Zusammenfassung
Doch jede Einrichtung muss ihren eigenen Weg in der Umsetzung finden und der kann schwierig sein. Fehler schleichen sich ein, z.B.:
- im Umgang mit der Risikomatrix
- bei Verbindung zwischen Risikomatrix und Expertenstandards
- bei der Evaluation des Maßnahmenplanes
Dieses Buch zeigt, wie der richtige Umgang mit Strukturmodell/SIS® möglichst reibungslos funktioniert, welche Schwierigkeiten sich dabei ergeben – und wie man sie löst: schnell, handlungsorientiert und zielführend.
Das ideale Nachschlagewerk, um die Zeitvorteile, die das Strukturmodell bietet, auch wirklich in der Praxis nutzen zu können.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Das Strukturmodell ist, wie alle anderen Modelle, nicht abschließend beschrieben. Und so gibt es zum Strukturmodell und dem Umgang mit der SIS® so viele Meinungen wie Nutzer. Das Projektbüro EinSTEP, gegründet 2015 und für die zentrale Koordination und Steuerung rund um die Einführung des Strukturmodells verantwortlich, wird nicht aktiv weitergeführt: »Zum 1. November 2017 wurde die Verantwortung für das Projekt EinSTEP an die Trägerverbände der Pflege auf Bundesebene übergeben.«1 Alle Handlungsanleitungen sind geschrieben. Jetzt müssen die Leitungskräfte sehen, welchen Weg sie in der Umsetzung einschlagen.
Auch wenn es keine einheitliche Vorgehensweise geben kann, es gibt die immer gleichen Fehler im Umgang mit dem Strukturmodell und der Handhabung der SIS®, z. B.:
•die Risikomatrix und ihre sinnvolle Nutzung
•die Verbindung zwischen Risikomatrix und Expertenstandards
•die Tücken der Evaluation
Ich möchte Ihnen zeigen, wie Sie möglichst schnell und fehlerfrei mit dem Strukturmodell und der SIS® umgehen können.
Wiesbaden, im März 2019 | Jutta König |
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1https://www.ein-step.de/ueber-einstep/
Der MDK (= Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) ist lediglich ein Ausführender, aber kein Gestaltender. Vergleichbar einer Politesse im Straßenverkehr, die die Gesetze nicht macht, auf deren Grundlage sie entscheidet.
Ob Sie falsch parken, entscheidet nicht die Politesse, sondern die Straßenverkehrsordnung. Wie hoch das Bußgeld ausfällt, legt nicht die Politesse fest, sondern der Bußgeldkatalog. Die Politesse ist allerdings die Person, die wir im Straßenverkehr wahrnehmen und der wir mehr Macht zugestehen als sie wirklich hat. Genauso verhält es sich mit dem MDK.
1. Fehler: Der MDK entscheidet über Richtig und Falsch
Der MDK macht die Regeln nicht. Er ist, wie oben beschrieben, ein Verrichtungsgehilfe, z. B. im System der Qualitätsprüfung.
Die Regeln zur Qualitätsprüfung, genau wie zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit, kommen von den gesetzlichen Krankenkassen und deren medizinischem Dienst, dem MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen).
Die Pflegekassen und der MDS haben die Richtlinienkompetenz, wie in § 17 SGB XI vom Gesetzgeber gewünscht: »Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen erlässt … unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen Richtlinien zur pflegefachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments nach § 15 sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach § 18 (Begutachtungs- Richtlinien).« Der MDK taucht hier nicht auf. Er hat andere Aufgaben. Er prüft entlang der Qualitätsprüfungs-Richtlinien (QPR) die Qualität von Einrichtungen und erstellt entlang der Begutachtungs-Richtlinien (BRi) Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. In beiden Fällen werden den MDK-Mitarbeitern die Arbeitsgrundlagen vorgegeben. Der MDK-Mitarbeiter muss also bei der Qualitätsprüfung als Maßstab die Qualitätsprüfungs-Richtlinien heranziehen. Zwei Qualitätsprüfungs- Richtlinien gibt es:
1.für die stationäre Pflege
2.für die ambulante Pflege
Schauen wir uns kurz die Qualitätsprüfungs-Richtlinien für die stationäre Pflege an. Ihr voller Titel lautet: »Qualitätsprüfungs-Richtlinien für die vollstationäre Pflege (QPR vollstationär) -Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes über die Durchführung der Prüfung der in Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität nach § 114 SGB XI für die vollstationäre Pflege«. Die QPR wird ergänzt durch die sog. »Grundsätze für die Qualität, die Qualitätssicherung und -darstellung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 SGB XI in der vollstationären Pflege« vom 23.11.2018. Diese regelt die Bewertungskriterien der Qualität.
In der QPR ist geregelt,
•was zu prüfen ist,
•wie die Prüfung abzulaufen hat,
•wie Pflegebedürftige ausgewählt werden,
•was der Prüfer fragen muss,
•wie bewertet wird etc.
In der QPR findet sich zu jeder Frage eine entsprechende Erläuterung. Der Prüfer entscheidet also nicht darüber, wie eine Frage bewertet wird. Für jede Prüffrage beim Pflegebedürftigen gibt es lediglich vier Bewertungsmöglichkeiten, die alle in der QPR2 erläutert werden:
1.keine Auffälligkeiten oder Defizite
2.Auffälligkeiten, die keine Risiken oder negativen Folgen für den Bewohner erwarten lassen
3.Defizit mit Risiko negativer Folgen für den Bewohner
4.Defizit mit eingetretenen negativen Folgen für den Bewohner
Info
Was ein Prüfer zu werten hat, findet sich im Erläuterungsteil der QPR. Für Sie heißt das: Erinnern Sie, wenn nötig, den Prüfer an seine Arbeitsgrundlage (die QPR). Erlauben Sie ihm keinesfalls, einfach irgendetwas zu prüfen.
