Zusammenfassung
Auch die 5. Auflage dieses Standardwerkes orientiert sich an diesen Werten und gibt ihnen eine Grundlage. So wurden neue Erkenntnisse zur Krankheit Demenz eingearbeitet; die Aspekte Zuwendung, Wertschätzung, basale Kommunikation und ABEDL-Konzept werden besonders betont.
Mit aktuellem Wissen und wertschätzender Haltung lässt sich die Pflege von Demenzkranken verbessern. Es entsteht eine gute Pflegequalität, ohne dass die Kreativität und Individualität der Pflege zu kurz kommt. Es geht immer um die individuelle Lebensqualität des Menschen mit Demenz. Es ist seine Situation, die den Rahmen vorgibt und das Ziel der Pflege definiert.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
VORWORT ZUR 5., AKTUALISIERTEN AUFLAGE
Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland die Zahl der Menschen mit Demenz von derzeit 1,4 Millionen bis auf drei Millionen im Jahr 2050 steigen wird.1
Umso wichtiger ist es, dass bei der Pflege der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Gefühlen im Mittelpunkt steht und weniger die Demenzkrankheit. Wer aber konsequent Bedürfnisse und Gefühle in den Mittelpunkt stellt, muss sie zunächst erfahren – bspw. durch eine einfühlsame Kommunikation. Dies ist eine der wichtigsten Aufgaben für Angehörige, Pflegende und das interdisziplinäre Team.
Der Mensch mit Demenz, seine Angehörigen und die Pflegenden brauchen Wertschätzung (Validation), einfühlendes Verstehen, Akzeptanz und Güte. Lassen wir einen Menschen mit Demenz selbst zu Wort kommen: »Ich möchte, dass man mit mir vom Leben spricht und nicht von der Krankheit. Ich möchte, dass man mich mit Respekt und Liebe behandelt, als ein Subjekt und nicht als Objekt. Ich möchte, dass man mich als lebendig ansieht und nicht als tot.«2
Auch die 5., aktualisierte Auflage will nach wie vor diesen Anspruch erfüllen. So wurden neue Erkenntnisse zur Krankheit Demenz eingearbeitet; die Aspekte Zuwendung, Wertschätzung, basale Kommunikation und ABEDL®-Konzept werden besonders betont.
Das Buch will dazu beitragen, die Pflege von Demenzkranken zu verbessern, zu professionalisieren; kurzum: eine gute Pflegequalität zu sichern, ohne die Kreativität und Individualität der Pflege zu schmälern. D. h. die Hinweise zur Pflege, die hier nur stichpunktartig gegeben werden können, sind stets der individuellen Lebensqualität des Menschen mit Demenz und seiner Situation anzupassen.
Nach wie vor informiert dieses Buch umfassend und doch kompakt Angehörige und beruflich Pflegende über die verschiedenen Aspekte der Demenz. Das Leitthema ist dabei immer die ganzheitlich fördernde Prozesspflege.
Danken möchte ich allen Pflegenden und besonders meiner Lektorin Claudia Flöer, die mich zu Veränderungen angeregt haben.
Hagen, im Januar 2014
Dr. Erich Grond
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1 Freter, H.-J. (2013). Demenz – den Weg gemeinsam gehen. Pressemitteilung zum Welt-Alzheimertag 2013. Im Internet: http://www.deutsche-alzheimer.de/ueber-uns/aktuelles/artikelansicht/artikel/gemeinsame-pressemitteilung-zum-welt-alzheimertag--2013.xhtml [Zugriff am 24. September 2013]
2 Zimmermann 1989
MENSCHEN MIT DEMENZ BESSER VERSTEHEN
1 GRUNDLAGEN ZUR ENTTABUISIERUNG VON DEMENZ
»Demenz« setzt sich aus den lateinischen Wörtern »mens« (= Verstand) und »de« (= abnehmend) zusammen. »Demenz« bedeutet so viel wie »abnehmender Verstand« oder chronisch fortschreitender Hirnabbau mit Verlust früherer Denkfähigkeiten. Als »Demenz« bezeichnet man eine über sechs Monate anhaltende Störung der höheren Hirnfunktionen.
1.1 Häufigkeit
Nach der Berliner Altersstudie (1996) ist Demenz bis zum 90. Lebensjahr nach Depressionen die zweithäufigste und nach dem 90. Lebensjahr die häufigste psychische Erkrankung. Nach Bickel (2002) steigt die Zahl der demenzkranken Menschen nach Altersgruppen aufgeschlüsselt so an, wie Tabelle 1 zeigt.
Altersgruppen | Anteil der an Demenz erkrankten Menschen |
65–69 | 1,2 % |
70–74 | 2,8 % |
75–79 | 5,8 % |
80–84 | 13,3 % |
85–89 | 22,6 % |
über 90 | 33,5 % |
In Deutschland leiden derzeit etwa 1,3 Millionen Menschen an Demenz. Rund 20 000 von ihnen sind unter 65 Jahre alt, leiden also an der sog. präsenilen Demenz. 60 bis 70 % leiden an Alzheimer, 15 bis 20 % an vaskulärer Demenz und 10 bis 30 % an Mischformen. Von den über 100-Jährigen erkranken 58,9 % an Demenz.3 Von den über 95-jährigen Frauen haben 49 %, von den über 95-jährigen Männern 32 % eine Demenz.
Die Überlebenszeit bei Alzheimer-Kranken beträgt etwa sechs Jahre und verkürzt sich mit zunehmendem Alter. Beginnt die Erkrankung vor dem 65. Lebensjahr, so beträgt die Überlebenszeit etwa zehn Jahre, bei Beginn zwischen dem 65. und 70. Lebensjahr verringert sich die Überlebenszeit auf etwa acht Jahre, nach dem 75. Lebensjahr auf sechs Jahre. Bei einem Beginn nach dem 85. Lebensjahr verkürzt sich die Überlebenszeit auf vier Jahre und bei einem Beginn nach dem über 90. Lebensjahr auf zwei Jahre.
Patienten mit vaskulärer Demenz haben eine kürzere Überlebenszeit, bedingt durch Faktoren wie männliches Geschlecht, Schwere der Demenz und ein höheres Maß an körperlicher Komorbidität4. Nach Hochrechnungen werden 2050 in Deutschland rund 3 Millionen Menschen mit Demenz leben.
1.2 Primäre und sekundäre Demenzen
1.2.1 Primäre Demenzen
1. Degenerative, abbaubedingte Demenz wie Alzheimer, Lewy-Körper-Demenz und frontotemporale Demenz
2. Vaskuläre, gefäßbedingte Demenz wie subkortikale Demenz Binswanger, Multi-Infarkt-Demenz und Mischformen
1.2.2 Sekundäre Demenzen
Sekundäre Demenzen sind die Folgen anderer Erkrankungen. Die Ursachen dieser teilweise reversiblen Demenzen sind nach Beyreuther (2002) in abnehmender Häufigkeit:
• Depression, die nicht erkannt oder falsch behandelt wird;
• Medikamente (anticholinergisch wirkende Neuroleptika, Antidepressiva);
• Stoffwechselstörungen (Schilddrüsenunterfunktion, Vitamin-B12- und Folsäure-Mangel, Leberschädigung);
• Normaldruckhydrozephalus (Liquor wird nicht resorbiert);
• Hirntumore, subdurales Hämatom, Alkohol, Infektionen, z. B. HIV;
• chronisch-obstruktive Lungenkrankheit (COPD), Schlafapnoe-Syndrom.
1.2.3 Klassifikation der Demenzen nach ICD-10-GM 2012
• F00 Demenz vom Alzheimer Typ DAT
• F00.0 Demenz bei Alzheimer mit frühem Beginn (präsenile Demenz)
• F00.1 Demenz bei Alzheimer mit spätem Beginn (senile Demenz)
• F01 Vaskuläre Demenz VD
• F01.1 Multi-Infarkt-Demenz MID
• F01.2 Subkortikale vaskuläre Demenz
• F02 Demenz bei andernorts klassifizierten Krankheiten
• F02.0 Demenz bei Pick-Krankheit
• F02.1 Demenz bei Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
• F02.2 Demenz bei Chorea Huntington
• F02.3 Demenz bei primärem Parkinson-Syndrom
• F02.4 Demenz bei HIV-Krankheit
• F02.8 Demenz bei andernorts klassifizierten Krankheitsbildern: Demenz bei Epilepsie, Hypothyreose, Intoxikation, Multipler Sklerose, Urämie, Vitamin-B12-Mangel,
• F06.7 Leichte Kognitive Störung
• F07.2 Organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma Klinisches Geschehen bei einer Demenz vom Typ Alzheimer
1.3 Klinisches Geschehen bei einer Demenz vom Typ Alzheimer
Die Symptome der Alzheimer-Demenz sind Folgen einer fortschreitenden Hirnatrophie. Dabei sterben vorwiegend im Schläfen- und Scheitellappen Nervenzellen ab; Synapsen gehen unter, sodass die Vernetzungsdichte abnimmt.
Chemisch passiert bei einer Demenz vom Typ Alzheimer Folgendes: Das normale Amyloidvorläuferprotein APP wird in krankhaftes ß-Amyloid umgewandelt und als Plaques (siehe Abb. 1) in Synapsen und um kleine Gefäße in der Hirnrinde herum abgelagert, sodass die Glukoseverwertung der Nervenzellen gestört ist. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen mit Demenz einen Heißhunger auf Süßigkeiten entwickeln.
Das normale Tau-Protein wird umgewandelt und verfilzt die Neurofibrillen in den Nervenzellen zu Bündeln (Tangles). Der Nervenzelluntergang im Meynert-Basalkern führt zu einem erheblichen Acetylcholin-Mangel, d. h. zum Gedächtnisverlust, dem die Hippokampusatrophie (im Kernspintomogramm messbar) entspricht. Die überhöhte Glutamatfreisetzung wirkt toxisch auf Nervenzellen, sodass Alltagsfunktionen gestört werden. Die entzündungshemmenden Mikrogliazellen (Stützzellen) werden geschädigt.
