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Unsere 50er-Jahre

Heitere Vorlesegeschichten für Senioren. "So war's" Zeitzeugen erinnern sich

von Uli Zeller (Autor:in)
128 Seiten

Zusammenfassung

Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben selbst! Für dieses Buch haben Senioren einen Blick in die Vergangenheit geworfen und ihre Erlebnisse beigesteuert: schwungvolle Erinnerungen an Rock ‚n‘ Roll und
Hula-Hoop, an die erste Urlaubsfahrt in den Süden, unvergessliche Begeisterungsstürme bei der legendären Fußball-WM von 1954 und und und …
Hier sind sie also: Die schönsten Geschichten und Erlebnisse rund um die 1950er-Jahre – zum Vorlesen und Aktivieren in der Betreuungsarbeit mit älteren Menschen. Jede Geschichte natürlich mit einem Quäntchen Hintergrundwissen (damit auch junge Vorleser mitreden können) plus Ratespaß und Gesprächsimpulse!
Mit diesem Buch haben Betreuungskräfte eine ideale
Vorlage für die Einzel- oder Gruppenarbeit mit Senioren.
Das heitere 50er-Jahre-Kaleidoskop bietet garantiert für
jedes Interesse die passende Geschichte! Das ist positive
Erinnerungspflege für zwischendurch.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Zeitgeschichte weckt Erinnerungen. Auch bei Menschen mit Demenz. Das wusste ich und hatte es bereits vielfach praktisch in der Betreuung von Menschen mit Demenz angewendet. Auf das Thema der 1950er-Jahre lenkte meinen Blick ein Anruf der Programmleiterin der Schlüterschen Verlagsgesellschaft: »Können Sie sich vorstellen, Menschen über ihre Erlebnisse in den 50ern zu befragen – und daraus ein Buch mit Geschichten zu machen?«, lautete die Frage an mich.

Zuvor hatte ich vor allem Erfahrungen mit erfundenen Geschichten gemacht, die ich für Menschen mit Demenz aufbereitet hatte. Daraus entstanden Bücher wie »Frau Janzen geht tanzen« oder »Lachen ist die beste Medizin«. Nun also sollen Geschichten entstehen, die auf Anstößen von Zeitzeugen beruhten.

Nun recherchierte ich Schlagwörter zu den 50er-Jahren: »Wirtschaftswunder«, »Rock ’n’ Roll« und »Nierentisch« fanden sich auf meiner Liste – aber auch »Ratenkredit«, »Erste Waschmaschine« und »Volksaufstand in der DDR«. Passend dazu suchte ich im Internet Bilder von Petticoats, Schallplatten und Motorrollern und machte mich mit diesem Material auf zu den Zeitzeugen.

Die Zeitzeugen fand ich zum größten Teil, indem ich auf sie zuging und ansprach – in Cafés in unterschiedlichen Städten. Ich schilderte mein Anliegen und erhielt prompt viele wertvolle Anstöße. Zum Teil kamen auch Zeitzeugen auf mich zu. Denn in unserer Lokalzeitung SÜDKURIER wurde mein Anliegen erwähnt. Auch mein Arbeitgeber, der AWO-Kreisverband Konstanz, unterstützte mich bei der Suche nach Interviewpartnern. Ferner rief ich in meiner Kolumne »Uli & die Demenz« (diepflegebibel.de) auf, mir vom Wirtschaftswunder-Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts zu berichten.

In vielen Gesprächen erfuhr ich mehr über die Zeit, die mir als 1976 Geborener nur vom Hörensagen bekannt war. Der Grundtenor: Es war eine schwere Zeit. Aber auch eine Zeit voller Aufbruchsstimmung.

Die Geschichten der 50er-Jahre in diesem Buch sind sehr positiv und vielleicht sogar »rosarot« wiedergegeben. Es geht in den Erzählungen und Aktivierungen auch ausdrücklich nicht um korrekte Geschichtsschreibung, sondern darum, schöne Erinnerungen zu wecken. Wenn etwas negative Erinnerungen wecken könnte, habe ich das entsprechend überarbeitet. So heißt die erste Geschichte des Buches »Die Steinschleuder«, obwohl der Interviewpartner mir eigentlich von einem Luftgewehr erzählt hatte. Doch meine Befürchtung ist zu groß, dass ein Gewehr negative Kriegserinnerungen weckt. Das soll hier aber nicht geschehen. Bei manchen Geschichten (z. B. »Der Kerzenschein« oder »Endlich zuhause«) musste ich aber das Thema Krieg erwähnen. Sonst würden die Geschichten keinen Sinn machen.

Daher bitte ich Sie, die Geschichten vorab in Ruhe zu lesen, damit Ihnen die Inhalte (etwa zum Thema Krieg) bekannt sind. Entscheiden Sie dann, ob Sie die jeweilige Erzählung in die Aktivierung aufnehmen möchten. Denn trotz aller Behutsamkeit könnten sie bei dem einen oder anderen Zuhörer negative Irritationen auslösen, was in der Regel mit den ganz persönlichen Biografien zusammenhängt.

Aus den Zeitzeugenberichten sind nun Geschichten geworden. Alles, was Sie in diesem Buch finden, hat mir jemand erzählt. Aber keine Geschichte hat sich exakt so ereignet. Im kreativen Schreibprozess habe ich verschiedene Berichte zusammengefügt oder auseinander genommen – damit am Schluss viele runde, in sich stimmige Geschichten entstehen. Zusätzlich gibt es zu jeder Geschichte kurze Aktivierungsvorschläge, die Sie im Gruppen- oder Einzelsetting einsetzen können aber nicht müssen.

Im Altenheim habe ich die Geschichten und Aktivierungen immer wieder praktisch verwendet und überarbeitet – bis alles gut verständlich und leicht anwendbar war. Sehr ermutigend fand ich die Kommentare meiner Zuhörer: »Ja, so war das« oder »Ich kann mich noch so genau erinnern«.

