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Kinder achtsam erziehen

Wie Sie Wut, Streit und Geschrei aus dem Familienalltag verbannen

von Alexandra Karr-Meng (Autor:in)
208 Seiten

Zusammenfassung

Es gibt Erziehungs-Situationen, die immer wieder hochkochen – für Kinder und Eltern Stress pur! Die gute Nachricht: Mit etwas Achtsamkeit können Eltern spürbar den Dampf aus diesen stressigen Momenten nehmen und dennoch ihre Erziehungsziele durchsetzen. Die alltagstauglichen Tipps, hilfreichen Rituale und praktischen Übungen des Ratgebers sorgen für schnelle Erfolge. Denn wer entspannt und achtsam erzieht, wird belohnt: Mit weniger Streit, mehr Wertschätzung und einer deutlich stärkeren Bindung zu seinem Kind. Auch mit kleinen Veränderungen können Sie viel bewirken.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis



„Leben ist das, was passiert, während du beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.“

John Lennon

Kennen Sie das Zitat von John Lennon? Es bringt auf den Punkt, was uns alle umtreibt. Der Strom des Lebens umfließt uns und zieht uns mal mehr, mal weniger in seinen Sog.

Die gute Nachricht vorab: Mit ein wenig Achtsamkeit im Familienleben meistern Sie die Herausforderungen des Alltags deutlich besser, vieles wird Ihnen leichter fallen. Als Eltern können Sie schon mit kleinen Impulsen und Veränderungen für eine achtsame Erziehung sorgen. In diesem Ratgeber finden Sie viele Tipps und Rituale, die Ihnen dabei helfen. Sie werden merken, wie sich die gute Atmosphäre zwischen Ihnen und Ihrem Kind festigen wird. Die kleinen und großen Krisen im Familienalltag wird es auch weiterhin geben. Aber: Sie werden gelassener damit umgehen. Und Sie werden belohnt: Mit einem entspannten Kind und der eigenen inneren Balance.

Ein Werkzeugkoffer voller Achtsamkeit

Als Mutter eines Sohnes kenne ich die Herausforderungen des Alltags. Wer möchte nicht, trotz viel Trubel, locker und flockig alles auf die Reihe bekommen. Immer mit einem Lächeln im Gesicht, unermüdlich, mit einem vollen Akku im Gepäck. Nicht zu vergessen die „Nano-Versiegelung“, an der alles wie Wasser auf der frisch geölten Haut abperlen kann. Ganz nach dem Motto: Geht nicht, gibt’s nicht. Woher dieses Bild kommt? Die Werbung hat hierfür den Begriff der Familienmanagerin erfunden.

Schon allein der Begriff „Managerin“ zeigt, welche Kompetenzen in der Familie gefordert sind: Bezugsperson sein, den Alltag organisieren, Struktur schaffen, fürsorglich sein, Konflikte lösen, Gespräche führen, Streit schlichten, trösten und natürlich dabei alles locker im Griff haben. Mit diesen Aufgaben alleine ist der Tag schon ausgefüllt, viele Frauen und Männer gehen jedoch noch einer Beschäftigung nach.

Wie so viele andere Mütter, bin auch ich „multifunktional“ unterwegs. Seit 14 Jahren arbeite ich als Coach, Trainerin, Organisationsund Personalberaterin für eine Krankenkasse. Darüber hinaus bin ich selbständig als Coach und Trainerin für Kommunikation, Persönlichkeitsentwicklung und Resilienz tätig. Dann gibt es natürlich meine private Seite, das Leben mit meiner Familie.

Als Mutter eines zehnjährigen Sohnes genieße ich die Zeit mit meiner Familie. Mir ist es wichtig, unseren Sohn zu begleiten, intensiv Zeit mit ihm zu verbringen, für ihn da zu sein und zu wissen, was ihn bewegt. Das funktioniert in der Regel alles gut – aber natürlich gibt es auch Phasen, in denen es schwerer ist, alles unter einen Hut zu bekommen. Besonders, wenn ich beruflich sehr eingespannt bin und sich die Herausforderungen in der Familie häufen, merke ich, wie der Stresspegel steigt, wie ich schneller ungeduldig oder gereizt bin. Dazu kommt noch, dass ich die Messlatte an mich selbst oft sehr hoch lege.

In diesen Zeiten hilft mir mein Wissen über Achtsamkeit sehr, denn damit gelingt es mir leichter, für meine Familie und mich den besten Weg zu finden.

Und das können Sie auch: In diesem Ratgeber finden Sie einen gut gefüllten Werkzeugkoffer voller Achtsamkeit, schöpfen Sie aus dem Vollen! Praktische Übungen, hilfreiche Informationen, bewährte Tipps und Möglichkeiten zur Selbstreflektion helfen Ihnen, in Ihrer Familie den Grundstein für einen respektvollen und von Liebe geprägten Umgang zwischen Ihnen und Ihren Kindern zu legen.

Was Eltern bewegt

Die Sorgen und Nöte von Eltern ähneln sich meistens, und doch muss jede Mutter und jeder Vater den eigenen Weg finden. Bevor ich dieses Buch schrieb, habe ich viele Eltern befragt. Ich wollte wissen, vor welchen Herausforderungen sie täglich stehen und wann Sie an ihre Grenzen kommen. Folgende Fragen stellte ich Müttern und Vätern:

Welche Situationen stressen mich und mein Kind?

Wo gibt es bei uns in der Familie die größten Konflikte?

Was ängstigt mein Kind?

Wann stoße ich mit meinen Kindern an meine Grenzen?

Welche Unterstützung würde ich mir wünschen?

Die Antworten, die ich erhalten habe, zeigen, dass die meisten Eltern mit Krisen und Situationen zu kämpfen haben, die Sie bestimmt auch kennen.

In diesem Ratgeber finden sich viele Beispiele aus dem Alltag der befragten Familien. Bestimmt werden sich solche Szenen so oder ähnlich auch in Ihrer Familie abspielen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man als Eltern in schwierigen Erziehungssituationen auch mal mit seiner Weisheit am Ende ist. Es ist schwer, das zuzugeben! Da hilft es inne zu halten und sich klar zu machen, dass man nicht für alles eine Lösung haben muss.

Es ist völlig in Ordnung zuzugeben, dass Sie jetzt gerade ratlos oder überfordert sind. Tauschen Sie sich darüber mit anderen Eltern aus, wenn Sie die Möglichkeit haben. Sie werden sehen, dass Sie nicht alleine mit Ihren Problemen sind. Meist hilft es schon, darüber zu sprechen. Dabei bekommt man Bestätigung oder neue Impulse. Kinder fordern uns und halten uns täglich den Spiegel vor. Das erleben alle Eltern und alle gehen unterschiedlich damit um.

Weniger Konflikte bedeuten weniger Stress

Das letzte Kapitel meines Ratgebers richtet sich übrigens ganz an Ihre Bedürfnisse als Mutter oder Vater. Machen wir uns nichts vor: Sie sind als Eltern die Keimzelle für ein konfliktarmes Familienleben. Dafür sollten Sie Spielregeln beachten und sich selbst immer wieder neu erden. Denn achtsame Eltern, die auf sich und ihre Kinder achten, sich gegenseitig respektieren und wertschätzen, sind die Grundlage für Harmonie und vorausschauendes Handeln. Meine Tipps lassen sich mühelos in den Alltag übertragen, sie sorgen für Inseln im Meer der vielen kleinen Dinge, die belastend sein können.

Verlieren Sie nicht den Mut, wenn es nicht gleich funktioniert. Für Sie und Ihr Kind sind manche Übungen eine ganz neue Erfahrung. Sie müssen sich erst einmal daran gewöhnen! Veränderungen erzeugen im ersten Moment Widerstand. Sie denken vielleicht, dass manche Ratschläge sehr aufwändig sind oder Ihr Kind es ablehnen wird, Neues auszuprobieren, weil es ungewohnt ist. Aber es wird sich nur etwas ändern, wenn Sie damit beginnen.

Es ist ähnlich wie beim Fitnesstraining. Ihr Körper baut nur Muskeln auf, wenn Sie diese trainieren, also täglich nutzen. Ansonsten sind sie schnell wieder weg und der wohl definierte Oberarm beginnt schlapp zu werden.

Liebe Leserinnen und Leser, probieren Sie die Übungen aus, lassen Sie sich auf neue Sichtweisen ein, verändern Sie jeden Tag ein bisschen was! Seien Sie neugierig und durchbrechen Sie bewusst das eine oder andere Verhaltensmuster. Wenn Sie den Anfang machen, werden sich auch die Menschen um sie herum verändern. Dieses Buch bietet Ihnen Strategien, Übungen und Methoden, wie Sie anstrengende Konflikte und verfahrene Situationen durch bewusstes Handeln verhindern oder entschärfen können. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg – Sie wissen ja, alles beginnt mit dem ersten Schritt. Der Weg hat schon begonnen …

„Wie du säst, so wirst du ernten.“

Cicero

Mit diesem Zitat wünsche ich Ihnen viel Erfolg!

