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Demenzkrank - welche Rechte bleiben

Das müssen Sie tun - so sichern Sie sich ab. Juristischer Rat für Pflegekräfte und Angehörige

von Thorsten Ohlmann (Autor:in)
96 Seiten

Zusammenfassung

Die Diagnose Demenz verändert das Leben des Betroffenen und seiner Angehörigen massiv. Und auch Pflegekräfte müssen sich plötzlich fragen: Wo beginnt, wo endet die Selbstbestimmung?
Im Verlauf der Erkrankung braucht der demenziell Erkrankte andere Menschen, die für ihn entscheiden und handeln.
Was aber dürfen Bevollmächtigte? Welche rechtlichen Entscheidungen kann der Erkrankte noch rechtswirksam treffen – und welche eher nicht? Was darf der Betroffene noch wie lange? Wann darf in seine Rechte eingegriffen werden?
Dieses Buch informiert kompakt und leicht verständlich zu (fast) allen Rechtsfragen rund um das Thema Demenz. Ein Praxisratgeber für Betroffene, Angehörige und Pflegekräfte.

Auf den Punkt gebracht:
Mehr Rechtssicherheit für Menschen mit Demenz
Kompakter Ratgeber für Betroffene, Angehörige, Betreuer und Pflegekräfte
Ideal für den Einsatz in der Pflegeberatung

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


VORWORT

Warum dieses Buch?

Die demenzielle Erkrankung wird statistisch immer häufiger diagnostiziert. Dies hat sicherlich mit der Entwicklung unserer Gesellschaft zu tun, dass die Menschen nun mal älter werden und die demenzielle Erkrankung sicherlich auch eine solche ist, die zumeist im höheren Alter auftritt. Aus diesem Grunde erkranken immer mehr Menschen hieran.

Wenn jedoch immer mehr Menschen hieran erkranken, gibt es zwangsläufig auch immer mehr Menschen, wie Angehörige, Freunde, Nachbarn, die direkt oder indirekt mit dieser Krankheit zu tun haben. Bei dem Erkrankten werden Veränderungen wahrgenommen, er kommt sozusagen nicht mehr zurecht.

Diese Arten von Erkrankungen bleiben nicht ohne Einfluss auf die gesamte Teilnahme am Rechtsverkehr.

Handlungen haben (rechtliche) Konsequenzen

Man muss sich darüber klar sein, dass jeder Mensch täglich Entscheidungen trifft, die eine rechtliche Bedeutung haben, sei es der Kauf der Morgenzeitung, die Anmietung eines Pkws, das Buchen des Urlaubes oder die Teilnahme am Straßenverkehr. All diese Handlungen haben eine rechtliche Bedeutung und bewirken auch rechtliche Konsequenzen.

Wenn man sich nun vorstellt, dass all diese Handlungen sozusagen rechtsunwirksam oder sogar untersagt werden, bemerkt man schnell, welch unglaubliche Einschränkung die fehlende Möglichkeit am Rechtsverkehr teilzunehmen, darstellt.

Nach unserem Recht haben Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, am Rechtsverkehr teilzunehmen, Anspruch auf Hilfen. Diese Hilfen stellen jedoch häufig auch für die Betroffenen eine Entmündigung dar: Es trifft sozusagen jemand anderes für sie die Entscheidungen und führt diese auch durch.

Auch diese Entscheidungen führen bei Angehörigen und Freunden oft zu Unverständnis, Empörung oder auch einfach auf Unglauben.

Dieses Buch soll helfen, das rechtliche System zu verstehen, in welchem wir uns bewegen und in welchem sich auch ein demenziell Erkrankter und seine ihm Nahestehenden bewegen. Es soll konkret Tipps und Ratschläge geben, in welcher Form rechtlich geholfen werden kann.


Bremerhaven, im Juli 2016Thorsten Ohlmann

1 KRANKHEIT UND RECHT

1.1 Diagnose »Demenz« – was heißt das für die Geschäftsfähigkeit?

Die Diagnose »demenzielle Erkrankung« bedeutet nicht automatisch, dass die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen verlorengeht. Geschäftsunfähig sein heißt, rechtliche Angelegenheiten nicht mehr regeln zu können. Dies bedeutet: Dem Geschäftsunfähigen ist es schlichtweg nicht möglich, wirksame Verträge zu schließen, wirksam Kündigungen auszusprechen oder Vollmachten auszustellen.

