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Der Gründungsprozess der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz

Vorgehensweise, Registrierung der Mitglieder & Wahl der Vertreterversammlung

von Edith Kellnhauser (Autor:in)
72 Seiten

Zusammenfassung

Die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz hat im Januar 2016 als erste deutsche Landespflegekammer ihre Arbeit aufgenommen. Schleswig-Holstein folgt, Niedersachsen hat einen Gesetzesentwurf über die Pflegekammer im Landtag eingebracht, in Berlin stimmten 58,8 % der beruflich Pflegenden für die Errichtung einer Pflegekammer; in Sachsen stimmten 70 % der Befragten dafür – die anderen Bundesländer diskutieren bzw. befragen noch. Bayern wird evtl. einen Sonderweg beschreiten.

Fazit: Die Pflegekammern sind auf dem Weg, in allen Bundesländern wird um diese Form der pflegerischen Selbstverwaltung gerungen. Und: arbeiten die ersten Kammern erfolgreich, wird der Rest der Bundesländer nicht abseits stehen wollen.

Aber Neugründungen sind arbeitsintensiv, kosten Zeit und Personal. Dr. Edith Kellnhauser, die die Gründung der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz maßgeblich begleitet hat, legt mit ihrem Buch die komplette Vorgehensweise zur Gründung der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz vor.

Auf den Punkt gebracht:
Eine starke Stimme für die Pflege: Deutschlands erste Pflegekammer.
Landespflegekammer: on der Idee zur Umsetzung.
Aktuelle Dokumentation aus der Praxis.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


DANKSAGUNG

Großer Dank gebührt der Landesregierung Rheinland-Pfalz unter Führung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die die Idee der Gründung einer Pflegekammer aufgegriffen und deren Umsetzung unterstützt hat.

Dank gebührt auch den Ministern im Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, Alexander Schweitzer und Sabine Bätzing-Lichtenthäler für die Leitung des Antrages zur Errichtung einer Landespflegekammer durch den Gesetzgebungsweg.

Dank geht auch an Abteilungsleiter Tom Rutert-Klein und Ressortleiter Dr. Jürgen Faltin für ihre kontinuierliche sachkundige Beratung und Hilfestellung.

Gleichermaßen geht Dank an Schwester M. Basina Kloos für ihren von Objektivität und Zuversicht getragenen Einsatz bei komplexen politischen Verhandlungen.

Dank geht an die Vertreterinnen und Vertreter der Berufsverbände sowie an den DPO-Dachverband der Pflegeorganisationen Rheinland-Pfalz e.V.: für das jahrelange Aufrechterhalten der Kammeridee, das nachhaltige Einwirken auf die politisch Verantwortlichen und die maßgebliche Beteiligung am Aufbau der Landespflegekammer.

Und letztlich geht ein herzliches Dankeschön an die Mitglieder der Gründungskonferenz und des Gründungsausschusses, sowie an die vielen mit der Informationsvermittlung befassten Kolleginnen und Kollegen für ihr hochmotiviertes und unermüdliches Engagement in der Sache.

EINLEITUNG

Dieses Buch zeigt, wie es zur Errichtung der ersten deutschen Pflegekammer kam. Es ist damit auch ein Zeitdokument, das in den kommenden Jahren fortschreitender Kammergründungen in Deutschland nicht nur für die Mitglieder der Pflegekammer in Rheinland-Pfalz interessant sein dürfte. Sondern darüber hinaus auch für Berufskolleginnen und -kollegen bundesweit. Zum ersten Mal können wir auf die Anfänge des pflegerischen Kammerwesens hierzulande zurückschauen.

Meine Darstellung der konkreten Vorgehensweise bei der Etablierung der ersten deutschen Pflegekammer kann jenen Kolleginnen und Kollegen, die mit einem derartigen Projekt in anderen Bundesländern befasst sein werden, als Leitfaden dienen.

Als Einstieg in das Thema veranschauliche ich in komprimierter Form das Wesen einer Pflegekammer und die Gründe für deren Errichtung. Ehrlich gesagt: Es war ein langer und beschwerlicher Weg, bis die erste Pflegekammer ihre Arbeit aufnehmen konnte!