Herzliche Grüße

Ihre Alexandra Karr-Meng

WIE KÖNNEN WIR IN DER FAMILIE ACHTSAM MITEINANDER UMGEHEN?

Achtsamkeit ist mehr als ein Trend. Es geht darum, sich bewusst dafür zu entscheiden, im Moment zu leben und aufmerksam zu sein. Im Umgang mit Menschen bedeutet achtsam sein unter anderem, sich dem anderen zuzuwenden und weder ihn noch seine Handlungen zu werten.

Das kleine 1 x 1 der Achtsamkeit

Wir alle kennen das Wort Achtsamkeit. Es ist fester Bestandteil des Buddhismus und spielt in der Meditation eine wichtige Rolle. Mittlerweile ist Achtsamkeit zum Modewort geworden, so wie auch der englische Begriff Mindfulness. Alles und jeder ist achtsam oder will es sein. Es wird achtsam miteinander umgegangen, wir essen achtsam, bewegen uns achtsam, beobachten achtsam, arbeiten achtsam.

Doch was bedeutet es für uns? Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit. Unsere Tage sind getaktet, jede Minute ist verplant, oft hetzen und jagen wir von einem Termin zum anderen. Haben ständig was zu tun. Kinder erziehen, eine wichtige Besprechung, Hausarbeit, Treffen mit Freunden und dann noch der Freizeitstress. Immer und überall sind wir erreichbar. Selbst im Urlaub werden noch schnell Mails gecheckt und Telefonate entgegengenommen. Wenn wir uns Ruhe gönnen, meldet sich sofort das schlechte Gewissen. „Ich kann doch nicht einfach faul in der Sonne liegen! Was könnte ich jetzt alles tun! Was entgeht mir gerade?“ Unser Kopf schaltet selten ab. Das Gedankenkarussell dreht sich ständig. Tut uns das auf Dauer gut?

Im Gegensatz zu uns Erwachsenen leben Kinder im Moment. Wer könnte uns also ein besseres Vorbild sein als unsere eigenen Kinder? Sie werden mit einer Grundachtsamkeit geboren. Kinder leben im Hier und Jetzt. Sie tun, was sie tun, mit allen Sinnen und mit voller Aufmerksamkeit.

Achtsamkeit können wir von unseren Kindern lernen

„Die wahre Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“

Pearl S. Buck

Kinder sitzen oft einfach nur da und starren Löcher in die Luft. Hierbei träumen sie, hängen einfach ihren Gedanken nach oder beobachten, was um sie herum geschieht. Ich bewundere immer wieder den verträumten Blick der Kinder, die Ruhe und Gelassenheit, mit der sie sich ihren Gedanken hingeben, bis sie plötzlich aus ihrem „Dornröschenschlaf” erwachen und neue Ideen aus ihnen heraussprudeln.

Bestimmt haben Sie auch schon Folgendes erlebt: Ihr Kind spielt in seinem Zimmer und ist ganz in seiner Fantasiewelt versunken. Sie rufen es mehrfach, doch es reagiert nicht. Es erlebt die Situation und fühlt sich wohl darin. Deshalb hört es auch Ihr Rufen nicht. Es blendet alles um sich herum aus. Seine Spielwelt ist jetzt das Wichtigste.

Achtsamkeit müssen Kinder nicht lernen. Nein, sie verlernen sie vielmehr im Laufe ihres Lebens. Wir Eltern treiben sie an, sich zu beeilen und nicht zu trödeln oder endlich mit einer Aufgabe anzufangen. Wir glauben, sie zu multitaskingfähigen Menschen erziehen zu müssen, weil das in unserer modernen Gesellschaft angeblich so wichtig ist, um erfolgreich und glücklich zu sein.

Zeiträuber und Dauerberieselung

„Achtsamkeit ist eine Qualität des menschlichen Bewusstseins, eine besondere Form von Aufmerksamkeit. Es handelt sich dabei um einen klaren Bewusstseinszustand, der es erlaubt, jede innere und äußere Erfahrung im gegenwärtigen Moment vorurteilsfrei zu registrieren und zuzulassen.“

Doris Kirch, Deutsches Fachzentrum für Achtsamkeit

Tausend Sachen gleichzeitig machen?

Die größte Falle in Bezug auf Achtsamkeit ist Multitasking. Vor einigen Jahren als eine hervorragende Fähigkeit gefeiert und gepriesen, zeigen neue Forschungen die negativen Seiten des Multitaskings. Viele Studien befassen sich mit den negativen Auswirkungen des Multitaskings auf den Menschen. Niemand kann mehrere Tätigkeiten gleichzeitig gut ausführen, das macht das menschliche Gehirn nicht mit. Es ist dafür ausgelegt, eine, maximal zwei komplexe Tätigkeiten gleichzeitig auszuführen. Dies wissen oder spüren wir auch. Wir merken sehr schnell, wenn wir nicht richtig bei der Sache sind, uns verzetteln und uns dadurch unnötigen Druck machen. Auf Dauer macht diese geteilte Aufmerksamkeit krank. Die gleichzeitige Arbeit an mehreren Sachen führt zu Konzentrations- und Leistungsverlusten. Eine Sache „richtig“ zu machen oder zuerst eine Sache „fertig“ zu machen, widerspricht dem Anspruch, ganz viel auf einmal zu schaffen.

EINE KLEINE ACHTSAMKEITS-GESCHICHTE

Ein Zen-Meister wurde einst von seinen Schülern gefragt, warum er so in sich ruhe und trotz seiner vielen Beschäftigungen so glücklich sei und so viel Liebe ausstrahle.

Er antwortete:

Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
wenn ich sitze, dann sitze ich,
wenn ich esse, dann esse ich,
wenn ich liebe, dann liebe ich …

Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten:

Das tun wir doch auch, aber was tust du darüber hinaus?

Er sagte wiederum:
Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
wenn ich sitze, dann sitze ich …

Wieder fielen ihm die Fragesteller etwas ungeduldig ins Wort und riefen:

Aber das tun wir doch auch!

Geduldig antwortete er ihnen:
Nein! Wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon.
Wenn ihr steht, dann lauft ihr schon.
Wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel.

(Verfasser unbekannt)

Besonders das Telefonieren, das Immer-erreichbar-sein, hinterlässt Spuren. Wir werden rastlos und stehen unter einer medialen Massendurchflutung. Denn wir sind einfach nicht dafür gemacht, fünf Dinge gleichzeitig zu tun. Dank des mobilen Internets erreichen uns vermeintlich unentbehrliche Neuigkeiten überall und – wenn wir es zulassen – auch jederzeit. Verschiedenste Nachrichtendienste, Twitter, Facebook, Whatsapp, Instagram und so weiter beherrschen unsere Welt. Ob wir es wollen oder nicht, wir werden berieselt. Mal mit schönen Dingen von unserer Freundin „Schau mal, die Kleine hat ihre ersten Schritte gemacht“, bis hin zu Meldungen wie „Wer hat auch keine Lust zum Aufstehen“. Dazwischen noch Rückfragen des Partners, was heute Abend geplant ist oder dass das geplante Meeting doch ausgefallen ist.

Bestimmt kennen Sie auch diese Überflutung von allen Seiten: Telefonisch Termine machen, Mails checken, Posts liken, dabei kochen, überlegen was das Kind morgen in der Schule alles braucht und die Einkaufsliste schreiben. Gelingt Ihnen das? Es gelingt so lange es Ihnen gut geht. Doch wie geht es Ihnen nach einer schlaflosen Nacht, einem Tag, an dem einfach nichts klappen wollte?

Kinder mögen kein Multitasking

Diejenigen unter uns, die mit der Flut umzugehen gelernt haben, werden dennoch im Laufe der Zeit merken, dass Multitasking ihnen auf Dauer nicht gut tut. Das ständige Rennen, Hasten, Rasen und Verzetteln macht uns Menschen unglücklich und aggressiv. Nach außen demonstrieren wir Aufmerksamkeit, doch meistens sind wir in Gedanken schon ganz woanders. Vielleicht merken es die meisten nicht, doch Ihr Kind merkt sofort, wenn Sie nicht bei ihm sind.

So wie Kinder einer Sache ihre volle Aufmerksamkeit schenken können, schätzen sie es auch, wenn ihnen selbst volle Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Was macht Kindern Freude?

