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Das Venenbuch

Wirksame Hilfe bei Besenreisern, Krampfadern, Thrombosen und offenem Bein; Alle wichtigen Fragen vom Experten beantwortet

von Florian J. Netzer (Autor:in)
144 Seiten

Zusammenfassung

Krampfadern und Thrombosen sind kein Schicksal!
Venenerkrankungen zählen zu den häufigsten Krankheitsbildern und betreffen Frauen ebenso wie Männer. Doch was viele Menschen nicht wissen: Mittlerweile gibt es zahlreiche Methoden, um Venenerkrankungen vorzubeugen und ihren Verlauf erheblich abzumildern. Experte Dr. Florian J. Netzer erläutert in diesem Ratgeber, was Sie tun können, um Krampfadern, Thrombosen & Co. Paroli zu bieten. Die Ursachen und Therapien von Venenerkrankungen sind inzwischen gut erforscht. Die Beschwerden lassen sich mit schonenden Mitteln behandeln, unterstützt durch Eigentherapie und anerkannte Verfahren moderner Medizin
und Naturheilkunde. Für jedermann verständlich erklärt Dr. Florian J. Netzer indiesem Ratgeber einzelne Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten sowie gegebenenfalls anfallende Kosten. Venenpatienten hilft er so, die für sie optimale Therapie zu finden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

Venenerkrankungen zählen zu den häufigsten Erkrankungen und betreffen Männer wie Frauen. Oft zeigen sie sich bereits im zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Die Beschwerden reichen von minimalen ästhetischen Beeinträchtigungen durch Besenreiser über geschwollene und schwere Beine bei ausgeprägteren Krampfadern bis hin zum jahrzehntelangen Leiden durch ein schmerzhaftes offenes Bein oder den Zustand nach schweren Thrombosen.

Die moderne Medizin kann viele dieser Krankheitszustände heute mit schonenden Mitteln behandeln, unterstützt durch Eigentherapie und anerkannte Verfahren der physikalischen Medizin und der Naturheilkunde.

Das vorliegende Buch soll dem medizinischen Laien helfen, sich in der komplizierten Welt der Venenerkrankungen ein wenig besser zu orientieren. Es hilft Ihnen auf der Suche nach der optimalen individuellen Therapie und bei der Vorbeugung und Nachbehandlung von Venenerkrankungen.

Dr. med. Florian J. Netzer

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»Das vorliegende Buch soll dem medizinischen Laien helfen, sich in der komplizierten Welt der Venenerkrankungen ein wenig besser zu orientieren.«

EINFÜHRUNG

Kribbeln darf es im Bauch – aber nicht in den Beinen! Bestimmt kennen Sie diese Situation: Nach längerem Sitzen oder Stehen melden sich Ihre Beine durch ein unangenehmes Kribbeln in den Waden, durch schwere Beine, durch geschwollene Füße. So alltäglich diese Beschwerden sind, so alltäglich ist auch deren Ursache: ein Blutstau in den Beinen durch überlastete Venen. Die Folge ist oft eine bleibende Venenschwäche mit den typischen Symptomen: Krampfadern, Besenreiser, anhaltende Schmerzen bis hin zur Thrombose. Damit es erst gar nicht zu überlasteten Venen kommt und wir gezielt dagegensteuern können, müssen wir uns vorab die Funktion der Venen ansehen.

Die Aufgaben der Venen

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Venenwände sind vergleichsweise dünn und weich und „beulen“ deshalb leichter aus als die Wände der viel kräftigeren Arterien.

Das Herz ist das Zentrum unseres Kreislaufs. Es transportiert durch seine Pumpbewegungen das Blut durch den Körper. Dabei wird das sauerstoffreiche, „frische“ Blut durch die Schlagadern oder Arterien in den gesamten Organismus gepumpt, um ihn mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Wenn das Blut dann den transportierten Sauerstoff und seine Nährstoffe im Kapillargebiet (das sind die kleinsten Bluttransportgefäße) abgibt, nimmt es gleichzeitig das von den Zellen produzierte Kohlendioxid und die Schlacken auf. Dieses Blut wird nun über andere Gefäße wieder zum Herzen zurücktransportiert. Dazu dienen erst die „Venolen“, die Gegenstücke zu den arteriellen Kapillaren, also mikroskopisch feine Gefäße, die die erste Strecke zurück zum Herzen im Gewebe bewältigen. Diese Venolen werden im weiteren Verlauf zu dünnen Venen gebündelt, die schließlich immer stärker werden, um dann in großen Venenstämmen zu münden, um letztlich in der größten Vene des menschlichen Körpers, der großen Hohlvene, die vor der Wirbelsäule verläuft, ins Herz zu münden.

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Stark vereinfachtes Schema des Kreislaufsystems: Die weißen Pfeile zeigen die Strömungsrichtung des Blutes in den Arterien und Venen. Die Arterien führen das Blut vom Herzen weg, die Venen leiten es zum Herzen hin. Die gelben Pfeile zeigen die Richtung des Lymphstroms. Die Lymphe fließt aus dem Kapillarbett in die Venen.

Venen unterscheiden sich dabei grundsätzlich von den Schlagadern oder Arterien: Während in den Arterien das Blut mit hoher Geschwindigkeit und hohem Druck in die Peripherie des Körpers gepumpt wird, läuft das Blut in den Venen sehr viel langsamer und steht unter wesentlich geringerem Druck, man spricht auch vom „Niederdrucksystem“. Entsprechend sind die Wände der Venen, im Gegensatz zu denen der Arterien, vergleichsweise sehr dünn und weich und enthalten deutlich weniger Muskelzellen. Die Venen bestehen überwiegend aus unterschiedlich elastischem Bindegewebe. Diese Umstände sind dafür verantwortlich, dass sich Venenwände wesentlich leichter ausbeulen als die Wände der viel kräftigeren Arterien.

Sogar der Teil des Herzens, in den die Venen münden, ist viel weniger muskulös als der, aus dem die Hauptschlagader entspringt: Das „rechte Herz“, also die rechte Vorkammer und Kammer sind beim gesunden Menschen nur etwa halb so stark wie dieselben Strukturen der linken, arteriellen Seite. Bedingt durch diese schwächere Pumpe und die Schwerkraft neigt das Blut in den Venen dazu, in der Peripherie zu „versacken“. Um das zu verhindern und um dem Blutstrom die Richtung zum Herzen zu geben und die umgekehrte Richtung zu vermeiden, sind in die Venen – anders als in die Arterien – in gewissen Abständen Klappen eingebaut. Sie erlauben den Blutstrom also nur herzwärts und verschließen sich, wenn sich der Blutstrom einmal umkehren sollte. Die Klappen sind aus feinem, zähen Bindegewebe konstruiert und sehen aus wie zwei, seltener drei Segel, die sich vom Rand her in die Venenmündung wölben.

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Fließt das Blut in Richtung Herz, werden sie vom passierenden Flüssigkeitsstrom an die Wand gepresst. Will das Blut aber in die entgegengesetzte Richtung fließen, werden die Segel vom Flüssigkeitsstrom entfaltet, aufgebläht und treffen sich so in der Mitte der Vene, dass die Öffnung derselben fest verschlossen wird. Jede Vene weist diese Ventile auf – je weiter in der Peripherie der Beine etwa die Vene liegt, umso kürzer ist der Abstand zwischen den Klappen, weil ja der (hydrostatische) Druck der Blutsäule beim stehenden Menschen mit steigendem Abstand zum Herzen immer höher wird.

Wie wichtig diese Ventile sind, zeigt sich dann, wenn sie nicht mehr funktionieren: es kommt zum venösen Blutstau und zu Ausweitungen der Venen (siehe „Erkrankungen der Venen“). Leider nimmt die Zahl dieser Venenklappen von der Geburt an kontinuierlich ab: Im 70. Lebensjahr weist der Bestand an Venenklappen nur noch etwa 20 Prozent der ursprünglichen Anzahl auf, wodurch sich natürlich die venöse Zirkulation verschlechtert.

Da nun die Pumpfunktion der verhältnismäßig schwach muskulär ausgebildeten, rechten Herzhälfte keinesfalls ausreichen würde, um das Blut über eine Strecke von oft mehr als eineinhalb Metern von den Fußsohlen bis ins Herzniveau zurückzupumpen, musste sich die Natur bemerkenswerte Tricks einfallen lassen, um den Rückstrom zu gewährleisten. So liegen in den Beinen die wichtigsten und größten Venenstämme, die den überwiegenden Teil des Blutes aus dieser Extremität zurückleiten, nicht an der Oberfläche, sondern tief zwischen den Muskeln. Durch Muskelkontraktion, also beispielsweise beim Gehen oder Laufen, werden diese oft mehr als zentimeterdicken Venen komprimiert und die Blutsäule ausgequetscht. Da gleichzeitig der Blutstrom durch funktionstüchtige Venenklappen nur in eine Richtung – nämlich herzwärts – erlaubt ist, wird das Blut so effektiv zurück in Richtung zentrale Pumpstation bewegt.