Sehr anschaulich zeigt sich das auch an einem Überblick über den derzeitigen Sachstand der Errichtung von Pflegekammern in den einzelnen Bundesländern.

Eine der ersten Hürden auf dem Weg zu einer Landespflegekammer war eine soziopolitische Barriere. Erst als diese überwunden war, folgten erste konstruktive Gespräche von pflegeverbandlichen Vertretern mit der Landesregierung, die schließlich in einer Stimmungsumfrage bei den Berufsangehörigen resultierten. Die positiven Ergebnisse führten zur Etablierung der Gründungskonferenz mit zahlreichen vorbereitenden Aufgaben und Aktivitäten.

Ein Jahr danach stand der Gründungsausschuss. Er war verpflichtet, diese Aufgaben und Aktivitäten fortzuführen, die in der Durchführung sowohl der Registrierung der Berufsangehörigen als auch in der Wahl der Vertreterversammlung gipfelten.

Als Wahlergebnis standen schlussendlich 81 Vertreter der Landespflegekammer fest, die am 25./26. Januar 2016 ihre ersten Arbeitssitzungen abhielten. In den folgenden regelmäßigen Sitzungen ist die Vertreterversammlung als oberstes Gremium der Landespflegekammer damit befasst, die ihr vom Heilberufsgesetz zugewiesenen berufsspezifischen Aufgaben zu erfüllen.

Definitionen

Satzung

»Satzungen sind Rechtsnormen, die von unterstaatlichen Verwaltungsträgern zur Regelung ihrer eigenen Verwaltungsangelegenheiten mit Wirksamkeit für die ihnen angehörenden … Personen erlassen werden.«1)

Ordnung/Geschäftsordnung

»Eine Geschäftsordnung ist die Zusammenfassung aller Verfahrensregelungen, nach denen Sitzungen und Veranstaltungen dieses Gremiums abzulaufen haben.«2)

Pflegekammer

Eine Pflegekammer ist, wie andere Berufskammern, »eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung.«3)

Berufsverband

Ein Berufsverband ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Angehörigen eines bestimmten Berufes zum Zweck ihrer Interessenvertretung. Dabei geht es um berufsbezogene und berufspolitische Fragen und Forderungen zur Weiterentwicklung und öffentlichen Anerkennung des jeweiligen Berufes.4)

Gewerkschaft

Eine Gewerkschaft ist für tarifrechtliche Fragen, wie Gehälter und Arbeitszeiten zuständig. Sie setzt sich für akzeptable Arbeitszeiten und leistungsangemessene Vergütung ihrer Mitglieder ein.5)

1) Satzung http://www.rechtswörterbuch.de/rechts/s/satzung/

2) Ordnung http://www.juraforum.de/lexikon/geschaeftsordnung//

3) Pflegekammer Heilberufsgesetz (HeilBG) Rheinland-Pfalz vom 19. 12. 2014 § 2

4) Vgl. Berufsverband Exkurs In: Die Schwester, Der Pfleger, 2015, 10, S. 81

5) Ebd.

1 AUF DEM WEG ZU EINER PFLEGEKAMMER

Eine Pflegekammer ist dem Schutz der Bevölkerung und der Regulierung des Berufsstandes der Pflegenden verpflichtet. Sie ist, ähnlich wie andere Berufskammern, »eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung.«1

Die Grundlage für die Aktivitäten einer pflegerischen rechtsfähigen Körperschaft bildet das Heilberufsgesetz. Daraus abgeleitet sind die Satzung und die Geschäftsordnung.

Fazit

Eine Pflegekammer ist gesetzlich ermächtigt, die ihr vom Gesetzgeber übertragene Aufgabe – die pflegerische Versorgung der Bevölkerung – durch kompetente Pflegepersonen in beruflicher Selbstverwaltung durchzuführen.