Dieses Buch soll Sie, liebe Leserinnen und Leser, in Ihrer Arbeit mit Senioren unterstützen – als Vorlesestoff, als Anregung für Gespräche und Aktivierungen sowie für die Biografiearbeit.

Wenn dieses Buch gut ankommt, kann ich mir vorstellen, dass es in einigen Jahren ein Buch mit dem Titel »Unsere 60er-Jahre« geben wird. Mit Geschichten aus dem Folgejahrzehnt – seien es der Kauf der ersten Beatles-Schallplatte, die Umstellung auf Farbfernsehen oder die Mondlandung. Haben Sie daher ein berührendes, lustiges oder tiefsinniges Erlebnis zu den 1960er-Jahren, schreiben Sie mir! Meine Adresse: BestZeller@gmx.net. Ich fange dann schon mal an, Geschichten zu sammeln.

Mein besonderer Dank gilt der Tanzschule Seidel in Singen, die alle Geschichten zum Thema Tanz aus Tanzlehrersicht begutachtet hat und die Idee für den Sitztanz »Lollipop« beigesteuert hat. Herzlich danke ich meinen Lektorinnen Claudia Flöer und Petra Heyde für die tolle Zusammenarbeit.

Zeitgeschehen

Die Steinschleuder

Klaus H. erinnert sich: »Seit 1953 hatte ich als Bäckergeselle bei einem Bäcker in Stuttgart gearbeitet. Wir haben Stuttgart mit Weckle, Hefezopf und Laugenbrezeln versorgt. Das war harte Arbeit für uns Bäckergesellen – Mehlsäcke schleppen, Ofen anheizen, Brot backen. Klar, das war anstrengend. Aber manchmal hatten wir dafür schon Pause, wenn die Fabrikarbeiter morgens zu Daimler, Bosch und Porsche aufgebrochen sind.

Eines Tages brachte mein Kollege Wolfgang eine Steinschleuder mit zur Arbeit. Die lag künftig immer in der Backstube. Wenn wir Pause hatten, schossen wir aus Spaß im Hinterhof damit – auf Flaschen, verkohlte Weckle und Brote. Eines Tages forderte Wolfgang mich heraus. Er sagte: ›Drei Schuss auf drei Flaschen. Wer gewinnt, bekommt zehn Pfennige. Schau nur, da vorn steht eine ganze Reihe von Flaschen.‹ Wolfgang legte einen Stein in die Schleuder, spannte und traf! Es stand eins zu null für ihn.

Ich schleuderte auf die nächste Flasche. Sie zersprang in tausend Scherben. Es stand eins zu eins. Wir schauten uns verschmitzt an und knufften uns freundschaftlich in die Seite. Bei dieser Gelegenheit vertraute ich Wolfgang meine neueste Nachricht an: Ich hatte eine Frau kennengelernt. Die liebe Monika, die sowohl klug wie auch praktisch veranlagt war. Ich war sehr verliebt und wollte sie heiraten. Da wies mich Wolfgang auf die schwäbische Lebensweisheit ›Schaffe, schaffe, Häusle baue – und net nach de Mädle schaue‹ hin. Dennoch erklärte er mir: ›Bau doch ein Haus für euch. Du bist jung und kräftig. Du kannst dein Häusle ja auf den Monte Scherbelino stellen! Du darfst bloß nicht zu viele Räume in dein Haus bauen. Sonst quartieren sie Flüchtlinge ein.‹ Er grinste, spannte seine Schleuder, schoss – und traf. Jetzt stand es zwei zu eins für ihn. Ich legte wieder einen Stein auf die Schleuder. Zisch. Und die zweite Flasche war kaputt. Es stand zwei zu zwei. Wolfgang bückte sich und hob einen Stein vom Boden auf. Mit voller Wucht schoss er. Und er traf die Flasche – drei zu zwei für ihn. Jetzt war ich wieder dran, zielte – und schoss daneben. Mist! Wolfgang hatte gewonnen.

›Was ist los?‹, fragte Wolfgang, ›du triffst doch sonst immer‹. Ich schaute ihn an: ›Aber heute nicht. Ich habe nämlich gerade eine Entscheidung getroffen. Ich werde tatsächlich ein Haus für Monika und mich bauen.‹

Da kramte Wolfgang in seinem Geldbeutel, grinste mich an, legte zehn Pfennige auf den Tisch und sagte: ›Wohlstand für alle, lautet die Losung dieser Tage. Ich habe zwar gewonnen, aber du hast noch viel vor. Hier hast du einen Groschen. Damit kannst du anfangen, dein Haus zu bezahlen.‹«

Aktivierungen

Quizfrage

Wer war während der gesamten 1950er-Jahre Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland?

(Hinweis: Er war korpulent, trug eine Brille und rauchte Zigarren.)

Konrad Adenauer

Ludwig Erhard

Theodor Heuss

Richtig ist: Ludwig Erhard

Hintergründe

Politiker der 1950er-Jahre

Ludwig Erhard (CDU) war von 1949–1963 Wirtschaftsminister. Sein Slogan als Wirtschaftsminister lautete »Wohlstand für alle«. Bekannt war auch Erhards Vorliebe für Zigarren. Davon rauchte er jeden Tag mehrere. Erhard gilt als Vater des deutschen Wirtschaftswunders.

Konrad Adenauer (CDU) war während dieses Zeitraums der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er war der »alte Kanzler« der jungen Republik, denn als er das Amt des Bundeskanzlers antrat, war er bereits 73 Jahre alt. Dennoch war er noch 14 Jahre im Amt.

