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Nie mehr schüchtern!

Wie Sie Schüchternheit überwinden. Selbstvertrauen gewinnen und Ihre Innere Stärke finden

von Nina Deißler (Autor:in)
192 Seiten

Zusammenfassung

In diesem Ratgeber erfahren Sie, wie Sie Hemmungen und Selbstzweifel überwinden: Viele Menschen trauen sich oft nicht, das zu tun, was sie eigentlich möchten und ziehen den Kürzeren: Im Job, im Leben, in der Liebe. Aber Schüchternheit ist kein Schicksal! Nina Deißler erklärt nachvollziehbar und praxisnah, wie Schüchternheit entsteht und wie Sie sie „entwaffnen“. Charmant und verständnisvoll zeigt sie Wege auf, wie Sie mutigere Ziele erreichen: Denn wer über den eigenen Schatten springt, wird belohnt!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


NIE MEHR SCHÜCHTERN

Hurra, der erste Schritt ist getan: Sie haben sich getraut, dieses Buch zu kaufen und aufzuschlagen. Später, wenn Sie es gelesen haben, werden Sie merken, wie froh Sie wirklich darüber sein können. Und noch froher werden Sie sein, wenn Sie es nicht nur gelesen, sondern auch wirklich benutzt haben!

Dieses Buch firmiert zwar unter der Bezeichnung „Ratgeber“, doch einen „Rat“ haben Ihnen bestimmt schon einige Menschen gegeben – und er hat wahrscheinlich nicht viel verändert oder bewegt. Ein Rat ist eben immer gut gemeint, aber deshalb noch lange nicht hilfreich. Ich werde Ihnen daher deutlich mehr als nur „Rat geben“: Ich werde Ihnen zunächst helfen zu verstehen, was genau Sie davon abhält, das zu tun, zu sein oder zu bekommen, was Sie gerne täten, wären oder hätten. Und dann neue, bessere und effizientere Wege zu finden, wie Sie Ihren Kopf so benutzen können, dass Sie sich gut fühlen und Ihre Ziele erreichen.

Sie können dieses Buch natürlich nur lesen. Vielleicht ist es ganz interessant. Oder: Sie benutzen es!

Bevor wir tiefer in das Thema „Schüchternheit“ einsteigen, lassen Sie mich eines vorwegschicken: Es ist nichts Schlimmes daran, schüchtern zu sein. Viele Menschen sind schüchtern, zurückhaltend, introvertiert oder einfach ruhig. Warum auch nicht? Worum es in diesem Buch geht, ist, Ihnen einen Weg zu zeigen, das zu bekommen, was Sie sich wünschen – und dabei wenn möglich auch noch Spaß zu haben.

Wenn Ihnen Ihre Schüchternheit dabei oft im Weg ist bzw. Sie aufhält, dann wäre das ein Grund, etwas zu verändern.

Ich muss Ihnen noch ein Geständnis machen: Dies ist kein „Wie ich mein eigenes Problem bewältigt habe“-Buch. Ich war nie wirklich schüchtern. Und gerade, weil mir vieles von dem, was Ihnen möglicherweise schwerfällt, immer leichtfiel, wurde ich von vielen Menschen um Rat gefragt oder um Hilfe gebeten, wenn sie ihre Schüchternheit überwinden wollten.

Als ich vor über 15 Jahren dann damit begann, Seminare zu geben, in denen es (auch) darum ging, wie man Schüchternheit überwindet, war die größte Aufgabe, herauszufinden, was genau es ist, das schüchterne Menschen davon abhält, das zu tun, was sie eigentlich tun wollen. Ich habe also professionell geforscht und gelernt.

Ich habe unter anderem gelernt, dass die Schüchternheit selbst häufig nicht das ist, was betroffene Menschen stört: Es sind eher die Nachteile, die sie mit sich bringt, und das Gefühl, „nicht richtig“ zu sein in einer Welt, in der das Gesetz des Stärkeren gilt und laute, extrovertierte Menschen oft weiter kommen, während leisere, vorsichtigere Menschen leicht unterschätzt werden. Ich bin einer dieser lauten, extrovertierten Menschen – doch ich weiß gut um die verborgenen Schätze, die in jedem Menschen schlummern. Auch wenn sie oft sogar so gut verborgen sind, dass nicht einmal der betreffende Mensch selbst sie erwartet.

Schüchtern zu sein hat viele Ausprägungen, die Ihnen in vielen Lebenssituationen Nachteile bescheren. Sie selbst müssen nicht laut und extrovertiert werden, um das zu verändern. Aber Ihren Mut finden, das würde durchaus helfen – und darin bin ich eine echte Expertin.

In diesem Buch geht es nicht ums Flirten oder darum, wie Sie einen passenden Partner finden können: Es geht darum, wie Sie es schaffen können, nicht mehr schüchtern sein zu müssen, sondern eine Wahl zu haben, wie Sie sich verhalten möchten. Sie werden hilfreiche Anregungen finden und immer genau das umsetzen können, was Ihnen in der jeweiligen Situation weiterhelfen kann. Schritt für Schritt können Sie so Ihre Ziele erreichen und sich neue setzen, um dann auch diese mit mehr Leichtigkeit erreichen zu können.

Vieles von dem, was ich Ihnen in diesem Buch vorstellen und beschreiben werde, werden Sie sofort verstehen und nachvollziehen können. Sie werden sich in ähnlichen Situationen sehen und wiederkennen und sich selbst zu sich sagen hören: „Ja, das stimmt. Es entspricht dem, was ich erlebt habe.“ An anderen Stellen werden Sie vielleicht erst einmal innehalten und sich fragen, inwiefern diese Aussagen zu Ihren Erfahrungen passen. Sie werden vielleicht nicht sofort etwas damit anfangen können und während Sie darüber nachdenken, werden Sie prüfen, ob das wirklich für Sie und Ihre Situation gilt. Möglicherweise werden Sie erst später erkennen, dass diese Dinge auch auf Sie zutreffen, und nachdem Ihnen der Nutzen meiner Aussagen und Vorschläge klar geworden ist, werden Sie dann zustimmen können. Vielleicht dauert es einige Zeit, bis Sie das bemerken, und Sie werden sehen, wie Sie Stück für Stück immer mehr wagen können, und nach einiger Zeit Dinge, die Ihnen vorher noch ungewohnt erschienen, plötzlich ganz normal geworden sind.

Wenn dieses Buch wirklich zu Ihrer Weiterentwicklung dienen soll, dann wird es auch noch andere Phasen geben: Während Sie sich mit den Inhalten und dem Konzept auseinandersetzen und versuchen, sich in die Szenarien hineinzuversetzen, wie ich Sie Ihnen vorstellen werde, werden Sie diese Vorschläge eventuell anfänglich infrage stellen und anzweifeln oder sogar regelrecht überlesen. Es wird Ihnen vielleicht sogar völlig absurd erscheinen, was ich schreibe. Während Sie einige dieser Ideen möglicherweise anfänglich direkt verwerfen, werden Sie davon dennoch das annehmen können, was Ihnen möglich erscheint. Und später, vielleicht wenn Sie gar nicht mehr daran denken, könnten Sie plötzlich so etwas wie einen Geistesblitz haben: Zum Beispiel könnten Sie erkennen, wie Sie eine bestimmte Situation angehen können, die Ihnen bisher Schwierigkeiten gemacht hat. Während Sie sich selbst zu dieser tollen Idee und Ihrem Mut gratulieren, der so plötzlich gekommen ist, erinnern Sie sich unter Umständen noch nicht einmal daran, wie das geschehen konnte. Dies ist ein ganz normaler Prozess in der Entwicklung eines jedes Menschen. Denn wäre das, was ich Ihnen vorschlage, für Sie von Anfang an und in jeder Hinsicht vollkommen schlüssig und machbar: Würden Sie dieses Buch lesen? Sie wären nicht in der jetzigen Situation!

Viele Menschen, die meine Bücher lesen, berichten mir, dass sie dasselbe Buch Jahr für Jahr erneut in die Hand nehmen und jedes Mal das Gefühl haben, ein neues Buch zu lesen, weil sie andere Aspekte darin finden als zuvor. Dies ist der Ausdruck ihrer eigenen Weiterentwicklung. Ich bin sicher, es wird Ihnen ebenso ergehen.

Ich wünsche Ihnen dabei viele hilfreiche Erfahrungen und vor allen Dingen viel Spaß!

Nina Deißler

WELCHER TYP SIND SIE?
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Schüchternheit – was genau ist das eigentlich? Lernen Sie sich selbst besser kennen und finden Sie Ihren Weg!

Schüchternheit verstehen

Wenn ich mich einem Thema nähere, schau ich mir zunächst an, was die Wörterbücher mir darüber sagen können. Die Definitionen aus den verschiedenen Nachschlagewerken halten nämlich sehr viele Informationen bereit, die Ursprünge und Herausforderungen eines Themas zu verstehen. Was also sagen die Quellen?

Schüchternheit – die Definition

Wikipedia erklärt in der Einleitung: „Unter Schüchternheit (hochsprachlich auch Scheu, veraltet Scheue) versteht man die Ängstlichkeit eines Menschen beim Anknüpfen zwischenmenschlicher Beziehungen. Auch bei Scham, Verlegenheit, Lampenfieber und Sexualangst treten ähnliche Verhaltensweisen auf, dort sind diese aber auf spezielle Situationen begrenzt. Schüchternheit bezeichnet dagegen die allgemeine Neigung eines Menschen, auf die Begegnung mit nicht vertrauten Personen mit Verunsicherung oder Furcht zu reagieren. Schüchternheit ist jedoch – soweit sie kein Leiden erzeugt – keine psychische Störung, sondern ein Ausdruck des Temperaments eines Menschen.“

Im Duden findet man zu dem Begriff „schüchtern“:

1. scheu, zurückhaltend, anderen gegenüber gehemmt

2. nur vorsichtig, zaghaft [sich äußernd] in Erscheinung tretend

DWDS, das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart, erklärt den Begriff „schüchtern“ mit: „Den Menschen, dem anderen Geschlecht, seiner Umgebung gegenüber gehemmt, scheu, ängstlich zurückhaltend.“

Ich mag es, mich den Themen so zu nähern, da ich sehr häufig direkt das finde, was das „Problem“ ist: Vermutlich sind Sie, lieber Leser, ein Mensch, der nun mal zur Vorsicht neigt und von seinem Temperament her eher zurückhaltend ist – zumindest in den Situationen, die für Sie Herausforderungen darstellen. Das Problem ist, dass dies häufig auch mit Hemmungen, Zaghaftigkeit und Angst einhergeht.

