Risiken in den einzelnen Beiträgen systematisiert und im Hinblick auf verschiedene Bereiche dargestellt: Arzneimittelversorgung und Arbeitssicherheit, Gesundheits- und Brandschutz, Hauswirtschaft und Datensicherheit. Daneben werden rechtliche Regelungen und Normen als Reglementarien von Risiko behandelt. Wesentlich sind das Lernen aus anderen Risikobereichen und die Überführung solcher Lernprozesse in die Organisation und Struktur einer Institution (High Reliability Organizing). Das Risiko als Kernthema der Altenpflege an sich wird in weiteren Beiträgen thematisiert.

Sämtliche Artikel werden unter dem Aspekt des Managements erarbeitet. Nur durch eine Gestaltung der Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Thema »Risiko«, die in eine Lenkung der Abläufe und der Strukturen der Risikovermeidung oder -bewältigung überführt wird und dabei die Entwicklung von Risikoverläufen integriert, wird sowohl langfristig als auch im operativen Bereich ein qualifiziertes Risikomanagement implementiert.

Dem Buch ist deshalb eine breite Leserschaft zu wünschen, damit dem Risiko und seinem Handling in der stationären Altenpflege eine angemessene Bedeutung zuteil wird.

Osnabrück, Mai 2014

Prof. Dr. Winfried Zapp

EINLEITUNG

Aktualität und Bedeutung des Risikomanagements
für Einrichtungen der Altenpflege

Harald Blonski

So vielfältig die strukturellen Formen und Systemgebilde, die Dienstleistungen und prozessualen Abläufe sowie die Anforderungen unterschiedlicher Anspruchsgruppen an die Altenhilfe sind, so komplex und facettenreich ist die daraus resultierende Risikostruktur. Was konkret seitens der Anbieter und Organisationen im stationären Bereich dieser Branche zu tun ist, welchen risikospezifischen Themen, Aufgaben und Herausforderungen sie sich gegenübersehen, zeigen die fach- und sachspezifischen Beiträge in diesem Buch auf.

Zuvor möchte der Herausgeber grundlegende Aspekte und allgemeine Zusammenhänge im Hinblick auf das Thema Risikomanagement beleuchten und einige Instrumente vorstellen, die seiner Meinung nach bei der praktischen Umsetzung hilfreich und nützlich sein können.

Der Risiko-Begriff und alle aus ihm abgeleiteten bzw. ihn beinhaltenden Derivate und Komposita wie riskant, Risikomanagement oder Risikopotenzial werden gegenwärtig auffällig häufig verwendet.

Dies mag zum einen an der Flut und Dramatik der weltweiten Berichterstattung liegen, die uns tagtäglich mit verheerenden, folgenschweren Katastrophen und Tragödien konfrontiert und die stets mit der Frage verbunden ist, ob und warum die Eintrittswahrscheinlichkeit derartiger Ereignisse nicht im Vorfeld hätte bekannt sein müssen bzw. nicht erkannt oder unterschätzt worden ist.

Es mag zum anderen darin begründet sein, dass eigens für das Risikomanagement entwickelte Rahmenkonzepte, Standards, Normen und Gesetze zu einer in Fachkreisen intensiv und engagiert geführten Debatte über und zur Beschäftigung mit dem Risikomanagement geführt haben. Als Beispiele für Regelwerke, Konzepte und Gesetze seien hier die E DIN ISO 31000 : 2011, die österreichische ON-Regel 49000, das COSO Enterprise Risk Management Framework (COSO-ERM), die DIN EN 15224, eine QM-Norm für die Gesundheitsversorgung sowie das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) angeführt.

Aber kommt es denn nicht – so mag man einwenden – einer Dramatisierung und Begriffsverzerrung, zumindest aber einer Bedeutungsverengung gleich, wenn man den Risiko-Begriff ausschließlich negativ deutet und ihn einseitig mit Aspekten der Bedrohlichkeit in Verbindung bringt?

Vielleicht ist es eine Frage der eigenen Erfahrungen, die jemand in seinem bisherigen Leben gemacht oder die es ihm »beschert« hat, vielleicht auch eine Frage der Epoche oder Kultur, in die man hineingeboren wurde, die Frage nämlich, ob ein Mensch Risiken eher scheut und meidet oder ob sie ihn eher anziehen und er sie regelrecht sucht, weil sie irgendetwas Attraktives für ihn besitzen, sie ihm den »Kick« geben, den er »einfach braucht« und die ihn in gewisser Weise vitalisieren. Entdecker wie Roald Amundsen, Extremsportler wie Reinhold Messner und Hasardeure wie Felix Baumgartner mit seinem waghalsigen Sprung aus 39 km Höhe scheinen Menschen von diesem Schlag zu sein.

Der Slogan »No risk no fun« ist heutzutage in aller Munde, und schließlich: Erfährt und erlebt nicht gerade derjenige, der alles abzusichern bestrebt ist, dem nichts wichtiger ist als Gewissheit und der sich auf keine Unternehmung »ohne Netz und doppelten Boden« einzulassen wagt, immer wieder Enttäuschungen und »böse Überraschungen«? Wird ihm nicht immer wieder durch die Realität das Faktum vor Augen geführt, dass bei aller Akribie, Genauigkeit und Verliebtheit ins Detail die absolute Beherrschung von Situationen, Prozessen und Vorhaben unter Ausschluss jeglichen Risikos eine fixe Idee, ein absurder Anspruch und ein Ding der Unmöglichkeit ist?

Sehen wir einmal ab von den Minoritäten, die sich, aus Ruhmsucht, Ehrgeiz oder durch blinkende Sponsorenköder verführt ins Abenteuer stürzen und lassen wir – das andere Extrem – auch diejenigen außer acht, die sich aus krankhafter Furcht und Sorge, aufgrund von Zwängen, Traumata oder Erziehungsfehlern einigeln, nahezu handlungsoder entschlussunfähig werden, weil bei ihren Vorhaben und Handlungen irgendetwas schief gehen oder Unvorhergesehenes passieren könnte. Es scheint ein ganz natürliches Verhalten, ein geradezu anthropologischer Wesenszug zu sein, dass wir unser Umfeld und unser momentanes wie zukünftiges Handeln (mit) zu beherrschen, zu beeinflussen, abzusichern und zu steuern ebenso bestrebt sind wie das, worauf wir uns einlassen, was mit uns geschieht und was man mit uns tut oder vorhat.

Wenn wir uns im Alltag Situationen, Herausforderungen und Entscheidungen gegenübersehen, die für uns schlecht einzuschätzen, nicht ausreichend kalkulierbar oder mit Unsicherheit und Unwägbarkeiten besetzt sind, bezeichnen wir diese häufig als riskant.

Bedingt durch eine ständig zunehmende Komplexität der Bezüge und Netzwerke, in die sowohl der Einzelne als auch Gruppen, Organisationen und sogar Staaten und Nationen eingebunden und verstrickt sind, scheint das Risiko im zuvor beschriebenen Sinne nicht nur ein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches, um nicht zu sagen ein globales Schicksal zu sein. So betrachtet ist es durchaus berechtigt, dass Ulrich Beck aus soziologischer Perspektive von der gegenwärtigen als einer »Risikogesellschaft« spricht. Er liegt wohl richtig mit seiner Behauptung, dass in einer technisch so hochkomplexen Welt Fehler, die zu Katastrophen führen, unausweichlich seien (»Logik der Risikoproduktion«; Beck 1986).