In der Recherche zu diesem Buch habe ich Kinder gefragt: „Was macht dir am meisten Freude?“

mit Mama und Papa kuscheln

Malen und Singen

mit meinen Freunden Baumhäuser bauen

Fahrrad fahren

Muscheln am Strand suchen

wenn Mama mir abends meine Gute-Nacht-Geschichte vorliest

mit meinem Opa basteln

mit meiner Familie ins Schwimmbad gehen

Vögel beobachten

mit meinen Eltern Zeit verbringen, ohne zu hetzen und zu motzen

mit meinem Papa Fußball spielen

wenn meine Eltern viel Zeit haben und mit mir spielen

eine Sandburg mit meinen Eltern bauen

einfach spielen

Sie sehen, es ist nicht das Außergewöhnliche, was Kinder bedeutsam finden. Es sind die einfachen Dinge, das Naheliegende. Sie möchten gute Momente mit Menschen haben, die sie lieben und von denen sie geliebt werden. Sie möchten draußen spielen. Sie möchten Nähe genießen. Alle Aussagen haben eins gemeinsam: Sie sind Schlüssel zur Achtsamkeit.

image    ACHTSAMKEIT IN DER FAMILIE IST NICHT SO SCHWER

im Hier und Jetzt leben

Dingen unsere volle Aufmerksamkeit widmen

eins nach dem anderen erledigen

bewusst wahrnehmen, was wir tun

beobachten, ohne zu bewerten

Diese Schritte zur Achtsamkeit hören sich einfach an, im Alltag sind sie jedoch manchmal schwierig umzusetzen. Aber wenn Sie daran arbeiten und es täglich aufs Neue versuchen, werden Sie und Ihre Familie mit jedem Tag ein Stückchen Achtsamkeit dazugewinnen.

Echte Zuwendung – achtsames Zuhören

Sie sitzen auf dem Sofa und schreiben einer Freundin eine SMS. Diese braucht einen Rat von Ihnen, es eilt. Plötzlich steht Ihr Kind vor Ihnen: „Mama schau mal, was ich gerade gemalt habe. Wie findest du das?“ Sie werfen einen kurzen Blick auf das Bild und sagen: „Toll, mal doch weiter.“

Ihr Kind setzt sich an den Tisch und malt noch etwas auf das Bild. Drei Minuten später steht es wieder vor Ihnen und will Ihnen stolz sein Ergebnis zeigen. Sie schauen nur kurz auf und murmeln: „Sehr schön.“ Jetzt springt Ihr Kind zu Ihnen auf die Couch und hält Ihnen das Bild direkt unter die Nase, es wird lauter und ruft: „Mama, guck doch mal, der Baum ist so schön. Du sollst nach meinem Bild schauen.“ Seine Stimme wird höher und lauter.

Wenn Kinder nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen, fordern sie diese ein. Bekommt es, wie im Beispiel, nur Pseudo-Aufmerksamkeit, bemerkt es schnell, dass Sie sich nicht wirklich mit ihm beschäftigen. Es bekommt das Gefühl, nicht wichtig genug zu sein oder zu stören. Das bringt Sie natürlich auch in Stress. Sie wurden den ganzen Tag schon mit unterschiedlichen Dingen konfrontiert und jetzt kommt Ihnen Ihr Kind noch auf die Schliche. Es bemerkt, was Sie selbst spüren. Es formuliert das, was Sie eigentlich nicht wahrhaben wollten. Die Anspannung wächst, denn das Kind tut alles, um Beachtung zu erhalten. Dies ist verständlich.

Solche Situationen können stressen. Gerade wenn es Ihnen selbst einmal nicht so gut geht, fällt es Ihnen schwer, Ihrem Kind ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken.

Besonders schwierig ist es, wenn Sie das Bedürfnis nach Ruhe haben und Ihr Kind sich mitteilen möchte. Grundsätzlich ist es toll, wenn Kinder offen sind und von ihren Erlebnissen oder Problemen erzählen. Darüber freut sich jede Mutter und jeder Vater. Doch manchmal ist der Zeitpunkt nicht der passende. Wenn man selbst den Kopf voll hat, kann man dem Kind nicht aufmerksam folgen. Danach hat man meist ein schlechtes Gewissen, weil man nicht bei allen Ausführungen „voll dabei“ war.

Aber das ist absolut in Ordnung. Schlimmer wäre es, wenn man den Redefluss abrupt beendet – etwa mit einer Bemerkung wie „kannst du auch mal still sein“. Das sollte man vermeiden. Sie genießen bei Ihrem Kind vollstes Vertrauen. Deshalb schenkt es Ihnen auch sehr, sehr lange Erzählungen. Wenn Sie dieses Vertrauen nicht würdigen, entsteht bei Ihrem Kind schnell der Eindruck „Was ich zu sagen habe, ist nicht wichtig oder interessiert nicht.“

Ein vollgepackter Tag im Kindergarten. Petras Tochter Lea genoss jeden Augenblick und möchte ihrer Mutter davon erzählen. Lea redet ohne Punkt und Komma. Petra erkennt manche Zusammenhänge nicht und driftet gedanklich ab.

Die ganze Autofahrt über redet Lea ununterbrochen und Petra merkt, wie der Stress aufsteigt. Doch da sie wahrnimmt, wie wichtig es ihrem Kind ist, sich ihr mitzuteilen, versucht sie aufmerksam zuzuhören, auch wenn es schwerfällt.

Mehrere Kinder, mehrere Bedürfnisse

Gerade wenn Sie mehrere Kinder haben, will jedes Kind Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Dies ist manchmal sehr schwierig. Je nach Alter der Kinder haben die Kinder ganz unterschiedliche Bedürfnisse und diese wollen erfüllt werden.

Endlich scheint die Sonne wieder. Caro beschließt, mit der fünfjährigen Johanna und dem zweijährigen Paul ins Freibad zu gehen. Die Tasche ist gepackt und alle freuen sich auf einen schönen Nachmittag. Kaum im Schwimmbad angekommen, geht es sofort zum Planschbecken. Dort haben alle ihren Spaß.

Nach 20 Minuten hat Johanna aber genug: „Ich will ins große Schwimmbecken, das hier ist für Babys. Ich bin schon viel zu groß dafür, ich will richtig schwimmen.“ Jetzt wird es schwierig. Johanna will im Nichtschwimmerbecken mit Schwimmflügeln üben und Paul hat im Nichtschwimmerbecken weniger Spaß. Caro kann keines ihrer Kinder alleine lassen. In jedem Fall ist ein Kind unzufrieden und für Caro wird der Nachmittag anstrengend.

Caro hätte den Schwimmbadbesuch in gewisser Weise vorbereiten können. Dem älteren, verständnisvolleren Kind hätte sie erklären können, dass zuerst das „Babyschwimmen“ ansteht und sie sich anschließend gemeinsam im Nichtschwimmerbecken tummeln. Kinder verstehen solche Ansagen. Allerdings oft nicht in der konkreten Situation. Deshalb ist es sinnvoll, vorzuarbeiten. So merken sie, dass ihre Bedürfnisse ernst genommen werden.

Bereits schon in dem Moment, in dem sie den Schwimmbadbesuch angekündigt hat, hätte Caro den Plan erzählen können. So hätte sie sich unnötige Streitigkeiten und Eifersüchteleien zwischen den Geschwistern wahrscheinlich ersparen können.

Bei mehreren Kindern sollten Sie sich ganz bewusst Zeit für jedes einzelne Kind nehmen. Planen Sie Zeitfenster ein, in dem Sie nur Zeit mit einem Kind verbringen. Das andere darf in dieser Zeit die Großeltern oder einen Freund besuchen oder auch mal Fernsehen schauen.

image    VERLÄSSLICH SEIN

Ihr Kind wird verstehen, wenn Sie ihm sagen: „Ich muss jetzt noch etwas erledigen und dann schaue ich mir dein Bild an.“ Oder: „Wir bleiben jetzt noch 10 Minuten im Babybecken, danach gehen wir ins große Becken und üben Schwimmen.“ Wichtig ist, Ihr Kind nicht zu lange warten zu lassen und Ihre Zusagen auch einzuhalten.

Wie kleine Dinge uns achtsam werden lassen

Achtsamkeit beginnt bei jeder alltäglichen, gewöhnlichen Verrichtung: Duschen, Zähneputzen, Essen, Zeitung lesen, Kochen, Bügeln, Autofahren, E-Mails schreiben usw. Wir haben jeden Tag aufs Neue die Möglichkeit, solche alltäglichen Dinge im Autopilot-Modus durchzuführen oder eben im Bewusstseins-Modus.

image    AUTOPILOT-MODUS ODER BEWUSSTSEINS-MODUS

Man kann Dinge einfach tun, ohne darüber nachzudenken, eben automatisch und nebenbei. Oder man macht etwas bewusst, erlebt es, ist ganz dabei, im Hier und Jetzt.