Die Hirnveränderungen beschrieb Braak (1991) in folgenden Stadien:
• Vorklinisches Stadium I und II: Neurofibrillenveränderungen im Riechhirn;
• Stadium III und IV: zusätzliche Veränderungen im limbischen System;
• Stadium V und VI: messbare klinische Veränderungen in der Großhirnrinde des Schläfen- und Scheitellappens.
Die Symptome der Alzheimer-Demenz treten erst im letzten Drittel des gesamten Krankheitsprozesses auf, der Jahre zuvor stumm beginnt.
Grundsätzlich ist bei einer Demenz vom Typ Alzheimer das Gleichgewicht der Botenstoffe gestört: Die Acetylcholin-Synthese ist im Meynertkern vermindert und wird durch Anticholinergika weiter gehemmt. Acetylcholin-Abbauhemmer (wie Aricept®, Reminyl® und Exelon®) verhindern den weiteren Acetylcholin-Abbau. Die Vermehrung des Glutamats im Gehirn wird durch Memantine-Präparate wie Ebixa® oder Axura® gehemmt.
Multidisziplinäre Zusammenarbeit
Um die Ursachen von Alzheimer und anderen Erkrankungen besser zu verstehen, wird multidisziplinär gearbeitet, etwa im Alzheimer-Forschungszentrum »Helmholtz-Zentrum Bonn – Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen«. Dort arbeitet man mit sechs Partnerstandorten in Göttingen, München, Tübingen, Magdeburg, Witten und Rostock/Greifswald zusammen, um Ursachen von Alzheimer und Parkinson, Früherkennung, Therapie, Pflege, Versorgung und Prävention zu verbessern. Dieses Ziel hat auch das »Leuchtturmprojekt Demenz« der Bundesregierung. Bei diesem Projekt geht es um die wissenschaftliche Evaluation und Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen für Menschen mit Demenz. So sollen geeignete Projekte bzw. Pflegeeinrichtungen identifiziert und Ressourcen für ihre Weiterentwicklung sowie für die Verbreitung ihrer Konzepte bereitgestellt werden.
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3 Vgl. Weyerer & Bickel 2007
4 Ebd.
2 DIAGNOSE EINER DEMENZ
2.1 Kernkriterien einer Demenz
2.1.1 Kernkriterien nach NIA-AA
Als aktuelle Demenz-Kernkriterien gelten nach NIA-AA (National Institute on Aging, Alzheimer-Association) Kognitions- und Verhaltens-Symptome:
1. Arbeit, gewohnte Tätigkeiten sind beeinträchtigt;
2. Funktionsverschlechterung;
3. nicht durch Delir oder andere psychische Erkrankung bedingt;
4. kognitive Defizite durch Anamnese, Kurztest, neuropsychologisch feststellbar;
5. Kognition und Verhalten sind in mindestens zwei der folgenden Bereiche gestört:
• Informationen aufzunehmen und zu erinnern: Fragen, Verlegen, Vergessen, Verirren;
• denken, komplexe Aufgaben zu planen, zu lösen, richtig zu entscheiden;
• Gesichter, Gegenstände zu erkennen, Vorrichtungen oder Kleidung zu verwenden;
• sprechen, Lesen, Schreiben, Worte finden;
• individuelles Verhalten und Benehmen: Unruhe, Apathie, Antriebsverlust, Rückzug, Empathieverlust, zwanghaftes oder sozial inakzeptables Verhalten5.
2.1.2 Diagnostische Kriterien nach DSM-IV-TR6
A. Entwicklung multipler kognitiver Defizite, die sich zeigen in:
1. einer Beeinträchtigung des Kurz- und Langzeitgedächtnisses;
2. mindestens eine der folgenden kognitiven Störungen;
• Aphasie: Störung der Sprache, meist Wortfindungsstörungen;
• Apraxie: beeinträchtigte Fähigkeit, motorische Aktivitäten trotz intakter Motorik auszuführen;
• Agnosie: Unfähigkeit, Gegenstände trotz intakter sensorischer Funktionen wiederzuerkennen;
• Störungen der Ausführungsfunktionen, d. h. des Planens, Organisierens, Einhaltens einer Reihenfolge und des Abstrahierens.
B. Die kognitiven Defizite beeinträchtigen bedeutsame soziale und berufliche Funktionen und verschlechtern deutlich das frühere Leistungsniveau.
Die kognitiven Defizite bestehen seit mindestens sechs Monaten und Bewusstseinstrübung fehlt. Die DSM-5, die seit Mitte 2013 gilt, erklärt bereits leichte kognitive Störungen zur Krankheit.
2.2 Erforderliche Untersuchungen
Die S3-Leitlinie »Demenz« der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie fordert zur Diagnostik der Demenzen folgende Untersuchungen: Klinischer Befund, kurze kognitive Testung, neuropsychologische Diagnostik, BPSD (Behavioral and psychological symptoms of dementia, d. h. Störungen des Erlebens und Verhaltens), kraniales CT oder MRT (Magnetresonanz-Tomografie) sowie folgende Blutuntersuchungen: Blutbild, Elektrolyte, Glukose, TSH (Thyreotropin), GOT, Gamma-GT, Kreatinin, Harnstoff, BKS (oder CRP), Vitamin B12 und Liquoruntersuchung: Sind ß-Amyloid 1–42 vermindert und Tau-Protein (Gesamt- und Phospho-Tau) vermehrt? Damit ist eine Frühdiagnose möglich, die aber u.U. sehr deprimieren kann.
2.2.1 Psychometrische Tests zur neuropsychologischen Diagnostik
• Uhrentest und RDS = Rapid Dementia Screening Test
• MMST = Mini-Mental Status-Test nach Folstein
• CERAD = Consortium to establish a registry of Alzheimer
• Demtect = Test zur Frühdiagnostik auch leichter kognitiver Störung
• SIDAM = Strukturiertes Interview für die Diagnose einer Demenz
• Reisberg-Skala FAST (Functional Assessment Staging)
• ADAS = Alzheimer’s Disease Assessment Scale
• CAMDEX = Cambridge Examination for Mental Disorders of the Elderly
• TFDD = Test zur Früherkennung von Demenz mit Depressionsabgrenzung
• NOSGER = Nurses Observation Scale for Geriatric Patients
• Barthel-Index für Pflegende = beurteilt die Unabhängigkeit oder Hilfe beim Essen, Bett-, Rollstuhltransfer, Waschen, Toilettenbenutzung, Baden, Gehen auf Flurebene, Treppensteigen, An- und Auskleiden und Stuhl- und Urinkontrolle
2.2.1.1 Mini-Mental Status Test (MMST) nach Folstein
1. Fragen nach der Orientierung (je 1 Punkt): Jahr, Jahreszeit, Datum, Wochentag, Monat, Bundesland, Land, Stadt/Ortschaft, Klinik/Praxis/Altenheim, Stockwerk.
2. Merkfähigkeit: Vor- und Nachsprechen drei unterschiedlicher Begriffe (z. B. Auto – Blume – Kerze). Der Klient wird aufgefordert, die drei Begriffe so oft zu wiederholen, bis er sie behält (maximal 3 Punkte).
3. Aufmerksamkeit und Rechenfähigkeit: von 100 immer 7 abziehen (also 93, 86, 79, 72, 65 usw.); jeder richtige Schritt ergibt einen Punkt; der Klient darf nicht wiederholen (maximal 5 Punkte).
4. Erinnerungsfähigkeit: Wiederholung der 3 Begriffe unter Punkt 2 (maximal 3 Punkte).
5. Sprache und andere Funktionen: Armbanduhr, Bleistift benennen (je 1 Punkt), Nachsprechen des Satzes: »Sie leiht ihm kein Geld« (1 Punkt); Kommandos befolgen (maximal 3 Punkte): Ein Blatt Papier in die Hand nehmen, in der Mitte falten und auf den Boden legen. Schriftliche Anweisung vorlesen und befolgen: »Schließen Sie die Augen« (1 Punkt). Schreiben eines vollständigen Satzes (1 Punkt) und Nachzeichnen einer geometrischen Figur (1 Punkt).
Auswertung:
Maximal-Punktzahl: 30
28–30 Punkte = nicht demenzkrank
unter 24 Punkte = Demenz-Verdacht
19–10 Punkte = nicht urteilsfähig
unter 14 Punkte = schwer demenzkrank.
2.2.1.2 AMT Abbreviated Mental Test (Kurzer Mentaltest) wird mit folgenden Fragen häufig angewandt:
2. Zeit
3. Adresse
4. Aktuelles Jahr
5. Name des Heimes
6. Erkennen von zwei Personen
7. Geburtstag
8. Zeitpunkt des Ersten Weltkrieges
9. Name der/des aktuellen Bundeskanzlerin/s
10. Rückwärts zählen von 20 bis 1
Auswertung:
Weniger als sieben Punkte gelten als krankhaft und erfordern weitere Klärung.
2.2.1.3 Uhrentest
Der Klient soll in einen vorgezeichneten Kreis das Zifferblatt einer Uhr mit allen Zahlen und Zeigern zeichnen, die Uhr z. B. auf 01:50 Uhr stellen.
2.2.1.4 Rapid Dementia Screening (RDS)
1. Der Klient soll in einer Minute mindestens zehn Dinge nennen, die er im Supermarkt kaufen kann.
2. Der Klient soll ein Zahlwort in Zahlen und umgekehrt umwandeln, z. B. die Zahl 2054 in zweitausendvierundfünfzig und das Zahlwort sechshunderteinundachtzig in 681; für jede Umwandlung gibt es einen Punkt.