Im Inneren ist der Teufel los

Das Vorsichtige und Zurückhaltende allein wäre nicht schlimm, denn das ist die positive Absicht in Ihrem Verhalten. Es sind die „Nebenwirkungen“, die Ihnen zu schaffen machen: Ihre Hemmungen halten Sie davon ab, aktiver, unbefangener, ausgelassener und spontaner zu sein.

Es gibt so viele Momente, in denen Sie etwas zu sagen hätten oder sogar jetzt etwas sagen müssten, damit die Dinge sich für Sie positiv entwickeln – aber Sie trauen sich nicht. Sie haben Hemmungen. Und im Gegensatz zu dem, was der Beobachter von außen sehen kann – nämlich vermutlich nichts –, ist in Ihrem Inneren in vielen Fällen der Teufel los. Ein Gedankenkarussell, das Sie nicht stoppen können und das beständig an Fahrt aufnimmt: Soll ich oder soll ich nicht? Was, wenn das, was ich sage, nicht gut genug ist? Was soll ich überhaupt sagen? Was, wenn ich mich lächerlich mache? Ach, das hat doch sowieso alles keinen Sinn! Lass es lieber gleich ganz. Jetzt hast du dich wieder nicht getraut …

Viele Betroffene berichten auch davon, dass sich in den Momenten, in denen es quasi „drauf ankäme“, totale Leere in ihrem Kopf ausbreitet. Da ist einfach gar nichts, was man sagen könnte. Keine Idee, keine Ahnung. Nur Herzrasen, feuchte Hände und eine trockene Kehle. Es entsteht das Gefühl, am liebsten davonlaufen zu wollen – oder der starke Wunsch, dass sich der Boden auftun und einen einfach verschlucken möge. Hauptsache weg, raus aus der Situation. Bei anderen bildet sich ein regelrechter Knoten im Gehirn – und dann auch in der Zunge. Und vor lauter Angst, etwas völlig Dämliches, Sinnloses herauszuwürgen, lässt man es lieber gleich. Erkennen Sie sich darin wieder?

Das Allerschlimmste daran ist ja, dass Sie durch diese Hemmungen, die Zaghaftigkeit und die Zurückhaltung so oft unterschätzt werden. Und damit entgeht Ihnen so einiges – beruflich wie privat. Wahrscheinlich mussten Sie schon häufig dabei zusehen, wie andere das Lob, die Aufmerksamkeit, die Wertschätzung erhalten haben, die eigentlich (auch) Ihnen zustünde, während Sie stumm und scheu daneben stehen und den Mund nicht aufkriegen. Sie haben erlebt, wie andere, die vermutlich weit weniger qualifiziert waren als Sie, Ihnen Jobs oder Aufgaben zur Profilierung wegschnappten. Sie haben sich schon so oft geärgert, wenn Ihnen jemand gefallen hat und Sie Ihre Chance verpasst haben, weil die Schüchternheit so groß war, dass er/sie nie erfahren hat, dass Sie überhaupt existieren.

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Ihr gehemmtes, zurückhaltendes Wesen wirkt auf andere zaghaft und möglicherweise sogar schlimmer: desinteressiert oder dumm. Wer kann denn ahnen, ob jemand etwas Gutes zu sagen hätte, wenn er es nie tut? Und das ist Ihnen eigentlich klar, doch dieses Bewusstsein verändert nichts an Ihrem Verhalten und schon gar nicht an Ihren Ängsten.

Kämpfe mit sich selbst steigern die Hemmungen

Im Gegenteil: Nach jedem negativen Erlebnis, in dem Ihre Schüchternheit Sie gehemmt hat, folgt ein Selbstgespräch, in dem Sie sich selbst abwerten. Sie ärgern sich über sich selbst. Manchmal tagelang. Sie bereuen, dass Sie nichts unternommen haben, ärgern sich über andere, die es sich leicht machen. Sind vielleicht sogar neidisch oder missgünstig. Und wahrscheinlich mögen Sie sich selbst so noch weniger. Mit anderen Worten: Sie kämpfen gegen sich selbst – und sorgen so dafür, dass Sie nicht mutiger, spontaner oder optimistischer werden, was Ihr Auftreten angeht. Sie selbst sind Ihr strengster und unerbittlichster Kritiker. Kritischer, strenger, unerbittlicher und garstiger als vermutlich jeder andere Mensch je mit Ihnen sein würde. Und durch diese beständigen Kämpfe in Ihnen selbst – den Dialog, den nur Sie führen und hören und die mangelnde Übung und Erfahrung, sich anderen mitzuteilen – wird die Unsicherheit immer größer, die Hemmung immer stärker, und Ihr Selbstwertgefühl schwindet.

Was dann bei vielen Menschen mit ausgeprägter Schüchternheit folgt, ist eine Art Lethargie – ein Sichabfinden damit, ein Opfer der eigenen Hemmungen zu sein. „Ich bin halt so“, höre ich manchmal von Menschen, die sich aufgegeben haben und deren innerer Kritiker sie davon überzeugt hat, dass es besser ist, im Schatten zu bleiben. Doch den Kontakt zu anderen zu vermeiden, die Herausforderung zu umgehen und die eigenen Wünsche und Ziele kleinzuhalten oder gar ganz zu begraben ist eben keine Lösung, sondern nur ein „Workaround“, ein temporäres Verzögern. Es bringt Sie nicht zum Ziel.

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Wenn Sie Ihre Schüchternheit überwinden möchten, müssen Sie eine Sache realisieren: dass das nicht funktioniert, wenn Sie versuchen, gegen Ihre Schüchternheit zu kämpfen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist selbstverständlich möglich, etwas anderes zu sein als schüchtern. Doch dieses Ziel werden Sie nicht erreichen, wenn Sie Ihre Schüchternheit bekämpfen oder überwinden möchten. Denn Ihre Schüchternheit ist ein Teil von Ihnen. Und wenn Sie dagegen kämpfen, dann kämpfen Sie gegen sich selbst. Und das ist ein Kampf, den Sie nie gewinnen können.

Ihre eigenen Denkmuster halten Sie gefangen, und so drehen Sie sich im Kreis, ohne einen Ausweg zu finden. Denn der Ausweg liegt außerhalb Ihrer eigenen Gedankenstrukturen.

Der Weg, Ihre Schüchternheit zu „überwinden“, ist, sie gänzlich zu verstehen und dann die Anteile in Ihnen zu stärken, die Ihnen helfen, nicht schüchtern sein zu müssen.

Und wie das geht und konkret aussieht, darum geht es in diesem Buch.

Die drei Arten der Schüchternheit

Schüchternheit kann sich von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich anfühlen. Es gibt verschiedene Formen und vor allem auch Ursprünge, die es erfordern, anders damit umzugehen.

Grundsätzlich kenne ich drei typische Formen von Schüchternheit:

Natürlich schüchterne Menschen, bei denen die Schüchternheit eine Begleiterscheinung eines zurückhaltenden oder introvertierten Wesens ist,

Schüchternheit durch Prägung,

situationsabhängige Schüchternheit bei „eigentlich nicht schüchternen Menschen“.

Von klein auf schüchtern

Bei den ersten beiden, den quasi „klassisch“ schüchternen Menschen, die immer zurückhaltend sind, ist diese Unterscheidung sehr wichtig: Es gibt schüchterne Menschen, die bereits in der Kindheit zurückhaltend und eher scheu waren. Meistens sind sie von ihrem Wesen her eher introvertiert, sie reden nicht so gerne und haben es auch nie getan oder gewollt. Viele dieser Menschen sind sogar hochsensibel und halten es auf Dauer gar nicht so gut unter vielen Menschen und mit vielen Eindrücken, viel Kommunikation und viel Information aus. Sie brauchen es nicht, im Mittelpunkt zu stehen. Sie wollen es nicht deshalb vermeiden, weil es ihnen peinlich ist, sondern weil es ihnen einfach nicht wichtig ist. Eigentlich kommen sie mit sich und ihrer Art gut klar – es sind eher die anderen, die das Problem sind. Die Menschen um sie herum, die nicht mit ihrer Art klarkommen.

Schüchtern durch Erziehung und Prägung

Bei der zweiten Gruppe, den Menschen, die durch Prägungen schüchtern sind, gibt es Auslöser, die dazu geführt haben, dass sie sich verstecken, zurückhaltend und scheu sind. Oft sind negative Erlebnisse und Erfahrungen aus der Kindheit die Ursache:

Mobbingerfahrungen in der Schule,

dramatische Einschnitte im Leben, wie z. B. Trennung der Eltern, Umzug, starke Veränderungen im sozialen Milieu, schwere Krankheit,

Druck und Überforderung oder Gewalt im Elternhaus.

Das sind typische Auslöser für Ängste und Hemmungen. Sie bilden den Nährboden für Schüchternheit im Erwachsenenalter.

Aber auch gut gemeinte, doch falsche Erziehung mit Regeln wie „Sprich nur, wenn du gefragt wirst“ oder „Sei nicht vorlaut“ kann dazu führen, dass ein Mensch unfreiwillig schüchtern wird und später als Erwachsener unter Hemmungen und sozialen Ängsten leidet. Manchmal sind es Verhaltensmuster, die den Eltern vollkommen unbewusst sind, die von den Kindern aufgenommen und imitiert werden: die Angst davor, was andere („die Nachbarn“) sagen könnten, oder starke Abhängigkeitsverhältnisse in der Partnerschaft oder zu den (Schwieger-)Eltern.

Kinder bekommen viel mehr mit, als Erwachsene oft glauben. Doch da sie selbst noch kein Wertesystem und keine anderen Erfahrungen haben, in die sie diese Wahrnehmungen einordnen können, werden diese frühen Beobachtungen und Erfahrungen zum Maßstab für das eigene Verhalten und die eigenen Möglichkeiten. Die Folge ist ein sehr hohes Maß an Selbstaufmerksamkeit. Viele schüchterne Menschen beobachten und beurteilen sich permanent selbst und sehen die Umwelt eher als Quelle für mögliche Gefahren, vor denen es sich zu schützen gilt.