Versuchen Sie sich über den Tag immer wieder zu fragen: Mache ich das hier jetzt nur nebenbei? Denke ich gleichzeitig schon wieder über etwas anderes nach? Die meisten von uns sind es gewohnt, mindestens zwei Dinge auf einmal zu tun.

Mit der folgenden Übung können Sie die gemeinsame Zeit mit Ihrem Kind bewusst entschleunigen und für intensive Lebensmomente sorgen. Das verstärkt die Bindung zwischen Mutter/Vater und Kind, gibt Kraft für den Tag und macht sie beide belastbarer für Konflikte.

ACHTSAMKEITS-ÜBUNG:
ENTSCHLEUNIGEN UND GENIESSEN

Suchen Sie sich für den Anfang pro Tag zwei alltägliche Situationen aus, die Sie gemeinsam mit Ihrem Kind mit voller Aufmerksamkeit tun wollen. Dies können ganz unterschiedliche Sachen sein.

gemeinsam ein Buch lesen

Kastanien sammeln

zusammen in der Badewanne plantschen

morgens in die Kita laufen

ein schönes Spiel spielen

zusammen basteln

einen Waldspaziergang machen

eine Schneeballschlacht

Wichtig dabei ist nur, dass Sie sich voll und ganz auf Ihr Kind und die gemeinsame Aktivität konzentrieren. Denken Sie nicht schon an das nächste Meeting oder die Vorbereitung des Abendessens. Legen Sie Ihr Handy am besten in einen anderen Raum und stellen es auf lautlos. Diese Zeit gehört ganz allein Ihrem Kind und Ihnen. Sie werden merken, wie schön das ist und wie gut es beiden tut. Ihr Kind wird entspannt und glücklich sein und auch für Sie werden diese gemeinsamen Aktivitäten zu Kraftquellen.

Je öfter Sie etwas bewusst tun, desto besser wird es Ihnen gelingen. Sie werden durch die vielen kleinen, bewusst erlebten Verrichtungen die Achtsamkeit in Ihren Alltag integrieren. Glauben Sie mir, das geht leichter, als Sie sich ausmalen können. Ihr „Arbeitspensum“ bleibt zwar gleich, aber Sie werden bestimmte Dinge nicht mehr als so belastend empfinden. So können auch Hausarbeiten zur Entspannungsübung werden. Beim Bügeln können Sie wunderbar abschalten und Ihre Gedanken schweifen lassen. Testen Sie es, Sie werden erkennen, dass Sie durch bewusstes Wahrnehmen und die Konzentration auf eine Sache wesentlich entspannter werden.

VON MORGENS BIS ABENDS MEHR ACHTSAMKEIT IM ALLTAG

„Wenn Du es eilig hast, gehe langsam!“In Stressmomenten werden wir hektisch und treiben uns und die Kinder zur Eile an. Wir verfallen in Aktionismus, der die Situation noch verschärft. Das bringt uns nicht weiter.

Keine ruhige Minute – wenn schon der Morgen aus den Fugen gerät

Stellen Sie sich vor, sie werden um kurz vor 7 Uhr wach. Ihr Wecker hat aus unerfindlichen Gründen nicht geklingelt, es ist 20 Minuten später als gewohnt und das noch an einem Arbeitstag voller Termine.

Kennen Sie solche Tage? Sie springen aus dem Bett, stoßen sich den kleinen Zeh an der Bettkante, hechten ins Kinderzimmer und rufen: „Aufstehen, schnell, wir haben verschlafen.“

Dann rennen Sie ins Badezimmer, machen sich fertig und gehen mit eiligen Schritten in die Küche um das Frühstück vorzubereiten. Zwischen Brote schmieren und Tee kochen rufen Sie lautstark durch die Wohnung: „Wo bleibst du, in zehn Minuten müssen wir los“.

Je höher ihr Stresspegel steigt, desto mehr Druck üben Sie auf Ihr Kind aus. Als sie ins Kinderzimmer kommen sitzt Ihre Tochter in T-Shirt und Strümpfen auf dem Teppich und spielt mit ihrem Puppenhaus. Ihre Stimme wird lauter: „Jetzt trödel mal nicht so rum, beeil dich. In die Kita kommt heute der Waldpädagoge. Willst du zu spät kommen?“

Ihre Tochter fängt an zu weinen und verkriecht sich unter der Bettdecke. Sie versuchen sie zu trösten, doch sie ist außer sich: „Mama, du bist schuld daran. Ich wollte doch noch Blätter sammeln, jetzt bin ich nicht da.“ Das Drama nimmt seinen Lauf. Ihre Tochter zieht sich jetzt in Zeitlupe an und putzt die Zähne. Dabei weint und schimpft sie vor sich hin. Und auch Ihre Laune ist auf dem Nullpunkt. Sie kommen natürlich viel zu spät in die Kita und zu Ihrer Arbeitsstelle.

Den ganzen Tag tragen Sie das schlechte Gefühl herum, dass Sie das heute Morgen nicht so gut gemacht haben.

An manchen Tagen schlägt die Unachtsamkeitsfalle schon gleich nach dem Erwachen zu.

Die Reaktion Ihres Kindes auf die Hektik am Morgen ist völlig normal. Es wird aus seinen Träumen gerissen und zur Eile angetrieben, ohne die Möglichkeit, langsam und entspannt in den Tag zu starten. Stattdessen soll es sich beeilen und hört Vorwürfe.

Sie selbst sind total gestresst und das überträgt sich natürlich auf ihr Kind. Kein Wunder: In solchen Situation sind wohl die wenigsten Eltern gelassen und achtsam. Doch wie können Sie einen solchen Start in den Tag verhindern?

Ein japanisches Sprichwort gibt die Antwort: „Wenn Du es eilig hast, gehe langsam!“ In Stressmomenten werden wir hektisch und treiben uns und die Kinder zur Eile an. Wir verfallen in Aktionismus, der die Situation noch verschärft. Das bringt uns nicht weiter.

Ein schlechter Start in den Morgen kann immer wieder vorkommen. Der erste Gedanke ist dann meist: „Wie konnte das passieren? Der Wecker war doch an. Warum muss mir das heute geschehen?“ Diese ganzen Grübeleien bringen Sie in diesem Moment nicht weiter, sie lenken Sie nur noch mehr ab und lassen die Stimmung in den Keller sinken. In solchen Situationen ist es hilfreich, ruhig zu bleiben und nach Lösungen zu suchen, um die Situation möglichst wieder schnell in den Griff zu bekommen. Wenn Sie hektisch und unruhig werden, überträgt sich das sofort auf Ihr Kind. Entweder es gerät auch in Hektik oder, was typischerweise vorkommt, es reagiert mit Langsamkeit auf den Druck, den es bei Ihnen spürt.

Wenn Sie nach Lösungen suchen, sollten Sie kurz innehalten und nachdenken, was sinnvoll, praktikabel und einfach umsetzbar ist. Sie dürfen in diesem Fall ihre festgelegten Abläufe auch einmal durchbrechen. Sie könnten Ihrem Kind zum Beispiel sagen, dass heute ein besonderer Tag ist, da sie verschlafen haben. Deshalb frühstücken sie ausnahmsweise einmal nicht zu Hause. Sie fahren an einer Bäckerei vorbei und es darf sich etwas zum Frühstück und für den Kindergarten aussuchen. Dann haben Sie schon Zeit eingespart, können diese für sich und Ihr Kind nutzen und ohne großen Stress starten. Sie investieren besser Ihre Zeit in sich und Ihr Kind anstatt in die am Morgen anfallenden Aufgaben. Für Ihr Kind ist diese Ausnahmesituation ein kleines Abenteuer und kommt – aus Ihrer Sicht – glücklicherweise nicht täglich vor. Doch auch die „normalen“ Tage lassen sich mit mehr Achtsamkeit angenehmer gestalten.

Start in einen achtsamen Tag

Springen Sie nach dem Aufwachen nicht gleich aus dem Bett. Gönnen Sie sich fünf Minuten, in denen Sie wach werden und sich auf Ihren Körper konzentrieren. Hören Sie in sich hinein. Wie geht es Ihnen heute? Was fühlen Sie? Atmen Sie dabei ganz konzentriert ein und aus.

TIPP: SANFTER START IN DEN TAG FÜR KINDER!

Wecken Sie Ihr Kind sanft, in einem ruhigen Tonfall, vielleicht mit leiser Musik. Lassen Sie das Kinderzimmer am besten noch leicht abgedunkelt.

Entwickeln Sie Ihr eigenes achtsames Morgenritual. Vielleicht wecken Sie Ihr Kind mit einem Kuscheltier. Das Tier verkündet, dass es Morgen ist und erzählt eine kleine Geschichte, oder es fragt Ihr Kind, wie es geschlafen hat und animiert das Kind langsam aufzustehen.

