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Beratungskompetenz in der Altenhilfe

So beraten Sie fachlich und rechtlich auf höchstem Niveau

von Jürgen Link (Autor:in)
148 Seiten

Zusammenfassung

Beratungsanlässe in der Pflege gibt es viele: der Erstbesuch, der Beratungsbesuch nach § 37 Abs. 3 SGB XI, die Anleitung zur Pflege in der Häuslichkeit sowie die besondere Beratungssituation bei demenziell erkranken Menschen und ihren Angehörigen.

Gerade Pflegedienstleitungen sind hier gefordert. Sie müssen ihr Portfolio kennen, Bedarfe erkennen und möglichst effizient befriedigen.

Dieses Buch zeigt, welche fachlichen, rechtlichen, kommunikativen und personalen Kompetenzen ein Berater braucht. Für alle Beratungsanlässe und Adressaten werden unterschiedliche Methoden und Vorgehensweisen beschrieben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

unsere Gesellschaft hat sich zu einer »Beratungsgesellschaft« entwickelt und ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. Für alle Lebenslagen gibt es Beraterinnen und Berater1: Finanzberater, Immobilienberater, Rechtsberater, EDV-Berater, Karriereberater etc.

Diese Entwicklung ist nachvollziehbar, wenn man anerkennt, dass unsere Lebenswelt immer komplizierter und unüberschaubarer geworden ist. Da hilft auch das allwissende World Wide Web nicht weiter. Im Gegenteil, es bringt uns eine noch größere Informationsfülle, die wir letztlich weder zu- noch einordnen können und die unsere Entscheidungen oftmals eher noch erschwert.

Berater gibt es zwischenzeitlich wie Sand am Meer, mal glitzernd, mal eher grobkörnig oder auch als kleine Felsen in der Brandung. Berater kann jeder werden. Es gibt weder eine entsprechende Ausbildung noch einheitliche Profile. Und damit haben wir schon einen weiteren Beratungsbedarf: »Welcher ist der für mich und mein Problem geeignete Berater?«

Doch nun zu unserem speziellen Thema: die Beratung in der Altenhilfe. Das gleiche Problem der unüberschaubaren Fülle taucht auch hier auf. Die Angebote von Hilfen, die Suche nach dem idealen Leistungsanbieter, die rechtlichen Zusammenhänge und mögliche Finanzierungen sind u. a. durch die Gesetzesreformen des SGB V und des SGB XI immer undurchsichtiger geworden.

Auch der Gesetzgeber hat dies erkannt und im Pflegestärkungsgesetz III sogar den Anspruch auf Pflegeberatung verankert und damit zugleich die Pflegekassen verpflichtet, niederschwellige Beratung in allen Fragen der Pflege anzubieten.

Aufgrund der demografischen Entwicklung ist nicht nur die Altenhilfe selbst, sondern auch die Beratung in Fragen der Altenhilfe ein »Wachstumsmarkt«!

Dieses Buch möchte Sie dabei unterstützen, Ihren Auftrag als Berater mit hoher Qualität und zur Zufriedenheit Ihrer Klientel umsetzen zu können.

Ich hoffe, es ist mir gelungen, diesem Anspruch gerecht zu werden.

Viel Erfolg und auch Spaß beim Lesen

Ihr
Jürgen Link

Dieses Buch entstand durch eine lange Diskussion mit meiner Frau und Mitarbeiterin Elke Link, die eine Seminarreihe zur Beratungskompetenz vorbereitet und schon mehrfach erfolgreich gehalten hat. Unsere intensiven Gespräche führten schließlich dazu, ein Fachbuch über die Beratung in der Altenhilfe und die notwendigen Kompetenzen von Beraterinnen und Beratern zu schreiben. Nun ist meine Frau aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit als Pflegedienstleitung von ambulanten Diensten eher sehr praktisch veranlagt. Also lag es an mir, all unsere Überlegungen und Grundlagen von guter Beratung zu Papier zu bringen.

Für die wertvollen Hinweise (»Das ist nicht schlecht!«2) und die konstruktive Kritik im Sinne von »Das versteht so kein Mensch« oder »Kann man das nicht praktischer erklären?« danke ich meiner Frau von Herzen!

_____________

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichte ich künftig auf die weibliche Form »Beraterin«.

2 Für Nichtschwaben: »Ist nicht schlecht« ist eine hohe Form von Lob!

Definition Beratungskompetenz

Beratungskompetenz ist die Kompetenz, andere Menschen so beraten zu können, dass diese sich wahrgenommen fühlen, Vertrauen in den Berater entwickeln können und seine Ratschläge als Grundlage ihrer Entscheidungen gut nutzen und umsetzen können.

Es geht also bei der Beratungskompetenz im Wesentlichen um drei Faktoren (image Abb. 1).

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Abb. 1: Die Faktoren einer guten Beratung.

Also ist eine gute Beratung gar nicht so schwer? Nun, wenn dies so wäre, könnte dieses Buch hier enden oder wäre wahrscheinlich gar nicht geschrieben worden. Doch so einfach ist es eben nicht.

Die Beratungskompetenz wird von mehreren Eigenschaften und Verhaltensweisen bestimmt, die sich voneinander unterscheiden lassen (image Tab. 1).

Die spannende Frage ist dabei, ob man »Berater« lernen kann. Meine These lautet dazu: Man kann Beratung lernen, allerdings sollten die genannten Eigenschaften (image Tab. 1) zumindest teilweise ausgeprägt vorhanden sein. Denn die Eigenschaften eines Menschen grundlegend zu verändern, ist nach vielfältiger Erfahrung nicht möglich. Was Sie aber sehr gut erlernen können, sind die genannten Verhaltensweisen. Die lassen sich trainieren! Womit wir wieder bei diesem Buch wären.

Neben und ergänzend zu den gerade genannten Eigenschaften und Verhaltensweisen benötigt ein guter Berater in der Pflege verschiedene Kompetenzen, die in der Übersicht (image Abb. 2) dargestellt sind und nachfolgend ausführlich beschrieben werden.