1.1 Gründe für die Errichtung einer Pflegekammer

Um dieser bedeutenden sozialen Aufgabe – der pflegerischen Versorgung der Bevölkerung – gerecht werden zu können, bedarf es der eigenständigen Regulierung des Berufsstandes durch die Pflegekammer. Ein bedeutender Teil der Regulierung ist die Lizenzierung – die Aushändigung der Urkunde zur Berufserlaubnis nach bestandenem Staatsexamen. Dies findet derzeit in Deutschland noch nicht statt, wird jedoch eine zukünftige Aufgabe der Pflegekammer sein. Eine weitere Aufgabe ist die Registrierung – die Eintragung aller Berufsangehörigen in ein Berufsregister.

Durch die damit einhergehenden regelmäßigen Weiterbildungsanforderungen an die Berufsangehörigen durch die Kammer wird sichergestellt, dass alle aktiv Berufstätigen die Mindestanforderungen für eine sichere Durchführung ihrer pflegerischen Aufgaben erfüllen.

Weitere berufsregulierende Aktivitäten der Kammer sind beispielsweise

Erstellung von Leitbild und Zielsetzung

Definition Pflege

Festlegung beruflicher Tätigkeitsprofile

Leitlinien für ethisches Verhalten

Durchführung der Standesaufsicht

Einwirkung auf Ausbildungs- und Weiterbildungseinrichtungen

All das dient der qualitativen pflegerischen Behandlung/Versorgung von Patienten/Betreuten.

Für ihre Mitglieder fungiert die Kammer als Beratungsstelle und Informationsquelle, speziell in fachlicher und auch rechtlicher Hinsicht.

Eine Pflegekammer begründet effektive Beziehungen mit Arbeitgebern, Verbänden, anderen Kammern und Gewerkschaften zum Nutzen der Pflegenden.

Mit einer regelmäßigen Öffentlichkeitsarbeit vermittelt die Kammer der Bevölkerung das Ausmaß beruflicher Praxis und Verantwortung. Sie unterstreicht so die Bedeutung des zahlenmäßig größten Berufsstandes im Gesundheitswesen: der Pflege

Hinweis

1.2 Partner in der Politik

Für die Gesundheitspolitik fungiert die Pflegekammer als Kooperationspartner bei gesundheitspolitischen Entscheidungsprozessen. Sie liefert als Selbstverwaltungspartner der Gesundheitspolitik Fachexpertisen. Sie benennt pflegerische Sachverständige zur Teilnahme und Beratung bei bestimmten Aspekten der Gesundheitsgesetzgebung.

Eine Pflegekammer ist gesetzlich anerkanntes Mitglied im Kreis der Vertreter anderer Gesundheitsberufe und kann in Kooperation mit diesen bei der Umsetzung gesundheitspolitischer Vorgaben und Standards effektiv mitwirken.

Pflegekammer – Partner der Politik

 

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1 Pflegekammer Heilberufsgesetz (HeilBG) Rheinland-Pfalz vom 19. 12. 2014 § 2

2 BERUFLICHE INITIATIVEN ZUR GRÜNDUNG EINER PFLEGEKAMMER SEIT 1990

2.1 Schritt 1: die Gründung von Fördervereinen

1990 verlangte die Münchner Kollegin Imgard Linberg-Klotz die Errichtung einer Pflegekammer. Sie begründete ihre Forderung damit, dass von dieser selbstbestimmten Institution Patienten geschützt, qualitativ hochstehende Pflege in beruflicher Selbstverantwortung der Einzelnen erbracht, sowie der Berufsstand reguliert und organisiert werden sollte.2

Diesem Aufruf folgend bildeten sich in Bayern und anderen Bundesländern Fördervereine zur Gründung einer Pflegekammer, die sich 1997 zur Nationalen Konferenz zur Errichtung einer Pflegekammer in Deutschland zusammenschlossen. Die sogenannte »Nationale Konferenz« fungierte als Koordinationsstelle der Fördervereine, organisierte Öffentlichkeitsarbeit und interagierte mit politischen Entscheidungsträgern.