Ein anderes Ritual wäre, den Körper langsam erwachen zu lassen: „Guten Morgen liebe Zehen, guten Morgen kleine Füße, guten Morgen stramme Waden“ usw. Begrüßen Sie nacheinander die Körperteile von Fuß bis Kopf.

So startet Ihr Kind bewusst entspannt in den Tag. Denken Sie immer an den alten Ratschlag, den schon unsere Großeltern kannten: „In der Ruhe liegt die Kraft!“

Jeder hilft ein bisschen mit

Es ist äußerst hilfreich, wenn jedes Familienmitglied morgens feste Aufgaben übernimmt. Je nach Alter des Kindes kann es kleine Tätigkeiten übernehmen. Dies fördert seine Selbstständigkeit und Ihr Kind wird stolz sein, mitzuhelfen zu können. Vielleicht kann es die Zeitung an der Haustüre holen oder den Frühstückstisch decken. Außerdem können Sie gemeinsam am Vorabend die Kleidung heraussuchen und vorbereiten, so dass es sich am Morgen alleine anziehen kann.

So stärken Sie Ihr Kind

Sprechen Sie mit Ihrem Kind über den anstehenden Tag. Fragen Sie es, was heute in der Kita oder Schule ansteht. Ihr Kind fühlt sich auf diese Weise ernst genommen und spürt, dass es Ihnen wichtig ist. Sollte es Sorgen oder Ängste haben, sprechen Sie ihm Mut zu und zeigen Sie ihm seine Stärken auf. Sagen Sie ihm, dass Sie es lieb haben. Solch ein positiver Start in den Tag stärkt den Zusammenhalt der ganzen Familie. Ihr Kind geht jetzt mit einem Gefühl des Zuspruchs und der Bestätigung aus dem Haus. Dies wird es stärken.

!    TIPP: DU-BIST-GUT-GESPRÄCHE AM MORGEN

Am Frühstückstisch kann man sich gegenseitig auf einen guten Tag einstimmen.

Was kannst du gut? Was davon wirst du heute machen?
Was finde ich toll an dir?

Worauf freue ich mich besonders, wenn ich dich heute Mittag wiedersehe?

Bewusst frühstücken

Nehmen Sie mindestens eine Mahlzeit pro Tag in Ruhe mit der Familie ein. Essen Sie ganz bewusst, setzen sie sich an den Tisch und kauen Sie jeden Bissen. In unserer von Hektik geprägten Welt wird das Essen oft nicht mehr zelebriert. Stattdessen wird „schnell ein Happen“ gegessen, im Vorbeigehen, auf dem Weg zum Bus hinuntergeschlungen oder während man am Computer arbeitet gesnackt. Versuchen Sie deswegen einmal am Tag, sich beim Essen auf das Riechen, Fühlen, Sehen und Schmecken zu konzentrieren. Gerade ein ruhiger Start mit einem gemeinsamen Frühstück sorgt für den perfekten Tagesauftakt. Die erste Zeit des Tages zusammen zu verbringen sorgt für ein tolles Gemeinschaftsgefühl. Kindern gibt dies Sicherheit und Geborgenheit. Sie können noch einmal Kraft für den abwechslungsreichen Tag schöpfen und auch Ihnen gibt diese gemeinsame Zeit die notwendige Energie. Außerdem können Sie sich mit allen Familienmitglieder austauschen und gegebenenfalls noch Absprachen für den Tag treffen.

ACHTSAMKEITS-ÜBUNG: ACHTSAM ESSEN

1. Ihr Esstisch sollte ein ruhiger und gemütlicher Ort in der Wohnung sein. Natürlich kann auch ein Tresen in einer offenen Küche behaglich sein – wichtig ist, dass es einen angenehmen Platz in der Wohnung gibt, an dem man gerne isst und zusammensitzt. Zwischen Tür und Angel zu essen, oder nur in Eile im Stehen, lässt keinen Raum für Ruhe und Besinnung. Sie können den Tisch mit Ihrem Kind schön eindecken und dekorieren.

2. Nehmen Sie die Mahlzeiten immer ohne Ablenkungen ein. Achtsam essen bedeutet auch: Nebenher keine Zeitung lesen oder Werbeprospekte durchblättern, kein Scrollen am Smartphone und keine Radiomusik.

3. Betrachten Sie Ihr Essen so, als würden Sie es heute zum ersten Mal sehen. Um bei Ihrem Kind die Neugier am Essen zu wecken und seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, bitten Sie es, daran zu riechen, es genau anzusehen und Ihnen zu erzählen, was ihm auffällt.

4. Machen Sie ein Spiel daraus: Schließen Sie beide die Augen beim Kauen und nehmen sie jeden Bissen wahr. Was ist wohl darin? Welche Gewürze wurden verwendet? Schmeckt es süß, salzig, sauer, vielleicht sogar bitter? Beschreiben Sie sich gegenseitig, was sie schmecken.

5. Machen Sie mit Ihrem Kind eine Wette ab: Wer einen Bissen zwanzigmal kauen kann, bevor er schluckt, muss nicht abdecken.

6. Beobachten Sie beide: „Wie lange konntest du es schmecken? Wie lange nimmst du den Nachgeschmack wahr?“

Abendritual

Wenn der Tag zu Ende geht, dann lassen Sie den Tag gemeinsam Revue passieren. Es ist wichtig, sich gegenseitig zu erzählen, wie man den vergangenen Tag erlebt hat. Dabei kann man über alles sprechen – über das, was toll war und was nicht so toll war, über das, worüber man sich vielleicht geärgert hat.

ACHTSAMKEITS-ÜBUNG: BLICK ZURÜCK

Damit Ihr Kind den Tag positiv abschließt, können Sie es fragen, welche drei Sachen ihm heute besonders gut gelungen sind, auf die es stolz ist oder worüber es sich besonders gefreut hat.

Sie können auch gemeinsam ein Bild malen oder Dinge aufschreiben, auf die Ihr Kind und Sie stolz sind.

Diese Übung fördert schon sehr früh die Reflektionsfähigkeit Ihres Kindes und stärkt sein Selbstbewusstsein. Es sieht am Ende des Tages die schönen Dinge, die es erlebt hat.

An manchen Tagen hat Ihr Kind keine Lust zu erzählen. Dann können Sie auch einfach eine Zeit lang zusammen kuscheln und so Abstand vom Tag gewinnen. Wichtig ist: Beenden Sie den Tag im Frieden. Dinge, über die sich Ihr Kind oder Sie ärgerten, werden in die Nacht geschickt. Das geht so: Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber, was es oder Sie geärgert hat. Ihr Kind kann seinen Ärger auch einem Kuscheltier erzählen. Dann schicken Sie den Ärger zum Mond. Wenn Sie Streit mit Ihrem Kind hatten: Sprechen Sie dies beim Zubettgehen noch einmal kurz an. Sagen Sie ihm, dass es völlig in Ordnung ist, dass man sich manchmal streitet, sie jetzt den Streit aber gemeinsam zum Mond schicken. Morgen ist ein neuer Tag. Was gestern war, war gestern. Loslassen können ist gleichermaßen für Eltern und Kinder wichtig. Der Tagesabschluss sollte immer positiv sein. Sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie es lieb haben, egal was heute vorgefallen ist. Es ist schön, wenn Sie ein gemeinsames Abendritual haben, dass sich täglich wiederholt.

RITUALEimage

geben Sicherheit

helfen in schwierigen Situationen

helfen Gefühle zu kontrollieren

erleichtern das Zusammenleben

ACHTSAM WAHRNEHMEN – DAS FÜNF-SCHRITTE-PROGRAMM

Wir können das Leben durch unterschiedliche Brillen betrachten, die negative und die positive Brille. Je nachdem durch welche Brille wir gerade schauen, werden wir auch reagieren.

Bestimmt haben Sie selbst schon häufig die Erfahrung gemacht: Mal wird eine Kleinigkeit zum Drama und ein anderes Mal können Sie der unangenehmsten Situation etwas Gutes abgewinnen. Kinder haben die natürliche Gabe, grundsätzlich das Beste und nicht das Schlechteste zu sehen. Sie sind geborene Optimisten und davon können wir Erwachsene uns eine Scheibe abschneiden. Kaum ist ein unangenehmes Erlebnis vorbei, haben sie es meist schon vergessen und sprechen nicht mehr darüber. Sie leben ganz im Moment. Das hilft enorm, unerfreuliche Erlebnisse leichter und schneller zu verarbeiten.

