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Gut leben mit Restless Legs

Endlich wieder durchschlafen. Mit einem Vorwort der Deutschen Restless Legs Vereinigung e.V. Zertifiziert von der Stiftung Gesundheit

von Dr. med. Cornelia Goesmann (Autor:in)
136 Seiten

Zusammenfassung

Zertifiziert von der Stiftung Gesundheit. Etwa zehn Prozent der Menschen leiden an der Krankheit der unruhigen Beine, dem „Restless-Legs-Syndrom“. In ihrem umfassenden Ratgeber erläutert die erfahrene Ärztin Dr. Cornelia Goesmann, welche Möglichkeiten der Selbsthilfe Patienten heute zur Verfügung stehen. Hierzu gehören naturheilkundliche und physikalische Maßnahmen, aber auch eine positive Einstellung zu der Erkrankung. Ausführlich geht sie auf Medikamentengruppen ein, die die Beschwerden wirkungsvoll lindern. Dr. Goesmann ist davon überzeugt, dass ein aufgeklärter Patient mit seinen Ärzten eine individuell angepasste Behandlung erarbeiten kann, durch die er eine gute Lebensqualität gewinnen wird. Dabei hilft ihm dieser Ratgeber.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


VORWORT

Liebe Leser,

wenn Sie oder Ihr Partner an der Krankheit der „unruhigen Beine“ leiden, dann sind Sie sicher schon oft in Ihrem Leben auf Unkenntnis oder Unverständnis gestoßen. Vielleicht wurden Sie auch, wenn Sie Ihre Beschwerden geschildert haben, für „überarbeitet“ oder gar „überspannt“ gehalten. Zwar kommt das „Restless-Legs-Syndrom“ – oder kurz „RLS“ – bei immerhin fast zehn Prozent unserer Bevölkerung in mehr oder weniger starker Ausprägung vor, zwar wird darüber auch häufig in den Medien berichtet – dennoch finden viele Betroffene keinen Arzt, der ausreichend Erfahrung mit den heutigen Therapiemöglichkeiten erwerben konnte.

Umso wichtiger ist es, dass Patienten, die an RLS leiden, sich selbst zu Experten ihrer Störung machen und wissen, welche Maßnahmen ihre Beschwerden lindern können.

Dieser Ratgeber möchte Ihnen Hinweise und Informationen an die Hand geben, die Ihnen dabei helfen, die Krankheit zu akzeptieren, ihre Symptome zu bessern, weniger zu leiden und das RLS als Teil Ihres täglichen Lebens anzunehmen. Mit dem erworbenen Wissen und Ihren neuen Erkenntnissen wird Ihr Arzt Sie gerne als mündigen Patienten und damit als Partner im Rahmen Ihrer Behandlung akzeptieren.

Vor allem sollten Sie sich als Betroffener stets klarmachen, dass das Restless-Legs-Syndrom zwar eine lästige und schmerzhafte Störung ist, aber nie zum Tode führt. Es gilt, sich mit ihr zu arrangieren! Denn es scheint, als ob RLS-Patienten insgesamt gesünder als der Durchschnitt der Bevölkerung sind und offenbar auch seltener an lebensbedrohlichen Erkrankungen wie z. B. bösartigen Tumoren leiden. Sie können also mit Ihrem RLS sehr alt werden – informieren Sie sich daher gründlich über das Krankheitsbild, heutige Therapiemöglichkeiten und die gegenseitige Unterstützung mit anderen Betroffenen in der Selbsthilfegruppe! Dann kann es Ihnen gelingen, Schmerzen, Unruhe und schlechten Schlaf deutlich zu bessern und ein langes und zufriedenes Leben zu führen.

Mögen Ihnen sowohl die in diesem Ratgeber enthaltenen schulmedizinischen Hinweise als auch die unkonventionellen Tipps dabei helfen!

Das wünscht Ihnen Ihre

Dr. Cornelia Goesmann

Fachärztin für Allgemeinmedizin/Psychotherapie und Spezialistin für das Restless-Legs-Syndrom

GELEITWORT DER DEUTSCHEN RESTLESS LEGS VEREINIGUNG

Liebe Menschen mit Restless Legs, liebe Leserinnen und Leser,

Sie haben einen wichtigen Schritt gemacht und sich ein kompetentes Buch über das Restless-Legs-Syndrom gekauft! Etwa zehn Prozent unserer Bevölkerung sind vom RLS betroffen, das heißt, Sie stehen nicht alleine da. In diesem Ratgeber finden Sie qualifizierte Informationen, die Ihnen helfen werden, Ihre Krankheit besser zu verstehen. Denn nur ein aufgeklärter Patient kann mit seinen Ärzten, insbesondere seinem Neurologen, eine individuell angepasste medikamentöse Behandlung erarbeiten, durch die er eine gute Lebensqualität zurückgewinnen kann.

Das Krankheitsbild RLS wurde zwar bereits vor über 300 Jahren von Sir Thomas Willis beschrieben, aber erst im Jahre 1945 bekam es vom Schweden Karl-Axel Ekbom den Namen „Restless-Legs-Syndrom“. Seither beschäftigen sich auch Forschung und Wissenschaft intensiv mit dem Syndrom der rastlosen und unruhigen Beine. Dank der Genforschung wissen wir heute, dass wir keine Simulanten sind, und dank verschiedener wirksamer Medikamente können wir auch aktiv gegen die Symptome angehen. RLS ist keine Befindlichkeitsstörung oder erfundene Krankheit. Betroffene sind keine eingebildeten Kranken, wie leider oft angenommen wird. Im Gegenteil – das RLS ist eine Störung, die das Leben völlig aus dem Gleichgewicht bringen kann.

