Zusammenfassung
Alles Wichtige im Blick: Themen-Ideen, Set- und Bildaufbau, Arbeiten mit dem Model und vieles mehr.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
GRUNDLAGEN
Menschen vor der Kamera – vielfältiger geht es kaum: Mal posieren Modelle in opulenten Kostümen, mal ausgefallen-modern gestylt oder ganz schlicht, mal vor Schlössern, in der Natur, im Wasserbassin oder im Bällebad. Auch unterwegs in der Stadt oder im Urlaub finden Sie wundervolle Motive für die inszenierte Menschenfotografie – die Welt wird zur Kulisse und Inspiration!
Sie haben sich also für ein sehr weites und spannendes Feld entschieden. Mit den Workshops in diesem Buch möchte ich Ihnen unterschiedliche Themen, verbunden mit unterschiedlichen Locations, Sets, Kostümen, Requisiten, Posings und unterschiedlichen Bedeutungen näherbringen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der inszenierten Fotografie, das heißt, Sie müssen nicht auf Situationen warten, sondern kreieren sie einfach selbst. Bevor es losgeht, folgt hier eine mikroskopisch kurze Einführung in die Modelfotografie für alle, die sich darin noch nicht zuhause fühlen.
Die Hauptdarstellerin – Ihr Model
Eine Freundin oder Verwandte (meist handelt es sich bei Fotomodellen um Frauen) eignet sich optimal dazu, erste Erfahrungen in der inszenierten Menschenfotografie zu sammeln und Sicherheit zu gewinnen. Auch Fotoworkshops helfen und vermitteln Ihnen Bekanntschaften zu routinierten Fotomodellen. Mit ein paar vorzeigbaren Bildern finden Sie über Internetforen, z. B. über die Modelkartei, die Fotocommunity oder entsprechende Gruppen auf Facebook Ihre Modelle. Ob und wie kostspielig es wird, entscheidet der Markt: Je gefragter das Model ist, desto mehr Ansprüche kann sie stellen. Eine häufige Regelung ist TFP – Time for Pictures. Bei dieser Variante fließt kein Geld in Richtung Model oder Fotograf. Beide investieren ihre Zeit für gute Bildergebnisse. Je nach Bildthema kommen eventuell Kosten für Visagistik, Fahrt, Locationmiete u. a. hinzu.
Viele Modelle achten sehr auf ihren Körper, ernähren sich gut und treiben Sport, verbringen Stunden im Auto oder im Zug, um zum Shooting zu gelangen, müssen dann in der Maske lange stillsitzen und beim Shooting unangenehme Posings halten. Respekt!
Das Beste aus der Kamera herausholen
Nun zu den fotografischen Grundlagen, ein Themenbereich, den ich nur kurz streifen werde, da Sie sicher schon Erfahrungen im Umgang mit Ihrer Kamera gesammelt haben. Dabei ist es besonders wichtig, das Zusammenspiel der Faktoren „Belichtungszeit“, „Blende“ und „ISO“ zu kennen. Diese drei Faktoren helfen dabei, genügend Licht auf den Chip zu bekommen. Sie sollten versuchen, sie eigenständig zu regeln und nicht dem Automatikmodus zu überlassen – nur so können Sie Ihre Bilder selbst gestalten.
Die Belichtungszeit
Die Belichtungszeit bestimmt, wie lange die Kamera Licht hineinlässt – je länger, desto heller wird das Bild. Allerdings bedeutet dieses „länger“ auch, dass es leichter zu Verwacklungen kommen kann. Fotografieren Sie einen sich bewegenden Menschen, ist das natürlich besonders schnell passiert. Hier benötigen Sie je nach Bewegung Belichtungszeiten kürzer als 1/250 s. Aber auch statisch posierende Menschen können verwackeln: Völlig regungslos kann niemand verharren, und Sie selbst werden die Kamera, sofern diese nicht auf einem Stativ befestigt ist, auch nicht lange unbeweglich halten können – allein das Drücken auf den Auslöser bewirkt schon eine Erschütterung.
Kameras oder Objektive mit Verwacklungsschutz sind im Vorteil, aber auch damit ist es oft schwierig, mit Belichtungszeiten von länger als 1/50 s ein scharfes Bild zu erzielen. Dabei kommt es auch auf die Brennweite an: Je näher Sie herangezoomt haben, desto kürzer sollten Sie belichten.
Die Blende
Die Blende meint die Größe der Objektivöffnung – je offener, desto mehr Licht gelangt auf den Chip. Offene Blenden sind mit niedrigen Blendenwerten bezeichnet, geschlossene mit hohen. Eine Blende von f/1.2 z. B. ist eine sehr offene Blende. Offene Blenden bewirken aber auch eine größere Tiefenunschärfe. Das ist von Vorteil, wenn Sie den Fokus exakt auf ein Auge legen möchten und alles andere sukzessive in der Unschärfe versinken soll. Möchten Sie aber ein rundum scharfes Bild oder haben Sie nicht die Möglichkeit, ganz exakt zu fokussieren, sollte die Blende eher geschlossen sein.
Der ISO-Wert
Der dritte Faktor „ISO“ bezeichnet die Empfindlichkeit gegenüber Licht: Je höher die ISO-Zahl, desto empfindlicher. Hohe ISO-Werte resultieren aber auch in stärkerem Bildrauschen. Je nach Kamera fängt das Rauschen ab ISO 640, 800 oder 1000 an, im Bild deutlich zu werden. Das Rauschen kann als gestalterisches Element verstanden werden, es kann aber auch stören.
Die Brennweite
Geringe Brennweiten, z. B. 20 mm, ergeben eine weitwinklige Optik, um die 50 mm spricht man von einer Normalbrennweite, der Begriff „Tele“ kennzeichnet größere Brennweiten. Bei geringer Aufnahmedistanz zeigen weitwinklige Brennweiten eine perspektivische Verzerrung. Außerdem besitzen sie einen großen Schärfentiefebereich und ein geringes Verwacklungsrisiko, sodass sie sich z. B. für lichtarme Sets wie in der Urbex-Fotografie eignen. Im Telebereich wirken Objekte in unterschiedlichen Entfernungen näher aneinandergerückt. Die Schärfentiefe ist deutlich vermindert, was ebenfalls künstlerisch genutzt werden kann, zum Beispiel bei eng geschnittenen Porträts.
Sie können festbrennweitige oder Zoomobjektive erwerben. Festbrennweiten zeichnen sich oft durch eine besonders gute Schärfeleistung und die Möglichkeit besonders offener Blenden aus, Zoomobjektive hingegen sind in vielen Kontexten praktischer.