Ein wichtiger Unterschied

Die Unterscheidung der beiden Gruppen ist deshalb wichtig, weil die erste Gruppe quasi „freiwillig“ schüchtern ist. Sie möchten eigentlich nur die negativen Nebenwirkungen der Schüchternheit loswerden und dennoch gerne introvertiert und/oder zurückhaltend bleiben dürfen. Hier resultieren das schlechte Gefühl und damit die Hemmungen eher aus dem Feedback der Umwelt, was die Zurückhaltung noch weiter bestärkt und damit einen Teufelskreis auslösen kann.

Die zweite Gruppe ist nicht von Natur aus und schon gar nicht freiwillig schüchtern – und oft auch nicht einmal introvertiert. Hier sind meist auch eine Menge Angst und unterdrückte Wut im Spiel. Diese Gruppe sieht in erster Linie nicht die Anforderungen der anderen als Problem, sondern sich selbst, und fürchtet sich daher vor dem Urteil anderer. Die meisten Menschen dieser Gruppe wären die Schüchternheit gerne grundsätzlich los. Sie würden möglicherweise sogar gerne im Mittelpunkt stehen – wenn es positives Interesse und Freundlichkeit wären, die sie erfahren.

Schüchtern aus der Situation heraus

Und dann gibt es da noch die dritte Gruppe: Menschen, die „eigentlich“ gar nicht schüchtern sind – außer in bestimmten Situationen.

Die beliebteste und mir am besten bekannte Situation ist die, dass die Schüchternheit immer dann auftritt, wenn es um Sexualität geht: Wenn dem eigentlich nicht schüchternen Menschen ein anderer besonders gut gefällt, wird er/sie plötzlich schüchtern – sprich ängstlich, zaghaft und gehemmt.

Viele Menschen haben auch Schwierigkeiten mit Autoritäten – ein Vorgesetzter, Lehrer, Professor oder Dozent flößt so viel Respekt ein, dass der in Angst umschlägt und Schüchternheit hervorruft, sodass Gespräche auf Augenhöhe nicht möglich sind. Manch einer hat auch nur eine leichte Schüchternheit, die er gut im Griff hat, aber die zum Beispiel in Konfliktsituationen zum Vorschein kommt, sodass er sich einfach nicht behaupten oder durchsetzen kann und damit immer wieder Nachteile und Grenzüberschreitungen in Kauf nimmt. Gerade in solchen Situation leiden die „punktuell Schüchternen“ ganz besonders, weil diese Art sich zu fühlen und sich zu verhalten eigentlich gar nicht zu ihrem sonstigen Wesen passen will. Das ist insbesondere verhängnisvoll, weil diese Menschen auf andere auch nicht unbedingt schüchtern wirken und ihr Gegenüber nie auf die Idee käme, dass das seltsame Verhalten tatsächlich aus Schüchternheit und nicht aus Desinteresse oder Arroganz heraus geschieht. Die Schere zwischen dem eigenen Gefühl im Inneren und der Wahrnehmung durch andere im Außen ist hier besonders groß.

Wenn man sonst doch gut für sich einstehen kann, nicht auf den Mund gefallen ist, selbstbewusst und vielleicht sogar tough wirkt, kommt niemand auf die Idee, dass bestimmte Situationen oder Menschen Schüchternheit, Ängste, Hemmungen oder Scheu auslösen könnten.

Vorgetäuschte Souveränität oder Coolness ist dann die Devise – da die plötzlich auftretende Schüchternheit ja auch nicht ins eigene Konzept des Selbstbildes passt. Und gerade dieses Schutzverhalten ist es dann, das auf andere arrogant, ablehnend und desinteressiert wirkt.

Der größte Nachteil der Schüchternheit

Diese Wirkung gilt für fast jede Situation, in der Menschen schüchtern sind – egal aus welchem Grund: Kaum jemand kommt auf die Idee, dass die Zurückhaltung nur ein Schutzverhalten ist, das nicht aus Desinteresse entsteht, sondern eben aus Überforderung oder aus Angst und letztlich aus einem Gefühl, das allen schüchternen Menschen wohlbekannt ist: Scham!

Fast immer ist Scham die „vergiftete Zutat“ des Gefühlscocktails, mit dem sich jeder Mensch in einem schüchternen Moment herumschlägt. Es ist nicht die Vorsicht, die Zurückhaltung oder die Ratlosigkeit, sondern es ist die damit einhergehende Scham, resultierend aus der Angst, nicht gut genug zu sein, abgelehnt oder sogar verhöhnt zu werden.

So unterschiedlich die drei Gruppen der Schüchternen sind, das ist es, was sie letztlich auch wieder vereint: die Angst vor negativen Auswirkungen, vor Kontrollverlust und der Wunsch nach mehr Souveränität und Selbstsicherheit.

INNENARBEIT
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Veränderung wirkt am besten von innen nach außen – und es gibt tatsächlich ein System dafür. Wissen Sie eigentlich, wie Sie sich Ihre Schüchternheit machen? Oder wie bewundernswert die Prozesse Ihres Gehirns dafür sind?

Wie Veränderung geschieht

Wenn Sie schüchtern sind, dann hat das nichts damit zu tun, in welcher Rolle oder Umgebung Sie sind. Es hat nichts mit den anderen Menschen um Sie herum zu tun. Es hat in erster Linie mit Ihnen zu tun – mit Ihrem Bild von sich selbst und der Welt, Ihren Gefühlen und Ängsten, Ihren Wertvorstellungen, Denkmustern und Glaubenssystemen. Es würde an dieser Stelle überhaupt nichts bringen, Ihnen Tipps zu geben oder neue Fähigkeiten zu vermitteln, solange Sie glauben, dass das nicht zu Ihnen passt oder sogar gefährlich sein könnte.

Ich werde in diesem Buch viele unterschiedliche Ansätze aus den unterschiedlichsten Methoden und Lehren nutzen, die aus meiner Coaching-Erfahrung heraus gute Ergebnisse bei meinen Klienten erzielt haben. Eine dieser Methoden ist NLP, das Neuro-Linguistische Programmieren.

Was ist NLP?

NLP hat bei manchen Menschen einen leider zweifelhaften Ruf (vor allem bei denen, die nicht genau wissen, was es ist), und das hat vor allem einen Grund: Es ist sehr effektiv. Viele Therapeuten und Psychologen verdrehen die Augen, wenn man in ihrer Gegenwart diese drei Buchstaben erwähnt. Und es wundert mich eigentlich gar nicht: Wenn ich aus meinem Wissen heraus überzeugt davon wäre, dass es ungefähr ein Jahr dauert, bis man eine Phobie los ist, und es käme einer und würde sagen: Das geht auch in 20 Minuten – ich würde das stark bezweifeln und wäre skeptisch!

NLP ist wahrlich kein „Allheilmittel“ und in meinen Augen keine Methode, mit der man jedes Problem eines Jeden lösen kann. Und wie so oft kommt es vor allem auf die Fähigkeiten und die Werte desjenigen an, der es vermittelt und anwendet. So wie es nicht empathische Ärzte, miese Anwälte, schlecht ausgebildete Köche, planlose KFZ-Mechatroniker und überdrüssige Klempner gibt, gibt es auch schlechte, wenig ausgebildete oder nicht empathische Coaches – ganz egal welche Zertifikate an ihrer Wand hängen.

NLP lässt sich aus meiner Sicht am besten beschreiben als eine systematisierte Sammlung und der Kombination von logischen Schlussfolgerungen und Methoden zur Beeinflussung von Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen mit dem Ziel, ihn bestmöglich dahin zu führen, wo es ihm nützt.

Ihre Ursprünge nahm diese Sammlung in den frühen 1970er-Jahren in Kalifornien, wo der Student Richard Bandler an der University of California Mathematik, Informationswissenschaften (der frühe Anfang von IT) und Psychologie studierte. Vieles von dem, was er über Psychologie lernte, kam ihm seltsam vor, und er wunderte sich, dass er alles darüber lernte, was „Störungen“ bei Menschen waren – aber nicht, was man dagegen tun konnte. In seinem Nebenjob transkribierte Bandler Sitzungen für den Psychiater Fritz Perls, einen der Mitbegründer der „Gestalttherapie“. Zudem lebte er in der Nachbarschaft des Kybernetikers Gregory Bateson, für den er ebenfalls zeitweise tätig war, und wurde später der bekannten Familientherapeutin Virginia Satir vorgestellt. Da Virginia Satir keinen Führerschein hatte, chauffierte Bandler sie zu außerhalb gelegenen Terminen, wo er sie bei der Arbeit beobachten konnte. Zusammen mit John Grinder, der damals an der UCA Professor für Anglistik und seinerseits Schüler des brillanten Linguisten Noam Chomsky war, veranstaltete Richard Bandler an der Universität Gestalttherapiegruppen, in denen sie bald begannen, mit weiteren Einflüssen und Ideen, wie etwa denen von Virginia Satir, Noam Chomsky oder auch Gregory Bateson und vielen anderen, zu experimentieren.

Letztlich kann man sagen, dass die Entwickler von NLP um Richard Bandler einfach Folgendes getan haben: Sie haben sich angeschaut, wo jemand im Bereich der Psychologie, Therapie und Persönlichkeitsentwicklung besonders erfolgreich ist, wie sie/er das macht und was davon man nachmachen und erfolgreich miteinander kombinieren kann.

Eine positive Grundannahme

Die Grundannahme dabei ist, dass ein Gehirn eine Art hochleistungsfähige Maschine ist und es letztlich einfach darum geht, diese Leistung mit den geeigneten Mitteln in die Richtung zu lenken, die sinnvoll für den Besitzer des Gehirns ist. Es ist Ihrem Gehirn selbst ja vollkommen egal, was es denkt – es wäre aber doch toll, wenn das, was Sie denken, Ihnen nützen kann, das zu erreichen, was Sie sich wünschen. In Ihrem Fall nämlich das, was Sie gerne wären und könnten, wenn Sie nicht mehr schüchtern sind.