Seit über 20 Jahren setzt sich die Selbsthilfeorganisation „RLS e.V. Deutsche Restless Legs Vereinigung“ nun schon für die Belange von RLS-Betroffenen ein und unterstützt seit vielen Jahren die Wissenschaft in der Erforschung der Ursachen. Erste Fortschritte sind schon zu verzeichnen: Mit Hilfe der Gentechnik konnten wichtige Erkenntnisse gewonnen werden, außerdem wurde in Deutschland eine RLS-Hirngewebebank gegründet – weltweit die erste! –, so dass nunmehr ein Gehirn-Forschungsprojekt gestartet werden konnte.

Die Deutsche Restless Legs Vereinigung hat inzwischen rund 4000 Mitglieder! Sie steht Ihnen bei vielen Problemen zur Seite. Sie werden nicht alleingelassen, sondern gut und kenntnisreich in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und im Gesundheitswesen vertreten. Natürlich stehen darüber hinaus die Betreuung der Mitglieder und deren persönliche Belange im Vordergrund der Tätigkeit unserer deutschlandweit etwa 130 regionalen Selbsthilfegruppen.

Nehmen Sie sich die Zeit, diesen Ratgeber aufmerksam zu lesen, denn er gibt Ihnen hilfreiche Hinweise. Versuchen Sie, Ihr Restless-Legs-Syndrom zu akzeptieren, und lernen Sie, damit umzugehen, um sich und Ihren Angehörigen ein gutes (Zusammen-) Leben zu ermöglichen.

Denken Sie daran: Wir sind gerne für Sie da und helfen weiter! Wenden Sie sich an uns, wir freuen uns, wenn Sie Mitglied werden.

Ihre
Lilo Habersack

Vorstandsvorsitzende von
RLS e.V. Deutsche Restless Legs Vereinigung
www.restless-legs.org

RESTLESS-LEGSSYNDROM – URSACHEN UND DIAGNOSE

Restless Legs – was versteht man darunter genau? In diesem Kapitel erfahren Sie etwas über die Ursachen der Erkrankung und den derzeitigen Stand der Forschung. Sie werden informiert über die Rolle von Botenstoffen und lernen die vielfältigen Diagnosemöglichkeiten von Blutuntersuchungen bis hin zu Tests im Schlaflabor kennen, die der erste Schritt zur Umsetzung der bestmöglichen Therapie für Sie sind.

Die typischen Symptome von RLS

Der Begriff „Restless Legs“ ist aus dem Englischen übernommen worden und bedeutet „rastlose Beine“ oder „ruhelose Beine“. Die Bezeichnung trifft die Symptomatik so gut, dass der Name der Erkrankung inzwischen international gebräuchlich ist.

Unter einem Syndrom wird in der Medizin die Gesamtheit verschiedener, bei einem Krankheitsbild gemeinsam auftretender Merkmale bezeichnet, welche auf den ersten Blick oft gar nicht zusammengehören. Auch beim „Syndrom der unruhigen Beine“ finden sich eine Vielzahl von Beschwerden und Symptomen, die für Ärzte und Wissenschaftler nicht recht zusammenzupassen scheinen und deren gemeinsame Ursache bis heute nicht endgültig geklärt werden konnte.

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Ein Syndrom bezeichnet eine Kombination von verschiedenen Krankheitszeichen, die meist gleichzeitig auftreten.

Viele der Beschwerden, die mir Patienten schilderten, kennen Sie sicher auch:

„Sobald ich mich entspannen und zur Ruhe kommen will, entwickelt sich nach kurzer Zeit ein fast unerträglicher Druck in den Muskeln von Oberund Unterschenkeln, der erst nachlässt, wenn ich wieder aufstehe.“

„Tagsüber bin ich ein ganz normaler Mensch. Aber abends und nachts werde ich zu einem unruhig getriebenen Zombie, der sich auf nichts mehr konzentrieren kann.“

„Ich mag gar nicht mehr längere Zeit stillsitzen – sofort beginnen ein Reißen und Brennen, manchmal sogar quälende Muskelzuckungen in nur einem oder in beiden Beinen.“

„Wenn ich selbst Auto fahre und entsprechend angespannt bin, habe ich keine Beschwerden. Aber als Beifahrerin rucken und treten meine Beine die ganze Zeit, so dass ich entweder aussteigen oder auf den Wagenboden trampeln muss.“

Ohne meine Medikamente kann ich gar nicht mehr schlafen – wenn ich sie mal vergessen habe, dann laufe ich die ganze Nacht wie ein Tiger im Käfig durch die Wohnung.“

„Ins Kino kann ich nur noch gehen, wenn es einen spannenden Film gibt. Sobald ich mich langweile, fängt das Zappeln der Beine an.“

„Manchmal wache ich nachts davon auf, dass nicht nur meine Beine, sondern auch die Arme und die Muskeln am Oberkörper zu arbeiten und zu zucken scheinen.“

Die Zitate zeigen die ganze Bandbreite von Empfindungen bei RLS: So werden sie geschildert als Stechen, Reißen, Brennen oder als dumpfer Druck in den Muskelgruppen von Armen und Beinen, meist in der Tiefe der Wade, manchmal aber auch in den Füßen oder Oberschenkeln, dabei wechselnd ein- oder beidseitig. Oft auch als sogenanntes Schrinnen – wie ein am Nerv fortgeleiteter Schmerz –, als nicht beeinflussbare Muskelzuckungen vor allem der Beine, die wie kleine Krampfanfälle erscheinen. Oder sogar als sehr starke unwillkürliche Muskelkontraktionen, die nachts das ganze Bett zum Schaukeln bringen. Dazu kommen ein Gefühl der Unruhe und manchmal zwischendurch auch schwere Beine. Kennzeichnend – und eines der Hauptkriterien zur korrekten Diagnosestellung – ist es, dass alle Beschwerden nur in Ruhe auftreten und durch Aktivität vorübergehend oder ganz beendet werden können.