Der RAW-Modus
Neben diesen drei Faktoren gibt es noch eine Möglichkeit, zu Fotos zu gelangen, die hell genug sind: Fotografieren Sie im RAW-Modus. Damit haben Sie später einen recht großen Korrekturspielraum. Auch können Sie durch den RAW-Modus Bilder mit sehr hohem Kontrastumfang retten, Bilder, in denen sehr helle und sehr dunkle Bereiche bestehen, die zum „Ausfressen“ tendieren, das heißt, keine Zeichnung mehr besitzen.
Das Bild „Sonnenflecken“ zeigt, wie der RAW-Modus bei Sonnenflecken, einer schwierigen Lichtsituation, mit doppelter Entwicklung dabei hilft, überall Zeichnung bestehen zu lassen und keine völlig weißen oder schwarzen Bereiche im Bild zu haben.
Licht ins Dunkel
Die meisten Workshops in diesem Buch benötigen keine besondere Lichtanlage. Für viele Themen sind Dauerlichter aber sinnvoll, das sind z. B. Neonröhren oder starke Energiesparlampen. Es empfiehlt sich eine Positionierung der Lampe von oben, oberhalb des Gesichts. Das entspricht unseren Wahrnehmungsgewohnheiten, denn auch die Sonne kommt von oben, nicht von unten. Von allzu weit oben ergeben sich allerdings ungünstige Nasenschatten – ein langer Schatten bis in die Lippen –, und auch die Augen versinken dann leicht in dunklen Augenhöhlen. Den meisten Gesichtern steht ein Winkel um die 45 Grad am besten. Ganz frontales Licht, wie es der kamerainterne Blitz kreiert, oder Licht von unten ist hingegen selten vorteilhaft.
Manche Lichtquellen bieten ein sehr gelbes Licht, so z. B. Baustrahler oder Kerzen. Das muss Ihrem Bild nicht zum Nachteil gereichen und lässt sich mittels des Weißabgleichs an der Kamera oder in der RAW-Entwicklung auch anpassen. Einfacher ist es aber meist, neutrale Lichter zu nutzen. Auch die Härte des Lichts spielt eine Rolle: Wenn Sie exakte Schatten möchten, benötigen Sie sehr hartes Licht wie etwa strahlendes Sonnenlicht zur Mittagszeit. Für viele inszenierte Themen ist hartes Licht eher unvorteilhaft und diffuses Licht, wie an einem bewölkten Tag, optimal.
Eine Blitzanlage bietet den Vorteil, in jeder Available-Light-Situation mit kurzen Belichtungszeiten, niedriger ISO und geschlossener Blende arbeiten zu können. Sie benötigen mindestens einen Studioblitz mit Blitzstativ und dem gewünschten Lichtformer, ggf. eine Kabeltrommel sowie eine Möglichkeit der Kommunikation zwischen Blitz und Kamera. Hierfür kommt ein Kabel infrage, angenehmer ist aber ein Infrarot- oder Funkset. Lichtformer gestalten das Licht – machen es z. B. diffus oder besonders hart, lassen nur einen engen Lichtstrahl durch oder bieten eine flächige Ausleuchtung. Für weiches Licht eignen sich Softboxen. Reflektoraufsätze gestalten hartes Licht, Spots enge Lichtkegel.
Ein Tipp: Wenn Sie eine Blitzanlage kaufen möchten, zeigen Sie dem Händler Fotos mit Lichtsetzungen, die Ihnen gefallen – er kann dann die passenden Lichtformer heraussuchen.
Es gibt übrigens auch akkubetriebene Blitzanlagen – die damit verbundene Flexibilität hat aber auch ihren Preis.
Auf zum Shooting
Sprechen Sie vor dem Shooting mit allen Beteiligten ab, was geplant ist: Was ist das Thema, wo geht es hin, was muss das Model mitbringen, gibt es eine Visagistin, ist eine Bezahlung oder ein Unkostenbeitrag vonseiten des Models oder des Fotografen vorgesehen?
Wenn Sie Beispielbilder finden, stellen diese oft eine gute Planungsgrundlage dar. Wichtig ist auch der Modelvertrag, der festhält, dass die Bilder von den beteiligten Parteien genutzt werden dürfen bzw. welche Art der Nutzung ausgeschlossen ist (z. B. pornografische oder rassistische Kontexte), wie viele Fotos das Model erhält, wer die Bilder bearbeiten darf u. a.
Die Umgangsweise mit dem Model während des Shootings variiert sehr – manch ein Fotograf lobt unentwegt, ein anderer fast nie, mancher gibt viele Anweisungen, ein anderer verlässt sich auf die Erfahrung des Models. Finden Sie den Weg, der zu Ihnen passt. Vor allem, wenn Sie Akt- oder Dessousbilder fotografieren, sollten Sie allzu viel Enthusiasmus vermeiden – das wirkt unprofessionell und führt eher dazu, dass sich das Model unsicher oder unwohl fühlt. Versuchen Sie, sich in die Rolle des Models zu versetzen – wann dürfte eine Pose sehr anstrengend werden? Wann ist es zu kalt? Manchmal sorgen schon einfache Zutaten wie ein Bademantel oder eine Decke dafür, das Shooting sehr viel angenehmer zu gestalten. Unsere Tipps und Listen in den einzelnen Workshops helfen Ihnen dabei, stets das Wichtigste im Gepäck zu haben.
Nach dem Shooting ist vor der Bearbeitung
Die meisten hier vorgestellten Themen benötigen nicht zwingend eine umfassende Bildbearbeitung. In vielen Fällen ist eine gute Retusche aber durchaus ein Pluspunkt. Mein Workflow sieht folgendermaßen aus:
• Entwicklung der RAW-Bilder in Lightroom, Anpassung der Belichtung, des Kontrasts und des Weißabgleichs, ggf. Bildschnitt
• Verflüssigen in Photoshop – Anpassung der Figur des Models
• Ggf. Farbaustausche (z. B. über die selektive Farbkorrektur)
• Dodge and Burn – Aufhellen und Abdunkeln, wo nötig
• Hautretusche, u. a. mit dem Ausbessern-Werkzeug
• Anpassen aller Farben und Kontraste
• ggf. Ebenenüberlagerung, Montage, Einfügen von Text
Wie diese Schritte konkret in Programmen wie Photoshop oder Affinity funktionieren, erfahren Sie in zahlreichen, häufig kostenlosen Tutorials, etwa auf YouTube oder bei Workshopevents.
Generell gilt: Je besser die Vorbereitung, Locationauswahl, Requisite und je passender das Model, desto weniger Bildbearbeitung ist nötig.
FOTOWORKSHOPS
In den folgenden Workshops können Sie kreative Ideen für eigene Bilder entwickeln. Lassen Sie sich von meinen Fotos ganz unterschiedlicher Sujets inspirieren, um dann Ihre eigenen Ideen umzusetzen.