2.2.1.5 DemTect
DemTect gliedert sich in fünf Aufgaben:
1. Der Klient soll sich 20 Worte merken.
2. Der Klient soll Zahlworte in Zahlen und Zahlen in Zahlworte umwandeln.
3. Der Klient soll in einer Minute möglichst viele Gegenstände im Supermarkt benennen.
4. Der Klient soll eine Zahlenfolge rückwärts wiederholen.
5. Die Wortliste aus der ersten Aufgabe wird abgefragt.
über 13 Punkte = altersgemäß
9–12 Punkte = leichte kognitive Störung
unter 8 Punkte = Demenzverdacht
Hinweis
Wegen des langsam fortschreitenden Prozesses und der fehlenden Krankheitseinsicht bleibt eine Demenzerkrankung lange unentdeckt. Zunächst sind es Angehörige, Bekannte oder vertraute Ärzte, die eine frühe Diagnose vermuten. Einige Betroffene interessieren sich nicht für die Diagnose, andere reagieren depressiv auf die Mitteilung, an Demenz erkrankt zu sein. Fakt ist aber, dass eine frühe Diagnose die Lebensqualität verbessern kann.
2.3 Symptome einer Demenz
Bei den Symptomen einer Demenz unterscheidet man kognitive Störungen und Verhaltensstörungen.
2.3.1 Kognitive Störungen
Kognitive Defizite sind mögliche Denk-Ausfälle, die sogenannten 7 A:
Amnesie, Kurzzeitgedächtnis- und Merkstörungen
Der Betroffene
• vergisst, verliert, verlegt Sachen, verheimlicht Versagen;
• fragt oder erzählt dauernd dasselbe, ruft ständig um Hilfe;
• ist in der Fremde verwirrt, stellt sich nicht um und irrt herum;
• klammert sich an Angehörige an oder läuft ihnen nach.
Altgedächtnis- oder Erinnerungsstörungen folgen später:
Der Betroffene
• kann sich immer weniger an frühere Erlebnisse erinnern;
• spricht mit Verstorbenen, verwechselt Gegenwart und Vergangenheit (Zeitverschränkung), lebt in seiner eigenen Welt;
• verliert in der Regression Zeitgefühl und Realitätsbezug.
Agnosie
• Der Mensch mit fortgeschrittener Demenz erkennt Angehörige und seinen eigenen Zustand nicht mehr. Die fehlende Krankheitseinsicht vermindert den Leidensdruck.
Aphasie
• Der Betroffene findet für seine Bedürfnisse keine passenden Worte.
Abstraktionsstörung
• Der Betroffene kann nicht mehr rechnen oder abstrakt denken.
Assessmentstörung
• Der Mensch mit schwerer Demenz ist urteilsunfähig und nicht mehr zur Selbstkritik fähig.
Apraxie
• Der Betroffene kann die Aktivitäten des täglichen Lebens nicht mehr planen und durchführen.
2.3.2 Verhaltensstörungen
Verhaltensstörungen finden sich bei 70 bis 90 % der Kranken mit Alzheimer, wobei die Angaben über die Häufigkeit von Verhaltensauffälligkeiten erheblich schwanken. Wikipedia führte 2011 (Wingenfeld 2004 – Zahlen in Klammern) folgende Verhaltensauffälligkeiten an:
• Apathie 76 %;
• Unruhe 64 % (50 %);
• Aggressivität 63 % (50 %);
• Depression 54 % (70 %);
• Angst 50 % (60 %);
• Wahn 49 % (35 %);
• Halluzinationen 28 % (35 %).
Hirsch (2004) nennt zwei weitere Verhaltensstörungen, die vorzugsweise in stationären Einrichtungen zu beobachten sind: Schreien (20 %) und Umherlaufen (15 %).
Die Verminderung der Affektkontrolle, des Antriebs und des Sozialverhaltens zeigt sich nach ICD 10 in mindestens einem der folgenden Merkmale: Emotionale Labilität, Reizbarkeit, vergröbertes Sozialverhalten und Apathie. Wallesch und Förstl unterscheiden reaktive und produktive Störungen:
Reaktive Verhaltensauffälligkeiten sind mit 90 % am häufigsten:
• Apathie oder Antriebsstörungen und regressives Verhalten (häufig im Endstadium)
• Rückzug bei Depression kann Verlangsamung und Schlafstörungen erklären (vgl. Seiten 26 und 46)
• Essensverweigerung
Produktive Verhaltensstörungen sind mit 50 % etwas seltener:
• Unruhe wie dranghaft ängstlich-unruhiges Umherlaufen, besonders in der Abenddämmerung (sundowning)
• Weglaufen, Wandern oder zielloses nächtliches Umherirren (Weglaufen), weil der Betroffene »nach Hause oder zur Arbeit will« (Hinlaufen), Realität und Traum nicht unterscheiden kann, tagsüber zu wenig beschäftigt wird, Angst oder Schmerzen hat oder (seltener) sterben will
• Enthemmtes Verhalten wie Schreien, Rufen, Klagen nehmen im Verlauf zu, sexuelle Enthemmung ab
• Aggressionen, Wutausbrüche, impulsives, enthemmtes, zerstörerisches Verhalten und körperliche Gewalt
• Halluzinationen (meist optische) und Wahn (oft Bestehlungswahn) sind oft angstbedingt und können zu aggressivem Verhalten führen
• Verkennungen (Fehlidentifikationen) können unruhig machen: Betroffene halten Menschen im TV für real und Bekannte für einen Doppelgänger, den Partner für eine fremde Person oder erkennen sich selbst nicht im Spiegel (Mirror-Sign), sehen Verstorbene im Raum
• Schlafstörungen und Tag-Nacht-Umkehr (tags schläfrig, nachts hellwach) können auf mangelnde Ermüdung tagsüber folgen
2.4 Menschen mit Demenz fühlen mehr als sie denken
Das Herz (Gefühle) wird nicht demenzkrank. Demenzkranke drücken ihre Gefühle mit Mimik, Gestik, Körperhaltung und Verhalten aus, wenn sie die Worte nicht mehr finden. Sie sind im späteren Krankheitsstadium, nach Verlust der Kritikfähigkeit, oft zufriedener als früher. Sie freuen sich an der Begegnung mit vertrauten Menschen und Kindern, an Körperkontakt, Düften, Kuscheltieren, Natur oder Musik. Sie sind oft dankbarer als nicht demenzkranke Menschen. Sie hoffen, geachtet, verstanden, getröstet oder besucht zu werden. Diese Lebensfreude erhält ihnen ihre Lebensqualität und Würde. Viele Demenzbetroffene zeigen wortlos, aber ausdrucksstark ihre Gefühle, vor allem Trauer über die vielen Verluste, oft aber auch Angst, Ärger und Wut.
Menschen mit Demenz haben Bedürfnisse
Menschen mit Demenz haben ein großes Bedürfnis vor allem nach Liebe, Bindung, Einbeziehung, Beschäftigung, Identität und Trost (nach Kitwood). Nach der Maslow’schen Bedürfnispyramide bleiben physiologische Bedürfnisse nach Nahrung, Luft, Wärme, evtl. nach Sexualität, sowie soziale Bedürfnisse nach Geborgenheit, Kommunikation und Wertschätzung und Ich-Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung und Sinnfindung bestehen. Auch Menschen mit Demenz haben ein Recht darauf, ihre Grundbedürfnisse nach Bindung, Orientierung und Kontrolle, nach Selbstwertschutz und nach Lust, z. B. Gaumenlust, zu befriedigen.
Zu den persönlichen Bedürfnissen gehören auch die Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben. Hier sind die Bewohner von stationären Einrichtungen oft benachteiligt, denn der ihnen zur Verfügung stehende Barbetrag (d. h. Taschengeld, § 35 SGB XII) reicht meist nicht für die Befriedigung von Bedürfnissen, die über das Notwendige hinausgehen.
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5 Vgl. Förstl 2011
6 4. Diagnostisch-Statistisches Manual in Textrevision, 2003
3 ABGRENZUNG DER DEMENZEN
3.1 Normaler Alterungsprozess und Demenzerkrankung
3.2 Leichte kognitive Beeinträchtigung
und Demenzerkrankung7
Die Betroffenen oder ihre Angehörigen berichten über eine Verschlechterung kognitiver Leistungen. Erschwert sind Kurzzeit-Gedächtnis, Lernen, Denken, Konzentration und Wortfindung. Diese Beeinträchtigungen dauern mindestens zwei Wochen, sind mit Tests objektivierbar und beeinträchtigen komplexe Alltagsfähigkeiten nur gering, sind aber auch kompensierbar. Emotionale Kontrolle, Sozialverhalten und Antrieb sind nicht gestört. Die Betroffenen sollten jährlich nachuntersucht werden, z. B. mit SIDAM. Untersuchungen zeigen, dass fast die Hälfte von ihnen nach fünf Jahren ein höheres Risiko hat, an einer Demenz zu erkranken. Bei einer leichten kognitiven Beeinträchtigung gibt es eine Reihe von Hilfen:
• Training der Alltagsfertigkeiten;
• Bewegung;
• Geistige Anregung;
• Vermeidung von Nikotin und Alkohol;
• Behandlung von hohem Blutdruck und Diabetes.
3.3 Depression und Demenzerkrankung
3.4 Akute Verwirrtheitszustände oder Delir
Ein Delir gehört zu den häufigsten psychischen Störungen im Alter. Etwa ein Drittel aller über 70-jährigen Klinikpatienten und bis zu 80 % der Sterbenden in den letzten Stunden (terminales Delir) können akut verwirrt reagieren.
3.4.1 Symptome eines Delirs
Der akut Verwirrte fühlt sich wie in einem Strudel vom normalen Alltag weggerissen, ohne Halt, sodass schiere Angst seinen Körper zu steuern scheint. Er erlebt eine psychische Qual, in der er jeden Reiz als Strohhalm ergreift, weil seine Aufmerksamkeit ständig hin- und herspringt. Das Notaggregat der Bewusstseinseinengung schaltet sich ein. Der Betroffene verliert den Bezug zur Realität, kann eine »Rederitis« entwickeln, in der er sonst schamkontrollierte Triebanteile äußern kann.