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Typischerweise verschlechtern sich die Symptome im Laufe des Tages: Nur wenige Patienten beklagen schon am Morgen Probleme. Zumeist beginnen Unruhe, Druck und Schmerzen am frühen Nachmittag und steigern sich bis zum Beginn der Nacht. Falls das Einschlafen überhaupt möglich ist, wachen Betroffene oft mehrfach durch nächtliche Beinbewegungen auf. Da keine Tiefschlafphasen erreicht werden, ist man am folgenden Tag übermüdet und gereizt. Am Tag danach kann eine derart „bewegte“ Nacht sogar zu einem echten Muskelkater in den betroffenen Extremitäten führen, der dann als dumpfer Schmerz wahrgenommen wird.

An dieser Stelle sei kurz vorweggenommen: Heftige Schmerzen in den Beinen und eventuell den Armen schon am Vormittag können darauf hinweisen, dass die derzeitige medikamentöse Einstellung nicht ausreichend ist, um nächtliche Beinbewegungen ganz zu stoppen. Obwohl man davon manchmal gar nicht aufwacht, kann es durch die nächtliche Aktivität am nächsten Tag zu muskelkaterähnlichen Beschwerden kommen. Mehr zur Dosierung von Medikamenten lesen Sie ab S. 78.

Wenn man längere Zeit keinen ausreichenden Schlaf mehr findet, kommt es fast immer zu chronischer Erschöpfung und nachlassender Leistungsfähigkeit, vielleicht sogar zu familiären und beruflichen Konflikten. Oft wird auch beschrieben, dass Menschen mit RLS vermehrt an Depressionen erkranken. Diese Erfahrung habe ich bei meinen Patienten zwar nicht gemacht, sie wäre als Folge der quälenden Beschwerden aber nur zu verständlich. Forscher diskutieren aber auch, ob eine gemeinsame Krankheitsursache bestehen könnte. So wie man inzwischen herausgefunden hat, dass das RLS ebenfalls gehäuft neben erhöhtem Blutdruck, der chronischen Schmerzerkrankung Fibromyalgie und den neurologischen Krankheitsbildern Polyneuropathie und Multiple Sklerose aufzutreten scheint, ohne dass diese Zusammenhänge bisher erklärt werden könnten.

Symptome, die RLS-Patienten am meisten belasten

SYMPTOME HÄUFIGKEIT
Missempfindungen der Beine und anderer Körperteile 81,6 %
Schlaf gestört, unterbrochen, schlecht 66,1 %
Durchschlafstörungen 60,9 %
Bewegungsdrang 54,6 %
Schmerz 54,0 %
Zucken, unwillkürliches Bewegen der Beine oder anderer Körperteile 49,4 %
Einschlafstörungen 47,1 %
Tagesschläfrigkeit 34,5 %
Erschöpfung, Müdigkeit 33,9 %

Befragt wurden 174 Patienten. Quelle: Bergmann et al., Somnologie 2005; 9/Suppl.1:41

400 Jahre RLS

Im Jahre 1685, also vor weit mehr als 300 Jahren, erschien in England die erste medizinische Schrift, die sich jemals mit Restless Legs befasste. Autor war Dr. Thomas Willis, ein in London praktizierender Arzt. Dieser beschrieb erstmals Menschen, die in der Nacht durch die Straßen Londons irrten, weil sie wegen unwillkürlicher Bewegungen der Arme und Beine oder Muskelzuckungen nicht schlafen konnten. Vermutlich hat der damals überaus häufig praktizierte Aderlass durch den hohen Blutverlust zum Auftreten der typischen Symptome des RLS geführt. Zu jener Zeit stand diese „Therapie“, bei der den Betroffenen mit einem Schnitt in eine Vene regelmäßig viel Blut abgelassen wurde, häufig als einziges Heilmittel zur Verfügung. Man glaubte, mit dem ausfließenden Blut auch die Krankheitsursachen beseitigen zu können. Leider kam es dadurch bei den so „Behandelten“ zu Blutarmut und Eisenmangel, beides Auslöser für das Restless-Legs-Syndrom, wie wir heute wissen. Diese aus heutiger Sicht brutale Maßnahme muss im 17. Jahrhundert eine wahre Epidemie von RLS-Patienten verursacht haben! Dr. Willis erkannte erstmals, dass das Verabreichen von Opiumtinktur zu einer Linderung der Beschwerden führen kann.

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Rund 200 Jahre später finden sich Ausführungen von Theodor Wittmaak, der 1861 die Unruhe der Beine als eine Form der Hysterie, also als eine psychosomatische Erkrankung definierte. Zu jener Zeit wurden psychische Beschwerden und Unruhezustände bei Frauen als Hysterie bezeichnet (abgeleitet von dem altgriechischen Wort „hystera“ für Gebärmutter) – was lag daher näher, als auch das RLS, das ja zu 70 Prozent bei Frauen auftritt, als neurotisches Symptom zu sehen?

Weitere 80 Jahre später fand das RLS dann Eingang in das „Lehrbuch der Nervenkrankheiten“ von Hermann Oppenheim, wodurch er es erstmals als neurologische, also organisch bedingte Störung einordnete. Schließlich wurde das Restless-Legs-Syndrom in den Jahren 1943 bis 1945 von Professor Karl-Alex Ekbom, einem schwedischen Lehrstuhlinhaber für Neurologie, genauer beschrieben. Er machte die Erforschung des RLS zu seiner Lebensaufgabe. Deswegen wird es in der internationalen Literatur heute auch unter der Bezeichnung „Willis-Ekbom-Disease“ oder „Wittmaak-Ekbom-Syndrom“ geführt.

Erst in den 1990er-Jahren wandte sich die internationale Forschung dem RLS endgültig zu, definierte dessen Symptome, Schweregrade, Diagnosekriterien und entwickelte schließlich verschiedene Therapiemöglichkeiten.

Die Ursachen von RLS

Obwohl die Erforschung des Restless-Legs-Syndroms in den letzten 20 Jahren weltweit vorangetrieben worden ist, bleiben die genauen Ursachen dieser Erkrankung weiterhin im Unklaren. Experten vermuten jedoch, dass die Krankheitsursache im zentralen Nervensystem liegt. Das ZNS ist unser lebenswichtiges Steuerungszentrum. Zusammen mit dem Hormonsystem, mit dem es eng verknüpft ist, regelt es alle Körperfunktionen von der Atmung über die Bewegung und Fortpflanzung bis hin zur Verdauung.