Menschenfotografie, deren Bedeutung man mit „schönes Gesicht“ zusammenfassen kann, empfindet man rasch als langweilig. Ich möchte Ihnen Tipps geben, inhaltlich stärkere Themen umzusetzen. Das kann zwar ein wenig schwieriger sein, macht aber letztlich mehr Spaß – denn hier sind Sie als Fotograf mehr gefragt. Es geht nicht nur darum, ein möglichst hübsches Mädchen und eine tolle Visagistin zu finden, sondern sich auch mit einem Thema auseinanderzusetzen und ihm eine eigene Interpretation zu geben.
Die Zutatenliste „Das gehört dazu“ fasst ganz kompakt zusammen, was Sie für das jeweilige Shooting an Bord haben sollten. Die Workshops sind meist so gegliedert, dass sie zunächst erläutern, was ein bestimmtes Thema so spannend macht. Das ist nicht nur für fortgeschrittene Fotografen interessant, die mit dem Gedanken an eine Ausstellung o. Ä. spielen, sondern soll Ihnen auch dabei helfen, ein Gespür für geeignete Themen mit „Mehrwert“ zu entwickeln.
Nach der Vorstellung des Themas folgen Ratschläge zur Umsetzung, wie Sie eine passende Location finden, welche Kostüme Sie benötigen, worauf Sie bei der Modelauswahl achten müssen, was die Requisite verlangt, wie Sie mit Licht umgehen und welche Bearbeitungstricks es gibt.
Die Reihenfolge und die Gewichtung der Punkte sind dabei verschieden, da die Themen jeweils Unterschiedliches nahelegen. All das ist natürlich nicht in Stein gemeißelt, und oft bestehen noch ganz andere Alternativen, sich dem jeweiligen Thema zu nähern.
Nun wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen und bei Ihren Fotoshootings! Sollte ich Sie inspirieren, freue ich mich sehr über eine Mail. Zögern Sie auch nicht, mir entstehende Fragen und gerne auch Bildergebnisse an fotos@jamari-lior.com zu schicken.
Orientfantasie
Ferne, exotische Welten – Abwesendes ist gerne Thema in der inszenierten Menschenfotografie. Das Fremde beflügelt unsere Träume. Aber warum ist es gerade der Orient, der derzeit so gefragt ist? Und wie zaubert man ein schönes Orient-Shooting?
Das Thema: Der Orient
Bevor wir über Orientfotos nachdenken – was ist das eigentlich, der „Orient“, das Morgenland? Zunächst ist der Begriff schon sehr relativ – denn wo die Sonne auf- und untergeht, hängt vom Standpunkt des Beobachters ab. Auch gibt es keine geografischen Grenzen: Man kann nicht sagen, Ägypten und die Türkei gehören dazu, Afghanistan hingegen nicht. Der Orient ist ein mentales Konstrukt, ein uralter Projektionsraum für nostalgische Fantasien von edlen Kriegern und schönen Haremsdamen. Was macht diese Fantasie so attraktiv?
Ursprünglichkeit
Die imaginierte Lebensweise – Beduinenzelte und Paläste in warmer, wilder Natur, ursprüngliche Materialien, Handstickerei statt Maschinenarbeit – wirkt viel naturnäher als unser typischer Alltag. Natur ist in unserem kulturellen Kontext positiv besetzt, naturnahes Leben ist vielleicht nichts, was man für sich selbst dauerhaft erstrebt, so ganz ohne den gewohnten Luxus, aber als Gedankenexperiment oder kurze Auszeit sehr beliebt.
Klare Strukturen
Der westliche Betrachter stellt sich ein Leben vor, das von Ritualen geprägt ist, von festen Gruppen und damit einhergehend einer gewissen Sicherheit. Auch das mögen viele in ihrem Alltag vermissen – Beziehungen und Freundschaften sind nicht für die Ewigkeit bestimmt, der Arbeitsplatz, die Wohnung, all das ist stetiger Veränderung unterworfen und schafft kaum psychologische Sicherheit. Den mangelnden Sinn suchen wir oft in Ritualen und Zeichen, und die Vorstellungen der fremden, magisch aufgeladenen Welten aus „1001 Nacht“ bieten uns hier eine perfekte Projektionsfläche, auch wenn sie mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun haben.
Erotik
Wenn man an orientalische Frauen denkt, schwingen oft Haremsfantasien mit. Vor dem geistigen Augen erscheinen erotische Frauen, kurvig statt total durchtrainiert, wie es westliche Fitnessstudios propagieren, in opulent-femininen Gewändern anders als die Hose-Blazer- oder Jeans-T-Shirt-Kombinationen, die Frauen hierzulande im Alltag tragen. In der Orientfantasie darf die Frau erotisch sein, obwohl oder gerade weil sie Rundungen besitzt, sie darf übermäßig geschminkt und mit Schmuck behangen sein – das gehört dazu. Feminität darf zelebriert werden.
Das Andere – das Eigene
Schließlich bietet der Orient noch etwas ganz anderes: Über den kleinen Ausflug in diese völlig andere Welt gelingt es, das Eigene zu definieren. In der Fantasiewelt des Orients findet man das Gegenstück zum eigenen Leben – dort stellt man es sich mystisch vor, traditionell, wie in alten Zeiten, denn hier sind wir modern und aufgeklärt. Der „Orient“ besticht durch Opulenz, Ornamente und Farbenfreude, hier ist das Leben geprägt von klaren Linien, schlichten Formen und meist eher gedeckten Farben. „Ohne Alterität keine Identität“, ohne Anderes kein Eigenes – diese ethnologische Tatsache spielt auch hier hinein. Nur in der Abgrenzung zu etwas anderem kann man das Eigene definieren, nur so erkennt man, was einen selbst ausmacht.
Der Literaturkritiker Edward Said prägte 1978 den Begriff „Orientalismus“, mit dem er die eurozentrische Sichtweise auf den sogenannten Orient bezeichnet: Einerseits verklärt sie den Orient, andererseits definiert sie ihn als Gegenstück zu sich selbst und stellt sich als überlegen dar. Das resultiert in einem kolonialistisch geprägten, exotischen und auch rassistischen Bild des „Orients“.
Nun verwundert noch ein Aspekt: Warum dient ausgerechnet der Orient als Projektionsraum, wo von ihm doch spätestens seit der sogenannten Flüchtlingskrise ein ganz anderes Bild medial präsent ist?
Vielleicht gelingt es einfach, die Traumwelt im Kopf parallel zu halten. Vielleicht ist der Fantasie-Orient längst abgekoppelt von einem realen Vorbild … überlassen wir es an dieser Stelle den Kulturanthropologen, darüber weiter nachzudenken, und beginnen, ein Shooting zu diesem assoziationsreichen Thema zu planen.