Dementsprechend einleuchtend ist es, wie effizient Blut durch Bewegung der Beine zum Herzen bewegt wird und welche Folgen es hat, wenn der Mensch viele Stunden unbeweglich steht oder sitzt und dieser Pumpmechanismus entfällt, der hydrostatische Druck der Blutsäule aber durch die aufrechte Haltung maximal groß ist: Es kommt zu einem venösen Blutstau in den Beinen (siehe „So bleiben Ihre Beine venengesund“ und „Erkrankungen der Venen“).

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Die oberflächlichen Venen sind dazu bestimmt, überwiegend das an der Oberfläche – also in Haut und Unterhaut – benötigte, relativ gesehen wenige Blut zu transportieren. Damit auch diese Venen vom Pumpmechanismus der Muskeln profitieren, obwohl diese Venen ja außerhalb der Muskulatur knapp unter der Haut liegen, gibt es Verbindungsvenen. Diese Venen, „Perforansvenen“ genannt, verbinden an vielen Stellen das Netz der oberflächlichen Venen mit dem System der tiefen Venen. Sie sind sehr zahlreich – man schätzt, dass im Durchschnitt etwa 200 solcher Perforansvenen pro Bein existieren – und ebenfalls mit Klappen ausgestattet. Diese Klappen richten den Blutstrom immer in Richtung von außen nach innen. Kommt es nun also im tiefen Venensystem zu einem Sogeffekt, wird das Blut von den oberflächlichen Venen über diese vielen Verbindungen angesaugt und das oberflächliche Venennetz drainiert. An den Beinen münden die beiden großen oberflächlichen Venenstämme an ihrem jeweiligen Ende, in der Leiste und der Kniekehle, in das tiefe Venensystem: selbstverständlich mit einer bedeutsamen zentralen Venenklappe kurz vor der Mündung, um einen (krankhaften) Rückstrom aus den tiefen in die oberflächlichen Venen zu verhindern.

Ein weiterer kluger Schachzug der Natur ist es, bestimmte große Venen direkt neben die Arterien zu legen und sie durch zähe, feine Häute gemeinsam zu umschließen: Das Blut, das stoßweise durch die Kontraktion der linken Hauptherzkammer durch die Arterien gepumpt wird, verursacht auf seinem Weg in die Peripherie eine deutliche, rhythmische Aufweitung der kräftigen Schlagaderwände. Da diese wiederum den Venenwänden durch die oben beschriebene Konstruktion eng anliegen, führt diese „Pulswelle“ zu einer Quetschung der Blutsäule in der Vene. Diese Quetschung bewegt das Blut – durch die durch Klappen vorgegebene Richtung – also ebenfalls weiter zum Herzen.

Ein weiterer wirksamer venöser Pumpmechanismus ist die Atmung. Bei der Einatmung entsteht durch Unterdruck im Brustkorb und durch die gleichzeitige Aufweitung der größten dort verlaufenden Vene des menschlichen Körpers, der „großen Hohlvene“, eine starke Sogwirkung in Richtung Herz, die man mit entsprechend feinen Geräten bis in die Venen der Beine nachweisen kann.

Die unterschiedlichen Venensysteme

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Die tiefen Venen in den Unterschenkeln sind anfangs nur millimeterdick, nehmen mit zunehmender Strecke in Richtung Herz sehr schnell an Größe zu und sind schließlich zentimeterdick.

Wie wir nun wissen, unterscheiden wir an den Beinen zwei Venensysteme: ein oberflächliches und ein tiefes Venensystem, die beide über die Verbindungs- oder Perforansvenen und die Mündung des oberflächlichen in das tiefe System miteinander in Verbindung stehen. Die tiefen Venen sind am Unterschenkel in mehreren Gruppen gebündelt und liegen zwischen den zahlreichen Wadenmuskeln. Im Bereich der Kniekehle bildet sich beispielsweise aus diesen Gruppen ein gemeinsamer dicker Stamm, der dann weiter in den Oberschenkel und von dort in das Becken zieht, um, nach der Vereinigung mit einem weiteren Stamm und schließlich dem Stamm der anderen Becken-Bein-Hälfte, die große Körperstammvene, die „große Hohlvene“, zu bilden. Dabei sind die tiefen Venen in den Unterschenkeln anfangs nur millimeterstark, nehmen aber mit zunehmender Strecke, die sie in Richtung Herz zurücklegen, sehr schnell an Größe zu und werden dann zu zentimeterstarken Stämmen. Die oberflächlichen Venen der Beine überziehen diese wie ein Netz und weisen zwei Stammvenen auf, von denen im weiteren Verlauf noch oft die Rede sein wird: die große und die kleine Rosenvene, oder auch die Vena saphena magna und Vena saphena parva.

Die große Rosenvene sammelt das Blut an der Vorder- und Innenseite des Beines ab dem Innenknöchel und die kleine Rosenvene das Blut an der Hinter- und Außenseite des Unterschenkels. Entsprechend verlaufen sie auch: Die kleine Rosenvene findet man vom Außenknöchel her, mehr oder weniger geradstreckig, bis in den Bereich der Kniekehle ziehend, wo sie letztlich in den tiefen Venenstamm derselben (die „Vena poplitea“) mündet. Beim Venengesunden ist diese Vene meist sehr kaliberschwach, oft nur zwei Millimeter stark und unter der Haut nicht sichtbar. Die große Rosenvene hingegen ist in ihrer Anfangsstrecke praktisch immer gut sichtbar: Es handelt sich um die Vene, die wir (im Stehen oder Sitzen) knapp vor dem Innenknöchel sehen und tasten können.

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Der weitere Verlauf ist allerdings beim Venengesunden ebenfalls mehr oder weniger unsichtbar: Die Vene läuft entlang der Innenseite des Unter- und Oberschenkels, um am oberen Oberschenkelende nach oben einen kleinen Bogen in Richtung Leiste zu beschreiben, wo sie dann schließlich in die große tiefe Beinvene („Vena femoralis“) mündet.

Wie wir schon gelernt haben, sind diese großen oberflächlichen Venen mit den tiefen Venen nicht nur an ihrer jeweiligen Mündung, sondern auch über Verbindungsvenen an vielen Stellen verbunden. Diese Verbindungsvenen tragen teilweise – nach ihren Entdeckern oder Beschreibern – Namen, wie etwa „Cockett“, „Boyd“ oder „Dodd“, werden dann also zum Beispiel „Dodd’sche Perforansvene“ genannt. Diese Nomenklatur hilft den Ärzten, sich kurz und prägnant zu verständigen, ohne umständliche Beschreibungen der Lokalisation der einzelnen Venen abgeben zu müssen. Die Unzahl der netzförmig die Beine umfassenden kleineren Venen bezeichnet man allgemein als „Seitenäste“ – sie tragen keine näheren Bezeichnungen.

ERKRANKUNGEN DER VENEN

Venenleiden – ein Volksleiden? Venenleiden gehören zu den häufigsten Zivilisationskrankheiten in Deutschland. Etwa jeder achte Erwachsene leidet darunter. Meist denkt man an bläulich schimmernde Krampfadern und Besenreiser. Im schlimmsten Fall hat man das Bild von offenen Beinen vor sich. Das kosmetische Erscheinungsbild ist allerdings nur ein Teilaspekt dieser Krankheit, denn Schmerzen und akute Gefährdungen, beispielsweise durch Thrombosen, sind viel gravierender. Aber soweit muss es nicht kommen!

Krampfadern (Varikosis)

Während die einen unbeschwert im Bikini baden gehen oder kürze Röcke und Hosen tragen können, bleibt anderen oft nur der Griff zu langen Hosen oder dunklen Strumpfhosen. Der Grund: Krampfadern – die sichtbaren Adern an den Beinen.

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Krampfadern gehören zu den häufigsten chronischen Krankheiten, haben aber nichts mit Krämpfen zu tun, sondern stammen von „Krummader“, also krumme Ader.

