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Wachstumsmarkt Ambulante Pflege

Angebote, Chancen, Modelle, Lokale Netzwerke bilden, Neue Wohnformen aufbauen, Arbeitgeber-Attraktivität steigern.

von Karla Kämmer (Herausgeber:in) Birger Schlürmann (Autor:in)
124 Seiten

Zusammenfassung

auf den Punkt gebracht:
• Konzepte für den Weg zum professionellen Pflege-Allrounder
• Die Zukunftschance: maßgeschneiderte quartiernahe Angebote
• Zielvision: der attraktive Arbeitgeber in der Pflege

Im Gesundheitsmarkt der Zukunft werden ambulante Pflegedienste eine wesentlich größere Rolle spielen als bislang. Ambulante Pflege muss dafür allerdings lokal und regional bestens verankert sein. Nur als multiprofessionelle Dienstleister können ambulante Pflegeanbieter ihr Wachstumspotenzial heben.
Birger Schlürmann beschreibt schlüssig und klar, welche Weichen ambulante Dienste jetzt stellen müssen, um wirtschaftlich effizient und flexibel auf Herausforderungen zu reagieren. Er liefert Lösungen (neue Geschäftszweige und Wohnformen), gibt Tipps für Personalmanagement und -entwicklung.
Das Buch zeigt, wie es Pflegeeinrichtungen gelingt,
• unterschiedliche Wohnformen aufzubauen;
• fachspezifische Pflege mit entsprechenden Versorgungsverträgen anzubieten;
• sich im nahen Umfeld zu verankern;
• die Belegschaft kontinuierlich weiterzuentwickeln;
• als attraktiver und prosperierender Arbeitgeber wahrgenommen zu werden;
• durch Diversifikation die Zukunft zu sichern.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Die Zukunft ist bunt – das ist Hoffnung und Anspruch zugleich:

»Mit klassischer ambulanter Pflege – so wie wir sie seit den 80er-Jahren kennen, ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen.« Das macht Birger Schlürmann auf der ersten Seite seines Buches unmissverständlich klar. Er bereitet für Sie überzeugend auf, worauf es ankommt, welche Möglichkeiten sich Ihnen bieten, um Ihren Dienst wirklich zukunftsfit zu machen. In allen Bereichen.

Nicht nur wirtschaftlich, wo es darum geht, trotz real sinkender Vergütungen im ambulanten Feld durch kluge Synergien und marktgerechtes Handeln ein gedeihliches Wirtschaften zu erzielen, sondern auch, wenn es darum geht, wie Sie ein (noch) attraktiver(er) und abwechslungsreicher(er) Arbeitgeber für Ihre zukünftigen Mitarbeitenden werden.

Denn: Mit einer Vielfalt an Angeboten erhöhen Sie Ihre Attraktivität für die »High Potentials«, hochqualifizierte und engagierte Mitarbeitende, die überall händeringend gesucht werden.

Sehr schlüssig, anschaulich und aufrüttelnd ist Birger Schlürmanns Warnung vor dem »Weiter so!« – denn es führt in den Rückschritt und eine schleichende Insolvenz ist dann nicht weit.

Dieses Buch macht auf eine ganz pragmatische Weise Mut – auch denjenigen, die bisher noch nicht über Veränderungen nachgedacht haben. Beim Lesen kommt sofort der Gedanke: Warum nicht? Mit einem Augenzwinkern bekommen Sie knapp und konkret Lösungsoptionen präsentiert. Ein echtes Lesevergnügen.

Dabei bleibt Birger Schlürmann nicht stehen: Wie Ihr persönlicher Trainer entwirft er mit Ihnen den Spielplan der Zukunft – bis die Strategie stimmt, die Mannschaft steht und Sie Ihren persönlichen Sieg feiern.

Ich wünsche Ihnen einen weiteren erfolgreichen Aufstieg in die erste Liga!

1 Problem: Die heutige Lage ambulanter Pflegedienste

Mit reiner ambulanter Pflege, so wie wir sie seit den 1980er-Jahren kennen, lässt sich heute kein Blumentopf mehr gewinnen. »Naja«, mag der eine oder andere von Ihnen einwenden, »wir haben aber den demografischen Wandel – immer mehr ältere Menschen – da können wir noch lange so weiter machen.« Richtig an diesem Argument ist, dass es auch in Zukunft ältere Menschen mit Pflegebedarf geben wird. Doch es wird eine andere Zielgruppe sein: anspruchsvoller, fordernder, aufgeklärter. Hierauf müssen ambulante Anbieter reagieren.

Hinzu kommen immer mehr Menschen mit demenziellen Erkrankungen, mit besonders schweren pflegerischen Situationen wie Beatmungspflicht und Wachkoma. Auch diese Gruppe wird für ambulante Versorger immer wichtiger.

Die unterschiedlichen Landesheimgesetze, die verabschiedet und zum Teil schon wieder modifiziert wurden (z. B. in Nordrhein-Westfalen), eröffnen mittlerweile neue Formen der ambulanten und teilstationären Versorgung.

Ambulante Dienste haben heute die Möglichkeit, die gesamte Dienstleistungspalette zu offerieren: von der einfachen Nachbarschaftshilfe bis hin zum spezialisierten Angebot für beatmete Menschen in ihrer eigenen Häuslichkeit.

Es ist heute also vieles möglich für ambulante Pflegedienste. Es ist aber zugleich vieles nötig, um die nächsten zehn Jahre und mehr als Pflegedienst zu überleben. Einen ersten Überblick über Ihre Chancen und Möglichkeiten finden Sie in diesem Buch.

1.1 Rote Zahlen trotz rosiger Zukunft?

Sie verzeihen mir bitte, dass ich die Überschrift für dieses Kapitel abgekupfert habe. Das launige Wortspiel stammt von Professor Michael Isfort1. Bereits 2006 schrieb er: »Marktforscher bescheinigen der ambulanten Pflege regelmäßig eine rosige Zukunft. Zugleich kämpfen viele Pflegedienste ums Überleben, ausgebremst durch Struktur- und Finanzierungsdefizite des Gesundheitssystems. Fakt ist: Die Branche hat Wachstumspotenzial. Es zu nutzen heißt, als Pflegedienst neue und passende Angebote zu machen.«2 Tatsächlich hat sich an dieser kompakten Zustandsbeschreibung seither nicht viel geändert. Immer noch kämpfen in Deutschland die Pflegedienste ums Überleben. Immer wieder kommt es zu Meldungen wie dieser: »Rund 60 Prozent der ambulanten Pflegedienste von Caritas und Diakonie in Baden-Württemberg schreiben rote Zahlen«, titelte die Mainpost und nannte auch den Grund für die desolate Haushaltslage: die mangelnde Refinanzierung, denn Caritas und Diakonie müssen u. a. ihren Mitarbeitern Tariflöhne zahlen. Die Krankenkassen erkannten bislang diese Ausgaben nicht als betriebsnotwendig an. Das immerhin ändert sich mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz. Doch ob das reicht?