Das Kostüm: Bellydance und Bollywood
Sie werden feststellen, dass das Thema Orient einige Besonderheiten aufweist, die es gut fotografierbar machen. Zunächst existieren schöne orientalische Kostüme, die Sie unter dem Stichwort „Bauchtanz“ oder „Bellydance“ im Internet finden. Günstige Kostüme werden zwar keinen Tanzprofi beeindrucken, aber wirken auf Fotos recht ansprechend, vor allem, wenn Sie sie mit schönen Tüchern und Schmuck kombinieren. Alles in allem werden Sie hier preislich weit unter der Anschaffung eines halbwegs attraktiv aussehenden Barockkleids bleiben.
Ein weiterer Vorteil: Die Kostüme sind relativ frei kombinierbar. Sie bestehen in der Regel aus einem pailettenbesetzten BH, einem passenden Gürtel und einem Rock, manchmal noch von einem Schleier oder einer ebenso bestickten Halskette begleitet. Für etwas Abwechslung können Sie zwei unterschiedliche Sets mischen, Tücher als Rock verwenden, den Schleier mit aufs Bild nehmen oder weglassen. Durch diese Mehrteiligkeit sind diese Kostüme auch größenunabhängiger als manch anderes Kleidungsstück. Zudem kann man auch nur mit Einzelteilen arbeiten: Wenn das Model zum Beispiel mit einem BH als Oberteil unglücklich ist, kann sie auch ein Blouson oder Carmen-Top dazu tragen.
In vielen Fällen sind die Kostüme bauchfrei gedacht. Manchmal bedecken große Lagen am BH angebrachter Fransen die Bauchregion. Auch wenn das auf den ersten Blick für manche Frau verlockend wirkt, da die Problemzonen bedeckt sind, würde ich diese Modelle nicht einschränkungslos empfehlen: Falls ein Model den Oberkörper nicht exakt gerade und damit sehr statisch platziert, tragen dicke Fransenlagen eher auf, indem sie die Taille verdecken, und verleihen dem Bild dominante, senkrechte Linien. Ein Model, das sich bauchfrei unfotogen fühlt, sollte lieber einen Schleier oder ein Tuch über den Bauch legen oder einen anderen Kostümtyp wählen.
Wenn Sie sich fragen, welche Schuhe hier passen könnten, dürfen Sie erleichtert sein: Schuhe können getrost daheim bleiben. Unter Bauchtänzerinnen ist es eine dauerhafte Streitfrage, ob man in High Heels vernünftig tanzen kann – für das Fotoshooting sind Schuhe unnötig. In vielen Ländern, auf die die Fantasie anspielt, gilt es tatsächlich als unhöflich, Schuhe in der Wohnung anzubehalten. Findet das Model seine Füße unattraktiv, können Sie leicht durch den Rock oder ein anderes Tuch verdeckt werden. Viele Bildschnitte machen die Füße ohnehin unsichtbar.
Wer sich mit einem relativ freizügigen „Bra and Belt“-Bauchtanzkostüm nicht wohlfühlt, hat noch andere Varianten zur Wahl: Der Begriff „Anarkali“ oder „Anarkali Salwar“ steht für ein Outfit, das aus einem langen, kleidartigen, meist nach unten weiten und opulent bestickten Oberteil und einer darunter zu tragenden Hose besteht. Auch ein Tuch oder Schleier gehört dazu. Dieses Kleidungsstück wird auf die Zeit der Mogul-Könige (16. bis 19. Jahrhundert) zurückgeführt und stammt aus Südasien.
Ein „Kaftan“ ist ein langes Gewand aus Zentralasien, das in der Taille gebunden wird. Der Brustbereich ist oft besonders bestickt oder bedruckt.
Auch ein „Sari“ oder „Saree“ eignet sich fürs Orient-Shooting. Saris gibt es in unterschiedlichsten Farben und Materialien, von schlicht bis sehr aufwendig. Allerdings ist ein Sari nur eine Stoffbahn, die auf eine bestimmte Weise gewickelt wird – wer das nicht gewöhnt ist, tut sich damit meist sehr schwer. Außerdem wirken Saris im Stehen deutlich schöner, der Stoff fällt attraktiver als im Sitzen. Saris haben aber zwei große Vorteile: Sie sind völlig größenunabhängig und können auch wunderbar als Requisite verwendet werden, als Stoff ins Set gehängt.
Die Requisite: Kissen, Teppiche, Tücher
Damit sind wir auch schon beim Set. Da es ja nicht darum geht, einen „authentischen“ Orient zu zeigen, sind auch hier Ihrer Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Bunte Kissen sind eine gute Basisrequisite, mit denen Sie eine Ecke in Ihrem Zimmer oder Studio ausstatten können. Sie benötigen keineswegs nur aufwendig bestickte Orientkissen, auch einfarbige Kissen in warmen Tönen oder solche mit geschwungenen Paisley-Mustern bieten einen guten Rahmen.
Da man den Orient mit Zelten und Teppichen verbindet, brauchen Sie nicht unbedingt weitere Sitzmöbel, was das Set sehr erleichtert. Vielleicht finden Sie in Ihrem Haushalt noch weitere, passende Elemente wie z. B. Perserteppiche, Wandbehänge, südländische Zimmerpflanzen oder orientalisch anmutende Laternen. Auch Stoffe wie größere Seiden- oder Chiffontücher können einen geeigneten Hintergrund bilden.
Achten Sie auf Folgendes: Da sich das Orientset vor allem für Dauerlicht eignet, können Sie mittels offener Blenden mit der Tiefenunschärfe spielen. Wenn Sie das beabsichtigen, sollten Sie das Set möglichst tief aufbauen, das heißt, die hintere Begrenzungswand sollte einen Abstand zum Model aufweisen – nur so gelingt es Ihnen, den Hintergrund unscharf zu zaubern, während das Model scharf zu sehen ist. Übrigens können Sie ein derartiges Set auch gut draußen in der Natur aufbauen. Um die fremdländische Illusion aufrechtzuerhalten, achten Sie darauf, dass nicht zu typische europäische Vegetation wie Tannen oder Apfelbäume im Bild sind. Saftig-grünes Gras lässt sich mit Tüchern oder Teppichen bedecken.
Nun, da das Set steht, geht es an die Kleinrequisiten. Diese helfen oft beim Posing: Das Model hat etwas, das sie in den Händen halten kann, womit hölzerne Verlegenheitsgesten oder unvorteilhafte Posen mit den Armen eng am Körper entfallen. Außerdem kann man noch weitere Botschaften über die Requisiten einbringen – sei es, um einfach nur die Atmosphäre zu unterstreichen oder um neue Aspekte einzubringen. Kleine Requisiten machen das Set zudem detailreicher, spannender und lassen es deutlich aufwendiger wirken.
