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Palliative Care in der stationären Altenpflege

Das passende Konzept erstellen und umsetzen

von Angela Paula Löser (Autor:in)
192 Seiten

Zusammenfassung

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Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


VORWORT

Schon immer wurden in stationären Pflegeeinrichtungen Menschen in schwerer Krankheit und im Sterben betreut, gepflegt und versorgt. Doch gewinnt die Frage, wie die Erfüllung dieser besonderen Aufgabe möglichst gut gelingen kann, in den letzten Jahren an Bedeutung. Denn der Prozess einer gelingenden Behandlung, Pflege, Begleitung und Betreuung der genannten Zielpersonen soll nicht länger personenabhängig, sondern prozessgebunden erfolgen. Zugleich sind menschliche, ethische und wirtschaftliche Ziele und Rahmenbedingungen zu beachten. Daher sind

ein Konzept und

die angemessene Haltung der Mitarbeiter – die Entwicklung einer palliativen Kultur – erforderlich, um eine systematische, gemanagte Vorgehensweise zu ermöglichen.

Eine Orientierung zu den erforderlichen Strukturen, Prozessen und den angestrebten Ergebnissen bietet das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung (HPG), das im Dezember 2015 verabschiedet wurde. Damit wurden in Deutschland erstmalig gesetzliche Vorgaben für die Organisation einer spezifischen, an den Bedürfnissen eines schwerkranken oder sterbenden Menschen ausgerichteten Palliative Care geschaffen! Konkrete Handlungserfordernisse, Zuständigkeiten und finanzielle Vergütungssysteme sind dadurch geregelt.

Dieses Buch schlägt – nach einer einführenden Begründung der Notwendigkeit – mögliche Gliederungsbereiche und Inhalte eines palliativen Konzepts vor und erörtert diese. Daneben gibt es für die Mitarbeiter Arbeitshilfen, die direkt das Konzept betreffen. Es handelt es sich dabei um ergänzende Teile, die detaillierte Informationen über einzelne Handlungen sowie über die Art und Weise ihrer Gestaltung geben. Sie sind besonders hilfreich in den Phasen der Konzepterstellung und der anfänglichen Implementierung.

Soll das Konzept auch zur Veröffentlichung der angestrebten Ziele und der vorhandenen Handlungsangebote in der Einrichtung genutzt werden, erscheint es sinnvoll, zusätzliches Informationsmaterial in Form eines Flyers oder einer Broschüre zu erstellen. In diesen werden dann die Kernmerkmale dargestellt.

Für die sogenannte Kulturbildung und Implementierung neuer Konzepte ist es hingegen immer erforderlich, sich mit den Details zu beschäftigen. Dazu gehören etwa folgenden Fragen:

Was soll mit diesem Prozess erreicht werden?

Wer sind die Zielpersonen?

Welche Inhalte sollen in dem Konzept beschrieben werden?

Welche Handlungen werden angeboten?

Wer ist für was zuständig?

Möglicherweise werden die Entwicklungsprozesse, die im Rahmen der Konzeptentwicklung stattfinden, und das letztlich fertiggestellte Konzept auch zu einer späteren Zertifizierung genutzt. So kann im Rahmen des Qualitätsmanagements nachgewiesen werden, dass sich die Einrichtung dem besonderen Handlungsfeld der Palliative Care auch in besonderer Weise zuwendet.

Nach einer erfolgten Zertifizierung durch einen Visitor der KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen) kann z. B. das Deutsche Palliativsiegel »Palliativfreundliche Einrichtung« als Nachweis erworben werden. Dieses wird aktuell bevorzugt von Krankenhäusern angestrebt. Möglicherweise streben dieses Qualitätssiegel (oder auch andere spezifische Zertifizierungen) künftig auch vermehrt stationäre Pflegeeinrichtungen an.1 Schließlich ist der Nachweis einer konzeptionell erworbenen Qualität ein wichtiger Baustein der Öffentlichkeitsarbeit und der kaufmännischen Ausrichtung und kann im Vergleich zur Konkurrenz ein deutliches Plus für eine Einrichtung darstellen.

Bei der Auswahl der zu verwendenden Begriffe und Berufsbezeichnungen wird für die Pflegeperson mit einem Fachexamen in der Gesundheits- oder Krankenpflege (oder Kinderkrankenpflege) oder in der Altenpflege generell die Bezeichnung Pflegefachkraft verwendet. Hat die Pflegefachkraft zudem an einer Qualifizierungsmaßnahme gemäß § 39a SGB V (Fünftes Sozialgesetzbuch) teilgenommen, wird die Bezeichnung Palliative-Care-Expertin verwendet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege ohne Fachexamen in der Pflege werden als Pflegehilfe bezeichnet. Die Bezeichnungen gelten an dieser Stelle sowohl für weibliche als auch für männliche Personen.

Der Begriff Palliative-Care-Situation beschreibt die Phase, in der der betroffene Mensch voraussichtlich nur noch wenige Wochen, Tage oder Stunden zu leben hat. Liegt die Diagnose ICD Z 51.5 (palliativmedizinische Behandlung) vor, hat der Arzt bescheinigt, dass hier eine palliative Behandlung oder palliative Betreuung vorliegt.

Die hier erstellten Informationen beziehen sich auf das Handlungsfeld stationärer Pflegeeinrichtungen, d. h. auf Einrichtungen der stationären Altenhilfe und der Behindertenhilfe. Viele der aufgezeigten Informationen sind auf Einrichtungen der Behindertenhilfe oder auf andere Versorgungsbereiche wie der der ambulanten Pflege, auf Hospize und auf Wohngemeinschaften übertragbar.

Das vorliegende Buch soll als Grundlage verstanden werden – es enthält Hilfestellungen, Vorschläge und Hintergrundinformationen. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder darauf, allein den »richtigen Weg« zu beschreiben. Denn Konzepte lassen sich nur hinsichtlich ihrer Rahmenbedingungen von einer Einrichtung auf eine andere übertragen. Die Beschreibung konkreter Handlungen zur Umsetzung hingegen kann nur im Hinblick auf die vorhandenen Strukturen, Mitarbeiter, Zielgruppen und Bedingungen der konkreten Einrichtung und der in ihr gelebten Handlungspraxis erfolgen. Aus diesem Grund finden sich in Kapitel 4 Fragen, die dem Leser ermöglichen sollen, selbst Aussagen zur Umsetzung von Hospizkultur und Palliativversorgung in der eigenen Einrichtung konzeptionell zu erarbeiten.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern konstruktive Gedanken und ein gutes Gelingen bei der Entwicklung eines eigenen, einrichtungsspezifischen Konzepts wie auch der dort gelebten Kultur, die am Hospiz- und Palliativgedanken orientiert sind.

Duisburg, August 2016Angela Paula Löser

 

 

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1 Vgl. die umfangreiche Literatur von Prof. Wolfgang George.

1 DIE AKTUELLE SITUATION DER
STERBEBEGLEITUNG

Im Jahr 2013 starben etwa 340.000–350.000 Menschen in vollstationären Einrichtungen, und dies mit steigender Tendenz. 60 Prozent dieser Menschen starben in Krankenhäusern, 30 Prozent in stationären Pflegeeinrichtungen, 10 Prozent zu Hause (Jevon 2013: 21).

Die Gießener Sterbestudie vom 21. April 2015 belegt demgegenüber eine Zunahme der Sterbefälle in stationären Pflegeeinrichtungen. »Von den in Deutschland 2013 insgesamt 893.825 Verstorbenen wurden 419.241 (ca. 48 Prozent) in Krankenhäusern, etwa 350.000 (ca. 39 Prozent) in stationären Pflegeeinrichtungen und ca. 25.000 (weniger als 3 Prozent) in stationären Hospizen betreut.« (Transmit 2015: 2)

Die Zunahme von Single-Haushalten und Kinderlosigkeit, eine wohnortbezogene räumliche Trennung von Familienmitgliedern, die berufliche Aktivität der Frauen und der Eintritt von Pflegebedürftigkeit im hohen Alter sind hier als Gründe für die hohe Zahl an Sterbefällen in Krankenhäusern und anderen stationären Einrichten genannt. Nicht selten weisen Kinder von Pflegebedürftigen selbst schon ein Lebensalter jenseits von 65 Jahren auf, wenn die Notwendigkeit eintritt, sich um die Eltern zu sorgen. Damit sind viele Betroffene dann überfordert und nicht in der Lage, die Eltern zu Hause zu betreuen. Eine stationäre Unterbringung ist der Ausweg.

Behandlungen im Krankenhaus werden beendet, wenn die über Fallpauschalen finanzierte Behandlungszeit ausläuft. So werden alte, hochbetagte, schwer kranke und sogar sterbende Menschen oft akut in eine andere Pflegeinstitution entlassen. Nicht selten wird der Sterbende in seinen letzten Tagen und Stunden in eine stationäre Pflegeeinrichtung aufgenommen. Altenheime werden somit immer stärker zu Sterbeorten.

Viele Menschen wünschen sich, ihre letzte Lebenszeit in einem Hospiz verbringen zu dürfen, wenn aufgrund von Krankheiten belastende Symptome bestehen oder die Versorgung in der Zeit zunehmender Hilflosigkeit zu Hause nicht mehr sichergestellt ist. Das Wissen über eine hervorragende Versorgung in der letzten Lebensphase ist aufgrund der guten Öffentlichkeitsarbeit der betreffenden Einrichtungen inzwischen bekannt. Doch nicht jeder schwerkranke oder sterbende Mensch wird in einem Hospiz sterben können. Zum einen ist die Anzahl vorhandener Hospize zu gering, sodass häufig Wartezeiten bestehen. Zum anderen bestehen oftmals Aufnahmekriterien, die mit der spezifischen Klientel stationärer Alteneinrichtungen nicht immer übereinstimmen.2 Ein dritter Grund dafür, dass nur in wenigen Ausnahmefällen Bewohner aus stationären Pflegeeinrichtungen im Hospiz aufgenommen werden, besteht in der Tatsache, dass bei ihnen bereits eine 24-stündige Versorgung sichergestellt ist. Ggf. erforderliche, zusätzliche oder besondere Leistungen im Symptommanagement oder in der Betreuung sind zudem über die Verordnung von SAPV (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung) möglich.