Die fachliche und die rechtliche Kompetenz sind sehr gut erlernbar, d. h., Sie können sie sich durch Ausbildung und Fortbildungen aneignen. Die übrigen Kompetenzen liegen primär in Ihrer Person. Es sind also Eigenschaften, die nicht oder nur sehr schwer »erlernbar« sind. Aber ich bin mir sicher, dass Sie sie bereits mitbringen, denn sonst würden Sie dieses Buch gar nicht lesen.

1.1 Die fachliche Kompetenz

Die fachliche Kompetenz eines Beraters in der Altenhilfe umfasst das notwendige Wissen in allen Fragen der Grund- und Behandlungspflege, hauswirtschaftlichen Versorgung und sozialen Betreuung von pflegebedürftigen Menschen.

Dazu ist es notwendig,

den grund- und behandlungspflegerischen Bedarf in Abhängigkeit von den Einschränkungen, aber auch den Ressourcen des Pflegebedürftigen sachgerecht beurteilen zu können,

die (häusliche) Situation umfassend zu betrachten,

die Ressourcen, aber auch die Grenzen der pflegenden Angehörigen zu erkennen,

die Notwendigkeit einer sozialen Betreuung und sozialer Kontakte für den Pflegebedürftigen einzuschätzen.

Diese Kompetenzen erfordern im Regelfall eine abgeschlossene Ausbildung zur Altenpflegerin bzw. zum Altenpfleger oder zur Gesundheits- und Krankenpflegefachkraft.

Mehr zur fachlichen Kompetenz erfahren Sie in den nachfolgenden Kapiteln, jeweils abgestimmt auf die spezifische Beratungssituation.

1.2 Die rechtliche Kompetenz

Neben der fachlichen Kompetenz benötigen Sie als Berater umfangreiche und vor allem aktuelle Kenntnisse aller relevanten Rechtsvorschriften aus dem Bereich des Krankenversicherungs- und des Pflegeversicherungsgesetzes, aber auch der Sozialhilfe. Daneben spielen auch die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, z. B. das Vertragsrecht und die Geschäftsfähigkeit, eine Rolle. Auch das Betreuungsrecht ist in vielen Beratungssituationen von Bedeutung.

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Abb. 3: Wichtige Rechtsgrundlagen für die Beratung in der Altenhilfe.

Fazit Bleiben Sie auf dem Laufenden!

Die rechtlichen Grundlagen haben sich in den letzten Jahren häufig verändert, nicht zuletzt durch die Pflegestärkungsgesetze I bis III. Es reicht daher nicht aus, wenn Sie sich quasi nur ein einziges Mal mit den rechtlichen Grundlagen befasst haben. Sie müssen tatsächlich alle rechtlichen Änderungen in diesem Bereich beobachten und Ihr Wissen ständig auf dem neuesten Stand halten.

Im nächsten Kapitel (image Kap. 2) erläutere ich Ihnen deshalb die wesentlichen, aktuellen Rechtsvorschriften3 und ihre Zusammenhänge. Doch lassen Sie uns nun zunächst weitere wichtige Kompetenzen eines Beraters näher betrachten.

1.3 Die kommunikative Kompetenz

Der gute Berater holt den Ratsuchenden mit seinen Fragestellungen und Problemen ab und verbindet diese mit seinem Wissen und seiner Erfahrung in den angesprochenen Themen mit dem Ergebnis:

zunächst mehr von der Situation des Ratsuchenden zu erfahren,

den Ratsuchenden da abzuholen, wo er mit seinen Problemen steht,

auf dieser Grundlage mögliche Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten,

das Wissen des Ratsuchenden zu erweitern,

den Blick für mögliche Handlungsalternativen zu öffnen,

den Ratsuchenden möglicherweise auch bei der Umsetzung von getroffenen Entscheidungen begleitend zu unterstützen.

Der »Antityp« eines guten Beraters ist demzufolge durch eine Reihe anderer Attribute gekennzeichnet: Er

hört nicht zu,

hat keine Ruhe und keine Zeit,

interessiert sich nicht für Details einer Situation,

arbeitet mit vorgefertigten Lösungen,

weiß alles besser,

drängt seine Lösungen auf,

interessiert sich nicht dafür, wie es dem Ratsuchenden mit der getroffenen Entscheidung geht.

Unter Umständen hatten Sie schon mal eine Begegnung mit einem »Antityp-Berater« und haben gespürt, wie wenig Sie sich verstanden fühlten, dafür umso mehr »überfahren« und gedrängt von den Ratschlägen.

Kommunikation ist eine der schwierigsten »Disziplinen« im menschlichen Zusammenleben. Sie ist geprägt von Missverständnissen und Irritationen. »Gesagt ist nicht gemeint, gesagt ist nicht gehört, gehört ist nicht verstanden und verstanden ist nicht einverstanden«, brachte es einmal Konrad Lorenz, ein bekannter österreichischer Verhaltensforscher, auf den Punkt. Wenn Sie diese Faustregeln kennen und sie bei Ihrer Kommunikation berücksichtigen, vermeiden Sie bereits grundlegende Fehler und erleichtern damit die Verständigung. Kurzum: Sie müssen ständig überprüfen, ob Sie wirklich gesagt haben, was Sie meinten bzw. was bei Ihrem Gesprächspartner angekommen ist und wie er zum Gehörten steht.

Übrigens geht es bei der Eigenschaft »kommunikativ« nicht darum, dass Sie besonders viel reden. Gute Kommunikation besteht nicht nur aus Sprache. Ein kommunikativ guter Berater ist vielmehr in der Lage, die verbalen, nonverbalen und paraverbalen Signale seines Gesprächspartners durch aufmerksames Zuhören und Beobachten aufzunehmen und zu verarbeiten.

1.3.1 Wir kommunizieren ständig

Die bekannte Aussage von Paul Watzlawick, einem berühmten amerikanisch-österreichischen Kommunikationswissenschaftler, lautet: »Der Mensch kann nicht nicht kommunizieren!«

Watzlawick meint damit, dass beim Aufeinandertreffen von zwei oder mehreren Menschen immer Kommunikation stattfindet, auch wenn nicht gesprochen, also verbal kommuniziert wird. Auch Schweigen ist Kommunikation. Besonders in der Kommunikation mit Pflegebedürftigen, die demenziell erkrankt sind, spielt dieser Aspekt eine wichtige Rolle.