Des Weiteren darf nicht vergessen werden, dass Risikomanagement im Wirtschaftsleben, in Organisationen und Betrieben keine auf den Einzelfall bezogene und ins persönliche Belieben einzelner gestellte Angelegenheit ist, sondern eine verbindliche, im Falle von KonTraG sogar eine per Gesetz eingeforderte Pflichtaufgabe des/der jeweils Verantwortlichen gegenüber den Kunden und anderen Anspruchsgruppen der Unternehmung. Als Basis erfordert ein gelebtes und erfolgreiches Risikomanagement, wie Kempf und Romeike betonen, »eine entsprechende Unternehmens- bzw. Risikokultur« (Kempf; Romeike 2010: 178).

Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch auf eine Anmerkung zur Risikodefinition nach DIN EN 15224, Kapitel 3, Abschnitt 5.15 verwiesen, in der es heißt: »Der Begriff Risiko wird allgemein nur benutzt, wenn zumindest die Möglichkeit negativer Konsequenzen besteht.« (Deutsches Institut für Normung 2012: 17)

Bevor wir uns nun dem eigentlichen Thema des vorliegenden Buches nähern und uns fragen, was es denn mit dem Risikomanagement auf sich hat und was genau dieser Begriff impliziert, sei hier noch ein kurzer Blick auf die Herkunft und Bedeutung des Risiko-Begriffs, auf seine Etymologie und Semantik geworfen.

Im 16. Jahrhundert wurde das Fremdwort Risiko als kaufmännischer Begriff aus dem italienischen risico, risco entlehnt, dessen weitere Herkunft unsicher ist. Aus dem Italienischen stammt auch das französische Wort risque (Gefahr, Wagnis). Aus dem davon abgeleiteten Verb risquer wurde im 17. Jahrhundert das deutsche riskieren übernommen, im 19. Jahrhundert riskant aus dem französischen risquant (Duden 2007: 677). Im Englischen ist der Begriff seit 1621 belegt (damals in der Schreibweise risque). Die Etymologie des Begriffs Risiko lässt sich möglicherweise bis zum altgriechischen rhiza (Wurzel; Klippe) zurückverfolgen. Dieses Wort findet sich zum ersten Mal in Homers Odyssee.

Diese knappe Skizzierung der Ursprünge und Entwicklungspfade des Risiko-Begriffs mögen genügen. Wer tiefer- und weitergehend an seiner Entstehung und Entwicklung interessiert ist, sei auf entsprechende Veröffentlichungen wie die von Jonen (Jonen 2007) verwiesen.

Gegenüber anderen Sparten wie der Luftfahrt oder der Atomindustrie entwickelten sich Interesse an und Einsicht in die Notwendigkeit der Implementierung von systematischem Risikomanagement im klinischen Bereich eher zögerlich.

Dies erscheint verwunderlich, geht es doch gerade in klinischen Kontexten in puncto Risikomanagement um existenziell wichtige Prozesse und Zusammenhänge wie Bewohner- und Patientenschutz/-sicherheit, Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur in ökonomisch-materieller, sondern auch in sozial-ethischer Hinsicht und last, not least auch um Loyalität und Sicherheit gegenüber (öffentlichen oder privaten) Kapitalgebern bzw. Investoren.

Insbesondere in der stationären Altenpflege entwickelt sich das Risikomanagement einstweilen noch sehr zäh und schleppend. Zwar haben die meisten Verantwortlichen die Notwendigkeit angemessener Regelungen, Vorkehrungen und Prophylaxen erkannt, von der Planung, Umsetzung, Steuerung und ständigen Verbesserung im Sinne eines Risikomanagementsystems kann jedoch nur in seltenen Fällen die Rede sein.

Risikodefinitionen

Nachdem die Begriffe Risiko und Risikomanagement zuvor wiederholt erwähnt wurden, sollen die beiden Termini nunmehr anhand von Definitionen und Analysen genauer bestimmt und untersucht werden. Als Risikodefinitionen seien hier drei Beispiele angeführt, die mit Blick auf den Gesundheits- bzw. Pflegebereich formuliert wurden (siehe dazu auch Zapp 2011: 9):

Kahla-Witzsch und Hellmann definieren Risiken als ein »geplantes oder ungeplantes unerwünschtes Ereignis, welches möglicherweise eine Organisation, einen Vorgang, einen Prozess oder ein Projekt beeinträchtigen kann. Es wird gewöhnlich als negatives Ereignis bezeichnet.« (Kahla-Witzsch/Hellmann 2005: 13 f.)

Die zweite Definition stammt von Kämmer und Wipp. Sie lautet: »Unter einem Risiko wird die Möglichkeit des Eintritts eines Schadens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verstanden. Die Bedeutung eines Risikos bestimmt sich aus dem potenziellen Schadensumfang/der Schadenshöhe und seiner Eintrittswahrscheinlichkeit. Kumulationen von Risiken sind möglich (Treppeneffekt).« (Kämmer/Wipp 2008: 523)

In der DIN EN 15224 findet man Risiko definiert als »Kombination aus der Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls und seiner Konsequenzen« (Deutsches Institut für Normung 2012: 17). Ein »Klinisches Risiko« liegt gemäß dieser Norm vor, wenn es sich um ein Risiko handelt, das »negative Auswirkungen auf die Ergebnisse in Bezug auf eine Qualitätsanforderung in der Gesundheitsversorgung haben könnte« (ebd.).

Von einem Risiko im zuvor definierten Sinne ist einerseits der Begriff »Beinahe-Unfall«, zum anderen der Terminus »unerwünschtes Ereignis« zu unterscheiden.

Ein Beinahe-Unfall ist ein/e »Situation oder Ereignis mit dem Potenzial, einen unerwünschten Zwischenfall zu verursachen, zu dem es jedoch [wegen/aufgrund] der fehlenden Möglichkeit nicht kommt oder weil sie/es rechtzeitig verhindert wird« (ebd.: 14).

Ein unerwünschtes Ereignis hingegen ist gegeben, wenn es sich um ein/e »Situation oder Ereignis, das bei einem Patienten einen Schaden hervorgerufen hat« (ebd.), handelt.

Auf die Möglichkeit einer Risikosystematisierung muss an dieser Stelle leider ebenso verzichtet werden wie auf eine Darstellung unterschiedlicher Risikoarten. Zu diesen beiden Teilaspekten sei auf entsprechende Ausführungen in dem erwähnten Buch von Zapp hingewiesen (siehe dort die Kapitel 3.2 und 3.3, S. 26 ff.).

Der Begriff Risikomanagement

Was den Begriff Risikomanagement anbelangt, sind darunter nach DIN EN 15224 »koordinierte Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation in Bezug auf das Risiko« (Deutsches Institut für Normung 2012: 17) zu verstehen.

Zu diesem Zweck müssen seitens der Organisation bzw. der in ihr und für sie Verantwortlichen entsprechende übergeordnete Ziele, Strategien sowie eine Politik zum Risikomanagement festgelegt werden.