Als im Dezember 2014 die erste Deutsche Pflegekammer in Rheinland-Pfalz etabliert war, hatte die Nationale Konferenz ihr jahrelang verfolgtes Ziel erreicht. Am 11. März 2016 konnte sie daher ihre Tätigkeit einstellen.

2.2 Schritt 2: die Erstellung von Berufsordnungen

2004 gab der Deutsche Pflegerat eine Rahmenberufsordnung heraus, nach deren Vorbild einzelne Bundesländer ihrerseits Berufsordnungen erstellten (Bremen 2004, Saarland 2007, Hamburg 20093),wohl wissend, dass die Einhaltung der darin festgelegten Vorgaben mangels einer gesetzlich zuständigen Autorität nicht überprüft und bei möglichem Fehlverhalten Einzelner nicht geahndet werden können.

2.3 Schritt 3: die freiwillige Registrierung

Die freiwillige Registrierung in Deutschland kann als eine einer Kammer vorauseilende Teilaktion gesehen werden. Das Kernstück der freiwilligen Registrierung ist der Teilnahmenachweis der einzelnen Berufsangehörigen an einer von einer Berufsorganisation festgelegten Anzahl von pflegerischen Fortbildungsstunden pro Jahr. Dies ist gleichbedeutend mit einer permanenten Aufrechterhaltung und kontinuierlichen Anhebung ihres beruflichen Qualitätsniveaus.

Derzeit sind von den zirka 1,2 Millionen Pflegefachkräften in Deutschland zwei Prozent registriert (Stand: 20154). In Ländern mit langjährig etablierten Pflegekammern erfolgt die Pflichtregistrierung direkt nach einem bestandenen Staatsexamen.

2.4 Interaktion mit Politikern

Seit den ersten Initiativen zur Gründung einer Pflegekammer haben Fördervereinsmitglieder mit den zuständigen Politikern in verschiedenen Bundesländern regelmäßig entsprechende Verhandlungen geführt.

2.4.1 Wahlprüfsteine als Gretchenfrage an die Politiker

Die Fördervereinsmitglieder sprachen Politiker auf kommunaler und landespolitischer Ebene an und schilderten ihnen die positiven Aspekte einer Pflegekammer. Vor allem vor Wahlen wurden diese Anfragen intensiviert. Die Politiker, die sich zur Wahl stellten, wurden gebeten, sogenannte »Wahlprüfsteine« – spezielle Fragen zum Thema Pflegekammer – zu beantworten. Häufig fielen die Antworten bei den regierenden Parteien ausweichend aus, wenn überhaupt geantwortet wurde. Die Äußerungen der anderen Parteien zu dieser Frage reichten von unkonkret verzögernd, beschwichtigend, alte Klischees bedienend, bis zu klarer Ablehnung.5

2.4.2 Vorlage von Positionspapieren

Albrecht et al. legten 2002 dem Landtag von Nordrhein-Westfalen und dem Gesundheitsministerium ein Positionspapier vor. Darin wiesen sie den Gesetzgeber auf seine Verpflichtung zur Sicherstellung erforderlicher Rahmenbedingungen für eine sichere Pflegeversorgung der Bevölkerung, wie die Schaffung einer zentralen Selbstverwaltung, in Form einer Pflegekammer, hin.6

Der Fachbeirat im Hessischen Sozialministerium erläuterte 2007 in einem Positionspapier der Landesregierung, wie durch bestimmte berufsspezifische Vorgehensweisen einer Pflegekammer die pflegerische Versorgung der kranken Menschen gesichert werden könnte.7

2.4.3 Anhörungen in Landtagen

Den Anträgen von Fördervereinen folgend fanden in verschiedenen Landtagen Anhörungen zum Thema »Etablierung einer Pflegekammer« statt. Beispielweise initiierte 2010 die SPD in Niedersachsen eine derartige Anhörung im Landtag. Dabei konnten die betroffenen Sozialeinrichtungen und -verbände des Landes Niedersachsen ihre Stellungnahmen bezüglich der Errichtung einer Pflegekammer kundtun. Die Pro-Stimmen bekräftigten ihre Zustimmung mit einer rechtlichen Klarheit für die Berufsangehörigen und einer gleichzeitigen Sicherheit für die Pflegebedürftigen. Die Gegner sahen eine Etablierung einer Pflegekammer als kontraproduktiv und für Problemlösungen ungeeignet.8