Fakt

In Deutschland gibt es derzeit rund 12.000 ambulante Pflegedienste mit rund 200.000 Mitarbeitern. Ihre Arbeit wird zum Teil aus der Pflegeversicherung, der Krankenversicherung und zum Teil direkt vom Kunden vergütet. Die Ertragssituation vieler ambulanter Dienste ist allerdings nach wie vor heikel. Ambulante Dienste kämpfen vor allem mit dem Delta zwischen überproportional steigenden Betriebskosten und real sinkenden Vergütungen.

Hinzu kommt, dass der überwiegende Teil der ambulanten Pflegedienste (67 %) weniger als 50 Pflegebedürftige versorgt.3

Außerdem gibt es immer neue Qualitätsanforderungen (gern von den Pflegewissenschaftlern), die von Institutionen wie dem MDS geradezu begeistert aufgenommen werden. Gegen Qualität ist freilich nichts zu sagen, doch der Aufwand, den so manche Anforderung an einen ambulanten Pflegedienst stellt, ist enorm. Allein der Dokumentationsaufwand für die Beratung von Pflegekunden mit potenziellen Risiken kostet einen Pflegedienst mit 100 SGB XI-Klienten jährlich etwa 42.000 €, legt man pro Klient und Jahr allein hierfür 12 Dokumentationsstunden zu je 35 € Fachkraftkosten zugrunde. Im Umkehrschluss muss ein Pflegedienst dieser Größe eine komplette Fachkraft inklusive Lohnnebenkosten nur für die nicht-wertschöpfende Beratung beschäftigen.

Die Überbürokratisierung ist ein Konfliktfeld vieler ambulanter Dienste, denn im Gewirr zwischen SGB V und XI müssen sie sich fast allein durchschlagen.

Anfang Dezember 2014 legte das Bundesgesundheitsministerium die Finanzergebnisse der ersten drei Quartale des Jahres 2014 vor. Die Krankenkassen mussten zwar Verluste hinnehmen, verfügten aber über eine Reserve von 16 Mrd. Euro. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe bezeichnete diese Bilanz als außerordentlich stabil. Dennoch darf man Kritik üben: In meinem Newsletter formulierte ich deshalb etwas spitz: »Umso fraglicher ist, warum es immer wieder vorkommt, dass unter fadenscheinigen Begründungen zum Teil lebensnotwendige Verordnungen zur Behandlungspflege im ambulanten Bereich abgelehnt werden. Hier nämlich entstehen im Umkehrschluss immer mehr Verwaltungskosten für ambulante Dienste: Es werden oft viele Arbeitsstunden nur darauf verwendet, Widersprüche zu formulieren – damit der betroffene Versicherte auch sein Recht bekommt.«4

Ein weiteres Problem vieler ambulanter Dienste: Es fehlt an Personal. Die Arbeitsbedingungen in der ambulanten Pflege sind nicht attraktiv. Die Arbeit ist herausfordernd, anstrengend, der Verdienst demgegenüber eher mager.

Doch selbst bei guten Arbeitsbedingungen haben Pflegedienste Schwierigkeiten, Personal zu bekommen. Ein Beispiel aus Sachsen-Anhalt: Dort ist »in jeder Sozialstation der Volkssolidarität eine Vollzeitstelle nicht besetzt, 13 insgesamt. Und nichts hilft, diesen Zustand zu beenden, obwohl Beate Bechmann [Geschäftsführerin des Regionalverbandes der Volkssolidarität Halle-Saalekreis, Anm. d. Verf.] zum Beispiel alles versucht: »Kommen Sie zu mir, Sie kriegen auch einen Dienstwagen mit privater Nutzung. Sie kriegen eine Altersvorsorge, Sie erhalten leistungsabhängigen Lohn, Sie erhalten sonnabends und sonntags Schichtzulage, Sie erhalten Ende des Jahres 60 Prozent als Sondervergütung«, zählt sie auf. Nichts passiert. Und das, obwohl diese Konditionen kaum jemand bietet. Beate Bechmann weiß selbst am besten, warum Altenpflegerinnen nicht einfach wechseln: »Die sagen, ich lasse meine Pflegenden nicht allein. Die fühlen sich, als ob sie den zu Pflegenden verraten. Und ich glaube, die meisten würden auf 200 Euro verzichten, nur damit sie den alten Menschen nicht enttäuschen.«5

Ob Beate Bechmann damit richtig liegt, können nur Sie, liebe Leserin, lieber Leser, beantworten. Fakt ist aber, dass Pflegekräfte ihren Beruf zumeist mit wirklicher Anteilnahme und großer Hingabe erfüllen. Da darf gern gefragt werden, ob sich die Politik nicht gerade deshalb so viel Zeit mit neuen Gesetzen lässt, weil sie weiß, wie geduldig die Pflegekräfte hierzulande sind …

1.1.1 Zwischen Gesetzen und Verträgen

Der ambulante Pflegedienst, der als Vertragspartner der Kranken- und Pflegekassen Dienstleistungen für pflegebedürftige Menschen in ihrer Häuslichkeit oder anderen geeigneten Orten anbietet, erfüllt folgenden Zweck:

Er erbringt häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 1 SGB V (Grund und Behandlungspflege sowie hauswirtschaftliche Versorgung, wenn Krankenhausbehandlung geboten, aber nicht ausführbar ist, oder wenn sie durch die häusliche Krankenpflege vermieden oder verkürzt wird).

Er bietet häusliche Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V (Behandlungspflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung), häusliche Pflege gemäß §§ 198 RVO, 25 KVLG.

Er leistet Haushaltshilfe gemäß §§ 38 Abs. 1 SGB V, 199 RVO, 27 KVLG, 10 KVLG 1989.