NLP geht davon aus, dass Menschen nicht neurotisch, verrückt oder gebrochen sind, sondern stets die beste Wahl aus dem treffen, was ihnen an Optionen zur Verfügung steht. Sie funktionieren in ihrem „Modell der Welt“. Dieses Modell setzt sich zusammen aus dem, was sie über sich und die Welt gelernt haben, und wie sie das, was sie wahrnehmen können, interpretieren. So hat jeder Mensch ein individuelles Modell von der Welt, eine Art „innere Landkarte“, in seinem Kopf, das sich von dem anderer Menschen unterscheidet. Je nachdem wie und wo Sie aufgewachsen sind, welche Rolle eine bestimmte Religion spielt(e), welchem Beruf Sie nachgehen, ob Sie in einer Stadt oder auf dem Land leben, was Ihre Eltern Ihnen vorgelebt und gepredigt haben und so weiter werden unterschiedliche Dinge in Ihrem Modell der Welt wichtig sein. Und manche Aspekte, die für andere Menschen wichtig sind, werden bei Ihnen vielleicht nicht einmal existieren.

Jedes menschliche Verhalten ergibt einen Sinn, wenn es im Kontext der „Landkarte“ der betreffenden Person gesehen wird. Die Schwierigkeit besteht in der Regel deshalb nicht darin, dass Menschen „die falsche Wahl“ treffen, sondern dass ihnen nicht genügend Möglichkeiten zur Verfügung stehen. So wie Sie häufig keine Alternative zu Ihrer Schüchternheit haben, weil Ihnen nicht genügend Optionen zur Verfügung stehen, die Ihnen machbar und/oder sicher erscheinen.

Können, wollen, dürfen und sein

Bevor ich Ihnen neue Möglichkeiten für anderes Verhalten vorstelle, müssen wir zunächst dafür sorgen, dass diese für Sie anwendbar werden. Und das hat sehr viel mit Ihren Überzeugungen und Ihrer Identität zu tun.

Robert Dilts, einer der sehr frühen Schüler und späterer Mitentwickler des Modells NLP, hat ein Modell entwickelt, in dem er Veränderungsebenen in eine Hierarchie bringt, um darzustellen, wie und wo Veränderung am besten funktioniert:

Die (neuro-)logischen Ebenen der Veränderung

Ebene Bezeichnung Erläuterung
6 Zugehörigkeit
Spiritualität
Vision/Mission
überindividuelle Ebene
Zugehörigkeit zu etwas Größerem oder
Höherem
5 Identität Selbstbild: Wer bin ich?
4 Werte
Glaubenssätze
Filter
Entscheidungskriterien: Was ist möglich?
Was darf ich?
Überzeugungen, Leitideen
Wahrnehmungsfilter und Biografie
3 Fähigkeiten Von außen nicht wahrnehmbare innere
Prozesse: Was kann ich?
2 Verhalten Von außen wahrnehmbare eigene Handlung:
Was tue ich?
1 Kontext Wahrnehmbare Umwelt, Raum und Zeit:
Wo bin ich?

Die Ebene 1, der Kontext, ist die niedrigste Ebene: Wenn Sie wirklich schüchtern sind, dann sind Sie vermutlich in vielen Bereichen schüchtern. Der Vorschlag „Geh doch mal zu einem Speed Dating oder auf eine Singleparty!“, wenn Sie sich eine Partnerschaft wünschen, ist vermutlich wenig hilfreich, denn Sie werden auch dort schüchtern sein, wo andere für ein Kennenlernen grundsätzlich aufgeschlossen sind. Sie müssten sich also anders verhalten als sonst – das wäre Ebene 2. Doch wie? Vielleicht fehlen Ihnen Fähigkeiten? Das wäre Ebene 3.

Fähigkeiten könnten Sie lernen – doch was, wenn Sie davon überzeugt wären, dass das bei Ihnen eh nichts nützt oder dass es zu schwierig oder nicht sicher für Sie ist, weil … Welchen Grund auch immer Sie angeben: Sie bewegen sich auf Ebene 4 – den Werten, Filtern und Glaubenssätzen. Und warum ist das gerade bei Ihnen so, wo es doch erkennbar für andere Menschen möglich ist? Das hat wahrscheinlich etwas damit zu tun, für wen Sie sich halten. Das wäre Ebene 5: Ihr Selbstbild, Ihre Identität. Ganz hart wird es, wenn Gott oder Ihre Religion Ihnen verbieten würde, irgendetwas anderes zu sein als zurückhaltend. Oder wenn Sie vielleicht der Meinung sind, dass Sie überhaupt nicht hier sein sollten. Denn das ist Ebene 6.

Und tatsächlich gibt es nicht wenige Menschen, die extrem schüchtern sind, weil sie sich haben einreden lassen, dass sie eigentlich gar keine Berechtigung zum Leben haben, dass sie nichts wert sind oder ein Unfall oder dass sie „stören“.

Veränderung beginnt in Ihnen

Falls Sie zu dieser Gruppe gehören, möchte ich Ihnen als Erstes mein tiefstes Mitgefühl aussprechen. Und ich weiß, dass es noch nicht viel hilft, wenn ich jetzt schreibe: Das war ein Missverständnis! Doch ich möchte es dennoch tun, denn vielleicht hat es Ihnen ja noch keiner gesagt: Wenn Sie geboren wurden und hier auf diesem Planeten sind, dann haben Sie jede Berechtigung, hier zu sein – egal was andere Menschen, denen das nicht recht ist, Ihnen irgendwann einmal erzählt haben. Menschen sagen aus eigenem Schmerz und aus eigener Überforderung oft Dinge, die sehr wehtun können – doch das bedeutet nicht, dass diese Menschen auch recht haben mit ihrer Überzeugung. Wir werden auf den nächsten Seiten daran arbeiten, dass Sie das auch erkennen und wirklich spüren werden.

Und selbst wenn Sie nicht zu diesem Personenkreis gehören: Ich denke, Sie können inzwischen durch diese Veranschaulichung gut nachvollziehen, warum Tipps und Ratschläge, die den Kontext (Ebene 1) oder das Verhalten (Ebene 2) betrafen, bisher sinnlos für Sie waren.

Vielleicht haben Sie ja sogar bereits andere Bücher von mir gelesen – doch die Fähigkeiten, die ich Ihnen vermittelt habe, konnten von Ihnen nicht angewendet werden, weil es Ihnen zu „gefährlich“ erschien oder gegen Ihre Überzeugungen war. Vielleicht sind Sie einfach nicht „so ein Mensch“? Dann werden die nächsten Kapitel für Sie sehr hilfreich, aufschlussreich und lohnenswert sein.

Negative Denkmuster und Glaubenssätze verändern

Negative Glaubenssätze sind die spürbarste Hürde bei jedem Menschen, der nicht wagt, seine Ziele überhaupt erst einmal zu formulieren, um sie dann erreichen zu können. Das System aus Glaubenssätzen, das Ihren Charakter und Ihr Wesen formt, wird zu Ihrer Identität, zu Ihrer Persönlichkeit. Und genau deshalb sind Sie dann oft „nicht der Typ Mensch, der …“ eben das tut, was notwendig wäre, um aus Ihrem Gefängnis der Hemmungen und Ängste zu entfliehen. Ihre Denkmuster lassen nicht zu, andere Perspektiven oder neue Gedanken anzunehmen, die zu anderen Ergebnissen als den bisherigen führen.

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Das Problem an Glaubenssätzen ist, dass wir nicht merken, dass es Glaubenssätze sind.

Es sind unsere Glaubenssätze, die unser Modell von der Welt formen, und für jeden von uns sind das keine Glaubenssätze, sondern knallharte Realität. Wir bemerken nicht, dass das, was für uns „die Welt“ oder „die Wahrheit“ ist, eben keine „objektive Wahrheit“, sondern nur ein kleiner Ausschnitt und auch davon nur eine Wahrnehmung durch zahlreiche Filter ist.

Um das besser zu verstehen, nehmen wir einmal das Thema Krankheiten als praktisches Beispiel. Ein typischer Glaubenssatz ist, dass Erkältungen davon kommen können, wenn man sich verkühlt, man z. B. mit nassen Haaren rausgeht, oder auch, dass Vitamin C gut gegen Erkältungen ist. Beides hat sich inzwischen als absoluter Blödsinn erwiesen und stimmt nicht. Das sind lediglich Glaubenssätze – diese allerdings können dann sogar dazu führen, dass genau das passiert, was Sie glauben.

Was man glaubt, das wird real

Welche immense Kraft das haben kann, zeigen zum Beispiel wissenschaftliche Untersuchungen über Placebos bzw. sogenannte Nocebos. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass Menschen tatsächlich geheilt wurden, weil sie glaubten, operiert worden zu sein, obwohl nur ein kleiner Schnitt an der Haut vorgenommen wurde. Oder sie glaubten, ein hochwirksames Medikament verabreicht bekommen zu haben, obwohl sie in Wirklichkeit nur wirkungslose Drops eingenommen hatten. Tatsächlich wirkte das Medikament sogar noch besser, wenn auch der Arzt daran glaubte, dass er dem Patienten gerade ein sehr wirksames Präparat verabreicht hatte. Es gibt umgekehrt einige dokumentierte Fälle, in denen Menschen nach einer tödlichen Krebsdiagnose tatsächlich innerhalb eines halben Jahres verstarben – mit allen Symptomen, die Krebs im Endstadium hervorruft. Doch bei der Autopsie stellte sich heraus, dass die Diagnose ein Irrtum war und überhaupt keine Tumorkrankheit vorlag.

So kann allein der Glaube Auswirkungen auf die Gesundheit eines Menschen haben – und das in beide Richtungen. Auch allgemeine Lebensweisheiten wie „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ oder „Geld verdirbt den Charakter“ können zu lebensbestimmenden Glaubenssätzen werden, die dann Ihre persönliche Realität formen, wenn diese Weisheiten für Sie Wahrheiten darstellen. Sätze wie „Dafür bin ich zu alt“ oder „In meinem Alter macht man das nicht mehr“ oder eben „Ich bin nicht der Typ dafür“ sind ebenfalls Glaubenssätze. Und bisher war Ihnen vermutlich noch nicht einmal bewusst, wie viele davon Sie sich im Laufe Ihres Lebens angeeignet haben.