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RLS ist sicher genetisch bedingt

Sicher ist aber bisher, dass das RLS genetisch bedingt und damit erblich ist. Nach heutigem Kenntnisstand wird von einem sogenannten autosomal-dominanten Erbgang ausgegangen. Dies bedeutet Folgendes:

Wenn nur ein Elternteil vom RLS betroffen ist, wird die Veranlagung zu der Erkrankung – rein statistisch gesehen – an die Hälfte der Kinder aus dieser Ehe weitergegeben. Tragen beide Eltern die Erbmerkmale für RLS, dann erben sie auch alle Kinder aus dieser Verbindung. Wissenschaftlern ist es in den letzten Jahren gelungen, die Chromosomen, die für die Erkrankung und die Vererbung von RLS zuständig sind, und die darauf befindlichen sogenannten Genorte zu identifizieren.

Diese Erkenntnisse tragen aber leider noch nicht dazu bei, dass in der täglichen Praxis eine frühere oder bessere Diagnostik und Behandlung angeboten werden kann. Vor allem bleibt derzeit unklar, warum die Erkrankung an Restless Legs bei Betroffenen, die die Veranlagung ja geerbt haben müssen, in ganz unterschiedlichen Lebensaltern und in sehr stark variierender Ausprägung auftritt. An dieser interessanten Fragestellung arbeiten derzeit weltweit etliche Genetiker – sie ist aber so komplex, dass hier nicht weiter darauf eingegangen werden soll.

Die genetische Veranlagung verdeutlicht auch folgende Frage einer Patientin:

„Meine Großmutter und deren Schwester, also meine Großtante, waren wohl beide betroffen. Ich kenne sie nur wuselig, unruhig und immer auf den Beinen. Meine Eltern klagen nicht, aber bei mir haben die Ärzte RLS diagnostiziert. Kann die Krankheit eine ganze Generation überspringen?“

Ja, auch diese Beobachtung ist häufig zu machen: RLS kommt in den Familien von Erkrankten gehäuft vor, kann aber auch eine Generation überspringen. Typischerweise können 50 Prozent der RLS-Patienten andere Betroffene in ihrer Familie nennen.

Zwar kennen Genetiker nun den Erbgang, können aber noch nicht erklären, warum etwa 70 Prozent der Betroffenen Frauen und nur 30 Prozent Männer sind. Ebenso wird weiter erforscht werden müssen, weshalb die medikamentöse Behandlung von Patientinnen einfacher und weniger eingreifend zu sein scheint. Tatsächlich reicht bei Frauen zumeist eine Monotherapie mit einem der zugelassenen Wirkstoffe, während männliche Patienten häufig eine Kombinationstherapie und deutlich höhere Dosierungen benötigen. Auch ist zu beobachten, dass bei Männern früher ein Wirkverlust eintritt und damit häufiger ein Medikamentenwechsel notwendig wird als bei Patientinnen. Diese kommen oft jahrelang gut mit demselben Wirkstoff in der gleichen Dosierung zurecht.

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RLS entsteht vermutlich im ZNS

Bis heute weiß die Forschung nicht genau, welche Fehlsteuerungen im Körper von RLS-Patienten zu Unruhe, Schmerz und Missempfindungen führen. Klar ist nur, dass es einen Zusammenhang mit dem Stoffwechsel der sogenannten Neurotransmitter gibt. So nennt die Medizin Botenstoffe, die im Gehirn, im Rückenmark und zwischen den Nerven im restlichen Körper – vor allem in den Gliedmaßen – Informationen und Signale weiterleiten. Botenstoffe, die im Gehirn erzeugt werden, fließen dann im Rückenmark und in den sogenannten peripheren Nerven weiter, um Prozesse in Gang zu setzen und Bewegungen zu steuern. Dabei ermöglichen sie auch bestimmte Sinnesempfindungen und Schmerzreize. Es gibt an den Organen und Strukturen des Körpers, die diese Informationen empfangen sollen, Rezeptoren für die Botenstoffe. Treffen diese dort ein, reagiert das Organ folgerichtig. Kommen eine zu geringe Menge dieser Transmitter oder gar ein falscher an, dann erfolgen auch falsche oder gar keine Reaktionen.

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Der Botenstoff, der bei den Restless Legs die entscheidende Rolle spielt, ist das sogenannte Dopamin oder auch L-Dopa. Heutige Forschungen lassen den Schluss zu, dass bei RLS-Patienten zwar offensichtlich genug Dopamin im Gehirn gebildet wird, dieses aber nicht am sogenannten Erfolgsorgan, also den Muskeln der Arme oder Beine, ankommt. Wissenschaftler vermuten, auch weil ja immer wieder nur einzelne und wechselnde Gliedmaßen betroffen sein können, dass es sich bei RLS eher um eine Verteilungsstörung des Botenstoffes Dopamin im Rückenmark denn um einen Mangel daran handelt.

Niemand weiß allerdings bisher, warum und wie es zu diesen Fehlverteilungen kommen kann. Sie selbst haben vielleicht auch schon erlebt, dass Sie bei bestimmten Berührungen oder in anderen Situationen ein RLS auslösen können. So berichten Betroffene, dass bei ihnen durch Massagen der Füße, durch heftig juckende Mückenstiche an den Beinen oder durch ein Kneifen der Haut Unruhe und Muskelzuckungen verursacht werden konnten. Hier führt offensichtlich ein Auslösereiz über die dazu gehörige Ebene im Rückenmark zu einem typischen „RLS-Anfall“.