Folgende Requisiten können Sie relativ leicht organisieren: Wasserpfeifen werden unmittelbar mit der Fantasiewelt „Orient“ assoziiert und sind schon für wenig Geld erhältlich. Auch Teekännchen und -gläschen verbinden wir mit gemütlichen orientalischen Szenarien. Bücher eignen sich ebenfalls – es könnten ja Exemplare von „1001 Nacht“ sein. Auch altmodisch-ziselierter Schmuck taugt als Requisite, sei es, um das „Drumherum“ interessanter zu machen oder die Kostümierung des Models noch opulenter zu gestalten.
Es ist übrigens sinnvoll, dem Model vor dem Shooting Bilder von Requisiten zu senden, damit sie schauen kann, wie sie am besten mit ihren Kostümen und Requisiten beitragen kann.
Das Make-up: „Dekofläche“ Gesicht
Bleibt noch die Make-up-Frage. Gerade, wenn Sie Close-ups planen, was bei solchen relativ kleinen Sets wahrscheinlich ist, verdient das Make-up besondere Beachtung. Als Grundlage fungiert ein Beauty-Make-up, das durchaus etwas mehr Farbe vertragen kann: Die Augen dürfen dunkel geschminkt werden, die Brauen betont und der Lippenstift darf in einem satten Dunkelrot erstrahlen.
Im India-Shop finden Sie Bindisticker, das sind kleine, bisweilen sehr detailreich gearbeitete Aufkleber, die mittig etwas höher als Augenbrauenhöhe auf die Stirn geklebt werden. Viele Bindis haben eine Tropfenform, wobei die Rundung nach unten und die Spitze nach oben zeigen sollte. Unter Body-Tattoos finden Sie auch größere Ornamente, z. B. goldene Tribalmuster, die Sie auf Gesicht, Arme und Dekolleté kleben können.
Henna stellt natürlich auch eine Option dar. Mit dieser pflanzlichen Farbe werden in vielen südlichen und südasiatischen Ländern vor allem Hände und Füße in komplizierten Mustern bemalt. Echte Hennabemalungen, sogenannte Mehendis, werden mit einer Tube aufgetragen, deren Handling viel Übung erfordert. Sie brauchen viel Zeit zum Trocknen und Einwirken und werden je nach Zusammensetzung der Hennapaste und Beschaffenheit der Haut rot oder dunkel und bleiben zwischen ein paar Tagen und mehreren Wochen auf der Haut.
Vielleicht hat Ihr Model Lust, sich vor dem Shooting ein professionelles Henna machen zu lassen – wenn nicht, kann eine geübte Visagistin auch mit Malfarbe nachhelfen und ein Ornament aufmalen. Dabei sollten Sie darauf achten, dass die Muster so modifiziert werden, dass die Seiten der Hände besonders gestaltet werden, der Handrücken und die Handinnenfläche sind nämlich fotografisch gesehen keine Bereiche, die man unbedingt auf dem Bild haben möchte: Hände wirken frontal gedreht oft sehr groß, häufig knochig, die Finger krumm und die Pose unelegant.
Das Casting: Je nach Bildaussage
Nun steht das Set und das Make-up ist geplant, aber noch ist kein Model ausgewählt. Hier kommt es ein wenig auf die von Ihnen gewünschte Bildaussage an: Möchten Sie auf die Fantasiehaftigkeit Ihrer Inszenierung hinweisen, ist ein hellhäutiges, blondes Model die optimale Wahl. Auch ein Model mit asiatischen Gesichtszügen kommt hierfür infrage. Möchten Sie dem Bild einen etwas realeren Touch geben, sind dunkelhaarige, ggf. auch dunkelhäutigere Modelle passend. Das Model muss keine kleine Kleidergröße tragen, achten Sie aber darauf, dass manche sitzende oder liegende Posen durch die Biegung des Körpers Röllchen erscheinen lassen. Wenn Sie diese nicht wegretuschieren wollen oder können, helfen neben Posingmodifikationen wieder Tücher. Bei kleinen Sets hilft es, entsprechend kleine Modelle auszuwählen.
Das Licht: Von Kerzen bis Baustrahler
Jetzt brauchen Sie noch das richtige Licht. Wie bereits angedeutet, würde ich Dauerlicht empfehlen. Sollte das Available Light nicht ausreichen, können Sie eine Tageslichtleuchte verwenden oder das Einstelllicht eines Studioblitzes, in dem Fall wahrscheinlich auf höchster Stufe. In meinen Orientsets mag ich es, mit der Lichttemperatur zu spielen, und setze gern noch sehr gelbes Licht von Baustrahlern ein. Sie können auch Kerzen nutzen. Wie immer und gerade in kleinen, detailreichen Sets gilt hier die nötige Vorsicht. Am besten halten Sie einen Feuerlöscher griffbereit – bei mir kam er schon zweimal zum Einsatz.
Wenn Sie besonderen Wert auf die Details in Schmuck, Make-up und Körperbemalung legen, sollten Sie nicht zu seitliches Licht wählen, ansonsten geht das Meiste unter oder wirft unnötige, kleine Schatten. Bei leichteren Bekleidungsvarianten kann seitliches Licht die Brüste ungleichmäßig wirken lassen. Wenn also auch vieles für eine (hoch) frontale Ausleuchtung spricht, sollte diese nicht zu flächig geschehen.
Die Bearbeitung: Finetuning
In der Bearbeitung können Sie unpassende Elemente und Bereiche – ein Stück Tapete im Hintergrund, Kabel auf dem Boden etc. – abdecken oder überlagern und eine Beautyretusche vornehmen. Die Techniken „Grunge“ und „Aging“ eignen sich besonders gut für diese Art von Fotos. Ansonsten geht es in der Bearbeitung oft nur um das Anpassen einzelner Farben und Helligkeiten – fertig ist Ihr Bild vom Orient.
TIPPS |
Einsinken: In einem Berg aus Kissen, schon in einem einzigen, sinkt man leicht ein. Das führt dazu, dass man z. B. den Ellenbogen, auf den sich das Model abstützt, und Teile des Unterarms gar nicht sieht, und die Hand etwas unvermittelt aus dem Kissen schaut. Abhilfe schaffen Sie, indem Sie eine Kissenhülle auf einem härteren Untergrund, etwa ein paar Büchern, dekorieren.
Sidecut, bunte Haare, Tattoos: So haben Sie sich Ihr Orientmodel nicht vorgestellt? Warum nicht – ein alternatives Model in einem solchen Set würde die Botschaft selbstkreierter Kultur noch unterstreichen. Probieren Sie es!
Tänzerinnen: Orientalische Tänzerinnen haben oft eigene, sehr gut passende und originelle Kostüme. Auch Burlesque-Tänzerinnen können hier einiges aufweisen.