Sie kommunizieren also immer, wenn Sie anderen Menschen begegnen. Auch wenn Sie nicht miteinander sprechen, drücken Sie mit Ihrer Mimik und Gestik Gefühle aus, die Sie dem anderen, oftmals unbewusst, mitteilen. Einen anderen Menschen gar nicht mit Blicken zu beachten, ist auch eine klare Botschaft.

1.3.2 Die Ebenen der Kommunikation

Menschen kommunizieren auf drei Ebenen (image Abb. 4) miteinander: verbal, nonverbal und paraverbal.

1. Die verbale Kommunikation besteht aus dem gesprochenen Wort, also der Sprache. Diese nehmen wir mit dem Ohr als wichtigstem Sinnenorgan auf. Problematisch wird diese Form der Kommunikation dann, wenn wir unterschiedliche Sprachen sprechen. Sie kennen das vielleicht aus dem Urlaub in einem Land, dessen Sprache Sie nicht sprechen und verstehen.

2. Die nonverbale Kommunikation erfolgt über Mimik und Gestik. Denken Sie wieder an Ihren letzten Urlaub in einem fremden Land. Weil Sie die Sprache nicht verstanden haben, redeten Sie viel mehr als sonst mit Händen und Füßen. Sie lächelten, um Ihre Freundlichkeit zu betonen, hoben die Arme, um Unverständnis zu signalisieren etc. Sie haben damit ganz gezielt das Auge Ihres Gegenübers angesprochen.

3. Die paraverbale Kommunikation bezeichnet die Lautstärke und die Sprachmelodie, wenn Menschen miteinander sprechen.

Diese Ebenen der Kommunikation verbinden sich zu einem »Gesamtbild«, das uns das Verstehen erleichtert. Nur auf einer Ebene zu kommunizieren, provoziert Missverständnisse und hilft nicht dabei, dass wir einander gut verstehen. Daher rate ich auch immer wieder davon ab, Beratungen am Telefon durchzuführen. Ihnen fehlen dabei die wichtigen Erkenntnisse aus dem nonverbalen Verhalten des Ratsuchenden. Schaut er fragend, wendet er sich ab, runzelt er kritisch die Stirn? Sie werden das am Telefon nicht herausfinden. Ebenso bedenklich ist die Weitergabe von wichtigen Informationen per SMS oder E-Mail. Da helfen auch die häufig verwendeten Smileys nicht wirklich weiter.

Richtig interessant und spannend wird die Kommunikation, wenn verbale, nonverbale und paraverbale Signale widersprüchlich sind. Was kommt beim Empfänger als Botschaft an?

Ein einfaches Beispiel: Stellen Sie sich vor, Ihr Chef steht vor Ihnen, die Arme verschränkt, das Gesicht grimmig. Aber er sagt: »Eine tolle Leistung, gratuliere!« Würden Sie ihm das glauben? Wohl eher nicht. Dieses kleine Beispiel zeigt, dass im Zweifel das gesprochene Wort, also die verbale Kommunikation die geringste Wirkung hat, wenn nonverbales und paraverbales Verhalten eine andere Sprache sprechen.

1.3.3 Das »Vier-Ohren-Modell« von Schulz von Thun

Das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun sagt im Kern aus, dass wir mit vier Ohren hören und auf vier Kanälen senden. Der Kommunikationsforscher Schulz von Thun entwickelte ein eingängiges Modell der Kommunikation. »Danach enthält jede Äußerung oder Nachricht zwischen Menschen vier Aspekte, die stets gleichzeitig wirksam sind. Schulz von Thun spricht daher von einem ›Quadrat der Nachrichten‹, das aus Sachinhalt, Beziehung, Selbstoffenbarung und Appell besteht.«4

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Abb. 5: Das Quadrat der Nachrichten.

Auch hier gilt wieder die Erkenntnis, dass die Wirkung des »Sachverhaltsohres«, also die gesprochene Botschaft, im Zweifel die geringste Wirkung entfaltet.

Betrachten wir nun nicht den Empfänger, sondern den Sender einer Botschaft, kommuniziert dieser genauso mit vier Kanälen, also der Sprache (Sachverhaltsohr), dem Appell (vor allem paraverbal), der Selbstoffenbarung (paraverbal und nonverbal) und der Mitteilung über die Beziehung (paraverbal und nonverbal).

Beispiel Die Sache mit der Sauce

Stellen Sie sich vor, Sie säßen gemütlich am Mittagstisch. Sie haben extra für Ihre Familie gekocht, sind entsprechend stolz und hören plötzlich Ihre Frau fragen: »Was ist das Grüne in der Sauce?«

Die Sachverhaltsmitteilung ist klar und eindeutig. Ihre Frau fragt nach einem grünen Bestandteil in der von Ihnen zubereiteten Sauce.

Aber was kommt bei Ihnen an?

Das ist abhängig von der Beziehung, dem Appell und der Selbstoffenbarung. Diese Bestandteile werden nonverbal und paraverbal »übersandt«.

Ihre positive Interpretation:

»Das Grüne in der Sauce schmeckt richtig gut, ich bin neugierig, was du da für eine Zutat verwendet hast.« – »Verwende das doch öfter, das macht deine Sauce noch ein Stückchen besser.« – «Ich bin so froh, dass ich immer wieder dein gutes Essen genießen darf.«

Ihre negative Interpretation:

»Das Grüne in der Sauce sieht unappetitlich aus.« – »Nimm das nie mehr.« – »Und ich muss diese eklige Sauce wieder im wahrsten Sinne des Wortes auslöffeln.«

Sie merken, ohne die Möglichkeit, auf allen vier Kanälen zu senden und auf allen vier Ohren zu hören, sind verbale Inhalte einer Botschaft kaum interpretierbar.