Messungen der Gehirnaktivitäten von RLS-Patienten haben auch ergeben, dass diejenigen Zentren im Gehirn, die für Bewegungen zuständig sind, bei RLS-Muskelkontraktionen gar nicht mitwirken. Die Medizin kommt daher immer mehr zu dem oben schon genannten Schluss, dass nicht im Gehirn, sondern im Rückenmark die Ursache des RLS zu suchen ist und dass das Dopamin dabei eine zentrale Rolle spielt. Ich werde daher ab S. 89 noch intensiver auf die Rolle von Dopamin eingehen.

RLS wird bei Eisenmangel schlimmer

Auch bezüglich der Rolle von Eisen und Eisenmangel tappen Wissenschaftler noch im Dunkeln. Als gesichert gilt, dass ein Eisen mangel, leere Eisenspeicher und ein hoher und plötzlicher Blutverlust zu einem neu auftretenden RLS oder zu einer Verschlechterung der Symptome führen können. Allerdings ist immer noch weitgehend unklar, auf welchem Weg der Eisenmangel zur Auslösung der Krankheit RLS führt. Es wird angenommen, dass Eisenmangel eine Störung des Dopamin-Systems oder der Herstellung von Dopamin im Gehirn zur Folge hat: Experimente an Ratten zeigten, dass vor allem ein leerer Eisenspeicher im Gehirn von Ratten zum Absterben von Zellen in der sogenannten Substantia nigra führt – das ist die Gehirnregion, in der Dopamin gebildet wird. Derzeit erhofft sich die internationale Wissenschaft bessere Erkenntnisse über die Ursachen des RLS, wenn vermehrt am Eisenstoffwechsel geforscht wird.

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RLS-Patienten sollten kein Blut spenden. Der plötzliche Blutverlust verstärkt immer die individuellen Symptome!

Anzeichen für einen Eisenmangel können Müdigkeit, Tinnitus, Schwäche, Schwindel, Leistungsabfall, Herzklopfen, rascher Pulsanstieg bei Belastung, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen sein. Wird bei Ihnen ein Eisenmangel festgestellt, sollten die Ursachen abgeklärt werden. Als Ursachen für einen Eisenmangel kommen unter anderem in Betracht:

Geschwüre, Polypen, Entzündungen oder Tumoren im Magen-Darm-Trakt

Nierenstörungen und Nierenversagen, Dialysebehandlung

Blutverluste über den Urogenitaltrakt (z. B. Blut im Urin bei Nierensteinen)

die Menstruation, vor allem bei starker oder zu häufiger Regelblutung

Blutverluste durch Unfälle, unter blutverdünnenden Medikamenten oder bei Blutspende

Aufnahmestörungen für Eisen und Vitamine in Magen oder Darm

Wird bei Ihnen eine dieser Diagnosen gestellt und als Ursache für Blutverlust oder Eisenmangel beseitigt, dann verbessern sich die RLS-Beschwerden schnell – vorausgesetzt, dass mit einer Eisenkur in Form von Kapseln oder Infusionen die Eisenspeicher des Körpers wieder aufgefüllt werden. Auch mit einer entsprechenden Ernährung kann dieser Prozess unterstützt werden. Mehr dazu lesen Sie ab S. 53.

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Lassen Sie unbedingt Ihren Eisengehalt im Blut bestimmen. Das sogenannte Ferritin, ein Maß für die Füllung der Eisenspeicher, muss über 50 Mikrogramm pro Liter (µg/l) liegen.

RLS kann in jedem Lebensalter auftreten

Bisher noch unbekannte Einflussfaktoren führen offensichtlich dazu, dass die ersten Krankheitssymptome in jedem Lebensalter auftreten können. So vermuten Neurologen und Kinderärzte inzwischen, dass sich RLS schon im Kindesalter zeigen kann. Offensichtlich muss man dumpfe Beinschmerzen bei Kindern, die bisher als „Wachstumsschmerzen“ bezeichnet wurden, als Symptome von RLS deuten. Vor allem dann, wenn bei ihnen auch ein nächtliches Strampeln, zerwühltes Bettzeug und „Zappeligkeit“ sowie Übermüdung am Tage auftreten. Es ist zu vermuten, dass etliche von ihnen fälschlich als Kinder mit ADHS (der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) behandelt werden, weil man RLS bei Kindern bisher nicht wahrgenommen und kaum erforscht hat.

Bei ungefähr 40 Prozent der RLS-Betroffenen haben die Beschwerden bereits vor dem 20. Lebensjahr begonnen. Typisch ist ein Beginn der Erkrankung jedoch um das 50. Lebensjahr. Immer wieder finden sich aber auch Menschen, die erst im achten Lebens jahrzehnt die ersten Symptome zeigen. Warum so unterschiedliche Ausprägungen des RLS beobachtet werden und warum die Erkrankung in gänzlich verschiedenen Lebensabschnitten beginnen kann, muss die zukünftige Forschung aufdecken.

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Erste Krankheitssymptome können in jedem Alter auftreten.

Ebenfalls häufig betroffen sind Schwangere – so treten leichte bis heftige Symptome des RLS bei 30 Prozent der werdenden Mütter auf, verschwinden aber nach der Entbindung wieder.

Dazu berichten Betroffene:

Bei mir begann das RLS bei einem Urlaub in den Bergen. Damals – beide waren wir Anfang 40 – sind mein Mann und ich täglich viele Stunden im Hochgebirge gewandert. Abends hatte ich erhebliche Schmerzen der Muskeln und Gelenke sowie heftigen Muskelkater und in der Nacht eine entsetzliche Unruhe der Beine, die nur durch Umherlaufen, nicht aber durch mitgebrachte Schmerzmittel zu lindern war. Erst viele Monate später und nach einer Ärzte-Odyssee stellten sich die Beschwerden als Restless Legs heraus. Hinterher berichtete übrigens meine Mutter, dass ich schon als Kind über nächtliche Schmerzen in den Beinen geklagt hätte und oft nachts aufgestanden sei, um zu spielen.“