2.5 Rechtsgutachten: Sind Pflegekammern legal?

Führende Pflegepersonen haben nach Diskussionen und Verhandlungen mit Vertretern politischer Parteien die Legalität einer Pflegekammer untersuchen lassen. In den Jahren 1994 bis 2008 wurden insgesamt fünf diesbezügliche Rechtsgutachten in Auftrag gegeben.

So untersuchten Gutachter die »Freiberuflichkeit« der Pflege, deren berufseigene »vorbehaltene Aufgaben« und die Zwangsmitgliedschaft der Berufsangehörigen.9 Ein weiterer Untersuchungspunkt war die Verfassungsmäßigkeit der Errichtung einer Pflegekammer speziell im Hinblick auf die gestiegene Verantwortungsübernahme des Berufs, die im rechtlichen Status des Berufsstandes keine Entsprechung findet. Die Gründung einer Pflegekammer wäre der Beginn der Wahrnehmung der Pflegewirklichkeit und der Anforderungen in der Praxis.10

Fazit

Schließlich kamen vier von fünf Gutachtern zu dem Schluss, dass »keine verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Schaffung einer Kammer für Pflegeberufe bestehen.«*

* Seewald, O. (1997). Kurzfassung des Rechtsgutachtens: Die Verfassungsmäßigkeit der Errichtung einer Klammer für Pflegeberufe im Freistaat Bayern. S. 4

2.6 Die europäische Sicht

Im Hinblick auf Europa weist Hanika auf den Rahmen geltender Verträge hin, die den »berufsständischen Kammern eine weittragende Bedeutung für die Durchsetzung der Grundfreiheiten und damit für die Verwirklichung des Binnenmarktes zuweisen. Die Mitgliedschaft der Unionsbürger in den Kammern ist ein bedeutender Beitrag zur Verwirklichung der europäischen Integration.«11

2.7 Pro und Kontra Pflegekammer

Die Idee der Gründung einer Pflegekammer fand über viele Jahre hindurch inner- und außerhalb von Berufskreisen ein unterschiedliches Echo.

2.7.1 Stimmen für eine Pflegekammer

Als die Kammeridee für Pflegeberufe Anfang der 1990er Jahre aufkam, standen die führenden Pflegevertreterinnen und -vertreter dem Gedanken zurückhaltend gegenüber. Auf Informationsveranstaltungen befürworteten sie zwar die Selbstverwaltung des Berufsstandes, sprachen jedoch nicht ausdrücklich von einer »Pflegekammer«.

Durch die Fördervereine und die Nationale Konferenz zur Errichtung von Pflegekammern in Deutschland gab es aber Kontakt und Austausch zwischen Berufsverbänden und dem Deutschen Pflegerat, sodass sich der Gedanke einer Kammer in diesen Kreisen zunehmend und nachhaltig festsetzte. Zudem erschienen häufiger themenbezogene wissenschaftliche Veröffentlichungen von Pflegestudentinnen und -studenten, die die positiven Aspekte einer Kammer, etwa Eigenständigkeit und Selbstbestimmung des Berufsstandes, hervorhoben.12

Schließlich gab der Deutsche Pflegerat als Dachverband der Pflegeorganisationen 2004 die sogenannte Strausberger Erklärung heraus, in der die Errichtung von Pflegekammern auf Landes- und Bundesebene empfohlen wird: »Der Deutsche Pflegerat (DPR) e.V., Bundesarbeitsgemeinschaft der Pflegeorganisationen und des Hebammenwesens, empfiehlt die Errichtung von Pflegekammern auf Landes- und Bundesebene für die professionell Pflegenden. … Die professionelle Pflege erklärt ihre genuine Eigenständigkeit als Heilberuf, insbesondere durch die

neuen Ausbildungsgesetze

interne und externe Qualitätssicherungsmaßnahmen sowie durch

spezifische Aufgabenfelder in neuen Organisationsstrukturen.