Der Zustand der Geschäftsunfähigkeit ist eigentlich bekannt aus dem Bereich der Kinder bis zum siebten Lebensjahr. Diese sind absolut geschäftsunfähig, d. h. kleine Kinder können faktisch überhaupt nicht am Rechtsverkehr teilnehmen.

Selbst Kleinsteinkäufe sind rechtlich gesehen nichtig, wenn sie von Kindern unter sieben Jahren besorgt werden.

1.2 Die Geschäftsfähigkeit

1.2.1 Rechtliche Grundlagen

Für Volljährige bestimmt das Gesetz Folgendes: Geschäftsunfähig ist zum einen derjenige, der das siebte Lebensjahr nicht beendet hat und zum anderen derjenige, welcher sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet (§ 104 Abs. 2 BGB).

Für diese Menschen hat das BGB noch eine Ausnahme parat: § 105 a BGB bestimmt, dass ein volljähriger Geschäftsunfähiger zumindest noch Geschäfte des täglichen Lebens wirksam schließen kann. Anderenfalls wären ja volljährige Geschäftsunfähige gar nicht in der Lage, ihren täglichen Lebensmitteleinkauf zu besorgen.

1.2.2 Fehlen der Geschäftsfähigkeit – die Auswirkungen

Geschäftsfähig oder nicht?

Das Gesetz bestimmt nicht genau, wann jemand geschäftsunfähig ist und welche Kriterien hierzu gegeben sein müssen. Vielmehr lässt das Gesetz dieses bewusst offen. Denn: Es soll jeweils im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob jemand noch wirksam seine rechtlichen Angelegenheiten ausführen kann oder nicht mehr.

Vor Gericht landen häufig Fälle, weil die – meistens ausgeschlossenen – Erben meinen, dass der Verstorbene zum Zeitpunkt der Errichtung seines Testamentes nicht mehr geschäfts- bzw. testierfähig war. Die bestehende oder nicht bestehende Geschäftsfähigkeit ist dann häufig Gegenstand eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens. So soll geklärt werden, ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentsabfassung noch geschäftsfähig war oder nicht.

Das bedeutet bei einer demenziellen Erkrankung, dass die Diagnose an sich noch überhaupt keine Auswirkungen hat auf eine ernstzunehmende fehlende Geschäftsfähigkeit. Vielmehr muss auch nach der Diagnose jeweils im Einzelfall geprüft und entschieden werden, ob eine Geschäftsfähigkeit vorliegt oder nicht.

Hinweis

Gerade im Hinblick auf Geschäfte des täglichen Bedarfes ist in jedem Falle davon auszugehen, dass der demenziell Erkrankte diese stets wirksam tätigen kann.

Eine Geschäftsfähigkeit kann übrigens auch Schwankungen unterliegen, z. B. durch Einnahme von Medikamenten oder Alkoholika.

Sie können hieran gut die Struktur des Gesetzes erkennen: Einem Menschen ist solange wie möglich die Geschäftsfähigkeit zuzubilligen. Es bleibt in der Einzelfallbewertung immer schwierig und kann auch zu falschen Ergebnissen führen.

Es ist auch für Juristen durchaus anspruchsvoll, wenn eine demenziell erkrankte ältere Dame erklärt, sie wolle nun einen neuen Fernseher kaufen. Hier zu argumentieren, die Dame wisse nicht mehr, wovon sie spreche und könne die Folgen eines solchen Rechtsgeschäftes nicht überblicken, fällt schwer.

1.3 Wenn die Geschäftsfähigkeit fehlt:
gesetzliche Vorgaben

Wird bei einem Menschen eine demenzielle Erkrankung diagnostiziert, stellt sich für Juristen (und Angehörige, Freunde und Nahestehende) immer die Frage: Welche rechtlichen Angelegenheiten kann der Betroffene noch selbst regeln?

Ich hatte ja bereits klar gestellt, wie das Gesetz solche Fälle beurteilt und dabei deutlich gemacht, dass das Gesetz sich hier ein wenig zurückhält.

Hinweis

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) begreift sich eher als Schutzeinrichtung für Menschen, die ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können. Es erklärt daher sämtliche Rechtshandlungen (außer Besorgungen des täglichen Bedarfes) für rechtsunwirksam.