So sterben Menschen auf der einen Seite im Hospiz, auf der anderen Seite im Pflegeheim. Dies jedoch mit unterschiedlichen Ressourcen – je nach Institution! Die Relevanz ist daher groß, eine adäquate Betreuung, Pflege, Behandlung und Versorgung, die auch den Palliativgedanken einschließt, institutionsunabhängig anzubieten. Es ist notwendig, die meist gute hospizliche Versorgung auch auf stationäre Pflegeeinrichtungen zu übertragen. Die Achtung vor der Würde des Menschen gebietet es, dass jeder – unabhängig von der Institution, in der er versorgt wird – beachtet und in seinem Sterben auf eine menschliche Weise begleitet wird. Es muss alles getan werden, dass er bis zum Schluss gut leben und in Würde sterben kann.

Die Begründerin der modernen Hospizbewegung Cicely Saunders hat seit der Entstehung des ersten Hospizes Mitte des 20. Jahrhunderts in London eine Vorstellung in die Welt getragen, wie die Ziele einer guten Sterbebegleitung erreicht werden können. Sie sind heute nach wie vor aktuell und Grundlage der folgenden Darstellungen!

1.1 Stationäre Pflegeeinrichtungen als erweiterte Hospize

Neben den stationären Hospizen wurde in Deutschland in der Vergangenheit bereits eine ambulante Hospizversorgung ausgebaut. Im Jahr 2009 wurde beispielsweise die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) in das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V) aufgenommen, um Menschen in Palliativsituationen durch eine verbesserte Versorgung, Pflege und Betreuung im eigenen häuslichen Bereich ein menschenwürdiges und möglichst lebenswertes Leben zu ermöglichen. Entsprechende Leistungen werden als zusätzliche Angebote erbracht. Das sind etwa Versorgungen von Portsystemen, kurzfristige Umstellungen der Schmerztherapie, zusätzliche Betreuung. Als dritte Säule – neben Hospiz und ambulantem Bereich – geht es jetzt darum, auch in den stationären Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe und Behindertenhilfe geeignete Strukturen und Strategien aufzubauen. Dabei sind die Ziele von Hospizversorgung und Palliativgedanken anzustreben und möglichst umzusetzen. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass die Angebote von Hospizen nicht vollständig erreicht werden können, da insbesondere unterschiedlich personelle und strukturelle Voraussetzungen bestehen.

Stationäre Einrichtungen der Altenpflege und Behindertenhilfe bieten bereits durch ihre Unternehmensformen eine 24-stündige Versorgung an. Die besondere, ergänzende Palliative Care soll weitgehend bei ihnen durch einerseits eigene Mitarbeiter und andererseits auch durch Vernetzung mit Kooperationspartnern außerhalb der Einrichtung sichergestellt werden. Es geht also um eine Orientierung an den hervorragenden Versorgungsleistungen des Hospizes und um die Entwicklung einer Kultur, die den Hospizgedanken als Philosophie beinhaltet. Sterbenden Menschen in stationären Einrichtungen soll eine möglichst gute Palliativversorgung angeboten werden können. Entsprechende Vorgaben und Informationen zu den Zuständigkeiten und Vergütungen finden sich im HPG (Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung von 2015).

1.2 Hochbetagte Menschen mit komplexen Krankheits- und Symptombildern

In den stationären Einrichtungen der Altenhilfe finden sich Menschen mit den unterschiedlichsten Krankheits- und Symptombildern. Erschwerend zeigen sich hier multimorbide Krankheitsbilder, bei denen mehrere verschiedene Krankheiten parallel bestehen. Zum Teil verstärken oder bedingen sich diese Erkrankungen gegenseitig oder zeigen veränderte Symptombilder.

Gerontopsychiatrische Erkrankungen zeigen sich bei bis zu 80 Prozent aller aufgenommenen Betroffenen. Hierbei kommt es nicht nur zu Denk-, Orientierungs-, Wahrnehmungs- und Handlungseinschränkungen, sondern auch zu erheblichen Veränderungen der Kommunikationsfähigkeit. Daraus resultieren spezifische Probleme: Der Betroffene nimmt seine Situation ggf. verändert wahr und kann die Veränderungen häufig auch nicht einschätzen und angemessen handeln bzw. seine Bedürfnisse und Probleme sprachlich mitteilen (vgl. Buchmann 2007; Kostrzewa 2010).

Auch in den Einrichtungen der Behindertenhilfe findet sich eine spezifische Klientel. Oftmals über lange Zeiträume sind Menschen mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen in einem Umfeld versorgt, das für sie die Merkmale eines Zuhauses trägt. Hier kann es ebenfalls – je nach Art und Schweregrad der Behinderung – zu gleichen oder ähnlichen Veränderungen kommen wie bei Menschen mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen.

Für beide Klienten-Gruppen sind spezielle Angebote erforderlich und Menschen, die ihre besondere Lage erkennen und entsprechend handeln.

1.3 Veränderungen in den Familien

Eine Sterbebegleitung findet heute nicht mehr in der Familie statt. Das war vor wenigen Jahrzehnten noch der Normalfall. Doch das Zusammenleben der Menschen verschiedener Generationen in einem Haus ist heute selten geworden. Selbst das Inder-Nähe-Leben der Familienmitglieder wird immer seltener: Eltern und Kinder leben oftmals in unterschiedlichen Städten, teils sogar in unterschiedlichen Ländern. Dies sind die Folgen einer globalisierten Welt und von modernen Arbeitsbedingungen, in denen insbesondere auch eine örtliche Flexibilität vorausgesetzt wird. Ferner sind viele erwachsene Kinder durch eigene Berufstätigkeit und die der Partner häufig nicht in der Lage, sich im familiären Umfeld um die alten, kranken Eltern zu kümmern. Diese Aspekte führen im Alter, bei Krankheit oder im Sterben oftmals zu einer Einweisung in eine Einrichtung. Dazu kommt die sogenannte Singularisierung, das Allein-Leben in Singlehaushalten und kleinen Wohnungen, in denen nicht ohne weiteres ein Pflegebett untergebracht werden kann.

Nicht selten berichten Angehörige, dass sie aufgrund mangelnder Erfahrungen auch Angst davor haben, den Vater, die Mutter oder einen anderen sterbenden Menschen zu begleiten. Den Erfahrungsraum, den die Menschen oftmals früher schon in der Sterbebegleitung als Kind unter dem Schutz der vorangehenden Generation von Eltern, Tanten oder anderen Verwandten erlebten, gibt es vielfach nicht mehr. So entwickeln sich im Erwachsenenalter nicht selten Angst vor einem falschen Handeln und Unsicherheit vor den sich zu stellenden Anforderungen in der Sterbesituation.

Die Pflege und die Versorgung Sterbender wurden daher in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Institutionen delegiert.

1.4 Veränderte Anforderungen an Pflegemitarbeiter

Während vor 30 Jahren die Anforderungen an einen Mitarbeiter in einer Altpflegeeinrichtung eher darin bestanden, ältere Menschen zu betreuen, zu pflegen und zu beschäftigen, sind heute weitreichendere Kompetenzen vonnöten: etwa medizinisches Symptommanagement, intensive Betreuung und Begleitung der Pflegebedürftigen, Anleitung und Beratung von Angehörigen. Die aktuell erforderliche Pflege zielt gleichzeitig ab auf

die medizinisch-pflegerischen Probleme und Erfordernisse sowie

die psychosozialen und spirituell-religiösen Anliegen der Betroffenen und Angehörigen.

Es wird ein umfangreiches Wissen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen und über mögliche prophylaktische, behebende oder lindernde Maßnahmen im Kontext der sich entwickelnden Krankheiten und Symptombilder verlangt.

Die Pflege und Versorgung am Ende des Lebens benötigen verschiedene Akteure und umfassende Angebote verschiedener Organisationen, damit ein gutes Leistungsangebot für den Menschen am Ende seines Lebens besteht. Es geht u. a. darum, dass er während der letzten Lebenstage möglichst nicht noch in ein Krankenhaus verlegt wird. Daraus entwickelten sich in den letzten Jahren Kompetenzanforderungen an Pflegende, die Handlungsakteure in einem umfassenden Versorgungsnetzwerk zu koordinieren und die bestmögliche Versorgung eines Menschen zu erreichen.

Die Vorgaben zur Regelung sind entsprechend des HPG von 2015 bis zum 30. Juni 2016 umzusetzen (vgl. HPG § 87 Abs. 1b: 2115). Da heißt es:

»Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen vereinbaren im Bundesmantelvertrag erstmals bis spätestens zum 30. Juni 2016 die Voraussetzungen für eine besonders qualifizierte und koordinierte palliativmedizinische Versorgung. Im Bundesmantelvertrag sind insbesondere zu vereinbaren:

1. Inhalte und Ziele der qualifizierten und koordinierten palliativmedizinischen Versorgung und deren Abgrenzung zu anderen Leistungen,

2. Anforderungen an die Qualifikation der ärztlichen Leistungserbringer,

3. Anforderungen an die Koordination und interprofessionelle Strukturierung der Versorgungsabläufe sowie die aktive Kooperation mit den weiteren an der Palliativversorgung beteiligten Leistungserbringern, Einrichtungen und betreuenden Angehörigen,

4. Maßnahmen zur Sicherung der Versorgungsqualität.«

Die Mitarbeiter sollen den einzelnen Schwerkranken oder Sterbenden einerseits in seiner Individualität beachten, andererseits bei der Auswahl und Anwendung von Maßnahmen seine Selbstbestimmung anerkennen. Gleichzeitig sollen sie zahlreiche Vorschriften, Richtlinien und Empfehlungen einhalten. Sie stehen nicht selten im Spannungsfeld der Vorstellungen verschiedener Handlungsakteure und werden hier als Moderatoren für Kommunikationsprozesse gefordert. Die Vorstellungen des sterbenden Menschen müssen künftig stärker beachtet werden. Dies soll durch eine »Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase« erreicht werden, die mit dem Betroffenen, dem Arzt, ggf. Angehörigen und Betreuer gemeinsam erstellt wird (vgl. HPG 2015 § 132: 2116).