Kommunikative Kompetenz heißt für Sie als Berater:

Sie sind sich der »Tücken« der Kommunikation stets bewusst.

Sie wissen, dass Kommunikation nicht erst mit dem Gespräch beginnt.

Sie senden eindeutige Botschaften.

Sie berücksichtigen alle vier Ohren des Ratsuchenden, achten also besonders auf nonverbale und paraverbale Signale.

Sie hören gut, also aufmerksam zu.

Sie signalisieren dem Ratsuchenden (überwiegend nonverbal), dass Sie ihm zuhören.

Sie unterbrechen den Redefluss des Ratsuchenden nur dann, wenn er sich (ständig) wiederholt.

Sie beraten möglichst nicht am Telefon.

Sie denken ab und zu an das Sprichwort: »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«

1.3.4 Wahrnehmung und Beurteilungsfehler in der sozialen Wahrnehmung

In der Wahrnehmungsforschung begegnen wir vier typischen Merkmalen (image Abb. 6):

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Abb. 6: Merkmale der Wahrnehmung.

Zur Ungenauigkeit unserer Wahrnehmung ein kleines Beispiel aus der Sauna: Herr Müller betritt den Ruheraum nach einem 20-minütigen Saunagang. Er empfindet die Temperatur von 23 Grad Celsius als eher kühl. Anders dagegen Herr Schulze, der aus dem 5 Grad kalten Außenbereich hereinkommt. Er empfindet die Temperatur als merklich wärmer als 23 Grad.

Die Wahrnehmung unterliegt dem Merkmal der »Subjektivität«. Die Bewertung einer Wahrnehmung ist immer abhängig vom Betrachter, von seiner Haltung, seiner Gefühlslage, seinen Erfahrungen und seiner Motivation. Wie Sie etwas empfinden, hängt immer von Ihren Erfahrungen und Ihrer aktuellen seelischen Verfassung ab.

Der Mensch nimmt selektiv wahr. Wenn zwei Menschen den gleichen Gegenstand betrachten, sieht A unter Umständen Details, die B gar nicht wahrnimmt. Ursächlich dafür ist die Wirkungsweise des »Wahrnehmungsfilters«.

Würden wir ständig alles wahrnehmen, wäre unser Gehirn vollkommen überfordert und deshalb wählt es aus, was wir wahrnehmen. Es filtert die Realität, präsentiert uns einen Ausschnitt davon. Und der ist auch noch abhängig von unseren eigenen Werten, (Vor-)urteilen und Vorlieben, die wir im Laufe unseres Lebens herausbilden.

1.3.5 Wie funktioniert überhaupt unsere Wahrnehmung?

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Abb. 7: Wahrnehmung über die Sinne.

Unsere Sinnesorgane nehmen alle Reize auf und leiten sie über die sensorischen Nervenbahnen an das Gehirn weiter. Dort werden sie in Empfindungen umgewandelt und in einen Zusammenhang mit bereits vorliegenden Erfahrungen eingeordnet und bewertet. Entsprechend dieser Erfahrungen erfolgt dann eine Reaktion auf den Reiz.

Nun zur Filterwirkung: Das Ultrakurzzeitgedächtnis filtert alle Reize in Sekundenbruchteilen aus, die für uns nicht interessant oder relevant sind. Dieser Filter schützt uns vor einer Reizüberflutung, die wir nicht mehr verarbeiten könnten.

Kennen Sie die Situation? Ein Auto fährt vor Ihnen und plötzlich ist es nicht mehr da. Sie haben keine Ahnung, ob und wo der Wagen abgebogen ist! »Schuld« an dieser Unkenntnis ist dieses Ultrakurzzeitgedächtnis, das diese Wahrnehmung als nicht relevant gelöscht hat.

Hätte aber in diesem Auto eine tolle Frau oder ein toller Mann gesessen, der Sie interessiert hätte, wüssten Sie ganz genau, wo und in welche Richtung das Auto gefahren ist.

Die Phänomene der Ungenauigkeit, Subjektivität und Selektivität kennt die Polizei aus unzähligen Zeugenbefragungen. Wie groß war der Täter? War es überhaupt ein Mann? Hatte er dunkle oder helle Haare? Wie war er gekleidet? Je mehr Zeugen, umso mehr unterschiedliche Aussagen gibt es dazu!

Der Vollständigkeit halber kommen wir noch zu dem vierten Merkmal der Wahrnehmung, der Wahrnehmungskonstanz. Ein erwachsener Mensch weiß aus Erfahrung, dass Menschen nicht kleiner werden, wenn sie sich räumlich von uns entfernen. Wenn wir aus dem 30. Stock eines Hochhauses auf die Straße blicken, wissen wir, dass die wie Ameisen wirkenden Fahrzeuge eben doch 3,5 oder vier Meter lang sind. Die Wahrnehmungskonstanz bezeichnet unsere Fähigkeit, Objekte unverändert wahrzunehmen, auch wenn sich Entfernungen, Perspektiven oder Lichtverhältnisse ändern.

1.3.6 Beurteilungsfehler in der sozialen Wahrnehmung

Wenn wir andere Menschen einschätzen und beurteilen, ist dies immer subjektiv. Kein Mensch kann objektiv wahrnehmen bzw. beurteilen. Die Beurteilungsfehler in der sozialen Wahrnehmung sind also weniger Fehler als vielmehr eine menschliche Angewohnheit.

Beurteilungsfehler in der sozialen Wahrnehmung sind:

Primacy-Effekt

Hof-Effekt (Halo-Effekt)

logischer Fehler

Tendenz zur Mitte

Sympathiefehler

Projektion

Übertragung

Der Primacy-Effekt beschreibt, dass sich ein erster Eindruck von einer anderen Person, so wenig dieser auch durch weitere Wahrnehmungen abgesichert ist, relativ fest in unserer Einschätzung verankert. Oft brauchen wir viele gegenteilige Eindrücke, bevor wir in der Lage sind, einen ersten (positiven oder negativen) Eindruck zu revidieren.

Der Hof-Effekt, auch Halo-Effekt genannt, beschreibt einen Wahrnehmungsfehler, bei dem eine Eigenschaft einer anderen Person alle anderen Wahrnehmungen zu dieser Person »überstrahlt«.