Die Konsequenz einer Geschäftsunfähigkeit durch Krankheit ist, dass der Betroffene selbst nicht mehr über sein Vermögen, seine Immobilien oder größere Anschaffungen entscheiden kann. Das Gesetz behilft sich hier mit dem Betreuungsrecht. Dieses ist ebenfalls im BGB geregelt (§§ 1896 ff BGB), welches in den 90er Jahren die sogenannte »Entmündigung« abschaffte. Hier muss wohl tatsächlich gesagt werden: »Gott sei Dank abschaffte«. Stattdessen gibt es seither die »gesetzliche Betreuung«.

1.3.1 Die gesetzliche Betreuung

Das moderne Betreuungsrecht soll demjenigen, der Schwierigkeiten hat, rechtlich relevante Entscheidungen zu treffen oder dies gar nicht mehr kann, zur Seite stehen. Deshalb wurde das Betreuungsrecht so aufgebaut,

dass der Betroffene weitestgehend mitwirken kann;

dass viele Entscheidungen unter dem Vorbehalt stehen, dass ein Richter zustimmt, und

dass die Betreuung zunächst durch nahestehende Personen ausgeübt werden soll.

Außerdem wurde das Recht so strukturiert, dass eine gewisse Abstufung möglich ist. Das Gericht kann für verschiedene »Aufgabenkreise« (Gesundheit, Aufenthalt, Behörden, Finanzen) die Betreuung bestimmen. Der Richter sucht deshalb die geeignete Person aus, die eine Betreuung ausüben sollte. Das Gericht bestimmt auch, in welchem Umfang eine Betreuung stattfinden soll.

Hinweis

Das Betreuungsgericht überwacht die ordnungsgemäße Durchführung der Betreuung. Es kann im Zweifelsfall auch den Betreuer ablösen oder seine Aufgabenkreise beschränken.

So soll sichergestellt werden, dass der Betroffene bestmöglich rechtlich betreut wird und sämtliche Probleme in seinem Sinne gelöst werden. Selbstverständlich ist die Betreuung immer den individuellen Erfordernissen anzupassen.

Ein Mensch, der nach einer Hirntumoroperation erhebliche Schwierigkeiten mit Zahlen hat und deshalb seine Finanzen nicht mehr regeln kann, braucht eine andere Art der Betreuung, als jemand, der nach einem schweren Verkehrsunfall im Wachkoma liegt. Genau hier setzt das Betreuungsrecht an: an der Individualität der Menschen und an der verschiedenartigen Hilfeanforderung.

Betreuung

Hierbei gilt der Grundsatz, dass die Betreuung grundsätzlich den Willen des Betreuten respektieren soll. Allerdings steht das Wohl des Betreuten noch darüber. Somit darf der Betreuer auch Entscheidungen treffen, die nicht dem Willen des Betreuten entsprechen, jedoch in seinem Sinne sind. Probleme können hier gerade bei schwer psychisch erkrankten Personen oder Suchtkranken auftreten.

Fazit

1.3.2 Die Vorsorgevollmacht

Eine andere Möglichkeit für jemanden zu handeln, der dazu selbst nicht mehr in der Lage ist, ist die Vorsorgevollmacht. Diese Form der Vorsorge sieht so aus, dass der noch Geschäftsfähige in gesunden Zeiten überlegt, wer ihn für den Fall vertreten soll, dass er selbst es nicht mehr kann. In den häufigsten Fällen wird hierbei eine nahestehende Person ausgesucht und diese hierzu auch befragt.

Erklärt sich diese Person bereit, im Falle einer Geschäftsunfähigkeit oder anderer gesundheitlicher Schwierigkeiten für den Betroffenen zu handeln, kann eine Vorsorgevollmacht schriftlich verfasst werden und verwahrt werden.

Für den Fall der Fälle vorsorgen

Das bedeutet jedoch auch, dass diese Vollmacht solange nicht wirksam ist, wie derjenige, der sie ausgestellt hat, noch geschäftsfähig ist. Die Vorsorgevollmacht steht also unter einer sogenannten Bedingung: Sie soll erst wirksam werden, wenn der Fall (Krankheit, Geschäftsunfähigkeit etc.) eingetreten ist.