Theodor Heuss (FDP) war von 1949–59 der erste Bundespräsident. Heuss liebte es, seine Reden selbst zu schreiben. Daher wurde Heuss von den Deutschen entsprechend authentisch empfunden und im Volksmund liebevoll Papa Heuss genannt.

Monte Scherbelino

Noch Ende der 1950er-Jahre wurden Scherben, Steine und Ziegel von zerstörten Gebäuden aus dem Krieg zu Hügeln angehäuft. So auch der im Volksmund »Monte Scherbelino« getaufte Berg in Stuttgart. Ihn gibt es noch heute – jetzt »Birkenkopf« genannt und höchster Aussichtspunkt der Stadt. Auch in anderen Städten gab es sogenannte Monte Scherbelinos.

Wohnungszwangswirtschaft bis 1960

»Wohnungszwangswirtschaft« kann man auch mit »Einquartierung« umschreiben. Der Staat baute Wohnungen mit einer Mietpreisbindung. Bis 1950 wurden 500.000 Wohnungen neu gebaut; davon waren 400.000 gefördert.

Unter alliiertem Druck musste Wohnraum und Zwangsleistungen an Flüchtlinge abgegeben werden. Bei den Flüchtlingen, die nach Deutschland kamen, handelte es sich meist um sogenannte Sudentendeutsche, Ostpreußen, Schlesier sowie deutsche Minderheiten vom Balkan.

Gesprächsimpulse

Handwerk als Beruf

In den 1950er-Jahren waren viele Männer in handwerklichen Berufen tätig. Was handwerkeln oder arbeiten Sie gerne?
Mögliche Antworten: malen, backen, kochen, mauern, stricken, sägen, tapezieren, verputzen, gärtnern …

Beruf Bäcker

Welche Zutaten kann man für ein Brot verwenden?
Mögliche Antworten: Mehl, Zucker, Salz, Hefe, Wasser, Milch …

Welche Mehlsorten gibt es?
Mögliche Antworten: Roggen, Weizen, Dinkel, Gerste, Hafer …

Rätsel

Welche Zeitung ist das?

Sie besteht aus vielen Bildern und großen Überschriften. Die Zeitung gibt es in ganz Deutschland. Am 24. Juni 1952 erschien die erste Auflage in Höhe von 250.000 Exemplaren. Sie kostete damals zehn Pfennige. Ihr Name reimt sich auf »wild«. Lösung: Bildzeitung

Bewegung

Dosenwerfen

Mit der Steinschleuder auf Flaschen zu schießen, ist gefährlich. Aber versuchen Sie doch einmal mit den Senioren, mit einem Ball Dosen umzuwerfen. Sie können den Ball werfen oder rollen. Stellen Sie dafür eine oder mehrere Dosen auf. Bei genügend Teilnehmern kann auch ein kleines Turnier gespielt werden.

Bäcker-Pantomime

Wie bewegen Sie die Hände beim Teigkneten und Brötchenbacken? Führen Sie diese Bewegungen in einer Gruppe zusammen pantomimisch aus.

Henry und der Aufstand

Karin B. aus Berlin erinnert sich: »Wir lebten 1953 am Stadtrand und hatten einen kleinen Garten. Dort befand sich ein Gehege aus Maschendrahtzaun. Darin hielt mein Vater Kaninchen. Er war sogar Mitglied im Kleintierzuchtverein.

Ich denke an einen ziemlich heißen Sommertag zurück. Es war der 17. Juni 1953 – ein Tag, der in die Geschichte eingehen sollte. Doch ich ahnte von all dem nichts, sondern schaute morgens aus dem Fenster und sah das Loch unter dem Maschendrahtzaun des Kaninchengeheges. Und, dass unser Hase Henry fehlte, mein Lieblings-Karnickel. Henry hatte weiche, weiße, flauschige Haare – und schöne braune Augen. Nun war er fort. ›Papa, Papa‹, rief ich, ›Henry ist weg‹. Doch meinen Vater schien das nicht zu interessieren. Er saß im Wohnzimmer, hatte einen Kopfhörer auf dem Kopf und hörte konzentriert Radio. Wie ich erst später erfuhr, lauschte er RIAS, dem amerikanischen Sender, der an diesem Tag zum Aufstand im sowjetischen Sektor in Berlin aufrief.

Doch all das war mir egal. Ich hatte nur eine Sorge: Wo ist Henry? Von der brenzligen Stimmung im Osten des Landes bekam ich nichts mit. Erst später erzählte mir meine Tante aus Mecklenburg von einer Kartoffelkäferplage zu dieser Zeit. Und, dass die SED verbreitete, dass die Amerikaner schuld an dieser Plage seien. Angeblich hätten sie nachts im Tiefflug Kartoffelkäfer über den Feldern abgeworfen … Auch ahnte ich nichts davon, dass Walter Ulbrich das Arbeitspensum in der DDR um zehn Prozent angehoben hatte. Ferner war mir nicht bekannt, dass die Menschen in der DDR für freie Wahlen demonstrierten. So wusste ich weder von den brennenden Kiosken am Potsdamer Platz und von den Schüssen vom Dach der Ministerien noch von den sowjetischen Panzern, die den Aufstand schließlich niederwälzten.

In meiner Welt drehte sich die ganze Sorge nur um eins: Ich hatte Angst um meinen Hasen Henry. Wo war er, das Kaninchen mit dem weichen Fell? ›Komm mit, Papa‹, rief ich, ›wir müssen doch Henry finden‹. Schließlich ließ mein Vater seine Kopfhörer sinken und ging mit mir in den Garten. Wir suchten in allen Winkeln. Es war keine Spur von Henry zu entdecken. Irgendwann jedoch begann mein Vater zu lachen. Er deutete in den Garten unserer Nachbarn. Und tatsächlich. Da saß Henry und knabberte in aller Ruhe am fremden Salat. Schnell schlüpfte ich durch den Zaun und fing den Hasen ein. Ich streichelte sein Fell und herzte ihn – mein Tag war gerettet.