Folgende Phasen lassen sich – flankiert durch eine Risikopolitik und eine Prozessüberwachung – innerhalb des Metaprozesses »Risikomanagement« von einander abgrenzen:

1. Risikoidentifikation

2. Risikobewertung

3. Risikosteuerung

4. Risikokontrolle (vgl. Abb. 1)

Auf ihre Definitionen wird hier verzichtet und stattdessen

auf die bereits erwähnten Normen (ISO 31000, DIN EN 15224 sowie auf ONR 49000) verwiesen, wo entsprechende Erläuterungen zu finden sind und

eine Grafik präsentiert, welche die oben benannten Phasen in ihrer Abfolge und strukturellen Einbettung in den Gesamtkreislauf des Risikomanagements darstellt.

Zum besseren Verständnis dieses Kreislaufs werden einige der darin benutzten Termini und Werkzeuge nachfolgend kurz erläutert:

Überwälzen: Bei der Risikoüberwälzung wird durch die Einleitung von Präventivmaßnahmen in Form einer Risikoübertragung auf Dritte das eigene Unternehmen vor Risiken abgeschirmt (Bsp.: Abschluss von entsprechenden Versicherungen oder Verlagerung des Geschäftsrisikos auf Vertragspartner). Aus rechtlicher Sicht sind die Möglichkeiten der Risikoüberwälzung begrenzt.

 

Restrisiko: Mit Restrisiko beschreibt man die Gefahren, denen ein System trotz vorhandener Sicherheitssysteme ausgesetzt ist. Das Restrisiko hat einen abschätzbaren sowie einen unbekannten Anteil.

Risikobewertung nach Kategorien: Ein Aspekt für die Risikobewertung nach Kategorien könnte die Eintrittswahrscheinlichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Wirksamwerdens der Gefährdung sein. So findet man in der bekannten Risikomatrix nach Nohl die Kategorien sehr gering, gering, mittel und hoch.

Risikoportfolio: Das Risikoportfolio ist ein Werkzeug zur Analyse von Risiken. Die durch eine Einzelperson, Expertengruppe oder durch ein Team bewerteten Risiken lassen sich grafisch – z. B. mittels unterschiedlich großer Kreise wie links unten in Abb. 1 – in einem Portfolio abbilden. Letzteres spannt sich zwischen einer X-Achse und einer Y-Achse auf, wodurch z. B. einerseits die Schadenshöhe (= Abszisse) und andererseits die Eintrittswahrscheinlichkeit (= Ordinate) dargestellt werden kann.

Die vierstufige Phasenfolge in Abb. 1 findet man gelegentlich auch um einen Schritt reduziert als Drei-Stufen-Kreislauf abgebildet: Risikoidentifikation, Risikobewertung und Risikosteuerung. Wieder andere Autoren legen ein 5-Phasen-Modell vor und kombinieren das Risikomanagement mit einem Chancenmanagement.

Ohne bereits in der Einleitung ausführlich auf spezielle und detaillierte Aspekte und Fragestellungen des Risikomanagements eingehen zu wollen, seien abschließend an dieser Stelle vier Instrumente kurz erwähnt und vorgestellt, die auch im Risikomanagement stationärer Einrichtungen der Altenpflege zur Anwendung kommen könnten, allerdings seither nur geringe Beachtung fanden bzw. nur vereinzelt zur Anwendung gelangten:

1. Die Risikomatrix nach Nohl

2. Die Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA)

3. Das C.I.R.S.-Verfahren

4. Die Risikoanalyse nach der Turtle-Methode

Zu 1. (Risikomatrix nach Nohl): Der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zufolge bildet die Risikomatrix nach Nohl, die der Klassifizierung von Gefährdungen dient, in einer spezifizierten Form (siehe Tabelle 1) einen Baustein in der Qualifizierung von Sicherheitsfachkräften.

 

Tabelle 1: Die Risikomatrix nach Nohl2

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Tabelle 2: Auswertung der Risikomatrix nach nohl
Maßzahl Risiko Beschreibung
1 bis 2 gering Der Eintritt einer Verletzung oder Erkrankung ist nur wenig wahrscheinlich. Handlungsbedarf zur Risikoreduzierung ist nicht erforderlich.
3 bis 4 signifikant Der Eintritt einer Verletzung oder Erkrankung ist wahrscheinlich. Handlungsbedarf zur Risikoreduzierung ist angezeigt.
5 bis 7 hoch Der Eintritt einer Verletzung oder Erkrankung ist sehr wahrscheinlich. Handlungsbedarf zur Risikoreduzierung ist dringend erforderlich.

Zu 2. (FMEA): Nach DIN EN 60812 als Fehlzustandsart- und -auswirkungsanalyse bezeichnet, ist FMEA ein Verfahren, um die Folgen möglicher Fehler durch geeignete Maßnahmen zu reduzieren. Dabei werden die Fehler und Fehlfunktionen sowie deren Auswirkungen auf das zu untersuchende System systematisch bestimmt. Aus den meisten Unternehmen der Luftfahrt- und Automobilindustrie ist die FMEA nicht mehr wegzudenken. Aber auch im Dienstleistungsbereich, insbesondere im Prozess- und Projektmanagement, kommt das Werkzeug immer häufiger zum Einsatz. Haupteinsatzgebiete der FMEA sind die Zuverlässigkeitsanalyse von Neuentwicklungen und Änderungen bei/in sicherheitsrelevanten Systemen – und zwar branchenunabhängig. Ihr präventiver Ansatz soll dabei helfen, Schwachstellen zu identifizieren, deren Bedeutung zu erkennen, zu bewerten und geeignete Maßnahmen zu ihrer Vermeidung bzw. Entdeckung zu ergreifen. Darüber hinaus können aber auch bereits bestehende Produkte und Prozesse den Untersuchungsgegenstand bilden.

Zu 3. (C.I.R.S.): C.I.R.S. wurde als ein Ansatz zur Erhöhung der Patientensicherheit entwickelt. Die zugrunde liegende Idee dabei war, aus Fehlern zu lernen. Das Kürzel C.I.R.S. steht für Critical Incident Reporting System. Gemeint ist damit ein Ansatz bzw. ein Meldesystem zur methodischen Erfassung und Auswertung von kritischen Zwischenfällen. Die Meldung eines solchen Zwischenfalls erfolgt freiwillig und anonym durch alle Mitarbeiter einer Organisation der klinischen Versorgung. Sinn und Zweck von C.I.R.S. ist es, patientenbezogene und andere Risiken über Meldungen von Mitarbeitern zu Beinahe-Unfällen zu reduzieren. Die Registrierung von Beinahe-Fehlern verleiht dem Critical Incident Reporting System seinen präventiven Charakter. Als Frühwarnsystem kann es zu einem sehr wichtigen Bestandteil eines Risikomanagementsystems werden.

Zu 4. (Turtle-Methode): Die sogenannte Turtle- oder Schildkröten-Methode (siehe Abb. 2) ist ein hilfreiches Instrument zur Prozessanalyse. Mittels des schildkrötenförmigen Diagramms stellt man die richtigen Fragen, die für den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) in Pflegeorganisationen entscheidend sind (siehe Tabelle 3) und die helfen, Prozessrisiken zu identifizieren (z. B. in Zusammenhang mit in den Prozess einfließenden Input-Komponenten oder an den Schnittstellen zwischen den Teilschritten/einzelnen Phasen des Prozesses).