Wenn dieser Fall eintritt, sorgt die Vorsorgevollmacht dafür, dass das Betreuungsgericht keine Betreuung für den Betroffenen einrichten muss. Dieser hat ja vorgesorgt. Somit bekleidet faktisch der Vollmachtnehmer die gleiche Funktion wie ein gesetzlicher Betreuer, der durch das Gericht ernannt worden wäre.

Die Möglichkeit, eine solche Vorsorgevollmacht auszustellen, hat selbstverständlich viele Vorteile, drei wesentliche:

1. In der Vorsorgevollmacht kann ziemlich genau dargelegt werden, in welchen Fällen sie gelten soll.

2. Der Vollmachtgeber kann selbst auswählen, wer ihn im Falle der Geschäftsunfähigkeit vertreten soll.

3. Der Vollmachtnehmer kann rechtzeitig instruiert werden und somit später am besten im Sinne des Betroffenen handeln.

Eine Vorsorgevollmacht muss nicht notariell beurkundet werden. Es gibt jedoch durchaus Gründe, das zu tun. Zwar kostet es Geld, der Vorteil ist jedoch, dass der Notar auch eine rechtliche Beratung vornimmt. Außerdem: Geht die Vollmacht verloren, kann der Notar jederzeit eine neue ausfertigen. Die Rechte des Vollmachtgebers bleiben also immer gewahrt.

Es gibt auch durchaus die Ansicht, dass Notare ja sozusagen von Amts wegen noch die Geschäftsfähigkeit der Beteiligten bei der Beurkundung einer solchen Vollmacht überprüfen. Das gibt noch mehr Sicherheit hinsichtlich einer Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers. Auch das ist ein Argument.

Fazit

Die Problematik bei der Erstellung einer Vorsorgevollmacht ist aber, dass eine solche Vorsorgevollmacht unter eine sogenannte Bedingung gestellt wird. Die Bedingung nämlich, dass von dieser Vorsorgevollmacht erst Gebrauch gemacht werden kann ist, wenn der Vollmachtgeber seine Angelegenheit nicht mehr selber regeln kann. Das bedeutet im Klartext, dass der Bevollmächtigte diesen Umstand auch nachweisen muss, weil sonst die Vorsorgevollmacht sinnlos wäre.

Vorsorgevollmacht für alle Lebenslagen?

Ein Vorteil ist jedoch, dass ein langwieriges Verfahren zur Erstellung eines ärztlichen Gutachtens hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit erspart bleibt.

Es gibt also zwei Möglichkeiten der Vorsorgevollmacht mit jeweils bedenkenswerten Folgen:

1. Die Vorsorgevollmacht, die unter die Bedingung gestellt wird, hat den Vorteil, dass man erst von ihr Gebrauch machen kann, wenn der Fall (Geschäftsunfähigkeit) tatsächlich eingetreten ist. Nachteil: Der Bevollmächtigte muss die fehlende Geschäftsfähigkeit beweisen, damit er von der Vollmacht Gebrauch machen kann.

2. Die Vorsorgevollmacht für alle Bereiche: Hier muss sich jeder überlegen, inwieweit er den Bevollmächtigten einen entsprechenden Vertrauensvorschuss gewährt und die Vorsorgevollmacht nicht unter eine Bedingung stellt, sondern sie allgemein hält und für beide Fälle, nämlich Vorliegen der Geschäftsfähigkeit und Vorliegen der Nichtgeschäftsfähigkeit gelten lässt. Dies erleichtert in jedem Fall die praktische Handhabung im Ernstfall.

1.3.3 Die Unterbringung

Das Wort »Unterbringung« ist im Zusammenhang mit der rechtlichen Stellung von demenziell Erkrankten auch immer als Rechtsbegriff zu sehen. Als zentrales Gesetz ist hierbei das Gesetz über Hilfen- und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (PsychKG) zu sehen. In ihm ist geregelt, welche Maßnahmen der Staat ergreifen kann, um Menschen, die in vorangegangener psychischer Störung krank oder behindert sind, zu helfen, sie aber auch gegen ihren Willen zu behandeln oder unterzubringen.

Unterbringung – Was bedeutet das?

Unterbringung bedeutet in diesem Fall, dass jemand auch gegen seinen Willen in ein geeignetes Krankenhaus, meistens eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen wird und dort auch zunächst bleibt.

Tatsächlich kann die zuständige Behörde die kranke Person bis zum Ende des auf die Einweisung folgenden Tages auch ohne richterlichen Beschluss in ein Krankenhaus einweisen. Spätestens nach Ablauf dieses zweiten Tages ist jedoch ein Gerichtsverfahren einzuleiten.