3.4.2 Risikofaktoren
• Seh-, hör- oder gehbehinderte Männer mit transurethralem Dauerkatheter
• Freiheitsentziehende Maßnahmen
• Starke Schmerzen
• Dauernde Bettruhe
• Schwere Schlafstörungen
• Mangel an Flüssigkeit, an Nahrung (Abmagerung) oder an Sauerstoff
• Fieber, Infekte, schwere Verletzungen, Narkose (OP), Hirnerkrankungen
• Entzug oder Wechselwirkung von Medikamenten und Alkohol
• Reaktive Trauer nach Verlust der Bezugsperson, Umzug, Krankenhaus- oder Heimeinweisung
• Schwere Stress-, Panikreaktion
• Isolation
Delir | Demenzerkrankung |
Akuter Beginn, häufig nachts | Schleichender Beginn |
Bewusstsein getrübt | Bewusstsein klar, erst später verwirrt |
Kurzzeitgedächtnis gestört | Kurz- und Langzeitgedächtnis gestört |
Sprache: unzusammenhängend | Wortfindungsstörungen bis Aphasie |
Halluzinationen bis zum Wahn | Selten Halluzinationen |
Schreckhaft, ängstlich, schwankend | Anfangs depressiv |
Häufig Zittern, Schwitzen, Pulsrasen Ursache oft körperliche Erkrankung | Zusätzlich möglich |
Zustand im Tagesverlauf wechselhaft | Zustand stabil |
Zustand hält über Stunden bis Tage an | Zustand hält über Monate und Jahre mit Verschlechterungen an |
Prognose: heilbar | leichte Verbesserungen möglich |
3.4.3 Ursachen eines Delirs
Neben einer Demenz oder Schmerzen kann vor allem eine Dehydratation zu einem Delir führen. Diese Abnahme von Körperwasser (Dehydratation) muss differenziert werden:
Hypertone Dehydratation: Austrocknung (Exsikkose), weil Hochaltrige aus Durstmangel zu wenig trinken oder bei Fieber Wasser verlieren. Nierenversagen droht. Frühsymptom ist eine trockene, reibeisenartige Zunge.
Isotone Dehydratation entsteht durch Erbrechen, Durchfall oder unzureichende Wasser- und Salzzufuhr.
Hypotone Dehydratation ist auf das Trinken salzarmer Flüssigkeit, starkes Schwitzen oder Laxanzienmissbrauch zurückzuführen.
Der Betroffene leidet unter dem trockenen Mund (Xerostomie). Die Zunge brennt, die Lippen sind rissig, borkig, das Zahnfleisch blutet, Mundgeschwüre schmerzen beim Schlucken. Der Kranke spricht heiser. Durst wird oft wegen der Bewusstseinstrübung nicht wahrgenommen. Puls und Blutdruck steigen, Schwäche, Schwindel, Müdigkeit belasten zusätzlich. Folgen der Dehydratation sind außer dem Delir Herzinsuffizienz, Bronchitis, Verstopfung, Thrombose- und Dekubitusgefahr und Nierenversagen.
Hinweise zur Pflege
• Lieblingsgetränk anbieten.
• Wenn der Kranke die Aufforderung zu trinken nicht versteht, zuprosten und mit ihm trinken.
• Wenn das Trinken verweigert wird, kann die rektale Zufuhr von Ringerlösung (mit 5 %iger Glukoselösung gegen Unterzuckerung) durch einen dünnen Harnkatheter (10 Tropfen pro Minute) eine Alternative sein.
• Eine subkutane Infusion ist schmerzhaft und gilt ohne Einwilligung des Kranken als Körperverletzung.
• Bei i. v.-Infusion den Arm bequem lagern und die Kanüle fixieren.
• Eine PEG sollte als Einzelfallentscheidung die letzte Maßnahme sein.
Stoffwechselstörungen wie Elektrolytentgleisungen, Säure-Basen-, Leberoder Nierenfunktionsstörungen können Infusionen in der Klinik erfordern. Etwa jeder fünfte ältere Mensch hat eine gestörte Glukosetoleranz. Besonders stationäre Einrichtungen sind hier zu besonderer Achtsamkeit aufgefordert. Bei einem Typ-II-Diabetes besteht die Gefahr einer nächtlichen Unterzuckerung, wenn der Bewohner um 18.00 Uhr die letzte und morgens um 8.00 Uhr die erste Mahlzeit bekommt, d. h. 14 Stunden ohne Nahrungszufuhr bleibt. Hypoglykämie macht akut verwirrt, aggressiv und beschleunigt bei Wiederholung eine Demenzentwicklung.
Hinweise zur Pflege
Als Spätimbiss schwer resorbierbare Kohlenhydrate anbieten, z. B. einen halben Apfel.
Ein Glas Milch verhindert Exsikkose und fördert den Schlaf. Denn Milchzucker fördert die Verdauung, vermittelt ein Geborgenheitsgefühl und verhindert Unterzuckerung.
Sauerstoffmangel im Gehirn bei TIA oder Hirninfarkten, Hirnblutungen oder Gefäßkrankheiten, Herzschwäche, Rhythmusstörungen, Blutdruck-Abfall oder -Anstieg, Atemversagen bei COPD, Asthma oder Pneumonie und bei Anämie (Blutarmut).
Nach einer Operation und nach schweren Verletzungen wird ein Delir noch häufig als Durchgangssyndrom bezeichnet.
Hirnerkrankungen wie Hirntumore, zunehmender Hirndruck, Meningo-Enzephalitis oder Epilepsie-Daueranfälle und ein Schädel-Hirn-Trauma.
Akute Harnwegs- und Bronchialinfekte, auch ohne Fieber.
Medikamente können ebenfalls ein Delir auslösen:8
• Analgetika wie Opiate, Salicylate, Indometacin;
• Anticholinergika wie trizyklische Antidepressiva, Antihistaminika, Atropin, Diphenhydramin, Phenothiazin-Neuroleptika, Clozapin, Spasmolytika;
• Antibiotika wie Gyrasehemmer, Aciclovir, Amphotericin B, Chloroquin, Ciclosporin, Penicilline;
• Antihypertonika wie ACE-Hemmer, Clonidin, Methyldopa, Thiazide;
• Antikonvulsiva wie Lamotrigin, Topiramat, Valproat;
• Antiphlogistika wie Kortikoide, Ibuprofen, Diclofenac, Phenylbutazon;
• Kardiaka wie ß-Blocker, Digitalis, Lidocain;
• Parkinson-Mittel wie Amantadin, Biperiden, Levodopa, Dopaminagonisten;
• Sympathicomimetika wie Amphetamine;
• Tuberkulostatika wie Isoniazid, Rifampicin;
• Zytostatika wie 5-Fluorouracil;
• Sonstige wie Lithium, Metronidazol, Theophyllin, Virostatika.
Am häufigsten führen Anticholinergika, Dopamine, Neuroleptika und Benzodiazepine zusammen mit Alkohol zum Delir. Entzug oder Wechselwirkungen von Medikamenten können ebenfalls ein Delir auslösen. Nebenwirkungen treten umso häufiger auf, je mehr Medikamente eingenommen werden, je komplizierter die Dosierungspläne, je vergesslicher, seh- oder hörbehinderter die Kranken sind, je weniger sie trinken, je mehr Ärzte verordnen und je weniger Zeit Pflegende haben.
3.4.4 Therapie eines Delirs
Zunächst gilt: Auslösende Medikamente absetzen. Distraneurin® sollte nur unter Aufsicht in Kliniken gegeben werden, weil Distraneurin verschleimen, süchtig machen oder als Infusion zum Atemstillstand führen kann. Bei Unruhe Schmerzmittel versuchen, bei Panik Tavor®-Expidet®, evtl. Melperon, kein Haldol, Anticholinergika absetzen.
• Beobachten und dokumentieren Sie die Vitalfunktionen Atmung, Blutdruck, Puls, Bewusstsein und Arznei-Nebenwirkungen. Bewährt hat sich bei Blutdruckabfall die Gabe von Kaffee, bei Atemnot Frischluft und bei Fieber Wadenwickel. Überprüfen Sie Brille und Hörgerät.
• Geben Sie z. B. bei Austrocknung genügend zu trinken, bei Schmerzen verordnete Schmerzmittel, Zuwendung und Wärme.
• Lassen Sie den Betroffenen möglichst in seiner gewohnten Umgebung mit Uhr, Kalender und guter Beleuchtung. Lärm möglichst vermeiden.
• Nehmen Sie seine Angst und sein Sicherheitsbedürfnis ernst.
• Versuchen Sie oder die Angehörigen, ihn mit Berühren oder (Lieblings-) Musik zu beruhigen und abzulenken.
• Fragen Sie sich: Welche Gefühle löst der Kranke in mir aus? Zieht er mich in seine Verwirrtheit ein?
• Fragen Sie sich: Kann ich seine Angst mildern und die aufgebaute Beziehung halten, bis sich sein Delir bessert?
In dem Chaos von Gedanken und Gefühlen braucht der Betroffene eine konstante Bezugsperson, die ihn einfühlend zu verstehen versucht. Der ständige Wechsel von Pflegenden und reine Routinepflege können stärker verwirren.
Wenn der Hausarzt die Ursache des Delirs nicht finden kann, ist die Einweisung in eine innere Abteilung nötig, um ursächlich zu behandeln. Auch in Kliniken gilt: Delirkranke brauchen Beziehungs- statt Funktionspflege.