Und wenn ich es nicht von den Erzählungen meiner Familie wüsste, würde ich vielleicht noch heute denken, dass die größte Sorge des 17. Juni 1953 ein entlaufenes Karnickel war.«

Aktivierungen

Quizfrage

Wofür stehen die Buchstaben RIAS des Berliner Senders?

Radio im amerikanischen Sperrgebiet

Rhythmus in allen Sektoren

Rundfunk im amerikanischen Sektor

Richtig ist: Rundfunk im amerikanischen Sektor

Hintergründe

17. Juni 1953

Am 17. Juni 1953 demonstrierten Bürger in der DDR gegen die Anhebung der Arbeitsleistung um zehn Prozent. Außerdem forderten sie freie Wahlen. Der amerikanische Sender RIAS rief daraufhin zum Aufstand im sowjetischen Sektor von Berlin auf. Der sowjetische Stadtkommandant verhängte den Ausnahmezustand, sodass sowjetische Panzer den Aufstand niederschlugen und dabei mehr als 30 Personen getötet wurden. Von 1954–1990 war der 17. Juni in der Bundesrepublik ein gesetzlicher Feiertag, der »Tag der deutschen Einheit«.

Planwirtschaft und Normenerhöhung in der DDR

Ab 1951 gab es einen Fünf-Jahres-Plan in der DDR. Damit sollte die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Landes gesteuert werden. Anfang der 50er-Jahre stockte die Entwicklung der DDR. Also hob die SED die Arbeitsnormen an, um die Wirtschaft, den Staatshaushalt und schlicht die Ernährungssituation der Bevölkerung zu stabilisieren. Es gab aber auch Anreize für jeden Einzelnen: Belohnungen für besonders gute Leistungen, z. B. 50 Mark, ein Kofferradio oder den Titel »Held der Arbeit«.

Gesprächsimpulse

17. Juni 1953

Wie haben Sie die Unterschiede zwischen der BRD und der DDR in den 1950er-Jahren erlebt?

Haben Sie in der DDR jemals den verbotenen amerikanischen Sender RIAS gehört? Was hat ihnen daran gefallen?

Wie haben Sie den Volksaufstand am 17. Juni 1953 erlebt?

Wo befanden Sie sich, als der Aufstand losbrach?

Wie haben Sie vom Aufstand gehört?

Pressefreiheit

Pressefreiheit ist ein hohes Gut. Was für Ressorts kennen Sie aus der Tagespresse?
Mögliche Antworten: Politik, Wirtschaft, Kultur, Lokales, Sport, Anzeigen, Unterhaltung, Wissenschaft, Reise …

Anzeigen in Zeitungen

Es gibt vielerlei Annoncen in Zeitungen – auch Heiratsanzeigen. Eine typische 50er-Jahre-Annonce in einer DDR-Zeitung könnte sich in etwa so angehört haben: »Näherin, 23 Jahre, marxistisch leninistisch gesinnt, sucht patriotischen Lebensgefährten mit Idealen.«

Wie haben Sie Ihren Partner kennengelernt?

Haben Sie jemals eine Partneranzeige aufgegeben und wenn ja, was stand darin?

Was war Ihnen wichtig bei Ihrer Partnerwahl?

Flucht mit Gurken

Hermine O. aus Völklingen erzählt: »Ich bin in Chemnitz, Sachsen, mit meinen fünf Geschwistern aufgewachsen. Wir haben in einem schönen Eckhaus gewohnt, das vier Stockwerke und einen Zwiebelturm hatte. Wir waren vier Mädels und zwei Jungs. Wenn der Zeppelin vorbeigeflogen ist, sind wir immer in den Zwiebelturm hinaufgerannt und haben den Fahrern zugewinkt. Damals war ich etwa acht Jahre alt. Meine Kindheit in den Dreißigerjahren war schön und unbeschwert.

Später, nach dem Krieg, baute man im Osten Deutschlands vor allem repräsentative Gebäude: zentrale Aufmarschplätze, Verwaltungs- und Kulturhäuser. Die DDR-Nationalhymne »Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt« war eine Devise, die genau in die 1950er-Jahre passte. Im Osten wie im Westen. Denn viele Städte waren ja vom Krieg zerbombt.

Anfang der 50er-Jahre habe ich meinen Mann Fritz-Otto geheiratet. Damals war ich 21 Jahre alt. Wir sind dann über Berlin in den Westen geflohen. Fritz-Otto sagte: ›Wir machen ooch rüber nach’m Westen.‹ Er schrieb auf einen Zettel ›Wir sind jetzt weg‹, legte ihn auf den Küchentisch und auf ging es nach Berlin. In Ostberlin hatten wir Bekannte, die uns für eine Nacht aufnahmen. Als wir Richtung Westen aufbrachen, packten sie uns noch ein Glas Spreewaldgurken in die Tasche. Ein originales Produkt der DDR – von der Firma Golßen.

Die Flucht verlief schlicht, denn es gab ja die Berliner Mauer noch nicht. Wir sind in Ost-Berlin in die S-Bahn gestiegen. Am Bahnhof Friedrichstraße kontrollierten Volkspolizisten den Waggon. Eine Stimme aus dem Lautsprecher forderte die ›Bürger der DDR‹ immer wieder auf, den Zug zu verlassen. Denn dies sei nun die letzte Station im ›demokratischen Sektor von Berlin‹. Wir versuchten, möglichst harmlos vor uns hin zu schauen. Das klappte – irgendwann fuhr die Bahn weiter.