Beim logischen Fehler wird von einer Eigenschaft einer Person auf eine andere Eigenschaft geschlossen, obwohl kein logischer Bezug besteht. »Wer langsam spricht, arbeitet auch langsam.« Bezieht sich dies auf eine ganze Personengruppe, spricht man von einem Stereotyp: »Alle Franzosen trinken Rotwein.« – »Alle Italiener sind klein.« Das sind zwei typische Beispiele. Auch über alte Menschen gibt es sogenannte Stereotype, zum Beispiel:

Alte Menschen riechen nicht gut.

Alte Menschen sind stur und unnachgiebig.

Alte Menschen verstehen nichts von Technik.

Der Beurteilungsfehler »Tendenz zur Mitte« beschreibt unsere Neigung, bei der Beurteilung von anderen Menschen selten in die positiven oder negativen Extreme zu gehen. Wir bleiben eher in der Mitte. Das ist ein Grund, warum standardisierte Beurteilungsvordrucke im Personalbereich beispielsweise keine 5-Punkte-Skala enthalten sollten.

Wir wissen es ja alle: »Liebe macht blind.« Wir sprechen dabei vom Sympathiefehler. Wenn wir jemanden nett und sympathisch finden, nehmen wir verstärkt positive Eigenschaften des anderen wahr. Die negativen Wahrnehmungen werden eher verdrängt bzw. übersehen. Natürlich geht dies auch in umgekehrter Richtung, wenn wir jemanden eher unsympathisch finden. Das sollten Sie ganz besonders im Beratungsprozess beherzigen, bei dem Sie ganzheitlich und nicht sympathiebezogen wahrnehmen müssen.

Sigmund Freud prägte den Begriff »Projektion«. Er bringt damit zum Ausdruck, dass der Mensch dazu neigt, eigene Eigenschaften, die er nicht wahrhaben will, auf eine andere Person zu projizieren. Wenn Sie selbst zu Unordnung neigen, kann es passieren, dass Sie diese Eigenschaft auf eine pflegende Angehörige projizieren, obwohl diese eigentlich gar nicht unordentlich ist.

Ebenfalls aus der Psychoanalyse stammt die »Übertragung«. Gemeint ist damit, dass wir Gefühle gegenüber einer bestimmten Person auf eine andere Person übertragen, weil diese uns an eine Person erinnert.

In diesem Zusammenhang ist es auch noch wichtig, sich kurz mit dem Phänomen der »Selbsterfüllenden Prophezeiung« zu beschäftigen. Der amerikanische Psychologe Robert Rosenthal hat sich in einem Experiment mit dieser self-fullfilling-prophecy auseinandergesetzt. Er benannte seinen Dozentenkollegen eine kleine Gruppe von Studenten und teilte mit, dass diese überaus fleißig und begabt seien. Tatsächlich waren diese die schwächsten Studenten im gesamten Jahrgang. Die Dozenten forderten und förderten aber diese vermeintlich leistungsstarke Gruppe und tatsächlich entwickelten sich die meisten zu sehr guten Studenten.

Zurück zu unserem Beispiel mit Herrn Maier: Weil die Pflegefachkraft Angela sehr liebevoll mit Herrn Maier umgeht, verhält sich Herr Maier auch sehr freundlich im Umgang mit ihr.

1.3.7 Fremdbild und Selbstbild

Haben Sie sich schon des Öfteren gefragt, was andere Menschen über Sie denken? Vielleicht erhalten Sie von vertrauten Personen in Ihrem Umfeld sogar eine ehrliche Rückmeldung? Dann haben Sie die Chance, Ihr Fremdbild mit Ihrem Selbstbild abzugleichen! Sehr häufig haben andere Menschen ein anderes Bild von uns als wir selbst. So wird beispielsweise Schüchternheit und Zurückhaltung von anderen Menschen oft als Arroganz ausgelegt.

Ihr Selbstbild orientiert sich stark an Ihrem Ideal oder Wunschbild. Es wird sich im Lauf Ihres Lebens wandeln, etwa von der hippen jungen Frau zur gestandenen Führungskraft.

Das Fremdbild ist jenes Bild, das andere von Ihnen haben und das Sie Ihnen – häufig nur auf Nachfrage – mitteilen. Da wäre die Arroganz (die Sie als Schüchternheit verspüren), da ist vielleicht eine Leistungsbereitschaft (die Sie als ganz normalen Einsatz für Ihren Beruf verbuchen) oder aber eine Grimmigkeit (die Sie als intensives Nachdenken empfinden).

Weicht Ihr Selbstbild sehr vom Fremdbild ab, sollten Sie sich fragen, woran das liegen kann. Seien Sie, wie Sie sind und spielen Sie nicht etwas vor, was Sie nicht sind, Ihr Gegenüber wird dies spüren!

1.4 Die personale Kompetenz

Definition Die personale Kompetenz

Die personale Kompetenz umfasst alle Eigenschaften und Verhaltensweisen, die es einer Person ermöglichen

Aufgaben zu bewältigen,

Lösungsstrategien zu entwickeln und

die Fähigkeit zu besitzen, anderen Menschen in einem sozialen Miteinander zu begegnen.

In der Literatur wird die personale Kompetenz manchmal auch als Selbstkompetenz bezeichnet. Konkret geht es um Eigenschaften, die in der Beratungsarbeit wichtig und notwendig sind:

Eigene Normen und Werte

Der Berater sollte eigene, gefestigte Vorstellungen von einer guten Pflege und einem wertschätzenden Umgang mit Pflegebedürftigen und Angehörigen haben. Dazu gehört auch ein positives Menschenbild, vor allem gegenüber den alten und pflegebedürftigen Menschen.

Verantwortlichkeit

Diese umfasst nicht nur den verantwortungsbewussten Umgang mit der Klientel, sondern auch die Übernahme von Verantwortung für das Tun und Handeln sowie die Eigenverantwortlichkeit für das eigene Wohlbefinden.