Hieraus entwickelt sich ein dringender Bedarf zur Entwicklung von Pflegekammern.«13

Seither haben regional und national durchgeführte DBfK-Delegiertenversammlungen sich wiederholt für die Etablierung von Pflegekammern ausgesprochen und ihre Forderungen durch Ergebnisse von Rechtsgutachten untermauert.14

Ähnlich äußerte sich der Verband der Pflegedirektor/innen der Universitätskliniken in einem Sonderdruck vom Juli 2012.15

Auch die damalige Präsidentin des Deutschen Pflegerats wies 2009 auf dem Hauptstadtkongress in Berlin vor mehr als 1000 Pflegenden erneut mit Nachdruck auf die Notwendigkeit der Errichtung einer Pflegekammer hin.16

Es darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass viele Angehörige des Pflegeberufes generell geringes Interesse für Berufspolitik aufbringen. Insofern war es nicht verwunderlich, dass zu Beginn der Diskussion über Pflegekammern viel Unwissenheit herrschte und teilweise bis heute vorhanden ist. So war beispielsweise nicht bekannt, dass durch eine selbstständige Berufsvertretung die derzeit bestehende weisungsgebundene Abhängigkeit durch eine eigenständige integrierte Verhandlungspartnerschaft mit den politischen Vertretern im Gesundheitswesen ersetzt werden soll. Unbekannt war auch, dass die Berufsverbände durch eine Pflegekammer keineswegs überflüssig werden, sondern sich unter anderem grundlegenden berufspolitischen Themen widmen und diese in die Öffentlichkeit tragen können.

Mittlerweile sind Wesen, Aufgaben und berufliche Vorteile einer Pflegekammer durch die Aktivitäten von Fördervereinen, Informationsveranstaltungen, berufsfachliche Publikationen, spezifische Informationsvermittlung während der akademischen Ausbildung, und nicht zuletzt durch den Informationsaustausch im Internet, vielen Berufsangehörigen wohl vertraut.

2.7.2 Stimmen von Kontra bis Pro

Das Vorhaben der Gründung einer Pflegekammer rief nicht nur Befürworter, sondern auch zahlreiche Gegner auf den Plan.

2006 erklärte Karin Lübberstedt, die damalige Geschäftsführerin der Hessischen Krankenhausgesellschaft, in ihrer Stellungnahme zum Positionspapier des Fachbeirats im Hessischen Sozialministerium, dass eine Verkammerung der Pflegeberufe weder zielführend für die Sicherung und Steigerung der Qualität und Effizienz der Pflege noch politisch notwendig ist.17

Die Gewerkschaft ver.di, Landesbezirk Bayern, betrachtet dagegen eine Pflegekammer als überflüssiges Gremium. So äußerte sie sich in ihrer Stellungnahme vom Mai 2011 zum Thema Pflegekammer in Bayern. Nach Aufführung gängiger Klischees zum Thema wird den Angehörigen der Pflegeberufe empfohlen, sie sollten sich »aktiv in die politische Auseinandersetzung einbringen und die gewerkschaftliche Arbeit zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen stärker unterstützen.«18 Denn: »Viele, den Kammern als typische Aufgaben zugeschriebene Aufgaben sind bereits jetzt schon sinnvoll platziert.«19

Auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) lehnt die Selbstverwaltung der Pflege ab und führte bundesweite Kampagnen zur Verhinderung von Pflegekammern durch. Bpa-Vertreter stellen den Bürokratieabbau in den Vordergrund und setzen zur Verbesserung der pflegerischen Situation auf Zuwanderung und Anerkennung ausländischer Abschlüsse.20

Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe berief sich 2009 auf die mittlerweile hinreichend bekannten Vorbehalte: Bei ihm kam allerdings zusätzlich die Sorge um eine Konkurrenzsituation zwischen Arzt und Pflege ins Spiel. Pflegerische Eigenständigkeit bei gesundheitspolitischen Modellvorhaben zitierend beschwörte er das Bild einer Zweiklassenmedizin herauf.21