 

 

Tabelle 3: Matrix zur Prozessanalyse nach dem Turtle-Modell
Turtle-Bereich Fragestellung Betroffene Bereiche
Kopf – Input Was erwartet der Kunde? Vertrieb, Marketing
Fuß 1 – Womit? Welche Ausrüstung, Materialien, Infrastruktur braucht das Unternehmen dafür? Alle materiellen Ressourcen
Fuß 2 – Womit? Anhand welcher Methoden/Parameter kann man die Leistungsfähigkeit des Prozesses messen? Leitung, Controlling
Fuß 3 – Wie? Besitzt das Unternehmen das erforderliche Know-how? Wissen: Methoden, Techniken, Verfahrensbeschreibungen
Fuß 4 – Mit wem? Hat das Unternehmen hinsichtlich des Vorhabens entsprechend kompetente Mitarbeiter? Personelle Ressourcen
Schwanz – Output Was bekommt der Kunde? Dienstleistungen, Produkte, Wertigkeit einer Marke

»Mit Hilfe des Turtle-Modells werden die jeweiligen Risiken in einem Arbeitsgang mit der Prozessanalyse abgefragt. Die Fragen ›Womit‹, ›Wer‹, ›Wie‹, die bereits bei der Prozessanalyse gestellt wurden, finden sich hier wieder.« (TÜV SÜD AG 02/13)

Wichtige Hinweise

Auf drei Dinge möchte der Herausgeber zum Abschluss dieser einleitenden Ausführungen noch hinweisen:

1. Dass die Möglichkeit gegeben ist, das Risikomanagement mit dem Geschäftsprozessmanagement (GPM) oder mit umfassenderen QM-Ansätzen (TQM-Modellen) wie dem EFQM-Excellence-Modell zu verknüpfen bzw. das Risikomanagement in diese Ansätze zu integrieren (siehe dazu Gietl/Lobinger 2006; Guhlmann 2013);

2. dass mit der im Juli 2012 verabschiedeten neuen Norm DIN EN ISO 14971 ein weltweit gültiges Regelwerk für das Risikomanagement im Bereich Medizinprodukte existiert und verfügbar ist;

3. dass aufgrund des sich dramatisch zuspitzenden Personalnotstands die Verantwortlichen in stationären Pflegeorganisationen dringend erwägen sollten, ob es nicht – vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Nachhaltigkeitserfordernisse – zur Steuerung des Risikomanagements dringend einer personalwirtschaftlichen Risk Governance im Sinne des Personalrisikomanagements bedarf (Stein 2013).

Wenn weiter oben die gegenwärtig in der stationären Altenpflege noch bestehenden Defizite im Risikomanagement beklagt wurden und in diesem Zusammenhang auf eine fehlende Systematik (u. a. in der Planung, Implementierung und ständigen Verbesserung) hingewiesen wurde, so möchte dieses Buch dabei helfen, diese Lücke zu schließen.

Zunächst geht es nach Ansicht des Herausgebers allerdings darum, für das Thema sensibel zu machen und zu bewirken, dass sich Träger und Organisation, Verantwortliche und Mitarbeiter ihm gegenüber öffnen und sich so im Wachstumssektor Altenpflege ein dringend notwendiges Risikomilieu entwickeln kann.

Zumindest die Dienstleister, die ihr QM-System an den Anforderungen der DIN EN ISO 9001 ausrichten, werden sich aufgrund der für das Jahr 2015 geplanten Großrevision dieser Norm verstärkt mit dem Thema Risikomanagement auseinandersetzen müssen, da es einen inhaltlichen Schwerpunkt in der Neuversion darstellen wird.

Die in diesem Buch aufgezeigten und durch das Autorenteam dargestellten Ansätze, Methoden und Instrumente mögen Praktikern, Führungs- und Leitungspersonen, verantwortlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Beauftragten in Stabsfunktionen (QMB/QB, RM-Beauftragte etc.), Dozierenden, Studierenden sowie anderen an der Thematik interessierten Zielgruppen Unterstützung dabei bieten und Perspektiven aufzeigen, wie Risikomanagement angemessen, systematisch und nachhaltig umgesetzt werden und gelingen kann.

Im ersten Beitrag zeigt Stefanie Welters rechtliche Aspekte im Risikomanagement von Pflegeorganisationen auf. Die Autorin ist Rechtsanwältin, Lehrbeauftragte an der Hamburger Fern-Hochschule HFH und Dozentin an verschiedenen Altenpflege-Fachseminaren sowie Krankenpflegeschulen.

Im Anschluss daran thematisiert Karla Kämmer das Risikomanagement aus pflegerischer Sicht, wobei sie – neben allgemeinen Ausführungen – das von ihr entwickelte RiP®-Verfahren näher vorstellt. Die Dipl.-Sozialwissenschaftlerin und Dipl.-Organisationsberaterin ist Inhaberin und Geschäftsführerin der Karla Kämmer Beratungsgesellschaft, Essen. Mit ihrem multiprofessionellen Team bietet sie Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialbereich, insbesondere in der Altenpflege, der Rehabilitation sowie der Gerontopsychiatrie und Behindertenhilfe an.

Welchen Beitrag der Achtsamkeitsansatz nach den HRO-Prinzipien leisten kann und welcher Stellenwert ihm im Risikomanagement beizumessen ist, erläutert Manfred Borutta. Der Autor ist freiberuflicher Referent und u. a. Lehrbeauftragter an der Katholischen Hochschule in Köln.

Die Bedeutung und Wichtigkeit von Normen für das Risikomanagement verdeutlicht Claus Offermann, stellvertretender Geschäftsführer der Konformitätsbewertungsstelle ZertSozial GmbH, Stuttgart, und erfahrener Fachmann in Sachen QM und QM-Systeme in der Gesundheitsversorgung, anhand der DIN EN 15224:2012 und E DIN ISO 31000:2011.

Den gleichermaßen heiklen wie wichtigen Prozess der Arzneimittelversorgung nimmt Frank Hanke, Diplom-Pharmazeut und Geschäftsführer der Gero PharmCare GmbH, »unter die Lupe«.

Risiken in hauswirtschaftlichen Abläufen stationärer Altenhilfeeinrichtungen beleuchtet Carola Reiner in ihren Ausführungen. Nach langjähriger Tätigkeit als Hauswirtschafts- und Küchenleitung in der Behinderten- und Altenhilfe sowie im Krankenhaus gründete Reiner die CCR Unternehmensberatung. Sie berät Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens in Fragen der Speisen- und Wäscheversorgung, Hausreinigung und Logistik und führt diesbezügliche Fortbildungen durch.

Stefan Baars geht Anforderungen und Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes nach. Der Facharzt für Arbeitsmedizin ist als Staatlicher Gewerbearzt im Gewerbeärztlichen Dienst des Landes Niedersachsen in Hannover tätig und ist zudem Mitglied beim »Runden Tisch für betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Region Hannover«.

Ihm folgt Andreas Elser mit seinem Beitrag zum Brandschutz in stationären Pflegeeinrichtungen. Er behandelt damit einen Risikoaspekt, der allen Verantwortlichen, Trägern und Organisationen nicht selten Kummer und Sorge bereitet. Vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung als Dozent, Ausbilder und freier Sachverständiger ist der Master of Engineering im Bereich des Baulichen Brandschutzes und der Sicherheitstechnik auch in/für Pflegeorganisationen tätig.