Glaubenssätze können aus eigenen Erfahrungen abgeleitet sein oder von anderen übernommen werden: Meist werden sie in der Kindheit von den Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen geprägt. Aber auch die Medien, die Sie konsumieren, prägen Ihre Glaubenssätze und damit Ihr Modell von der Welt.

Wenn Kinder wiederholt negative Sätze hören wie „Aus dir wird nie was werden“ oder „Du bist ein Dummkopf“, dann können daraus Glaubenssätze entstehen wie „Ich bin nichts wert“, „Ich kann nichts“, „Ich bin dumm“ oder auch „Ich werde nie Erfolg haben“. Tief im Unterbewusstsein verankert, werden diese Glaubenssätze zur eigenen Identität, bestimmen so Ihre Realität und machen einen schüchternen Menschen aus Ihnen. Denn: Das, woran Sie glauben, bestimmt, was Sie erleben.

Wenn Sie nicht daran glauben, dass Sie etwas können – wie hoch sind Ihre Chancen, dass es Ihnen doch gelingt? Glaubenssätze lassen sich verändern – doch dafür reicht es nicht aus, sich plötzlich einfach das Gegenteil einzureden. Unser Gehirn funktioniert „assoziativ“. Das heißt: Haben wir einmal eine These als Wahrheit anerkannt, sucht unser Gehirn automatisch weitere Beweise dafür, dass diese Wahrheit wirklich wahr ist. Dementsprechend funktioniert unser Gehirn ein bisschen wie eine Forschungseinrichtung, die von einem bestimmten Sponsor unterstützt wird, der uns eine These gibt, deren Wahrheitsgehalt wir im Rahmen der Forschung beweisen sollen.

Auf Nummer sicher fürs Überleben

Unser Unbewusstes, das seit Jahrtausenden dafür sorgt, dass wir nach Möglichkeit nicht aussterben, geht gerne auf Nummer sicher und unterstützt daher besonders Thesen, die unserer Sicherheit dienen sollen. Doch sicher heißt nicht, dass es Ihnen dabei gut gehen muss. Sicher heißt lediglich überleben!

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Ihr Unbewusstes will immer nur dafür sorgen, dass Sie sich nicht in unnötige Gefahr begeben, in der Sie unter Umständen umkommen könnten. Es will nicht, dass Sie glücklich sind oder dass Sie Erfolge haben oder dass Sie sich gut fühlen. Denn das ist für das Überleben nicht so relevant.

Und hier kommen Sie in den ersten inneren Konflikt: Sie haben nämlich nicht nur einen Gehirnteil, den fast alle Lebewesen miteinander teilen (das sogenannte Reptiliengehirn), das einen Teil Ihres Unterbewusstseins steuert – Sie haben als Mensch ja auch noch weitere Hirnareale, die im Laufe der Entwicklung zum Menschen nach und nach hinzugekommen sind:

das emotionale Mammalia-Gehirn, das zuständig ist für Lachen und Weinen, Spieltrieb und Sexualität, Euphorie und Depression: Alle Informationen, die im Langzeitgedächtnis gespeichert werden, passieren zuerst einmal diesen Teil des Gehirns, in dem rationales Denken und Gefühle aufeinandertreffen und eine Bewertung erfahren;

das denkende Neomammalia-Gehirn. In diesem Bereich wird gedacht und gespeichert: Logisches Denken, die Bildung von Denkstrukturen, Fantasie und die Fähigkeit zu Schlussfolgerungen und neuen Erkenntnissen sowie die Langzeitspeicherung von Informationen sind seine Hauptaufgaben.

Die drei Bereiche „kommunizieren“ zwar miteinander. Sie sind aber auch ein wenig blind und missverstehen sich manchmal, weil sie die Bedeutung der Botschaften füreinander stets nur auf Basis ihrer eigenen Funktion beurteilen: Ein Teil von Ihnen will tatsächlich sehr gerne glücklich sein, erfolgreich, sich verlieben, hat Träume, Wünsche und Fantasie. Wenn dieser Teil von Ihnen sich allerdings vom „Reptilienanteil“ beherrschen lässt, dann kommen dabei Schlussfolgerungen und damit Denkstrukturen heraus, derentwegen Sie vermutlich dieses Buch gekauft haben.

Keinen Kampf gegen sich selbst führen

Der Ausweg ist daher nicht, Ihre Ängste zu bekämpfen. Denn wenn Sie gegen Ihre Ängste kämpfen, dann kämpfen Sie gegen sich selbst. Sie kämpfen gegen die Instanz in Ihnen selbst, die für Ihr Überleben sorgen möchte. Sie bekämpfen quasi beständig Ihren inneren „Sicherheitschef“ (Reptiliengehirn) und Ihren „Archivar“ (Neo-Mammalia-Gehirn), die zig Beweise dafür kennen, dass die Welt da draußen gefährlich ist.

Sie können sich das ungefähr so vorstellen: Um für Ihr Überleben und Ihre Sicherheit zu sorgen, werden alle Dinge (Menschen, Situationen, Vorhaben) geprüft, und alles, was potenziell unsicher ist, wird als Gefahr eingestuft. Und natürlich sind dabei auch Bedrohungen für die Beschädigung des Selbstwerts oder eine Blamage echte Risiken, vor denen Sie unbedingt gewarnt werden müssen. Ebenso ist alles, was neu ist, automatisch eine potenzielle Gefahr. Und je mehr Ihre Prägung, Ihre Erlebnisse der Vergangenheit und Ihre Erfahrungen auf negativen Glaubenssätzen basieren, umso mehr haben Sie Fantasien von potenziellen Gefahren und umso häufiger werden Menschen, Situationen und Vorhaben als Gefahren eingestuft.

Das führt dann leider dazu, dass Sie nicht so viele andersartige Erfahrungen machen, die Ihnen das Gegenteil beweisen: Da Sie bisher den potenziellen Gefahren nicht gewachsen sind und ihnen eher aus dem Weg gehen, fehlt es Ihnen an Gegenbeispielen und dann eben auch an Mut, an Möglichkeiten und damit an Alternativen zu schüchternem Verhalten.

AKTENNOTIZEN FÜRS NEGATIVE ICH

Martin war Mitte 30, als er zu mir kam: Sein älterer Bruder hatte ihn die ganze Kindheit über gerne gehänselt und ihm gesagt, er sei hässlich. Martins Bruder war älter, stärker und erfahrener als er – was er sagte, musste also stimmen. Auch wenn Martin wusste, dass es eine Hänselei war, wenn der Bruder sagte, er sei hässlich: Ein leiser Verdacht schlich sich dennoch ein. Martins Gehirn machte sich also eine Art „Aktennotiz“: „Könnte sein, dass ich hässlich bin.“

Irgendwann als er besonders traurig und niedergeschlagen war, fragte er seine Mutter, ob er hässlich sei. Sie lachte nur und fragte ihn, wie er denn auf so eine blöde Frage komme. Aber sie sagte nicht Nein. Sie bemerkte leider nicht, dass es ihrem Sohn nicht gut ging, und nahm die Frage nicht ernst. In Martins damaliger Stimmung allerdings bestärkte das seine negativen Gedanken. Martins Gehirn machte sich eine zweite „Aktennotiz“: „Könnte tatsächlich sein, dass ich hässlich bin. Eventuell auch blöd.“

Dann kam der Tag, an dem Martin sich traute, Sandra aus der Parallelklasse anzusprechen – da er recht nervös war, stellte er sich nicht gerade geschickt an. Sandra ließ ihn abblitzen mit „Du bist mir zu blöd“. Martin bekam mit, dass die anderen Mädchen über ihn lachten, als Sandra ihnen davon erzählte.

Er war niedergeschlagen und enttäuscht – sein Gehirn legte eine Akte an, legte die vorhandenen Notizen hinein und schrieb darauf: Beweismaterial für „Ich bin blöd und hässlich“.

Dass er blöd und hässlich war, war also quasi bereits bewiesen. Es war ein Glaubenssatz, der ab dann für Martin eben kein Glaubenssatz, sondern beinharte Realität war. Ob er wollte oder nicht: Da er das als Realität anerkannt hatte, suchte er fortan weitere Beweise für die Richtigkeit seiner These. Irgendwann hatte er so viele „Beweise“ gesammelt, dass er ganze Aktenschränke damit hätte füllen können.

Wenn er später Mädchen und dann Frauen kennenlernte, versuchte er natürlich immer bestmöglich zu verbergen, dass er blöd und hässlich war. Doch so ganz gelang ihm das nur selten. Sein „Workaround“ war Humor – er war lustig, machte Witze und lachte viel. Aber in ihm drin sah es ganz anders aus. Und da seine „Clownsmaske“ ihm gerade bei den Frauen zwar Sympathie, aber kein Begehren einbrachte, wurden die Akten immer dicker, die bewiesen, dass er zu blöd und zu hässlich war für eine Freundin. Dass all das nur aufgrund der negativen Glaubenssätze und der damit einhergehenden selbsterfüllenden Prophezeiung zustande kam, konnte er damals nicht ahnen. Er hatte auch längst vergessen, was die erste „Notiz“ gewesen war, die seine „Forschung“ in Gang gesetzt hatte.

Beruflich wusste er genau, was er zu tun hatte. Er strengte sich an, schrieb gute Noten, machte Abitur, studierte, fand einen gut bezahlten Job – doch wenn er eine Frau kennenlernen wollte, kam immer wieder diese Angst, dass sie ihn nicht wollen könnte, weil er hässlich war. Und wahrscheinlich würde sie ihn blöd finden. Er hatte ja Schränke voller Beweismaterial dafür gesammelt … Und er hatte inzwischen auch einige Akten mit der Aufschrift: „Frauen sind gemein“ und „Es gibt keine Liebe“ angelegt. Es war nicht schwer, auch dafür immer weitere Beweise zu finden.

Und das ist der Grund, warum es nicht funktioniert, sich einfach etwas anderes „einzureden“ – denn letztlich ist „Ihre Wahrheit“ ja auch genau das: eingeredet. Wenn es Ihnen geht wie Martin und Sie sehr viele Beweise gesammelt haben, dann war das eine Menge Arbeit. In Ihrem Kopf gibt es dieses gewaltige Archiv – und die Verknüpfungen, Ihre neuronalen Netzwerke im Gehirn, sind gut ausgeschilderte, mehrspurige Autobahnen, die zu diesem Beweisarchiv führen.