Wir Erwachsenen sind da meist nicht so optimistisch gestimmt. Wie sieht es mit Ihrem Optimismus aus? Ist Ihr Glas eher halb leer oder eher halb voll? Wenn Sie eher zum „halb leer“ neigen, wird sich das möglicherweise auf Ihre Kinder übertragen und deren Persönlichkeit prägen. Eltern sind nun mal die wichtigsten Vorbilder für Kinder, und natürlich versuchen diese in den ersten Lebensjahren so zu sein wie sie.

WA HRNEHMUNG UND BEWERTUNGimage

Wir nehmen ständig Informationen durch Reize aus der Umwelt wahr und verarbeiten sie.

Wir entdecken die Welt durch unsere fünf Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen) und bewerten.

Unbewusst und bewusst nehmen wir Eindrücke auf und mischen Sie mit dem, was wir schon wissen und kennen.

Denken Sie einmal darüber nach, welcher Typ Sie wohl eher sind. Können Sie sich spontan und locker über etwas freuen? Können Sie Dinge annehmen und die guten Dinge erkennen? Können Sie den Moment genießen? Gehören Sie zu den Menschen, die sagen: „Es ist schön, aber …“? Beantworten Sie sich diese Fragen ehrlich. Sie sind Vorbild, auch in Sachen Optimismus!

Optimismus kann man lernen

Oft ist es uns nicht bewusst, wie viele schöne kleine Momente wir im Laufe des Tages erleben. Sie passieren so nebenbei und wir finden das selbstverständlich. Die negativen Situationen hingegen, die uns ärgern und verletzen, bleiben haften. Die meisten Menschen neigen dazu, mehr darüber zu sprechen, was nicht gut gelaufen ist, als darüber, was ihnen Gutes passiert ist.

Aus der Forschung weiß man, dass es mindestens drei positive Erlebnisse braucht, um ein negatives Erlebnis zu vergessen. Versuchen Sie deshalb, Ihren Blickwinkel zu verändern und sich auf die positiven Momente zu konzentrieren. Sie werden merken, dass Sie plötzlich vieles anders wahrnehmen.

Eine kleine Geschichte zeigt Ihnen, wie schnell Sie Ihren Blick auf das Positive lenken können.

DIE GLÜCKSBOHNEN

Eine alte, weise Frau verließ ihr Haus nie, ohne vorher eine Handvoll Bohnen einzustecken. Sie tat dies nicht, um unterwegs die Bohnen zu kauen. Nein, sie nahm die Bohnen mit, um so die schönen Momente des Lebens besser zählen zu können.

Für jede Kleinigkeit, die sie tagsüber erlebte – zum Beispiel einen fröhlichen Schwatz auf der Straße, ein köstlich duftendes Brot, einen Moment der Stille, das Lachen eines Menschen, eine Berührung des Herzens, einen schattigen Platz in der Mittagshitze, das Zwitschern eines Vogels – für alles, was die Sinne und das Herz erfreut, ließ sie eine Bohne von der rechten in die linke Jackentasche wandern.

Manchmal waren es auch zwei oder drei Bohnen, die auf einmal den Platz wechselten.

Abends saß die weise Frau zu Hause am Kamin und zählte die Glücksbohnen aus der linken Jackentasche. Sie zelebrierte diese Minuten. So führte sie sich vor Augen, wie viel Schönes ihr an diesem Tag widerfahren war, und freute sich darüber.

Sogar an den Abenden, an denen sie nur eine einzige Bohne zählte, war jeder Tag für sie ein glücklicher Tag – es hatte sich gelohnt, ihn zu leben.

(Verfasser unbekannt)

Achtsam mit Kindern sprechen

Auch für Kinder sind schlechte Nachrichten natürlich schwieriger zu verarbeiten, obwohl sie geborene Optimisten sind.

Seit Wochen freut sich Lukas auf den geplanten Ausflug in einen Erlebnispark. Täglich fragt er nach und möchte wissen, welche Attraktionen es dort gibt. Er freut sich darauf, mit seinen Eltern auf der großen Wildwasserbahn zu fahren und im Anschluss eine Riesenportion Eis zu genießen.

Endlich steht das ersehnte Wochenende an. Sonntags soll der Ausflug beginnen, aber am Freitagnachmittag regnet es in Strömen. Die Eltern unterhalten sich über den bevorstehenden Ausflug. „Das mit dem Park können wir vergessen, es hat sich eingeregnet, außerdem sagt die Wetter-App nichts Gutes voraus!“

Lukas hört diesen Dialog und ist traurig.

Als es am Samstag immer noch regnet und die Eltern schon über ein Alternativprogramm beratschlagen, bricht das Weltbild von Lukas entzwei. Er ist traurig und wütend zugleich. Der Samstag ist für die ganze Familie eine Geduldsprobe. Weinend geht der Tag zu Ende. Am besagten Sonntag hat der Regen aufgehört, der Himmel ist klar und der Ausflug kann wie geplant beginnen. Der Ärger im Vorfeld war umsonst.

Kennen Sie diese Situation? Schlechtes Wetter ist angesagt und Sie als Eltern planen für den Ernstfall. Das kann ein Kind nicht nachvollziehen.

Natürlich hätte es am Sonntag auch regnen können, dann wäre der Ausflug buchstäblich ins Wasser gefallen. Aber das ist sachliches Erwachsenen-Denken, und es verunsichert Kinder unnötig. Am sinnvollsten wäre es gewesen, das Thema Wetter nicht vor dem Kind anzusprechen bis Klarheit herrscht. Alles andere frustriert Lukas eher. Er hat sich wochenlang auf den Ausflug gefreut und jetzt könnte es sein, dass daraus nichts wird. Sicher ist es aber auch nicht. Er macht sich Sorgen und ist enttäuscht.

Wenn sich dann doch herausstellt, dass es am Ausflugstag regnet, ist es wichtig, das Kind mit seiner Enttäuschung aufzufangen. In solchen Situationen sollten Sie sich in Ihr Kind hineinversetzen und auf seiner Ebene mit ihm sprechen. Für Ihr Kind ist dies im Moment die größte Enttäuschung und es hat allen Grund traurig zu sein. Versuchen Sie ihm zu erklären, warum es nicht sinnvoll ist heute in den Park zu fahren: „Schau mal, wenn es regnet, macht es keinen Spaß mit der Wildwasserbahn zu fahren. Wir sind dann ganz nass, können den Tag nicht genießen. Wir verschieben den Ausflug auf einen sonnigen Tag und gehen stattdessen heute ins Kino und danach ein Eis essen.“ Kinder können damit viel besser umgehen als mit vagen Vermutungen und Befürchtungen. Wichtig ist immer, wie Sie ihm solche Situationen vermitteln.

Ihr Kind muss Ihr Verhalten nachvollziehen können. Es ist wenig hilfreich, im Vorfeld die Dinge schwarz zu malen, wenn die Möglichkeit besteht, dass es doch anders kommt. Stecken Sie Ihr Kind nicht mit Pessimismus an. Das kostet Sie unnötig Nerven und macht Ihr Kind nur ängstlich oder wütend. Wenn dann wirklich eine Planänderung nötig wird, können Sie diese immer noch kindgerecht erklären. Hier stelle ich Ihnen eine schöne Methode vor, um Ihr Kind altersgerecht abzuholen.

!    TIPP: WUNSCHKONZERT ANSTATT FRUST

1. Versuchen Sie, sich im Vorfeld emotional in Ihr Kind hinein zu versetzen. Wie geht es ihm mit der Aussage. Was fühlt es?

2. Erklären Sie Ihrem Kind, warum der Ausflug, das Geschenk oder der Besuch von Freunden nicht möglich ist.

3. Sagen Sie ihm, dass Sie verstehen, dass es traurig, wütend oder enttäuscht ist. Zeigen Sie ihm, dass es Ihnen auch so geht, Sie aber beispielsweise an dem Wetter nichts verändern können.

4. Suchen Sie jetzt mit Ihrem Kind gemeinsam Alternativen.

5. Jedes Familienmitglied überlegt, was es anstatt des geplanten Ausflugs gerne tun möchte. Jeder hat zwei Wünsche frei.

6. Schreiben oder malen Sie alle Ideen auf.

7. Dann entscheidet der Familienrat gemeinsam, was stattdessen gemeinsam unternommen wird.

Diese Übung lenkt den Fokus des Kindes von der negativen Wahrnehmung auf die positive Wahrnehmung. Es wird immer wieder Situationen geben, von denen es enttäuscht ist oder in denen seine Erwartungen nicht erfüllt werden. Wenn es schon frühzeitig lernt, dass es Lösungen für Probleme gibt, steigert das die optimistische Grundeinstellung.