Datenschutz und Datensicherheit als ein Themenkomplex, der sich auch im Risikomanagement stationärer Altenhilfe immer stärker in seiner ganzen Brisanz und Relevanz zeigt, gelten schließlich die Ausführungen von Thomas Althammer im letzten Beitrag dieses Buches. Der Autor ist Wirtschaftsinformatiker und berät als Inhaber der Althammer IT-Beratung (Burgwedel) zu IT-Strategiefragen, im Bereich IT-Compliance, des Datenschutzes und der Datensicherheit.

Der Herausgeber bedankt sich bei Herrn Prof. Dr. Winfried Zapp für dessen spontane Bereitschaft und Zusage, das Vorwort zu diesem Buch zu schreiben. Prof. Zapp vertritt an der Hochschule Osnabrück die Lehrgebiete Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Rechnungswesen, insbesondere Controlling im Gesundheitswesen.

Ein Wort des Dankes sei an dieser Stelle auch an Frau Ulrike Müller-Haarmann gerichtet, die mit großer Geduld, Kompetenz und hohem Engagement das Redigieren der Buchbeiträge übernommen hat.

Zu besonderem Dank verpflichtet ist der Herausgeber schließlich Frau Petra Heyde, Lektorin des Verlags, der dieses Buch veröffentlicht. Sie stand nicht nur in der Anfangsphase des Projekts, sondern über den gesamten Verlauf hinweg allen Beteiligten mit großer Offenheit, Umsicht und Hilfsbereitschaft zur Verfügung.

Literatur

Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1986

Deutsches Institut für Normung (Hrsg.): DIN EN 15224 Dienstleistungen in der Gesundheitsversorgung – Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen nach EN ISO 9001:2008; Deutsche Fassung EN 15224:2012. Beuth Verlag GmbH, Berlin 2012

Duden. Das Herkunftswörterbuch. Dudenverlag, Mannheim u. a. 42007

Gietl, Gerhard; Lobinger, Werner: Risikomanagement für Geschäftsprozesse. Leitfaden zur Einführung eines Risikomanagementsystems. Hanser Verlag, München, Wien 2006

Guhlmann, Marcel: Das EFQM-Modell für Business Excellence zur nachhaltigen Personalentwicklung. GRIN Verlag, Norderstedt 2013

Jonen, Andreas: Semantische Analyse des Risikobegriffs: Strukturierung der betriebswirtschaftlichen Risikodefinition und literaturempirische Auswertung (Beiträge zur Controlling-Forschung Nr. 11). Lehrstuhl für Unternehmensrechnung und Controlling. Technische Universität Kaiserslautern, Kaiserslautern2 2007

Kämmer, Karla; Wipp, Michael: Risiken professionell bewältigen. In: Kämmer, Karla (Hrsg.): Pflegemanagement in Altenpflegeeinrichtungen, 5., überarb. Aufl., Schlütersche, Hannover 2008, S. 521–

Kahla-Witzsch, Heike Anette; Hellmann, Wolfgang: Praxis des Klinischen Risikomanagements. ecomed Medizin, Landsberg/Lech 2005

Kempf, Andreas; Romeike, Frank: Integriertes Risikomanagement in der Carl Zeiss Gruppe. In: Brühwiler, Bruno; Romeike, Frank: Praxisleitfaden Risikomanagement ISO 31000 und ONR 49000 sicher anwenden. Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2010, S. 165–185

Stein, Volker (Hrsg.): Risk Governance – die personalwirtschaftliche Sicht. Arbeitspapiere zu Personalmanagement und Organisation, Nr. 004-2013 (12. Juni 2013). Uni Siegen 2013; http://www.wiwi.uni-siegen.de/pmg/veroeffentlichungen/dokumente/ap_004_risk_governance.pdf (1. 12. 2014)

TÜV SÜD AG: MS-Prozessanalyse: 02/13

Zapp, Winfried: Risikomanagement in Stationären Gesundheitsunternehmungen. Grundlagen, Relevanz und Anwendungsbeispiele aus der Praxis. medhochzwei Verlag GmbH, Heidelberg 2011

http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/7669/risikomanagement-v9.html (1. 2. 2014)

https://www.bgw-online.de/DE/Arbeitssicherheit-Gesundheitsschutz/Qualitaetsmanagement/quintas-Umsetzung/Handlungshilfen/Methoden/Risikomatrix-Nohl.html (1. 2. 2014)

 

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1 http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/7669/risikomanagement-v9.xhtml (1. 2. 2014).

2 https://www.bgw-online.de/DE/Arbeitssicherheit-Gesundheitsschutz/Qualitaetsmanagement/quintas-Umset-zung/Handlungshilfen/Methoden/Risikomatrix-Nohl.xhtml (1. 2. 2014).

1 NEUE GESETZLICHE ANFORDERUNGEN AN EIN FUNKTIONIERENDES RISIKOMANAGEMENT

Stephanie Welters

1.1 Einführung

In den letzten Jahren haben sich die rechtlichen Anforderungen an die Pflege deutlich erhöht. Die Bewohner in Heimen sind erheblich klagewilliger geworden. Aber auch die Krankenkassen wollen ihre Behandlungskosten des versicherten Bewohners ersetzt bekommen. Dadurch haben wir eine große Zahl an Rechtsprechung bei entstandenen Pflegefehlern. Aus diesen daraus folgenden Urteilen haben sich zahlreiche Grundsätze ergeben, die bei der Pflege zu beachten sind. Diese Grundsätze haben sich nun in der Gesetzgebung niedergeschlagen.

1.2 Patientenrechtegesetz

Am 26. 2 2013 ist das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz) in Kraft getreten. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Änderungsgesetz, weil bereits bestehende Gesetze verändert wurden. Einzelne Paragrafen sind geändert, aufgehoben oder auch neu hinzugefügt worden. Durch das Patientenrechtegesetz wurde insbesondere das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) um Paragrafen ergänzt.

1.2.1 Patient in neuer Rolle

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat das Gesetz mit der Schlagzeile »Patientenrechte stärken« eingeführt. Danach hat sich die Rolle des Patienten gewandelt: vom nur vertrauenden Kranken zum auch selbstbewussten Beitragszahler und kritischen Verbraucher. Durch das Gesetz will die Bundesregierung die Position der Patienten gegenüber den Leistungserbringern stärken (Bundesministerium für Gesundheit 2011: 1 f.). Zwar spricht die Bundesregierung vom Patienten, aber dies lässt sich auch auf den Bewohner eines Altenheimes übertragen, denn dieser erhält auch medizinische Behandlungspflege im Heim und ist damit ebenfalls Patient.

1.2.2 Regelungsinhalt

1.2.2.1 Neue Regelungen

Folgende neue Regelungen sind durch das Patientenrechtegesetz entstanden:

Behandlungsvertrag als eigener Vertragstyp im BGB;

schnellere Leistungen von der Krankenkasse für die Versicherten (§ 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch (SGB) V);

verbindlichere Formulierung der Unterstützung der Versicherten bei Behandlungsfehlern (§ 66 SGB V von »kann« in »soll«);

Förderung der Fehlervermeidungskultur in der medizinischen Versorgung (§§ 135a, 137 SGB V);

Stärkung von Patientenorganisationen u. a. durch mehr Beteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss (Änderung der Patientenbeteiligungsverordnung und SGB V);

Erstellung einer Übersicht über die Patientenrechte und Bereitstellung von Informationen für die Bevölkerung durch den Patientenbeauftragten der Bundesregierung.