Mitarbeiter in den Einrichtungen müssen ein umfangreiches fachliches Wissen haben, ein hohes Maß an Empathie, Managementkompetenz und die Fähigkeit mitbringen, sich in jeder Situation neu zu orientieren. Sie müssen in der Lage sein, aus den gegebenen Möglichkeiten geeignete auszuwählen und diese dann zur Anwendung zu bringen.

Einrichtungen der Behindertenhilfe erleben die Veränderungen der Zeit auch insofern, dass Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen heute dank der medizinischen Versorgung ohne Weiteres ein höheres Lebensalter erreichen können. Dadurch stehen die Akteure dieser Institutionen vor ähnlichen Anforderungen wie die stationäre Altenhilfe. Das passende Palliativkonzept kann beiden Einrichtungsformen zur Orientierung dienen.

1.5 Entstehung neuer Netzwerkpartner und
Kooperationsleistungen

Wo vor wenigen Jahren in der Sterbebegleitung der Hausarzt, Fachärzte im Bedarfsfall, Mitarbeiter und Strukturen des Krankenhauses und die Mitarbeiter der verschiedenen Pflegeeinrichtungen die Behandlung, Betreuung und Versorgung der Betroffenen sicherstellten, entwickeln sich zunehmend weitere Organisationseinheiten und Partner für die Unterstützung im Palliative Care. Die wichtigsten sind hier kurz vorgestellt.

SAPV

Bereits 2009 wurde die Grundlage für die SAPV (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung) im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) verankert (BMJV 2009: SAPV). Versicherten kann damit eine zusätzliche Betreuung und Versorgung angeboten werden. Voraussetzung dafür ist die Bescheinigung der Notwendigkeit vom Arzt. Auch für Menschen in stationären Pflegeeinrichtungen kann diese Leistung verordnet und zusätzlich durch die Krankenversicherung finanziert werden. Indikationen hierfür wären z. B. die Notwendigkeit, eines intensiven Symptommanagements, etwa bei Menschen, deren Symptome sich schnell ändern und/oder bei denen bislang keine zufriedenstellenden Ergebnisse in der Symptomlinderung erzielt werden konnten. Eine weitere mögliche Indikation wäre: Bei einem erheblichen Betreuungsaufwand im psychosozialen oder spirituellen Bereich können entsprechende Angebote nicht allein durch die stationären Pflegeeinrichtungen sichergestellt werden.

Palliativnetze

Palliativnetze stellen spezifische Versorgungseinheiten dar, die eine palliativmedizinische Versorgung sicherstellen sollen. In einem Palliativnetz schließen sich mehrere Palliativmediziner zu einem Verbund zusammen und ermöglichen so eine 24-stündige Ansprechbarkeit und ein kontinuierliches palliativmedizinisches Versorgungsangebot bei medizinischen Problemen oder Fragestellungen. Zum Teil werden auch SAPV-Leistungen direkt über das Netzwerk angeboten und organisiert oder über deren Ärzte verordnet.

Durch die permanente Möglichkeit, einen im Bereich von Schmerztherapie und Palliativversorgung spezialisierten Arzt erreichen zu können, lassen sich erforderliche Therapien frühzeitig organisieren. Eine Einweisung ins Krankenhaus wird so oft überflüssig. Zudem haben Pflegende in den Einrichtungen einen Ansprechpartner, den sie bei Unsicherheit, Fragen, neuen Erkenntnissen und Hilfebedarfen direkt kontaktieren und das weitere Vorgehen besprechen können. Mitarbeiter in den Einrichtungen werden hier zu Netzwerkkoordinatoren: Sie managen die Aktivitäten der einzelnen Handlungsakteure. Ein umfangreiches Wissen zur Netzwerkarbeit und die Kompetenz, diese zu koordinieren, werden erforderlich.

1.6 Geforderte Integration von Hospizgedanken
und Palliativkultur

Politisch gewollt und nun auch durch das sogenannte Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) gefordert, sollen die stationären Pflegeeinrichtungen eine entsprechende palliative Kultur entwickeln und die geforderten Voraussetzungen und Handlungen veranlassen. Dafür ist die Kompetenzentwicklung bei den Mitarbeitern erforderlich, damit die Gestaltung der systematischen Prozessabläufe initiiert und das angestrebte Handeln schließlich prozessgeleitet umgesetzt wird.

Es gilt, einen Wandel in den »Köpfen« der Mitarbeiter loszutreten, damit sie

veränderte Handlungsziele für Menschen in den letzten Lebensphasen annehmen können,

Vorstellungen loslassen können, alles zu tun, damit die verlängerte Lebenszeit als alleiniges Merkmal zählt (ohne hierbei immer eine geeignete Lebensqualität erzielen zu können),

die verstärkte Integration des Betroffenen in alle Entscheidungen mittragen und

die absolute Ausrichtung an seinem Wohlbefinden akzeptieren können.

Erst der Wandel in den Köpfen wird einen Wandel im Handeln möglich machen. Entsprechende Prozessabläufe sind daher zu beschreiben. Dieses wird auch durch das HPG gefordert (vgl. BMG HPG 2015).

 

 

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2 Mögliche Aufnahmekriterien für Heimbewohner sind laut HPG bis spätestens 31. Dezember 2016 neu zu regeln (HPG v. 01.12.2016: 2114).

2 DIE ZIELE BEI DER IMPLEMENTIERUNG DES HOSPIZ- UND PALLIATIVGEDANKENS

Bereits Cicely Saunders, die Begründerin des ersten Hospizes in London vor mehr als 60 Jahren, forderte: »Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.«3

Am Lebensende wird die nun verbleibende Zeit zur wichtigsten Ressource dieses Menschen. Diese Zeit soll so gut gelebt werden können, wie es eben geht. Wenn der nahende Tod unabwendbar geworden ist, zählt nicht die Verlängerung der verbleibenden Lebenszeit, sondern ihre Qualität. Jetzt wird es wichtig, dafür zu sorgen, dass die Lebensqualität des Betroffenen weitgehend erhalten bleibt oder wiederhergestellt wird. Er soll in der Lage sein, die Dinge und Aufgaben zu tun und zu regeln, die ihm wichtig sind. Das Ziel allen Handelns besteht darin, ein »gutes Sterben« bzw. einen »guten Tod« zu ermöglichen.

Auch in Zukunft wird es nicht genügend Hospizplätze für alle Sterbenden geben können. Pflegeeinrichtungen sind daher aufgefordert, die Philosophie des Hospizgedankens aufzunehmen und daran angelehnt entsprechende Kultur und Konzepte zu entwickeln, mit denen die Umsetzung der palliativen und hospizlichen Handlungen gelingen kann. Leistungen, die innerhalb der Einrichtung nicht angeboten werden können, sollten aus einem Netzwerk heraus ermöglicht werden – sie gilt es dann »einzukaufen« bzw. über Kooperationen abzubilden. Etwaige Versorgungslücken können so geschlossen und Versorgungsunterschiede zum Hospiz bestmöglich ausgeglichen werden.

Die folgenden vier Ziele, die sich aus der WHO-Definition zum Palliative-Care-Begriff ergeben, sind bei allen Entwicklungsschritten anzustreben:

1. Der Betroffene kann so lange wie möglich selbstbestimmt und unter der Beachtung seiner individuellen Bedürfnisse und Entscheidungen leben.

2. Symptome, die sein Wohlbefinden einschränken, sind weitgehend verhindert oder weitgehend reduziert.

3. Soziale Beziehungen sind gestärkt, können weiter gelebt werden. Der Betroffene und sein Angehöriger fühlen sich nicht alleingelassen.

4. Der Betroffene und sein Angehöriger fühlen sich in ihrer Trauer begleitet und unterstützt.

2.1 Ziele auf der Ebene des Betroffenen

Der Betroffene ist immer als zentrale Hauptperson zu sehen. Er ist hier Intentionalitäts- und Handlungszentrum. Alle Entscheidungen und Handlungen werden immer unter der Beachtung seiner Bedürfnisse, Ziele und Entscheidungen durchgeführt. Dieses wird später unter dem Begriff der »Radikalen Orientierung am Sterbenden« in Kap. 5.3.1 erläutert.

Sämtliche anzustrebenden Ziele sind aus seiner Perspektive zu klären:

Ein gutes Sterben und ein guter Tod sind weitgehend ermöglicht. Der Betroffene kann selbst entscheiden, was er möchte oder nicht, er spürt am ehesten, was ihm gut tut oder nicht.

→ Untersuchungen hierzu belegen, dass die Ziele eines guten Sterbens und eines guten Tods unmittelbar mit der Selbstbestimmungsmöglichkeit verbunden sind. Das Selbstbestimmungsrecht ist so weit zu beachten, wie das innerhalb juristischer Rahmenbedingungen möglich ist. Auch bei einem kognitiv eingeschränkten Menschen ist anhand von Mimik, Gestik und Reaktion zu erkennen, ob er in eine Handlung einwilligt oder nicht. Durch »abwägende Gespräche« mit dem Betroffenen kann ihm auch in gefährlichen oder sogar lebensbedrohlichen Situationen die Möglichkeit gegeben werden, dieses Selbstbestimmungsrecht auszuüben (vgl. BMG 2015. Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen: 10). Ein gemeinsamer Aushandlungsprozess ist geeignet, wenn der Betroffene zu diesem Recht kommen soll.

Die möglichst weitgehende Freiheit von belastenden Symptomen ist die Voraussetzung für den Betroffenen, sein Leben in Ruhe zu bedenken und einen guten Abschluss für sich zu finden.