Im Westen sind wir dann in die nächste Polizeiwache gegangen. Mein Mann hat dem Polizisten gesagt: ›Wir gehen nicht mehr zurück.‹ So saßen wir einige Stunden im Polizeirevier. Schließlich bekam ich Hunger und fragte Fritz-Otto, ob wir nichts zu essen dabei hätten. Er zuckte mit den Schultern. Doch dann fielen ihm die Spreewaldgurken ein. Die verspeisten wir nun genüsslich, während wir im Polizeirevier warteten. Dabei mussten wir einen ziemlich glücklichen Eindruck gemacht haben. Denn alle Polizisten schmunzelten, die an uns vorbei liefen. Einer schenkte uns sogar eine Scheibe Brot. Spreewaldgurken aus dem Osten und trockenes Brot – das war unsere erste Mahlzeit im Westen!

Wir haben dann einige Jahre in einem Dorf bei Oldenburg gewohnt. Dann hat mein Mann eine Stelle in Völklingen im Saarland bekommen. Dort wohne ich jetzt schon seit über 50 Jahren. Und inzwischen ist Deutschland wiedervereinigt. Das freut mich sehr.«

Aktivierungen

Quizfrage

Nennen Sie die aktuellen Bundesländer, die aus den ehemaligen DDR-Bezirken entstanden sind.

Antwort: Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg.

Hintergründe

Geteiltes Deutschland

In den 1950er-Jahren gab es zwei deutsche Staaten: die Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Westen und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) im Osten. Die demokratische Bundesrepublik bemühte sich um eine Vereinigung zu einem Deutschland. Die sozialistische DDR inszenierte sich als einziger deutscher Staat und errichtete massive Befestigungen entlang der innerdeutschen Grenze, die eine ungehinderte Einoder Ausreise in die DDR verhinderten. In den 1960er-Jahren wurde die Berliner Mauer als Grenzbefestigungssystem innerhalb des geteilten Berlins gebaut. Erst 1990 vereinigten sich die BRD und die DDR zu einem gemeinsamen deutschen Staat.

Saarland

Das Saarland gehört erst seit 1957 als Bundesland zur Bundesrepublik Deutschland. Von 1920–1935 unterstand es als Saargebiet dem Völkerbund, von 1947–1956 war es Frankreich unterstellt. Bei der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft 1954 spielte die Bundesrepublik noch gegen das Saarland. Erst durch eine Volksabstimmung wurde es 1957 wieder deutsch.

Verse und Reime

Können Sie die folgenden Verse vervollständigen?

Beginn der Nationalhymne der DDR: »Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt. Lass uns dir zum Guten dienen, Deutschland einig …«

Antwort: » … Vaterland.«

Eine Parole: »Der Pole hat die Kohle, der Russe das Licht, wir haben die Freundschaft, mehr brauchen wir …«

Antwort: »… nicht.«

Tipp

Spreewaldgurken sind auch heute noch beliebt und in jedem Supermarkt zu kaufen. Besorgen Sie ein Glas und essen Sie die Gurken gemeinsam in der Gruppe. Belegen Sie damit Brote oder naschen Sie sie einfach aus der Hand.

Mit der Straßenbahn zum Abitur

Hans M. aus Frankfurt am Main erzählt von seiner Abiturprüfung: »Weil ich studieren wollte, habe ich nach der Ausbildung nochmal die Schulbank gedrückt. In Frankfurt gab es damals kein Abendgymnasium. Also bin ich mit dem Fahrrad nach Offenbach gefahren, um nach der Arbeit die Schule zu besuchen. Manchmal bin ich erst nach Mitternacht nach Hause zurückgekommen. Jeden Abend von Frankfurt nach Offenbach und zurück.

1959 hatte ich dann meine Abiturprüfung. Nach den vielen Jahren am Abendgymnasium habe ich mir gesagt: ›Zur Abiturprüfung gönne ich mir, einmal mit der Straßenbahn nach Offenbach zu fahren.‹ Gesagt, getan – ich zog meinen dunklen Anzug an, bin zur Straßenbahn und aufgeregt aber elegant gekleidet zur Prüfung gefahren.

Und alles ging gut – nach der ersten Aufregung konnte ich alle Fragen und Aufgaben gut meistern und kam erfolgreich durchs Abitur. Dennoch konnte ich mein Glück kaum glauben. ›Ich habe Abitur‹, murmelte ich immer wieder fassungslos vor mich hin. Zur Feier des Tages bin ich dann ins Wasserhäuschen und gönnte mir dort eine Flasche Hellinger Bier. Danach war ich ziemlich beschwingt und einfach nur glücklich, sodass ich anschließend noch ins Kino ging. Das hat eine Mark Eintritt gekostet – viel Geld für mich damals. Es lief der Film ›Wir Wunderkinder‹ mit Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller. Im Film sangen die beiden ein beschwingtes Lied. Darin ging es um das Wirtschaftswunder und darum, dass sich die Läden langsam füllten. In dem Lied ließen sich die beiden Sänger über ›den deutschen Bauch‹ aus – der sich erholte und viel runder wurde. Frei nach dem Motto: ›Mit des Essens Hochgenuss – wächst des Bauches Radius.‹ Der Film nahm das Deutschland der 50er-Jahre aufs Korn.

Mit dem Glück über mein Abitur im Herzen und dem Alkohol meines Hellinger-Biers im Blut, habe ich mitten im Kino laut mitgesungen. Ich wusste in diesem Moment – wie nahezu alle anderen Kinder der 50er-Jahre auch: Es ist alles möglich.«

Aktivierungen

Hintergründe

Film »Wir Wunderkinder«

Der Film erzählt eine Liebesgeschichte aus dem Jahr 1958. Sie spielt in der Zeit des Wirtschaftswunders. Der Film setzt sich aber auch kritisch mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinander.

Wasserhäuschen

Wasserhäuschen waren mehr als klassische Kioske. In diesen »Trinkhallen« konnte man sauberes Wasser und verschiedene andere Getränke bekommen. Dies war vor allem relevant, weil das Trinkwasser noch nicht so sauber und verfügbar war wie heutzutage.