Kreativität

Sie müssen kein Künstler sein, keine Angst! Aber kreatives Denken und Handeln sind in der Beratungsarbeit oft sehr hilfreich. Die Situationen und Lebensumstände von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, die Sie in der Beratung antreffen, sind sehr unterschiedlich und erfordern immer wieder kreative Lösungen. Ein »Modell von der Stange« passt in den wenigsten Fällen, vielmehr ist Individualität gefragt. Seien Sie kreativ beim »Schneidern von passenden Lösungen« und denken Sie auch mal um die Ecke. Vielleicht verbirgt sich dahinter genau die Hilfe, die maßgeschneidert auf den Einzelfall passt.

Aufgeschlossenheit

Wer in seiner eigenen Vorstellungswelt gefangen und nicht bereit ist, auch anderen Sicht- und Lebensweisen gegenüber aufgeschlossen zu sein, kann kein sehr guter Berater sein. Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen, wie sie ihr Leben und ihr Lebensumfeld gestalten. Das gilt für die Tagesstruktur ebenso wie für die Interessen, für das Aussehen und die Kleidung genauso wie für die angemessene Hygiene, die Beziehungen zu anderen Menschen etc.

Motivation und Engagement

Ohne Motivation und Engagement kann keine Aufgabe gelingen bzw. wird meist gar nicht erst begonnen. Dies gilt natürlich auch im Setting der Beratung, sogar in besonderem Maße. Die Beratenen merken sehr schnell, ob der Berater eigenmotiviert ist und sie auf sein Engagement bauen können. Natürlich kann man nicht zu jeder Zeit immer volles Engagement zeigen, aber eine gute intrinsische5 Motivation sorgt dafür, dass Sie auch an »schlechten Tagen« über ein erforderliches Mindestmaß an Motivation verfügen.

Lernbereitschaft

Die Altenhilfe ist im ständigen Wandel, was heute gilt, kann sich schon morgen geändert haben. Daher ist die Bereitschaft, immer Neues zu lernen, für einen Berater unerlässlich.

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Abb. 8: Quellen für Ihre eigene fachliche Weiterentwicklung.

Flexibilität

Ein kleines Beispiel: Bei der Terminvereinbarung hat die Tochter der pflegebedürftigen Frau Müller Ihnen bereits mitgeteilt, dass das wichtigste Thema der Beratung die Körperpflege ist. Darauf haben Sie sich intensiv vorbereitet. Doch Sie merken beim Gespräch sehr schnell, dass im Mittelpunkt die psychische Überlastung der Tochter steht. Jetzt sind Sie gefordert, sich schnell auf diese neue Beratungssituation einzustellen.

Planen Sie auch Ihre Beratungstermine flexibel, um nicht in unnötigen Zeitdruck zu geraten. Lassen Sie genügend Puffer zwischen den Terminen, um auf alle Eventualitäten eingestellt zu sein. Wenn Sie unter Zeitdruck stehen, ist dies weder für Ihre Klientel noch für Sie selbst befriedigend. Beratung kostet Zeit, die Sie sich nehmen sollten!

Ausdauer und Belastbarkeit

Vor längerer Zeit sagte einmal eine Pflegekraft zu mir: »Sie haben es leicht, Sie beraten ja nur!« Abgesehen davon, dass eine gewisse Leichtigkeit in der Beratung eine gute Basis ist, war ich doch etwas verwundert. Eine Beratung erfordert sehr wohl Ausdauer und eine hohe Belastbarkeit.

Ausdauer ist in vielen Fällen schon deshalb erforderlich, weil es nicht einfach ist, den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen die rechtlichen Hintergründe des SGB V oder des SGB XI zu erläutern. Die Übersetzung der Rechtsvorschriften in die Sprache der zu Beratenden erfordert eine hohe Ausdauer und vor allen Dingen viel Geduld.

Die Situationen, die Ihnen in der Beratungsarbeit begegnen werden, sind oftmals auch sehr belastend. Sie begegnen schweren Schicksalen und müssen mit den Gefühlen der Betroffenen adäquat umgehen können. Das geht nicht spurlos an Ihnen vorbei und belastet oft auch noch lange nach der Beratung. Wichtig ist dabei, auf Sie auf der einen Seite die notwendige Nähe herstellen können, andererseits aber auch die erforderliche professionelle Distanz wahren. Das ist nicht immer einfach. Fordern Sie im Bedarfsfall die notwendige Unterstützung in Form von Supervision oder Coaching an.

Kritikfähigkeit

In vielen Beratungssituationen ist es unabdingbar, Kritik zu üben (aktive Kritikfähigkeit). Sie werden dies besonders in den Beratungsbesuchen nach § 37 Abs. 3 SGB XI erleben, wenn Sie den Eindruck gewinnen, dass eine gute Pflege nicht oder nur unzureichend gewährleistet ist. Kritik zu äußern ist nicht einfach, doch machbar und auch annehmbar, wenn folgende Regeln beachtet werden:

Immer das Verhalten, nie die Person kritisieren

Es macht einen großen Unterschied, ob Sie sagen: »Der Pflegezustand Ihrer Mutter ist nicht zufriedenstellend« oder: »Sie haben Ihre Mutter pflegerisch vernachlässigt.«

Kritik immer begründen

Begründen Sie an konkreten, nachvollziehbaren Beispielen, worauf sich Ihre Kritik bezieht.

Konstruktive Kritik äußern

Stellen Sie nicht nur fest, sondern zeigen Sie Wege auf, wie es besser gehen könnte. Damit helfen Sie dem Betroffenen, sein Verhalten positiv zu verändern.

Sagen Sie immer »Ich«, nicht »Man«

Also nicht: »Man könnte meinen, dass Ihnen die Pflege Ihrer Mutter nicht wichtig ist«, sondern: »Ich habe das Gefühl, dass Sie mit der Pflege Ihrer Mutter überfordert sind.«

Die passive Kritikfähigkeit ist die Fähigkeit und auch die Bereitschaft, Kritik von anderen anzunehmen. Natürlich fällt es uns leichter, wenn der Kritisierende die oben genannten Regeln beachtet. Aber darauf können Sie nicht bauen und anders geäußerte Kritik ignorieren oder ablehnen. Entscheidend ist, wie Sie grundsätzlich zu Kritik an Ihrem Verhalten stehen. Empfinden Sie Kritik als Kränkung oder als Chance zur eigenen Reflexion und Verbesserung? Sie sollten nie vergessen, dass Sie professionell handeln und damit verpflichtet sind, professionell auf Kritik zu reagieren, auch wenn es im Herzen weh tut!