Ausschließlich Maßnahmen, die das Wohlbefinden des Betroffenen erhalten, wiederherstellen oder steigern, sind geboten und werden nach seiner Einwilligung durchgeführt. Alle Maßnahmen, die die Lebensqualität eher behindern oder reduzieren, werden geprüft und ggf. abgesetzt oder zeitweise unterlassen.

→ Dabei müssen die Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Wohlbefindens des Betroffenen geprüft werden, wenn die Maßnahme unterlassen wird.

Die körperlichen, psychischen, sozialen, spirituell-religiösen Bedürfnisse und Beschwerden des Betroffenen werden beachtet. Der Betroffene erhält entsprechende Angebote.

Der Betroffene fühlt sich bis zum Schluss (bis zu seinem Tod) sozial integriert und erfährt menschliche Unterstützung. Betreuungsleistungen und spirituelle Angebote orientieren sich an seinen Bedürfnissen und an seiner individuellen Biografie.

Eine Krankenhauseinweisung in den letzten Tagen und Stunden sollte verhindert werden. Der Betroffene kann gemäß seiner eigenen Bedürfnisse in der Einrichtung (oftmals als sein Zuhause verstanden) verbleiben, wenn er dort gut versorgt ist.

Die erforderlichen Bedingungen, die für den Sterbenden ein möglichst »gutes Sterben« und schließlich einen »guten Tod« ermöglichen sind erkannt und hergestellt.

Im Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung (HPG) vom 01.12.2015 finden sich neue Regelungen, mit denen die Gesamtversorgung für Menschen auch in stationären Pflegeeinrichtungen deutlich verbessert werden soll.

2.2 Ziele auf der Ebene der Angehörigen und anderer
Bezugspersonen

Oftmals sind Angehörige, Betreuer oder andere Bevollmächtigte in mehrfacher Weise an Entscheidungen und Handlungen beteiligt. Insbesondere wenn der Betroffene nicht oder nicht mehr selbst entscheiden kann, werden sie in Entscheidungsprozessen zu seinem Stellvertreter, nehmen seine Rolle ein. Dies beginnt bereits bei der Auswahl einer geeigneten Einrichtung, bei Entscheidungen zu anzustrebenden Versorgungszielen und zu den erforderlichen Handlungen.

Als Abschiednehmende und Trauernde sehen Angehörige aber auch den möglichen, baldigen Verlust des lieb gewonnen Menschen. Sie streben aus dieser Trauer heraus vielleicht Handlungen an, die ausschließlich einer Lebensverlängerung oder dem Erhalt bislang gewohnter Zustände oder Aktivitäten dienen. Sie bewerten aufgrund eigener Einstellungen die Versorgungsleistungen und legen oftmals andere Maßstäbe zugrunde, als der Betroffene selbst. Hier bedarf es eines Perspektivenwechsels. Auch hat der Betreuer laut Betreuungsrecht so zu entscheiden, wie es dem mutmaßlichen Willen des Betroffenen entspricht und nicht seinem eigenen.4 Dieses immer einzuhalten, ist für die Angehörigen schwierig – Verstand und Gefühl, Kopf und Seele würden vielleicht unterschiedliche Entscheidungen treffen wollen.

Gleichzeitig gilt der Angehörige ebenfalls als Betroffener. Auch für ihn soll es geeignete Maßnahmen in den Einrichtungen geben, damit er diese schwere Zeit bewältigen kann (vgl. Arbeitshilfe 1, Angehörigenarbeit, S. 118 ff.).

Ein geeignetes Palliativ-Konzept kann hier genutzt werden, um die folgenden Ziele zu erreichen:

Der Angehörige oder Betreuer, der einen Heimplatz sucht, hat die Möglichkeit, sich bereits vor der Aufnahme oder dem Einzug des Betroffenen einen Eindruck über die Zielsetzungen und Angebote der Einrichtung sowie ihrer Netzwerkpartner im Verbund zu machen und zu prüfen, ob sie mit den eigenen Erwartungen übereinstimmen.

Der Angehörige erkennt, dass aktive Sterbehilfe in der Einrichtung keine Anwendung findet, dass aber im Rahmen vorhandener Versorgungsmöglichkeiten alles getan wird, um die Bedürfnisse des Sterbenden soweit und so gut wie möglich zu erfüllen. Er erkennt, dass der Blickwinkel auch auf potenzielle Probleme gelegt wird und diese durch geeignete prophylaktische Maßnahmen möglichst verhindert werden.

Er erkennt, dass er in seiner spezifischen Betroffenheit als Abschiednehmender, Helfender und Trauernder auch wahrgenommen wird und er auf Angebote zur Begleitung, Betreuung und Unterstützung vertrauen kann. Er kennt entsprechende Angebote der Einrichtung.

2.3 Ziele auf der Mitarbeiterebene

Die Mitarbeiter in den Einrichtungen, die die Leistungen erbringen, bringen heute ein hohes Maß an Kompetenz, menschlichen Beziehungen und Fürsorge in den Versorgungsprozess ein. Sie sind für die Steuerung hochkomplexer Prozesse verantwortlich. Diese Prozesse sollen strukturiert, systematisch geplant und im Rahmen von Konzept und Prozessdokumentation aufgezeigt werden.

Die Entwicklung von Konzepten und Prozessbeschreibungen dient somit der Entwicklung einer angestrebten Qualität, der Prüfung ihrer Umsetzung und Erreichung wie auch der systematischen Weiterentwicklung der einzelnen Mitarbeiter.

Die Entwicklung einer entsprechenden Hospizkultur – im Sinne von Werten und Vorstellungen, die ein bestimmtes Handeln ermöglichen – ist die Voraussetzung für die Umsetzung der konzeptionell entworfenen und beschriebenen Handlungen. Beide Prozesse, Kultur- und Konzeptentwicklung, sind miteinander zu verknüpfen. In der Konzeptentwicklung und -umsetzung werden Werte überprüft und ggf. angepasst. In der gemeinsamen Diskussion über die Begründungen und Ergebnisse des angestrebten Handelns wird eine Einschätzung der Machbarkeit, Sinnhaftigkeit und der Güte der erstellten Konzeptionen vorgenommen. Mittels späterer Überprüfungen (z. B. Pflegevisiten, Fallbesprechungen usw.) kann dann kontrolliert werden, ob die beschriebenen Prozesse bezüglich der zugrunde liegenden Wertvorstellungen angewendet wurden.

Die oftmals schon vorhandenen, enormen Leistungen der Mitarbeiter, die sich aus ihrer grundlegenden Einstellung zur Palliative Care, durch ihre spezifischen Persönlichkeiten und durch vorhandenes Wissen ergeben, werden durch die Konzeptentwicklung in Diskussionen externalisiert (nach außen getragen) und nachweisbar dargestellt. Pflegende erkennen die Berechtigung ihrer Grundwerte und Handlungen oder erkennen, dass eine Weiterentwicklung erforderlich ist.

Als zurzeit problematisch erweist sich der Umstand, dass viele Leistungen einer palliativen Pflege, Betreuung und Versorgung in den stationären Einrichtungen heute noch nicht angemessen vergütet werden (können). Hier bedarf es einer dringenden Anpassung vonseiten des Sozialgesetzbuches. Wenngleich es im neuen Hospiz- und Palliativgesetz die Möglichkeit gibt, eine professionelle Beratung zur Versorgungsplanung am Lebensende abzurechnen, sind die die täglichen über das normale Maß hinausgehende Pflege-, Versorgungs- und Betreuungsleistungen zurzeit nicht refinanzierbar.

Auch der enorme Zeitaufwand, der für die Kommunikation und die Kooperation mit den Netzwerkpartnern, die Betreuung und Versorgung der Angehörigen (sie sind im Sterbeprozess als mehrfach Betroffene auch »bedürftig«) anfällt sowie die intensiven Handlungen im Symptommanagement sind bisher nicht im erforderlichen Umfang für die Einrichtungen zu refinanzieren. Werden diese Leistungen über zusätzliche Verordnungen von einem SAPV-Team erbracht, ist eine Finanzierung möglich. Das ist aber nicht der Fall, wenn die Mitarbeiter der Einrichtung selbst die Leistungen erbringen. Hier ist eine Veränderung dringend erforderlich!

Es lassen sich aus Mitarbeitersicht folgende Ziele definieren:

Die Zielsetzung der Palliative Care ist in der Einrichtung spezifiziert und entsprechende Handlungen zur Umsetzung sind benannt und beschrieben.

→ Hierdurch können sich Mitarbeiter von den tradierten, umfassenden, ansonsten geltenden Handlungsanweisungen lösen. Und das ohne unter der Sorge zu leiden, dass sie juristisch angreifbar sind (wenn etwa Maßnahmen der Expertenstandards keinen Sinn mehr ergeben und daher unterlassen werden).

Die Mitarbeiter wissen aufgrund der konzeptionellen Darlegung der Palliative Care, welche Inhalte sinnvoll sind. Sie kennen entsprechende Handlungen und setzen diese um.

Die besondere Situation des Betroffenen und der spezifische Versorgungsaufwand sind erkennbar. Im Konzept festgehaltene entsprechende Beschreibungen zum angemessenen Handeln stellen eine Orientierungshilfe für die Mitarbeiter dar. Das eigene Handeln kann in Gesprächen mit Angehörigen, Ärzten und anderen am Versorgungsprozess beteiligten Personen thematisiert werden.

Die Mitarbeiter entwickeln Sicherheit in der Anwendung spezifischer, auf die Zielsetzung von Palliative Care ausgerichteten Handlungen oder für eine Unterlassung (s. Arbeitshilfe 3, S. 136 ff. und Arbeitshilfe 4, S. 141 ff.).

Durch das Einbeziehen der Mitarbeiter in die Konzeptentwicklung, fühlen sie sich im Prozess der Kulturentwicklung unterstützt bzw. geachtet und wertgeschätzt.

→ Die Mitarbeiter erfahren so eine Würdigung ihrer Haltung und ihres Einsatzes.

Die Mitarbeiter erkennen, dass sie Wertschätzung und eine Absicherung ihrer Arbeit durch den Dienstgeber erhalten. Sie kennen die Ziele und Grundlagen für ihre Tätigkeit in der Einrichtung.