Als Krampfadern, oder medizinisch ausgedrückt „Varizen“ bzw. „Varikosis“, bezeichnet man krankhaft erweiterte Venen, die ihre Funktion des effizienten Rückstroms des Blutes zum Herzen nicht mehr oder nur ungenügend ausführen können. Der venöse Rückstrom in diesen Gefäßen ist deshalb nicht mehr gewährleistet, weil es durch ihre Erweiterung dazu kommt, dass die Klappen sich in der Mitte der Venen nicht mehr treffen, diese also nicht mehr so verschließen können, dass das Blut nur in die gewünschte Richtung zum Herzen fließt. In der Folge kommt es zu einem Rückstau des Blutes und einer immer stärkeren Erweiterung der Venen, die schließlich in aufrechter Haltung überhaupt kein fließendes Blut mehr enthalten und sich nur noch im Liegen entleeren können. Sie stellen also Sammelgefäße für sauerstoffarmes, „altes“ und „verbrauchtes“ Blut dar, das dem Kreislauf zumindest zeitweise entzogen wird.

Weil der Druck der Blutsäule („hydrostatischer Druck“) am aufrechten Menschen in den Beinen am höchsten ist, treten Krampfadern dort am häufigsten auf. Dabei können die Varizen an den Beinen sowohl an der Oberfläche auftreten als auch in der Tiefe, wenngleich sie sich dort durch den Gegendruck des umgebenden Gewebes nicht so extrem ausweiten. Die Varizen finden sich aber auch an anderen Stellen des Körpers: So gibt es sie im Bereich des männlichen Samenstrangs als „Hodenvarizen“ oder „Varicozele“ ebenso wie an den weiblichen Schamlippen, wo sie bevorzugt während des letzten Schwangerschafsdrittels auftreten. Man findet sie sogar an inneren Organen wie etwa den Nieren (häufiger links) und – in sehr seltenen Fällen – an den Armen.

Die Ursachen für Krampfadern

Krampfadern ohne erkennbare andere Ursache

Für die Entstehung der Krampfadern sind verschiedene Ursachen verantwortlich: Am häufigsten findet sich eine genetisch bedingte Bindegewebsschwäche des Venen- und Klappengewebes. Dadurch kommt es zu dem oben beschriebenen mangelhaften Klappenschluss und damit zum Rückstau des Blutes mit Aufweitung des betroffenen Gefäßes (siehe „Die Aufgaben der Venen“). In sehr seltenen Fällen sind sogar Venen ganz ohne Klappen angeboren, die sich dann bereits im Kindesalter zu Krampfadern verändern. Gelegentlich findet man solche Fälle bei Varizenbildung an den Armen. In der Regel aber bilden sich Kampfadern frühestens im zweiten Lebensjahrzehnt und immer mehr dann mit steigendem Lebensalter.

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Krampfadern können auch im Bereich des männlichen Hodens, der weiblichen Schamlippen, an inneren Organen wie der Niere oder an den Armen auftreten.

Bei den Krampfadern, die sich ohne eine erkennbare andere Ursache (siehe unten) bilden, spricht der Mediziner von „primärer Varikose“. In der Regel bildet eine defekte Klappe oder einige wenige Klappen hintereinander den Beginn einer Kaskade. Durch das defekte Ventil strömt das Blut nunmehr (in aufrechter Haltung) nicht mehr zurück zum Herzen, wie es soll, sondern versackt der Schwerkraft folgend in der betroffenen Vene. Dadurch steigt der Druck auf die darunterliegende nächste Klappe und die dazugehörige Venenwand an. Irgendwann wird die Venenwand sich so erweitern, bis auch die nächste Klappe nicht mehr schließt und nunmehr eine noch längere und schwerere Blutsäule auf dem wiederum nächsten Venensegment lastet, das wahrscheinlich auch irgendwann dem Druck nicht mehr standhalten wird. Auf diese Art und Weise schreitet die Erkrankung von oben nach unten mit der Zeit fort.

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Kampfadern bilden sich meist frühestens im zweiten Lebensjahrzehnt und verstärkt mit steigendem Lebensalter.

Betrachten wir beispielsweise einmal den größten oberflächlichen Venenstamm der Beine, die große Rosenvene („Vena saphena magna“, siehe „Die Aufgaben der Venen“), wo Varizen am häufigsten auftreten: Wie Sie gelesen haben, verläuft dieser Venenstamm von der Innenseite des Fußes über die Innenseiten von Wade und Oberschenkel bis in die Leiste, wo er in das tiefe Venensystem mündet. An dieser Mündung gibt es eine zentrale, große Venenklappe in der großen Rosenvene. Diese Ventilklappe soll dafür sorgen, dass das Blut aus der Rosenvene nur in die große (tiefe) Beinvene („Vena femoralis“) abfließen, aber keinesfalls Blut in die umgekehrte Richtung fließen kann. Wenn nun diese Mündungsklappe infolge einer Bindegewebsschwäche nicht mehr schließt, tritt genau dieser unerwünschte Effekt ein: Blut drängt aus der tiefen Vene in das oberflächliche Gefäß und erweitert dieses, was zu einem Blutstau zunächst im obersten Abschnitt des Stammgefäßes führt. Wenn aufgrund des Drucks dieser Blutsäule in der erweiterten Vene die nächste, weiter unten gelegene Klappe nicht mehr schließt, so kann die Erkrankung der Vene von oben nach unten immer mehr fortschreiten. Die Stammvene wird „von oben nach unten“ krank, so wie die Blutsäule mit der Schwerkraft am stehenden oder sitzenden Menschen nach unten drängt.

Die Mediziner haben daraus die Konsequenzen bei der Einteilung der Schweregrade der Varikosis des oberflächlichen langen Stammgefäßes, also der großen Rosenvene gezogen: Sind die Klappen nur im obersten Abschnitt, bis maximal zur Mitte des Oberschenkels defekt, spricht man von Grad I. Reicht der Rückstau schon bis zum Knie, von Grad II, bis zur Mitte des Unterschenkels von Grad III, und sind schließlich alle Klappen der Stammvene defekt, sodass der Rückstau das ganze Bein betrifft, von Grad IV.

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Weil hier eine Stammvene erkrankt ist, sprechen wir von einer „Stammvarikosis“. Sie kann also an den beiden oberflächlichen Venen der Beine, der großen und der kleinen Rosenvene auftreten. Nach demselben Prinzip werden alle Venen des Körpers krankhaft erweitert und sind nicht mehr in ihrem eigentlichen biologischen Sinn am Blutrückstrom beteiligt und somit „insuffizient“, wie es in der Medizin heißt: Ob es sich dabei um Venen der Nieren, um tiefe oder oberflächliche Venen an den Beinen handelt, ist einerlei. Immer schreitet die „primäre Varikosis“ der Schwerkraft folgend nach unten fort.

Dabei kann der Anfangspunkt entweder eine defekte Mündungsklappe sein, aber auch die defekte Klappe einer der am Bein sehr zahlreichen Verbindungsklappen kann den Ausgangspunkt bilden: funktioniert eine solche Verbindungsvene nicht mehr, so staut sich das Blut in den oberflächlichen Venen zurück, das eigentlich in diese Verbindungsvene abfließen sollte. Das kann sowohl eine der beiden Stammvenen sein (große oder kleine Rosenvene), als auch Venen betreffen, die dem netzartigen System der namenlosen Seitenvenen angehören. Ist der Ausgangspunkt der Varikose eine Perforans- oder Verbindungsvene, so spricht man folgerichtig von einer „Perforansvarikose“, liegt eine überwiegende Erweiterung der Seitenäste vor, nennt man das eine „Seitenastvarikose“.

Krampfadern mit erkennbarer anderer Ursache

Es gibt auch Fälle von Krampfadern, in denen der Erkrankung eine erkennbare andere, krankhafte Ursache zugrunde liegt. Dann spricht man nicht mehr von „primärer“, sondern von „sekundärer“ Varikose. Die häufigste Ursache für eine sekundäre Varikose der Beine ist eine Strombahnverlegung der tiefen Venen, beispielsweise durch eine Thrombose. Da das Blut bekanntlich überwiegend durch das tiefe Venensystem abfließt, führt dessen Verstopfung naturgemäß zu einer Überlastung der oberflächlichen Venen, die aber für die Aufnahme dieser Blutmengen nicht geeignet sind. Durch diese Überfrachtung des oberflächlichen Drainagesystems mit Blut kommt es zu einer Ausweitung der Venen und damit wiederum dazu, dass sich die Segel der Veneklappen nicht mehr in der Mitte der Gefäße treffen und diese verschließen können.