Ihr Unterbewusstsein hat etwas dagegen, dass Sie das alles vernichten – schließlich war es viel Arbeit! Und weil Sie Ihrem Weg schon lange folgen, wissen Sie, dass Sie „sicher“ sind.

Wollen Sie jetzt allen Ernstes einen neuen Weg gehen, wo bisher kaum ein Trampelpfad sichtbar ist? Etwas annehmen, wofür es doch bisher so wenige Beweise gibt? Lächerlich! Das funktioniert garantiert nicht! Zumindest wird Ihr Unterbewusstsein – bei manchen auch bekannt als ihr „innerer Schweinehund“ – versuchen, Ihnen das einzureden! Doch es gibt ein paar spannende Methoden, wie Sie Ihre Glaubenssätze finden und verändern können, ohne dass Sie sich selbst dabei bekämpfen.

Wie werden negative Glaubenssätze real?

Letztlich besteht die ganze Welt (in Ihrer Wahrnehmung) aus einem System von Glaubenssätzen – irgendwann haben Sie bestimmte Dinge darüber gelernt, wie die Welt ist:

Frauen sind …

Männer sind …

Das Leben ist …

Arbeiten bedeutet …

Geld ist …

Ich bin …

Und so weiter und so fort.

Sie haben Bewertungen, Meinungen und Wahrheiten zu allem und jedem, die Ihre Gedanken und Gefühle und damit Ihr ganzes Leben bestimmen. Uns interessieren natürlich vor allem die, die Ihnen zu schaffen machen, an Ihrem Selbstvertrauen nagen und dafür sorgen, dass Sie schüchtern sind.

Negative Glaubenssätze beginnen häufig mit:

Ich kann einfach nicht …

Ich bin einfach nicht …

Nie (oder: Immer wieder) passiert mir …

Es gibt für mich nicht …

Immer wieder habe ich …

Man kommt solchen negativen Glaubenssystemen oder Glaubenssätzen auch auf die Spur, wenn man sich anschaut, was bei den meisten anderen funktioniert – im eigenen Leben dagegen einfach nicht.

Die Tücken des Glaubens

Wo läuft es immer wieder anders, als Sie es sich wünschen? Oft sind Glaubenssätze auch „Selbstverständlichkeiten“: Sie erscheinen als plausible Gründe dafür, warum Sie nicht bekommen, was Sie wollen, oder eben warum Sie nicht tun, was Sie tun möchten.

Nicht selten sind es auch Wenn-dann-Verknüpfungen, die vollkommen logisch erscheinen: „Wenn ich dieses und jenes mache, dann wird das und das passieren.“ Und in Kombination mit weiteren Glaubenssätzen und Ängsten werden sie dann zu „bombenfesten Systemen“, die Ihre Realität gestalten und Ihre Ängste hervorrufen.

Es kommt nicht selten vor, dass wir mit Glaubenssätzen herumlaufen, die überhaupt nicht mehr zu uns und unserem Leben passen und dennoch weiterhin bestimmen, was wir tun, was wir uns trauen und wie wir handeln. Das zu erkennen ist der Anfang eines Weges aus dem Labyrinth der negativen Glaubenssätze heraus.

Bei unserem Beispiel mit Martin wurde die erste „Aktennotiz“ ausgelöst durch den Bruder. Aus Sicht des Kindes Martin war die Aussage glaubhaft, aus Sicht des erwachsenen Martin war klar, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Ebenso wenig hatte die Mutter eine Aussage gemacht, die Martins „Realität“ entsprach. Und bei Sandra hatte er sich einfach dumm angestellt, weil er nervös war. Er konnte sich also klar sagen: Nein, die ersten Notizen stimmen nicht, die Leute, die das behauptet hatten, waren keine „Experten“, und sie haben das nicht so gemeint, wie ich es verstanden hatte.

„Forschungsergebnisse“ infrage stellen

Tatsächlich leben wir oft jahrelang (oder noch länger) mit Annahmen über Situationen und uns selbst auf Basis von Aussagen, die längst überholt sind. Doch wir bemerken gar nicht, dass wir vielleicht die „unzuverlässige Quelle der Grundannahme“ einmal überprüfen könnten. Tun wir das, so fällt es uns viel leichter, unsere „Forschungsergebnisse“ infrage zu stellen und „neues Beweismaterial“ zuzulassen.

Sie werden verblüfft sein, wie effektiv diese eigentlich einfache Methode tatsächlich ist. Es hat damit zu tun, dass unserem Unterbewusstsein oft genau dieser Prozess fehlt, um den Glaubenssatz als falsch und hinderlich zu erkennen. Wenn der Prozess jedoch einmal in Gang ist, wird Ihnen bewusst werden, was vorher unbewusst war, und die „Wahrheit“ verliert zunächst Macht – sie wird zu einem bewusst wahrgenommenen Glaubenssatz. Dann haben Sie eine Wahl: Sie können ihn glauben und weiterhin Beweise dafür suchen oder Sie können sich entscheiden, auch andere Dinge wahrzunehmen, die eine andere Wahrheit beweisen. Irgendwann werden Sie sich umdrehen und feststellen, dass der Glaubenssatz nicht weiter relevant für Sie ist. Er ist nur etwas, das Sie einmal geglaubt haben.

Dem Glaubenssatz ein Schnippchen schlagen

Soweit die Theorie, kommen wir zur Praxis. Es gibt vielfältige Übungen, um unsere verankerten Glaubenssätze einmal auf den Prüfstand zu stellen.

Der Brief an das jüngere Ich

Eine sehr gute Möglichkeit, Ihr Unterbewusstsein in diesen Prozess der Veränderung zu bringen, ist, Ihrem jüngeren Selbst einen Brief zu schreiben. Vermutlich haben Sie eine Idee (und sei sie noch so vage), wann Sie angefangen haben, Dinge über sich oder die Welt zu glauben, die es Ihnen schwer machen, sich gut genug und das Leben leicht zu finden. Es kann daher heilsam sein, Ihrem jüngeren Ich, das einst begann, diese Gedanken anzunehmen, einen Brief zu schreiben, in dem Sie ihm Mut machen und Liebe senden.

Vielleicht so:

Das fühlt sich bestimmt erst mal seltsam an, aber es hat tatsächlich eine verändernde Wirkung auf Ihr inneres Glaubenssystem.

Wenn Sie das jetzt nicht glauben, dann ist das übrigens auch wieder ein negativer Glaubenssatz. Warum probieren Sie es nicht einfach aus? Es dauert ja nicht lange. Was haben Sie zu verlieren – außer Ihren Ängsten?

Können oder wollen Sie nicht?

Zu allen Sätzen, die mit „Ich kann nicht“ beginnen, gibt es auch eine ganz interessante Übung, die ich häufig in meinen Seminaren anwende. Ich lasse meine Teilnehmer ein paar Dinge aufschreiben, die sie ihrer Meinung nach nicht können. Und ich bitte Sie, genau das nun auch zu tun.

Denken Sie mal an Ihre schüchternen Momente. Was ist es, was Sie in diesen Momenten nicht können? Vielleicht können Sie jemanden nicht ansprechen, wenn er Ihnen gefällt? Oder Sie können die Person noch nicht einmal anlächeln? Vielleicht können Sie sich nicht selbst behaupten? Oder Sie können nicht vor anderen sprechen?

Ganz gleich, was es ist: Schreiben Sie es jetzt auf!

Und wahrscheinlich haben Sie auch Gründe dafür. Und diese Gründe, das sind die Glaubenssätze: schlimme Dinge, die passieren werden, wenn Sie es doch versuchen.

Jetzt tun Sie Folgendes:

Verändern Sie den Satz ein kleines bisschen und machen Sie aus dem „kann“ ein „will“, sodass z. B. aus „Ich kann mich nicht selbst behaupten“ ein „Ich will mich nicht selbst behaupten“ wird. Oder aus „Ich kann niemanden anlächeln, der mir gefällt“ ein „Ich will niemanden anlächeln, der mir gefällt“.

Und nun – bitte seien Sie tapfer – fragen Sie sich doch mal ganz ehrlich, ob da nicht auch ein Fünkchen Wahrheit drinsteckt.

Wenn Sie beispielsweise gesunde Augen haben und dennoch keinen Blickkontakt erwidern „können“, dann liegt es ja nicht an Ihrer Fähigkeit zu schauen, sondern daran, dass in Ihrem Kopf alle möglichen Gedanken unterwegs sind, die Ihnen sagen: „Mach das nicht.“ Und Sie entscheiden sich dafür, es nicht zu tun. Das ist der wichtige Punkt: Sie haben sich entschieden. Sie haben immer eine Wahl, nur wenn Ihnen die Möglichkeiten so erscheinen, dass es eben beispielsweise zu gefährlich wäre, dann entscheiden Sie sich für die „ungefährliche“ Variante. Nicht, weil Sie nicht anders können, sondern weil Sie nicht anders wollen aus Angst vor dem, was passieren könnte.

Dieses kleine Spiel gilt für alles, bei dem es nicht um tatsächliches Unvermögen, wie beispielsweise die oben genannte Sehbehinderung, geht, sondern um eine Entscheidung, die Sie treffen. Was glauben Sie, was das für ein Spaß ist, wenn im Seminar die Teilnehmer herumgehen und den anderen Teilnehmern erzählen, was sie nicht wollen. Es gibt immer großes Gelächter, wenn z. B. eine Frau auf einen Mann zugeht und sagt: „Ich will nicht auf Männer zugehen.“ Oder ein Mann zu einer Frau sagt: „Ich will keine Frauen ansprechen!“

Es mag Ihnen im ersten Moment vielleicht albern vorkommen, aus einem Kann ein Will zu machen – aber Sie werden vermutlich merken, dass sich etwas in Ihnen sträubt, aufbäumt, dass Sie nach Rechtfertigungen suchen und Ähnliches. Das ist ein sehr, sehr gutes Zeichen. Es zeigt Ihnen, dass Ihr „Archivar“ gerade ganz schön am Rotieren ist und Ihr Unterbewusstsein sich damit beschäftigen muss, ob die „Wahrheit“, die Sie sich in den letzten Jahren immer wieder erzählt haben, doch vielleicht gar nicht so wahr ist, wie Sie dachten.