3.5 Demenz vom Typ Alzheimer und andere Demenzen
3.5.1 Vaskuläre Demenz und Demenz vom Typ
Alzheimer9
Eine Unterscheidung zwischen Alzheimer-Demenz und vaskulärer Demenz ist nicht immer möglich, weil sich die Krankheitsprozesse oft überschneiden10 (Mischformen), dennoch lassen sich einige gesicherte Fakten nennen:
Unter einer Mikro-Angiopathie ist die subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie (SAE) Binswanger zu nennen: Diese Demenz schreitet langsam fort mit emotionaler Labilität, Weinerlichkeit oder Enthemmung, mit kleinschrittigem, verlangsamtem Gang, Antriebsverlust, Harninkontinenz, Sprach- und Schluckstörungen. Charakteristische Auffälligkeiten gibt es nicht.11 Klinisch lassen sich wiederkehrende kleine lakunäre Infarkte in der weißen Substanz (subkortikal) und in den Basalganglien erkennen. Multiple lakunäre Infarkte ähneln klinisch der Alzheimer-Demenz.
Makro-Angiopathien: Die Multi-Infarkt-Demenz (F01.1) nach Schlaganfall (bei größerem Territorialinfarkt) kann bei motorischer Aphasie apathisch machen. Die Betroffenen sind unaufmerksam, teilnahmslos oder depressiv (bei Stirnhirnschädigung). Die Lähmungen bleiben meist, was die Rehabilitation erschwert.
3.5.2 Demenzen mit Bewegungsstörungen
3.5.2.1 Demenz mit Lewy-Körperchen (DLB)
Hauptkriterien :12
• fortschreitende Demenz mit Fluktuation von Denken, Aufmerksamkeit und Wachheit;
• wiederkehrende, szenische optische Halluzinationen. Auf Neuroleptika reagieren Kranke überempfindlich mit Parkinson;
• hypokinetische schlecht auf Dopamin ansprechende Parkinsonsymptome.
Nebenkriterien:
• Schlafstörung (Sprechen, Schreien, motorisches Ausagieren von Träumen);
• Dranginkontinenz, Sturzneigung, vorübergehende Bewusstseinsstörung.
3.5.2.2 Demenz bei Parkinson
Über 85-jährige Parkinsonkranke entwickeln zu 65 % eine subkortikale Demenz (Multisystematrophie mit Pyramidenbahn- und Kleinhirnsymptomen) oder Alzheimer (Parkinson plus), die auf L-Dopa-Therapie kaum reagieren.
3.5.2.3 Demenz mit Bewegungssteigerung
Chorea Huntington ist dominant erblich (humangenetisch feststellbar), beginnt zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr mit Depression, Angst oder Wahn. Später kommen Demenz und Bewegungsunruhe (Chorea = Veitstanz) hinzu: blitzartig ausfahrende, arrhythmische Bewegungen von Armen und Beinen.
Der Kranke spricht unartikuliert, verwaschen, wird hilflos. Die Überlebenszeit beträgt zwischen acht und 13 Jahren. Die Symptome sind nur wenig zu bessern.
3.5.2.4 Frontotemporale Lobärdegeneration (FTLD)
Früher wurde die frontotemporale Lobärdegeneration Morbus Pick genannt. Im Frühstadium sind drei Subtypen zu unterscheiden:
1. Frontotemporale Demenz mit Wesensveränderung (bei ca. 50 % der Betroffenen);
2. langsam progrediente (fortschreitende) Aphasie (PA) (bei ca. 25 % der Betroffenen);
3. semantische Demenz mit Verlust des Sprachverständnisses (bei ca. 25 % der Betroffenen).
Frontotemporale Demenz | Demenz vom Typ Alzheimer |
Beginnt schleichend zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr | Beginnt erst nach dem 60. Lebensjahr |
Zuerst Verhaltensstörungen | Zuerst kognitive Störungen |
Kontrollverluste, Enthemmung | Apathie, Ängste |
Gefühlskälte, leicht ablenkbar, Tendenz zur Verwahrlosung | Verkennung von Menschen |
Appetitsteigerung bis hin zur Esssucht, Alkoholabusus | Appetitverlust, frühe Inkontinenz |
Keine Krankheitseinsicht | Krankheitseinsicht möglich |
3.5.3 Demenzen bei anderen Erkrankungen
• Alkoholismus: eine langjährige Sucht kann zur Alkohol-Enzephalopathie führen (die kognitiven Defizite sind bei Abstinenz teilweise rückbildungsfähig) sowie zum Wernicke-Korsakow-Syndrom bei Vitamin-B1-Mangel;
• Vitamin-B12-Mangel bei Unterernährung und einem Mangel an Intrinsic Faktor führt nach der Anämie zur Demenz, die durch Frühbehandlung zu verhindern ist;
• Multiple Sklerose (MS) kann bei jedem zweiten Patienten zu kognitiven Defiziten und bei chronisch fortschreitender Form zu Demenz führen;
• Normaldruckhydrozephalus bei gestörter Liquorresorption kann zur Demenz führen; Besserung verspricht eine Shunt-Anlage;
• schweres Schädel-Hirn-Trauma;
• Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) mit Parkinson;
• Infektionen:
– AIDS mit Depression, Gangstörung und Krampfanfällen bei Jüngeren;
– Progressive Paralyse (Lues IV);
– Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD).
_______________
7 Mild Cognitive Impairment MCI (F 06.7 nach ICD 10)
8 Vgl. Förstl 2011, S. 203
9 Vgl. Seite 18
10 Vgl. Füsgen 2001
11 Vgl. Förstl 2009
12 Vgl. Förstl 2011
4 DEMENZ – URSÄCHLICHE FAKTOREN
4.1 Demenz-Risikofaktoren
4.1.1 Genetische Faktoren oder familiäre Belastung
Erblich belastete Angehörige 1. Grades können früher erkranken mit beschleunigtem Verlauf. Der einzige bisher gesicherte genetische Faktor ist Apolipoprotein E (Apo E4) auf dem Chromosom 19. Viele Erkrankte weisen dieses Gen aber nicht auf. Auch Hochaltrige mit diesem Gen sind oft frei von Demenz. Umweltbedingte Mutationen der Chromosomen 14 (Präsenilin), seltener 1 und 21, können die Entstehung von Demenzen im Alter fördern. »Meist ergibt sich jedoch kein ausreichender Anhalt aus einem Familienstammbaum für eine eindeutige autosomal-dominante Vererbung, sodass um Rat suchende Familienmitglieder im Gespräch beruhig werden können.«13 Nur 2 % der Erkrankungen können erblich bedingt sein.
4.1.2 Risikofaktoren
Es sind zahlreiche Risikofaktoren diskutiert worden. Relativ sicher14 nachgewiesen sind folgende:
• Alter: Das Alter ist der bedeutendste Risikofaktor. Die Abnahme von ß-Amyloid-42 und Zunahme von Phospho-Tau oder Gesamt-Tau im Liquor »findet sich bei 90 % der Alzheimer-Patienten, bei mehr als zwei Dritteln der Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und bei einem Drittel älterer unbeeinträchtigter Kontroll-Menschen.«15 Dennoch muss auch gesagt werden: Etwa die Hälfte der über 90-Jährigen wird nicht demenzkrank. Begriffe wie »Altersdemenz« oder »senile Demenz« sind daher unangebracht.
• Metabolisches Syndrom: Hoher Blutdruck, schlecht eingestellter Diabetes, erhöhter Taillen-Umfang (bei Frauen über 88, bei Männern über 102 cm), erniedrigtes HDL-Cholesterin (bei Frauen unter 50, bei Männern unter 40) und erhöhte Triglyceride gelten als Risikofaktoren.
• Herz- und Niereninsuffizienz;
• Asthma;
• COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung);
• HIV-Infektion;
• Schädelhirntrauma (Boxer);
• Bewegungsmangel;
• Rauchen;
• geistige Inaktivität;
• unbehandelte Depression;
• Einsamkeit alter Menschen;
• Schilddrüsenunterfunktion;
• Hepatitis C16.
4.1.3 Schutzfaktoren
Eine Demenz ist nicht zu verhindern, lässt sich aber durch gezielte Aktivierung17 hinauszögern:
1. Körperlich
• Bewegung (zweimal täglich eine halbe Stunde, Krafttraining);
• Ernährung: kalorienarme Mittelmeerkost, Obst, Blattgemüse, Nüsse, Olivenöl, Sojaprodukte;
• wenig Alkohol;
• Gewicht reduzieren (BMI unter 25);
• Blutdruck normalisieren;
• Diabetes einstellen;
• Entspannungsübungen.
2. Geistig-psychisch
• Kognitives Training (mit SIMA, Selbstständigkeit im Alter);
• Resilienz, d. h. Widerstandsfähigkeit gegen Stress und Angst fördern;
• optimistische Lebenseinstellung;
• Depression behandeln;
• Kontakte pflegen;
• neugierig und lernbereit sein, z. B. musizieren.
3. Spirituell
• Sinn im Leben suchen;
• Zukunftspläne machen;
• regelmäßiges Beten.
_______________
13 Förstl 2011, S. 433
14 Dt. Ärzteblatt 1, 2012
15 Förstl 2011, S. 50
16 Vgl. ebd.
17 Dt. Ärzteblatt1, 2012
5 SCHWEREGRADE UND VERLAUFSSTADIEN
BEI DEMENZ
Erst Jahre nach den ersten Hirnveränderungen treten messbare Denk- und Gedächtnisdefizite auf.18 Nicht selten geht der Demenzentwicklung eine schwere Depression und/oder eine leichte kognitive Beeinträchtigung voraus. Bewährt ist die Einteilung in drei Schweregrade:
1. Leichte Demenz (Vergessensstadium): Der Mensch mit Demenz vergisst, findet die passenden Worte nicht, ist in der Fremde verwirrt; es fällt ihm schwer, gewohnte Aktivitäten auszuführen, etwas Neues zu lernen, zu urteilen und zu schlussfolgern; er reagiert auf das Nachlassen depressiv, inaktiv oder mit Ausreden.