1.5 Die empathische Kompetenz

Definition Empathie

Empathie bezeichnet einerseits die Fähigkeit und Bereitschaft, »Empfindungen mit anderen zu teilen, die Fähigkeit, uns in die Situation von anderen Menschen zu versetzen als auch das Gefühl fürsorglicher Anteilnahme am Schicksal anderer Menschen.«*

* Hampel I. (2011): Die Entwicklung der Empathiefähigkeit von der Geburt bis zur Einschulung. Grin Verlag, S. 6

Die empathische Kompetenz ist ein wichtiger Faktor für eine gute Beratung. Nur wenn Sie sich in andere Menschen und ihre Gefühle einfühlen können, haben Sie einen Ansatzpunkt für Ihre Beratungstätigkeit. Sie müssen die Menschen dort abholen, wo sie sich (gefühlsmäßig) gerade befinden.

Empathie kann man nicht lernen. Sie ist ein Teil unseres Charakters und wird meist schon in den ersten Lebensjahren durch unsere Erfahrungen und unsere Sozialisation geprägt.

Die Wissenschaft unterscheidet drei Formen der Empathie:

1. Unter »emotionaler Empathie« versteht man die Fähigkeit, das Gleiche zu empfinden wie der andere (Mitgefühl oder emotionale Sensitivität).

2. Die »kognitive Empathie« lässt uns nicht nur die Gefühle, sondern auch die Gedanken und die Motive des anderen verstehen. So können wir Schlussfolgerungen aus dem konkreten Verhalten anderer ableiten.

3. »Soziale Empathie« ermöglicht es uns, komplexe soziale Systeme mit ganz unterschiedlichen Menschen zu verstehen.

Alle drei Formen der Empathie sind in der Beratung von Bedeutung. Der Pflegebedürftige und seine Angehörigen erwarten (zurecht) Mitgefühl für die Situation, in der sie sich befinden. Ihre Empathie und Ihr Mitgefühl ist der emotionale Zugang zu den Klienten. Sie fühlen sich ernstgenommen und verstanden. Dieses Verständnis für die Gedanken und Absichten Ihrer Klienten ist wichtig, um deren bisherigen und auch künftigen Verhaltensweisen zu verstehen. Die soziale Empathie bringt Ihnen Einblicke in das Familiensystem der Betroffenen und zeigt Ihnen die Bezüge untereinander auf.

Es gibt jedoch auch ein »zu viel« an Empathie. Manche Menschen haben eine so hohe Empathiefähigkeit, dass sie oft von den Gefühlen anderer mitgerissen werden. Das ist erst einmal nichts Schlimmes, aber wenn es dazu führt, dass eigene Wünsche und Bedürfnisse immer zurückgestellt werden, um anderen in schwierigen Situationen zu helfen, ist dies auf Dauer problematisch. Wir nennen es das »Helfersyndrom«, das die Betroffenen zu sehr in die Schicksale ihrer Klientel verwickelt und dadurch psychisch belastet.

Bedenken Sie, dass der Betroffene von Ihnen nicht erwartet, dass Sie gemeinsam mit ihm die schlimme Situation »beweinen«. Er erwartet vielmehr die konkrete Hilfe eines kompetenten Beraters.

Eine weitere negative Folge des Helfersyndroms kann sein, dass der Helfer den Betroffenen in guter Absicht entmündigt, indem er für ihn Entscheidungen trifft. Ein solches Verhalten hat nichts mehr mit professioneller Beratung zu tun!

1.6 Zuhören und Interpretieren

Wie oft ertappen wir uns selbst, dass wir nur »mit halbem Ohr« zuhören?

Die Gründe dafür sind oft vielfältig:

Wir sind mit unseren eigenen Gedanken ausreichend beschäftigt.

Das Gehörte interessiert uns nicht wirklich.

Wir wollen es gar nicht hören, weil es unserer eigenen Meinung widerspricht.

Wir glauben, ohnehin schon alles Wichtige zu wissen.

Dabei ist aufmerksames Zuhören in der Beratung nicht nur unerlässlich, sondern auch ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung gegenüber Ihren Klienten und deren Angehörigen. Eine Angehörige sagte einmal zu mir: »Die Beraterin war nett, aber es hat sie nicht wirklich interessiert, wie es uns geht.« Das darf nicht passieren.

Schließlich ist es zur Erfassung der gesamten Situation notwendig, so viel Information wie möglich zu erhalten. Auf ein Gespräch können Sie sich am besten konzentrieren, wenn Sie bewusst alle anderen Gedanken zur Seite zu schieben. Dies kann gelingen, indem Sie

alle anderen Gedanken extern speichern, z. B. auf einen Notizzettel oder in Ihrer Aufgabenliste im PC,

sich die Wichtigkeit der Beratung für die Betroffenen immer wieder vor Augen führen,

unvoreingenommen in das Gespräch gehen,

nicht schon alle Lösungen im Kopf haben,

bereit sind, sich auf neue Situationen einzulassen und

versuchen, mit den Augen und Ohren der Klienten zu »hören«.

Ein Patentrezept gibt es sicher nicht, aber Sie sollten sich bewusst sein, dass Sie während der Beratung ohnehin keine Lösungen für Ihre privaten Sorgen und Probleme finden werden! Blenden Sie Ihre anderen Gedanken so weit wie möglich aus und hören Sie zu.

1.6.1 Aktiv zuhören

Sicherlich versuchen Sie, im Gespräch mit dem Pflegebedürftigen und seinen Angehörigen aufmerksam zuzuhören. Doch merken das Ihre Gesprächspartner? Achten Sie auf die verbalen und nonverbalen Signale Ihrer Gesprächspartner und nehmen Sie diese zum Anlass, Ihr eigenes »Zuhör«-Verhalten anzupassen.