„Nachdem meine Kinder das Haus verlassen hatten, um eine Ausbildung zu beginnen, bekam ich mit 46 Jahren erhebliche Schlafstörungen. Nächtelang bin ich durch die Wohnung gewandert, während mein Partner seelenruhig schlief. Sobald ich mich wieder hinlegte, erfasste mich eine furchtbare Unruhe, vor allem in den Beinen, die erst durch Umhergehen wieder verschwand. Mein Hausarzt diagnostizierte eine Depression, er nannte es „Empty-Nest-Syndrom“, weil ich nach dem Auszug der Söhne unausgefüllt sei. Ich wollte das nicht akzeptieren, zumal die mir dann verschriebenen Antidepressiva die Unruhe eher verschlimmerten als verbesserten. Ich suchte daher noch weitere Ärzte auf, bis endlich ein Neurologe die Diagnose Restless Legs stellte. Seither bin ich mit der richtigen Medikation fast beschwerdefrei.“

„Mit Mitte 70 stellten sich bei mir, dem ,aktiven Rentner’, am Abend, in der Nacht und später sogar schon am Nachmittag, wenn ich in Ruhe lesen oder Musik hören wollte, Schmerzen und Missempfindungen der Beine ein, die nur durch Aufstehen und Herumgehen gelindert werden konnten. Ich dachte, dies sei durch meine Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule, durch meine bekannten Durchblutungsstörungen der Beine oder einfach durch zu viel Aktivität am Tag ausgelöst worden. Mein Arzt schüttelte aber nur den Kopf und wusste sofort, dass meine Symptome typisch für das RLS sein könnten. Er gab mir daher eine einzelne Test-Tablette eines hochwirksamen Medikamentes mit, das sofort geholfen hat. Seither geht es mir mit entsprechender Medikation recht gut. Die Beschwerden von der Wirbelsäule und den Krampfadern her sind geblieben, aber Getriebenheit und Missempfindungen sind weg.“

„Während jeder meiner beiden Schwangerschaften, bei denen ich 24 und 28 Jahre alt war, bekam ich schon innerhalb der ersten drei bis vier Monate nächtelang schlimme Schmerzen, Druckgefühle und unkontrollierbare Muskelzuckungen in beiden Beinen. Meine Gynäkologin kannte dieses Phänomen und nannte es „Restless Legs“. Leider konnte sie mir außer Magnesium-, Vitamin- und Eisentabletten nichts dagegen verordnen, weil stärkere Medikamente dem Embryo schaden würden. Mit diesen Maßnahmen und dem wichtigen Ziel, dass meinen Kindern nichts passieren sollte, habe ich irgendwie die weiteren Monate überstanden. Nach der Entbindung – vielleicht durch die Hormonumstellung – waren alle Beschwerden verschwunden.

RLS kann primär oder sekundär sein

Ärzte unterscheiden zwischen zwei Formen des Restless-Legs-Syndroms: Das primäre RLS ist angeboren und kann unerwartet in jedem Lebensalter auftreten. Dem sekundären RLS liegt vermutlich ebenfalls eine genetische Veranlagung zugrunde, es wird aber durch äußere Umstände gebahnt oder verschlechtert.

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RLS kann angeboren und ohne erkennbare Ursache oder erworben im Rahmen anderer Auslöser auftreten.

Die Auslöser eines sekundären RLS sind ganz unterschiedlich:

Blutarmut bei Eisenmangel oder heftigem Blutverlust, bei der dem Körper nur zu wenige und zu kleine Blutkörperchen zur Verfügung stehen (siehe auch oben)

eine Über- oder eine Unterfunktion der Schilddrüse (Hyperthyreose und Hypothyreose)

ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus, also ein ständig erhöhter Blutzuckerspiegel

eine Störung der Nierenfunktion, bei der die Nieren nur noch so eingeschränkt arbeiten, dass bestimmte Stoffe nicht mehr ausreichend aus dem Blut gefiltert werden können. Im Endstadium dieser sogenannten Niereninsuffizienz kann es zur Urämie kommen, einer Überschwemmung des Körpers mit nicht ausgeschiedenen Giftstoffen. Dann wird eine vorübergehende oder ständige Dialyse zur Blutwäsche notwendig. Tatsächlich leidet der größte Teil der Patienten einer Dialysepraxis unter unruhigen Beinen! Den Nephrologen, also den Fachärzten für Nierenheilkunde, sind daher das RLS und seine Therapie sehr gut bekannt.

eine Vielzahl von Medikamentengruppen. Da diese in einem eigenen Kapitel vorgestellt werden (siehe S. 87), seien hier nur als besonders riskant die sogenannten Neuroleptika erwähnt. Das sind Substanzen, die zur Therapie von Wahnvorstellungen bei psychisch Kranken angewendet werden.

Und so beschreiben weitere Betroffene, wie das RLS begann:

„Ich glaube, bei mir haben die unruhigen Beine angefangen, nachdem ich das erste Mal zum Blutspenden gegangen bin. Leider hat mich darüber niemand vorher aufgeklärt.“

„Mein Arzt hat mir gegen meine Rastlosigkeit ein Beruhigungsmittel verschrieben, das alles nur noch viel schlimmer gemacht hat. Auch ein Antidepressivum führte zu einer Verschlechterung meiner nächtlichen Unruhe. Da habe ich alles abgesetzt, und die Beschwerden gingen langsam auf das ursprüngliche Maß zurück.“

„Als ich wegen einer schweren Infektion einen stark erhöhten Blutzuckerspiegel bekam, wurden auch die Unruhe und die Muskelzuckungen der Beine deutlich schlechter. Erst mit einer besseren Einstellung meines Diabetes besserte sich auch das RLS.“

Im letzten Sommer wurde mein Restless-Legs-Syndrom immer unerträglicher. Schließlich fand mein Hausarzt heraus, dass ich eine zunehmende Schilddrüsenüberfunktion entwickelt hatte. Nachdem diese erfolgreich behandelt wurde, gingen auch Unruhe und Schlafstörungen schnell zurück.“