Aufgrund formulierter Ziele und geeigneter Handlungen können die Mitarbeiter ihre eigenen Handlungen gezielt planen, organisieren, evaluieren und anpassen.

→ Das Konzept dient ihnen hierbei als Orientierungshilfe in der Umsetzung des PDCA-Zyklus’.

Das Konzept wird bei Schulungen, Praxisanleitungen, Reflexionen oder Teamgesprächen als Anleitungs- oder Reflexionshilfe genutzt. Die Mitarbeiter haben einen ständigen Zugang dazu und können sich vergewissern.

Die Mitarbeiter können in Diskussionen mit prüfenden Institutionen (etwa MDK und Heimaufsicht) die Vorgehensweise der Einrichtung und der eigenen Berufsgruppe anhand konzeptioneller Vorgaben erläutern und die institutionelle Fundierung nachweisen.

2.4 Ziele auf der Ebene der Einrichtung

Immer schon wurden in stationären Pflegeinrichtungen schwer kranke und sterbende Menschen gepflegt, betreut und versorgt. Mit einem Palliativkonzept verfügt die Einrichtung über eine schriftliche Beschreibung der angestrebten Ziele für die genannte Bezugsgruppe sowie zu den entsprechenden Handlungsangeboten.

Einrichtungen profitieren, wenn die folgenden Ziele konzeptionell umgesetzt werden:

Bei Aufnahmegesprächen kann die Konzeption Interessierten vorgestellt und erläutert werden.

→ Unrealistische Erwartungen sind reduziert, die spezifische Palliative-Care-Ausrichtung ist transparent.

Einrichtungen können mit diesem Angebot werben.

Die Einrichtung verfügt über die im Hospiz- und Palliativgesetz vom 01.12.2015 (HPG) geforderten schriftlichen Prozessbeschreibungen.

In Prüfsituationen lässt sich das Konzept zur Darstellung und Begründung spezifischer Vorgehensweisen und ggf. auch bei Abweichungen von ansonsten geforderten Vorgehensweisen, z. B. in Leitlinien, heranziehen. Erklärungen werden aufgrund schriftlich fundierter Erläuterungen als generalisierbar und nicht personenspezifisch belegt.

Konzeptionelle Beschreibungen und konkrete Vorgaben werden zur Evaluation eingesetzt, die Suche nach der Best Practice ist angeregt und prozessgebunden gesteuert.

Künftig kann bei Verhandlungen und Gesprächen mit den Kranken- und Pflegekassen der besondere Aufwand gezielt erklärt und ggf. eine entsprechende finanzielle Anerkennung verhandelt werden.

2.5 Ziele im Bereich des Gesundheitswesens

Auch die Senkung von Kosten innerhalb des Gesundheitswesens ist ein Aspekt. Denn wiederholte Krankentransporte zum Krankenhaus und zurück sowie Krankenhausaufenthalte, die keine wirkliche Verbesserung des Zustandes des Betroffenen mehr ermöglichen können – ihn aber belasten und beunruhigen –, führen zu einem Anstieg von Kosten. So entstehen innerhalb des letzten Lebensjahrs die höchsten Behandlungskosten für einen Menschen. Diese sind dann gerechtfertigt, wenn sie zu einer Verbesserung seines Zustands oder empfundener Lebensqualität führen. Dies ist jedoch am Lebensende, in der Sterbephase, häufig nicht mehr möglich.5

In anderen Fällen können Ziele auch durch entsprechende Maßnahmen, die frühzeitig organisiert wurden und im Bedarfsfall schnell eingesetzt werden (siehe Kap. 5.3.2, S. 64 »Plan für alle Fälle«), in der Einrichtung umgesetzt werden. Eine fremde Umgebung, unbekannte Menschen, Belastungen durch diagnostische Maßnahmen stellen für den Betroffenen, insbesondere für Menschen mit gerontopsychiatrischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen, oftmals eher eine Belastung dar. Sie erzeugen nicht selten Angst oder andere Auswirkungen, die zu einer Einschränkung des Wohlbefindens führen.

Folgende Ziele lassen sich aus politischer Sicht formulieren:

Unnötige Krankentransporte, Einweisungen oder Verlegungen in andere Einrichtungen sind möglichst verhindert.

Aufgrund eines gezielten Symptommanagements und durch eine koordinierte Vernetzung der Leistungspartner im Netzwerk sind erforderliche Leistungen gezielt erkannt und organisiert. Doppelleistungen werden verhindert.

Aufgrund erkannter potenzieller Probleme und den daran anschließenden, organisierten Prophylaxen, sind Kosten vermieden, die bei der Behandlung komplexer oder weit fortgeschrittener Symptome entstünden.

2.6 Ziele im Bereich gesellschaftlicher Wertebildung

Im Hinblick auf die hervorragenden Angebote eines Hospizes, darf es nicht sein, dass Menschen in anderen Einrichtungen sterben, in denen sich die Anforderungen, Zielsetzungen und Handlungsangebote massiv von denen eines Hospizes unterscheiden.

Die an den Bedürfnissen des Sterbenden orientierte Kultur, wie sie sich im Hospizgedanken zeigt, muss sich künftig in einem generalisierten Werteschema aller Einrichtungen zeigen, die Schwerkranke und Sterbende versorgen. Das gilt für die dort gelebte Radikale Orientierung am Sterbenden, das umfangreiche, auf die Sicherung von Wohlbefinden ausgerichtete Symptommanagement und die Einbindung von Trauer- und Angehörigenarbeit.

Sterben und Tod dürfen als gesellschaftliche Handlungsräume nicht länger tabuisiert werden. Die letzte Lebensphase muss in das Bewusstsein eines jeden Menschen gerückt werden. So, wie alles Erdenkliche im Gesundheitswesen getan wird, wenn ein Mensch auf die Welt kommt, bedarf es mit der gleichen Wichtigkeit der spezifischen Fürsorge (Care) am Lebensende.

Hinsichtlich der Menschenwürde können konkrete Bedingungen geschaffen werden, die die besondere Haltung und Achtung des Individuums und seines Selbstbestimmungsrechts ermöglichen

Das Sterben als Phase eines jeden Lebens wird als Thema in das gesellschaftliche Bewusstsein transportiert.

Die Diskussion über das, was der Mensch in seiner letzten Lebensphase benötigt, ist angeregt.

Festlegungen zu seinem Willen, d. h. eine von ihm mitbestimmte Versorgungsplanung für das Lebensende, werden Richtmaß im Bereich des medizinischen und pflegerischen Handelns. Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen in der palliativen Phase wird stärker beachtet.

Die Rahmenbedingungen, die benötigt werden, um eine angemessene Pflege, Betreuung, Versorgung und Therapie zu ermöglichen, sind benannt und werden etwa in Beratungen thematisiert.

Die Rollen der einzelnen Handlungsakteure sind benannt und entsprechende Handlungen aufgezeigt. Kommunikation und Kooperation finden in einem demokratischen Arbeitsbündnis statt.

Möglichkeiten und Grenzen der Implementierung und Umsetzung von Hospizgedanken und Palliativversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen sind analysiert und thematisiert.

Die Diskussion um eine zusätzliche bzw. verbesserte Finanzierung der Umsetzung einer spezifischen Palliative Care in den stationären Pflegeeinrichtungen ist angeregt und findet fundiert statt. Dadurch sind geeignete Argumentationshilfen für die Verhandlungen mit Vertretern aus Politik und mit den Kostenträgern initiiert, begründet und liegen in schriftlicher Form vor.

 

 

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3 vgl. Zitate online, abgerufen am 02.06.2016

4 Der Betreuer hat die ihm übertragenen Aufgaben so zu erledigen, wie es dem Wohl des Betreuten entspricht (§ 1901 Absatz 2 BGB). Dazu gehört auch, dass nicht über seinen Kopf hinweg entschieden wird. Vielmehr müssen betreute Menschen mit ihren Vorstellungen ernst genommen werden. Es dient ihrem Wohl, wenn ihnen nicht etwas aufgezwungen wird, sondern wenn sie im Rahmen der noch vorhandenen Fähigkeiten und der objektiv gegebenen Möglichkeiten nach eigenen Wünschen und Vorstellungen leben können. (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. 07/2015, Betreuungsrecht: 14)

5 vgl. Statistisches Bundesamt in: Wirtschaft und Statistik, 07/2011: 666

3 DIE VORAUSSETZUNGEN FÜR DIE IMPLEMENTIERUNG DES HOSPIZ- UND PALLIATIVGEDANKENS

Damit der Implementierungsprozess eines Palliativkonzeptes erfolgreich verläuft, sind einige Voraussetzungen zu schaffen. Diese sind auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt, die im Folgenden betrachtet werden.

3.1 Voraussetzung 1: Ressourcen auf den Ebenen von Politik und Kostenträgern schaffen

Viele Mitarbeiter und etliche Einrichtungen leisten bereits seit Jahren eine gute Palliative Care, ohne dass dieses bisher politisch, gesellschaftlich und von den zuständigen Kostenträgern angemessen anerkannt wurde. Grundsätzlich kann der Hospiz- und Palliativgedanke nicht allein deswegen gelebt werden, weil seine Notwendigkeit gefordert wird. Es gilt, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen, um die Anerkennung und letztlich die Finanzierung dafür zu schaffen. Denn mit der spezifischen Care, die in der Umsetzung von Hospiz- und Palliativkultur erforderlich wird, entstehen umfangreiche, zeitaufwendige neue Aufgaben und höhere Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter.

Es muss zum einen durch die Refinanzierung ein finanzieller Rahmen geschaffen werden, die Mitarbeiter zu qualifizieren, die Konzeptentwicklung zu unterstützen und den Aufbau von Netzwerken auch außerhalb der Einrichtung zu ermöglichen. Zum anderen bedarf es auch der Anerkennung spezifischer Aufgaben, die über das SGB XI (Elftes Gesetzbuch) für die stationären Einrichtungen der Altenhilfe oder durch die Finanzierung über den Landschaftsverband in den Einrichtungen der Behindertenhilfe bislang nicht vorgesehen sind. Die Umsetzung von Palliative Care bedeutet oftmals mehr und auch spezifischere bzw. zeitintensivere Handlungen. Dafür findet sich keine explizite Anerkennung, z. B. bei der Bemessung des Pflegegrades. Im Kapitel 5 dieser Publikation werden die speziellen, erhöhten Anforderungen belegt (vgl. S. 48).