Eine Klientin, Mutter von drei Kindern, hat mir berichtet, dass diese Form des achtsamen Umgangs miteinander das Familienleben sehr bereichert hat. Bei drei Kindern gibt es immer Konflikte, weil sich ein Kind benachteiligt fühlt oder bestimmte Wünsche nicht erfüllt werden können. Durch das Wunschkonzert versetzen sich die Kinder in den anderen hinein, entwickeln Verständnis füreinander und entwickeln gemeinsam tragfähige Lösungen.

„Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob wir eine Wand von innen oder von außen betrachten.“

Brigitte Fuchs

Wie der Vater, so der Sohn

Für Ihr Kind sind Sie das große Vorbild. Es orientiert sich an Ihnen und je jünger das Kind ist, umso eher wird es jedes Wort für bare Münze nehmen. Deshalb sollten Sie immer abwägen, was Sie sagen. Hier können gerade die alten Sprüche, die Großeltern häufig noch sagen, für Verwirrung oder sogar Tränen sorgen.

„Hals- und Beinbruch!“ wünscht der Nachbar zum Beispiel vor dem Skiurlaub. Bestimmt kennen Sie auch solche Redensarten. Wir haben diese Sprüche verinnerlicht ohne groß darüber nachzudenken. Sie sprudeln manchmal einfach heraus, und hinterher ärgert man sich über sich selbst. Natürlich können Worte aus der Situation heraus nicht sorgsam gewählt werden, aber wenn Sie merken, dass Sie etwas gesagt haben, was Ihnen nachher leid tut oder was Sie selbst nicht gut finden, sollten Sie das Ihrem Kind sagen.

Ironie und Sarkasmus

Vor allem in den ersten Lebensjahren können Kinder noch nicht den Unterschied zwischen einem Scherz und einer ernst gemeinten Aussage wahrnehmen. Es vertraut seinen Eltern voll und ganz, glaubt alles, was sie sagen. Ironische Bemerkungen kann es noch gar nicht verstehen und natürlich auch nicht damit umgehen. Wundern Sie sich deshalb nicht, wenn Ihr Kind komisch oder wütend auf eine Aussage von Ihnen reagiert.

Mein Mann brachte unseren Sohn abends ins Bett. Da die Kita-Gruppe am Vormittag am Erntedankgottesdienst teilgenommen hatte, fragte er: „Papa, kennst du ein Gebet?“

Auf die Schnelle viel meinem Mann ein kleines Gebet aus seiner Kindheit ein. „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Unser Sohn rief empört: „Papa, hör auf, ich bin nicht klein!“ Rasch suchte mein Mann nach einem anderen Spruch: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.“ Auch dieses Gebet empörte unseren Sohn: „Nein, ich will nicht in den Himmel. Papa, wir lassen das Beten lieber sein.“

Kinder sind ganz sensibel und hellhörig. Da sie noch nicht zweifeln oder bestimmte Aussagen kritisch beäugen, wird das, was Erwachsene sagen, geglaubt und für real befunden. Hinterfragen Sie manche Dinge, die Sie zu Ihrem Kind sagen. Versuchen Sie eine Sprache zu entwickeln, die Sie und Ihr Kind verstehen. Dies ist die Basis für eine achtsame Kommunikation in der Familie.

Entspannt gemeinsam essen

Aufgrund seiner Entwicklung nimmt Ihr Kind oftmals andere Dinge wahr. Es ist viel kleiner als Sie und sieht die Blume am Wegesrand, die Geldmünze auf der Straße oder es hat Angst vor dem Hund der Nachbarin, weil er ihm groß und gefährlich erscheint. Es hört manche Geräusche intensiver oder blendet andere völlig aus. Ihm schmecken bestimmte Dinge einfach nicht.

Wenn Ihr Kind eine plötzliche Abneigung gegen ein bestimmtes Lebensmittel entwickelt, sollten Sie diese Widerstände ernst nehmen. Es nimmt dies im Moment so wahr und da helfen keine sachlichen Argumente. Sie werden es nicht überzeugen können, egal wie gut Sie argumentieren. Druck hilft Ihnen hier auch nicht weiter. Wichtig ist Verständnis zu zeigen und Ihr Kind zu nichts zu zwingen.

Die Mutter von Lisa hat ihre Tochter übrigens auch nicht dazu gezwungen, weiterhin Spinat zu essen. Nach ein paar Wochen fuhr sie mit ihr auf den Wochenmarkt und hat dort frischen Spinat gekauft. Die Marktfrau erklärte Lisa, wo und wie der Spinat wächst. Zuhause angekommen haben sie den Spinat gemeinsam gewaschen und dann zusammen einen leckeren Spinatauflauf gekocht. Seitdem isst Lisa wieder liebend gerne Spinat.

Ähnliche Geschichten haben Sie wahrscheinlich mit Ihrem Kind auch schon erlebt. Wir Eltern sagen dann manchmal leicht überheblich: „So ein Quatsch!“ Aber das ist nur unsere Wahrnehmung. Für das Kind sieht die Sache eben gerade genau so aus. Ihr Kind wird irgendwann selbst erkennen, dass seine Wahrnehmung nicht stimmt. Sie können es dabei natürlich liebevoll unterstützen und ihm einen anderen Blickwinkel aufzeigen.

Das Essen genießen

Essen ist immer ein Thema in der Familie. Leider steckt im gemeinsamen Essen immer viel Konfliktpotenzial. Mir persönlich ist es wichtig, dass wir in der Familie möglichst viele Mahlzeiten zusammen einnehmen, und dabei sind Störer, wie etwa Smartphones und Tablets, am Tisch tabu. Wir warten auch aufeinander, bis alle am Tisch sitzen und fangen dann gemeinsam an zu essen, nachdem wir uns einen guten Appetit gewünscht haben. Wir reden auch über die Nahrungsmittel, so dass das Essen im Fokus steht. Natürlich wird bei Tisch auch über dies und das geredet, trotzdem steht das Essen im Vordergrund. Das mag sich etwas konservativ anhören, erscheint mir jedoch als ein wichtiger Bestandteil achtsamen Familienlebens. Achtsamkeit heißt hier: Aufeinander Rücksicht nehmen, in diesem Moment nur hier sein und sich Zeit füreinander nehmen.

Essen ist ein fester, wichtiger Bestandteil der Tagesstruktur. Kinder brauchen Strukturen und sie lernen sie im Elternhaus, im Kindergarten und später in der Schule. Gemeinsames Essen ist ein Gewinn für alle. Sie werden merken, dass Ihr Kind das gemeinsame Essen liebt. Natürlich darf es auch mal die Tüte Chips vorm Fernseher sein, aber ein festes Essensritual halte ich für sehr nützlich und wichtig, auch im Familienverbund.

Schlechte Esser

Manche Kinder sind einfach „schlechte Esser“. Essen scheinen sie nicht zu brauchen, haben keinerlei Interesse an gesundem Essen oder essen wie ein Vögelchen kleine Häppchen zwischendurch. Daran verzweifeln manche Eltern. Gerade für diese Kinder ist es wichtig, ein gemeinsames Essensritual zu finden und sie an das Essen heranzuführen. Wichtig ist es hier, konsequent zu bleiben. Wenn Ihr Kind bei Tisch nichts essen will, gibt es im Anschluss auch keine Süßigkeiten. Viele Eltern sind so froh, dass ihre Kinder überhaupt etwas essen, dass sie zwischendurch immer kleine Snacks bereithalten und anbieten. Das ist nicht hilfreich und verhindert, dass Kinder achtsam, nämlich bewusst essen.

Man sollte Kinder nicht zwingen, etwas zu essen, man kann es aber unterstützen, indem man das Essen kindgerecht und ansprechend zubereitet und darauf achtet, dass es nicht den ganzen Tag unkontrolliert Kleinigkeiten gibt. Dann machen die gemeinsamen Mahlzeiten allen mehr Spaß.

Wenn Ihr Kind schon etwas größer ist, können Sie die Mahlzeiten gemeinsam zubereiten. Obst waschen, Gemüse schälen oder Vorkosten können schon kleine Kinder. So bekommen sie schon früh einen Bezug zum Essen, und für Ihr Kind ist es nicht selbstverständlich, dass das Essen immer fertig auf dem Tisch steht. Es lernt achtsam mit Nahrungsmitteln umzugehen.

!    TIPP: ZUSAMMEN KOCHEN

Sollte ihr Kind trotz allem ein „schlechter Esser“ bleiben, sollten Sie abklären lassen, ob es Ihrem Kind gut geht und es ausreichend versorgt ist. Wenn dies der Fall ist, lassen Sie das Thema Essen am besten ruhen. Denn je mehr Sie darüber reden, Ihr Kind versuchen zu überzeugen oder sogar zwingen zu essen, desto mehr Widerstand wird dies bei Ihrem Kind hervorrufen. Das Essen wird dann zum Konflikt und es entwickeln sich Machtspiele zwischen Ihnen und Ihrem Kind. Deshalb ist es manchmal besser, nicht zu reagieren und gelassen abzuwarten, wie sich alles entwickelt. Vieles erledigt sich mit der Zeit von ganz alleine.