2. Fehler: Dem MDK wird immer die Schuld gegeben
Der Dokumentationswahnsinn der Vergangenheit mit seinem Pflegeplanungs- und Assessmentwahn sowie einer wahren Leistungsnachweisschlacht, war sicher auch zum Teil den MDK-Mitarbeitern geschuldet. Doch ist es falsch, wenn dem MDK immer die Schuld an derlei Auswüchsen gegeben wird. Hier ein Späßchen, in dem viel Wahrheit steckt:
1985: Die Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert nichts, es gibt noch keine flächendeckende Verpflichtung hierzu.
1986: Die Dokumentationspflicht wird eingeführt.
1990: Die Pflegekraft bereitet der Pflegebedürftigen nicht mehr nur ihr Frühstück. Sie dokumentiert zudem im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat gut gegessen.«
1995: Die Pflegeversicherung und die Qualitätsprüfungen werden eingeführt. Der MDK übernimmt die Rolle des »Ordnungshüters«. Die bisherige Dokumentation genügt nicht mehr.
1995: Die Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat gut gegessen.«
Der MDK-Mitarbeiter kommt erstmals ins Haus und kritisiert, der Eintrag sei nichtssagend: Was heißt »gut gegessen«? Stattdessen müsse die Pflegekraft z. B. schreiben: »Fr. M. hat zwei Scheiben Brot gegessen.«
2000: Wir entwickeln uns weiter und hören auf den MDK. Die folgsame Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen nicht nur das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat zwei Scheiben Brot gegessen.«
Nun kommt ein anderer MDK-Prüfer und kritisiert, der Eintrag sei nicht individuell genug. Man sehe nicht, womit das Brot belegt war (Wurst oder Käse?). Schließlich sei individuell und handlungsleitend zu dokumentieren.
2005: Die Anpassung an den MDK nimmt neue Formen an: Die MDK-konforme Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr M. hat zwei Scheiben Brot gegessen, eine mit Wurst und eine mit Käse.«
Der MDK-Prüfer kritisiert, der Eintrag sei noch immer nicht individuell genug: Man müsse auch die Biografie beachten! Wurst sei nicht gleich Wurst. Also: Mit welcher Wurst und welchem Käse wird das Brot belegt? Streichwurst oder Salami?
2010: Die Jahre gehen ins Land, wir glauben alle Prüfer zu kennen. Die folgsame Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat zwei Scheiben Brot gegessen, eins mit Streichwurst und eins mit Goudakäse.«
Der MDK-Prüfer und kritisiert, man sehe nicht, wie viele Kalorien diese Brote haben und schließlich sei Streichwurst nicht gleich Streichwurst, das alles ist zu ungenau.
2015: Die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation läuft!
Die folgsame Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück. Sie dokumentiert im Leistungsnachweis mit Handzeichen, dass sie das Frühstück gegeben hat und schreibt im Bericht: »Fr. M. hat zwei Scheiben Brot gegessen, eine mit Streichwurst Marke TEEWURST von Gutfreund und eine mit Mai-Goudakäse der Firma Anja, insgesamt 597 kcal.«
Der geschulte MDK-Prüfer kritisiert, der Eintrag sei völlig unnötig, denn man sehe in der SIS®, was der Pflegebedürftige gerne esse und auch seine Essgewohnheiten. Das reiche vollkommen aus, es wäre kein weiterer Eintrag im Pflegebericht nötig und auch kein Leistungsnachweis. Schließlich gilt das »Immer-so-Prinzip«. Die Pflegekraft muss nichts mehr eintragen, außer die Pflegebedürftige esse nicht wie gewohnt.
2019: Wir haben gelernt, nicht mehr alles zu schreiben, sondern unserer Planung in Maßnahmen und der SIS® zu glauben. Die folgsame Pflegekraft bereitet einer Pflegebedürftigen das Frühstück und dokumentiert – nichts!
Nun kommt ein MDK-Prüfer und meint: »Über Wochen nichts zu dokumentieren sei doch zu wenig, man müsse doch wenigstens …«
So oder so ähnlich haben viele Pflegekräfte in der Vergangenheit MDK-Prüfungen erlebt. Der eine Prüfer verlangte dieses, ein anderer jenes. Aber können wir wirklich dem MDK für diese Misere allein die Schuld geben? Nein! Schon 1889 schrieb Agnes Karll: »Will die Schwester nicht wie bisher Amboß sein, muß sie eiligst anfangen, Hammer zu werden und ihr Geschick nicht willenlos aus den Händen anderer zu nehmen, sondern es selbst zu gestalten.«
Hätten wir, wie von Agnes Karll vor 130 Jahren bereits gefordert, unsere Geschicke nicht willenlos in MDK-Prüferhände gegeben, sondern uns positioniert, hätten wir es von je her einfacher gehabt.
Tipp
Wenn ein MDK-Prüfer etwas fordert, haben Sie den Mut zu fragen: »Wo steht das?« Legen Sie sich die QPR mit ihren Anleitungen zu jeder Frage bereit. Steht die Anforderung nicht im Prüfkatalog, sollten Sie dem Prüfer nicht folgen. Im Zweifel handelt es sich nur um einen persönlichen Wunsch des Prüfers – und ein anderer Prüfer würde etwas völlig anderes verlangen.
3. Fehler: Die Annahme, der MDK sei zur SIS® gut geschult
»Um den Erfolg des Projektes zu unterstützen, hat der MDS in Seminaren 120 Multiplikatoren der MDK, des PKV-Prüfdienstes und der Heimaufsichtsbehörden der Bundesländer geschult. Die Multiplikatoren schulen alle Prüfer der MDK, sodass diese auf Qualitätsprüfungen in Pflegeinrichtungen mit der vereinfachten Pflegedokumentation gut vorbereitet sind.«3 Aber: Wenn man bundesweit nur 120 Multiplikatoren schult, bedeutet das, alle anderen Prüfer (also die übrigen rund 2800) sind nur aus zweiter Hand informiert.
Interessant ist auch das Fortbildungskonzept des MDK, das ebenfalls vom MDS vorgegeben wird. Auch hier hat nur der MDS die Hoheit über Regelwerke.
Im Fortbildungskonzept 2019 sieht man deutlich, dass die Prüfer bei Qualitätsprüfungen bzw. die Gutachter zur Einstufung nicht wochenlang geschult werden. Vielmehr setzt man seitens des MDS auf das Selbststudium durch die MDK-Mitarbeiter. Stellen Sie sich vor, in Ihrem Betrieb sieht das erste halbe Jahr Einarbeitung so aus wie das MDS-Konzept für die MDK Mitarbeiter vorsieht ( Abb. 1).
Diese Abbildung macht klar: Die MDK-Mitarbeiter gehen ohne jegliche Schulungen an den Start. Erst nach etwa einem halben Jahr bekommen sie eine sogenannte Schulung der Prüfkompetenz nach § 114 SGB XI4. Die Inhalte dieser dreitägigen Fortbildung:
•»Grundlagen zur Qualitätssicherung in der Pflege
•Rahmenbedingungen und Prüfansatz des MDK
•aktuelle Rechtsprechung zu Transparenzberichten
•Entbürokratisierung in der Pflege
•Heimgesetz und Heimaufsicht
•Anwendung der MDK-Anleitungen
•Hygiene in der Pflege«
Sie sehen: Im großen Programm ist das Strukturmodell nur ein Baustein unter vielen. Wie sollen Prüfer mit dieser Schulung dann wirklich fit in Sachen Strukturmodell und SIS® sein?
Fazit Vertrauen Sie nicht auf gut geschulte MDK-Prüfer
Gehen Sie nicht automatisch davon aus, dass die Prüfer umfassend geschult sind. Letztlich muss sich aber jeder an die QPR halten. Auch Sie, als Beteiligte bei einer Prüfung, müssen sich strikt an die Erläuterungen zu den Prüffragen halten, und nicht an einzelne Prüfer mit mehr oder weniger Fachwissen.
4. Fehler: Die Annahme, der MDK sei unfehlbar
In der Vergangenheit wurden immer wieder Audits der Qualitätsprüfer durchgeführt: »Erfahrene Prüferinnen und Prüfer begleiten als Auditoren Prüfende eines anderen Medizinischen Dienstes bei einer Qualitätsprüfung und blicken ihnen über die Schulter.«5 Bei der letzten Überprüfung (2017) kam heraus: In 97,4 %6 der überprüften MDK-Prüfer waren Auditoren und Prüfer einer Meinung, kamen also zum selben Ergebnis. Das klingt zunächst gut. Aber auf alle Einrichtungen in Deutschland übertragen bedeutet das, dass es bei 676 geprüften Einrichtungen Unterschiede zwischen den Prüfern und Auditoren bzw. Fehlentscheidungen der MDK-Prüfer gab.
Interessant sind auch die Ausführungen im Abschlussbericht7 zu den neuen Qualitätsprüfungsverfahren. Hier werden nicht nur Methoden aufgestellt, um die Qualitätsprüfungen messbarer zu gestalten. Es werden auch die Ergebnisse der Testprüfungen aufgeführt. Im Vorfeld erhielten alle Prüfer eine Vorbereitung und zweitägige Schulung sowie die Verfahrensbeschreibung, die Prüfbögen und Ausfüllhinweise. Zum Abschluss der Schulungen wurden die Fragebögen vorgestellt und erörtert sowie Rückfragen geklärt. Man sollte denken, das genügt an Vorbereitung, um eine entspannte Testprüfung und reibungslose Prüfung durchzuführen.
Diese Testprüfungen wurden 2018 mit MDK-Prüfern in Einrichtungen, die sich freiwillig zur Verfügung stellten, durchgeführt. Im Vorfeld wurden die Prüfer auf das neue Prüfverfahren eingestellt und auch geschult. Dennoch ist das Ergebnis8 zu den Bewertungen durch die MDK-Mitarbeiter erschreckend:
Bei 26 Testprüfungen mit Plausibilitätskontrolle waren insgesamt 260 einzelne Bewertungen zur Plausibilität vorzunehmen. Bei 23 Einzelbewertungen stimmten die Angaben nicht. »Bei 12 der 23 unterschiedlichen Bewertungen stellten die Prüfer unterschiedliche Sachverhalte fest, d. h. sie führten unterschiedliche Auffälligkeiten als Begründung für ihre jeweilige Bewertung an. … Es muss ungeklärt bleiben, ob diesen Bewertungen bereits unterschiedliche Wahrnehmungen der Situationen zugrunde lagen, da die Prüfer, die keine Auffälligkeiten festgestellt haben, in der Regel auch keine Angaben zur Situation gemacht haben.«9
»Von den 115 Abweichungen trifft für 55 Fälle zu, dass eine unterschiedliche Bewertung eines gleich beschriebenen Sachverhaltes vorlag.«10
13 von 34 Prüfern verstanden die Informationen nicht eindeutig und konnten dem Ablauf der Prüfung nicht folgen.11
»Bei 13 von 50 Doppelprüfungen beschrieben die Prüfer in Bezug auf die gleiche Situation unterschiedliche Sachverhalte, die sie zudem unterschiedlich bewerteten.«12 D. h. die Prüfer hielten sich nicht an die Verfahrensbeschreibungen.
Das bedeutet in Zahlen:
•ein Drittel der Prüfer wusste nicht richtig Bescheid,
•ein Viertel der Prüfer hat die Erläuterungen zu den Prüffragen ggf. ignoriert und ihr eigenes Ding gemacht,
•eine Prüferin ging die Prüfung nicht weit genug, sie wollte Medizinprodukte geprüft wissen, die Biografie in der Körperpflege, den PDCA Zyklus etc.,
•nur die wenigen übrigen Prüfer leisten eine passable Arbeit.
Fazit Nicht alle Prüfer sind Überflieger
MDK-Prüfer sind nicht unfehlbar. Schauen Sie in die Prüfanleitung und glauben Sie nur das, war dort steht. Prüfer muss man im Zweifel fragen: »Wo steht das?«, statt ihnen blindlings zu folgen.
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2MDS (2018): Fragen und Antworten zur neuen Qualitätsprüfung für Pflegeheime ab 2019. Essen, S. 3. Im Internet: https://www.mds-ev.de/themen/pflegequalitaet/qualitaetspruefungen.html, Zugriff am 09.01.2019
3https://www.mds-ev.de/themen/pflegequalitaet/entbuerokratisierung.html
4Vgl. MDS (2018): Seminarprogramm des MDS 2019. 28. völlig überarbeitete Neuauflage. Essen, S. 100
5https://www.mds-ev.de/themen/pflegequalitaet/qualitaetssicherung-der-qualitaetspruefung.html
6Ebd.
7Wingenfeld K, Stegbauer C, Willms G, Voigt C, Woitzik R (2018): Abschlussbericht: Darstellung der Konzeption für das neue Prüfverfahren und die Qualitätsdarstellung
8Ebd., S. 136 und 148
9Ebd., S. 136
10Ebd., S. 137
11Ebd., S. 148
12Ebd., S. 135
Das Strukturmodell, von vielen vereinfacht SIS® (obwohl die nur ein Teil davon ist) genannt, brachte einen Paradigmenwechsel in der Pflege und führte zum ersten großen Umdenken: Weg von der rein pflegerischen Einschätzung der Pflegeprobleme, wie wir sie aus den letzten 40 Jahren Altenpflege kannten.
Nachdem wir durch Liliane Juchli 1977 erstmals im deutschsprachigen Raum ein Modell zur Planung der Pflegeprobleme erhielten und diese »Aktivitäten des täglichen Lebens« (ATL) schließlich 1984 durch »Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen des Lebens« (AEDL) von Monika Krohwinkel sukzessive abgelöst wurden. Endlich gab es mit Monika Krohwinkel nach langen Jahren eine Deutsche, die ein Pflegemodell kreierte. Nicht verwunderlich also, dass man jahrzehntelang ihrem Vorgehen der AEDL folgte.
Info
Ob ATL oder AEDL – Der Nachteil all dieser Modelle war und ist: Sie basieren auf alten Erkenntnissen und wurden jahrzehntelang nicht wirklich weiterentwickelt.
5. Fehler: Das Strukturmodell wird wie ein Pflegemodell behandelt
Es war lange schon an der Zeit, eine grundlegende Änderung herbeizuführen. Und damit auch der häufig angstgetriebenen Dokumentation, dies oder jenes könne auch noch dokumentiert werden, ein Ende zu setzen. Je mehr desto besser schien die Devise all die Jahre und kaum jemand hat versucht zu entbürokratisieren.
Als der Gesetzgeber 2009 die Entbürokratisierung ins Gesetz schrieb (Pflegeweiterentwicklungsgesetz) glaubte viel kaum daran, dass sich etwas ändern würde. Tatsächlich geschah nach 2009 zu diesem Thema nicht allzu viel. Erst 2011 wurde klar, es wird was kommen. »In einer 2013 von Kitson et al. vorgestellten Synthese von Publikationen aus Pflege, Medizin und Gesundheitspolitik zu der Frage, welches die Kernelemente einer ›Person-Zentrierten Praxis‹ sind, identifizierten die Autorinnen drei Kernthemen:
(1) Partizipation der ›zu-Pflegenden‹;
(2) Beziehung zwischen ›zu-Pflegenden‹ und den professionell Tätigen sowie
(3) der Kontext, in dem Pflege angeboten wird.«13
Diese drei Kernelemente sollten die Grundlage darstellen für eine noch nie dagewesene Betrachtungsweise im Pflege- und Beziehungsprozess. Im Strukturmodell kommt erstmals der zu Pflegende als erster zu Wort. Erst dann schätzt der Pflegeprofi die Probleme und Ressourcen ein. Außerdem: Was auch immer die Fachkraft einschätzt, ohne den zu Pflegenden geht es nicht. Letztlich muss ein Aushandlungsprozess her, wenn Profi und Hilfsbedürftiger nicht von allein zusammenkommen.
Aber eines nach dem anderen. Schauen wir auf das Strukturmodell. Es besteht aus vier Kernbereichen und ist somit ein vierschrittiger Pflegeprozess:
1.SIS® (Strukturierte Informationssammlung)
2.Maßnahmenplanung (in welcher Art auch immer)
3.Bericht zur Dokumentation von Abweichungen und Besonderheiten
4.Evaluation
Das allein ist schon eine Entbürokratisierung zu dem seit Jahrzehnten angewandten Pflegeprozess nach Fiechter und Meier. Denn das Strukturmodell macht aus zwei Schritten, 1. Schritt Anamnese/Informationssammlung und 2. Schritt Problem-Ressourcenplanung nur einen Schritt.
Der 3. Schritt, die Ziele, und der 5. Schritt, der Leistungsnachweis (Grundpflege), fallen beim Strukturmodell ebenfalls weg.
Die SIS® beherbergt die Anamnese, Informationen, Wünsche, Bedürfnisse, Biografie, Problem und Ressourcen und nicht zu vergessen die Risikomatrix.
Fazit Toller Nebeneffekt der Entbürokratisierung
Ein einziger Vordruck, die SIS®, ersetzt gleich zwei bis drei herkömmliche Vordrucke und mindestens fünf Assessments.
6. Fehler: Das Strukturmodell wird als Musterdokumentation gesehen
Das Strukturmodell ist keine Dokumentation und auch keine abschließende Ausführung. Es ist eine Grundhaltung, die viele bisherigen Prinzipien der Dokumentation überprüft und verändert hat.
Das Strukturmodell nimmt nur Bezug auf vier Schritte des Pflegeprozesses. Es finden sich darin keine Aussagen zu Vitalzeichen, Wunddokumentation etc. Und selbst Maßnahmenplan und Pflegebericht werden nicht als Formvordruck vorgegeben. Warum das so ist, erklärt Elisabeth Beikirch, ehemalige Ombudsfrau zur Entbürokratisierung der Pflege: »Wir wollten keine Musterdokumentation, sondern eine Empfehlung für eine Grundstruktur der Pflegedokumentation vorlegen … Die Träger können selbst entscheiden, ob sie das Dokumentationssystem an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Wir geben nur den Rahmen vor, allerdings mit strengen Spielregeln, damit die Effekte auch einsetzen.«14
Fazit Grundstruktur einer Dokumentation
Das Strukturmodell mit seinen vier Grundelementen (SIS®, Maßnahmenplan, Berichteblatt, Evaluation) ist nur ein Teil einer Dokumentation, die jede Einrichtung selbst gestalten kann.
7. Fehler: Annahme, das Strukturmodell sei eine Pflicht für alle Einrichtungen
Weder in der Berufsordnung der Alten- und Krankenpflege noch in den Sozialgesetzbüchern werden Pflegemodelle, Dokumentationsmodelle oder Vorgehensweisen zur Dokumentation geregelt. Das bedeutet, der Gesetzgeber hat sich noch nie in die Art der Dokumentation eingemischt, weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Im SGB XI steht lediglich in § 113: »In den Vereinbarungen sind insbesondere auch Anforderungen an eine praxistaugliche, den Pflegeprozess unterstützende und die Pflegequalität fördernde Pflegedokumentation zu regeln.« Mehr ist im gesamten Gesetz hierzu nicht zu finden.
Im Gegenteil: Sehen wir uns das Krankenpflegegesetz an, so steht in § 3 Abs. 2 ein Satz, der sich auf die Ausbildung bezieht: »Die Ausbildung für die Pflege nach Absatz 1 soll insbesondere dazu befähigen,
1. die folgenden Aufgaben eigenverantwortlich auszuführen:
a) Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs, Planung, Organisation, Durchführung und Dokumentation der Pflege,
b) Evaluation der Pflege, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege…«
»Eigenverantwortlich« ist hier das entscheidende Stichwort.
Fazit Es gibt keine Pflicht zur Entbürokratisierung
Da es keine Gesetze zu Art und Umfang einer Dokumentation gibt, kann auch das Strukturmodell nicht zur Pflicht werden.
8. Fehler: Keine Probleme, Ressourcen und Ziele in der SIS®
Natürlich ist die Anwendung des Strukturmodells ein Pflegeprozess. Und natürlich geht es wie bei einem Pflegemodell darum, Probleme, Ressourcen und Ziele zu erfassen. Allerdings wird nicht wie in den »alten« Planungen vorgegangen, wo sich in der Pflegeplanung die folgenden drei Spalten fanden:
1.Probleme/Ressourcen
2.Ziele
3.Maßnahmen
Der pflegebedürftige Mensch wird aber nun ganzheitlich in sogenannten Themenfeldern betrachtet: »Der Verzicht auf die Schritte 2 und 3 des 6-phasigen Pflegeprozessmodells dient keineswegs nur dem Ziel der Aufwandsreduktion. Ziel ist vielmehr die Abkehr von einer Vorstellung der ›Zerlegung‹ des Menschen in einzelne ›Probleme‹ / ›Diagnosen‹ / ›Ressourcen‹, die in einem linearen Prozess ›gelöst‹ werden.«15
1.Die Probleme und Ressourcen stehen in der SIS®,
2.die Ziele ergeben sich aus den Maßnahmen sowie den Wünschen und Bedürfnissen, die aus Sicht des Klienten erfasst sind,
3.die Maßnahmen stehen im Maßnahmenplan, auch Tagesstruktur oder Ablaufplan genannt.
9. Fehler: Die Annahme, bei der SIS® gäbe es nur eine Meinung
Natürlich gibt es Anwenderunterlagen, natürlich gab es Multiplikatorenund Anwenderschulungen. Aber hat das die unterschiedlichen Meinungen beseitigt? Bei weitem nicht. Denn selbst wenn 100 Zuhörer, etwa Multiplikatoren, einem Referenten zuhören, hört doch jeder etwas anderes. Und wenn diese unterschiedlichen Informationen durch die Multiplikatoren jeweils an weitere 100 Anwender gegeben werden, sind das schon 10.000 Meinungen über das ursprünglich Gehörte. Diskutieren dann die Anwender noch untereinander darüber, wie man dies oder jenes schreibt, kommen wiederum unterschiedliche Antworten heraus.
Und so geht es weiter, wie im Schneeballsystem. Man hört dies und hört jenes. Und wer hat Recht?
•Der Vorgesetzte, der sagt: »Ich möchte das so, weil …«
•Der Heimaufsichtsmitarbeiter, der vermeintlich weiß, wie es am besten geht.
•Der Mitarbeiter des MDK, der zur Prüfung kommt und dies oder jenes erwartet.
•Der Auszubildende, der aus der Schule sein dort gehörtes Wissen einbringt.
•Der Autor, der nach bestem Wissen und Gewissen ein Buch über das Strukturmodell oder die Pflegedokumentation allgemein schreibt.
•Der Referent, der den Teilnehmern seine Perspektive der Dinge schildert.
•Der Kollege, der mit gutem Rat bei Fragen zur Seite steht.
Fazit Jeder hat seine Meinung und Sicht auf die Dinge
So lange es Menschen gibt, gibt es zu ein und derselben Sache eben unterschiedliche Meinungen. Wichtig ist nur, dass Sie stets fragen: »Wo steht das«?
10. Fehler: Trotz SIS® zu viel Dokumentation
In der Vergangenheit trauten sich die Pflegeeinrichtungen keine neuen Wege zu. Es fehlte ihnen schlicht an Mut, die vertrauten Pfade zu verlassen, es gänzlich anders zu machen, als die Einrichtungen ringsherum. Und so schrieben erst alle ihre Pflegeplanung nach den AEDL, und heute schreibt ein großer Teil eben nach der SIS® als Informationssammlung für die Ressourcen, Probleme, Wünsche und Bedürfnisse.
Die Pflege ist zu wenig kritisch, der alte Dokumentationswahnsinn in Teilen auch hausgemacht. Trotz Einführung des Strukturmodells erlebe ich in Einrichtungen noch immer zu viel Dokumentation. Wenn ich um Erklärung bitte, warum man so viel dokumentiert, bekomme ich oft eines oder mehrere der folgenden Argumente zu hören:
•»Wir möchten keinen Ärger mit dem MDK.«
Dass nicht der MDK die Regeln macht, sondern der MDS, ist vielen nicht bekannt. Sie geben den Prüfern eine Macht, die diese weder verdienen noch nutzen sollten. ( 1. Fehler).
•»Das müssen wir so tun, das ist doch Pflicht!«
Aber wo steht, was genau in der SIS® stehen muss? Wie diese formuliert sein soll? Weder im neuen MDK-Prüfkatalog noch in den Schulungsunterlagen von EinSTEP.
•»Unser Dokusystem lässt nichts anderes zu.«
Die Dokumentationshersteller haben ein natürliches Interesse daran, etwas zu verkaufen. Wenn es ihnen gelingt, statt einer DIN A4-Seite eine größere, eine DIN A3-Seite zu kreieren, oder in der EDV noch eine weiter Datenmaske, umso besser. Gern gestalten Doku-Hersteller Vordrucke und Datenmasken auch so, dass man fälschlicherweise annimmt, diese müssten so geschrieben werden.
•»Die Auszubildenden lernen das so.«
Das ist leider wahr. Es gibt kaum eine Berufsfachschule in Deutschland, die anderes lehrt als das Übliche. Man bringt den Auszubildenden also nicht Vielfalt und Meinungsbildung bei, sondern scheinbar für alle verbindliche Regeln. Einerseits haben Schulen sicherlich Vorgaben für die Lehrpläne, andererseits ist aber niemand gezwungen, früher die AEDL oder heute das Strukturmodell als das einzig Wahre und Mögliche darzustellen. Dass man zudem in einigen Schulen die Anforderungen aus der Praxis missachtet, ist schädlich für die Entwicklung der Auszubildenden. So hören sie in der Schule kaum etwas von Heimaufsichtsanforderungen, Gesundheitsamt oder MDK. Ich kenne keine Schule, die mit den Auszubildenden mal die Prüfkriterien aufgreift und den Pflichtlehrstoff zur Analyse daneben legt. Den Auszubildenden sollte Meinungsfreiheit und -vielfalt ebenso beigebracht werden wie die berechtigte Frage: Wo steht das? Mit einem Lehrstoff des immer gleichen Inhalts zur Dokumentation, kann kaum Entwicklung stattfinden.
•»Das machen wir schon immer so und wir haben damit gute Erfahrungen gemacht.«
Auch dieser Ausspruch begleitet viele, insbesondere Leitungskräfte. Doch es gilt das andere Motto: Wer stillsteht, ist morgen von gestern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass schwache Leitungskräfte noch schwächere Mitarbeiter suchen und nur starke Leitungskräfte nach Gleichgesinnten Ausschau halten. Wer die Veränderung scheut, wird erstens nicht bestehen und zweitens mehr arbeiten müssen. Wer nicht zur Änderung bereit ist, muss viel Energie in das Abschotten stecken, ins Kleinhalten von Mitarbeitern, die nach Neuerung fragen.
Um es mit Gustav Heinemann zu sagen: »Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.«
•»Die können sich doch nicht einigen!«
Viele Mitarbeiter und Leitungskräfte beschränken sich so in ihrer Meinungsfreiheit. Sie hören einem Referenten bei einer Fortbildung zu, nehmen dessen Gedanken auf und setzen Teile davon um. Dann kommt ein Prüfer (MDK oder Heimaufsicht) und sagt: »So geht das nicht!« Also wird die SIS® erneut geändert. So lange, bis die Prüfer zufrieden sind. Das gilt dann, bis der Nächste kommt, der wieder eine andere Meinung hat. Dann wird aufs Neue geändert. Wer so agiert, kommt nicht weiter, befriedigt mitunter nur die Bedürfnisse Einzelner.
Fazit Leben Sie mit einer großen Vielfalt an Meinungen
… aber scheitern Sie nicht daran! Folgen Sie nicht jedem blind, der gerade das Sagen hat. Lassen Sie drei Prüfer des MDK auf eine Pflegeplanung schauen – Sie werden drei unterschiedliche Meinungen hören. Fragen Sie dann noch einen Kollegen, die Schule oder einen Dozenten. Und noch mehr Meinungen kommen hinzu. Hören Sie sich jede Meinung an, das macht Sie nicht dümmer, aber entscheiden Sie selbst.
11. Fehler: Aus sechs Schritten des Pflegeprozesses werden einfach nur vier
In der Modellanwendung gibt es die typischen Fehler, dass man den Pflegeprozess von Fiechter und Meyer wie wir ihn seit Jahrzehnten anwenden, entweder so weiterführt oder bis heute nicht richtig hat. Wer den Pflegeprozess, egal welchen, in seinem Kreislauf nicht anwenden kann, wird in der Pflegedokumentation immer wieder die gleichen Fehler machen.
Der Pflegeprozess im Strukturmodell ist verkürzt auf vier Schritte, aber auch hier gilt, er muss rund sein:
Ein Pflegeprozess, ganz egal welcher, ist wie eine Waage, die immer ein ausgeglichenes Verhältnis anzeigen soll. Das bedeutet: Was an Problemen und Risiken da ist, dem muss mit entsprechenden Maßnahmen entgegengetreten werden.
Beispiel Probleme und die richtigen/falschen Maßnahmen
Falsch
•Problem: Gangunsicherheit, Sturzgefahr, Bewegungseinschränkung
•Maßnahmen: an Rollator erinnern, Stolperfallen entfernen, ausreichend Licht
Hier sieht man: Nichts passt zusammen, die Waage ist nicht ausgeglichen.
Richtig
•Problem: vergisst Rollator
•Maßnahme: an Rollator erinnern
Richtig
•Problem: Gegenstände wie Zeitung, Schuhe etc. liegen auf dem Boden
•Maßnahme: Stolperfallen beseitigen
Richtig
•Problem: zieht nach Unfall rechtes Bein nach
•Maßnahme: Kraft- und Balancetraining
12. Fehler: In den Themenfeldern fehlt die wörtliche Rede
Den Klienten zuerst reden zu lassen, dann das Gesagte in wörtlicher Rede niederzuschreiben – das ist wirklich neu und wird von allen bisherigen Modellen nur in der SIS® beherzigt. Bis dato kam die Sicht des Pflegebedürftigen nur (wenn überhaupt) über Wünsche und Bedürfnisse sowie biografische Hinweise zum Tragen.
Die Themenfelder sind keine Pflegeplanung. Es geht nicht nur um eine veränderte Art der Dokumentation. Das wirklich Revolutionäre ist die veränderte Betrachtungsweise.
Das bedeutet, nicht Sie als Fachkraft schreiben, was Sie sehen und denken, oder welches Problem Sie beobachten, sondern zuerst kommt der Klient zu Wort. Er soll seine eigene Sicht auf die Dinge schildern. Er zieht sein rechtes Bein nach? Hat der Klient damit ein Problem? Er hat einen insulinpflichtigen Diabetes? Wie geht er damit um? Er hat eine demenzielle Erkrankung? Na und, wie sieht er seine Welt?
Deshalb kommt in jedem Themenfeld immer und ohne Ausnahme zuerst der Klient zu Wort. So steht es auch in den aktuellen Schulungsunterlagen von EinSTEP Seite 16 steht original:
»6 Themenfelder [Perspektive pflegebedürftige Person, pflegerelevante biografische Merkmale, fachliche Einschätzung der Pflegefachkraft und Risikobewertung, Verständigungsprozess]«16 bzw.: »Die Erfassung der Angaben der pflegebedürftigen Person zu ihren Gewohnheiten und Wünschen sowie der Eigenwahrnehmung ihres individuellen Unterstützungsbedarfs erfolgt im Originalton. Das Gespräch dient zum einen dazu, die Person – soweit sie es gestattet – mit ihren Bedürfnissen, Werten und Gewohnheiten kennenzulernen und andererseits den Unterstützungsbedarf aus ihrer Sicht zu erfassen.«17
In vielen Einrichtungen finde ich ausgefüllte SIS®-Bögen, die am Ziel vorbeigehen, weil die wörtliche Rede in den Themenfeldern fehlt. Stattdessen hat die Fachkraft, wie früher in der Pflegeplanung, allein entschieden, was ein Problem und eine Ressource ist. Sie schrieb nur aus ihrer fachlichen Sicht und vergaß den Hauptakteur vollkommen.
Beispiel Wenn die wörtliche Rede in den Themenbereichen fehlt
Themenfeld 1
Fr. I. ist desorientiert in allen Bereichen, weiß nicht, wo sie ist, fragt ständig, wo sie hinmuss. Trägt eine Brille, ist schwerhörig.
Themenfeld 2
Fr. K. ist sturzgefährdet, vergisst ihren Rollator, kann nicht allein aufstehen, findet ihr Zimmer nicht.
Themenfeld 3
Hr. H. hat einen insulinpflichten Diabetes mellitus und kann sich nicht spritzen. Weitere Diagnosen: Herzinsuffizienz und Demenz.
Themenfeld 4
Fr. T. benötigt Hilfe bei der Körperpflege. Findet die Toilette nicht, ist untergewichtig. Gefahr der Mangelernährung.
Themenfeld 5
Tochter kommt regelmäßig zu Besuch, kümmert sich um persönliche Belange.
Die Perspektive des Pflegebedürftigen zuerst, unbedingt und ohne Wenn und Aber. Auch wenn der Klient demenziell verändert sein sollte und seine Sicht auf die Welt eine andere als unsere ist. Gerade dann wird es doch spannend. Wenn der demenziell veränderte Klient sagt: »Ich mache alles allein, ich bin froh, dass ich noch klar im Kopf bin«, weiß man schon, wie man mit diesem Klienten umzugehen hat. Nicht bevormundend jedenfalls.
Beispiel Beispiele einer gut geführten SIS®
Themenfeld 1
Fr. K.: »Zum Glück bin ich noch klar im Kopf und weiß, was ich will. Was ich hören will, höre ich und ich lese jeden Tag meine Zeitung.«
PK: Fr. K. denkt, sie sei zur Kur und spricht jeden ungehindert an, wenn sie etwas wissen möchte. Sie liest/blättert gern Zeitschriften durch und hört gut, wenn man ihr leise und deutlich ins rechte Ohr spricht.
Fr. J.: »Ich bin schon immer im Turnverein 1905. Ich habe viel gewonnen (lacht), heute wollen die Beine nicht mehr richtig, aber ich komme hin, wo ich hinwill, wenn nicht, frag ich.«
PK: Fr. J. vergisst ihren Rollator, hat ohne diesen keinen Halt, geht schnell und ataktisch. Sie steht nicht allein aus dem Bett auf, im Bett bewegt sie sich selbst. Kein Kontrakturrisiko, beidseits Hüft- und Knieprothesen.
Themenfeld 3
Fr. G.: »Ich bin nicht krank, ich bin alt, na u nd. Ich hab Zucker und weiß, was ich essen darf, ich bin kein Kind.«
PK: Fr. G. isst gern Süßspeisen, trinkt alles, was sie will, gern abends ein Bier, das ihr die Kinder mitbringen.
Themenfeld 4
Fr. U.: »Ich mach alles allein, zum Glück brauch ich niemanden, und dicht bin ich auch noch (lacht).«
PK: Fr. U. würde sich am Waschbecken nur unzureichend waschen, vergisst ihre Inkontinenz und vergisst Intimbereich abzuputzen oder zu waschen. Zieht Inkomaterial aus, wenn sie tagsüber allein zur Toilette geht. Nachts äußert sie keinen Harndrang. Wiegt zw. 50-53 kg, keine Gefahr der Mangelernährung, trägt seit jeher Konfektionsgröße 38.
Themenfeld 5
Fr. Z.: »Ich habe anständige Kinder, aus allen ist was geworden. Ich geh auch wieder heim, wenn ich wieder gesund bin. Aber erst mal erhole ich mich. Hier muss ich nichts machen, ihr kümmert euch ja um mich.«
PK: Tochter Berta kommt meist zweimal pro Woche, kümmert sich um persönliche Belange. Tochter Irma kommt meist am Wochenende, da sie beruflich sehr eingespannt ist. Sie geht mit der Mutter spazieren oder Kaffee trinken. Die beiden Söhne wohnen weit weg, halten telefonisch Kontakt, kommen unregelmäßig, aber immer zu Feierlichkeiten der Familie.
Fazit Die Sprache zeigt den Klienten
Gerade die wörtliche Rede, die Sichtweise und Perspektive der Klienten geben die nötigen Einblicke, um eine gute Versorgung einzuleiten. Wenn Sie Themenfelder füllen, beachten Sie bitte diese Grundregel.
13. Fehler: Die Angehörigen kommen in der SIS® nicht zu Wort
Wie gerade gesagt, ist die wörtliche Rede des Klienten das A und O einer SIS®. »Die Hinzuziehung der Erfahrungen und Einschätzungen von Angehörigen und ggf. von Betreuern ist eine wichtige Option, falls die pflegebedürftige Person aufgrund ihrer körperlichen oder kognitiven Situation keine Aussagen mehr treffen kann.«18 Das macht klar: Die Sichtweisen der Bezugspersonen um den Klienten herum sind auch wichtig.
Fazit Beachten Sie die Angehörigen
Nutzen Sie die wörtliche Rede nicht nur, um genau aufzuschreiben, was Ihr Klient gesagt hat. Wenden Sie die gleiche Technik auch auf dessen Bezugspersonen an.
14. Fehler: Die SIS®-Themenfelder werden falsch befüllt
Wenn Sie Fehler 12 lesen denken Sie vielleicht: »Mein Gott, wie viel Text!« Stimmt. Da steht wesentlich mehr Text als in den negativen Beispielen. Aber was ist die Alternative zu den negativen Beispielen? Geben Sie wirklich genügend Hinweise für die Versorgung und den Umgang mit dem Klienten? Erkennt man darin dessen Charakter und weiß mit diesem Menschen umzugehen?
Auch wenn es Zeichenbegrenzungen gibt, die Themenfelder der SIS® reichen immer. Probieren Sie doch mal eine dieser Möglichkeiten aus:
Details
- Seiten
- ISBN (ePUB)
- 9783842689886
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (Mai)
- Schlagworte
- Altenpflege Ambulante Krankenpflege Gesundheitslexika & Medikamentenratgeber Gesundheitswesen Medizin & Gesundheitsdienste Pflege Pflegemanagement & -planung