Signale, die darauf schließen lassen, dass Ihre Gesprächspartner daran zweifeln, ob Sie aufmerksam zuhören:

Nachfragen in Form von »Haben Sie mir zugehört?«

skeptische Blicke

Zunahme der Sprechgeschwindigkeit

Zunahme der Lautstärke des Sprechenden

stockender Redefluss, Schweigen

Aktiv zuhören bedeutet:

Blickkontakt zum Sprechenden halten

durch nonverbale Signale (z. B. Nicken) zeigen, dass Sie bei der Sache sind

Zwischenbemerkungen machen (z. B. »Das ist interessant«)

Wesentliches notieren (vorher ankündigen, sonst könnte es beim Gesprächspartner zu Irritationen führen)

gezielt nachfragen, wenn etwas für Sie unklar ist

1.6.2 Fragetechniken für den Informationsgewinn

»Geschickt gefragt ist halb an Information gewonnen.« Dabei können Sie unterschiedliche Fragetechniken anwenden.

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Abb. 12: Die wichtigsten Fragetechniken.

W-Fragen sind alle Fragen, die mit einem »W« beginnen, also wie, warum, wieso, weshalb, womit, wo, woher etc. Man nennt die W-Fragen auch »offene Fragen«, da der Gefragte in seiner Antwort nicht eingeschränkt wird und auch nicht mit Ja oder Nein antworten kann.

Bei geschlossenen Fragen sind die Fragen so formuliert, dass der Gefragte mit Ja oder Nein antworten kann. Sie eignen sich für Sachverhalte, die nicht erläutert werden müssen und eindeutig beantwortet werden können.

Alternativfragen zählen ebenfalls zu den geschlossenen Fragen. Die Frage ist so gestellt, dass sich der Gefragte zwischen zwei oder mehreren Alternativen entscheiden kann. Sie eignen sich für Sachverhalte, bei denen nur die genannten Alternativen realisierbar sind.

Suggestivfragen sind so gestellt, dass der Antwortende bereits durch die Fragestellung zu einer bestimmten Antwort gedrängt wird. Sie werden meist manipulativ angewandt und machen es dem Antwortenden schwer, eine andere Antwort als die »vorgegebene« zu geben.

Reflektierende Fragen haben das Ziel, die Aussagen des Gesprächspartners zu reflektieren. Sie sind auch geeignet, um ein aktives Zuhören zu demonstrieren.

Rhetorische Fragen sind im eigentlichen Sinn keine echten Fragen. Vielmehr erwartet der Sprecher keine Antwort vom Gegenüber. Rhetorische Fragen werden hauptsächlich bei Vorträgen eingesetzt, um die Zuhörer in eine bestimmte gedankliche Richtung zu lenken.

1.7 Test: Sind Sie ein kompetenter Berater?

Nachdem wir jetzt alle wichtigen Grundlagen der Beratung besprochen und beschrieben haben, stellt sich für Sie wahrscheinlich die Frage: »Habe ich die entsprechenden Kompetenzen, um gut beraten zu können?« Machen Sie den Test!

1.7.1 Selbsttest zur Beratungskompetenz

Kreuzen Sie jeweils an, was bei Ihnen am ehesten zutrifft!

Tab. 2: Wie viel Beratungskompetenz haben Sie?

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1.7.2 Auswertung

Übertragen Sie Ihre Antworten in die jeweiligen Felder und addieren Sie die insgesamt erreichte Punktzahl.

Tab. 3: Die Auswertungstabelle

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Insgesamt konnten Sie maximal 76 Punkte erzielen.

76–65 Punkte: Sie verfügen über eine sehr ausgeprägte Kompetenz zur Beratung im Feld der sozialen Arbeit.

64–50 Punkte: Sie sind für eine Beratungstätigkeit in der sozialen Arbeit gut geeignet.

49–30 Punkte: Sie sollten gezielt noch einige Beratungskompetenzen erwerben, um Ihren Kunden gerecht zu werden.

Unter 30 Punkte: Sie sind Sie wohl ein Mensch, dem die Beratung nicht »auf den Leib« geschrieben ist. Das ist nicht schlimm!

Erläuterungen

»Mein erster Eindruck täuscht mich nie.«

Der erste Eindruck täuscht uns öfter, als wir denken. Es wäre Ihrem Gegenüber nicht angemessen, ihn dauerhaft nach Ihrem ersten Eindruck zu bewerten. Denken Sie an die Beurteilungsfehler in der sozialen Wahrnehmung (image Kap. 1.3.6!

»Ich kann gut verkaufen.«

In der Beratung in der Altenhilfe geht es nicht darum, etwas gut zu verkaufen. Vielmehr sollten Sie den Gesprächspartner durch Ihre Beratung in die Lage versetzen, selbstverantwortlich Entscheidungen zu treffen; auch die, welche Leistungen er sich »einkaufen« möchte.

»Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«

Beratung besteht zwar überwiegend aus zuhören und beobachten. Aber nur zu schweigen hieße, den wesentlichen Teil der Beratung auszuklammern. Es ist aber nicht Sinn der Beratung, die gewonnenen Erkenntnisse ungenutzt mit nach Hause zu nehmen.

»Ich durchschaue meine Mitmenschen schnell.«

Eine gute Menschenkenntnis ist sehr hilfreich in der Beratungstätigkeit. Doch glauben Sie bitte nicht, dass es Ihnen immer gelingt, Menschen schnell durchschauen zu können.

»Ich neige zu Perfektionismus.«

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842689756
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Februar)
Schlagworte
Altenpflege Medizin Pflege Pflegemanagement

Autor

  • Jürgen Link (Autor:in)

Jürgen Link ist Diplom Verwaltungswirt/Betriebswirt und arbeitete viele Jahre in leitenden Positionen in der Altenpflege. Er ist Inhaber der Firma JuLi-Beratung & Coaching.
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Titel: Beratungskompetenz in der Altenhilfe