Sprichworte

Lassen Sie die Redensarten zum Thema »Geld und Gold« vervollständigen. Die richtigen Antworten stehen in Klammern. Lesen Sie die Sprüche langsam vor und machen Sie eine Pause, wenn das Ende erraten werden soll. Kann Ihr Zuhörer die Redensart nicht ergänzen, vollenden Sie den Satz selber – ohne dem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, versagt zu haben.

Über Geld redet man nicht – Geld … (hat man).

Er hat Geld wie Sand am … (Meer).

Es ist nicht alles Gold, was … (glänzt).

Morgenstund’ hat Gold im … (Mund).

Reden ist Silber, Schweigen ist … (Gold).

Sie macht ihr einen Strich durch die … (Rechnung).

Er bringt sein Geld unter die … (Leute).

Wiedersehen macht … (Freude).

Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht … (wert).

Geld allein macht nicht … (glücklich).

Der Arbeiter ist seines Lohnes … (wert).

Geld regiert die … (Welt).

Ohne Moos nix … (los).

Er bezahlt es aus eigener … (Tasche).

Er ist arm wie eine Kirchen-… (Maus).

Er hat die Rechnung ohne den Wirt … (gemacht).

Post vom Bau

Paul H. aus Peine bei Braunschweig erzählt, wie es in den 50ern auf seiner Baustelle zuging: »Es gab viel Arbeit, aber den Begriff Stress kannte noch niemand. An einem Dienstagmittag mauerte ich gerade das Loch in einer Wand an meinem Haus zu. Plötzlich hörte ich hinter mir eine Stimme: ›Hallo Paule.‹ Als ich mich umblickte, sah ich Manfred, unseren Briefträger. Ich grüßte zurück: ›Hallo Manfred. Hast du gute Nachrichten dabei?‹ ›Das hoffe ich doch‹, antwortete er und überreichte mir einen Brief. ›Hast du etwas Zeit, Manfred, und magst ein Bier mit mir trinken?‹, fragte ich. ›Aber natürlich, für ein Bierchen habe ich immer Zeit‹, schmunzelte Manfred. ›Prima‹, rief ich, griff in die Bierkiste und öffnete ein Bier für Manfred und eins für mich.

Wir unterhielten uns über den Volksaufstand, den es in der DDR gegeben hatte, den verkürzten Samstagunterricht – und über den fetten Sonntagsbraten mit Soße. Damals haben unsere Frauen nämlich stets mit viel Fett und Sahne gekocht. Die Zeit verflog und wir tranken noch ein zweites Bier.

Dann redeten wir über Peter Frankenfeld und Peter Alexander und die aktuelle 12er-Wette. Schon öffnete ich die dritte Bierflasche. Jetzt ging es um die neuen Nylon-Hemden und um den »Karnickel-Pass«. Dazu gab es einen Schnaps für Manfred.

Irgendwann kam Rolf von nebenan dazu. Er fragte: ›Kommt denn heute keine Post?‹ Manfred griff in seine Briefträgertasche und reichte Rolf einen Bündel Briefe: ›Bitteschön.‹ Auch Rolf trank einen Schnaps mit. Schließlich kam Gerhard von gegenüber herbei. Manfred wühlte in seiner Tasche und sagte: ›Für Sie habe ich nur eine Postkarte dabei heute. Aus Österreich.‹ Er überreichte ihm die Karte – und von mir bekam auch Gerhard einen Schnaps.

Rückblickend habe ich das Gefühl, dass die Menschen in den 1950er-Jahren einander zugewandter waren. Sie hatten mehr Verständnis füreinander und waren gelassener. Keiner der Nachbarn hatte es Manfred an diesem Tag übel genommen, dass er mit der Post bei mir hängen blieb. Sie kamen einfach rüber, holten ihre Briefe ab und tranken einen Schnaps mit uns. Es war eine anstrengende, aber auch beschauliche Zeit.«

Aktivierungen

Quizfrage

Wie nannte man im Volksmund den Rabatt bei Bahnfahrten für kinderreiche Familien?

Familienrabatt

Freie Bahn für alle

Karnickel-Pass

Richtig ist: Karnickel-Pass

Hintergründe

Karnickel-Pass

Familienminister Franz-Josef Wuermling initiierte 1955 den Rabatt für kinderreiche Familien. Sie bekamen ab dem dritten Kind einen dauerhaften Nachlass auf Bahnfahrten – den sogenannten Karnickel-Pass, der übrigens bis Ende 1992 gültig war.

Thema

Post

Bringen Sie Postkarten mit. Idealerweise aus Ländern, die Ihr Gegenüber schon bereist hat. Betrachten Sie zusammen die Motive. Sie können die Postkarten auch nach Ländern oder Kontinenten ordnen – oder auf eine Weltkarte auflegen.

Bringen Sie eine Briefwaage mit. Wiegen Sie zusammen verschiedene kleine Utensilien aus dem Haushalt ab, z. B. eine Streichholzschachtel, einen Teelöffel oder ein paar Kaffeebohnen. Bringen Sie diese Gegenstände in Beziehung zueinander, indem Sie sie nach Gewicht ordnen. Sie können auch ein Quiz veranstalten und die Aktivierungsteilnehmer das jeweilige Gewicht schätzen lassen. Vielleicht lassen sich auch kleine Geschichten erfinden, in denen die Gegenstände vorkommen – das kann in einer Einzel- oder Gruppenaktivierung gemeinsam geschehen.

Bringen Sie verschiedene Briefe, Postkarten und Päckchen mit. Sortieren Sie diese gemeinsam nach Größe und Gewicht.