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Die unterschiedlichen Formen von Krampfadern

Krampfadern der Stammvenen

Wie Sie bereits erfahren haben, gibt es an den Beinen zwei oberflächliche Stammvenensysteme: das System der an der Innenseite des Beins verlaufenden „großen Rosenvene“ und das System der an der Hinterseite der Wade verlaufenden „kleinen Rosenvene“. Wenn diese Venen sich krankhaft erweitern und ihre Klappen nicht mehr funktionieren, spricht der Fachmann von einer „Stammvarikosis“. Die Stammvarikosis nimmt dabei einen beträchtlichen Einfluss auf die Blutzirkulation und kann zu erheblichen venösen Stauungen und einem verminderten venösen Rückstrom führen. Sie ist demnach als echte Krankheit einzustufen – abhängig natürlich vom individuellen Ausprägungsgrad. Um die unterschiedliche Schwere der Erkrankung der Stammvenen besser einteilen und ausdrücken zu können, hat man im deutschsprachigen Raum für die große Rosenvene die Klassifikation nach Hach, dem Erfinder dieser Einteilung, eingeführt. Wie oben beschrieben, nimmt die Erkrankung sehr oft ihren Ausgang von einer defekten Mündungsklappe an der Einmündung der oberflächlichen Stammvene in das tiefe Venensystem und schreitet dann weiter nach unten fort. Je mehr Klappen dabei defekt sind, umso weiter reicht der Rückstau der Blutsäule nach peripher. Entsprechend richtet sich die Einteilung des Schweregrades danach, wie weit nach unten bereits der Klappendefekt reicht: Als Grad I bezeichnet man eine Störung nur der ersten Zentimeter nach der Mündungsklappe bis maximal zur Mitte des Unterschenkels und als Grad IV einen Defekt, der bis zu den Füßen reicht. Die Beschwerden, die durch eine oberflächliche Stammvenenerkrankung ausgelöst werden – abgesehen von der kosmetischen Störung dadurch – korrelieren gut mit der Einteilung in diese genannten Schweregrade.

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Krampfadern der Perforansvenen

Wir wissen nun ja, dass man als „Perforansvenen“ diejenigen Venen bezeichnet, die kurze Querverbindungen zwischen dem oberflächlichen und dem tiefen System herstellen (siehe Seite 9). Dabei können diese Verbindungen sowohl zu den oberflächlichen Stammvenen als auch zu Ästen derselben führen. Diese Perforansvenen, die so heißen, weil sie die Gewebeschicht zwischen oberflächlichen und tiefen Venen „perforieren“, tragen ebenfalls Venenklappen, die dazu dienen, den Blutstrom nur in einer Richtung, nämlich von der Oberfläche in die Tiefe zuzulassen. Versagt eine solche Venenklappe, kommt es zu einem unerwünschten Rückstrom aus der Tiefe in die oberflächlichen Gefäße, die für die Aufnahme des erhöhten Blutvolumens nicht geeignet sind. Es kommt zur krankhaften Erweiterung, also der Bildung von Krampfadern. Diesen Typ der Varizenerkrankung bezeichnet man dann logischerweise als „Perforansvarikosis“, entsprechend dem Ursprung des Problems.

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Defekte Perforansvenen kann man im Stehen oft sehr gut sehen: durch den höheren Druck des aus der Tiefe strömenden Blutes kommt es zur Ausbildung einer Art „sprudelnder Quelle“ an der Stelle der Perforansvene und damit zu einer deutlich ausgeprägten prall-elastischen Beule unter der Haut. Der Mediziner spricht hier von einem „Blow-out-Phänomen“.

Da es an einem Bein etwa 200 Perforansvenen gibt, ist das Bild dieses Varizentyps entsprechend vielfältig. Die defekten Verbindungsvenen können dabei sowohl das netzförmige System der Seitenastvenen als auch die Stammvenen mit Blut überfrachten. Im ersten Fall kommt es zu einer entsprechenden Erweiterung dieser Seitenvenen, manchmal sternförmig um eine Perforansquelle herum, im anderen Fall erscheint eigentlich das Bild einer Stammvarikosis: Die Stammvene ist – körperabwärts von der defekten Verbindungsvene – erweitert, und die Klappen der Stammvene schließen durch die Überlastung wiederum nicht. Die Perforansvarikosis ist durchaus auch das, was der Mediziner als „hämodynamisch wirksam“ bezeichnet, das heißt, sie nimmt Einfluss auf die Zirkulation und ist weit mehr als ein Schönheitsfehler. Es ist durchaus möglich, dass ein Beingeschwür („Ulcus cruris“) durch eine oder mehrere defekte Perforansvenen ausgelöst wird.

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Krampfadern der Seitenastvenen

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Über die Beine zieht sich ein weit verästeltes Netz ungezählter Nebenäste der bisher aufgeführten Venengruppen, das für die Haut und Unterhaut venös drainiert. Wie jede periphere Vene kann sich aus jedem dieser Seitenäste eine Varize durch Erweiterung des Gefäßes bilden. Meist liegt dem eine druck- oder kaliberstarke Quelle wie eine defekte Perforansvene oder Stammvene zugrunde. Manchmal findet sich aber kein Quellfluss mehr, insbesondere in den Fällen, in denen schon vorher operiert oder verödet worden war, man bezeichnet das Bild der überwiegend erweiterten Seitenäste als „Seitenastvarikosis“.

Die reine Seitenastvarikosis hat keinen messbaren Einfluss auf die Blutzirkulation, ist also, wie Mediziner sagen, nicht „hämodynamisch wirksam“. Damit fehlt es den erweiterten Seitenästen genau genommen auch am krankhaften Wert: Sie lösen weder vermehrt Thrombosen aus, noch sind sie für die Entwicklung eines Beinulcus verantwortlich. Selbst einfache Venenentzündungen sind in ihnen recht selten, weshalb ihre Behandlung streng genommen auch keine Versicherungsleistung darstellt. Dennoch ist auch diese Art der Varikosis ästhetisch ausgesprochen störend und ihre Entfernung den Patienten ein dringender Wunsch. Beschwerden anderer als optischer Natur werden von diesen Varizen nicht ausgelöst.

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Besenreiser

Werden noch kleinere Gefäße von der varikösen Erweiterung betroffen, Gefäße, die sich bereits innerhalb und nicht mehr unterhalb des Hautniveaus befinden, so handelt es sich hier um die typische Besenreiservarikosis.

Diese Gefäßerweiterung tritt sowohl an den Ober- als auch an den Unterschenkeln – bevorzugt bei Frauen – auf. Die etwas seltenere männliche Form der Erscheinung betrifft oft ganz ausgeprägt den Fußbereich, hier besonders dann, wenn sie mit einer starken Stammvarikosis (siehe Seite 17) vergesellschaftet ist. Besenreiser findet man also vermehrt bei Patienten mit einer hämodynamisch wirksamen Varikosis, also einer Varikosis, die messbaren Einfluss auf die Blutzirkulation hat, jedoch treten sie auch durchaus häufig bei an sich messbar venengesunden Menschen auf.

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Wie bei den Seitenastvarizen nimmt natürlich die Besenreiservarikosis keinen messbaren Einfluss auf die normale Blutzirkulation. Auch diese Erscheinung hat also im engeren Sinne keinen krankhaften Wert, dennoch wird sie als ausgesprochen hässlich empfunden und geht daher natürlich mit einem beträchtlichen Behandlungswunsch einher. Wiederum wird die Behandlung aber – eben weil keine Krankheit vorliegt – nicht von den Krankenversicherungen übernommen.

Die Beschwerden durch Krampfadern

Das ästhetische Problem

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Je stärker der venöse Rückstrom gestört ist, umso mehr Beschwerden treten auf.

Krampfadern sind natürlich meist nicht nur ästhetisch störende Erscheinungen, sondern gehen auch mit verschiedenen Beschwerden und Begleiterkrankungen einher. Selten wird man eine ausgeprägte Krampfaderbildung ganz ohne Beschwerden finden, wenn überhaupt, dann eigentlich nur bei sehr schlanken und agilen Personen, die sich sehr viel bewegen. Kommt auch nur ein wenig Übergewicht oder eine weitgehend bewegungslose Lebensweise – oder womöglich beides – zu der Krampfadererkrankung hinzu, treten auch immer Beschwerden dadurch auf. Die Ausprägung der Beschwerden hängt auch vom Grad der Krampfaderbildung und dem Typ derselben ab: Eine stark ausgeprägte Stammvenenerkrankung, etwa Grad IV der großen Rosenvene, wird natürlich mehr Beschwerden verursachen, als eine isolierte Erkrankung weniger Verbindungsvenen.