Er stellt durch geeignetes Personal Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach §§ 36 und 39 SGB XI sicher.

Er übernimmt die Durchführung von Pflegeeinsätzen nach § 37 Abs. 3 SGB XI bei Beziehern von Pflegegeld.

Der Pflegedienst ist zudem eine selbstständig wirtschaftende Einrichtung unter ständiger fachlicher Verantwortung einer ausgebildeten verantwortlichen Pflegefachkraft gemäß § 113 SGB XI i.V.m. den Gemeinsamen Maßstäben und Grundsätzen zur Qualität in der Pflege in ihrer aktuellen Fassung. Dieser Satz ist ganz entscheidend: »Selbstständig wirtschaften« heißt sogar im Sinne des SGB XI auch automatisch, die Dienstleistungen wirtschaftlich zu erbringen.

Mit Krankenkassen werden Versorgungsverträge und Vergütungsverträge nach SGB V geschlossen.

Mit Pflegekassen werden Versorgungsverträge und Vergütungsverträge nach SGB XI geschlossen.

Zudem rechnen ambulante Pflegedienste Leistungen mit den zuständigen Sozialhilfeträgern nach SGB XII ab.

Zusätzlich können die Leistungen auch ohne Beteiligung der oben genannten Kostenträger im Rahmen der Privatliquidation angefordert werden. Hierzu zählen auch Leistungen, die in Abgrenzung zu den definierten SGB V- und SGB XI-Leistungen als Privatleistungen angeboten werden.

Die Ausgestaltung dieser im SGB beschriebenen Möglichkeiten werde ich Ihnen in der Folge noch genau beschreiben. Halten wir zunächst fest: Die Dienstleistungen der ambulanten Pflegedienste sind in einer üppigen Gesetzeslandschaft festgehalten. Neu hinzukommen sind seit Januar 2015 das erste Pflegestärkungsgesetz und das Pflegezeitgesetz. Auch sie enthalten Möglichkeiten für ambulante Pflegedienste. Doch lassen Sie uns zunächst mit der Zustandsbeschreibung fortfahren und zu einem Punkt kommen, der immens wichtig ist: dem Personal.

1.1.2 Die Personalsituation: angespannt

Jeder Pflegedienst verliert nach und nach an Attraktivität, wenn der fachliche Anspruch keine Herausforderungen und keine Qualifizierungschancen bietet. Die Durchführung der stets gleichen, ständig wiederkehrenden Tätigkeiten, wie es in einem normalen ambulanten Pflegedienst der Fall ist, führt bei vielen Mitarbeitern zu einer schleichenden Demotivation. Gerade jüngere, ambitionierte Mitarbeiter langweilen sich bei so einer Konstellation sehr schnell und kündigen. Besonders begabte Mitarbeiter wechseln ins Studium und gehen damit dem operativen Geschäft meist für immer verloren.

Hinzu kommt der immense Stress, dem Mitarbeiter in der ambulanten Pflege jeden Tag aufs Neue ausgesetzt sind.

Fakt

In einer Studie des DBfK* heißt es: »Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) beobachtet den zunehmenden Pflegekollaps, nicht nur in den Klinken, sondern auch in Heimen und der ambulanten Pflege. Unzureichende Personalausstattung, Dauerstress, schlechte Bezahlung und Dumpinglöhne, physisch und psychisch krank machende Arbeitsbedingungen, steigende Patientenzahlen bei gleichzeitig sinkender Verweildauer, schlechtes Image der Pflegeberufe in allen Sektoren der pflegerischen Versorgung sind die wichtigsten Auslöser.«

* DBfK (2009). Wie sieht es im Pflegealltag wirklich aus? Fakten zum Pflegekollaps. Berlin, S. 5

Vor allem eines setzt den Pflegekräften in der ambulanten Pflege zu: die Teilzeitbeschäftigung. Sie ist in der ambulanten Pflege am höchsten.6

Eine weitere Schwierigkeit ist der klare Blick der Pflegekräfte auf die Qualität ihrer Arbeit. So engagiert sie auch arbeiten, so wenig Rücksicht sie auch auf sich selbst nehmen – die Qualität ihrer Arbeit steigt nicht. In der DBfK-Studie gaben 35 % der befragten Pflegekräfte in der ambulanten Pflege an, dass die Qualität der Pflege gesunken sei. 32,2 % der Befragten würde Angehörige oder nahe stehende Bekannte nicht im eigenen Arbeitsbereich versorgen lassen.7

Die Studie des DBfK mag einige Jahre her sein, doch das folgende Zitat stammt von 2014: »Wer glaubt, Pflegerinnen und Pfleger schlecht bezahlen und sie unfreiwillig in Teilzeit drängen zu können, wird bald keine Fachkräfte mehr finden.«8 Gesagt hat es Franz-Josef Laumann, seines Zeichens Patientenbeauftragter der Bundesregierung. Bereits seit 2012 läuft das Projekt »Zukunft: Pflege«. »Bislang fehlen vor allem für die ambulante Pflege Konzepte, um auf die sich verschärfende Personallage in der Pflege zu reagieren. Hauptidee des Verbundprojekts Zukunft: Pflege ist es, zur Lösung des Problems zwei Aktionsfelder miteinander zu verbinden:

Zum einen soll die Arbeitsorganisation in der ambulanten Pflege so gestaltet werden, dass die Gesundheit, Qualifikation und Arbeitsmotivation der Pflegenden nachhaltig gesichert werden.

Zum anderen sollen die ambulanten Pflegeunternehmen in ein regionales Unterstützungsnetzwerk einbezogen werden.«9 Das Projekt läuft bis 2015 und es wird sicherlich interessante Ergebnisse zeitigen.

1.1.3 Kundenstruktur und -anforderungen: veränderlich

Ambulante Dienste sind wichtig, notwendig, unverzichtbar und sie wachsen. Wesentlich stürmischer wachsen allerdings die Ansprüche der Kunden. Die »lieben älteren Leutchen«, die um 1925, 1935 geboren wurden, waren (und sind) dankbar für einfachste Hilfestellungen beim Waschen, Essen und Ausscheiden. Diese Generation hat den Weltkrieg miterlebt und gelernt, auch das Einfachste zum Überleben zu schätzen.