Glitzer: Je glitzernder das Kostüm, desto glitzernder sollte auch die Location sein. Gemeint ist, dass ein sehr modernes Bauchtanzkostüm mit Halo-Pailetten und Gogo-Optik weniger in eine Beduinenzeltoptik mit alten Stoffen und Messingteekanne passt als in ein Set mit Spiegeln und glänzenden Stoffen.
Akt in der Natur
Aktfotografie blickt auf eine lange Tradition zurück – reihen Sie sich ein! Die Natur bietet eine reizvolle Kulisse für Aktaufnahmen.
Das Thema: Nacktheit
Viele Gründe sprechen dafür, sich mit der Kunstform „Aktfotografie“ auseinanderzusetzen. Der Begriff „Akt“ stammt vom lateinischen agere, „in Bewegung setzen“ und meinte ursprünglich die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Körper in Bewegung. Im Laufe der Zeit wurde der Begriff erweitert und umfasst heute jede Darstellung des nackten menschlichen Körpers.
Nacktheit in der Kunst
Der nackte Körper war allerdings schon in der Antike ein beliebter Gegenstand der Kunst, obwohl es im Alltag keineswegs normal war, unbekleidete Menschen zu sehen. Antike Künstler präsentierten den nackten Körper in Perfektion, er stand für Jugendlichkeit, Schönheit und Kraft. Im Mittelalter wandelte sich das Verhältnis zur Nacktheit. Einerseits wurde Jesus am Kreuz fast nackt dargestellt als Zeichen für Verletzlichkeit und als Anlehnung an den ersten Menschen Adam, andererseits galt nackte Haut als Zeichen für Sündhaftigkeit. Heute wird man ständig mit nackten Körpern konfrontiert, sei es in der Werbung oder in der Kunst, manchmal klassisch inszeniert wie bei Peter Lindbergh, manchmal trashig wie bei Jürgen Teller oder provokativ wie bei Liv Fontaine.
Natur vs. Kultur
Nun haben wir den ersten Teil unserer Überschrift betrachtet – fehlt noch die Natur bzw. das Zusammenspiel. In unserer Kultur besteht eine Tendenz zum dualen Denken: Auf der einen Seite befindet sich die Natur, auf der anderen die Kultur. Der Akt in der Natur bricht diese Dualität auf. Der nackte Körper in der Natur setzt ein inhaltliches Statement: Der Mensch wird in seiner natürlichsten Form und als Teil oder Ergänzung der Natur präsentiert, nicht als ihr Gebieter oder als fundamental andere Kategorie. Je nach Motiv erscheint die Natur sogar übermächtig und der Mensch nur als kleines Beiwerk.
Die Formen des menschlichen Körpers können die Natur ergänzen – etwa weiche, runde Körperformen auf vom Wasser rundgewaschenen Felsen – oder auch einen gewissen Kontrast zur Natur bilden, z. B. wenn kantige kahle Äste den Körper umgehen. Letzteres wird vor allem dann interessant, wenn tote Natur dem lebendigen Körper gegenübergestellt wird.
Die Location: Passende Natur
Für Ihr Shooting brauchen Sie natürlich ein aktwilliges Model und eine Naturlocation, in die sich das Model integrieren lässt. In der Planung ist meistens die Location der Master: Je nach Location wissen Sie, ob Ihr Model groß oder klein, dick oder dünn, hell- oder dunkelhäutig sein soll und ob andere Besonderheiten nötig werden, dass sie beispielsweise gut auf Bäume klettern kann oder mit kaltem Wasser klarkommt.
Ein wichtiger Faktor ist auch das Publikum. Viele Naturhighlights liegen an Wanderwegen, und so sinken die Chancen, die Location gerade bei gutem Wetter und womöglich noch an einem Wochenendtag menschenfrei vorzufinden. Publikum kann auf verschiedene Weise stören: Die meisten Aktmodelle fühlen sich nicht wohl, wenn sie mit so vielen Blicken rechnen müssen. Während das Model beim Fotografen davon ausgehen darf, dass sein Ziel schöne Bilder sind, ist das bei einem Gaffer nicht der Fall. Besonders ärgerlich wird es, wenn Handykameras gezückt werden – hier können Sie oder das Model aber auch ein Machtwort sprechen und um sofortige Unterlassung bitten.
Neben den Gaffern gibt es vielleicht auch kritische Stimmen, das Shooting sei obszön, unästhetisch oder sittenwidrig. Daher empfehle ich, bei viel Publikum vorerst mit dem Fotografieren zu warten. Solange andere Besucher noch vor Ort sind, können Sie die Kamera bereits einstellen und dem Model Posing-Hinweise geben – am besten lässt sie aber noch nicht alle Hüllen fallen. Manchmal ist es aber auch sinnvoll, auf weniger frequentierte Orte auszuweichen. Ein Blick um die Ecke, ein paar Meter vom Weg abgewichen – und schon zeigen sich oft ebenso interessante Spots, an denen sich in Ruhe fotografieren lässt.
Das Kostüm: „Restoutfit“
Generell finde ich es in Ordnung, wenn das Model beim Akt in der Natur eine gut sitzende, schlichte, beigefarbene Unterhose anbehält. Diese lässt sich meist mit wenigen Klicks in der Bildbearbeitung entfernen, und viele Modelle fühlen sich so wohler: nicht nur wegen möglicher Gaffer, sondern auch aus hygienischen Gründen. Ist die Location tatsächlich stark frequentiert, kann das Model auch noch einen hautfarbenen, trägerlosen T-Shirt-BH tragen, denn auch dieser lässt sich, zumindest im Ganzkörperbereich, einigermaßen wegretuschieren. Posen mit den Haaren oder Armen vor der Brust erleichtern die Sache noch einmal.
Semitransparente Tücher können das Bild „ent-akten“ und zugleich für eine schöne Dynamik sorgen. Suchen Sie zur Location passende Tücher aus – Ton in Ton oder in Kontrastfarbe – und probieren Sie schon vor dem Shooting aus, welche Posings gut funktionieren, sodass das Tuch elegant wirkt und nicht als unbeholfene Notlösung erscheint.
Außerdem sollten Sie noch ein kleines Handtuch in der die Location dominierenden Farbe an Bord haben, das als Unterlage dienen kann. Eventuell wird auch eine Heckenschere sinnvoll, um störende Äste und Dornen zu entfernen. Insektenspray kann ebenfalls wichtige Dienste erweisen.
Das Posing: Harmonisch
Achten Sie beim Fotografieren darauf, dass sich das Model in die Location einfügt. Manchmal sind dabei Posings sinnvoll, die sonst weniger infrage kommen, etwa zusammengerollte Posings oder von der Kamera abgewandte Posings. Mit abgewandten Körpern arbeiteten schon die Maler der Romantik, denn sie können für den Betrachter den Vorteil haben, sich besser in die Situation einfühlen zu können. Die Bildaussage wird noch allgemeiner: Jeder könnte es sein, jeder ist Teil der Natur.