Die Blutfülle der unteren Extremität

Die typischen Beschwerden bei Krampfadern können durch die vermehrte venöse Blutfülle der unteren Extremität erklärt werden: schwer empfundene Beine mit Schwellungen und Überwärmung, oft ein Unruhegefühl in den Beinen, schnellere Ermüdung der Muskulatur und Kribbeln und Brennen der Haut. Insbesondere die Ausbildung von Ödemen ist ein Problem, mit dem viele Krampfaderpatienten zu kämpfen haben: Durch den erhöhten Druck innerhalb der erkrankten venösen Gefäße kommt es zu einem vermehrten Ausstrom von Flüssigkeit in das umgebende Gewebe von Kapillaren und andererseits zu einer verminderten Aufnahme von Flüssigkeit aus diesem Gewebe in Lymphgefäße und bestimmte Teile des Kapillarbereiches, wie das natürlicherweise der Fall wäre. Dadurch kommt es zu Wasseransammlungen in den Beinen und Füßen, vermehrt natürlich in den besonders peripheren Bereichen, weil hier der (hydrostatische) Druck am höchsten ist.

Sehr oft wird auch über Juckreiz berichtet, insbesondere an den Unterschenkeln, der auch gelegentlich zu entsprechenden Kratzdefekten – meist an der Schienbeinkante – führt. Bei länger bestehender, intensiver Stauung infolge von Erkrankung der tiefen oder oberflächlichen Venen, kommt es auch zur Verfärbung der Haut ins Rote oder Braune. Die rote Farbe ist bedingt durch die Kapillarfülle und Erweiterung selbst der feinsten Gefäße unter und in der Haut, die braune Farbe rührt vom sogenannten Hämosiderin her: Das ist eine Form der Eisenablagerung in der Haut. Dieses Eisen stammt aus geplatzten roten Blutkörperchen und ist in der Haut oxidiert, wodurch es die typische Rostfarbe annimmt.

Fälle, in denen diese Pigmentverschiebungen auftreten, sind in der Regel bereits lang bestehend chronisch, und häufig findet sich hier bereits eine ausgeprägte Fehlernährung von Haut und Unterhaut. Diese äußert sich auch in der Verhärtung („Sklerose“) von Haut und Unterhaut und der Neigung zu schlecht heilenden Bagatellverletzungen bis hin zur Entwicklung eines typischen offenen Beins („Ulcus cruris“, siehe „Das offene Bein“). Häufig hat das noch relativ unkomplizierte Krampfadernbein einen deutlich größeren Umfang als das Bein, das keine Krampfadern aufweist, natürlich umso mehr, je später am Tag man misst. Psychisch verstärkt werden die Beschwerden noch durch den unschönen Anblick der befallenen Beine.

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Auch können, bei ausgeprägten Varizen, die gefürchteten Blutungen auftreten: Die Haut über den extrem ausgeweiteten Venen ist oft nur noch hauchdünn, und es genügt oft ein minimales Anschlagen des betroffenen Beins, um eine starke Blutung aus dem jetzt eröffneten Gefäß zu verursachen. Binnen weniger Minuten können hier unter Umständen mehrere Hundert Milliliter Blut austreten. Zwar sind diese Blutungen in aller Regel nicht lebensbedrohlich, dennoch wirken sie zum einen psychisch entsetzlich auf den Patienten und seine Umgebung, zum anderen können sie durchaus zu einem Kollaps führen. Zur Behandlung dieser Blutungen genügt übrigens in fast allen Fällen ein gut gewickelter Kompressionsverband und das Hochlagern des betroffenen Beins.

Auch ohne Blutung ist die tagtägliche Volumenverschiebung des Blutes bei ausgeprägten Krampfadern ganz beträchtlich und führt oft zu starken Kreislaufregulationsstörungen: Bei starken Krampfadern können beim Lagewechsel vom Liegen zum Aufstehen bis zu 500 Milliliter zusätzlich zum ohnehin schon natürlichen Anteil von etwa 300 Millilitern in den geweiteten „Venensäcken“ verschwinden und so dem Kreislaufsystem entzogen werden. Kein Wunder also, wenn betroffene Patienten über erhebliche Kreislaufschwäche berichten.

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Selbst Blutbildveränderungen sind bei ausgeprägter Venenschwäche und Krampfadern zu beobachten: In den peripher gelegenen weiten Gefäßen, in denen das Blut der Zirkulation praktisch entzogen wird und weitgehend steht, sacken die schwereren Blutbestandteile, also insbesondere die großen roten und weißen Blutkörperchen, ab. Somit fehlen dem Gesamtorganismus zum Beispiel die sauerstofftransportierenden roten Blutkörperchen („Erythrozyten“), der Gesamtgehalt an Blutkörperchen am Blut sinkt und mit ihm sein Messwert, der sogenannte Hämatokrit.

Unruhige Beine, Kribbeln, Schweregefühl, Wadenkrämpfe

Sehr häufig berichten Patienten über unruhige Beine, beständiges Kribbeln, Schweregefühl bis hin zu dem Gefühl, die Beine würden „platzen“, wenn man sie nicht gleich hochlegen könne. Es wird auch oft darüber geklagt, dass die Wärme des Bettes oder bereits der leichte Druck und die Temperaturerhöhung durch die Bettdecke kaum zu ertragen sei. Ebenso treten bei Krampfaderpatienten gehäuft Wadenkrämpfe, besonders nachts und in Ruhephasen auf. Hierbei ist es für den behandelnden Arzt oft schwer, unter den vielfältigen Ursachen für diese Krämpfe zu unterscheiden, die beileibe nicht alle alleine von Varizen verursacht sind: Die möglichen Gründe dafür liegen vom Mangel an bestimmten Mineralstoffen (z. B. Kalzium und Magnesium) über Überanstrengung und neurologische Leiden bis hin zu sogenannten idiopathischen, also nicht erklärbaren Krämpfen. All diese Beschwerden sind dem Krankheitsbild der Varikosis typisch und treten ohne das Hinzutreten von komplizierenden Begleit- und Folgekrankheiten auf, die weiter unten beschrieben sind, wie Venenentzündung, Thrombose oder Ulcus („offener Fuß“).

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Die Diagnose der Krampfadern

Auch in der Diagnose der Krampfadern hat es in den vergangenen 20 Jahren eine lebhafte Entwicklung hin zu immer feineren, genaueren und dabei schonenderen Methoden gegeben. Die moderne Diagnostik wird heute im Idealfall mittels einer „farbcodierten Duplex-Sonografie“ ausgeführt – ein Verfahren, bei dem über einen Schallkopf von außen die Venen exakt dargestellt werden können und gleichzeitig der Untersucher die Flussrichtung, beziehungsweise die Geschwindigkeit des strömenden Blutes in roten und blauen Farben darstellen kann. Auf diese Weise kann der Arzt feststellen, ob die Venenklappen der untersuchten Venen noch intakt sind oder nicht: Bittet Ihr Arzt Sie bei der Untersuchung kräftig zu pressen oder zu husten und registriert dabei einen kräftigen Fluss in der untersuchten Vene nach unten, in Richtung Peripherie, so ist klar, dass im betreffenden Abschnitt die Venenklappen defekt sein müssen. Andernfalls wäre der Blutstrom von den Klappen aufgehalten worden, und es wäre zu keiner messbaren Bewegung der Blutsäule gekommen. Mit der modernen Duplex-Sonografie, die natürlich auch in der Diagnostik der Arterien heute nicht mehr wegzudenken ist, kann der versierte Arzt auch Thrombosen untersuchen. Die Untersuchung ist schnell, effizient und sehr genau und bedeutet keinerlei Belastung für den Patienten.

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Durch die Duplex-Sonografie kann der Arzt feststellen, ob die Venenklappen noch intakt sind oder nicht.

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Duplex-Sonografiegerät

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Bei der Doppler-Sonografie werden die Blutkörperchen im Gefäß „hörbar“ gemacht.

Eine einfachere, aber auch entsprechend ungenauere Untersuchung stellt dagegen die Doppler-Sonografie dar, welche in mehrfacher Hinsicht die Entwicklungsvorstufe der Duplex-Sonografie darstellt. Bei dieser Methode wird eine kleine Ultraschallsonde in der Größe eines dicken Bleistiftes schräg auf das zu untersuchende Gefäß (Vene oder Arterie) aufgesetzt und mit einem Lautsprecher verbunden: Die Signale, welche die Stiftsonde nach Aussendung eines Ultraschallsignals wieder empfängt, werden hier in ein Tonsignal umgesetzt. Dabei wird der Ton umso höher, je schneller sich die beschallten Partikel – hier also die Blutkörperchen in dem Gefäß – auf die Sondenspitze hinbewegen. Dies beruht auf dem „Doppler-Effekt“, benannt nach dem Salzburger Mathematiker Doppler, der das Verhalten von Schall gegenüber bewegten Objekten im 19. Jahrhundert erstmals wissenschaftlich beschrieben hatte. Mit dieser Methode kann der geübte Untersucher ebenfalls einen Klappenschaden diagnostizieren, es fehlen ihm aber weitere Informationen, wie die genaue Geschwindigkeit des Blutes, die Gestalt und der Durchmesser des Gefäßes und die Dicke der Gefäßwand.