Die ausschließliche Finanzierung externer Zusatzleistungen, wie sie durch die SAPV und begleitende Möglichkeiten von ambulanten Hospizdiensten angeboten werden, können – quasi als Kompensationsmöglichkeiten – nicht als ausreichend angesehen werden. Denn der betroffene Bewohner sucht in seiner letzten Lebensphase häufig die Begleitung und Anwesenheit eines ihm bekannten und vertrauten Menschen an seiner Seite – also den ihn bereits länger versorgenden Mitarbeiter der Einrichtung. Außerdem kann der Bereich der Netzwerkkoordination und der Beratung nicht in jedem Fall durch externe Mitarbeiter, wie etwa durch Mitarbeiter des SAPV-Teams oder des behandelnden Arztes, gewährleistet werden. Häufig werden frühzeitig beim Auftreten einer palliativen Situation, nicht selten fast sofort, Gespräche zur Klärung und Koordination des weiteren Vorgehens mit einzelnen Netzwerkpartnern erforderlich. Diese können zeitnah nur von der Pflegefachkraft oder einer Palliative-Care-Expertin vor Ort vorgenommen werden. Sie beide gelten als »Steuermann oder - frau« des Gesamtprozesses.

3.2 Voraussetzung 2: Das Verständnis von Palliative Care
etablieren

3.2.1 Begriffsklärung Palliative Care

Der Begriff palliativ wird aus dem lateinischen palliare (= mit einem Mantel bedecken) abgeleitet und bedeutet so viel wie den Betroffenen in einen schützenden Mantel einzuhüllen. Grundsätzlich wird der Begriff verwendet, wenn Therapieziele und Maßnahmen nicht mehr kurativ ausgerichtet sind, d. h. auf Heilung, sondern der Erhaltung oder Wiederherstellung einer größtmöglichen Lebensqualität dienen.

»Palliative Care (Palliative Medizin, Pflege und Begleitung) entspricht insgesamt einer Haltung und Behandlung, welche die Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen verbessern sollen, wenn eine lebensbedrohliche Krankheit vorliegt. Sie erreicht dies, indem sie Schmerzen und andere physische, psychosoziale und spirituelle Probleme frühzeitig und aktiv sucht, immer wieder erfasst und angemessen behandelt.6

»Palliative Care:

ermöglicht die Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen;

bejaht das Leben und erkennt Sterben als normalen Prozess an;

beabsichtigt weder die Beschleunigung noch Verzögerung des Todes;

integriert psychologische und spirituelle Aspekte der Betreuung;

bietet Unterstützung, um Patienten oder anderen Betroffenen zu helfen, ihr Leben so aktiv wie möglich bis zum Tod zu gestalten;

bietet Angehörigen Unterstützung während der Erkrankung des Patienten und in der Trauerzeit;

beruht auf einem Teamansatz, um den Bedürfnissen der Patienten und ihrer Familien zu begegnen, auch durch Beratung in der Trauerzeit, falls notwendig;

fördert Lebensqualität und kann möglicherweise auch den Verlauf der Erkrankung positiv beeinflussen;

kommt frühzeitig im Krankheitsverlauf zur Anwendung, auch in Verbindung mit anderen Therapien, die eine Lebensverlängerung zum Ziel haben, wie z. B. Chemotherapie oder Bestrahlung, und schließt Untersuchungen ein, die notwendig sind um belastende Komplikationen besser zu verstehen und zu behandeln.«7

3.2.2 Palliative Care als Kultur

Palliative Care erfordert keine Technik, sondern vor allem eine bestimmte Haltung oder Einstellung des Einzelnen. Denn jegliches Handeln wird immer von den Werten des Handelnden beeinflusst. Diese sind geprägt durch Erziehung, Gesellschaft, Erfahrungen sowie etwa familiär gewachsenen Einstellungen, was unter einem guten, richtigen oder falschen, unangemessenen Handeln zu verstehen ist (vgl. Abb. 1, S. 30).

Zur Umsetzung einer geeigneten Palliative Care benötigen der einzelne Mitarbeiter wie auch das gesamte Team spezifische Wertvorstellungen, also eine gemeinsam geprägte und verstandene Kultur. Nicht selten sind sich die Menschen jedoch ihrer Werte und Normvorstellungen nicht bewusst oder ihre persönlichen Lebens- und Berufswege haben zu anderen, für die Gestaltung von Palliative Care ungeeigneten Werten geführt. Ein Beispiel dafür wäre die Annahme, dass »man doch einmal am Tag von oben bis unten gewaschen sein muss«.

Unter der Kultur von Palliative Care sind Haltungen, Werte und Vorstellungen zu verstehen, die bei den Handlungsakteuren vorhanden sind und ihre Handlungen beeinflussen. Palliative Care als Handlungskonzept bedeutet die Ausrichtung der konkreten Handlungen in der realen Praxis auf die bestehenden spezifischen Ziele. Eine entsprechende Kultur, hier als ein kollektiv verstandenes Werteschema verstanden, muss mit allen hierarchischen Ebenen und Berufsgruppen ausgebildet und schriftlich festgelegt werden, damit keine personenabhängige Qualität entsteht. Entsprechende Werte sind aus der Hospizphilosophie abzuleiten.

Im Kapitel 5 (vgl. S. 48) werden die Grundsäulen eines Palliative-Care-Konzeptes dargestellt. An diesen und den ihnen zugrunde liegenden Wertvorstellungen müssen sich alle Handlungen ausrichten. Denn erst dann folgen Behandlung, Pflege, Betreuung und Versorgung anderen Zielen als in Versorgungssituationen des „normalen“ Lebens oder solchen, die kurative Zwecke fokussieren. Daher sind auch andere Handlungen notwendig. Das bisher Übliche bedarf einer Überprüfung und muss ggf. angepasst oder gar ganz unterlassen werden.

Um dieses veränderte Vorgehen strategisch zu organisieren und gleichzeitig »aushalten« zu können, müssen notwendige Werte diskutiert, also einem Prozess der Werteentwicklung oder Werteanalyse unterzogen werden. Das ist konzeptionelles Arbeiten an einer gemeinsamen Kultur, die im Bereich der Palliative Care unverzichtbar ist.

Als zentrale Werte können angesehen werden:

Jedes Handeln orientiert sich am Betroffenen und stellt ihn in den zentralen Mittelpunkt aller Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen (s. auch Kap. 5.3.1).

Der Betroffene soll möglichst frei von für ihn belastenden Symptomen sein. Ein gutes, auf die individuelle Situation ausgerichtetes Symptommanagement ist erforderlich (s. auch Kap. 5.3.2).

Palliative Care wird in einem Team ermöglicht. Mitglieder des interprofessionellen Teams werden einbezogen, ihre Arbeit ist ebenso wichtig und wertvoll wie die eigene – Ziele werden gemeinsam angestrebt. Eine effektive Netzwerkarbeit ist erforderlich (s. auch Kap. 5.3.3).

Um die bestmögliche Versorgung und Lebensqualität für den Betroffenen zu ermöglichen, ist eine ständige Evaluation des Pflege-, Betreuungs- und Versorgungsprozesses wichtig. Daraus werden Erkenntnisse über ein gelungenes Handeln sowie über Veränderungsbedarfe generiert (s. auch Kap. 5.3.5).

Trauer und Abschied vom Leben wird als eigener Prozess aber auch als Teil des Lebens betrachtet. Die Begleitung in der Trauerarbeit wird als wichtiger Bestanteil im Versorgungsplan angesehen, damit der Sterbende sein Leben bedenken, möglichst abschließen und in Frieden sterben kann (s. auch Kap. 5.3.6).

Angehörige sind als Teil eines komplexen Systems zu verstehen, in dem der Betroffene lebt. Sie werden ebenfalls als Betroffene angenommen und erhalten Hilfe, Betreuungs- und Begleitungsangebote (s. auch Kap. 5.3.7).

3.3 Voraussetzung 3: Sich für ein Palliative-Care-Konzept entscheiden

Unter einem Konzept versteht man allgemein einen »klar umrissenen Plan, Programm für ein Vorhaben«.8 Bezogen auf den Handlungsbereich von Palliative Care sollte das Konzept einen Bezugs- und Orientierungsrahmen für die angestrebten Ziele geben – dazu gehören Hinweise und deutliche Angaben über zu erbringende oder mögliche Handlungen.

Der Aufbau von Palliative-Care-Konzepten ist in der realen Handlungspraxis hochgradig unterschiedlich. Es kann zwischen einem einseitigen Flyer, der in wenigen Sätzen die Philosophie der Einrichtung erklärt und in dem die Kernhandlungen benannt werden, und einer differenzierten Ausarbeitung differieren, in der verschiedene Bereiche handlungsleitend und ausführlich erläutert werden. Die Tabelle 1 zeigt beide Möglichkeiten und potenzielle Inhalte.

 

Tabelle 1: Mögliche Inhalte des Palliative-Care-Konzepts in differenzierter Darstellung und als Flyer

 Differenzierte, ausführliche KonzeptdarstellungFlyer oder Broschüre
1 Allgemeines und Philosophie

Klärung der Palliative-Care-Philosophie: Wie wird der Begriff in der Einrichtung verstanden?