2. Mittelschwere Demenz (Verwirrtheitsstadium): Die Selbstbestimmung schwindet, der Demenzkranke wird zeitlich, örtlich und situativ verwirrt, bleibt aber körperlich noch relativ fit. Er braucht Hilfe, weil er die Namen vertrauter Menschen vergisst, Alltagsfunktionen vernachlässigt, unruhig läuft, sich im Haus verirrt, ungeduldig oder aggressiv auf sein »Versagen« reagiert, nicht rechnen kann, das Zeitgefühl verliert und sozial auffällig wird.
3. Schwere Demenz (Hilflosigkeitsstadium): Der Mensch mit Demenz wird total abhängig von anderen, weil er einfache Anweisungen nicht ausführen kann, immer weniger spricht, halluziniert, Angehörige nicht erkennt, Schwierigkeiten beim Essen/Schlucken hat, sich unbeholfen bewegt, leicht stürzt, inkontinent wird, evtl. Krampfanfälle bekommt. Korsakow mit Desorientierung, Gedächtnisverlust und Konfabulationen (spontane Einfälle überspielen Gedächtnislücken) sind häufig.
Der Betroffene braucht fürsorgliche Führung und emotionale Zuwendung. Schließlich wird der schwer Demenzkranke unfähig wahrzunehmen, zu denken, zu sprechen oder zu stehen, zu sitzen oder zuletzt den Kopf zu heben. Er stirbt monatelang in zunehmender Schwäche und braucht Palliativpflege.
Verlauf einer Demenz nach der Reisberg-Skala FAST (Functional Assessment Staging):
1. Weder subjektive, noch objektive funktionelle Beeinträchtigung;
2. subjektive Klagen über das Verlegen von Gegenständen und über Schwierigkeiten bei der Arbeit;
3. Verminderung der Arbeitsleistung, die auch anderen auffällt, Schwierigkeiten an neue Orte zu gelangen;
4. verminderte Fähigkeit, komplexere Aufgaben zu erledigen, z. B. ein Abendessen mit Gästen zu planen, Bankgeschäfte zu erledigen etc.;
5. benötigt Hilfe bei der Auswahl passender Kleidung;
6. Schwierigkeiten, sich korrekt anzuziehen;
7. nicht fähig, sich richtig zu baden, entwickelt Angst davor, alleine zu baden;
8. unfähig, allein die Toilette richtig zu benutzen (Sauberkeit, Spülung, …);
9. Urininkontinenz;
10. Stuhlinkontinenz;
11. eingeschränktes Sprachvermögen (redet nur noch 1–5 Wörter am Tag);
12. vollständiger Verlust verständlichen Vokabulars;
13. nicht mehr gehfähig;
14. unfähig selbstständig zu sitzen;
15. kann nicht mehr lächeln;
16. kann den Kopf nicht mehr heben.
Diese Skala kann auch von Angehörigen benutzt werden.
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18 Vgl. Braak & Förstl 2011
6 VERHALTENSSTÖRUNGEN – URSÄCHLICHE FAKTOREN
Wenn die Sprache zunehmend leidet, können Demenzkranke ihre Not nur durch ihr Verhalten mitteilen. Die Verhaltensstörungen treten bei ca. 60 bis 80 % der Betroffenen in vielfachen Variationen auf. Sie sind nicht allein auf die Hirnschädigungen zurückzuführen, sondern z. B. auch von den Beziehungen abhängig und von der Art der vorliegenden Demenz.
• Alzheimer-Kranke sind eher antriebsarm, depressiv, aggressiv, unruhig, schlafgestört, halluzinieren manchmal bis zum Wahn.
• Bei vaskulärer Demenz sind die Kranken eher stimmungslabil, reizbar, schlafgestört, depressiv oder aggressiv.
• Bei Lewy-Körper-Demenz und Parkinson halluzinieren die Kranken oft optisch, entwickeln Wahn, sind depressiv und schlafgestört.
• Bei frontotemporaler Demenz sind Sozial- und oft Essverhalten früh gestört, Antrieb und Sprache verarmen.
6.1 Schmerzen
Arthrosen, Osteoporose, Knochenbrüche, Dekubitus, diabetische Polyneuropathie, Postzoster-Neuritis, drückende Zahnprothesen oder auch enge Schuhe können starke Schmerzen verursachen. Bei vaskulärer Demenz schmerzt oft die Lähmungsseite. Alzheimer-Kranke können sich Schmerzen in der hinteren Zentralwindung des Scheitellappens nicht bewusst machen, sodass sie z. B. nach Knochenbrüchen nicht sagen können, wo es ihnen weh tut, aber sie stöhnen, wehren Bewegungen ab, nehmen eine Schonhaltung ein oder reagieren aggressiv.
Fakt
Demenzkranke nehmen Schmerzen wahr und brauchen ggfs. eine Schmerzmittelgabe.
Um Schmerzen bei Demenz zu dokumentieren sind folgende Wahrnehmungsskalen hilfreich:
• ECPA (Echelle compartementale de la douleur pour personnes agées non communicantes, nach Kunz 2002)
• BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz)
• BISAD (Beobachtungsinstrument zum Schmerzassessment bei Demenz)
• Doloplus-Skala
6.1.1 ECPA
ECPA-Dimension 1: Beobachtungen außerhalb der Pflege
Verbale Äußerungen: Stöhnen, Klagen, Weinen, Schreien
0 Patient macht keine Äußerungen
1 Schmerzäußerungen, wenn der Patient angesprochen wird
2 Schmerzäußerung, sobald jemand beim Patienten ist
3 Spontane Schmerzäußerung, spontanes leises Weinen oder Schluchzen
4 Spontanes Schreien bzw. qualvolle Äußerungen
Gesichtsausdruck: Blick und Mimik:
0 Entspannter Gesichtsausdruck
1 Besorgter/gespannter Blick
2 Ab und zu Verziehen des Gesichts, Grimassen
3 Verkrampfter und/oder ängstlicher Blick
4 Vollständig starrer Blick/Ausdruck
Spontane Ruhehaltung:
0 Keine Schonhaltung
1 Vermeidung einer bestimmten Haltung
2 Patient wählt eine Schonhaltung, aber kann sich bewegen
3 Patient sucht erfolglos eine schmerzfreie Schonhaltung
4 Patient bleibt vollständig immobil
Dimension 2: Beobachtungen während der Pflege:
Ängstliche Abwehr:
0 Patient zeigt keine Angst
1 Ängstlicher Blick, angstvoller Ausdruck
3 Patient reagiert aggressiv
4 Patient schreit, stöhnt, jammert.
Reaktionen bei der Mobilisation:
0 Patient steht auf/lässt sich mobilisieren ohne spezielle Beachtung
1 Patient hat gespannten Blick; fürchtet Mobilisation und Pflege
2 Patient klammert mit Händen, macht Gebärden während Mobilisation
3 Patient nimmt während der Mobilisation/Pflege Schonhaltung ein
4 Patient wehrt sich gegen Mobilisation und Pflege
Reaktionen während Pflege von schmerzhaften Zonen:
0 Keinerlei negative Reaktionen während der Pflege
1 Reaktionen während der Pflege, ohne weitere Bezeichnung
2 Reaktion beim Anfassen oder Berühren schmerzhafter Zonen
3 Reaktion bei flüchtiger Berührung schmerzhafter Zonen
4 Unmöglichkeit, sich schmerzhafter Zone zu nähern.
Verbale Äußerungen während der Pflege:
0 Keine Äußerungen während der Pflege
1 Schmerzäußerung, wenn man sich an den Patienten wendet
2 Schmerzäußerung, sobald Pflegende beim Patienten ist
3 Spontane Schmerzäußerung oder spontanes leises Weinen/Schluchzen
4 Spontanes Schreien bzw. qualvolle Äußerungen.
Dimension 3: Auswirkungen auf Aktivitäten
Auswirkungen auf den Appetit:
0 Keine Veränderung bezüglich Appetit
1 Leicht reduzierter Appetit, isst nur einen Teil der Mahlzeiten
2 Muss animiert werden, einen Teil der Mahlzeiten zu essen
3 Isst trotz Aufforderung nur ein paar Bissen
4 Verweigert jegliche Nahrung
Auswirkungen auf den Schlaf:
0 Guter Schlaf, beim Aufwachen ist der Patient ausgeruht
1 Einschlafschwierigkeiten oder verfrühtes Erwachen
2 Einschlafschwierigkeiten und verfrühtes Erwachen
3 Zusätzliches nächtliches Erwachen
4 Seltener oder fehlender Schlaf
Auswirkungen auf Bewegungen:
0 Patient mobilisiert und bewegt sich wie gewohnt
1 Patient bewegt sich wie gewohnt, vermeidet aber gewisse Bewegungen
2 Seltenere oder verlangsamte Bewegungen
3 Immobilität
4 Apathie oder Unruhe
Auswirkungen auf Kommunikation/Kontaktfähigkeit:
0 Üblicher Kontakt
1 Herstellen von Kontakt erschwert
2 Patient vermeidet Kontaktaufnahme
3 Fehlen jeglichen Kontaktes
4 Totale Indifferenz
Gesamtpunktzahl: 0 = kein Schmerz, 44 = maximaler Schmerz.
Hilfreich sind die Doloplus-Skala und die BESD-Beurteilung der Schmerzen bei Demenz: angestrengte Atmung, negative Äußerung (Stöhnen, Weinen), Gesichtsausdruck (verzerrt), Körpersprache (angespannt) und Trösten unmöglich.
Hinweise für die Pflege
• Eine intensive Zuwendung der Pflegenden ist die wichtigste Hilfe.
• Lagern oder bewegen Sie nach seinem Wunsch.
• Helfen Sie mit Gesprächen dabei, Schmerzen auszudrücken, die Aufmerksamkeit vom Schmerz abzulenken, einen Sinn zu suchen.