Werkzeugkiste

Bringen Sie eine Werkzeugkiste mit. Besonders bei Männern weckt das häufig Erinnerungen. Lassen Sie Ihr Gegenüber die Werkzeuge berühren, herausnehmen und sortieren. Wenn möglich, lassen sie sich erzählen, wofür die einzelnen Werkzeuge nützlich sind. Achten Sie aber darauf, dass sich in der Werkzeugkiste keine spitzen Gegenstände befinden (Verletzungsgefahr!).

Gesprächsimpulse

Was haben Sie schon einmal selbst gebaut?

Welche Ihrer Freunde und Nachbarn haben dabei mit angepackt und geholfen?

Wie wurden die Aufgaben verteilt?

Der fehlende Zopf

Marita R. aus Rielasingen arbeitete 17 Jahre lang bei der Porzellanmanufaktur Goebel. Sie erzählt: »Ab 1953 habe ich bei Goebel gearbeitet und die berühmten kleinen Hummelfiguren mit gefertigt. Ich habe die Gesichter der Figuren bemalt. Eine Figur kostete 25,- Mark Das war viel Geld. Für manche Figuren musste man sogar 100,– Mark oder mehr hinblättern. Aber als Mitarbeiterin habe ich Produkte der zweiten Wahl günstiger bekommen.«

Sie berichtet: »Ich musste eine ruhige Hand haben, damit die Figuren gut werden, denn ich habe die Gesichter gezeichnet. Die Augen und die Wimpern, sowie die geröteten Bäckchen. Das war meine Aufgabe. Die Porzellanfiguren sind gegossen worden – und danach zweimal im Ofen gebrannt worden. Dann wurden die einzelnen Teile zusammengesetzt. Die fertigen Figuren haben sich gedreht und wurden dabei gespritzt. Elfenbeinfarbig. Das sieht aus wie Haut. Danach erst sind die Figuren bemalt worden. Insgesamt gingen die Hummel-Figuren bei sieben Mitarbeitern durch die Hände.«

Marita R. zeigt eine Mädchenfigur, der ein Stückchen vom Zopf fehlt. Ansonsten ist die Figur perfekt. Sie trägt ein braunes Kleid, darüber eine Schürze mit Blümchen, an den Füßen hat sie dicke Arbeitsschuhe und Socken. Das Gesicht ist fein gezeichnet, die Wangen leicht gerötet. Das Mädchen hat große Augen und rötliche Haare. Die Haare sind zum Zopf gebunden. Und von diesem Zopf fehlt ein kleines Stück. Darum hatte Marita R. damals nur zwei Mark für diese Figur bezahlt.

Mit dieser Figur hat Marita R. eine besondere Geschichte erlebt. Sie sagt: »Ich habe meine Nachbarin im Krankenhaus besucht. Als Geschenk habe ich ihr diese Figur mitgebracht. Als meine Nachbarin wieder nach Hause kam, bemerkte sie: ›Oh nein, ich habe die Figur im Krankenhaus vergessen.‹ Sie fragte dort nach, aber niemand wusste, wo das Porzellanmädchen abgeblieben war. Doch ein Jahr später entdeckte ich es – auf dem Flohmarkt. Als ich dem Verkäufer die Vorgeschichte erzählte, schenkte er mir die Figur sogar. Er sagte, er habe sie gefunden. Ich freute mich sehr und habe sie dann zum zweiten Mal meiner Nachbarin geschenkt. Sie hat bis zu beiden Ohren gestrahlt.

Zwei Jahre später ist meine Nachbarin leider verstorben. Ihr Mann kam danach zu mir und sagte: ›Zwei Mal hast du meiner Frau diese Figur geschenkt. Und zwei Mal hast du ihr damit eine große Freude gemacht. Ich habe als Mann keinen Sinn für solche Dinge. Hummel-Figuren – das ist nichts für mich. Darum schenke ich dir die Figur wieder und hoffe, dass du damit viele schöne Erinnerungen an meine Frau verbindest.‹ So war es dann auch. Wenn ich die Figur sehe, denke ich an so manches Gespräch mit meiner Nachbarin zurück. Und ich freue mich, einen so fröhlichen Menschen wie sie gekannt zu haben.«

Aktivierungen

Hintergründe

Hummel-Figuren

In den 1950er-Jahren haben die Menschen wertvolle Dinge gesammelt: Teller und Tassen, Bettwäsche und Tücher. Ein beliebtes Sammlerstück waren auch die sogenannten Hummel-Figuren der Porzellanmanufaktur Goebel. Die Figuren waren so vielfältig wie die Menschen – es gab Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen, Babys und Greise – mit Kleid oder Rock, Mütze oder Kopftuch. Manche haben auf Musikinstrumenten wie Geige oder Ziehharmonika gespielt. Andere hatten Tiere neben sich, etwa eine Ente oder eine Katze. Gefertigt wurden sie nach den Entwürfen der Ordensschwester Maria Inncentia Hummel.

Arbeit und Lohn in den 50er-Jahren

In den 1950er-Jahren arbeiteten die Deutschen neun Stunden pro Tag und sechs Tage pro Woche. Bereits so manch Vierzehnjähriger verbrachte neun Stunden am Schraubstock. Der durchschnittliche Monatslohn betrug 470,- DM. Für ein Kilo Rindfleisch musste man viermal so lange arbeiten wie heute – und für Kaffee neunmal so lange. Um sich ein neues Fernsehgerät leisten zu können, waren im Durchschnitt 42 Tage Arbeitsleistung nötig. Heutzutage sind es nur vier Tage. In den 50er-Jahren gaben die Bürger 40 Prozent ihres Lohnes für Lebensmittel aus. Heute sind es nur zehn Prozent. Kinder bekamen zwischen 1950–1960 rund 50 Pfennig Taschengeld in der Woche.

Gesprächsimpulse

Sammlungen

In den 1950er-Jahren wurde rege gesammelt. Von der Firma Goebel etwa gab es Hummel-Figuren und Hummel-Sammelteller.