Die Bearbeitung: Farbspiele
Oft benötigen solche Aktbilder nur wenig Bearbeitung. Manch einer stört sich allerdings an zu viel Grün in den Fotos. Mit Filtern wie „Indian Summer“ der NIK-Collection oder „Farbe ersetzen“ in Photoshop lässt sich das Grün z. B. in Orange ändern oder entsättigen. Auch eine Ersetzung durch Türkis stellt eine interessante Abwechslung von zu viel Grün dar.
TIPPS |
Anonymer Akt: Manchmal passt die Rückenansicht oder ein verstecktes Gesicht besser zur Bildkomposition, und manchem Model, das sich eigentlich nicht zum Aktmodel berufen fühlt, ist das auch ganz recht …
Verflüssigen: Bei den organischen Formen der Natur fällt es oft nicht schwer, die Figur des Models noch umfangreich anzupassen. Eine Ausnahme bilden hier allerdings gerade gewachsene Grashalme oder kantige Äste – hier bleibt weniger Spielraum.
Mimosen: Wer allzu empfindlich ist und große Angst vor Spinnen, Kellerasseln oder sonstigem Getier hat, sollte lieber zu Hause bleiben – das gilt für Model und Fotograf gleichermaßen. Stechende und beißende Insekten werden von Spray ferngehalten.
Allergiker: Fragen Sie vor dem Shooting nach, ob das Model gegen bestimmte grassierende Pollen, Bienenstiche o. Ä. allergisch reagiert – dann heißt es, kein Risiko einzugehen. Nach dem Shooting sollte sich das Model vor allem ab April nach Zecken absuchen lassen, da diese unangenehme bis gefährliche Erkrankungen wie Borreliose oder FSME übertragen können.
Ausflug ins Schloss
Schon beim Wort „Schloss-Shooting“ leuchten die Augen. Könnte man sich eine fantastischere Location vorstellen? Was könnte hochwertiger sein als die wohl herrschaftlichste Behausung? Und doch ist es nicht ganz einfach, in Schlössern zu fotografieren.
Das Thema: Im Schloss
Fast jeder hat es schon einmal getan: sich selbst als Schlossherrn vorgestellt, geträumt, wie es wäre, als Louis XIV. oder Katharina die Große durch Flure voller verzierter Spiegel zu wandeln, im Schatten weißer Statuen durch gepflegte Gärten zu flanieren oder auf einer dick gepolsterten Recamière süßes Gebäck zu genießen.
Schlösser bieten ein optimales Setting für Träume und Fantasien. Der Reiz an Schlössern als Location für künstlerische Menschenfotografie besteht aber nicht zuletzt in einer gewissen Ambiguität, die sie vermitteln. Betrachten wir die Assoziationen:
Luxus
Wo findet man mehr Reichtum, offen zur Schau getragen, als in einem Schloss? Schon der typische, akkurat angelegte Schlossgarten, die hohen Wände, die breiten Treppen vermitteln unmissverständlich: Wer hier residiert, besitzt ein Vermögen. Das alleine bringt aber bereits ein mulmiges Gefühl mit sich: Es gilt als ein wenig unanständig, seinen Reichtum allzu offensiv zu präsentieren – so protzig benimmt man sich nicht, oder wenn, dann maximal als C-Promi. Man gibt nicht so an in dem Bewusstsein, dass es vielen Menschen ohne Eigenverschulden deutlich schlechter geht. Wenn das heute schon der Fall ist, um wie viel drastischer war dieses soziale Gefälle zu Zeiten, in denen die Schlösser gebaut und von Fürsten und Königen bezogen wurden! Welch unfaire Lebensform!
Andererseits ist durchaus ein gesellschaftlicher Wandel zu beobachten, wenn es um Geld und Status geht. Es wird wieder salonfähiger, Reichtum zur Schau zu stellen. Während die Werbung „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ der Sparkasse noch einen Touch Ironie mitbrachte und damit zum geflügelten Wort wurde, wird genau diese Haltung nun schichtübergreifend Realität. Auf Facebook präsentiert man sein Auto, seinen Urlaub, sein Mittagessen – und sein Haus, vor allem, wenn es einen kleinen Schloss-Touch ausstrahlt. Ein gewisser Anti-Bescheidenheits-Trend macht sich breit …
Gefangenschaft
Doch wie märchenhaft sich das Leben im Schloss gestalten mag – vielen von uns reicht der Traum davon, dauerhaft tauschen möchte man eigentlich nicht. Das Leben als Schlossherr ist reglementiert, die Etikette ist streng, Freiheiten sind eingeschränkt, und das Schloss wird ganz schnell zu einem goldenen Käfig. So steckt eine besondere Melancholie in dem opulenten Gebäude.
Nostalgie
Schlösser sind Sehnsuchtsorte und wecken in verschiedener Hinsicht Nostalgie. Sie erzählen oft von vergangenen Epochen weit vor unserer Zeit und rufen so die Vergangenheit auf den Plan. Vielleicht träumen wir von Epochen, in denen Kurtisanen mit aufgetürmten Frisuren durch die Gänge spazierten, in denen es klare Rollenverteilungen gab und die Hauptsorge der adligen Ladys darin bestand, welches Kleid man zum Diner tragen sollte. Zugleich wird Nostalgie aber noch in einer weiteren Hinsicht relevant: Wir erinnern uns vielleicht an die Zeit, als wir (mit oder ohne Walt Disney) Prinz oder Prinzessin gespielt haben, an die eigene Kindheit.
Dekadenz
Bei Bildern von Schlössern schwingt auch fast immer Dekadenz mit – alles ist zu schön, zu märchenhaft, zu opulent, um wahr zu sein. Der Begriff Dekadenz leitet sich vom lateinischen decadere, „herabfallen“ ab, stammt ursprünglich aus der Geschichtsphilosophie und findet Verwendung, wenn der übertriebene Hang zum Hedonismus eine Kultur in den Niedergang führt. Aus der Geschichte wissen wir: Lange hält die Verschwendungssucht nicht, solche Märchen gehen nicht gut aus, so manch ein Schlossherr stirbt eines gewaltsamen Todes, und auch die Herrscherfamilien können ihren Glanz verlieren.
Diese Assoziationen sind es, die Schloss-Shootings interessant machen und ihnen eine tiefere Dimension als „Wow, ist hier alles prächtig und elegant!“ geben. So gesehen haben wir mit einem Schloss also einen fantastischen Ort für die anspruchsvoll inszenierte Menschenfotografie.
Die Location: Wie finde ich ein Schloss?