Ihre Kinder hingegen, die um 1945/1955 geborenen, wuchsen im Wirtschaftswunder auf. Sie lernten sichere Arbeitsplätze und ausreichende Renten kennen. Und diese Klientel kennt ihre Rechte, pocht auf ihre Ansprüche und setzt sich durchaus zur Wehr, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sich das vorstellt.

Das impliziert nicht nur den Aufbau neuer Dienstleistungen. Vielmehr müssen auch alle Mitarbeiter in den Bereichen Kommunikation und Auftreten für diese neue Anspruchshaltung der Kunden trainiert werden. Denn die besten, innovativsten und zielgruppenspezifischen Leistungen nützen nichts, wenn Ihre Mitarbeiter nicht angemessen mit den Klienten kommunizieren können. Noch immer gibt es leider Pflegemitarbeiter, die den Klienten als Bittsteller und von der Institution »Pflegedienst« abhängigen Pflegling betrachten.

Darüber hinaus verändert sich die Kundenstruktur hinsichtlich der Grund- und Folgeerkrankungen sowie dem Morbiditätsstatus. Auch im ambulanten Dienst gibt es mehr und mehr Schwerstpflegefälle und vor allem immer höhere Herausforderungen im Bereich der von Demenz Betroffenen. Im Sinne fachlichen Wachstums muss ein ambulanter Pflegedienst hier auch handeln, und zwar aktiv. Denn die simple Reaktion auf bereits gegebene Rahmenbedingungen ist ein Armutszeugnis, ein Zeugnis eigener Schwäche und eigenen Versäumnisses. Ein ambulanter Pflegedienst muss immer aktiv handeln, um sicher und erfolgreich am Markt bestehen zu können.

1.1.4 Gewinne: sinkend

Eine Bedrohung für ambulante Pflegedienste sind sinkende Gewinne. Selbstverständlich sind für gut wirtschaftende Pflegedienste immer noch Gewinnmargen im zweistelligen Bereich möglich, ohne dass die Qualität leidet oder die Mitarbeiter nicht angemessen bezahlt werden. Aber der Abwärtstrend ist nicht zu leugnen. Dieser Trend wird zudem anhalten. Es ist eine Illusion zu denken, dass sich die Situation wieder zum Positiven ändern wird. Schließlich ist seit den 1970er-Jahren noch jede Gesundheitsreform mit der Verknappung von Leistungen für die Versicherten einhergegangen. Geht es aber den Versicherten finanziell schlecht, merken das auch die ambulanten Pflegedienste sehr schnell.

Fakt

Die Kosten im ambulanten Bereich haben sich zwischen 1998 und 2013 um 70,4 % erhöht– die Vergütungen für die Leistungen stiegen im gleichen Zeitraum aber nur um 15 %.

Zudem muss festgehalten werden, dass unternehmerische Versäumnisse die Situation oft noch verschärfen (vgl. Kapitel 1.2.2).

Zumindest die Sicherung derzeit möglicher Gewinne und Maßnahmen der Unternehmenssicherung und einer stabilen Liquidität sind die Kernaufgaben für Management-Kräfte in ambulanten Pflegediensten. Diese Aufgaben sind aber mit einem »Weiter so« nicht zu bewältigen.

1.2 Die Konsequenz eines Stillstandes

Ambulante Pflege wird stets als Wachstumsmarkt dargestellt. Das ist natürlich aufgrund der demografischen Entwicklung völlig richtig. Trotzdem greift diese Erklärung zu kurz, denn ein Wachstum der Klientel ist nur die eine Seite der Medaille.

Schauen wir also genauer hin: Viele ambulante Pflegedienste klagen über rückläufige Sachleistungsquoten. Die Sachleistungsquote ist der Prozentsatz, zu dem man das individuelle Sachleistungspotenzial eines Klienten ausschöpft. Tabelle 1 bietet zur besseren Verständlichkeit ein Beispiel.

Tabelle 1: Die Sache mit dem Sachleistungspotenzial

image

Ausschöpfungsgrade der SGB XI-Sachleistungspotenziale ab 60, 70 % sind akzeptabel. Doch es kommt eben immer auf die Klientel an. Ein Pflegedienst, der in einem ärmeren Stadtviertel liegt, hat trotz bester Akquise oft nur Sachleistungsquoten um die 60 % und muss damit zufrieden sein. Die finanziell eher schlecht gestellten Klienten nutzen das Pflegegeld, das durch die Kombileistungen übrig bleibt, um ihre karge Rente aufzustocken. Mehr Leistungen sind so kaum zu generieren.

Ein Pflegedienst, der in einem Villenviertel aktiv ist, kann allerdings ein ähnliches Problem haben: Hier sind es die gut situierten Kunden und ihre Angehörigen, die lieber osteuropäische 24h-Pflegekräfte zur Versorgung einsetzen. Dem Pflegedienst bleibt da dann nur noch das SGB V-Geschäft.

1.2.1 Der Trend spricht gegen die Grundpflege

Die Situation mit dem Sachleistungspotenzial wird sich in Zukunft noch verschärfen. Dies liegt an dem weiteren Absinken der realen Kaufkraft der Bevölkerung. Dies betrifft vor allem die Hauptzielgruppe ambulanter Dienste: die Senioren, die nur eine mittlere oder knappe Rente beziehen. Aber selbst Rentner, die noch über eine sogenannte »gute« Rente verfügen, werden den Abwärtstrend der Realeinkommen zu spüren bekommen. Schließlich bleibt von der guten Rente nicht mehr viel übrig, da diese auch versteuert werden muss. Bis 2040 wird der besteuerungspflichtige Anteil der Rente übrigens stetig von heute 70 % (Stand: 2015) auf 100 % ansteigen.

Gespart wird so schon heute an der Grundpflege. Damit aber bricht der ambulanten Pflege der Kernmarkt irgendwann weg. Übrig bleibt nur noch das Geschäft mit der Behandlungspflege nach SGB V. Doch sind in manchen Bundesländern die Vergütungen hierfür so unattraktiv und gleichzeitig die Erbringungshürden sehr hoch (nur Fachkräfte), dass sich eigentlich nur eine Mischkalkulation aus Grund- und Behandlungspflege lohnt.