Der Richter wiederum kann zunächst für die Dauer von sechs Wochen eine solche Unterbringung durch Beschluss anordnen. Eine solche Zwangsunterbringung ist selbstverständlich nur dann auch rechtmäßig, wenn eine sogenannte Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt. Ob das der Fall ist, liegt jedoch allein im Ermessen des Gerichts oder der zunächst zuständigen Behörde.

Das Gesetz gibt hier keine eindeutige Hilfe. Es stellt stattdessen solche Beschlüsse in das Ermessen der zuständigen Behörde oder des Gerichts.

Auch das Betreuungsrecht sieht bei einer psychischen Erkrankung eine Unterbringung des Betreuten vor (§ 1906 BGB). Hier wird die grundsätzliche Entscheidung der Unterbringung durch den Betreuer gefällt. Allerdings muss der Betreuer noch die Genehmigung des Betreuungsgerichtes einholen. Auch diese Unterbringung kann durchaus zwangsweise, also auch gegen den Willen des Betroffenen, geschehen.

In beiden Fällen gilt: Eine ärztliche Zwangsmaßnahme, etwa eine Zwangsmedikation (die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten) ist zulässig.

1.4 Rechtsstellung der Angehörige – Was dürfen Sie und was nicht?

1.4.1 Mitbestimmung und Antragsbefugnis

Eines vorweg: Angehörige haben für ihre Verwandten nur ein äußerst geringes Mitbestimmungsrecht, wenn alle volljährig sind. Anders ist das selbstverständlich, wenn es sich um ein minderjähriges Kind handelt. Hier können die Eltern für ihr Kind Verträge genehmigen oder sogar abschließen.

Sobald ein Mensch jedoch volljährig ist, stellt sich die Rechtslage ganz anders dar. Volljährige können grundsätzlich nicht füreinander bestimmen.

Wenn also der Ehemann nach einem Verkehrsunfall im Krankenhaus liegt und die Ehefrau wissen möchte, wie es ihrem Ehemann geht, müsste Arzt juristisch korrekt fragen: »Haben Sie denn eine Vollmacht?«

Ohne einer solchen Vollmacht, in der nämlich eine solche Auskunftserteilung erlaubt wird, dürfte der Arzt streng genommen nicht einmal der Ehefrau Auskunft über den Zustand ihres Ehemannes erteilen. Juristisch handelt es sich nämlich auch bei Eheleuten um getrennte Personen. Da bei beiden Volljährigkeit vorliegt, gibt es eben kein automatisches Auskunftsoder Bestimmungsrecht.

Dies bedeutet allerdings auch, dass für den Fall der Geschäftsunfähigkeit ein Ehegatte für den anderen eben nicht bestimmen kann und auch der Elternteil eines volljährigen Kindes kann rechtlich nicht für das volljährige Kind handeln, egal wie krank es ist.

Die fehlende Rechtsstellung von Angehörigen zieht sich faktisch durch alle Gesetze. So sind Angehörige auch nicht beschwerdeberechtigt, wenn sie z. B. der Meinung sind, das Gericht habe einen falschen Betreuer ausgesucht. Hierzu müssen sie erst formal am Verfahren beteiligt werden. Erst dann dürften sie überhaupt zulässigerweise eine Beschwerde gegen die Bestellung eines bestimmten Betreuers oder gegen andere Handlungen gegen des Amtsgerichtes einlegen.

Besteht eine solche Beteiligung nicht, sind auch Angehörige oder Ehegatten nicht beschwerdeberechtigt und stehen sozusagen total außen vor.

Fazit

1.4.2 Anspruch auf rechtliches Gehör –
Dürfen Angehörige Eingaben vor Gericht machen?

Selbstverständlich bleibt es Angehörigen, Freunden, Vertrauenspersonen u. a. unbenommen, bei Gericht entsprechende Eingaben zu machen oder Anregungen zu geben. Inwieweit Gericht und Behörden jedoch diesen Anregungen und Wünschen der Angehörigen folgen, liegt einzig und allein im Ermessen des Gerichtes bzw. der Behörde. Es gibt also keinen Rechtsanspruch auf Anhörung für Angehörige, Freunde, Vertrauenspersonen etc.