Die ehemals gebräuchliche Standardmethode der „Phlebografie“ wird heute nur noch in Ausnahmefällen zur Diagnostik benötigt: Dabei wird eine Vene (meist im Bereich der Großzehe) punktiert und unter ständiger Röntgendurchleuchtung ein jodhaltiges Röntgenkontrastmittel in die Venen injiziert. Durch Anstauen an verschiedenen Bereichen des untersuchten Beins und Pressen des Patienten (oder Husten) kann man bildlich den Fluss des Blutes mit dem Kontrastmittel beobachten und einen eventuellen krankhaften Rückfluss sehr deutlich darstellen. Da die Methode aber umständlich und mit einer Strahlenbelastung sowie der Gabe eines Kontrastmittels verbunden ist, muss heute eine spezielle Fragestellung vorliegen, die mittels der Duplex-Sonografie nicht gelöst werden kann, damit die Phlebografie angewandt wird.

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Die Behandlung der Krampfadern ohne chirurgischen Eingriff

Die medikamentöse Behandlung

Seit Jahrhunderten versuchen die Menschen, Medizin gegen die Beschwerden bei Krampfadern zu finden und sind dabei auf einige wenige Stoffe gestoßen, die Linderung geben. Keine der genannten Substanzen aber ist in der Lage, die Krampfadern substanziell zu beseitigen, sie alle dienen nur der Therapie der Begleiterkrankungen und Symptome, wie der Linderung des Schweregefühls, des Juckreizes und der Schwellungen.

Bei Präparaten aus der Rosskastanie lindern die Extrakte der Frucht und der Blätter die Schwellungen und entzündlichen Begleiterscheinungen der Krampfadernerkrankung in gewissem Ausmaß und zwar sowohl bei der direkten, lokalen Anwendung als Wickel, in Form von Salben oder Tinkturen, als auch in Form von oral verabreichten Zubereitungsformen, wobei es hier Dragees, Pillen und Tropfen gibt. Aber auch die intensivste Anwendung von Rosskastanienpräparaten kann weder eine vorhandene Krampfader beseitigen, noch deren weitere Neubildung verhindern. Als Begleittherapie und zur Eigenbehandlung aber sind die Präparate verbreitet und sehr beliebt. Gleiches gilt sinngemäß für die Zubereitungen aus Weinlaub.

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Medikamente lindern nur die Begleiterkrankungen und die Symptome, können die Krampfadern allerdings nicht beseitigen.

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Ebenfalls sehr häufig angewendet werden von Laien wie Ärzten heparinhaltige Salben. Heparin ist ein Eiweißstoff, der die Blutgerinnung negativ beeinflusst und in Form von entsprechend standardisierten Injektionen zur Vorbeugung und Behandlung von Blutgerinnseln verwendet wird. Das Heparin wird dabei heute in industriellem Umfang aus der Schleimhaut von Schweinedünndarm gewonnen und auch in Salben und Gels verarbeitet. Obwohl es bis heute umstritten ist, ob die heparinhaltigen Zubereitungen überhaupt die Haut durchdringen können, erfreuen sich diese Präparate großer Beliebtheit bei Patienten wie Fachleuten. Sie werden sehr häufig eingesetzt bei entzündlichen Begleiterkrankungen und Folgeerscheinungen der Krampfadererkrankung, wie Venenentzündungen und Blutergüssen, die bei den bindegewebsschwachen Venenpatienten gehäuft auftreten.

Heparin in Form von Injektionen ist – im Gegensatz zu den externen Anwendungen – wissenschaftlich ausgezeichnet untersucht und dokumentiert, seine Wirkung ist seit Jahrzehnten bestens bekannt. Das injizierte Heparin blockiert die Bildung von Blutgerinnseln an einer bestimmten Stelle des sehr komplizierten Gerinnungsvorgangs, den man auch wegen seines raschen und fließenden Ablaufs „Gerinnungskaskade“ nennt. Dabei kann – dosisabhängig – dieser Gerinnungsvorgang mehr oder weniger stark gehemmt werden, abhängig davon, ob man vorsorglich (prophylaktisch) eine Gerinnselbildung verhindern oder eine bereits vorhandene Gerinnselbildung behandeln will. Ersteres ist der Fall bei praktisch allen operativen Eingriffen, die die Mobilität der unteren Extremität beeinträchtigen oder anderweitigen Formen der Immobilisation, also etwa der krankheitsbedingten Bettlägerigkeit. Man spritzt dazu das Heparinpräparat in einer relativ niedrigen Dosis unter die Haut, was man auch „Low-Dose-Heparinisierung“ nennt. Dabei werden die Heparine mit niedrigeren Molekulargewichten verwendet, deshalb werden diese Präparate auch als niedermolekulare Heparine bezeichnet, abgekürzt „NMH“.

Zwischen diesen beiden Arten von Heparinlösungen bestehen große pharmakologische Unterschiede: Die ungetrennten Mischlösungen wirken insgesamt weniger intensiv als die niedermolekularen Lösungen und haben ein höheres Nebenwirkungsspektrum. Während man die erstgenannten Präparate zum Erreichen einer wirksamen Prophylaxe dreimal täglich injizieren muss, genügt dies bei den „NMH“ einmal täglich. In der täglichen Praxis der Prophylaxe finden deshalb heute praktisch nur noch die niedermolekularen Präparate Anwendung. Man setzt sie in Form von vordosierten Fertigspritzen ein, die die Patienten auch selbst anwenden können. Diese Fertigspritzen werden Risikopatienten auch vor längeren Flug- oder Busreisen verordnet, um das Risiko einer Thrombosebildung während der Immobilisation in dieser Zeit zu reduzieren.

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In meist höherer Dosierung als zur Vorbeugung wird das injizierte Heparin auch eingesetzt zur Behandlung von Thrombosen: Obwohl das Heparin nicht in der Lage ist, ein vorhandenes Blutgerinnsel aufzulösen, kann es das weitere Wachstum eines solchen durch ständiges Hinzukommen neuen geronnenen Blutes verhindern und so die Selbstheilung – sprich die körpereigene Auflösung des Gerinnsels – unterstützen (siehe „Thrombosen“).

Ebenfalls in Salbenform liegt das Hirudoid vor. Es handelt sich hierbei um das Speichelextrakt aus dem medizinischen Blutegel (Hirudo medizinalis), einem sehr potenten Naturstoffgemisch, das effektiv in der Lage ist, auch bereits geronnenes Blut wieder zu verflüssigen, sodass es dann von den körpereigenen Fresszellen abgeräumt werden kann. Man setzt diese Salben, deren Wirkung allerdings wissenschaftlich ebenso wie die der Heparinsalben umstritten ist, auch bei Blutergüssen, Venenentzündungen und oberflächlichen Thrombosen ein.

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Wesentlich wirksamer ist die Anwendung lebender Blutegel: Sie werden, nachdem die intakte Haut mit einer Lanzette angestochen wurde, auf das erkrankte Areal gesetzt und so lange belassen, bis sie sich in die Haut verbissen und ihren Speichel injiziert haben. Nun saugen sich die Egel mit dem aufgelösten und ungerinnbar gemachten Blut so lange voll, bis sie schließlich von selbst abfallen. Dieser Vorgang dauert von einigen Minuten bis zu einer Stunde. Aus der Bissstelle blutet der Patient noch bis zu 24 Stunden lang nach, deshalb muss ein saugender Verband angelegt werden. Da die Wirksubstanz, also der Speichel der Egel, hier direkt unter die Haut „injiziert“ wird, kann die Diskussion darüber, ob die Substanz die Hautbarriere überwindet (wie bei den entsprechenden Hirudoid- oder Heparinsalben), entfallen. Das Verfahren, das sicher für die Patienten einige Überwindung bedeutet, kann als ausgesprochen effektiv bezeichnet werden. Da nur „frische“ Blutegel aus entsprechend kontrollierten Zuchten angewendet werden, die nach getaner Arbeit getötet werden, ist die Übertragung von Krankheitserregern von Patient zu Patient ausgeschlossen.