Es ist ein Prozess. Und er beginnt damit, dass Sie wahrnehmen, dass es Alternativen gibt – dass Sie eine Wahl haben. Sie fürchten vielleicht die möglichen Konsequenzen mancher Optionen. Und das ist in Ordnung. Aber Sie haben eine Wahl.

Machen Sie in den nächsten Tagen ganz gezielt und bewusst aus jedem „Ich kann nicht“ ein „Ich will nicht“ – auch wenn es Ihnen komisch vorkommt. Sie werden erstaunt sein über das, was dann passiert.

Neue Beweise suchen

Jetzt können Sie auch damit beginnen, sich stückweise immer mehr Beweise für etwas Besseres, Hilfreicheres zu suchen. Allerdings ist es dabei wichtig, dass Sie realistisch bleiben.

Affirmationen beispielsweise sind positive Sätze, die Sie sich selbst sagen, um sich zu motivieren und Veränderungen anzuregen. Wenn Sie sich jedoch zum Beispiel 20 Mal am Morgen sagen: „Ich bin ein toller Mensch, und andere Menschen möchten mich gerne kennenlernen“ und danach den Tag über in Gedanken hundert Mal: „Was bin ich doch für ein Idiot! Ich weiß doch, dass das nicht stimmt. Was soll das überhaupt? So ein Mist!“ – dann wird jede noch so positive Affirmation keine positive Wirkung zeigen. Im Gegenteil.

Wenn Martin aus dem Beispiel oben jetzt versuchen würde, sich einzureden, dass er ein toller Hecht ist, würde das vermutlich nach hinten losgehen. Aber er könnte damit anfangen, Situationen zu suchen, wo Frauen ihm freundlich und interessiert begegnen und nett sind und sich das „notieren“. Er könnte sich beispielsweise jeden Tag ein paar Mal sagen: „Du bist gar nicht so blöd, wie du dachtest, und es gibt eine Menge Menschen, die sehr viel hässlicher sind als du und die auch jemanden gefunden haben.“ Das wäre bereits eine kleine Verbesserung, und sie wäre für ihn glaubwürdig. Und so würde der Glaubenssatz, er sei hässlich und nicht gut genug, mehr und mehr an Glaubwürdigkeit verlieren. Er würde nicht mehr nach Beweisen dafür suchen. Ein paar Wochen später könnte er sich vielleicht sagen: „Du bist übrigens ziemlich intelligent und siehst nicht so schlimm aus. Du bist kein Model, aber doch eigentlich guter Durchschnitt.“ Vermutlich wäre auch das nach einiger Zeit glaubwürdig, und der alte Glaubenssatz vom Dumm- und Hässlichsein wäre nach wenigen Wochen nicht mehr da.

Genau das dürfen Sie für sich auch so anwenden:

Was ist es, was Sie aktuell Negatives über sich selbst glauben?

Was würden Sie lieber glauben?

Und was wäre eine vorerst glaubwürdige Version davon?

Der „Trick“ an diesen Methoden ist, dass Sie aufhören, gegen sich selbst zu kämpfen. Denn das tun Sie bisher vermutlich permanent – und das ist nicht sinnvoll, denn Sie schwächen sich dabei immer weiter.

Machen Sie sich klar, dass alles in Ihrem Leben mit Ihnen zu tun hat, mit dem, was Sie glauben: Wenn Sie denken, dass Sie etwas nie erreichen können, werden Sie es gar nicht erst probieren. Wenn Sie glauben, dass etwas für Sie schwierig ist, werden Sie so an die Sache herangehen, dass Ihnen die Leichtigkeit, der Schwung und der Optimismus abhandenkommen – und genau das würde doch aber so hilfreich sein. Sie haben viel mehr Einfluss auf das, was Ihnen „passiert“, als Sie glauben.

Aber glauben Sie mir bitte kein Wort! Sie wissen ja, wie das mit dem Glauben ist. Also probieren Sie es lieber aus, denn das sorgt für deutlich glaubwürdigere Resultate!

Scham und Ängste

Scham ist bei vielen Menschen, die schüchtern sind, ein großes Thema. Oft wird sie gar nicht erkannt, weil die meisten Schüchternen ein so gutes Vermeidungsverhalten an den Tag legen, dass sie nicht bis zum bewusst wahrgenommenen Gefühl der Scham vordringen. Doch tatsächlich ist Scham in fast allen Fällen die Basis für Hemmungen und schüchternes Verhalten.

Ganz besonders deutlich wird das bei den Menschen, die nur in bestimmten Situationen schüchtern werden: Wer z. B. bei sexuellem Interesse an anderen schüchtern wird, hat fast immer einen Konflikt mit dem Thema Lust und Sexualität. Derjenige schämt sich dafür, dass er einen anderen begehrenswert findet, dass er Lust empfindet. Weil er nicht weiß, wie er mit der Situation umgehen soll oder weil er den anderen attraktiver findet als sich selbst und ihm das eigene „Angebot“ (sein Körper, sein Charakter etc.) im Vergleich zu dem des Gegenübers nicht gut genug erscheint.

Und genau das ist letztlich die Wurzel jeden Schamgefühls: die Angst, nicht gut genug zu sein. Der Gedanke: „Ich bin nicht in Ordnung, so wie ich bin“ oder „Ich bin falsch/schlecht/hässlich/dumm“.

Ein Glaubenssatz mit Folgen

Das Gefühl „Ich bin nicht gut genug“ ist an sich auch „nur“ ein Glaubenssatz. Doch ein sehr starker, sozusagen der „dicke Macker“, der mächtige Herrscher der Unterwelt, aller negativen Glaubenssätze. Denn die meisten Glaubenssätze haben ihn als Grundannahme und bauen darauf auf, und er ist auch einer der Hauptauslöser für Schüchternheit:

Die Angst, nicht gut genug zu sein, ist einer der zerstörerischsten negativen Glaubenssätze – und leider auch der am meisten verbreitete, und er erscheint in vielerlei Formen.

PRAXISBEISPIEL

DIE UNWIDERLEGBARE WAHRHEIT

Meine Klientin Katrin beispielsweise war sehr schüchtern, wenn es um die Wahrung ihrer Bedürfnisse und ihrer Grenzen ging. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich immer alles erkämpfen musste. Und sie kämpfte gegen diesen Glaubenssatz „Ich muss mich immer anstrengen“ – erfolglos. Das lag nicht nur daran, dass sie noch nicht wusste, dass sie nicht „gegen“ den Glaubenssatz kämpfen konnte – wie Sie es gerade erfahren haben –, sondern auch daran, dass sie bisher den Grund verdrängt hatte, warum sie immer kämpfen musste. Im Coaching fanden wir heraus, dass in ihr die tiefe Angst steckte, nicht gut genug zu sein so, wie sie war: Sie war nicht liebenswert, deshalb musste sie immer etwas dafür tun, dass man sie mochte. Sie war nicht intelligent genug, deshalb musste sie sich bei der Arbeit immer besonders anstrengen. Sie war nicht gut genug ausgebildet, deshalb hatte sie immer Querelen mit Kollegen und Vorgesetzten. Und all das war für sie bis dahin ebenfalls harte, eindeutige Realität. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass die Grundannahme, sie sei nicht gut genug, etwas ist, dass sie infrage stellen könnte. Für sie war es eine unwiderlegbare Wahrheit.

PRAXISBEISPIEL

Die Angstepidemie

Seit ich als Coach arbeite (und das sind inzwischen über 15 Jahre), habe ich einen feinen Sinn bekommen für Menschen und ihre „Dämonen“: Ich merke den meisten sehr schnell an, was mit ihnen los ist. Sei es in dem, was sie sagen, oder in dem, was sie gerade nicht sagen – was ich in ihren Gesichtern und ihrer Körpersprache lesen oder einfach als eine Art „Schwingung“ spüren kann. Anfangs hat es mich überrascht, wie viele Menschen (und ich nehme mich da selbst nicht aus!) unter der Angst leiden, nicht gut genug zu sein, und für wie viele diese Angst der einzig relevante Antrieb in ihrem Leben ist. Ich fand es erschreckend, wie viele erfolgreiche Menschen in Wahrheit nicht angetrieben werden von einer großen Idee, der Liebe zu ihrem Beruf, ihrer Passion oder dem Spaß an der Sache, sondern stattdessen von der Angst, nicht gut genug zu sein. Und wie viele hochintelligente, erfolgreiche Menschen sich insgeheim wie Hochstapler fühlen, weil sie immer darum fürchten, dass ihr Erfolg keine zwingende Folge ihrer Taten, sondern eher so eine Art Zufall ist. Und sie werden stets von der Angst begleitet, eines Tages aufzufliegen und dass bemerkt wird, dass sie in Wahrheit nicht gut genug sind.

Die Angst, nicht zu genügen, scheint der Mehrheit der Menschen tief in den Knochen zu stecken und ist längst ein relevanter Wirtschaftsfaktor geworden: Vieles von dem, was uns zu Konsum treibt, basiert ebenfalls auf dieser Angst. Und so kaufen wir nicht mehr nur Cremes und Lotions, um erst Pickel, dann Rötungen, Müdigkeit und später „die ersten Zeichen der Hautalterung“ zu überdecken, oder Figur formende Unterwäsche. Mehr noch: Die meisten Marken setzen darauf, dass man sich durch das Präsentieren eines Logos erhöht – sich selbst mehr Wert und Status verleiht. Nach dem Motto: „Wer sich ein T-Shirt für 250 Euro leisten kann, der muss etwas wert sein.“ Doch letztlich ist das nur Glitzerlack auf einem maroden Untergrund: Es wirkt auf den ersten Blick eindrucksvoll, hält aber keiner näheren Betrachtung stand.

Kein Wunder, dass so viele Beziehungen kaum das erste Jahr überstehen: Wenn beide Partner bemerken, dass der andere selbst auch gar nicht so toll ist, wie man anfangs dachte, ist die Enttäuschung oft so groß, dass eine Trennung vorprogrammiert ist.

Doch wie kommt es, dass dieses Thema überhaupt erst entsteht? Und noch viel wichtiger: Was können Sie dagegen tun?