Fakt

An dieser Stelle ein Wort an die Leserinnen und Leser, deren Pflegedienst z. B. in Nordrhein-Westfalen (recht hohe SGB V-Vergütungen) ansässig ist: Die alleinige Konzentration auf SGB V-Leistungen ist ein hohes Risiko! Bei einer Reduktion der Vergütungen bei gleichzeitigem Anziehen der Anforderungen an die Erbringung kann ganz schnell eine wirtschaftliche Schieflage entstehen.

Die Anpassung nach unten wird verdeckt passieren: Man sortiert einfach die Leistungsgruppen neu und benennt diese um. So fällt die Vergütungskürzung nicht gleich auf.

Der zu erwartende Einbruch bei der Erbringung von Grundpflegeleistungen zwingt ambulante Dienste also dazu, weitere Leistungsbereiche aufzubauen, um zu erwartende Einnahmeverluste im klassischen Grundpflege-Geschäft zu kompensieren. Stillstand und das damit verbundene »sich auf den Status-Quo« zu verlassen, führt unweigerlich zu mittelfristigen Gewinneinbrüchen, im Einzelfall möglicherweise sogar in die Insolvenz.

1.2.2 Gleichschritt ist Rückschritt

In der Pflege ist oft die Rede davon, dass in der Klientenversorgung »Gleichschritt gleich Fortschritt« ist. Für die Versorgung hochbetagter und/oder multimorbider Klienten unterschreibe ich diese Gleichung sofort und ohne zu Zögern. Anders sieht der Fall für einen ambulanten Dienst aus, der sich heute auf seiner guten Geschäftslage ausruht. Die Merkmale einer gefährlichen Situation sehen übrigens so aus:

Umsatzrendite von 20 %

Nur 5 % Fluktuation

Gute Bewerberlage

Kunden kommen automatisch

Vorhalten einer leistungsstarken PDL

Sie finden, das sieht eher nach Erfolg aus? Eben! Denn im Erfolg liegt oft die Keimzelle für den Misserfolg. In einem solchen Wohlfühlbiotop, wie ich es hier skizziert habe, entstehen oft die Grundlagen für strategische Fehler, die in fünf bis zehn Jahren existenzgefährdend durchschlagen.

1.2.3 Die schleichende Insolvenz

Eine Insolvenz bricht nicht über Nacht über einen Pflegedienst herein, sondern ist in der Regel das fatale Ergebnis eines längeren Prozesses. Es beginnt damit, dass die Geschäftsführung Alarmsignale als solche gar nicht wahrnimmt. Mitunter setzen sogar Verdrängungsprozesse ein, um der Wahrheit nicht ins Auge schauen zu müssen. »Plötzlich« steht die Insolvenz vor der Tür und ist nicht mehr abwendbar.

Eine Insolvenzgefahr ist immer dann gebannt, wenn Rentabilität, Liquidität und Unternehmenssicherung in einer gesunden Balance zueinander stehen. Was schlussendlich aber immer die Insolvenz kennzeichnet, ist die Zahlungsunfähigkeit. Aus diesem Grunde zeige ich Ihnen nachstehend ein Szenario, wie ein gut gehender – aber im Stillstand verharrender – ambulanter Pflegedienst in die Falle der Illiquidität tappen kann.

Ein gut gehender ambulanter Dienst, wie in der Aufzählung in Kapitel 1.2.2 beschrieben habe, kommt unter folgenden Bedingungen in gefährliches Fahrwasser:

Verschlechterung der Erlösstruktur

Punktwerterhöhungen im SGB XI-Bereich werden durch unbemerkte Kostensteigerungen mehr als aufgefressen.

Die Akquise neuer Kunden wird eingestellt – »Die Klienten kommen ja automatisch!«

Erstgespräche werden nicht mehr oder nicht mehr in erforderlichem Maße erlösorientiert geführt.

Pflegevisiten schlafen ein – Blindleistungen werden übersehen und Mehrerlöspotenziale nicht mehr erkannt.

Doch damit nicht genug – die Verschärfung der Kostenstruktur geht meist damit einher, dass es sich der ambulante Dienst in seiner Komfortzone so richtig gemütlich gemacht hat:

Verschärfung der Fixkostenstruktur

Gehälter werden ohne Not angehoben, weil man in der Komfortzone offener für die Belange der Mitarbeiter ist.

Fuhrparkkosten steigen, da der Entscheidungswille, PKWs zur privaten Nutzung freizugeben, steigt.

Aufgrund fehlender Strategie und Reflexion des Marktes werden teure Beraterverträge abgeschlossen, nur »um mal nach vorn zu denken«.

So legt sich der Pflegedienst unbemerkt selber die Steine in den Weg. Strukturell entsteht eine Verknappung der Erlöse in Verbindung mit einem schleichenden Anstieg der Fixkosten. Kommt dann fehlendes Controlling und eine Katastrophe wie Personalrisiken oder der Verlust ganzer Touren auf den Pflegedienst zu, ist die Insolvenz nicht mehr weit.

Vermeidbar sind solche Szenarien immer durch ein beständige Analyse der eigenen Stärken und Schwächen, einer klaren Definition, wo das Unternehmen in fünf, zehn und 20 Jahren stehen möchte sowie die Öffnung für weitere Dienstleistungszweige, um das gesamte Unternehmen »ambulanter Pflegedienst« auf sichere und tragfähige Säulen zu stellen.

1.2.4 Schlussimpuls: Ihr Denken muss die Richtung ändern

»Umparken im Kopf« – der aktuelle Werbeslogan eines Automobilherstellers trifft den Nagel auf den Kopf. Es hilft keinem Geschäftsführer eines ambulanten Pflegedienstes, einfach zu sagen: »Uns geht es gut – aber wir müssen an später denken. Deshalb machen wir jetzt mal eine Tagespflege auf.« Das ist billiger Aktionismus, der zum Scheitern verurteilt sein dürfte. Das Denken muss die Richtung ändern: Bei Führungskräften müssen die Voraussetzungen für eine intrinsische Motivation geschaffen werden, strategisch und perspektivisch nach vorn zu denken. Eine Maßnahme der obersten Leistung könnten jährliche Strategie-Workshops sein. An diesen Workshops sollten teilnehmen:

Inhaber/Gesellschafter

Geschäftsführer

Pflegedienstleitung

Stellvertretende Pflegedienstleitung

Verwaltung

Teamleiter

Qualitätsmanagement

Ausgewählte Pflegekräfte

Bei einem Strategieworkshop können sich die Teilnehmer mit Fragen auseinandersetzen, wie sie in Tabelle 2 zu lesen sind.