• Lindern Sie Schmerzen mit Einreibungen, Massagen, mit Basaler Stimulation® und Berührung, weisen Sie zur Entspannung z. B. auf die Bauchatmung hin.
• Lindern Sie akute Schmerzen, z. B. mit Kälte, chronische Schmerzen durch Wärme mit Wickeln, heißer Rolle oder Fangopackungen; setzen Sie ätherische Öle ein oder TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation).
• Lassen Sie Mikro-, Kurzwelle oder Akupunktur verordnen.
6.1.2 Schmerzmittel
Schmerzmittel sind Teil der Gesamtbehandlung, bei der die Kranken mitentscheiden (PCA = Patient controlled analgesia) und sich wohl fühlen sollen.
• Schmerzmittel werden vorbeugend regelmäßig nach dem Schmerzprotokoll etwa eine Stunde vor einem neuem Schmerzanstieg, nicht nach Bedarf gegeben, um den Kranken dauerhaft weitgehend schmerzfrei zu halten und das Schmerzgedächtnis zu löschen. Bei regelmäßiger Opioidgabe kommt es selten zur Sucht, wenn der therapeutische Bereich nicht verlassen und eine Überdosis (verstärkt Verwirrtheit) vermieden wird.
• Schmerzmittel sollten möglichst oral und individuell angepasst gegeben werden.
• Kurz wirksame Mittel wie Novalgin®-Tropfen sind ungeeignet, wenn sie schmerzhafte Phasen, z. B. nachts nicht verhindern. Lang wirkende Mittel sind bei älteren Menschen schwerer abzuschätzen als bei jüngeren.
• Die Schmerzfreiheit sollte in drei Schritten erreicht werden: zunächst nachts, dann tagsüber in Ruhe und schließlich bei Bewegung.
• Wenn Basisanalgetika wie Paracetamol oder Metamizol nicht ausreichen, empfiehlt die Gesellschaft für Palliativmedizin Hydromorphon (Palladon® retard mit 2 x 4 mg beginnen) oder Jurnista® (1 x 8 mg), was bei Schluckbeschwerden auch rektal zu geben ist. Bei über 80-Jährigen können Tramadol oder Tilidin zur Verwirrtheit führen, wie Fentanyl-(Matrifen®-, Fentadolon®-, Durogesic®-) Pflaster oder Buprenorphin-, wie Transtec®- und Norspan®-Pflaster (ist nach sieben Tagen zu wechseln); die Pflaster-Resorption ist bei dünner oder trockener Haut unsicher. Aus Kostengründen werden Morphin-Tropfen alle vier bis sechs Stunden bevorzugt. Nichtsteroidale Antirheumatika wie Diclofenac oder Ibuprofen sind bei Älteren wegen Magenblutungsgefahr zu vermeiden oder nur mit Omeprazol zu verordnen.
• Opioide können zusammen mit Benzodiazepinen bei über 80-Jährigen zur Atemdepression führen. Vom ersten Tag der Opioidbehandlung an sollte Macrogol (Movicol®) und evtl. Laxoberal® gegen Verstopfung gegeben werden; bei Übelkeit hilft Domperidon.
• Das Antidepressivum Cymbalta® in niedriger Dosis spart als Co-Analgetikum Schmerzmittel ein und löscht das Schmerzgedächtnis.
6.1.3 Schmerzursachen: Dekubitus und Stürze
Dekubitus und Stürze sind häufige Ursachen von Schmerzen bei Schwerkranken.
Dekubitus: Dekubital-Ulzera entwickeln sich bei längerem Sitzen oder Liegen ohne Lagewechsel an Stellen, wo die Haut direkt dem Knochen anliegt und durch Scherkräfte verschoben wird, wie über dem Kreuzbein, an Ferse, Hüfte, Schulterblatt, Ellenbogen und Hinterkopf und bei Abmagerung. Dekubitus kann sich bei Sterbenden trotz regelmäßigem Positionswechsel entwickeln, d. h. ein Dekubitus ist in diesen Fällen kein Pflegefehler.
Hinweise zur Pflege
(nach dem Expertenstandard Dekubitusprophylaxe)
• Entlasten Sie den Wundbereich vollständig durch häufigen Lagewechsel (stündlich Mikrobewegungen), Hohl- oder 30°-/135°-Schräglagerung mit Lagerungskissen von Druck. Der Kranke darf nie auf seiner Wunde liegen.
• Beobachten Sie die Haut genau und dokumentieren Sie gefährdete Stellen in Wort und Bild (Foto!).
• Nutzen Sie eine trockene Hautpflege bzw. pH-neutrale Waschemulsion.
Hinweise zum Wundmanagement
• Geben Sie ca. eine Stunde vor dem Verbinden Schmerzmittel.
• Halten Sie die Wunde feucht mit luftdurchlässigem, sterilem Hydrokolloid- oder Varihesive-Verband.
• Öffnen Sie Blasen nicht.
• Bei eitrigen und nekrotischen Wunden muss der Arzt die Versorgung übernehmen.
• Reduzieren Sie Risikofaktoren.
• Lassen Sie eine Depression behandeln.
Unwirksam sind Watteverbände, Wasserkissen, Gummiringe, kleinzellige Antidekubitusauflagen, Supraweichlagerung, Schaffell, Gelkissen, Melkfett, Eisen, Fönen, Massieren oder Einreibungen der gefährdeten Stelle.
Stürze: Die Hälfte der Heimbewohner stürzt mindestens einmal pro Jahr. Stürze führen nicht selten zu Radius-, Wirbel- oder Oberschenkelhalsfrakturen. Jährlich werden 20 000 ältere Menschen nach einer Hüftfraktur ins Heim eingewiesen. Menschen mit Demenz (40 % der Stürzenden) haben ein erhöhtes Unfallrisiko durch eine bestehende Gangunsicherheit (oft durch Neuroleptika bedingt) und eine Verschlechterung der räumlichen Wahrnehmung. Vorbeugend wirksam sind Umgebungsanpassung, Geh-, Balancetraining und Physiotherapie. Der Einsatz von Hüftprotektoren bietet etwas Schutz vor massiven Verletzungen.
Hinweise zur Pflege
(nach dem Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege)
• Erfassen Sie bei Gefährdeten die individuellen Sturzrisikofaktoren wie Funktionseinbußen bei Sehen, Kognition, Stimmung, kurze Ohnmacht, Inkontinenz, Angst vor Sturz und Sturzvorgeschichte.
• Hinweis: Benzodiazepine und Neuroleptika zusammen verursachen die Hälfte der Stürze. Umgebungsgefahren wie schlechte Beleuchtung oder Stolperfallen (Teppiche, Kabel, glatte Fußböden, Bettgitter), ungeeignete Hilfsmittel oder Schuhe und Gefahren auf der Straße fördern Stürze.
• Informieren und beraten Sie den Betroffenen und seine Angehörigen.
• Entwickeln Sie mit dem Betroffenen einen individuellen Maßnahmenplan.
• Passen Sie die Umgebung an, dokumentieren und analysieren Sie jeden Sturz.
• Motivieren Sie zu täglichen Gleichgewichts- und Gehübungen.
• Sorgen Sie für Unfallverhütung mit Hüftprotektoren, Erhöhung des WC-Sitzes, Stoppersocken, Niedrigbetten, Pflegenest, Sensormatten und Betthalbgitter.
• Vermeiden Sie möglichst eine Fixierung.
6.2 Andere organische Faktoren
von Verhaltensstörungen
Schädigungen der Stirnhirnrinde reduzieren die Impulskontrolle, weil soziale Normen im Stirnhirn gespeichert sind; das erklärt teilweise ein dranghaftes Umherlaufen, Dranginkontinenz oder das Durchbrechen von ungesteuerten aggressiven Impulsen.
Wahrnehmungsstörungen durch die bei Unruhe am häufigsten verordneten Neuroleptika, weil sie Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit einschränken.
Sehstörungen wegen Altersweitsichtigkeit, Katarakt (grauer Star durch Linsentrübung), Glaukom (grüner Star bei erhöhtem Augeninnendruck), Durchblutungsstörungen, Makula-Degeneration, Kurzsichtigkeit, diabetische Retinopathie mit Netzhautablösung, Atrophie des Sehnervs und Hornhautschädigungen.
Hinweis: Eine Sehstörung verschlechtert sich durch ungenügende, blendende Beleuchtung, Mangel an Kontrasten (weißes Porzellan auf weißer Tischdecke) und bei Sonnenuntergang (sundowning) durch verzögerte Dunkelanpassung.
Hinweise für die Pflege
• Sorgen Sie für blendfreie Beleuchtung über 500 Lux abends.
• Setzen Sie nachts Dämmerleuchte ein.
• Tragen Sie gut lesbare Namensschilder.
• Verwenden Sie Farbsysteme und Kontraste in der Umgebung.
• Förden Sie den Einsatz von Lupen, Büchern im Großdruck und elektronischen Lesehilfen.
Hörbehinderung: Die Altersschwerhörigkeit (bei alten Männern häufiger als bei Frauen) ist eine Innenohr-, Schallempfindungs-Schwerhörigkeit: Der Betroffene hört hohe Töne nicht, empfindet laute als unangenehm, kann das Sprechen mehrerer Menschen nicht unterscheiden. Ursachen sind Hörzellen-Schwund, Lärm, Durchblutungsstörungen, Schilddrüsenunterfunktion, Diabetes, Medikamente wie Furosemid, ASS, Chinin und Zytostatika.
Die Schall-Leitungsschwerhörigkeit (Töne werden leiser) wird oft durch einen Ohrenschmalzpfropf (bei einem Drittel der Bewohner), durch Tubenverschluss bei Nasennebenhöhlenentzündung, Trommelfellverletzung oder Mittelohreiterung verursacht. Folgen der Schwerhörigkeit sind Misstrauen bis Wahn.
• Wenden Sie beim Sprechen Ihr Gesicht dem Angesprochenen zu.