Essen mit allen Sinnen

Eine sehr schöne Übung, um Essen mit allen Sinnen wahrzunehmen, ist die Rosinenübung. Hierbei lernt Ihr Kind spielerisch, sich zu konzentrieren, zu fokussieren und sein Essen zu genießen.

Diese Übung hilft gerade Kindern, die wenig Interesse an den Mahlzeiten haben, sich auf das Essen zu konzentrieren und es ganz bewusst wahr zu nehmen. Sie merken deutlich wie es sich anfühlt, wie es schmeckt, und beschäftigen sich dadurch mit dem Lebensmittel, das ihnen vorher vielleicht nicht wichtig war.

Sie brauchen dafür nur einige Rosinen, dann kann das Spiel schon losgehen. Gewinner ist, wer es schafft die Rosine am längsten im Mund zu behalten.

ACHTSAMKEITS-ÜBUNG: DIE ROSINENÜBUNG

Lassen Sie sich Zeit für dieses Wahrnehmungsspiel und sprechen Sie ruhig und langsam. Lassen Sie Ihrem Kind ausreichend Zeit zu sehen, fühlen, denken, riechen und zu schmecken. Sie können die Übung natürlich auch mit anderen Lebensmitteln machen. Die Rosinenübung beruhigt den Geist. Gerade wenn Ihr Kind nervös ist oder sich nicht konzentrieren kann, hilft sie. Da Ihr Kind sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, können seine Gedanken nicht abschweifen und es ist ganz bei der Sache. Wenn die Übung zu lange für Ihr Kind ist, lassen Sie Teile davon weg. Sie kennen Ihr Kind und merken, wenn es keine Lust mehr hat, sich auf dieses Spiel einzulassen.

Mit Unordnung umgehen

Wenn Kinder spielen, spielen sie und lassen sich von nichts beeinflussen. Sie veranstalten manchmal das absolute Chaos, scheinen es nicht einmal zu bemerken und fühlen sich total wohl darin. Erwachsene hingegen stört das manchmal schrecklich. Sie ärgern sich etwa über bunte Kindersocken unter der Couch, ein Kinderzimmer, in dem alles herumliegt oder den Parcours aus Bausteinen im Wohnzimmer. Ihrem Kind fällt diese, für Sie störende, Unordnung überhaupt nicht auf. Es ist ihm einfach nicht wichtig. Woran liegt das?

Auch in Bezug auf das Thema Ordnung und Sauberkeit haben Kinder eine völlig andere Wahrnehmung. Den meisten Erwachsenen sind diese Dinge wichtig und sie verwenden viel Zeit darauf, aufzuräumen und sauber zu machen. Kinder sehen darin meist gar keine Notwendigkeit. Sie können auch in einem unordentlichen Kinderzimmer wunderschön spielen. Solange sie finden, was sie brauchen ist alles gut. Spaß an der Sache ist wichtig und nicht das drum herum.

Sie ärgern sich über dieses Chaos und Ihr Kind bemerkt es nicht einmal. Deshalb ist es wichtig, solche Unstimmigkeiten auch zu thematisieren. Es nützt nichts, dass Sie Ihrem Kind ständig hinterher räumen und sich ärgern. Sprechen Sie mit Ihrem Kind darüber und erklären Sie ihm, was Sie stört, sonst wird es sich nur wundern, warum Sie so reagieren. Es kann nicht verstehen. warum es aufräumen soll. Nach seiner eigenen Wahrnehmung lebt es sich im Chaos genauso gut.

Wenn Kinder nicht mehr im Kleinkindalter sind, können Sie schon für gewisse Dinge Verantwortung übernehmen. Sie können mit Ihrer Hilfe ihr Zimmer aufräumen. Sie können lernen, ihre Kleider nicht überall herum liegen zu lassen und Ihnen dadurch schon Arbeit ersparen. Erklären Sie Ihrem Kind, dass Sie es nicht schön finden, wenn Sie ihm immer hinterher räumen müssen. Dass Sie sich darüber freuen würden, wenn es auch ein wenig Ordnung halten würde und sie dann auch viel mehr Zeit hätten, gemeinsam zu spielen. Die Zeit, die Sie abends fürs Aufräumen brauchen, können Sie dann nutzen, um mit Ihrem Kind zu spielen oder vorzulesen.

!    TIPP: ORDNUNG SCHAFFEN

Einmal gar nichts tun

Kennen Sie das Spiel „Gar nichts tun?“ Was soll das jetzt, werden Sie sich fragen, aber ich meine es ernst. Haben Sie sich einmal überlegt, wie oft Ihr Kind die Gelegenheit hat, gar nichts zu tun, nicht beschäftigt zu sein, nichts zu müssen?

Ich erinnere mich gerne an meine Kindheit, eine Zeit, die mir ein Fundament gab. Ich lebte in einer ländlichen Gegend. Damals war es üblich, in Gruppen mit anderen Kindern durch das Gelände zu streifen. Natürlich wussten meine Eltern ungefähr, wo ich mich befand und sie wussten, mit wem ich spielte. Damals gab es in der Nachbarschaft zahlreiche Landwirte. Das bedeutete für uns Kinder, dass es Ställe, ruhige Ecken und allerhand zu entdecken gab. In den Ferien lebten wir in den Tag hinein und ließen uns treiben. Dieses Treibenlassen wünsche ich mir heute oft zurück. Geben wir unseren Kindern dieses Gefühl? Ist es nicht mal in Ordnung, wenn ein Samstag vergeht – ohne sich zu verabreden, etwas zu besorgen oder irgendeinen Kurs mitzumachen?

Mit meinem Sohn spiele ich oft das „Gar-nichts-tun-Spiel“. An einem sonnigen Tag legen wir uns in eine Wiese und schauen den Wolken nach. Einer erzählt dem anderen, welche Figuren er in den Wolken sieht. Nebenbei wird so einiges beredet, was meinen Sohn bewegt. Die Zeit, so empfinden wir es beide, vergeht wie im Flug. Abends, beim zu Bett bringen, muss ich ihm immer wieder versprechen, dass wir solche Spiele öfter spielen.

ACHTSAMKEITS-ÜBUNG: WOLKENGESCHICHTEN

Diese Achtsamkeits-Übung wirkt sehr entschleunigend, regt die Fantasie an und fördert die visuelle Wahrnehmung und Kreativität. Außerdem macht sie ganz viel Freude und beschert Ihnen wundervolle gemeinsame Momente mit Ihrem Kind. Ich kann Sie nur dazu ermuntern, sich auf das „Schlendern“ einzulassen. Das tut Ihrem Kind und Ihnen gleichermaßen gut.

Sie haben jetzt viel über die unterschiedliche Wahrnehmung von Kindern und Erwachsenen gelesen. Sie sind Vorbild in allen Bereichen. Ob es um das Thema Einstellung zu Leben, Sprache, Humor, Essen oder Faulenzen handelt, in allen Bereichen lernt Ihr Kind von Ihnen. In einem Bereich haben Kinder uns aber viel voraus: Im Bereich der visuellen Wahrnehmung sind sie wesentlich aufmerksamer als Erwachsene. Sie nehmen Dinge wahr, die wir überhaupt nicht mehr bemerken. Es macht Spaß die Welt wieder mit Kinderaugen zu sehen und Vergessenes neu zu entdecken.

Mit dieser Übung bekommen Sie einen neuen Blickwinkel auf Ihre Umwelt und können Ihrem Kind gleichzeitig eine Perspektive eröffnen, die es noch nicht kennt. Ein gemeinsamer Spaziergang mit neuem Wahrnehmungsfokus macht allen Beteiligten Spaß, sie lernen voneinander und er lässt Sie die Welt mit den Augen des anderen sehen.

ACHTSAMKEITS-ÜBUNG: MEINE ÜMWELT WAHRNEHMEN

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783869106649
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juni)
Schlagworte
Achtsamkeit Kommunikation Pädagogik Erziehung Familie

Autor

  • Alexandra Karr-Meng (Autor:in)

Alexandra Karr-Meng unterstützt als Coach Eltern und Erzieherinnen bei der achtsamen Kommunikation mit Kindern. Als Mutter weiß sie: Im Alltagstrubel kommen Ruhe, Respekt und gegenseitige Wertschätzung häufig zu kurz – daher hat sie Lösungen entwickelt, die auch in hektischen Momenten leicht umzusetzen sind und trotzdem eine enorme Wirkung im Familienleben entwickeln.
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Titel: Kinder achtsam erziehen