Tabelle 2: Fragen für den Strategieworkshop

GegenstandsfrageErläuterung
Verhandlungsmacht der LieferantenGemeint sind vor allem die Kranken- und Pflegekassen sowie die Sozialämter als Kostenträger der Pflegeleistungen. Werden Ihnen einfach Preise und Konditionen diktiert oder gibt es doch einen Verhandlungsspielraum?
Diese Fragen dürften je nach Versorgungsschwerpunkt (»normale« ambulante Pflege, Intensivkrankenpflege, WG, Tagespflege usw.), Region und örtlicher Marktlage unterschiedlich zu beantworten sein.
Verhandlungsmacht der KundenGemeint sind hier tatsächlich künftige Klienten und vor allem deren Angehörige. Noch glauben viele Klienten, dem Pflegedienst gegenüber in einer vorteilhaften Rolle zu sein.
Doch wegen des weitergehenden Personalmangels in der Pflege können notwendige Pflegeplätze und Versorgungskapazitäten in Zukunft vielleicht gar nicht mehr vorgehalten werden.
Auch hier kann sich die Situation – je nach Versorgungsschwerpunkt, Region und örtlicher Marktlage – zugunsten Ihres Pflegedienstes verschieben.
Bedrohung durch neue WettbewerberDie Bedrohung durch neue Wettbewerber ist abhängig von der untersuchten Versorgungsform (»normale« ambulante Pflege, Intensivkrankenpflege, WG, Tagespflege usw.) und natürlich wieder von der aktuellen Marktsituation vor Ort.
Die Bedrohungspotenziale neuer ambulanter Dienste, die klassische ambulante Pflege anbieten, dürften überschaubar sein. Bedrohungen in anderen Versorgungsformen hingegen könnten sich in der Analyse anders, nämlich durchaus existenzbedrohend, darstellen.
Eine weitere Bedrohung sind Niedrigschwellige Betreuungsangebote von nicht qualitätsgesicherten und dadurch ggf. bedeutend billigeren Anbietern
Bedrohung durch ErsatzprodukteEin klassisches Ersatz- oder auch Folgeprodukt ist die stationäre Pflege. Aber auch die vollständige Übernahme der pflegerischen Versorgung durch Angehörige kann im SGB XI-Bereich eine ernstzunehmende Bedrohung sein. Gleiches gilt für das Dauerbrenner-Thema »osteuropäische Haushalts- und Pflegehilfen«.
Wettbewerbsintensität in der BrancheHier kommt es mehr auf den regionalen/lokalen Markt an, auf dem sich Ihr Pflegedienst bewegt. Da der Preis bzw. die Preisspannen für ambulante Grund- und Behandlungspflege aber überwiegend vorgegeben sind, dürfte sich ein Wettbewerb über den Preis kaum entwickeln.
Ökonomische UmweltBei der Analyse der ökonomischen Umwelt werden neben den Erlösstrukturen für einzelne Versorgungsformen auch mögliche Entwicklungen des Klienten- und Nachfrageverhaltens für einzelne Dienstleistungen geprüft, die in den Zuständigkeitsbereich ambulanter Pflegedienste fallen.
Technologische UmweltDie technologische Umwelt betrifft Neuerungen in Medizin, Pflege und Recht, die für die einzelnen Versorgungsformen und Dienstleistungen relevant sind.
Gesellschaftliche UmweltDie Analyse befasst sich hier mit den demografischen Entwicklungen. Hinzu kommen veränderte Haltungen zu ethischen, medizinischen, sozialen und pflegerischen Fragen in der gesamten Gesellschaft.

Diese Fragenliste kann beliebig erweitert und verändert werden. Wichtig ist, dass nach jedem Strategieworkshop klare Aufgaben und Projekte formuliert werden. Die Benennung von Zuständigkeiten, Zielen, Zeitfenstern, Ressourcen und Reflexionen ist dabei selbstverständlich. Ansonsten verkommen Strategieworkshops zu besseren Betriebsausflügen.

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1 Isfort, M. (2006). Rote Zahlen trotz rosiger Zukunft. In: Häusliche Pflege 2006, S. 16 ff

2 Ebd., S. 16

3 Sießegger, T. (2013). Betriebswirtschaftliches Gutachten: Diskussion zu den Wechselwirkungen von Stundensätzen neben einem System der Abrechnung nach Leistungskomplexen. S. 6 Im Internet: http://www.diakonie-rwl.de/cms/media/pdf/aktuelles/2013-pdf/Gutachten_PNG_Wechselwirkungen_Siessegger2013.pdf [Zugriff am 12.12.2014]

4 Schlürmann, B. (2014). Politik: Finanzbilanz der Krankenkassen. In: Pflegemanagement aktuell. Newsletter. Bonn: Verlag für die Deutsche Wirtschaft

5 http://www.mdr.de/nachrichten/pflegenotstand112_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.xhtml [Zugriff am 11.12.2014]

6 Ebd, S. 7

7 Ebd., S. 10

8 http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/58869/Laumann-weist-Vorwurf-der-Verzoege-rung-bei-Pflegereform-zurueck [Zugriff am 12.12.2014]

9 http://www.zukunft-pflege.uni-bremen.de/projekt/[Zugriff am 12.12.2014]

2 Kurzfristige Lösungen

»Allein aufgrund der demografischen Entwicklung können Pflegedienste in den kommenden 40 Jahren mit hohen Wachstumsraten bei den Pflegebedürftigen rechnen. Um dieses Wachstum bewältigen zu können, müssen entweder neue Pflegedienste entstehen oder die Zahl der Pflegebedürftigen pro Pflegedienst wird weiter steigen. Das bedeutet, dass bestehende Pflegedienste einem ständigen Wandel unterworfen sind und ihre Strukturen und Prozesse diesem Wandel anpassen müssen.«10

Sie wissen, dass diese Aussage stimmt, aber eben auch genau zu lesen ist. Ein simples Wachstum der Klientel bedeutet nun eben nicht, dass auch Ihre Gewinne wachsen und Ihr Pflegedienst quasi zum Goldesel mutiert. Dennoch können Sie einiges tun, weil Ihnen der Markt Chancen bietet.