Nicht nur wegen der modischen Rückbesinnung auf traditionelle Heilweisen, sondern vielmehr wegen der ausgesprochen hohen Effizienz des Verfahrens, erfreut sich der Einsatz von Blutegeln in den letzten Jahren auch bei streng schulmedizinisch agierenden Ärzten wieder zunehmender Beliebtheit. Diese Behandlung wird meist bei hartnäckigen oberflächlichen Thrombosen und Venenentzündungen eingesetzt. Die Verwendung als Therapie der Venenerkrankung allgemein ist jedoch wissenschaftlich unbewiesen und kann aus empirischen Daten und aufgrund der Erkenntnisse über die Ursachen dieser Erkrankungen als unsinnig abgetan werde.

Die Substanzen Acetylsalicylsäure (Aspirin, ASS) und verwandte Stoffe, die man pharmakologisch zu dem großen Feld der „Antirheumatika“ zählt, wirken alle in unterschiedlichem Maße entzündungshemmend und schmerzstillend. Deshalb werden sie in der Behandlung der Venenleiden auch bei Entzündungen eingesetzt, bei denen sie die Symptome lindern und die entzündlichen Zustände mildern sollen. Allerdings hat die Einnahme von Acetylsalicylsäure keinen messbaren Effekt auf die Blutgerinnung im venösen Teil des Kreislaufs (hingegen sehr wohl im arteriellen Schenkel), weshalb die Einnahme zur Vermeidung von Thrombosen keinesfalls sinnvoll ist, auch wenn dies häufig praktiziert und gelegentlich sogar von einzelnen Ärzten empfohlen wird.

Selbstverständlich hat sich auch die homöopathische Medizin mit den Venenleiden beschäftigt, und es gibt eine Vielzahl von Einzelmitteln und Kombinationen, die extern oder intern gegen diese Erkrankungen helfen sollen. Wenngleich jeder wissenschaftliche Wirkungsnachweis fehlt, so können allein schon aufgrund kühlender und die Haut beruhigender Eigenschaften gewisser Salbengrundlagen, die so angewandten Externa eine bestimmte entzündungshemmende und somit schmerzstillende Wirkung enthalten. Das Gleiche gilt auch für alle zuvor genannten Salben und Gele, wie für andere ähnliche Zubereitungen auch mit Heilpflanzenauszügen (Phytotherapeutika).

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All diese von außen angewandten oder oral verabreichten Präparate – ebenso wie das injizierte Heparin – dienen nur der Behandlung von Symptomen und Begleiterkrankungen von Krampfadern und tiefer Venenschwäche, können aber die substanzielle Veränderung an den Gefäßwänden und Klappen nicht therapieren.

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Die Kompressionsbehandlung

Die Kompressionstherapie ist eine der ältesten Maßnahmen zur Behandlung der Krampfadern und dem Leiden der tiefen Venen und zählt auch heute noch zu den unerlässlichen Bestandteilen der medizinischen Therapie.

Dabei werden bei der richtig angewandten Kompressionstherapie verschiedene Mechanismen genutzt, die zu einer Verbesserung des venösen Rückstroms und einer Reduktion von Folgeerkrankungen führen:

Zunächst einmal werden bei entsprechender Kompression die äußeren Venen zusammengedrückt und damit zwangsläufig der Rückstrom durch das kaliberstärkere tiefe Gefäßsystem gefördert. Dort wird dadurch die Strömungsgeschwindigkeit erhöht, und so bilden sich weniger schnell Gerinnsel. Durch die Entleerung der äußeren Venen wird die Neigung dort zu oberflächlichen Thrombosen ebenfalls drastisch reduziert.

Durch die Konzentration des Blutvolumens auf die tiefen Venen wird bei Bewegung zugleich die natürliche „Muskelpumpe“ der Beine unterstützt.

Wasseransammlungen in den Beinen (Ödeme) werden durch den höheren Druck des Gewebes verdrängt.

Neuere Untersuchungen zeigen, dass durch Kompression der Beine von außen um ein bestimmtes Maß die Selbstheilungskraft der Gefäßinnenwände in Hinsicht auf ihre Fähigkeit, Gerinnsel aufzulösen, verstärkt wird.

Die vielfältigen positiven Wirkungen der Kompressionstherapie sind dabei der Erfahrungsmedizin schon seit vielen Jahrhunderten bekannt, aber erst in jüngster Zeit – und immer noch erstaunlich selten – Gegenstand gezielter wissenschaftlicher Untersuchungen.

Während in vergangenen Jahrzehnten die Venenärzte stets der Meinung waren, dass nur der fachkundig gewickelte Verband mit den entsprechenden speziellen Binden den Anforderungen an die Kompression gerecht werden würde, kann man heute feststellen, dass die modernen, industriell gefertigten Kompressionsstrümpfe und -strumpfhosen durchaus in der Lage sind, die nötigen Kompressionsdrucke zu erzeugen. Insbesondere bieten diese Produkte natürlich den Vorteil, dass sie jederzeit vom Patienten selbst gewechselt werden können und trotzdem eine lange gleichbleibende Qualität der Kompression erzeugen, wohingegen man früher den Patienten zumutete, oft wochenlang denselben Verband zu tragen.

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Industriell gefertigte Kompressionsstrümpfe und -strumpfhosen erzeugen die nötigen Kompressionsdrücke und können von den Betroffenen selbst gewechselt werden.

Die Kompressionsverbände werden dabei mit unterschiedlichen Materialien vom Arzt oder einer ausgebildeten Fachkraft etwa nach Operationen oder Verödungsbehandlungen oder dann angelegt, wenn noch keine angepassten Kompressionsstrümpfe vorhanden sind oder eine sehr starke Entstauung und damit verbunden eine starke Änderung des Umfangs innerhalb kurzer Zeit zu erwarten ist. Zur Verfügung stehen dabei Binden aus Baumwolle, Viskose (Zellwolle) oder Mischungen aus diesen Materialien mit Elastan oder Elastodien und Polyamid (Perlon, Nylon) oder Baumwollbinden, die mit einer Zink-Gel-Masse imprägniert sind. Aus letzteren Binden werden die sogenannten Zinkleimverbände gewickelt, die leicht aushärten und medizinisch zu den „halbstarren“ Verbänden gerechnet werden. Gerade in der Akutphase von entzündlichen Erkrankungen der Venen werden diese Verbände besonders geschätzt, weil die enthaltene Zinkzubereitung zusätzlich eine beruhigende Wirkung auf die Haut hat. Die-se Verbände haben den großen Vorteil, dass sie sehr angenehm zu tragen sind und praktisch nicht verrutschen, also auch über Tage hinweg angelegt gelassen werden können. Zur Selbstanlage durch den Patienten sind sie aber nicht geeignet.

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Verbände mit nur geringfügig längselastischen Binden, sogenannte Kurzzugbinden, werden ebenfalls meist vom Arzt oder ausgebildeten Fachpersonal angelegt und sind zwar sehr effektiv, können aber – weil sie oft verrutschen – meist nicht lange getragen werden. Insbesondere die Anlage dieser Verbände über den Unterschenkel hinaus ist oft problematisch, und Untersuchungen zeigen, dass bereits acht Stunden nach der Anlage solcher Verbände praktisch keine Kompressionswirkung mehr besteht, und die Touren des Verbandsmaterials bis zum Knie oder sogar darunter abgerutscht sind.

Eine wesentliche Erleichterung in dieser Hinsicht stellen die Binden dar, die an sich selbst und an der Haut haften. Leider sind diese Binden teurer als die – ohnehin schon nicht besonders preiswerten – Kurzzugbinden und werden deshalb nur verhältnismäßig selten routinemäßig eingesetzt.

Insgesamt ist es recht schwer, medizinisch korrekte, wirkungsvolle Kompressionsverbände so anzulegen, dass einerseits der optimale therapeutische Effekt erreicht und andererseits kein Schaden angerichtet wird. Wie jede medizinische Therapie hat nämlich auch die scheinbar einfach und harmlose Kompressionstherapie durchaus mögliche Nebenwirkungen und kann erhebliche Komplikationen nach sich ziehen.

So kann es an vorspringenden Teilen der Extremität, beispielsweise den Knöcheln oder der Achillessehne, schon nach wenigen Stunden durch einen zu stark einwirkenden Druck eines Verbandes zu erheblichen Durchblutungsstörungen bis hin zum Auftreten eines hartnäckigen Druckgeschwürs kommen. Aus diesem Grund müssen Kompressionsverbände oft mit entsprechendem Polstermaterial entweder generell oder wenigstens an den gefährdeten Stellen fachmännisch abgepolstert werden.