1.2.2.2 Wesentliche Änderungen

Besondere Bedeutung hat die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches für die Pflegeeinrichtungen. Hier wurde der Behandlungsvertrag in den §§ 630a bis 630h BGB eingefügt:

§ 630a BGB Vertragstypische Pflichten beim Behandlungsvertrag

Vom Begriff des Behandlungsvertrages wird laut § 630a BGB nur die medizinische Behandlung umfasst. Damit fallen reine Pflegeleistungen nicht unter diese Vorschrift. Erbringt aber die Pflegeeinrichtung medizinische Behandlungspflege als Leistungserbringer, so sind die Vorschriften der §§ 630a ff. BGB anzuwenden.

Nach § 630a Abs. 2 BGB hat die »Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen«. Für die Pflegeheime ist diese Vorschrift zu übertragen. Wird durch Pflegekräfte eine Behandlungspflege im Heim durchgeführt, so hat sich diese an dem jeweiligen Expertenstandard zu orientieren.

§ 630b BGB Anwendbare Vorschriften

In dieser Vorschrift erfolgt ein Verweis auf die Regelungen des Dienstvertrages in den §§ 61 ff. BGB. Die Regelungen des Behandlungsvertrages sind eine spezielle Form des Dienstvertrages für medizinische Behandlungen. Dadurch haben sie Vorrang vor den Regelungen des Dienstvertrages, solange keine andere vertragliche Vereinbarung vorliegt. In einer Pflegeeinrichtung sind daneben die heimvertraglichen Regelungen des jeweiligen Bundeslandes der Einrichtung zu beachten.

§ 630c BGB Mitwirkung der Vertragsparteien; Informationspflichten

Die Vorschrift geht von einem Vertrauensverhältnis zwischen Behandelnden und Patienten aus, was sich aus der amtlichen Begründung zum Entwurf des Gesetzes ergibt (Deutscher Bundestag 2012: 38 f.). Außerdem wird die Informationspflicht des Behandelnden geregelt. Insoweit trifft diese Pflicht im Pflegeheim die dort behandelnden und verordnenden Ärzte. Weiß der Arzt, dass die Behandlungskosten nicht vollständig durch die Krankenversicherung übernommen werden, muss er die Information in Textform den Bewohnern zur Kenntnis bringen.

§ 630d BGB Einwilligung

Die Einwilligungserfordernis ist nach dieser Vorschrift jetzt Behandlungsvertragspflicht. Somit hat jeder Bewohner in die Behandlung durch den Arzt einzuwilligen. Ist ein Bewohner einwilligungsunfähig, so muss die Einwilligung durch einen hierzu Berechtigten, etwa durch einen Vormund, Betreuer, gesetzlichen Vertreter oder rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten eingeholt werden. Hat der Bewohner für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit eine Patientenverfügung gemäß § 1901a BGB getroffen, so ist diese zu beachten.

§ 630e BGB Aufklärungspflichten

Die Einholung einer Einwilligung erfordert eine ordentliche Aufklärung. § 630e Abs. 2 BGB regelt die formellen Anforderungen; sie muss mündlich und durch eine qualifizierte Person erfolgen. Ergänzende Unterlagen können in Textform dem Patienten ausgehändigt werden. Die Aufklärung muss so erfolgen, dass der Patient eine ausreichende, rechtzeitige und verständliche Entscheidungsgrundlage für seine Einwilligung in den Eingriff hat. Hier spiegelt der Gesetzgeber die bisherige Rechtsprechung zur Aufklärung wider.3 Dies liegt wiederum im Verantwortungsbereich des behandelnden Arztes im Pflegeheim.

§ 630f BGB Dokumentation der Behandlung

Erstmalig ist eine Dokumentationsverpflichtung in einem Gesetz verankert worden. Zwar ist hier die ärztliche Dokumentation geregelt, diese ist aber analog auf die Pflegedokumentation anzuwenden (Böhme 2013).

Folgende verbindliche Grundsätze ergeben sich daraus für die Pflege:

Dokumentation im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung;

Patientenakte in Papierform oder elektronisch;

Änderungen von Eintragungen müssen mit Zeitangabe und ursprünglichem Inhalt erkennbar bleiben;

Aufzeichnung aller für die derzeitigen und künftigen Behandlungen wesentlichen Maßnahmen und Ergebnisse;

Aufnahme der Arztbriefe in die Patientenakte;

Aufbewahrungsfrist zehn Jahre, soweit nicht andere Fristen bestehen (z. B. bei zivilrechtlichen Ansprüchen beträgt die Höchstverjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 2 BGB 30 Jahre).

§ 630g BGB Einsichtnahme in die Patientenakte

Der Patient hat hiernach das Recht unverzüglich die vollständige Originalpatientenakte einzusehen. Die Einsichtnahme gilt nicht unbegrenzt. Aus »erhebliche(n) therapeutische(n) Gründe(n)« oder aufgrund »sonstige(r) erhebliche(r) Rechte Dritter« kann eine Einsicht verweigert werden. Weiterhin kann eine elektronische Abschrift auf Kosten des Patienten von diesem verlangt werden. Im Fall des Todes des Patienten gehen dessen Rechte auf die Erben bzw. auf die nächsten Angehörigen über, es sei denn, der Patient hat etwas anderes erklärt.

Diese Regelungen kommen nicht unmittelbar, sondern nur analog für die Pflegedokumentation zur Anwendung. Der Freistaat Bayern hat dies zum Anlass genommen und ein besonderes Einsichtsrecht in die Bewohnerdokumentation in Art. 6 Abs. 1 des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes eingeführt und damit unmittelbar die Heime in Bayern gebunden (Böhme 2013: 24; siehe auch Bayerische Staatsregierung 2008).

§ 630h BGB Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler

Mit dieser Vorschrift werden die bisherigen in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur Beweiserleichterung im Arzthaftungsrecht gesetzlich geregelt. Damit ist jedoch keine vollständige Beweislastumkehr eingeführt worden. Die Beweislastumkehr wird in vier Fällen angewendet:

Vollbeherrschbares Behandlungsrisiko (Abs. 1)

Dokumentation der Aufklärung und/oder Einwilligung (Abs. 2)

sonstiges Dokumentationsversagen (Abs. 3)

fehlende fachliche Befähigung (Abs. 4)

Im Folgenden wird die Regelung wieder analog auf Pflegefehler im Heim angewendet.

1.3 Patientenrechtegesetz und Rechtsprechung

Ein Pflegefehler wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Pflegerisiko verwirklicht hat, das für die Pflegekraft voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Bewohners geführt hat. Liegt die Schadensursache allein im voll beherrschbaren Gefahrenbereich des Heimträgers und kommt der Bewohner in diesem Bereich zu Schaden, greift zugunsten des Heimbewohners eine Beweiserleichterung (Oberlandesgericht Dresden 1999).