Auch wenn ein naher Angehöriger versterben sollte bzw. im Sterben liegt, sieht das Gesetz kein ausdrückliches Anhörungsrecht der Angehörigen vor. Diese sollen zwar im Sinne eines Konsils (Beratung) in mögliche Entscheidungen der Ärzte eingebunden werden. Ein Entscheidungsrecht steht den Angehörigen jedoch nicht zu.

1.4.3 Einflussnahme und Informationsrecht
für Angehörige

Wie bereits dargestellt, steht den Angehörigen weder ein Recht auf Mitbestimmung oder Antragsbefugnis zu noch genießen sie besonderes rechtliches Gehör. Auch ihre Einflussnahme ist als äußerst eingeschränkt zu erachten. Zwar sollen Bedenken und Anregungen von Angehörigen durchaus ernst genommen werden. Entscheidungserheblich sind diese jedoch meist nicht.

So steht den Angehörigen grundsätzlich auch kein Informationsrecht zu. Dies ist auch nachvollziehbar. Schon nach dem Grundgesetz steht allen Erwachsenen ein sogenanntes »informationelles Selbstbestimmungsrecht« zu. Das bedeutet, dass jeder selbst entscheiden kann, welche seiner Daten herausgegeben werden sollen und welche nicht. Dieses Recht steht jedem Menschen auch gegenüber seinen Angehörigen zu. Es gibt durchaus Fälle, in denen der Vater gar nicht möchte, dass seine Kinder erfahren, wie krank er wirklich ist. Diese Art der Selbstbestimmung muss in jedem Falle respektiert werden.

2 DIE DEMENZIELLE ERKRANKUNG
UND IHRE RECHTLICHEN FOLGEN

2.1 Die Diagnose »demenzielle Erkrankung«

Die demenzielle Erkrankung kann sicherlich nicht als sogenannte Volkskrankheit bezeichnet werden. Trotzdem nimmt ihre Häufigkeit zu. Das liegt sicherlich auch daran, dass die Bevölkerung immer älter wird und damit auch die Wahrscheinlichkeit steigt, an einem solchen Leiden zu erkranken.

Aber: Nicht jede Diagnose »demenzielle Erkrankung« bedeutet gleichzeitig, dass jemand seine Angelegenheiten nicht mehr regeln kann.

Vielmehr sieht das Gesetz vor, dass Menschen mit Erkrankungen, die ihre geistige Leistungsfähigkeit betreffen, solange wie möglich selbstständig bleiben sollen und auch rechtlich relevante Handlungen vornehmen sollen dürfen.

Hinweis

Die bloße Einschränkung der Geistestätigkeit bedeutet keinesfalls, dass jemand nicht mehr geschäftsfähig ist.

Es wäre auch absurd, wenn jeder Mensch, der unter Schwächen der Gedächtnisfähigkeit oder einer Einschränkung seines Denkvermögens leidet, geschäftsunfähig wäre. Das ist eben nicht immer der Fall.

Es gibt auch keine allgemeingültige Definition der Krankheit Demenz. In der allgemeinen Wissenschaftsliteratur werden verschiedene Formen der Demenz unterschieden. Die häufigste ist sicherlich die sogenannte Alzheimer Demenz. Hierbei handelt es sich um eine Form der Erkrankung, die zum größten Teil Personen betrifft, die bereits jenseits des 70. Lebensjahres sind, wobei diese Form der demenziellen Erkrankung auch jüngere treffen kann.

Ich gehe hier nicht medizinisch auf die verschiedenen Formen der Demenz ein, sondern auf die Folgen der Erkrankung. Denn diese sind in diesem Zusammenhang wesentlich wichtiger als die Erklärung der Krankheit selbst.

Demenz – eine Definition

Die demenzielle Erkrankung ist im Prinzip ein Zusammentreffen von mehreren Störungen des Gehirns. Eine demenzielle Erkrankung bedeutet, dass ein Abbau von Gehirnleistungen stattfindet. Dies betrifft die Sprache, die Beweglichkeit, die Gedächtnisfunktion, die Möglichkeit, logisch zu denken, zu planen oder zu organisieren. Dieser Verlust geht einher mit einer Veränderung der emotionalen Kontrolle und des Sozialverhaltens, sodass im schwersten Stadium sämtliche Handlungen, die den Einsatz des Gehirns erfordern, faktisch kaum noch möglich sind.