Vernetzung mit dem Pflegekonzept

Konzeptbereiche zur Umsetzung von Palliative Care

Beschreibungen zu den Säulen der Palliative Care (s. auch Kap. 5)

Allgemeine Hinweise

Zielbeschreibung des Palliative-Care-Konzepts

2 Radikale Orientierung am Sterbenden

Beachtung der Vorstellungen des schwerkranken/sterbenden Menschen

Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase

Vertretung der Interessen gegenüber Dritten

 
3 Symptommanagement

Konkrete Handlungen im täglichen Prozess

Symptomkontrolle – Verfahren

Kooperation mit Netzwerkpartnern

Übersicht über Angebote

Kurzbeschreibungen

4 Teamarbeit

Abbau der Hierarchie

Konkrete Prozesse zur Arbeit im Team

 
5 Netzwerk und Interdisziplinarität

Kooperationsvereinbarungen

Fallbesprechungen/Ethische Fallbesprechungen (Inhalte könnten auch unter Punkt 2 oder 3 dargestellt werden)

 
6 Qualitätsmanagement

Spezifische Prozesse

Tägliche Auswertung und Evaluation

Evaluation nach dem Tod des Betroffenen

 
7 Angehörigenarbeit

Konkrete Formen und Angebote

 
8 Trauerbegleitung

Lebensbegleitende Trauerarbeit

Begleitung von trauernden Angehörigen

Begleitung und Angebote zur Trauerbegleitung von anderen Bewohnern

Trauerbegleitung im Team

 
9 Extras In einem separaten Ordner zu hinterlegen sind:

Arbeitshilfen als Prozessbeschreibungen

Ggf. Formulierungshilfen

Kooperationsvereinbarungen

Ggf. Formulare, Dokumente, Checklisten

Versorgungsplanung für das Lebensende

Dokumente und Ausfüllhilfen zur Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsvollmacht

Formulare zur Fallbesprechung und Ethischen Fallbesprechung

Formulare zur Pflegevisite

Ggf. Dokumente über Informationen von Netzwerkpartnern

Ggf. Hinweise zur Erarbeitung und Implementierung des Konzepts

Ggf. Verweise auf Quellen für weitere Informationen

3.3.1 Das Palliative-Care-Konzept als gemeinsame Orientierungshilfe und Handlungsgrundlage

Obwohl sich die Mitarbeiter in stationären Pflegeeinrichtungen immer schon den Anforderungen der Pflege, Betreuung und Versorgung auch schwerkranker und sterbender Menschen gestellt haben, ist die nun angestrebte, spezifische Palliative Care oftmals eine neue oder erweiterte Anforderung.

Nicht mehr schwerpunktmäßig personenabhängig, sondern geplant, systematisch und in der Handlungsanwendung auf die spezifischen Ziele von Hospizgedanken und Palliativversorgung ausgerichtet, erarbeiten die Einrichtungen ein Konzept, in dem ihre gemeinsame Kultur und die von ihnen zu erbringenden Leistungen dargestellt werden. Das entsprechende Palliative-Care-Konzept bildet die Handlungsgrundlage der zukünftigen Versorgung und Alltagspraxis. Ferner kann es beispielsweise bei Einstellungsgesprächen, in der Praxisbegleitung von Auszubildenden sowie in der Außendarstellung der Einrichtungen genutzt werden. Die im Konzept beschriebenen Ziele und die dargestellten Handlungen geben somit einen Orientierungs- und Handlungsrahmen für Menschen vor, die sich mit der Palliative-Care-Philosophie auseinandersetzen. Auch bei Gesprächen mit den Angehörigen, bei MDK-Qualitätsprüfungen oder bei Verhandlungen mit den Kostenträgern kann es genutzt werden. Durch fortlaufende Soll-Ist-Vergleiche – im Rahmen des Qualitätsmanagements (z. B. bei der Evaluationen von Pflege- und Betreuungsprozessplanungen oder Audits) – wird schließlich ein Vergleich der angestrebten Strategien mit den tatsächlichen Ergebnissen vorgenommen und so ein kontinuierlicher Prozess der Qualitätsentwicklung angestoßen. Als Endergebnis kann sich die Einrichtung zertifizieren lassen. Grundlage dafür ist, dass die Bedingungen und Forderungen der Palliative-Care-Philosophie einerseits konzeptionell beschrieben und andererseits in der realen Handlungspraxis nachgewiesen sind.

Konkrete Konzeptbestandteile lassen sich insbesondere in den Kapiteln 5.1–5.5 nachvollziehen.

3.3.2 Die Entwicklung und Implementierung
des Palliative-Care-Konzepts

Konzepte stellen immer die konkrete Beschreibung eines Plans dar, hier der Gestaltung und Umsetzung von Palliative Care. Ein solcher Plan kann immer nur für eine bestimmte Einrichtung oder Organisation erarbeitet werden, da die vorhandenen Strukturen und Prozesse häufig von speziellen Bedingungen abhängig sind oder zumindest durch diese beeinflusst werden. Große Träger mit mehreren Einrichtungen erstellen ggf. ein generelles Konzept, das dann in Teilbereichen individuell an die einzelne Einrichtung angepasst oder erweitert werden kann.

Es soll jedoch nicht nur pragmatisch ein Konzept erstellt werden. Vielmehr ist parallel gleichsam die Entwicklung einer spezifischen Haltung bei den Mitarbeitern anzustreben, es soll also eine Palliativ-Kultur entstehen. Im Diskurs um die Thematik, um die Besonderheiten der Zielgruppe, um die anzustrebenden Ziele und Maßnahmen sollen die Mitwirkenden ihre eigenen Haltungen reflektieren. Es gilt, die den eigenen Entscheidungen und Handlungen zugrunde liegenden Werte zu erkennen, zu bewerten und ggf. anzupassen.

Menschen setzen Neuerungen eher um, wenn sie sich selbst dafür entscheiden oder die Vorgaben nachvollziehen können. Sind sie an der Entwicklung von Konzepten beteiligt, leben sie es eher. Eine solche Beteiligung wird innerhalb von Bottom-up-Verfahren umgesetzt (s. Kap. 6.1.1, S. 108). Konzepte, die ausschließlich in der Führungsebene entwickelt und dann an die Mitarbeiter verordnet werden, bleiben oftmals unbeachtet.

3.4 Voraussetzung 4: Grenzen erkennen

3.4.1 Personelle und strukturelle Grenzen

In weiten Teilen kann die Implementierung des Hospiz- und Palliativgedankens (s. WHO-Definition in Kap. 3.2.1, S. 27 f.) in den stationären Einrichtungen als realistisch eingeschätzt werden. Dennoch lassen sich auch Grenzen erkennen. Nicht zu leugnen ist, dass gravierende Unterschiede im Bereich der personellen Ressourcen zwischen einem Hospiz und einer stationären Pflegeeinrichtung bestehen. Im direkten Vergleich hat eine Pflegefachkraft in einer stationären Pflegeeinrichtung in der Regel eine vielfach höhere Anzahl an Menschen zu versorgen. Allein dieser Umstand lässt erkennen, dass die Anwesenheit der Pflegefachkraft beim einzelnen Menschen zeitlich begrenzt, dass ihre Aufmerksamkeit auf eine deutlich größere Bezugsgruppe gerichtet und der aufzubringende Zeitraum für Organisations- und Managementaufgaben, für bürokratische Handlungen, deutlich größer ist. Auch im Bereich vorhandener Strukturen im Sinne von Zimmer, Zimmerausstattung und Hilfsmitteln kann es Unterschiede geben. Es ist somit wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass die Orientierung am Hospizgedanken immer nur die entsprechende Ausrichtung einer Pflegeeinrichtung haben kann und keine vollständige Übertragung.

Nicht genügend in Palliative Care qualifizierte Mitarbeiter in der Einrichtung erschweren den Prozess der Implementierung ebenso wie die oftmals nicht erfolgende Schaffung von Zeitfenstern, in denen Palliative-Care-Expertinnen in ihrer beratenden, anleitenden und organisierenden Funktion tätig werden können. Insbesondere wenn sie ihre Aktivitäten bereichsübergreifend wahrnehmen sollen, sind die folgenden Fragen zu klären:

Welche Aufgaben haben sie?

Wann, in welchen Zeitfernstern kann oder sollen sie diese ausführen?

Wo beginnen Verantwortlichkeit und Zuständigkeit der übrigen Mitarbeiter?

Werden nur einzelne Mitarbeiter qualifiziert und folgend diese Fragen nicht geklärt, bleibt es häufig beim Vorsatz der Implementierung.

Ein weiteres Hemmnis entwickelt sich, wenn sich Prüfer der verschiedenen Prüfinstanzen, Leitungskräfte der stationären Einrichtungen oder die Handelnden im Bereich von Pflege, Betreuung und Versorgung nicht immer wieder neu an den Fragen orientieren, was jetzt wichtig, richtig und zielführend ist und welche Handlungen vielleicht auch besser unterlassen werden sollten. Dann besteht die Gefahr, dass es bei tradierten Entscheidungs- und Handlungsschemata bleibt.

3.4.2 (An)Erkennen der Situation

Beim Einzug in ein Hospiz wissen der Betroffene, seine Angehörigen und der Arzt, der die Hospizbedürftigkeit bescheinigt hat, dass es sich um eine Palliativsituation handelt. Der Betroffene und sein Umfeld wissen, dass er sich am Lebensende befindet. Bei Aufenthalten in stationären Pflegeeinrichtungen sowie in Einrichtungen der Behindertenhilfe wird die zum Teil geringe Lebenserwartung des einzelnen Menschen, die Palliative-Care-Bedürftigkeit und -Notwendigkeit nicht immer erkannt. Darin besteht eine weitere Begrenzung. Denn vielfach wird weiterhin eine Lebensverlängerung fokussiert, anstatt die Zielsetzung therapeutischer Maßnahmen nun unter dem Blickwinkel von Lebensqualität zu sehen. Wollen oder können einzelne Akteure nicht erkennen, dass es sich um die letzte Lebensphase eines Menschen handelt, werden möglicherweise Maßnahmen ergriffen, die überflüssig oder sogar ungeeignet sind, während andere, sinnvolle Ziele und Schritte aus der Palliative Care nicht umgesetzt werden.