• Sprechen Sie langsam mit Pausen, gut artikuliert, mit tiefer Stimme.
• Wiederholen Sie Gesagtes geduldig, bis der Angesprochene antwortet.
• Legen Sie Wert darauf, dass in einer Gruppe immer nur einer spricht.
• Schalten Sie störende Hintergrundgeräusche ab.
• Lassen Sie Hörgeräte regelmäßig überprüfen.
• Setzen Sie elektroakustische Hörverstärker oder Höranlagen, z. B. für Telefon und Fernseher, ein. Lassen Sie Lichtsignale statt einer Klingel anbringen.
Hunger, Hypoglykämie und Durst
Nahrungsverweigerung, vgl. Seite 177; Schluckstörung, vgl. Seite 177.
Harn- oder Stuhldrang verstärken die Unruhe, wenn der Drang nicht bewusst wird.
Bronchialinfekte bis Pneumonie sind eine häufige Todesursache bei Demenz. Manche Angehörige fordern den Verzicht auf lebensverlängernde Antibiotika, weil dadurch z. B. die Schluckstörung nicht beseitigt wird.
Hinweise für die Pflege
• Erkennen Sie die Gefährdung wie Verschleimung und Schluckstörung mit Aspirationsgefahr und wechseln Sie regelmäßig die Lage, z. B. zu 45° halb sitzend.
• Sorgen Sie für frische Luft (ohne Zugluft).
• Machen Sie abends atemstimulierende Einreibungen.
Bei Verschleimung, produktivem Husten: sitzend lagern, Atemgymnastik mit Klopfmassage, inhalieren, Luft befeuchten, viel trinken; bei flacher Atmung zum Abhusten ermutigen, evtl. absaugen, Fluimucil® geben. Antibiotika sind nur bei Fieber und Schüttelfrost angezeigt. Bei trockenem Reizhusten: sitzend lagern, Luft befeuchten, viel trinken, inhalieren, Paracodin® oder Prospan®, evtl. Bronchodilatatoren und Kortison bei Asthma verordnen lassen.
Krampfanfälle: bis zu 10 % der schwer Demenzkranken haben große epileptische Anfälle.
Hinweise für die Pflege
• Verhindern Sie Verletzungen durch Sturz oder Krampf: Kissen unter den Kopf legen, Gegenstände, an denen sich der Kranke verletzen kann, wegräumen oder aus der Umgebung entfernen. Beengende Kleidung lösen, nicht allein lassen, Ruhe bewahren, nicht festhalten.
• Bringen Sie den Kranken nach dem Anfall in die stabile Seitenlage (zurückfallende Zunge behindert Atmung), ziehen Sie verschmutzte Kleidung (oft Urinabgang) aus.
• Beobachten und dokumentieren Sie Dauer des Anfalls und Vitalwerte.
• Sprechen Sie über die Ängste.
• Klären Sie die auslösende Situation (z. B. Schlafmangel, Unterzuckerung, Medikamente) und beziehen Sie die Angehörigen ein.
• Sofern verordnet: Bei einem Dauerkrampfanfall über fünf Minuten sollte Diazepam-rectal tube eingesetzt werden.
6.3 Psychische Notlagen
Psychische Faktoren haben für jeden Menschen mit Demenz andere Folgen. Auch Menschen mit Demenz bleiben einzigartige, unverwechselbare Personen, d. h. jeder reagiert anders. Wenn Menschen mit Demenz für ihre Gefühle und Bedürfnisse nicht die passenden Worte finden, können sie in einer Gefühlskrise verhaltensgestört reagieren, weil ihr schwindendes Großhirn bisher geächtete Gefühle nicht mehr kontrollieren kann. Ihre Auffälligkeit ist als Hilferuf zu verstehen.
So haben manche Menschen mit Demenz Angst davor, von Pflegenden abhängig, kontrolliert, überfordert, bedroht zu werden. Sie ängstigen sich, wenn Fremde sie ausziehen, können sich verloren und hilflos fühlen, denn sie fürchten um ihre Autonomie und Würde. In ihnen entsteht das Gefühl zu versagen, nicht zu verstehen und nicht mehr verstanden zu werden, ins Heim abgeschoben, nicht ernst genommen, ignoriert oder zum Pflegeobjekt abgewertet zu werden.
Wenn sich Kranke von ihren Angehörigen verlassen fühlen, aktualisieren sie alte Trennungsängste, ohne sie verarbeiten zu können. Sie fühlen sich von Ängsten überflutet: Angst, die Kontrolle über ihre Wut zu verlieren und verrückt zu werden. Angst vor Schmerzen, Inkontinenz und Pflegebedürftigkeit; Angst, den Pflegenden nur noch zur Last zu fallen. Unausgesprochene Ängste können durchbrechen. Angst macht sprachlos vor der Präsenz des Todes im Heim. Angst vor dem Sterbeprozess ist ohnmächtige existenzielle Todes- und totale Vernichtungsangst.
Einige Menschen mit Demenz leben im Augenblick ohne Angst oder können sich gedanklich nicht mehr mit der Angst auseinandersetzen, sich ihr stellen.
Trauer über die vielen Verluste von Gedächtnis, Kompetenzen, Selbstständigkeit, Bezugspersonen und Kontakten ist die vorwegnehmende Trauer vor dem Sterben. Menschen mit Demenz verlieren unerbittlich ihre Identität, ihr Ich-Erleben:
• die biografische, wenn sie ihre Erkrankung als Einbruch erleben, bei Heimeinzug alles lieb Gewordene aufgeben müssen;
• ihre personale, wenn über sie statt mit ihnen geredet wird; wenn sie geduzt, von Fremden intim gepflegt werden;
• die häusliche, wenn sie sich im Heim nicht zu Hause, sondern eingesperrt fühlen;
• die soziale, wenn sie für keinen mehr wichtig sind, sich sozial tot fühlen; wenn keiner Zeit für sie hat, wenn niemand mehr sie besucht.
Ob eine tiefe Trauer zu Verhaltensstörungen führt, hängt nicht von der Zahl der Verluste ab, sondern davon, ob die Trauer ein Gefühls-Chaos auslöst und wie schmerzlich der Kranke darunter leidet. Demenzkranke erleben das Zerbrechen der Identitätssäulen als Verluste: Sie verlieren ihre Gesundheit, ihre Leistungsfähigkeit, ihre materielle Sicherheit, ihr soziales Netz und ihre Sinnorientierung.
Das Einfühlen und Mitfühlen der Angehörigen und Pflegenden ist die hilfreichste Trauerbegleitung.
Die Depression ist bei unter 90-Jährigen häufiger als die Demenz. Jeder fünfte Ältere und fast jeder zweite Heimbewohner wird depressiv. Ein Drittel der über 70-Jährigen hat depressive Symptome: Sie sind tief traurig, gedrückt, freud-, interesse- und energielos. Sie leiden unter Schlafstörungen, Suizidgedanken, Selbstwertverlust und Schuldgefühlen. Sie fürchten, etwas falsch gemacht oder versäumt zu haben. Verzweifelt nehmen sie nur Negatives wahr, grübeln und denken verzerrt selbstentwertend. Sie fühlen sich hilf-, perspektivlos, unnütz, geben sich hoffnungslos auf und ziehen sich zurück: »Keiner mag mich.«
Menschen mit Demenz können depressiv reagieren, wenn sie sich als Pflegelast empfinden, keinen Sinn mehr erkennen und erfahren, dass Ärzte sie als austherapiert bezeichnen: »Bei Demenz ist nichts mehr zu machen« (therapeutischer Nihilismus).
Hinweis für die Pflege
• Geben Sie Menschen mit Demenz nicht als hoffnungslos auf.
• Verstehen Sie eine Depression als Reaktion auf Kränkungen und als unverarbeitete Trauer nach vielen Verlusten.
• Sprechen Sie einfühlend über den Kummer.
Scham kränkt das Selbstwertgefühl, z. B. wegen des Geruchs bei Inkontinenz, wegen des Kontrollverlustes, der Entblößung bei der Intimpflege, wegen der zunehmenden Schwäche und der Scham, nur noch eine Last zu sein oder zu versagen. Wenn der Kranke wegen Personalmangel kaum Zuwendung erfährt, fühlt er sich nicht liebenswert. Je mehr er sich in seinem Selbstwert verletzt fühlt, umso größer ist sein Leidensdruck und die Sehnsucht nach Symbiose (Verschmelzung): »Heute kommt meine Mutter«. Wenn sich der Kranke durch Illustrierte sexuell stimuliert fühlt, reagiert er beschämt. Menschen mit Demenz erleben sich unterlegen, minderwertig und als Versager in der Leistungsgesellschaft, sie idealisieren frühere Fähigkeiten, um in ihrer Erinnerung überleben zu können.
Ekel vor sich selbst bei Stuhlinkontinenz und bei eitrigem Dekubitus mit Verwesungsgeruch belastet Menschen mit Demenz schwer (vgl. Seite 49).
Heimbewohner ärgern sich über den Verrat der Angehörigen, weil sie sich ins Heim abgeschoben, gekränkt und als überflüssige Last fühlen. Wer seine hilflose Wut nicht mehr mit Worten auszudrücken weiß, kann aggressiv gegen Angehörige und Pflegende handeln. Wenn bei einer Stirnhirnschädigung aggressive Impulse unvorhersehbar durchbrechen, kennen sich Betroffene selbst nicht mehr oder reagieren mit Schuldgefühlen.
Abwehr der ungesteuerten Gefühle
Der Mensch mit Demenz
Details
- Seiten
- ISBN (ePUB)
- 9783842686526
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2015 (Januar)
- Schlagworte
- Altenheim Altenpflegekräfte Altenpflege-Unterricht Altenpflege/Unterrichtsmaterial Demente Menschen Dementenbetreuung Demenzkranke Pflegebedürftige