Weitere, anfänglich von ärztlicher Seite vorgebrachte Argumente gegen die Errichtung einer Pflegekammer haben sich mittlerweile von gegensätzlich auf zustimmend entwickelt. So schreibt die Ärztezeitung vom 12. Januar 2009: »Die Pflegekammer dient dem Schutz von Patienten und Pflegebedürftigen, weil sie eine verlässliche Kontrolle hinsichtlich Qualifikation sowie Fort- und Weiterbildung ihrer Mitglieder ausübt.«22 Eine Kammer für die mit Abstand größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen würde dieser ermöglichen, ihre Belange gleichberechtigt mit den Selbstverwaltungspartnern – Ärzte, Kliniken und Krankenhäusern – zu vertreten.

Der Chef der sächsischen Landesärztekammer beschrieb 2011 die Errichtung einer Pflegekammer als eine »sinnvolle Ergänzung zu den bereits bestehenden Heilberufskammern. Dadurch könnte eine bessere Struktur des Pflegebereichs, eine verbindliche Berufsordnung, verpflichtende Fortbildungen sowie eine berufliche Qualitätssicherung festgelegt werden. Obwohl die Letztverantwortung für die Patientenversorgung ärztliche Aufgabe bliebe, wäre eine kooperative Zusammenarbeit mit der Pflege unabdingbar.«23

Der Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz begrüßte 2013, dass eine Kammer berufsrechtlich überörtlich agieren könne, während derzeit Probleme mit Pflegekräften, zum Beispiel im Krankenhaus, nur lokal geklärt werden können.24

 

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2 Vgl. Linberg-Klotz, I. (1990). Kammer für Pflegeberufe oder: Auf der Suche nach einem Selbstbestimmungsinstrument. In: Die Schwester/Der Pfleger (9) S. 741

3 Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen vom 14. Oktober 2004; Amtsblatt Saarland vom 28. November 2007; Hamburgisches Gesetz-und Verordnungsblatt, Nr. 43, vom 29. September 2009

4 Lt. Geschäftsstelle Registrierung beruflich Pflegender in Berlin (2015)

5 Wahlprüfsteine: http://dpo-rip.de/wahlprüfsteine-landtagswahl.html

6 Albrecht et al. (2002). Positionspapier: Die Kammer für Pflegeberufe. Förderverein NRW, S. 5

7 Hessisches Sozialministerium (2007). Positionspapier des Fachbeirats der Pflege zur Errichtung einer Kammer für Pflegeberufe in Hessen. Unveröffentlicht

8 SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, Pressemitteilung vom 12. 5. 2010, Nr. 16–166

9 Plantholz, M. (1994): Gutachten über die rechtlichen Probleme und Möglichkeiten der Errichtung einer Pflegekammer auf Landesebene. S. 1

10 Igl, G. (2008): Weitere öffentlich-rechtliche Regulierung der Pflegeberufe und ihrer Tätigkeit. In: Die Schwester Der Pfleger (5) S. 458-461

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842688315
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (September)
Schlagworte
Pflegekammer Pflegemanagement Pflegepolitik Pflegeprofession Recht Selbstverwaltung Sozialwissenschaften Altenpflege Gesundheits- und Krankenpflege

Autor

  • Edith Kellnhauser (Autor:in)

Edith Kellnhauser hat als Krankenschwester in Deutschland, Großbritannien, Ägypten und den USA gearbeitet. 1992 bis 1999 war sie Professorin für Pflegewissenschaft/Pflegemanagement an der Katholischen Hochschule in Mainz. Edith Kellnhauser war Mitglied im Gründungsausschuss bei der Errichtung der Landespflegekammer in Rheinland-Pfalz. 2017 erhielt sie für ihren Einsatz für den Pflegeberuf das Bundesverdienstkreuz, 2019 im März den Deutschen Pflegepreis des Deutschen Pflegerats.
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Titel: Der Gründungsprozess der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz