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100 Fragen zum Arbeitsrecht für Pflegekräfte

Aktuelles Fachwissen für Fach- und Führungskräfte. Kompetente Antworten & praktische Tipps.

von Martina Weber (Autor:in)
128 Seiten
Reihe: Pflege Praxis

Zusammenfassung

Das Arbeitsrecht für Pflegekräfte ist ein komplexes Rechtsgebiet. Eine ganze Fülle von Gesetzen und Verordnungen sind zu beachten. Aktuelle Gerichtsentscheidungen bringen neue Interpretationen. Dabei haben Pflegekräfte ganz konkrete Fragen:
- Darf der neue Arbeitgeber beim alten Arbeitgeber Erkundigungen einziehen?
- Muss eine Teilzeitkraft Überstunden leisten?
- Ist eine Kündigung wegen Unpünktlichkeit rechtmäßig?
- Darf man eine Nebentätigkeit ausüben?

Diese und weitere 96 Fragen werden in diesem Buch beantwortet: kompakt, leicht verständlich und praxisnah.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Da die berufliche Arbeit einen zentralen Stellenwert im Leben der meisten Erwachsenen einnimmt, wirkt sich die Rechtslage im Arbeitsrecht spürbar auf den Arbeits- und Lebensalltag aus. Das Arbeitsrecht ist ein Rechtsgebiet, das ständig im Wandel ist. Der Gesetzgeber reagiert auf neue gesellschaftliche Herausforderungen und gestaltet sie mit.

Die Rechtsgrundlagen im Arbeitsrecht verteilen sich auf zahlreiche Rechtsquellen wie Gesetze, Tarifverträge und den einzelnen Arbeitsvertrag, aber auch europäisches Gemeinschaftsrecht. Durch bloßes Lesen dieser Rechtsgrundlagen erschließt sich die Rechtslage in den seltensten Fällen. Einer der Gründe dafür liegt darin, dass das Arbeitsrecht in besonderem Maß durch Richterrecht geprägt ist, also durch Gerichtsentscheidungen, die den abstrakten Gesetzestext anhand konkreter Fälle interpretieren.

In diesem Buch sind 100 Fragen zum Arbeitsrecht zusammengestellt: klassische Standardfragen einerseits, und andererseits spezielle Fragen, die den Pflegebereich betreffen. Für die Neuauflage habe ich das Buch auf den aktuellen Stand gebracht und zahlreiche Fragen eingefügt, die neuere Rechtsprobleme, Rechtsprechungsfälle sowie Gesetzesänderungen aufgreifen, z. B.

die Einführung der Brückenteilzeit,

Änderungen im Mutterschutzgesetz,

die Frage nach der Religionszugehörigkeit als Einstellungskriterium eines kirchlichen Arbeitgebers,

die Frage nach der Umkleidezeit als Arbeitszeit,

die Abschaffung bezahlter Raucherpausen.

Dieses Buch richtet sich an Führungskräfte im Pflegebereich und an die einzelne Pflegefachkraft im stationären und ambulanten Bereich. Es bietet möglichst präzise Auskünfte auf konkrete arbeitsrechtliche Fragen, die sich immer wieder stellen.

Frage 1: Muss ein Arbeitnehmer, der einen Termin für ein Vorstellungsgespräch wahrnehmen möchte, bei seinem aktuellen Arbeitgeber Urlaub nehmen?

Es kommt darauf an, ob sich der Arbeitnehmer in einem gekündigten oder in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet. § 629 BGB gewährt einen Anspruch auf Freizeit zur Stellensuche. Nach § 629 BGB hat der Arbeitgeber nach Kündigung eines dauernden Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen angemessene Zeit zum Aufsuchen eines anderen Arbeitsverhältnisses zu gewähren.

Der Anspruch besteht unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis vonseiten des Arbeitnehmers oder vonseiten des Arbeitgebers gekündigt wurde (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht / Müller-Glöge, § 629 BGB, Rn 3). Sucht ein Arbeitnehmer dagegen aus einem ungekündigten Arbeitsverhältnis eine neue Stelle, gilt § 629 BGB nicht: Der Arbeitnehmer muss dann bei seinem Arbeitgeber Urlaub nehmen, um an Vorstellungsgesprächen, die in seiner Arbeitszeit liegen, teilnehmen zu können.

Der Anspruch aus § 629 BGB erfasst nicht nur die Freistellung zur Teilnahme an Vorstellungsgesprächen; sie erfasst auch die Teilnahme an Eignungstests, das Aufsuchen einer gewerblichen Arbeitsvermittlung sowie das Aufsuchen der Agentur für Arbeit, um der persönlichen Meldepflicht nach § 38 SGB III (Rechte und Pflichten der Ausbildungs- und Arbeitsuchenden) nachzukommen.

Will ein Arbeitnehmer von seinem Anspruch aus § 629 BGB Gebrauch machen, ist er verpflichtet, seinem Arbeitgeber den Grund und die voraussichtliche Dauer der Freistellung mitzuteilen. Den Namen des Arbeitgebers, der den Arbeitnehmer zum Vorstellungsgespräch eingeladen hat, braucht der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber nicht zu nennen. Der Anspruch muss so rechtzeitig geltend gemacht werden, dass der Arbeitgeber für die Zeit der Abwesenheit des Arbeitnehmers Ersatz organisieren kann. Der Arbeitnehmer ist nicht berechtigt, mit Verweis auf § 629 BGB einfach der Arbeit fern zu bleiben. Die Freizeit zur Stellensuche muss durch den Arbeitgeber gewährt werden.

Frage 2: Hat eine Pflegekraft für die Zeit eines Vorstellungsgesprächs bei einem anderen Arbeitgeber Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen ihren aktuellen Arbeitgeber?

Das hängt einerseits davon ab, wie lange die Pflegekraft wegen der Teilnahme am Vorstellungsgespräch nicht zur Arbeit gehen kann, und andererseits davon, ob auf das Arbeitsverhältnis der TVöD anwendbar ist und ob es eine einschlägige Regelung im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung gibt.

Aus juristischer Sicht ist die Teilnahme an einem Vorstellungsgespräch eine vorübergehende Arbeitsverhinderung ohne Verschulden des Arbeitnehmers. Für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer gilt § 616 BGB: »Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.« Ist eine Pflegekraft für ein Vorstellungsgespräch ein bis zwei Stunden unterwegs, so fällt dies noch unter den Begriff »verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit«. Unternimmt sie jedoch eine Reise von mehreren hundert Kilometern und bleibt sie wegen ungünstiger Verkehrsverbindung deshalb zwei Tage vom Arbeitsplatz fern, muss der Arbeitgeber überhaupt keine Entgeltfortzahlung leisten, also auch nicht für eine Zeit, die noch verhältnismäßig wäre (BAG 20.07.1977 AP Nr. 47 zu § 616 BGB).

§ 616 BGB zählt nicht zum zwingenden Arbeitnehmerschutzrecht. Der Anspruch aus § 616 BGB kann durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag ausgeschlossen oder eingeschränkt werden. Zur Klärung der Rechtslage ist also ein Blick in den Arbeitsvertrag und in eventuelle Betriebsvereinbarungen erforderlich.

§ 29 TVöD zählt einzelne Fälle auf, bei deren Vorliegen der Beschäftigte eine jeweils festgelegte Höchstdauer von der Arbeit fernbleiben darf, ohne seinen Anspruch auf Vergütung zu verlieren. Die Freistellung zur Stellensuche ist in § 29 TVöD nicht erwähnt. Folglich gibt es im Geltungsbereich des TVöD keine Entgeltfortzahlung für die Zeit eines Vorstellungsgespräches bei einem anderen Arbeitgeber.

Frage 3: Welche Fragen sind im Vorstellungsgespräch zulässig?

Jeder Arbeitgeber möchte das Risiko, das mit der Einstellung verbunden ist, möglichst gering halten und deshalb im Vorfeld möglichst viel über einen Bewerber erfahren. Fragen im Vorstellungsgespräch und auf formularmäßigen Personalfragebögen gehen aber oft über das hinaus, was rechtlich zulässig ist. Bewerberinnen und Bewerber fühlen sich dadurch oft verunsichert. Nach der Rechtsprechung gilt: Es sind nur solche Fragen zulässig, die in einem konkreten Bezug zum Arbeitsplatz stehen und für den Arbeitgeber von schützenswertem Interesse sind. Nur diese Fragen muss der Bewerber wahrheitsgemäß beantworten. Lügt ein Bewerber auf eine zulässige Frage des Arbeitgebers, riskiert er die Anfechtung des Arbeitsvertrages.

Uneingeschränkt zulässig sind alle Fragen, die mit dem beruflichen Werdegang eines Bewerbers zusammenhängen. Zulässig sind weiterhin: Fragen nach Wettbewerbsverboten, nach weiteren Arbeitsverhältnissen, nach der Staatsangehörigkeit, gegebenenfalls nach Aufenthaltstitel oder Aufenthaltserlaubnis, im ambulanten Pflegebereich auch die Frage nach der Fahrerlaubnis und einem eventuell bestehenden Fahrverbot.

Auf gesundheitlichem Bereich ist die Frage zulässig, ob in absehbarer Zeit nach Arbeitsantritt mit einer längeren Arbeitsunfähigkeit gerechnet wer den muss, z. B. wegen einer geplanten Operation. Zulässig ist auch die Frage nach einer Alkoholkrankheit und nach einer Erkrankung an Aids. Ob die Frage nach einer HIV-Infektion zulässig ist, hängt davon ab, ob Ansteckungsgefahr besteht. Die Frage ist an Bewerber für den OP zulässig. Ob die Frage nach einer HIV-Infektion gegenüber allen Pflegekräften zulässig ist, ist umstritten.

Frage 4: Welche Fragen sind im Vorstellungsgespräch unzulässig?

Unzulässig sind alle Fragen nach persönlichen Lebensverhältnissen, nach dem Familienstand, Heiratsplänen und Kinderwunsch. Seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes am 18.8.2006 ist sogar die Frage nach dem Geburtsdatum bzw. nach dem Alter eines Bewerbers unzulässig, da sie ein Indiz für eine Benachteiligung wegen des Alters darstellt.

Unzulässig im Vorstellungsgespräch sind auch die Fragen nach dem allgemeinen Gesundheitszustand, nach überstandenen Operationen, überwundenen Alkoholproblemen und nach der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft.

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Info

Die Frage nach der Schwangerschaft ist inzwischen ohne Ausnahme unzulässig, weil sie ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Sinn des § 1 AGG darstellt (siehe § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG). Deshalb ist die Frage nach der Schwangerschaft auch unzulässig, wenn sich eine schwangere Bewerberin auf eine befristete Stelle als Schwangerschaftsvertretung bewirbt (LAG Köln 11.10.2012 – 6 Sa 641/12).

Frage 5: Unter welchen Voraussetzungen dürfen kirchliche Arbeitgeber eine Religionszugehörigkeit als Einstellungskriterium verlangen?

Nach § 1 AGG ist es Ziel des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet den Arbeitgeber nach § 15 AGG zu Schadensersatz bzw. Entschädigung. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz enthält jedoch auch Vorschriften, die eine unterschiedliche Behandlung wegen der in § 1 AGG genannten Gründe erlauben. Im Hinblick auf die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion erlaubt § 9 AGG eine Bevorzugung von Kirchenmitgliedern, wenn die Kirche die Kirchenzugehörigkeit im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht verlangt. Dies würde bedeuten, dass ein kirchlicher Arbeitgeber selbst darüber entscheiden kann, ob eine bestimmte berufliche Position von einem Kirchenmitglied besetzt werden muss. Konfessionslose Bewerber oder Bewerber anderer Religionszugehörigkeit könnten dann also allein aufgrund ihrer Religion abgelehnt werden.

Nun ist es so, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf Europarecht beruht, und zwar auf der Antidiskriminierungs-Richtlinie (genauer des Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG). Für die Auslegung von Europarecht ist der Europäische Gerichtshof zuständig. Gerichtsverfahren, bei denen die Auslegung von Europarecht verfahrensentscheidend ist, müssen, wenn Unklarheiten bestehen, dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt werden, damit dieser die Auslegungsfrage klärt.

Nach Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG ist eine Ungleichbehandlung wegen der Religion nur erlaubt, wenn die Religionszugehörigkeit einer Person nach Art der Tätigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt. Damit sind die Kriterien, Stellenbewerber wegen ihrer Religion ungleich zu behandeln, nach Europarecht strenger als § 9 AGG es im deutschen Recht erlaubt. Nach deutschem Recht kann die Kirche aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts entscheiden, ob eine bestimmte berufliche Position von einem Kirchenmitglied besetzt werden muss.

Bei dem Rechtsstreit ging es um die Ausschreibung einer Referentenstelle zur Berichterstattung über die Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention bei einer diakonischen Einrichtung. Der Arbeitgeber hatte eine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche als Einstellungsvoraussetzung verlangt. Eine konfessionslose Sozialpädagogin hatte sich vergeblich auf die Stelle beworben und hatte Entschädigung verlangt, weil sie sich diskriminiert fühlte. Das BAG hatte den Fall dem EuGH vorgelegt (BAG 17.03.2016, 8 AZR 501/14).

Der Europäische Gerichtshof entschied, kirchliche Arbeitgeber dürften nicht selbst entscheiden, bei welchen Stellen die Religionszugehörigkeit eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung sei. Erforderlich sei vielmehr, so der EuGH, dass sich die Religionszugehörigkeit aufgrund objektiver Tatsachen als rechtmäßig erweise. Mit Urteil vom 25.10.2018 (8AZR 501/14) sprach das Bundesarbeitsgericht der Sozialpädagogin eine Diskriminierungs-Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern zu. Die Anforderung aus der Stellenausschreibung, für die Referentenstelle sei die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche erforderlich, war nicht gerechtfertigt.

Frage 6: Welche durch ein Vorstellungsgespräch verursachten Kosten werden einer Bewerberin von dem Arbeitgeber, bei dem sie sich beworben hat, erstattet?

Die Kosten für ein Vorstellungsgespräch können durchaus mehrere hundert Euro betragen, vor allem, wenn der Wohnort des Bewerbers und der Ort, an dem das Vorstellungsgespräch stattfindet, so weit auseinander liegen, dass eine Übernachtung erforderlich ist. Manchmal rufen Bewerberinnen und Bewerber, die zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurden, im Personalbüro an und fragen, ob die Fahrtkosten übernommen werden. Die Art und Weise, wie ein Arbeitgeber mit dieser Frage umgeht, verrät bereits sehr viel über seine »Firmenphilosophie«.

Reist ein Bewerber, der eine Stellenanzeige gelesen hat, aus eigenem Antrieb und ohne Aufforderung der Personalabteilung oder des Arbeitgebers an, um sich persönlich vorzustellen, tut er dies auf eigenes finanzielles Risiko. Einen Ersatz seiner Kosten kann er nicht verlangen.

Wurde ein Bewerber jedoch zum Vorstellungsgespräch eingeladen, steht ihm – jedenfalls grundsätzlich, zur Ausnahme später – ein Anspruch auf Ersatz der Vorstellungskosten zu. Der Anspruch auf Erstattung der Vorstellungskosten entsteht unabhängig davon, ob es nach dem Gespräch zu einer Einstellung kommt oder nicht.

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Info

Der Erstattungsanspruch besteht nicht nur dann, wenn die Aufforderung vom Arbeitgeber ausging; es genügt, dass der Arbeitgeber mit dem Vorschlag des Bewerbers, er würde sich gern persönlich vorstellen, einverstanden ist (LAG Nürnberg 25.7.1995 – 2 Sa 73/94 LAGE BGB § 670 Nr. 12 [Steuerpauschale für Dienstreisen].

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist eine Vorschrift aus dem Auftragsrecht: § 670 BGB. Darin heißt es unter der Überschrift »Ersatz von Aufwendungen«: »Macht der Beauftragte zum Zweck der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet.« Aus juristischer Sicht ist die »Einladung« zum Vorstellungsgespräch also ein Auftrag des Arbeitgebers an den Bewerber, dessen Kosten der Arbeitgeber zu übernehmen hat. Der Arbeitgeber muss jedoch nicht alle Kosten des Bewerbers übernehmen, sondern nur die, die er »nach den Umständen für erforderlich halten darf«.

Zu der Frage, welche Posten dies im Einzelnen sind und in welcher Höhe sie ersatzfähig sind, liegen verschiedene Gerichtsentscheidungen vor:

Ob der Arbeitgeber bei einer Anreise mit dem Zug die Fahrtkosten der ersten oder der zweiten Wagenklasse ersetzen muss, hängt von der Höhe der Vergütung für die zu besetzende Stelle ab (ArbG Hamburg 02.11.1994 NZA 1995, S. 428) Führungskräfte sollten dies vor der Buchung ihrer Fahrkarte abklären, um Missverständnisse zu vermeiden.

Reist der Bewerber mit dem eigenen Auto an, muss der Arbeitgeber die steuerliche Pauschale ersetzen (LAG Nürnberg 25.7.1995 – 2 Sa 73/94 LAGE BGB § 670 Nr. 12 [Steuerpauschale für Dienstreisen]).

Die Anreise mit dem Flugzeug kann günstiger sein als die Anreise mit Auto oder Bahn. Dennoch sollte hier eine Absprache vorab erfolgen (ArbG Hamburg 02.11.1994 NZA 1995, S. 428).

Die Kosten für eine Übernachtung kann der Bewerber nur dann verlangen, wenn ihm eine An- und Abreise am gleichen Tag nicht zugemutet werden kann. Dies hängt von der zeitlichen Lage des Vorstellungstermins und von der Verkehrsverbindung ab.

Im Idealfall fordert der Arbeitgeber die Bewerberin nach dem Vorstellungsgespräch aus eigener Initiative auf, Angaben zu den Vorstellungskosten zu machen und diese zu belegen. Der ideale Arbeitgeber wird den entsprechenden Betrag innerhalb einer angemessenen Zeitspanne (höchstens drei Wochen) überweisen.

Der Arbeitgeber kann den Anspruch auf Erstattung der Vorstellungskosten aber auch ausschließen oder eingrenzen. Dies muss er jedoch eindeutig, klar verständlich und spätestens mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch tun (ArbG Kempten 12.04.1994 BB 1994, S. 1540). Beim Eintreffen des Bewerbers ist es für einen Ausschluss oder eine Begrenzung der Kosten zu spät. Üblicherweise werden in der Einladung zum Vorstellungsgespräch die Kosten für die Anreise mit dem eigenen Auto auf die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel der zweiten Klasse begrenzt.

Frage 7: Welche Auswirkungen hat die Vereinbarung einer Probezeit im Arbeitsvertrag?

Im Unterschied zu Berufsausbildungsverhältnissen, in denen eine Probezeit nach § 13 BBiG gesetzlich vorgeschrieben ist, gilt in Arbeitsverhältnissen eine Probezeit nur dann, wenn sie vereinbart wurde. Während der Probezeit eines Berufsausbildungsverhältnisses kann das Ausbildungsverhältnis von der Schule und vom Auszubildenden jederzeit ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden.

Der Begriff der Probezeit wird im allgemeinen Sprachgebrauch meist mit der Zeit gleichgesetzt, in dem das Arbeitsverhältnis vonseiten des Arbeitgebers gekündigt werden kann, ohne dass der Arbeitnehmer den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes beanspruchen kann. Diese Art der »Probezeit« gilt jedoch unabhängig davon, ob sie im Arbeitsvertrag vereinbart ist. Der Schutz des Kündigungsschutzgesetzes gilt nämlich unabhängig davon, ob dies vertraglich vereinbart ist oder nicht, erst nach sechs Monaten Beschäftigungszeit. Das Kündigungsschutzgesetz gilt jedoch nicht in jedem Betrieb: Vom Geltungsbereich ausgenommen sind Kleinbetriebe im Sinn des § 23 KSchG. Eine Einschränkung, die vor allem Mitarbeiter in kleineren ambulanten Pflegediensten betrifft (Einzelheiten zu dem seit 01.01.2004 kompliziert gewordenen Begriff des »Kleinbetriebs« image Frage 89: Unter welchen Voraussetzungen ist das Kündigungsschutzgesetz auf ein Arbeitsverhältnis anwendbar?).

In den meisten Fällen wird eine Probezeit im Arbeitsvertrag in Form eines unbefristeten Arbeitsvertrages mit anfänglicher Probezeit vereinbart. Die Vereinbarung der Probezeit (üblicherweise mit der Formulierung: »Die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit.«) wirkt sich dann nur auf die Dauer der Kündigungsfrist während der Probezeit aus. Nach § 622 Abs. 3 BGB kann während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden. Ohne die Vereinbarung einer Probezeit richtet sich die Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 BGB: Danach beträgt die Kündigungsfrist vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats.

Frage 8: Darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer abmahnen, wenn der Arbeitnehmer eine Gefährdungsanzeige (Überlastungsanzeige) erstattet, obwohl aus Arbeitgebersicht eine Gefahrenlage weder bestand noch drohte?

Nein. § 16 Absatz 1 Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber oder dem zuständigen Vorgesetzten jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit unverzüglich zu melden. Arbeitnehmer sind berechtigt, aufgrund ihrer subjektiven Einschätzung eine Gefahrenanzeige (Überlastungsanzeige) aufzugeben. Andernfalls könnte die Sorge vor einer negativen Reaktion des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung die Arbeitnehmer davon abhalten, eine Gefahrenanzeige abzugeben. Dies würde dem Gesetzeszweck widersprechen.

Dies entschied das Arbeitsgericht Göttingen in einem Fall, in dem eine Gesundheits- und Krankenpflegerin eine Gefährdungsanzeige verfasste, weil sie vertretungsweise mit einer Auszubildenden auf einer Station, die in der Regel mit zwei examinierten Fachkräften besetzt ist, eingesetzt wurde. Die Arbeitgeberseite erteilte eine Abmahnung, mit der Begründung, objektiv habe keine Gefährdungssituation vorgelegen.

Das Arbeitsgericht Göttingen (14.12.2017, 2 Ca 155/17) gab der Pflegekraft Recht. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat die Berufung der Klinik gegen das erstinstanzliche Urteil mit Urteil vom 12.09.2018 (14 Sa 140/18) zurückgewiesen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Göttingen ist damit rechtskräftig.

Frage 9: Inwieweit darf eine Gesundheits- und Krankenpflegerin, die in einem Krankenhaus arbeitet, eine Nebentätigkeit ausüben?

Grundsätzlich hat jeder Arbeitnehmer das Recht, an mehreren Arbeitsplätzen erwerbstätig zu sein, ohne seinen Arbeitgeber über die Aufnahme einer weiteren Tätigkeit informieren zu müssen. Dies ergibt sich aus dem Grundrecht auf freie Berufsausübung in Artikel 12 Grundgesetz. Eine Klausel im Arbeitsvertrag, nach der der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber über eine geplante Nebentätigkeit zu informieren hat, ist zulässig. Nach § 3 Abs. 3 TVöD sind Beschäftigte im öffentlichen Dienst verpflichtet, ihrem Arbeitgeber eine Nebentätigkeit gegen Entgelt vorher rechtzeitig anzuzeigen.

Das Recht auf Nebentätigkeit unterliegt folgenden Schranken:

Die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes müssen eingehalten werden, vor allem die Vorgaben zur maximal zulässigen Arbeitszeit und zur Ruhezeit. Nach § 3 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Arbeitszeiten bei mehreren Arbeitgebern sind für die Berechnung der zulässigen Arbeitszeit zusammenzurechnen. (image Frage 26: Welche rechtlichen Vorgaben gibt es zur Ruhezeit?) Die Arbeitnehmer-Schutzvorschriften im Arbeitszeitgesetz gelten jedoch nicht für Tätigkeiten, die selbstständig ausgeübt werden, also z. B. dann nicht, wenn eine in einem Krankenhaus angestellte Pflegekraft zusätzlich im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses arbeitet.

Durch die Nebentätigkeit dürfen keine berechtigten Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt werden. Eine Konkurrenztätigkeit ist deshalb nicht erlaubt. Eine in einem Krankenhaus tätige Pflegekraft darf deshalb keine Nebentätigkeit als Pflegekraft in einem anderen Krankenhaus annehmen. Sie darf aber beispielsweise in einem Seniorenheim arbeiten.

Berechtigte Interessen des Arbeitgebers sind auch dann beeinträchtigt, wenn sich die Nebentätigkeit seines Mitarbeiters negativ auf die Wahrnehmung des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit auswirkt.

In dem Fall, der einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zugrunde lag, arbeitete ein Krankenpfleger, der in einem Krankenhaus im Funktionsbereich Anästhesie beschäftigt war, nebenberuflich als Leichenbestatter in einem Bestattungsinstitut. Dabei führte er Trauergespräche, Einsargungen und Überführungen aus. Sein Antrag auf Genehmigung seiner Nebentätigkeit im Umfang von fünf Wochenstunden wurde vom Arbeitgeber abgelehnt – zu Recht, wie das Bundesarbeitsgericht entschied (BAG 28.2.02002 – 6 AZR 357/01).

Das Gericht erläuterte, warum die Nebentätigkeit als Leichenbestatter mit der Tätigkeit als Krankenpfleger nicht vereinbar sei: Als Krankenpfleger habe der Kläger für die Erhaltung von Leben und Gesundheit seiner Patienten Sorge zu tragen. Die Tätigkeit als Leichenbestatter setze dagegen den Tod der Menschen voraus. Die Nebentätigkeit als Leichenbestatter sei dazu geeignet, bei Patienten Irritationen hervorzurufen. Diese Verunsicherung könnte zu Störungen im Genesungsverlauf der Patienten führen und darüber hinaus dazu führen, dass Patienten von vornherein das Krankenhaus, in dem der Kläger tätig sei, meiden.

Frage 10: Welche Rechtsgrundsätze gelten für die private Internetnutzung am Arbeitsplatz?

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung vom 07.07.2005 (2 AZR 581/04) folgende Grundsätze für die private Internetnutzung am Arbeitsplatz aufgestellt: Wenn die Internetnutzung vom Arbeitgeber nicht ausdrücklich erlaubt oder geduldet wird, ist sie grundsätzlich verboten Als Rechtsgrundlagen für eine erlaubte Privatnutzung des Internets kommen in Betracht:

In Betrieben bzw. Dienststellen mit Mitarbeitervertretung: Eine Betriebsvereinbarung bzw. Dienstvereinbarung (empfehlenswert).

In Betrieben ohne Betriebsrat: Eine einseitige, vom Arbeitgeber erlassene Nutzungsbestimmung

Wenn keine ausdrücklichen betrieblichen Verbote zur privaten Internetnutzung existieren, könne, so das Bundesarbeitsgericht, allenfalls eine kurz- fristige private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit allgemein gerade noch als hinnehmbar angesehen werden.

Frage 11: Eine Pflegekraft fühlt sich von einem Kollegen am Arbeitsplatz sexuell belästigt. Welche Rechte hat sie?

Seit 18.08.2006 richtet sich die Rechtslage bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Dieses Gesetz greift nicht nur bei sexueller Belästigung. Nach § 1 AGG ist vielmehr Ziel des Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Fühlt sich eine Pflegekraft von einem Kollegen, von Vorgesetzten oder vom Arbeitgeber selbst am Arbeitsplatz sexuell belästigt, hat sie nach § 13 AGG zunächst das Recht, sich bei einer dafür zuständigen Stelle im Betrieb darüber zu beschweren. Es gehört zu den Pflichten jedes Arbeitgebers, eine Beschwerdestelle in Form mindestens einer Ansprechperson einzurichten, die für die Einhaltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zuständig ist, und seinen Beschäftigten diese Stelle zu nennen sowie wann und wie sie erreichbar ist. Die Beschwerdestelle hat jede gemeldete Benachteiligung zu prüfen, also die Person, die sich beschwert hat, anzuhören, gegebenenfalls Zeugen eines Vorfalls oder weitere Betroffene anzuhören. Sie hat auch der Person, gegen die sich die Beschwerde richtet, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wobei eine Aussage nicht erzwungen werden darf.

Nach § 7 Abs. 3 AGG stellt die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – wie jede andere Benachteiligung nach dem AGG – eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Hält der Arbeitgeber eine Beschwerde für berechtigt, ist er verpflichtet, gegenüber der Person, von der die Benachteiligung ausgeht, die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung zu ergreifen (§ 12 Abs. 3 AGG).

In Betracht kommen folgende Maßnahmen:

Ermahnung oder Abmahnung

Umsetzung oder Versetzung

Kündigung

teilweises Hausverbot

Das Ergebnis der Beschwerde muss dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitgeteilt werden (siehe § 13 Abs. 1 Satz 2 AGG).

Frage 12: Darf eine Pflegekraft von einem Patienten Geschenke annehmen?

Ganz konkret: Darf eine Pflegekraft z. B. Folgendes annehmen:

einen selbst gebastelten Weihnachtsstern,

eine Einladung zum Essen oder

50 Euro?

Wenn Patienten Pflegenden Geschenke anbieten oder zustecken, besteht die Gefahr, dass sich Pflegekräfte dadurch manipulieren lassen und dem betreffenden Patienten mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen als andern, von denen sie keine Geschenke erhalten. Die Patienten könnten sich deshalb verpflichtet fühlen, den Pflegekräften Geschenke zu machen, und Patienten, die sich diese Geschenke nicht leisten können, wären dann in Gefahr, ihre Gesundheit zu gefährden. Eine korrekte Diensterfüllung wäre nicht mehr möglich.

Patienten haben einen Rechtsanspruch auf die Arbeit der Pflegekräfte. Deshalb ist die Annahme von Vergünstigungen grundsätzlich verboten. Dies gilt unabhängig davon, ob es im Arbeitsvertrag ausdrücklich vereinbart ist, denn das Verbot der Annahme von Schmiergeldern ist eine gesetzliche Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag.

Die Rechtsprechung (BAG 17.06.2003 – 2 AZR 62/02) nimmt so genannten »Aufmerksamkeiten« aus dem Begriff des »Geschenkes« heraus. Ohne Genehmigung des Arbeitgebers dürfe eine Pflegekraft kleinere Aufmerksamkeiten, die den Rahmen sozial üblicher Dankbarkeitsgesten nicht verlassen und deren Zurückweisung als Unhöflichkeit oder Pedanterie erschiene, annehmen. Genaue Angaben, bis zu welcher Euro-Wertgrenze man von Aufmerksamkeiten spricht, finden sich in der Rechtsprechung nicht. Man wird im Einzelfall abwägen müssen.

Der selbst gebastelte Weihnachtsstern fällt sicherlich in die Kategorie »Aufmerksamkeit«. Die Einladung zum Essen und das Angebot von 50 Euro müssen jedoch dem Arbeitgeber gemeldet werden. Diese Angebote darf eine Pflegekraft nur annehmen, wenn der Arbeitgeber zustimmt.

Frage 13: Die PDL hat einen Vorfall, der ungünstig für eine Pflegekraft ist, in die Personalakte eingetragen. Was kann die betroffene Pflegekraft, die eine andere Sicht auf den Vorfall hat, tun?

Jeder Arbeitnehmer hat ein Recht auf Einsicht in seine vollständige Personalakte. Geheime Personalakten darf der Arbeitgeber nicht führen. Das Recht auf Einsichtnahme besteht jederzeit und unabhängig von einem Anlass, es ergibt sich für Arbeitnehmer der Privatwirtschaft aus § 83 Abs. 1 BetrVG und für Beschäftigte im öffentlichen Dienst aus § 3 Abs. 5 TVöD. Etwaige kodierte Angaben muss der Arbeitgeber entschlüsseln, sodass sie für den Arbeitnehmer verständlich sind. Der Arbeitnehmer darf seine Personalakte zwar nicht mit nach Hause nehmen, darf aber auf eigene Kosten Kopien anfertigen.

Das Bundesarbeitsgericht hat seit langem anerkannt, dass sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und aus dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers der Anspruch des Arbeitnehmers ergibt, unrichtige Angaben aus der Personalakte zu entfernen (BAG 25.11.1985, NZA 1986, S. 227). Ist eine Angabe zu einem Vorgang, z. B. in einer Abmahnung, nur teilweise unzutreffend, kann der Arbeitnehmer die Entfernung des gesamten Vorgangs aus der Personalakte verlangen. Weigert sich der Arbeitgeber, kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch beim Arbeitsgericht geltend machen und auf diese Weise durchsetzen.

Frage 14: Darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsvertrag zu einer routinemäßigen Blutuntersuchung zur Klärung einer Alkohol- oder Drogensucht verpflichten?

Nein. So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG 12.08.1999 – 2 AZR 55/99 BB 1999, S. 2564) in einem Fall, in dem der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer, einem bewaffneten zivilen Wachmann, ohne besonderen Anlass bei einer tarifvertraglich geregelten Untersuchung die Entnahme von Blut forderte, um einen etwaigen Alkohol- oder Drogenmissbrauch zu überprüfen. Der Wachmann weigerte sich, worauf er die ordentliche Kündigung erhielt. Der Wachmann erhob Kündigungsschutzklage.

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts war die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt (im Sinn des § 1 Abs. 2 KSchG) und damit rechtsunwirksam. Das Gericht stellte fest, dass der Wachmann weder aus Gesetz noch aus dem einschlägigen Tarifvertrag oder aus seinem Arbeitsvertrag zu einer Blutuntersuchung verpflichtet war. Im konkreten Fall ergab sich die Verpflichtung zur Mitwirkung bei einer Blutuntersuchung auch nicht aus der allgemeinen Treuepflicht des Arbeitnehmers. Zwar habe der Arbeitgeber an sich ein berechtigtes Interesse, nur solche Arbeitnehmer zu beschäftigen, die nicht infolge Alkohol- oder Drogenmissbrauchs im Betrieb eine Gefahr für sich und andere darstellen. Andererseits stellt eine ärztliche Untersuchung des Arbeitnehmers mit daran anschließender Offenbarung personenbezogener Daten durch den Arzt an den Arbeitgeber einen Eingriff in die Intimsphäre des Arbeitnehmers dar. Diese ist durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz) verfassungsrechtlich geschützt.

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt regelmäßig vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter des Arbeitnehmers. Der Schutz ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen. Die Abwägung zwischen den Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers führen dazu, dass dem Interesse des Arbeitnehmers nur dann hinreichend Rechnung getragen wird, wenn eine Blutuntersuchung zur Klärung eines Alkohol- oder Drogenmissbrauchs nur dann vorgenommen wird, wenn aufgrund hinreichender tatsächlicher Feststellungen die Besorgnis besteht, bei dem betreffenden Arbeitnehmer könne eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit vorliegen. Eine solche Besorgnis lag in dem geschilderten Fall nicht vor. Deshalb war die Aufforderung an den Wachmann unzulässig. Dieser durfte die Blutentnahme verweigern, ohne seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag zu verletzen.

Frage 15: Ist die Krankenhausleitung berechtigt, bei gehäuftem Auftreten von Diebstählen stichprobenartig einzelne Pflegekräfte bei Verlassen des Krankenhauses einer Taschenkontrolle zu unterziehen?

Ja. Taschenkontrollen zur Aufdeckung und zur Verhinderung von Diebstählen sind zulässig. Allerdings bedarf die Maßnahme der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (BAG 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 NZA 2000, S. 421). Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG bedeutet, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf die konkrete Durchführung der Maßnahme einigen müssen.

Beispielsweise könnte an jedem Tag eine andere Station des Krankenhauses kontrolliert und die jeweilige Station durch Losverfahren bestimmt werden. Auf dem Bereich des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 BetrVG besteht ein Einigungszwang: Der Arbeitgeber kann Maßnahmen nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat treffen. Kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet die Einigungsstelle (siehe § 87 Abs. 2 BetrVG). Die Einigungsstelle besteht aus einer gleichen Zahl von Personen, die vom Arbeitgeber und vom Betriebsrat bestellt werden, und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf den sich beide Seiten einigen müssen (siehe § 76 Abs. 2 S. 1 BetrVG).

Frage 16: Darf die Inhaberin eines ambulanten Pflegedienstes ihre Mitarbeiterinnen durch Detektive überwachen lassen, um herauszufinden, ob sie während ihrer Arbeitszeit private Besorgungen machen?

Der Einsatz von Detektiven zur Überwachung von Arbeitnehmern bei der Erfüllung ihrer Arbeitspflicht ist zulässig, setzt jedoch konkrete Verdachtsmomente für einen Arbeitszeitbetrug voraus (LAG Rheinland-Pfalz 27.04.2017, 5 Sa 449/16).

Die Überwachung des Arbeitsverhaltens eines Arbeitnehmers durch Detektive unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats, weil der Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nur eine Mitbestimmung hinsichtlich der Ordnung des Betriebes festlegt und nicht hinsichtlich des Arbeitsverhaltens der Arbeitnehmer (BAG 26.03.1991 – 1 ABR 26/90 BB 1991, S. 691). Der Einsatz von Detektiven hat hier nur den Zweck, festzustellen, ob sich Arbeitnehmer bei Erbringung ihrer Arbeitsleistung so verhalten, wie sie aufgrund ihres Arbeitsvertrages verpflichtet sind. Die Überwachung der Arbeitsleistung unterliegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nur dann der Mitbestimmung des Betriebsrats, wenn sie mit Hilfe technischer Einrichtungen (z. B. Kameras) erfolgt.

Hat die Inhaberin des Pflegedienstes einen konkreten Verdacht, dass eine bestimmte Mitarbeiterin während der Arbeitszeit private Angelegenheiten erledigt, und beauftragt sie deshalb einen Detektiv, so muss die Pflegekraft die Kosten des Detektiveinsatzes bezahlen, wenn sie eines vertragswidrigen Verhaltens überführt wird (BAG 17.09.1998 – 8 AZR 5/97 BB 1998, S. 2475).

Frage 17: Darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer wegen des Verdachtes einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit durch ein Detektivbüro beobachten lassen?

Ja, aber nur unter der Voraussetzung, dass der Verdacht auf konkreten Tatsachen beruht (BAG 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13). Konkrete Verdachtsmomente für eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit liegen vor, wenn der Arbeitnehmer im Verlauf einer Auseinandersetzung ankündigt oder wenn der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit eine Tätigkeit verrichtet, die mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nicht vereinbar ist. Liegt kein berechtigter Anlass für eine Observation durch eine Detektei vor, hat der zu Unrecht beschattete Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz (ebenfalls BAG 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13).

Frage 18: Handelt es sich bei der Umkleidezeit einer Pflegekraft um vergütungspflichtige Arbeitszeit?

Als Umkleidezeit gilt die Zeit, die eine Pflegekraft benötigt, um die Dienstkleidung an- und abzulegen. Grundsätzlich handelt es sich dabei um vergütungspflichtige Arbeitszeit, es sei denn, der Tarifvertrag regelt etwas anderes.

Dies ist die Kurzfassung eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 06.09.2017 (5 AZR 382/16), mit dem das Gericht seine bisherige Rechtsprechung zur Vergütung von Umkleidezeiten weiterführt. Die Klage eingereicht hatte ein Krankenpfleger eines Kreiskrankenhauses, der von seinem Arbeitgeber 464,20 Euro verlangte, weil er an 100 Werktagen durchschnittlich zwölf Minuten pro Arbeitstag mit dem An- und Ablegen seiner Dienstkleidung verbracht hatte und diese Zeiten nicht vergütet wurden.

Das Bundesarbeitsgericht entwickelte folgende Grundsätze zur Vergütung der Umkleidezeiten: Beim An- und Ablegen einer besonders auffälligen Dienstkleidung handelt es sich um vergütungspflichtige Arbeit. Die Notwendigkeit des An- und Ablegens der Dienstkleidung und der damit verbundene Zeitaufwand des Arbeitnehmers – der auch das Aufsuchen der Umkleideräume erfasst – beruhen auf der Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen der Dienstkleidung während der Arbeitszeit. Eine Dienstkleidung ist dann besonders auffällig, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Gestaltung der Dienstkleidung einem bestimmten Arbeitgeber oder einem bestimmten Berufszweig oder einer bestimmten Branche zugeordnet werden kann. An einer solchen Offenlegung der von ihm ausgeübten beruflichen Tätigkeit hat ein Arbeitnehmer kein objektiv feststellbares Eigeninteresse. Ein Kriterium, das die Arbeit von der Nicht-Arbeit unterscheidet, ist die Fremdnützigkeit.

Arbeit ist dadurch qualifiziert, dass sie fremdnützig ist, sie dient also jemand anderem als dem Arbeitnehmer. Das Ankleiden mit einer vorgeschriebenen Dienstkleidung ist nur dann nicht lediglich fremdnützig und damit keine Arbeitszeit, wenn sie zu Hause angelegt und – ohne besonders auffällig zu sein – auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden kann.

Frage 19: Wie lang darf eine Pflegekraft nach dem Arbeitszeitgesetz höchstens an einem Tag arbeiten?

Nach § 3 Satz 1 ArbZG darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden täglich nicht überschreiten. Die Arbeitszeit im Sinn des Arbeitszeitgesetzes ist die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen; Arbeitszeiten bei mehreren Arbeitgebern sind zusammenzurechnen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ArbZG).

Von dem Grundsatz der Höchstarbeitszeit von acht Stunden pro Werktag gibt es drei Ausnahmen:

Die Arbeitszeit kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ArbZG).

Bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen der Betroffenen eintreten und deren Folgen nicht auf andere Weise zu beseitigen sind, kann die Arbeitszeit nach § 14 Abs. 1 ArbZG auf länger als zehn Stunden werktäglich verlängert werden. Beispiel: Überschwemmung

Bei unaufschiebbaren Arbeiten zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen kann nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 ArbZG ebenfalls von der Grundregel des § 3 ArbZG abgewichen werden, allerdings nur an einzelnen Tagen und nur, wenn dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842689787
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Mai)
Schlagworte
Arbeitsrecht Führung & Personalmanagement Pflege Recht

Autor

  • Martina Weber (Autor:in)

Martina Weber lebt in Frankfurt als Lyrikerin und Juristin. Sie ist Autorin mehrer Werke zum Arbeits- und Sozialrecht.
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Titel: 100 Fragen zum Arbeitsrecht für Pflegekräfte