Wenn in diesem zweiten Kapitel von kurzfristigen Lösungen die Rede ist, dann sind keine Schnellschüsse gemeint, die wenig Nachhaltigkeit aufweisen. Vielmehr möchte ich Ihnen im Sinne der nachhaltigen Unternehmenssicherung und -entwicklung als erstes Erlösstrukturen zeigen, werden, die Sie schnell umsetzen können. Hierzu gehören haushaltsnahe Dienstleistungen und Leistungen der sozialen Betreuung.

Um am Markt zu bestehen, sind also neue Ideen gefragt. Wer als ambulanter Pflegedienst zwei oder mehrere Standbeine hat, ist nicht nur wirtschaftlich auf der sicheren Seite. Darüber hinaus wird er auch attraktiv für die begehrten Fachkräfte. Schließlich bietet ein solcher Dienst ein vielseitiges Aufgabenfeld. Die Streuung der Dienstleistungen kann also in eine Aufwärtsspirale münden.

In Zeiten des Personalmangels ist es wichtig, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Neben einer überdurchschnittlichen Bezahlung, flexiblen Arbeitszeiten und Aufstiegsmöglichkeiten ist die Aufgabenvielfalt ein vierter wichtiger Punkt. Damit punkten Pflegedienste vor allem bei interessierten Pflegekräften, die sich in die Tiefe weiterentwickeln möchten – sich also in Richtung Fachexperten für bestimmte Bereiche weiterbilden möchten. Wenn Arbeitgeber neben der klassischen ambulanten Pflege auch Schwerpunkte wie »Demenz«, »Psychiatrie« und sogar »Intensivpflege« anbieten, kommen diese besser vor allem an die guten Pflegekräfte heran – genau die, die händeringend gesucht werden.

Lassen wir einmal MDS, MDK und Konsorten mit ihren teils unrealistischen Qualitätsanforderungen außen vor. Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren viele Wege eröffnet, mit denen sich ein ambulanter Pflegedienst auch weiterhin lukrativ betreiben lässt. Lesen Sie selbst, was Sie z. B. neben klassischer ambulanter Pflege noch anbieten können:

Großflächige soziale Betreuung nach § 45b SGB XI

Ambulant betreute Wohngemeinschaften

Betreutes Wohnen

Psychiatrische Hauskrankenpflege

Palliativpflege

Beatmungs-Wohngemeinschaften

1:1-Versorgung von heimbeatmeten Menschen

Sie vermissen den Modebegriff »Pflege im Quartier«? »Pflege im Quartier« ist keine abrechnungsfähige Kassenleistung. Vielmehr geht es hier darum, dem pflegebedürftigen Menschen eine Versorgung in seiner Häuslichkeit und seinem vertrauten lokalen Umfeld anzubieten, die seine Lebensqualität zumindest erhält. Dieses Angebot muss aber so sein, dass ein Pflegedienst wirtschaftlich arbeiten kann. Denn der Klient hat nichts davon, wenn der Anbieter seines Vertrauens in der Insolvenz endet.

Durch die Leistungserhöhungen im Rahmen des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes seit 2013 und den jüngsten Leistungssteigerungen seit dem 1. Januar 2015 im Zuge des ersten Pflegestärkungsgesetzes stehen den Versicherten, die in eine Pflegestufe eingeordnet sind, mehr Leistungen zu. Die wohl relevanteste Änderung seit dem 1. Januar 2015 ist die Tatsache, dass zusätzliche Betreuungsleistungen um die Möglichkeit ergänzt werden, sogenannte »niedrigschwellige Entlastungsleistungen« in Anspruch zu nehmen. Mehr dazu lesen Sie in Kapitel 2.2.1.

Zwei Fakten

1. Die Sachleistungen in Höhe von 104 € im Monat kommen künftig jedem Versicherten in der Pflegestufe 1 bis 3 zugute – unabhängig davon, ob ihm eine eingeschränkte Alltagskompetenz im Sinne des § 45a SGB XI attestiert wurde oder nicht.

2. Wer seinen Anspruch auf ambulante Pflegesachleistungen nicht voll ausschöpft, kann seit dem 1. Januar 2015 den nicht für den Bezug von ambulanten Sachleistungen genutzten Betrag – maximal aber 40 Prozent des hierfür vorgesehenen Leistungsbetrages – für niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote verwenden.

2.1 Haushaltsnahe Dienstleistungen

Die Erbringung sogenannter »haushaltsnaher Dienstleistungen« ist der einfachste Weg für Sie, einen Fuß in die Tür neuer Kunden zu bekommen. Sie können damit potenzielle Hoch-Umsatzkunden von morgen bereits heute bedienen, obwohl noch gar keine Pflegebedürftigkeit vorliegt. Haushaltsnahe Dienstleistungen

2.1.1 Die »Service-Karte«

Die sogenannte »Service-Karte« (oder neudeutsch: »Service-Card«) ist tatsächlich eine Karte oder ein Gutschein, mit dem der Inhaber Leistungen bei einem ambulanten Pflegedienst einkaufen kann. Diese Leistungen können sich im Rahmen der SGB XI-Leistungskomplexe bewegen. Es können auch Zeiteinheiten der Betreuung sein oder aber Leistungen aus einem Privatzahlerkatalog (vgl. Kapitel 2.1.2).

Über eine solche Karte können Einzelleistungen abgebucht werden. Alternativ können Sie auch eine Service-Karte entwickeln, die ein festes monatliches Leistungsspektrum enthält. Sehen Sie sich dieses Beispiel einmal an:

Die Service-Karte

26,50 €/Monat kann eine Service-Karte kosten. Das Paket enthält folgende Leistungen:

24-Stunden-Erreichbarkeit

Täglicher Kontaktanruf

Schlüsselaufbewahrung

Beratung über die Leistungen der Pflegeversicherung ambulant und stationär

Vermittlungen von Dienstleistungen (Essen, Hauswirtschaft, Begleitung etc.)

Vermittlung von seelsorgerlichen Gesprächen

Miete, Installation und Wartung des Hausnotrufgerätes

Im Sinne eines klugen Marketings sollten Sie diese Karte auch gleich als Jahreskarte anbieten – selbstverständlich rabattiert, also etwa für 290 €/Jahr. Bei 20 verkaufen Service-Karten beläuft sich der sichere Umsatz für Ihren Pflegedienst bereits auf 5.800 €/Jahr bzw. auf rund 480 €/Monat.