Von der Angst, nicht gut genug zu sein

Die Angst oder das Gefühl, nicht gut genug sein zu können, zeigt sich typischerweise in diesen vier Formen:

1. Kompetenz

Das Gefühl, dass Sie nicht gut genug sind in irgendeiner Tätigkeit oder Fähigkeit, die Sie glauben beherrschen zu müssen, z. B. Geld verdienen, beruflichen Erfolg haben, unterhaltsam sein können, in irgendwas „perfekt“ sein.

2. Körper

Das Gefühl, dass Ihr Körper nicht gut genug ist: nicht schlank genug, nicht groß genug, nicht stark genug, nicht muskulös genug, nicht schön genug, nicht mehr jung genug.

3. Identität

Das Gefühl, dass Sie irgendwie die „falsche Art von Person“ sind: das falsche Geschlecht, eine schlechte Herkunft, eine falsche sexuelle Orientierung oder sogar eine falsche Persönlichkeit (z. B. bei introvertierten oder sehr sensiblen Menschen, die in der Kindheit oft gehört haben: „Sei nicht so …“).

4. Beziehungen

Das Gefühl von „nicht gut genug“ auf der Beziehungsebene äußert sich in der Annahme „Ich werde nur geliebt, wenn ...“. Das kann sich dann auf Dinge aus den Punkten 1 bis 3 beziehen: „Wenn ich erfolgreich bin“ (Kompetenz), „Wenn ich schlank bin“ (Körper) oder „Wenn ich mich verändere“ (Identität).

Bei Punkt 4 („Beziehungen“) geht es also nicht nur um das generelle Nicht-gut-genug-Sein, sondern darum, dass Sie glauben, dass man Sie nur lieben und akzeptieren kann, wenn andere Bedingungen erfüllt sind. Das ist besonders tückisch, denn Sie halten sich in diesem Fall nicht nur für nicht gut genug, sondern auch für nicht liebenswert, weil Sie nicht gut genug sind.

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Sie haben quasi keine Erlaubnis, glücklich zu sein und sich gut zu fühlen, wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind, und natürlich ist dieses „Wenn“ unendlich dehnbar. Wer will schon mit Genauigkeit sagen können, wann „gut“ wirklich gut genug ist?

So entstehen Ängste

Der Ursprung dieser leidvollen Grundannahmen ist, wie Sie vielleicht schon erwartet hatten, in Ihrer Kindheit begründet. Sie sind das Ergebnis einer emotionalen Verletzung, die meist schon sehr früh in Ihrem Leben entstanden ist – ohne Ihre eigene Schuld.

Oftmals wurde sie von den Eltern (oder ähnlich nahestehenden Bezugspersonen) erzeugt. Manchmal sogar vollkommen unabsichtlich durch eine „falsche Motivationsstrategie“. Eltern möchten, dass ihre Kinder möglichst gut „funktionieren“: dass sie sich gut benehmen, sich in der Schule gut machen und möglichst wenig Ärger verursachen. Doch die Worte, die sie benutzen, um ihr Kind zu motivieren, sind häufig eher im Bereich der Kritik oder gar der Drohung zu finden. Auch wenn Eltern oder auch nur ein Elternteil mit dem Kind oder sogar mit dem eigenen Leben überfordert sind, entstehen daraus häufig schädliche Botschaften wie z. B. „Du bist schuld“, „Nur deinetwegen …“ oder „Warum bist du nicht …?“. Sie können das Glaubenssystem des Nicht-gut-genug-Seins massiv prägen.

Die zweite häufige Ursache ist eine Art „Erbe“: Wenn die Eltern unter ähnlichen Symptomen leiden – wenn sie selbst Angst haben, nicht gut genug zu sein, und das „Ich bin nicht in Ordnung“ selbst vorleben, wird das von Kindern als Maßstab für das Leben und die Weltordnung an sich angesehen und imitiert. Fast immer haben Eltern unbeabsichtigt und ohne böse Absicht gehandelt: Sie können sich nicht vorstellen, dass Kinder alles, was sie sehen und hören, als absolute Wahrheit mitbekommen, im wahrsten Sinne des Wortes „für wahr nehmen“ und aufgrund mangelnder Vergleiche als Basis ihres Wertesystems zugrunde legen. Sie haben oftmals nicht das Bewusstsein dafür, dass die Botschaft „Streng dich mehr an“ für fast jedes Kind gleichbedeutend ist mit „Du bist nicht gut genug (oder sogar nicht liebenswert), so wie du bist“ und dass Kinder in den ersten Jahren ihres Lebens alles um sie herum komplett auf sich beziehen und sich für den Verursacher von allem halten, was um sie herum geschieht. Der Schaden, den Eltern so bei ihren Kindern anrichten, wenn sie unbedacht Frust, Unmut, Enttäuschung, Zorn oder Leid äußern, ist ihnen keineswegs bewusst.

Doch auch wenn es unabsichtlich passiert ist und nicht, um den Kindern zu schaden, so hat es doch die Basis gebildet für Glaubenssätze, mit denen Sie sich selbst und die Welt definieren. Wenn diese nicht korrigiert wurden (und selten werden sie das), führt das dazu, dass Sie mit niedrigem Selbstwert, Ängsten, beständiger innerer Wut oder sogar Autoaggression (Sie schaden sich selbst – bewusst oder unbewusst) und Depression geschlagen sind, weil der Gedanke „Ich bin nicht gut genug“ sich wie eine unabänderliche Wahrheit anfühlt, die Ihnen folgt wie ein Schatten.

Das muss aber nicht sein!

Und – falls Ihnen das noch nie jemand gesagt hat, lassen Sie es mich bitte nachholen: Das sollte auch nicht so sein. Das war nie so gedacht. Hier ist ein Fehler passiert. Ein schrecklicher Fehler. Es war nie gewollt, dass Sie aufwachsen und leben in der Angst, nicht gut genug zu sein, und dass dieser Gedanken Sie so lange und eindringlich begleitet und beeinflusst.

Tatsachenprüfung

Sie können diesen Fehler korrigieren, und ich zeige Ihnen sehr gerne, wie das geht.

Sie können dieses Muster „Ich bin nicht gut genug“, das dafür sorgt, dass Sie sich immer wieder schüchtern verhalten, in vielen „Tatsachen“ erkennen, die für Sie wahr sind:

die Tatsache, dass Sie immer und um alles kämpfen müssen;

die Tatsache, dass andere Menschen Sie nicht im gleichen Maße zu schätzen oder zu lieben scheinen wie umgekehrt;

die Tatsache, dass Ihre Bemühungen und Ihr Einsatz nicht anerkannt werden;

die Tatsache, dass Sie es anderen oft nicht recht machen können;

die Tatsache, dass Sie immer wieder abgelehnt werden.

Und ich schreibe mit Absicht „Tatsache“, denn so kommt es Ihnen ja vermutlich vor: „Das ist kein Glaubenssatz von mir, das ist so!“ Doch diese Tatsachen sind nur deshalb Tatsachen, weil Sie – meist ohne es bewusst zu bemerken – viel dafür tun, damit genau das geschieht. Und das, was Sie tun, erscheint Ihnen vollkommen plausibel und hat mit dem Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug“ zu tun.

Innere Verletzungen heilen

Der Schlüssel der nachhaltigen „Heilung“ dieser „emotionalen Wunde“ ist nicht, gegen Ihre negative innere Stimme zu kämpfen, sich möglichst klein zu machen oder Ihre Schmerzen mit Alkohol, Essen, Drogen, Medikamenten oder Perfektionismus zu besänftigen. Ich nenne Perfektionismus absichtlich in dieser Reihe, denn wie alle anderen ist er ein Mittel, um die innere Stimme zum Schweigen zu bringen, die einem einflüstern will, nicht gut genug zu sein: „Wenn ich mich nur richtig doll bemühe und es perfekt kann und mache, dann werde ich endlich gut genug sein, und mein innerer Kritiker wird verstummen.“ Und genau wie die anderen Mittel funktioniert auch dieses kaum. Es lindert für eine gewisse Zeit die Symptome – aber die Wunde bleibt. Und sie schmerzt.

Anstatt diese Stimme also zu bekämpfen oder zu unterdrücken, geht es darum, ihre Quelle zu finden und etwas anderes mit ihr zu tun.

Die negative Kritik, die Sie als Kind empfunden haben, zeigte Ihnen, dass ein Teil von Ihnen, ein Verhalten, ein Charakterzug, Ihre Unschuld, Ihre Neugier oder Ihr ganzes Dasein von anderen nicht akzeptiert wurde. Die Botschaft, die Sie verstanden haben, war: „Dieser Teil von dir ist nicht in Ordnung“ bzw. „Du bist nicht in Ordnung, wenn du so bist“. Genau das ist es, was letztlich die Basis für Ihre Schüchternheit bildete.

Durch diese „Verletzung“ wurde ein echter, authentischer Teil Ihrer Persönlichkeit von Ihnen „abgeschnitten“. Sie haben, um akzeptiert zu werden, etwas von sich selbst abgetrennt, verleugnet und versteckt. Und bis heute versuchen Sie sich immer wieder davor zu schützen, dass dies erneut passieren könnte: dass Sie abgelehnt werden für etwas, das Sie sind und das möglicherweise nicht jedem gefällt. Und wie bei den meisten Menschen ist Ihre Strategie vermutlich, möglichst viel von Ihnen, von Ihrem authentischen Selbst zu verstecken. Sich zu verstecken. Herausforderungen und damit möglichen „Entblößungen“ aus dem Weg zu gehen. Mit anderen Worten: schüchtern zu sein. Doch das ist genau der falsche Weg – es gibt einen so viel besseren!

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783869106762
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (September)
Schlagworte
Selbstvertrauen gewinnen Hemmungen Selbstzweifel

Autor

  • Nina Deißler (Autor:in)

Nina Deißler, u.a. bekannt aus „MeinNachmittag“ (NDR), ist zertifizierter Coach für systemische Arbeit, NLP und Hypnose. Sie berät seit fast 20 Jahren Menschen, die sich eine Partnerschaft wünschen oder ihre Schüchternheit überwinden möchten. Die erfolgreiche Autorin hat inzwischen 10 Bücher zum Thema Liebe, Flirt und Partnersuche bei namhaften Verlagen veröffentlicht und damit über 150.000 Leser begeistert. Ihr Buch „Flirten“ ist inzwischen das Standardwerk der Flirtratgeber und ein Bestseller in seinem Bereich.
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Titel: Nie mehr schüchtern!