All diese Symptome treten zunächst in recht harmloser Form auf, um sich dann aber stetig zu verstärken. Auch wenn größtenteils ältere Menschen an einer Demenz erkranken, bedeutet das nicht, dass ältere Menschen sozusagen »automatisch« an einem solchen Leiden erkranken.

Demenz – ab wann ist jemand »geschäftsunfähig«?

Hier ist jeder Mensch nach seinen Fähigkeiten, der Tragweite seiner Entscheidungen und seiner Fähigkeit, diese noch zu erkennen, zu bewerten. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt hier deutlich, worum es dabei geht: Ein schwer demenziell erkrankter älterer Herr kann nicht mehr allein in seiner Wohnung leben. Deshalb verkauft der gesetzliche Betreuer die Wohnung und entscheidet, dass der ältere Herr in einer Pflegeeinrichtung untergebracht wird. Der ältere Herr wünscht jedoch, dass das Wohnungsinventar seiner einzigen Tochter geschenkt wird. Diese Schenkung, die ja auch einen Rechtsakt darstellt, dürfte rechtlich gesehen in Ordnung sein.

Zwar mögen auch hier strenge Juristen noch Bedenken hegen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass bei einfach gelagerten Sachverhalten und keiner Gefährdung des Vermögens auch demenziell Erkrankten ein Entscheidungsrecht zugestanden wird.

Fazit

2.2 Befund »Demenz« = Entmündigung?

Es gibt sicherlich viele Menschen, die bei der Diagnose »demenzielle Erkrankung« sofort denken: »Jetzt darf ich nichts mehr unterschreiben, jetzt muss jemand anderes meine rechtlichen Angelegenheiten wahrnehmen!« Das ist nicht so.

Hinweis

Die Diagnose an sich sagt noch überhaupt nichts über eine Geschäftsunfähigkeit aus oder über die rechtlichen Möglichkeiten, die ein Erkrankter besitzt.

Vielmehr legt das Recht größten Wert darauf, dass bei Menschen, die unter dieser Erkrankung leiden, in jedem Stadium der Krankheit genau hingesehen wird, ob Einschränkungen der Geschäftsfähigkeit vorliegen. Bei jeder rechtlichen Handlung muss genau hingesehen werden, inwieweit diese rechtlich wirksam ist.

Ein häufiger Fall in der Praxis von Juristen ist es, dass Vater oder Mutter ihr Testament im hohen Alter nochmals ändern, um vielleicht sogar ein Kind zu enterben. Eine solche Entscheidung ist grundsätzlich erst einmal wirksam. Selbst wenn das enterbte Kind nachweist, dass der Elternteil zum Zeitpunkt der Abfassung des Testamentes demenziell erkrankt war, heißt das noch lange nicht, dass das Testament ungültig wird. Derjenige, der meint, dass das Testament ungültig ist, muss alle Tatsachen zusammentragen und auch beweisen. Er muss also beweisen, warum derjenige, der das Testament verfasste, die Folgen desselben nicht mehr absehen und die rechtlichen Konsequenzen aufgrund der Erkrankung nicht mehr abschätzen konnte.

Die Gerichte haben sich gerade mit dem Spezialfall der Testamentserrichtung eingehend beschäftigt und immer wieder erklärt, dass jeder Volljährige, der

selbstständig eigenverantwortlich und vernünftig handelt;

weiß, welche rechtlichen Konsequenzen sein Handeln beinhaltet;

sich über die Gründe für eine solche Handlung klar ist;

über ausreichende Erinnerung Informationsaufnahme Fähigkeit verfügt, Zusammenhänge zu erfassen,

sicher wirksam auch Rechtsgeschäfte abschließen, Vollmachten erstellen, Testamente errichten oder Kündigungen aussprechen kann.

Die Kriterien, die von den Gerichten zumeist für die sogenannte »Testierfähigkeit« (die rechtliche Fähigkeit, ein Testament aufsetzen zu können) entwickelt wurden, gelten sicherlich auch für alle anderen Fälle.

Fazit

Autor

  • Thorsten Ohlmann (Autor:in)

Thorsten Ohlmann arbeitet als Rechtsanwalt in Bremerhaven. Daneben ist er Dozent für Leitungskräfte in der Pflege sowie an verschiedenen Altenpflegeschulen.
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Titel: Demenzkrank - welche Rechte bleiben