2.1.2 Privatzahlerkatalog

Ich stelle Ihnen an dieser Stelle schon den Privatzahlerkatalog vor, weil Sie ihn sofort nutzen können, um Leistungen bei (noch) nicht in eine Pflegestufe eingeordneten Klienten zu erbringen und abzurechnen. Selbstverständlich müssen Sie einen guten Privatzahlerkatalog so aufbauen und bewerben, dass er in jeder Phase der Pflegebedürftigkeit eines Klienten eines oder mehrere attraktive Angebote bereithält, für die der Klient auch privat zahlen möchte.

Der Vollständigkeit halber grenze ich hier zwei Begriffe voneinander ab: Mit »Privatzahler« sind hier Kunden gemeint, die sich Leistungen aus dem gleichnamigen Katalog einkaufen – also Leistungen außerhalb der SGB V-Leistungen aus dem bundesweit geltenden Leistungsverzeichnis der HKP-Richtlinie sowie den länderspezifischen SGB XI-Leistungskomplexen. Die Privatzahler sind also keine »Selbstzahler«, die SGB V-Leitungen aus der HKP-Richtlinie und/oder Leistungen aus den SGB XI-Leistungskomplexen selber zahlen bzw. den Satz finanzieren, der über ihren individuellen Sachleistungsanspruch hinausgehen.

Der Privatzahlerkatalog kann also Leistungen beinhalten, die als haushaltsnahe Dienstleistungen einen unmittelbaren Nutzen für den Klienten haben. Schauen Sie sich hier einmal die Tabelle 3 an.

Tabelle 3: Muster eines Privatzahlerkataloges

AngebotPreis
Servicepaket 1:
Organisieren von Verordnungen
10,00 €/Monat
Servicepaket 2:
Organisieren von Verordnungen, Rezepten, Medikamenten
17,00 €/Monat
Haushaltspaket 1:
Übernahme der Treppenhausreinigung
13,50 € pro angefangene
15 Minuten
Haushaltspaket 2:
Grundreinigung der Wohnung/des Hauses inkl. Staubwischen, Fensterputzen, Schränke auswischen)
13,50 € pro angefangene
15 Minuten
Haustierservice 1:
Füttern von Haustieren
2,50 € pro Einsatz (in Verbindung mit einem LK und/oder SGB V-Leistung)
Haustierservice 2:
Füttern und Reinigung Katzenklo, Vogelkäfig, Pflege des Aquariums
5,50 € pro Einsatz (in Verbindung mit einem LK und/oder SGB V-Leistung)
Wellnessbad mit entsprechender Dekoration des Bades13,50 € pro angefangene
15 Minuten
Sicherheitsbesuch: Überprüfen, ob alles in Ordnung ist4,50 € pro angefangene
5 Minuten

Gestalten Sie den Privatzahlerkatalog ansprechend. Das betrifft nicht nur die Texte. Auch die Fotos und das Papier sollten wertig sein. Es ist vollkommen kontraproduktiv, wenn Sie mit einem Privatzahlerkatalog »Premium« verkaufen wollen, er aber schon in der Aufmachung billig daherkommt. Das Gesamtpaket muss also stimmen – die Haptik und Optik des Privatzahlerkataloges müssen ebenso wertig sein wie die Leistungen, die Sie anbieten. Nur dann ist Ihr Angebot wirklich glaubwürdig. Ein gutes Beispiel finden Sie z. B. im Internet beim Pflegedienst Lippold11.

2.2 Ausbau des Demenzbereichs

Der Gesetzgeber hat durch das Pflege-Neuausrichtungsgesetz von 2013 sowie dem ersten Pflegestärkungsgesetz eine Menge bewegt, um dem wachsenden Versorgungsengpass demenzkranker Menschen doch die Anspruchsgrundlagen auf adäquate Leistungen deutlich zu erhöhen, wenn das auch nicht in aller Konsequenz umgesetzt wurde. Ambulante Pflegedienste bekommen so immer mehr Anreize, einen eigenen Bereich für Betreuung und Demenzversorgung aufzubauen. Das kann sogar so weit gehen, dass ein eigenständiger Unternehmensteil hierfür aufgebaut werden kann.

2.2.1 Nutzen Sie konsequent die §§ 45b, 123 und 124 SGB XI

Im Zuge der Zukunftssicherung sollten Sie sich als Pflegedienst Gedanken über ein solches Standbein für Menschen mit Demenz machen. Eine Möglichkeit ist es, neben dem »normalen« ambulanten Pflegedienst eine weitere Firma zu betreiben, die ausschließlich Betreuungsleistungen erbringt. Das Kernargument für diesen Zweig ist die Tatsache, dass der Bedarf an Betreuungsleitungen stetig steigt. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber dies mehr und mehr berücksichtigt, wie die folgende Aufzählung zeigt:

Über den § 124 SGB XI können schon heute länderspezifisch Leistungskomplexe für die soziale Betreuung verhandelt werden.

Im Rahmen der Zeitvergütung gibt es von der Pflege abgetrennte Stundensätze.

Seit dem 1. Januar 2015 erhalten alle Versicherten der Pflegestufe 1-3 104 € monatlich an zusätzlichen Betreuungsleistungen aus dem § 45b.

Seit dem 1. Januar 2013 stehen allen von 1 bis 2 eingestuften Versicherten mit anerkannter eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 45a SGB XI aus dem § 123 SGB XI zusätzliche Leistungen zu. Diese können sowohl für Pflege, Hauswirtschaft als auch Betreuung eingesetzt werden

Unter Umständen kann künftig die Hälfte der Sachleistung von niedrigschwelligen Betreuungsdiensten abgegriffen werden. Hier könnte es deutliche Einbußen für Ihren klassischen Pflegedienst geben. Denn die niedrigschwelligen Anbieter können, anders als der Unternehmer mit der pflegedienstinternen Stundenvergütung im Bereich Betreuung, günstige Angebote ohne die ganzen MDK-Anforderungen erbringen.

Autoren

  • Karla Kämmer (Herausgeber:in)

  • Birger Schlürmann (Autor:in)

Birger Schlürmann ist Pflegefachkraft, TQM-Auditor, Pflegedienst- und Heimleiter. Er arbeitet zurzeit als Unternehmensberater für ambulante und stationäre Einrichtungen.
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Titel: Wachstumsmarkt  Ambulante Pflege