Die Diagnose von RLS

In der Medizin sollen sich die Ärzte nach sogenannten „Leitlinien“ richten, die von ausgesuchten, unabhängigen Fachleuten zu den verschiedensten Krankheitsbildern entwickelt, überprüft und ständig auf den neuesten wissenschaftlichen Stand gebracht werden. Auch für das Restless-Legs-Syndrom gibt es von Experten ausgearbeitete medizinische Leitlinien, die „Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Behandlung des Restless-Legs-Syndroms“. Für die Stellung einer korrekten Diagnose bei RLS muss der Patient gemäß den Leitlinien folgende vier Minimalkriterien aufweisen:

1. einen Bewegungsdrang der Beine, meist in Verbindung mit Missempfindungen oder Schmerzen, welcher

2. ausschließlich in Ruhe und Entspannung auftritt und

3. durch Bewegung gebessert wird oder zum Stillstand kommt, sowie

4. eine Tagesrhythmik mit Überwiegen der Symptome am Abend und in der Nacht zeigt

Allerdings existieren auch eine Reihe weiterer Erkrankungen, die RLS-ähnliche Symptome verursachen können. Erkrankungen, die von RLS abgegrenzt werden müssen, sind:

Muskelkrämpfe, z. B. bei Magnesiummangel

Einschlafzuckungen

Beinschwellungen und Krampfaderbeschwerden

Muskelentzündungen

Wirbelsäulenschäden mit sogenannten „Ischiasbeschwerden“

arterielle Durchblutungsstörungen der Beine

Nervenschäden der Extremitäten durch Gifte, Alkoholismus, Diabetes mellitus u. v. a.

Medikamentenfolgen mit allgemeiner motorischer Unruhe

rheumatische Beschwerden der Muskeln und Gelenke

Das Syndrom der unruhigen Beine kann ohne Grund ganz plötzlich oder auch als Folge der oben genannten Erkrankungen auftreten. Ein erstmalig betroffener Patient muss immer auf die beschriebenen Störungen oder auslösende Medikamente hin untersucht werden.

Untersuchung durch Ihren Arzt

Wenn sich nun ein Patient mit den Symptomen von Restless Legs bei seinem Arzt vorstellt, sollte dieser in einem ersten Schritt klären, ob es sich um ein primäres oder ein sekundäres RLS handelt. Dazu muss er alle nötigen Laborwerte untersuchen und eine Überprüfung sämtlicher Medikamente, die der Patient aktuell einnimmt, vornehmen. Erweist sich der Betroffene unter diesen Gesichtspunkten als völlig gesund und nimmt auch keines der bei RLS unerwünschten Medikamente ein, dann leidet er mit Sicherheit an einem erstmals aufgetretenen primären Restless-Legs-Syndrom. Das bedeutet, an einer angeborenen Form, die nicht durch Erkrankungen oder äußere Einflüsse verstärkt wird.

Kommt es im Laufe der Erkrankung an RLS zu einer Zunahme der Beschwerden, müssen stets erneut alle Untersuchungen durchgeführt werden, die Aufschluss über mögliche neue Auslöser für eine Verschlechterung geben können.

Bestimmung der Laborwerte

Ganz konkret sind folgende Laborwerte zu Beginn der Erkrankung und bei Verschlimmerung der Symptomatik zu bestimmen:

Zur Überprüfung des Blutbildes muss der sogenannte Hämoglobinwert gemessen werden. Dieser gibt die Menge an rotem Blutfarbstoff an, der Sauerstoff binden kann. Weiterhin der Hämatokrit, welcher das Verhältnis von roten Blutkörperchen zu flüssigen Blutbestandteilen anzeigt. Und als Drittes der Parameter Ferritin. Wie Sie oben schon gelesen haben, gibt dieses das Maß des im Körper gespeicherten Eisens an und soll bei RLS über 50 Mikrogramm pro Liter liegen. Sind Hämoglobin und Ferritin zu niedrig, verschlechtert sich das RLS.

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Zur Überprüfung der Stoffwechseleinstellung bei einem Diabetes mellitus werden der jeweilige Blutzuckerwert und der sogenannte HbA1c bestimmt, wobei Letzterer über die Güte der Diabetes-Einstellung der letzten sechs bis acht Wochen Auskunft gibt. Eine schlechte diabetische Stoffwechsellage kann die Symptome des RLS verstärken.

Zur Überprüfung der Nierenfunktion wird der Stoff Kreatinin im Blutserum bestimmt. Liegt dieser oberhalb des Normalbereichs, arbeiten die Nieren nicht mehr regelrecht, und Kreatinin wird im Blut angereichert statt ausgeschieden. Auch hierdurch kommt es zu einer Verschlechterung des RLS, vor allem bei Dialysepatienten.

Schließlich wird zur Überprüfung der Schilddrüsenfunktion das Hormon TSH gemessen. Je nach dessen Höhe im Blutserum kann Ihr Arzt auf eine übersteigerte oder eine zu schwache Funktion Ihrer Schilddrüse schließen. In beiden Fällen kann sich ein Restless-Legs-Syndrom verschlimmern.

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Schritt für Schritt zur Diagnose

Wenn Sie glauben, am Restless-Legs-Syndrom zu leiden, weil Ihre Symptome zu den klassischerweise beschriebenen zu passen scheinen, dann sprechen Sie zunächst Ihren Hausarzt darauf an. Falls er sich mit RLS gut auskennt, kann er die nötigen Schritte einleiten. Ansonsten wird er Ihnen eine Überweisung zu einem Facharzt für Neurologie ausstellen, damit Ihre Beschwerden dort weiter abgeklärt werden.

Ihre Hausarztpraxis sollte aber noch andere, ähnliche Krankheitsbilder in Erwägung ziehen und daraufhin bei Ihnen eine erweiterte Diagnostik einleiten. Wenn Ihr Hausarzt sich über RLS informiert hat, wird er zunächst die oben genannten Störungen, die RLS hervorrufen oder verschlechtern können, mittels Laboruntersuchungen abklären.