Folgende Voraussetzungen (Hell 2013: 253) müssen dafür gegeben sein:

Bewohner in einer konkreten Gefahrensituation (z. B. Transfer eines sturzgefährdeten Bewohners);

Auslösen einer gesteigerten Schutz- bzw. Sicherungspflicht (z. B. beim Transfer eines sturzgefährdeten Patienten);

Beherrschbarkeit der Gefahrensituation für das Pflegeheim bzw. die Pflegeperson (z. B. Pflegekraft wird zum Zwecke der Sturzvermeidung tätig);

Schaden eines Bewohners (z. B. stürzt beim Transfer und erleidet einen Oberschenkelhalsbruch o. Ä.).

1.3.1 Beispiele aus der bisherigen Rechtsprechung

Dass bei fehlender Dokumentation oder fehlender fachlicher Qualifikation der Pflegekräfte aufgrund eines Pflegefehlers die Beweislast umgekehrt wird, ist weithin bekannt. Unsicherheiten treten in der Regel beim vollbeherrschbaren Risiko auf. Anhand von Gerichtsurteilen werden nun die Grundsätze zum vollbeherrschbaren Risiko in der Pflege erläutert und nachvollzogen.

1.3.1.1 Fall zum vollbeherrschbaren Risiko

Praxisbeispiel

Sturz beim begleiteten Toilettengang (nach einem Urteil des LG Heilbronn vom 29. 07. 2009 – 1 O 195/08)

Der 80 Jahre alte Bewohner Walter H. befand sich wegen einer Demenzerkrankung vollstationär in einem Altenpflegeheim. Aufgrund der demenziellen Erkrankung sowie weiterer Erkrankungen war er körperlich und geistig in einem schlechten Gesundheitszustand. Herr H. benötigte beim Aufstehen Beaufsichtigung, Teilnahme und Anleitung und beim Gehen Beaufsichtigung und Anleitung. Am 29. 11. 2005 stürzte Herr H. im Heim anlässlich eines Toilettengangs. Der genaue Hergang und die Umstände des Sturzes sind ungeklärt. Herr H. wurde bei diesem Gang von der ungelernten Hilfskraft Frau R., die seit drei Monaten ihr freiwilliges soziales Jahr im Pflegeheim absolvierte, begleitet. Ein Rollstuhl oder Gehhilfen wurden nicht eingesetzt. Durch den Sturz erlitt Herr H. eine Prellung sowie eine Fraktur des Schambeins. Er musste 21 Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Anmerkung: Nach den Eintragungen in den täglich aktualisierten Pflegeberichten war es im gleichen Jahr bereits wiederholt zu Stürzen gekommen. Aus diesen Berichten ergibt sich auch, dass Herr H. beim Gehen stark eingeschränkt war und Hilfe durch das Pflegepersonal brauchte. Zur Bewältigung größerer Strecken wurde ein Rollstuhl eingesetzt. Zur Erhaltung der Mobilität sollte er zu Fuß zur Toilette gehen und wurde dabei je nach Tagesform von ein oder zwei Kräften begleitet.

Hat Herr H. einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 5.172,66 Euro für die Krankenhauskosten, Krankentransport und Anwaltskosten gegen das Pflegeheim?

Lösung:

Fraglich ist, ob der Sturz im voll beherrschbaren Risikobereich des Pflegeheims lag. Voraussetzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass das Pflegeheim seine Obhutspflichten verletzt hat. Dem Heimträger obliegen Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihm anvertrauten Heimbewohner sowohl aus dem geschlossenen Heimvertrag als auch aus dem Heimgesetz, deren schuldhafte Verletzung zu Schadensersatzansprüchen führen kann. Bei einem akut sturzgefährdeten Heimbewohner muss das Pflegeheim dem besonderen Sturzrisiko in einer der Situation angepassten Weise nach allgemein anerkanntem Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse durch entsprechende sturzprophylaktische Maßnahmen Rechnung tragen. Ob dies geschehen war, muss durch Überprüfung der oben genannten Voraussetzungen festgestellt werden.

Bewohner in einer konkreten Gefahrensituation:

Vorliegend ist es so, dass Herr H. bei einer als konkrete Pflegemaßnahme anzusehenden Verrichtung zu Schaden gekommen ist, nämlich bei einem beaufsichtigten und begleiteten Gang zur Toilette bzw. von der Toilette zurück, bei welcher aufgrund der bestehenden Sturzgefahr auch nach Ansicht des Heimträgers die Begleitung und Beaufsichtigung durch das Heimpersonal zur Sturzvermeidung erforderlich war.

Auslösen einer gesteigerten Schutz- bzw. Sicherungspflicht:

Aus den Eintragungen in den Pflegeberichten des Heimes ergibt sich, dass Herr H. erheblich sturzgefährdet war. Er ist in den Wochen vor dem Sturz mindestens zweimal zu Fall gekommen. Es ist weiter dokumentiert, dass er an vielen Tagen erheblich gang-unsicher war, im Rollstuhl fahren musste und teilweise zur Stützung und Gefahrvermeidung von zwei Pflegekräften begleitet wurde. Dies alles zeigt, dass Herr H. bei allen Verrichtungen, zu denen er sich fortbewegen musste, der Hilfe und Unterstützung des Pflegepersonals bedurfte und zur Vermeidung eines Sturzes entsprechende Maßnahmen zwingend erforderlich waren.

Beherrschbarkeit der Gefahrensituation für das Pflegheim bzw. Pflegepersonal:

Die Annahme eines Schadens im Bereich des voll beherrschbaren Risikos wird von der Rechtsprechung auch bei den sogenannten Anfängereingriffen bejaht. Vorliegend ist unstreitig, dass Frau R. keine ausgebildete Pflegekraft war und jedenfalls in der Anfangszeit ihrer Tätigkeit der ständigen Begleitung und Beaufsichtigung durch das Fachpersonal bedurfte. Mit dem Einsatz dieser ungelernten Kraft bei einem akut sturzgefährdeten Bewohner, bei welchem zur Vermeidung eines Sturzes beim Toilettengang die Beaufsichtigung durch eine insbesondere im Umgang mit sturzgefährdeten Patienten erfahrene Pflegekraft erforderlich ist, hat die Beklagte jedenfalls ein ihr zurechenbares Risiko gesetzt, das eine entsprechende Beweislastumkehr rechtfertigt. Das Pflegeheim kann den ihr obliegenden Entlastungsbeweis, dass im vorliegenden Fall trotz der Verwirklichung eines Schadens im von ihr voll beherrschbaren Risikobereich kein objektiv pflichtwidriger und ihr vorwerfbarer Pflegefehler vorlag, nicht führen.

Schaden eines Bewohners:

Herr H. erlitt eine Prellung und einen Bruch, die den Krankentransport und Krankenhausbehandlungskosten zur Folge hatten. Eine anwaltliche Vertretung war erforderlich.

Ergebnis:

Herr H. hat Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 5.172,66 Euro für Krankenhauskosten, Krankentransport und Anwaltskosten gegen das Pflegeheim.