Was haben Sie im Laufe Ihres Lebens gesammelt? Briefmarken? Münzen? Gläser? Bierdeckel?

Wo haben Sie Ihre Sammlung aufbewahrt? Im Schrank? In der Vitrine?

Kennen Sie jemanden, der etwas ganz Ungewöhnliches gesammelt hat? Was hat er/sie gesammelt?

Haare und Zöpfe

Ergänzen Sie zusammen die Redensarten. Die Lösung steht in Klammern.

Das ist ein alter … (Zopf).

Er rauft sich die … (Haare).

Sie hat Haare auf den … (Zähnen).

Die Haare stehen ihm zu … (Berge).

Thema

Figuren, Püppchen & Co

In vielen Haushalten finden sich verschiedene Figuren, z. B. aus Porzellan. Bringen Sie solche Figuren mit. In der Adventszeit kommen auch Krippenfiguren oft gut an. Betrachten Sie die Gesichter der Figuren. Wie schauen sie? Wirken sie entspannt? Blicken sie fröhlich? Oder eher angestrengt? Was tun die Figuren gerade? Haben sie etwas in der Hand?

Der Kerzenschein

Heinz P. kehrte als Kriegsgefangener aus Russland zurück, wo er viel Trauriges erlebt hatte. Im Jahr 1956 war Heinz 28 Jahre alt und arbeitete als Werkzeugmacher in Rückersdorf bei Nürnberg. Gerne ging Heinz zum Tanzen. Die Musik von Elvis Presley und Little Richard gefiel ihm besonders. Da schwang er die Hüften und vergaß alle Sorgen.

Eines Abends saß ein unscheinbares, blondes Fräulein an einem Tisch im Tanzlokal. Heinz gefiel sie sofort. Er sagte sich aber: »Ich kann mich doch nicht einfach zu ihr setzen. Das traue ich mich nicht.« Er überlegt: »Schon komisch. Da habe ich schwere Zeiten überlebt und gedacht, dass es schon irgendwie gut gehen wird: Augen zu und durch. Aber so ein kleine blonde Frau macht mich unsicher.«

Schließlich überlegte er sich eine List: »Ich könnte ihr doch einfach in die Arme stolpern und mich so bei ihr bekannt machen.« Gedacht, getan: Er ging an der jungen Frau vorbei, stolperte, stützte sich an ihrem Stuhl ab und fiel vor ihr auf die Knie. Das Fräulein lächelte und rief: »Na, das passiert mir auch nicht jeden Tag – dass ein Mann vor mir auf die Knie fällt.« Da ergriff Heinz seine Chance und bat sie galant um den nächsten Tanz. Und schon drehten sich die beiden auf der Tanzfläche.

Ingrid hieß die junge Frau, wie Heinz bald herausfand. Nach weiteren Tänzen setzten sie sich an einen Tisch, auf dem eine Kerze flackerte. Sie unterhielten sich und schauten sich dabei tief in die Augen. Schließlich holte Heinz tief Luft und blies die Kerze aus. Ingrid rief: »Na, junger Mann. Scheuen Sie das Tageslicht?« »Oh nein«, antwortete Heinz, »bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe keine üblen Absichten.«

Eine Weile lang schwiegen sie, bis Ingrid fragte: »Aber warum haben Sie die Kerze ausgeblasen?« »Wissen Sie«, erklärte Heinz, »die Kerzen erinnern mich an den Krieg. Immer wenn der Strom ausging, mussten wir bei Kerzenlicht sitzen.« »Oh, das tut mir leid«, sagte Ingrid. Heinz antwortete: »Sie können mir aber vielleicht helfen. Gehen Sie einfach häufig mit mir zum Essen aus. Im Kerzenschein. Dann hat Kerzenlicht für mich vielleicht bald eine viel schönere Bedeutung.« »Das will ich gerne tun«, antwortete Ingrid.

Das war tatsächlich der Beginn einer wunderbaren Liebesbeziehung – Ingrid wurde die Frau von Heinz. Zwar ist Ingrid früh an einem Krebsleiden verstorben. Aber Heinz sagt noch heute: »Wir waren 16 Jahre verheiratet. Das waren die wundervollsten Jahre meines Lebens. Und von Mal zu Mal habe ich beim Essen das Kerzenlicht mehr genossen.«

Aktivierungen

Quizfrage

Welches der folgenden vier Dinge ist kein Tanz?

Foxtrott

Rock ’n’ Roll

Petticoat

Boogie-Woogie

Der Petticoat ist kein Tanz, sondern ein Kleidungsstück – ein weiter, gesteifter Unterrock.

Gesprächsimpulse

Tanz

Waren Sie gerne tanzen?

Welche Tänze kennen Sie?

Welche Tänze haben Sie gerne getanzt?

Ergänzen Sie zusammen die Redensarten. Die Lösung steht in Klammern.

Er lässt die Puppen … (tanzen)

Er tanzt nach seiner … (Pfeife/Geige)

Der Tanz um das goldene … (Kalb)

Das ist ein Tanz auf dem … (Vulkan/Seil)

Sie schwingen das Tanz- … (bein)

Niemand kann auf zwei Hochzeiten … (tanzen)

Wenn die Katze aus dem Haus ist, tanzen die Mäuse auf dem … (Tisch)

Er tanzt aus der … (Reihe)

Bewegung

Sitztanz – einmal im Quadrat

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842689602
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (September)
Schlagworte
Altenpflege Demenz Kurzgeschichten Pflege

Autor

  • Uli Zeller (Autor:in)

Uli Zeller ist Theologe und arbeitet in der Sozialen Betreuung. Für dieses Buch hat er viele Senioren nach Ihren Erinnerungen befragt und dabei selbst jede Menge gelernt.
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Titel: Unsere 50er-Jahre