Folgende weitere Schritte sind am Anfang Ihrer Erkrankung einmalig sinnvoll. Wenn sich ein RLS bei Ihnen bewahrheitet, müssen diese nicht mehrmals durchgeführt und in der Regel auch später nicht wiederholt werden.

Untersuchung der Wirbelsäule

Hierbei handelt es sich um eine Untersuchung der Knochen, der Bandscheiben und der dort austretenden Nerven. Damit soll geklärt werden, ob Ihre Schmerzen hervorgerufen werden durch einen Bandscheibenvorfall, eine zu starke Verknöcherung (Verschleiß) an der Wirbelsäule oder eine Verengung des Wirbelkanals, in dem diejenigen Nerven verlaufen, die Ihre Beine versorgen. Wenn sich hier Auffälligkeiten ergeben sollten, müssen Sie natürlich eine weitere radiologische, orthopädische oder neurochirurgische Abklärung und Behandlung erhalten. Es könnte allerdings durchaus sein, dass Sie auch noch an RLS leiden! Lassen Sie sich gegebenenfalls unbedingt zusätzlich neurologisch untersuchen.

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Untersuchung der Blutgefäße der Beine

Hier prüft ein spezialisierter Arzt, z. B. ein Angiologe (Spezialist für Blutgefäße) oder ein Phlebologe (Arzt für Venenheilkunde) die Durchblutung Ihrer Beine. Mittels eines speziellen Ultraschallverfahrens, dem sogenannten Gefäß-Doppler, und anderer technischer Methoden werden der Zufluss des sauerstoffreichen und der Abfluss des verbrauchten Blutes in Ihren Beinen gemessen. Beide Verfahren sind harmlos und schmerzfrei, können aber genau feststellen, ob Ihre Beschwerden mit einer mangelhaften Durchblutung verbunden sind.

Liegt eine Verengung der Beinarterien, die sogenannte pAVK (periphere Arterielle Verschlusskrankheit) vor, so entstehen typische Schmerzen bei Belastung der Beine, aber kaum in Ruhe. Dieses Phänomen wird „Schaufensterkrankheit“ genannt, weil Betroffene nur kurze Strecken – z. B. von Schaufenster zu Schaufenster – gehen können und immer wieder stehen bleiben müssen, bis wieder sauerstoffreiches Blut in die verengten Arterien der Beine hineingeflossen ist.

Abflussstörungen des Blutes aus den Beinen entstehen durch Krampfadern, wenn defekte Venenklappen verbrauchtes, sauerstoffarmes Blut in die Beine sacken lassen und nicht schnell genug zurück zum Herzen transportieren. Der Blutstau in den Beinen verursacht dann einen schwer erträglichen Druck in Unter- und Oberschenkeln, der sehr wohl mit Beschwerden wie bei RLS verwechselt werden kann. Natürlich kommen beide Störungen, nämlich Krampfadern (in der Medizin Varizen oder Varicosis genannt) und Restless Legs auch gemeinsam vor. Leider verstärken die dann verordneten Kompressionsstrümpfe bei den meisten RLS-Betroffenen die Beschwerden erheblich!

Untersuchung der Nerven, die Beine und Arme versorgen

Da beim RLS Nervenschmerzen und Nervenstörungen eine wesentliche Rolle spielen, müssen Sie natürlich auch daraufhin untersucht werden, ob andere Ursachen zu einer Schädigung von Nerven in Ihren Extremitäten geführt haben könnten. Ein Facharzt für Neurologie wird bei Ihnen daher, bevor er die Diagnose RLS bestätigen kann, andere Nervenerkrankungen ausschließen müssen. Hier kommen Schädigungen des Rückenmarkes und/ oder der Nervenbahnen infrage, die aus der Wirbelsäule heraustreten und als sogenannte periphere, also in den Gliedmaßen liegende Nerven in Arme und Beine ziehen.

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Üblicherweise können zur weiteren Abklärung eine Kernspinuntersuchung (MRT) von Wirbelsäule und Rückenmark, eventuell eine Entnahme von Rückenmarkswasser (Lumbalpunktion), eine Untersuchung der Nervenleitgeschwindigkeit an den Beinen (NLG) und Labortests (z. B. Vitamin- und Blutzuckerspiegel sowie Giftsubstanzen im Serum) veranlasst werden. Leiden Sie tatsächlich an RLS, so fallen alle diese Tests normal aus. Ergeben sich pathologische Befunde, könnten Sie an einer anderen neurologischen Störung erkrankt sein, die es dann weiter abzuklären gilt.

Untersuchung auf Parkinson

Oft wird auch diskutiert, ob Morbus Parkinson (Parkinsonsche Krankheit) vorliegen könnte. Während RLS-Patienten sich eher zu viel bewegen und motorisch unruhig sind, ist die Beweglichkeit bei Parkinson sehr stark eingeschränkt. Die betroffenen Patienten bewegen sich nur langsam, zögerlich und oft ruckartig. Obwohl auch hier die Ursache im Dopamin-Stoffwechsel liegt, sind die beiden neurologischen Störungen in ihrer Ausprägung komplett unterschiedlich. Sie treten fast nie zusammen auf. Falls Ihr behandelnder Neurologe dies dennoch vermutet, ergibt sich keine große Problematik, denn die Therapie beider Erkrankungen ist weitgehend identisch.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783869106892
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (September)
Schlagworte
RLS Unruhige Beine Schlafstörungen

Autor

  • Dr. med. Cornelia Goesmann (Autor:in)

Dr. med. Cornelia Goesmann, Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie, war bis 2015 als Hausärztin in eigener Praxis niedergelassen. Selbst von RLS betroffen, berät sie auch Patienten bei den Treffen der RLS-Selbsthilfegruppe Hannover und kooperiert seit vielen Jahren mit deren bundesweiter Dachorganisation Restless Legs Deutschland e. V. Dr. Goesmann war außerdem Mitglied in verschiedensten berufspolitischen Gremien und u.a. als Vizepräsidentin der Bundesärztekammer engagiert.
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Titel: Gut leben mit Restless Legs