Auch ist die Anlage eines effektiven Kompressionsverbandes an einer Extremität (übrigens auch an der oberen, also den Armen) beim Vorliegen einer höherwertigen arteriellen Verschlusskrankheit oft nicht möglich und medizinisch verboten oder „kontraindiziert“, wie der Mediziner sagt. Es kann, wenn der Druck des Verbandes von außen den geringen noch in der Peripherie verbliebenen Blutdruck in den Schlagadern überschreitet, zu einer so starken Durchblutungsstörung kommen, dass Gewebsareale oder sogar Zehen (oder Finger) absterben.

Ebenso gefährlich ist das Anlegen eines straffen Kompressionsverbandes – und nur ein solcher macht Sinn im Dienste der Venen- oder Lymphtherapie – beim Vorliegen von schweren Gefühlsstörungen in der Peripherie, weil hier der Schmerz, der sonst bei relativ gesehen zu starker Kompression auftreten würde, ausgeschaltet ist und somit der entscheidende Alarmmechanismus fehlt: Der Patient bemerkt nicht, dass er ein Druckgeschwür entwickelt oder Teile seiner Extremität minderdurchblutet sind. Aus diesen Gründen werden Kompressionsverbände in der Regel nur vom Arzt und seinen geschulten Assistenten angelegt und nicht von Angehörigen oder den Patienten selbst. Die Zeiten, in denen es zum typischen Erscheinungsbild vieler älterer Menschen (insbesondere Frauen) gehörte, mit notdürftig selbst bandagierten Beinen mühsam zu laufen, sollten im medizinisch ausgezeichnet versorgten Mitteleuropa wirklich der Vergangenheit angehören.

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Weil die moderne Kompressionsbekleidung eine so hervorragende Qualität und einen so hohen Tragekomfort bietet, wird sie heute wesentlich häufiger als der gewickelte Verband zur längerfristigen Therapie eingesetzt. Wenn hier die Rede von Kompressionsstrümpfen und -kleidung ist, dann sind damit keinesfalls die kosmetischen Stützstrümpfe und -hosen gemeint, die nur eine ganz geringe Kompressionswirkung aufweisen und für eine medizinische Therapie nicht geeignet sind. Diese Kleidungsstücke vermitteln zwar subjektiv sicher eine gewisse Erleichterung, ihr Anpressdruck reicht aber keinesfalls dazu aus, oberflächliche Venen zu komprimieren, weshalb ihnen eine messbare Wirkung auf die Zirkulation abgesprochen werden muss.

Andererseits soll ausdrücklich darauf hingewiesen sein, dass moderne, medizinische Kompressionskleidung durchaus auch ästhetischen Ansprüchen gerecht wird und optisch vielen anderen Konfektionsstrümpfen keineswegs nachsteht.

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Bei der Kompressionskleidung unterscheiden wir vier verschiedene Kompressionsklassen, die man entsprechend dem Anpressdruck in Bewegungslosigkeit im Bereich der Fessel einteilt, der im klassischen medizinischen Blutdruckmaß angegeben wird – in Millimetern Quecksilbersäule, abgekürzt „mmHg“ (oder heute auch in der Angabe in Millipascal „mPa“).

Angegeben werden diese Klassen mit dem Kürzel „KKL“ oder „CCL“ in einem Annäher im Bekleidungsstück zusammen mit dem Symbol der „Gütezeichengemeinschaft Medizinischer Gummistrümpfe“, die zeigen, dass es sich hier um ein (in der Regel) erstattungsfähiges, medizinisches Hilfsmittel handelt. Diese Einteilung in vier Kompressionsklassen ist deshalb sinnvoll, weil sie die Druckverhältnisse im venösen und arteriellen System der behandelten Extremität gut widerspiegelt und dem Arzt so die Möglichkeit gibt, die individuell passende Druckklasse auszuwählen.

Der Arzt wird also für seinen Patienten entsprechend der medizinischen Anzeige („Indikation“) und den möglichen Gegenanzeigen („Kontraindikation“) die passende Kompressionsklasse auswählen:

Die Klasse I (etwa 20 mmHg Druck) dient dabei der Vorbeugung (Prophylaxe) von Thrombosen und Venenentzündungen bei vorübergehender Immobilisation von weitgehend gesunden Personen, beispielsweise im Rahmen einer Operation oder sonstiger Bettlägerigkeit. Bekleidung dieser Klasse führt zu einer leichten oberflächlichen Kompression der Hautvenen und verstärkt somit den venösen Rückstrom und die Selbstheilungskraft der Gefäßinnenwände bei Gerinnselbildung. Strümpfe dieser Klasse werden auch gerne als „Antithrombosestrümpfe“ bezeichnet, sind meist weiß und tragen oft das Kürzel „AT“ für „Antithrombose“. Viele Menschen in anstrengenden Sitz- und Stehberufen tragen diese Strümpfe auch ohne strenge medizinische Indikation, um der Ermüdung der Beine vorzubeugen. Man spricht hier von leichter Kompression.

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Die Klasse II (etwa 30 mmHg Druck) ist wohl die am häufigsten angewandte, mittlere Kompression und dient sowohl der primären Behandlung von Varizen, als auch der Nachbehandlung nach Operationen oder Verödungen und wird ebenfalls als Langzeittherapie nach abgelaufenen Thrombosen und Klappenschäden im tiefen Venensystem verordnet. Diese Klasse führt bereits zu einer kompletten Kompression der oberflächlichen Venen und damit zu einer deutlich spürbaren Zunahme des venösen Flusses im tiefen System. Anwendung finden Strümpfe oder Strumpfhosen dieser Klasse auch bei der Behandlung des venös bedingten Beingeschwürs („Ulcus cruris“, siehe „Das offene Bein“) und bei Krampfadern während der Schwangerschaft. Im Gegensatz zur leichten Kompressionsklasse I sind diese Bekleidungsstücke meist nur unter dem Erlernen bestimmter Techniken vernünftig selbst anzuziehen, oft werden auch Anziehhilfen benötigt, insbesondere wenn die Patienten älter sind oder Gelenkerkrankungen der Hände haben.

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Die Klasse III (etwa 40 mmHg Druck) entspricht einer starken Kompression. Sie findet Anwendung bei schweren venöse Erkrankungen, bei denen vor allem das tiefe Venensystem betroffen und es dort zu einem ständigen, chronischen Rückstau infolge fehlender Klappen gekommen ist. Auch bei starken Ödemen und den schweren Folgen der lang bestehenden venösen Insuffizienz, wie schweren Hautveränderungen („Atrophie blanche“), wird der Arzt diese Klasse verordnen.

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Die Klasse IV (etwa 50 mmHg Druck und mehr) schließlich entspricht der sehr starken Kompression, wie man sie beim schweren Lymphödem und der „Elefantiasis“ anwendet.

Die Kompression ist dabei nicht in allen Abschnitten des Strumpfes oder der Strumpfhose gleich groß: Am höchsten ist sie im Bereich der Fesseln und nimmt dann langsam und kontinuierlich nach oben zu ab – ein Prinzip, dem auch der gewickelte Kompressionsverband folgt, was aber hier nur bei erfahrenem Fachpersonal so gewährleistet ist – ein weiteres Argument für die Versorgung von Patienten zur längerfristiger Behandlung mit dem industriell gefertigten Strumpf.

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Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842687103
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (September)
Schlagworte
Kneipp-Therapie Krampfadern Blutkreislauf offenes Bein Operation Thrombosen Training Übungen Venenkreislauf Gesundheits-Ratgeber Patienten-Ratgeber

Autor

  • Florian J. Netzer (Autor:in)

Dr. med. Florian J. Netzer ist Leiter des Privaten Instituts für Chirurgie München und beschäftigt sich seit 1993 als Facharzt für Chirurgie hauptsächlich mit Venenerkrankungen. Mehr als 20 000 Patienten konnte er seitdem erfolgreich behandeln. Neben seiner eigentlichen Tätigkeit legt er Wert auf die Ausbildung anderer Chirurgen, bildet sie selbst in verschiedenen Behandlungstechniken aus und hält auf nationalen und internationalen Fachkongressen Vorträge zu dem Thema. Zusammen mit Instituten in Europa und den USA forscht er an der Weiterentwicklung der Methoden. Dr. Netzer ist u.a. Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und des Bundes Österreichischer Chirurgen. Mit seiner Frau und vielen Tieren lebt er auf einem Hof in Oberbayern.
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Titel: Das Venenbuch