In diesem Fall bringt „einfach nachfragen“ nur selten den gewünschten Erfolg; Schlösser bekommt man nicht so einfach als Location zur Verfügung gestellt. Schlossgärten hingegen sind, sofern die Schlösser nicht in Privatbesitz stehen, oft öffentlich zugänglich. Achten Sie auf die Öffnungszeiten, oft schließen Schlossgärten bereits am späten Nachmittag ihre Pforten. Ein Abend-Shooting kommt dann nicht in Frage.
Auch wenn ein Schlossgarten zugänglich ist, sollten Sie natürlich lieber um eine explizite Shoot-Erlaubnis bitten, damit Sie und Ihr Model nicht beim Fotografieren gestört, aufgehalten oder gar verscheucht werden. Manchmal gibt es Regularien, dass die Bilder z. B. nicht kommerziell genutzt werden dürfen oder dass Sie bei Veröffentlichung die Location nennen müssen.
Wie aber sieht es indoor aus? Indoor-Schlossambiente finden Sie auch in besonderen Hotels, wo Sie an einem ruhigen Tag, vor allem wenn Sie oder Ihr Model selbst Gast sind, vielleicht auch ein paar Bilder in der Lobby oder im Speisesaal aufnehmen dürfen. Säle in Hotels und Tagungseinrichtungen können Sie häufig auch stunden- oder tagesweise mieten, wegen geringerer Nachfrage könnte der Tarif an Wochentagen deutlich günstiger sein als an Wochenenden.
Einrichtungen wie Internate, Hochschulen, städtische Verwaltungen etc. sind häufig in barocken Gebäuden untergebracht – hier ist man künstlerischer Fotografie gegenüber oft nicht ablehnend und kann einzelne Räume zu erträglichen Preisen mieten. Je weniger glamourös die Institution ist, desto mehr müssen Sie damit rechnen, unliebsame Requisiten wie moderne Bestuhlungen, Büroregale, Flipcharts etc. wegräumen zu müssen oder Ihre Bildausschnitte entsprechend zu planen. Besonders ärgerlich ist oft der Blick nach oben, wenn eine schöne Stuckdecke mit Neonröhren verunstaltet wurde.
In Schlössern, die als Museen gestaltet sind, haben Sie dieses Problem nicht. Sie erlauben manchmal kurze Fotosessions, solange die Besucher nur selten gestört werden.
Schlossgarten, Tanzsaal oder doch Studio?
Was genau wird Ihr optimaler Foto-Hintergrund? Zugegebenermaßen eine Luxusfrage, wenn Sie frei wählen dürfen. Verschiedene Aspekte spielen in die Entscheidung hinein: Wie weit dürfen Sie die Räume überhaupt betreten? Häufig begrenzen Absperrungen den Gang in besonders schöne Räume, man darf nur einen Blick von der Tür aus wagen. Hier sollten Sie zumindest darum bitten, die Absperrung zur Seite rücken zu dürfen – denn kaum etwas reißt den Betrachter mehr aus nostalgischer Versenkung als ein so offensichtliches Merkmal, das quasi herausschreit: „Dies ist ein Model und keine Schlossherrin, wir waren nur kurz zum Knipsen dort.“ Wegretuschieren hingegen wird bei den meist sehr strukturierten Hintergründen eine ziemliche Herausforderung.
Die nächste Frage: Welche Möbelstücke befinden sich im Raum – womöglich unpassende, moderne Stuhlreihen, wie sie in barocken Standesämtern oder Musikschulen vorkommen können? Lassen sie sich entfernen? Und die zum Bild passenden Möbelstücke – darf das Model etwas anfassen, sich gegen eine Wand lehnen und sich auf einen Stuhl setzen, oder ist all das streng verboten?
Möbel und Raumausstattungen etwa stellen oft ein besonderes Problem dar. Ich erinnere mich an ein Shooting, bei dem ich „freie Locationwahl“ hatte und mir – natürlich – ein Schloss wünschte. Allerdings entpuppte sich das Schloss als völlig leer, es gab zwar antike Türen und bemalte Wände, aber fast keine historisch passenden Einrichtungsgegenstände.
In dem Fall ist es optimal, vorzusorgen. Einen Barockstuhl können Sie auf dem Flohmarkt oder im Internet kaufen – je nach Kostüm, vor allem bei großen Reifröcken reicht aber auch ein gewöhnlicher Schemel, da er ohnehin kaum zur Geltung kommt. Ein kleines Tischchen dazu wäre auch hübsch – je nach Tischdecke darf es auch etwas
„Normales“ sein. Weitere Requisiten wären z. B. ein Teeservice, eine Blumenvase, alte Bücher, Schmuckstücke etc.
Größenverhältnisse
Bedenken Sie auch die Größenverhältnisse: In vielen Schlössern beginnen die Wandverzierungen erst ab zwei bis drei Meter Höhe, und ausgerechnet die Decke ist besonders reich verziert. Die Schönheit des Raumes und zugleich das Model auf ein Bild zu bringen wird damit zur Herausforderung.
Eine Möglichkeit besteht in einer weitwinkligen Aufnahme von unten. Damit Sie dann aber vom Model mehr als nur einen gestauchten Oberkörper, Hals und Nasenlöcher sehen, muss sie nach vorne überkippen – eine Position, die von der Seite her ziemlich seltsam anmutet, aus der niedrigen Position aber zu einem stimmigen Gesamtbild führt, wie man im Bild rechts sieht: Das Model kippte den Oberkörper, damit ich aus meiner sehr niedrigen Perspektive mit dem Weitwinkelobjektiv den Körper nicht gestaucht fotografierte.
Eine ganz andere Möglichkeit ist es, ein gewöhnliches Modelporträt mit einem Location-Bild in einer Collage zu kombinieren. Lassen Sie das Model auch ohne Schloss Bezug auf Elemente im Schloss nehmen, z. B. einen verzierten Türknauf greifen oder vor einer Stuckdekoration stehen. Andernfalls können Sie sich das Shooting sehr viel einfacher machen, indem Sie es splitten: Das Model fotografieren Sie bequem daheim im Studio unter gut kontrollierbaren Bedingungen, und on location können Sie sich in Ruhe nur auf das Schloss konzentrieren.
Das Kostüm: Kein Karneval!
Relevanter als bei anderen Locations ist beim Schloss-Shooting das Styling des Models. Historisch passende Kostüme zu finden gestaltet sich allerdings ziemlich schwierig, sofern man kein vierstelliges Budget zur Verfügung hat. Bei Barockkostümen der bekannten Karnevalsanbieter ist in mehrfacher Hinsicht Vorsicht geboten: Die Satinstoffe glänzen oft so stark, dass bei hellen Farben größere Teile überstrahlen können. Dunkle Bereiche hingegen „saufen ab“.
Details
- Seiten
- ISBN (ePUB)
- 9783869103839
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2018 (Februar)
- Schlagworte
- Porträtfotografie Fotografie-Ratgeber Fotografieren Porträtaufnahmen