Erleidet ein Bewohner einen Schaden bei der Durchführung einer pflegerischen Maßnahme, so muss grundsätzlich der geschädigte Bewohner seine Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches darlegen und beweisen, d. h. er muss dem Heim einen Pflegefehler nachweisen. Liegt aber ein grober Pflegefehler vor, kann sich die Beweislast umkehren. Durch § 630h BGB ist nun ausdrücklich geregelt, dass bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, der grundsätzlich geeignet ist, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, vermutet wird, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war. Diesen Beweis muss das Heim entkräften. Damit ist durch das Patientenrechtegesetz keine generelle Beweislastumkehr eingeführt worden, aber die Rechtsprechung hat nun Eingang in das Gesetz gefunden und ist damit verbindlich für diese Fälle festgeschrieben.

Im obigen Fall wurde das Pflegeheim auf Zahlung von Schadensersatz verklagt. Aber auch das Pflegepersonal kann in Verantwortung genommen werden. Hier hat die Hilfskraft Frau R. eine Tätigkeit übernommen, für die sie nicht ausgebildet war und deshalb nicht beherrscht hat. Darin ist ein Übernahmeverschulden der Hilfskraft selbst zu sehen.

Im Fall hat tatsächlich die Krankenkasse des Herrn H. gegen das Pflegeheim geklagt. Denkbar wäre auch eine Klage des Herrn H. selbst gegen das Heim auf Zahlung von Schmerzensgeld gewesen.

Damit ist sowohl für die Mitarbeiter als auch für den Heimträger selbst ein funktionierendes Risikomanagement von zentraler Bedeutung zur Entlastung in einem Haftungsprozess oder zu dessen gänzlicher Vermeidung. Dies zeigt auch im Folgenden der im Jahr 2005 vom BGH entschiedene Fall.

1.3.1.2 Fall zur Grenze des vollbeherrschbaren Risikos

Praxisbeispiel

Hat Frau M. bzw. haben die Erben einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 86.067,04 € für die Behandlungskosten gegen das Heim?

Bewohner in einer konkreten Gefahrensituation:

Frau M. war akut sturzgefährdet. Das aktuelle Sturzrisiko ergab sich aus den vorhergehenden drei Stürzen im selben Jahr.

Auslösen einer gesteigerten Schutz- bzw. Sicherungspflicht:

Allein aus der Häufung dieser Vorfälle, die sich alle im Zimmer der Geschädigten zur Nachtzeit ereigneten – wahrscheinlich, weil die Geschädigte die Toilette aufsuchen wollte –, folgte ein besonderes Sturzrisiko, dem das Heim in einer der Situation angepassten Weise nach allgemein anerkanntem Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse Rechnung zu tragen hatte.

Beherrschbarkeit der Gefahrensituation für das Pflegheim bzw. Pflegeperson:

Von der Einschätzung der geistig-seelischen Situation Frau Ms. hängt nun weitgehend die Frage ab, in welcher Weise mögliche Maßnahmen mit ihr zu besprechen waren. Soweit Frau M. trotz ihres hohen Alters zeitlich, örtlich und situativ in der Regel orientiert war, konnte und durfte sie nicht gegen ihren Willen fixiert werden. Auch war, soweit sie geistig in der Lage war, die Folgen ihres Verhaltens einzuschätzen, ihre Ablehnung eines Bettgitters zu respektieren. Soweit sie allerdings nicht mehr geistig klar die Folgen ihres Verhaltens abschätzen konnte, wäre zu prüfen gewesen, ob eine Betreuung erforderlich gewesen wäre.

Ergebnis:

Das Pflegeheim ist nicht schadensersatzpflichtig. Es hat trotz Vorliegens einer akuten Sturzgefährdung keine Sorgfaltspflicht verletzt. Die von Frau M. im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte getroffene Entscheidung, kein Bettgitter anzubringen zu lassen, war zu respektieren.

1.3.2 Auswirkungen auf die Praxis

Aus der Rechtsprechung und der daraus resultierenden Gesetzgebung ergeben sich für ein Heim vier Vorteile:

1. Grundsätzlich bleibt es bei der Beweislast, dass der Bewohner bzw. seine Krankenversicherung die Beweise für die objektive Pflichtverletzung des Heimträgers erbringen muss.

2. Der Pflege wird ein weiterer Beurteilungsspielraum z. B. bei der Beurteilung des Sturzrisikos eingeräumt. Solange die Entscheidung für oder gegen eine Pflegemaßnahme abwägend und vertretbar ist, wird das Gericht keine Pflichtwidrigkeit annehmen.

3. Wird gewissenhaft der Entscheidungsprozess dokumentiert, ist dies ein Indiz für eine gewissenhafte Pflege.

4. Die Selbstbestimmung des Bewohners nimmt in allen Sturzurteilen eine zentrale Rolle ein und sollte damit deutlich aus der Dokumentation der Pflege ersichtlich sein, um eine Haftung des Heimes zu begrenzen.

1.4 Neue gesetzliche Regelung zur Zwangsbehandlung

Die zivilrechtliche Unterbringung gemäß § 1906 BGB regelt zwei Bereiche:

Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung oder Abteilung

Unterbringungsähnliche Maßnahmen wie Bettgitter, Gurte, Sedierung usw.

Neu geregelt sind der Bereich der Unterbringung und die darin erforderliche Zwangsbehandlung. Nur diese ist Inhalt der weiteren Ausführungen.

1.4.1 Überblick

Die geschlossene Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 BGB eines Bewohners ist nur zulässig, wenn sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil …

die Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Selbstgefährdung oder Selbsttötung besteht oder

zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine notwendige Untersuchung, Heilbehandlung oder ärztlicher Eingriff nicht durchgeführt werden kann.

Bei der Heilbehandlung eines Bewohners unter Betreuung ist Folgendes zu berücksichtigen: Die Rechtswirksamkeit der Einwilligung ist zu prüfen.

Der Patient kann einwilligen, wenn er die nötige Einsicht und Steuerungsfähigkeit besitzt, d. h. die Folgen und Tragweite des Eingriffs zu erkennen und seinen Willen hiernach zu äußern vermag. Hat eine betreute Person diese Fähigkeit, dann kann nur sie selbst, nicht der Betreuer, die Einwilligung erklären oder verweigern.

Der Betreuer hat die Einwilligung zu erklären, wenn …

sein Aufgabenkreis die Heilbehandlung umfasst und

die betreute Person einwilligungsunfähig ist.

Der Betreuer ist dann über die Risiken, Nebenwirkungen und Behandlungsalternativen genauso zu informieren wie der Patient.

Der Betreuer benötigt die betreuungsgerichtliche Genehmigung,

wenn begründete Gefahr besteht, dass der Patient stirbt oder

einen schweren länger andauernden Gesundheitsschaden zu erleiden droht oder

wenn es um den Abbruch lebenserhaltende Maßnahmen geht.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842685444
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (Januar)
Schlagworte
Altenpflege Pflegemanagement Qualitätsmanagement Risikomanagement stationäre Pflege

Autor

  • Harald Blonski (Herausgeber:in)

Der Herausgeber Harald Blonski ist Pädagoge (M.A.), Dipl.-Sozialpädagoge, Diplompsychogerontologe und Auditor für QM-Systeme. Er verfügt über langjährige Leitungserfahrung in der stationären Altenhilfe. Derzeit ist er hauptsächlich in den Bereichen Schulung, Fort- und Weiterbildung sowie als Organisationsberater und Auditor tätig.
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Titel: Risikomanagement in der stationären Altenhilfe