3.4.3 Finanzielle Grenzen

Lehnen dann noch die Kostenträger die Kostenübernahme für spezifische Maßnahmen ab, wie etwa für Hilfsmittel, die zur Sicherung des letzten Wohlbefindens sinnvoll wären, geben Angehörige oder Betreuer Geld aus dem Privatvermögen des Betreuten nicht frei und wird die Einstufung in höhere Pflegestufen/Pflegegrade nicht erkannt oder anerkannt, entstehen weitere Hemmnisse in der Gestaltung von Palliative Care.

Einen Überblick über Hemmnisse bei der Umsetzung von Palliative Care bietet die Tabelle 2, S. 36.

 

Tabelle 2: Hemmnisse bei der Umsetzung von Palliative Care (PC)

Hemmnisse bei den MitarbeiternInstitutionelle HemmnisseGesellschaftliche Hemmnisse

Keine Kenntnisse über das PC-Konzept

Keine Kenntnisse über die PC-Philosophie

Geringe Anzahl qualifizierter Mitarbeiter (Palliative-Care-Fort- und Weiterbildungen)

Unzureichende Motivation, sich mit den Anforderungen auseinander zu setzen

Falsche Schwerpunktsetzung (z. B. Körperpflege als wichtigster Handlungsbereich)

Keine Empathie (Radikale Orientierung am Sterbenden ist problematisch)

Unzureichende Kenntnisse zum Symptommanagement

Keine Motivation zur Erfassung, Dokumentation und Auswertung von Symptomen

Unzureichende Kenntnisse im Managen der Palliativsituation

Unzureichende Kompetenzen in der Netzwerkkoordination

Angehörige werden nicht als Beteiligte und Betroffene gesehen

Befürworten einer schnellen Einweisung in ein Krankenhaus (Verantwortung »wegschieben«)

Kein Konzept vorhanden

Leitung steht nicht hinter dem PC-Konzept/der PC-Philosophie

Starke Hierarchie und Top-down-Methode in der Erarbeitung eines Konzepts

Wenig Demokratie und Partizipation in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern – autoritärer Führungsstil

Hilfebedarfe der Mitarbeiter werden nicht erkannt

Mitarbeiter erhalten keine Unterstützung bei Belastung

Keine Möglichkeiten zum Lernen (Fort- und Weiterbildung, Literatur)

Reflexionen werden nicht angebahnt, als unnötiger Zeitaufwand verstanden

Hohe Fluktuation, Rotationsprinzip in kurzen Intervallen (Teams können sich nicht finden)

Teilweise 2-Bett-Zimmer mit nur geringem Rückzugsraum

Keine klaren Vorstellungen zur Kooperation mit mögl. Netzwerkpartnern

Keine spezifische direkte Vergütung von PC in den Einrichtungen, keine Anerkennung des Mehraufwands in der Pflege, Betreuung und Versorgung

Geringe gesellschaftliche Anerkennung der Leistung der Mitarbeiter in den stationären Pflegeeinrichtungen

Angehörige lehnen zum Teil eigene Beteiligung ab/Kooperation ist erschwert

Hausärzte willigen nur bedingt in die Integration eines Palliativmediziners ein

Teilweise nicht vorhandene palliative Qualifikation der Hausärzte

Gesetzliche Vorgaben (z. B. keine Bevorratung nicht bewohnerbezogener Arzneimittel möglich)

 

 

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6 http://www.hospizimpark.ch/palliative-care/, abgerufen am 03.06.2016

7 WHO Definition of Palliative Care, 2002, deutsche Übersetzung, abgerufen am 02.08.2016 unter https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/WHO_Definition_2002_Palliative_Care_englisch-deutsch.pdf.

8 Vgl. Duden online, Stichwort »Konzept«, abgerufen am 30.06.2016.

4 DIE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DIE GESTALTUNG UND UMSETZUNG VON PALLIATIVE CARE

4.1 Das Verhältnis des Palliative-Care-Konzepts zum Pflege-und Betreuungskonzept

Bereits seit ungefähr 20 Jahren wird von den stationären Pflegeeinrichtungen der Altenhilfe ein Pflege- und Betreuungskonzept gefordert und bereitgestellt, in dem die grundsätzliche Philosophie der Einrichtung, der genutzte pflegetheoretische Handlungsrahmen und konkrete Angaben zur Umsetzung einer daraus abgeleiteten Pflege, Betreuung und Versorgung aufgezeigt werden.

Hieran anschließen soll sich nun das Palliative-Care-Konzept (PCK). Dabei sollen aber nicht zwei isolierte Konzepte nebeneinander bestehen. Das PCK ist vielmehr ein Anhang oder eine Erweiterung des bestehenden Pflegekonzepts – mit der Ausrichtung auf die spezifische Zielgruppe der Schwerkranken und Sterbenden. Die Forderung nach einem entsprechenden Konzept zur Sterbebegleitung findet sich auch in der »Prüfanleitung zum Erhebungsbogen zur Prüfung in der stationären Pflege« vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS 2014: 94):


»Gibt es konzeptionelle Aussagen zur Sterbebegleitung?ja       nein
Ausfüllanleitung zu 8.10:

Konzeptionelle Aussagen zur Sterbebegleitung müssen über folgende Mindestinhalte verfügen:

Absprachen des Bewohners mit der stationären Pflegeeinrichtung über Wünsche und Vorstellungen zur letzten Lebensphase und zum Verfahren nach dem Tod

Die Vermittlung einer psychologischen oder seelsorgerischen Sterbebegleitung (z. B. über einen Hospizdienst«

Die hier aufgestellte, minimalistische Forderung – hinsichtlich der Absprachen mit dem Betroffenen über seine Vorstellungen und Wünsche in der Lebensendsituation und nach seinem Tod sowie die Vermittlung eines ambulanten Hospizdienstes – legt nicht nahe, dass es sich bei der Organisation von Palliative Care um eine komplexe Gesamthandlung mit multiplen Einzelhandlungen handelt. Daher ist die Verknüpfung beider Konzepte (Pflege- und Palliative-Care-Konzept) oder sind ergänzende Darstellungen sinnvoll.

4.2 Ziele – Strukturen – Prozesse

Werden mit dem Palliative-Care-Konzept (PCK) bestimmte Ergebnisse oder Ziele angestrebt, sind hierfür

1. besondere Strukturen (hier als erforderliche Bedingungen oder Grundvoraussetzungen zu verstehen) und

2. die systematische und gemanagte Organisation bestimmter Handlungsprozesse erforderlich.

Zunächst gibt es generealisierbare Bedingungen für die Einführung eines PCK. Sie sind Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung:

Die Einrichtung muss sich der Notwendigkeit und der Wichtigkeit der Implementierung von Palliative Care bewusst sein und bereit sein, entsprechende Haltungen zu erzeugen und Handlungen zu implementieren.

Es sollte ein Konzept erarbeitet werden (oder als zweite Phase schon vorhanden sein), das zur Information neuer Mitarbeiter und zu möglichen Soll-Ist-Abgleichen genutzt wird.

Es ist zunächst erforderlich, das angestrebte Soll und das vorhandene Ist ständig zu überprüfen. So lassen sich bereits erreichte Ziele ebenso erkennen wie weiterhin vorhandene Hilfebedarfe.

Ziele

Ziele müssen erkennbar und für alle nachvollziehbar transparent sein. Ohne eine eindeutige Zielsetzung werden die Prozesse, die durch die Implementierung des Konzepts in Gang gesetzt werden, ggf. personengebunden und individuell von der Entscheidung und vom Vorgehen des einzelnen Mitarbeiters abhängig. Die Ziele sind dann nicht prozessgebunden. Im Hinblick auf ein gelingendes Qualitätsmanagement wird jedoch immer eine Umsetzung der Handlungen angestrebt, die unabhängig vom einzelnen Mitarbeiter ist. Die pflegebedürftigen Menschen sollen darauf vertrauen können, dass – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Aufnahme oder anderen individuellen Voraussetzungen – die sie betreuenden und pflegenden Personen, einen bestimmten Standard und eine bestimmte Qualität der Versorgungsleistungen bieten. Die Prozesse müssen also reproduzierbar, personenunabhängig und von wiederkehrender Qualität sein.

Auch eine formative, also prozessbegleitende Evaluation, bei der immer wieder neu überprüft wird, ob ein Ziel erreicht wurde oder eine Anpassung der Handlungen erforderlich ist, kann nur anhand der gesetzten Ziele erfolgen, die zunächst im Konzept beschrieben wurden. Ein geregeltes Qualitätsmanagement ist ohne eine vorangehende Zielklärung nicht denkbar. In der individuellen Versorgung, Pflege, Betreuung und Behandlung müssen sich diese Ziele dann in der konkreten Handlung widerspiegeln.

Die anzustrebenden Ziele können zum einen der WHO-Definition zum Begriff Palliative Care entnommen (vgl. Kap. 2, S. 18 ff.), zum anderen als Teilziele aus diesen abgeleitet werden (vgl. Kap. 5.3.1 bis 5.3.7, S. 54 ff.).

Strukturen

Strukturen, also existente Bedingungen und Umstände, sind erforderlich, um bestimmte Ziele zu erreichen. Strukturelle Voraussetzungen sind:

Eine ausreichende Anzahl von Mitarbeitern muss zur Verfügung stehen.

Bestenfalls sollte eine Pflegefachkraft mit entsprechender Weiterbildung in Palliative Care vor Ort sein, die die Beratung von Betroffenen, Angehörigen und Mitarbeitern wahrnimmt. Dafür sollte ihr ein bestimmtes Stundenkontingent zugesprochen werden, sodass sie entsprechend planen kann.9

Qualifikationen/Kompetenzen bei den Mitarbeitern (Palliative-Care-Qualifikation bei mindestens einer Pflegefachkraft pro Bereich oder einem Palliative-Care-Konsilteam) sollten vorhanden sein. Um kompetent handeln zu können, bedarf es zudem geeigneter Wertvorstellungen, die die Hospiz- und Palliativgedanken aufnehmen und wiederspiegeln.10

Autor

  • Angela Paula Löser (Autor:in)

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Titel: Palliative Care in der stationären Altenpflege