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Mitarbeiterführung in der Altenpflege

Rituale & Strategien für Ihren Führungsalltag. Warum Sie nur 2x30 Min. pro Tag brauchen

von Susanne Vathke (Autor:in)
120 Seiten

Zusammenfassung

Studien belegen: Mitarbeiter arbeiten 97 bis 99 Prozent der Zeit ohne Führung. Die Folge: Fehler, Missverständnisse, mangelnde Arbeitshaltung und unentdeckte Potenziale. In der Pflege ist das besonders gefährlich, denn die Kontrollen von außen sind massiv – Prüfungen durch MDK und Heimaufsicht decken schonungslos Fehler auf. Mit unangenehmen Konsequenzen für Führungskräfte und Einrichtungen.
Mit der 2x30-Minuten-Methode können Führungskräfte in der Pflege aus diesem Dilemma entkommen: 1x30-Minuten für die direkte Führung (z. B. tägliche gezielte Gespräche mit den Mitarbeitern) und 1x30-Minuten für die indirekte Führung (Selbstführung, Prioritätensetzung etc.). Dieses Management-Buch vermittelt:
- die Grundlagen einer wertschätzenden Haltung
- die 2x30-Minuten-Methode für den Arbeitsalltag
- das Handwerkszeug einer Führungskraft (priorisieren, fokussieren, etablieren & evaluieren)
- praktisches Wissen mit vielen Checklisten, Leitfäden und Fallbeispielen aus dem Alltag einer stationären Pflegeeinrichtung.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Einleitung

Ein Buch über Führung? Schon wieder ein neues. Ganze Bücherregale sind voll davon. Warum also noch eines? Meine Antwort darauf: Weil sich die Führungsarbeit – auch in der Altenpflege – verändert!

Es geht in der Mitarbeiterführung natürlich immer noch darum,

Orientierung zu geben,

zu steuern und zu kontrollieren,

Aufgaben zu delegieren,

Mitarbeiter zu informieren,

Beziehungsqualität zu gestalten und

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter zu entwickeln.

Diese Basis-Aufgaben haben Bestand. Aber die Arbeitswelt ändert sich. Immer weniger Fachkräfte, immer mehr Digitalisierung, immer schnelleres Tempo. Diese Tatsachen beeinflussen auch Ihre Führungsarbeit in der Altenpflege. Ich registriere in meinen Seminaren den immer größer werdenden Druck, dem meine Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterworfen sind.

image Übung

Werfen Sie einen Blick auf die Veränderung und urteilen Sie selbst: Wie lange sind Sie in der Altenpflege tätig? Drei, fünf oder zehn Jahre? Länger? Was hat sich seit Ende Ihrer Ausbildung verändert?

Wenn ich Führungskräfte in der Altenpflege in meinen Seminaren einen Blick in die Vergangenheit werfen lasse, werden die großen Veränderungsprozesse sehr deutlich, die die Pflegeeinrichtungen durchlaufen haben. Ich frage dabei bewusst nach positiven Veränderungen und setze meine Teilnehmer in Erstaunen, wie schwer es doch ist, diese positiven Aspekte im Rückblick zu benennen.

Positiv lässt sich Folgendes sagen:

Die medizinische, fachliche Qualität der Altenpflege hat sich in den letzten 30 Jahren sehr gesteigert und professionalisiert.

Stichworte sind hier Case Management, Hygiene- und Wundversorgung, medizinische Forschung und Erkenntnisse über Demenzerkrankungen und das Qualitätsmanagement.

Die Bewohner werden eindeutig fachlich besser versorgt.

Es gibt eine kontinuierliche fachliche Verbesserung des Personals. Das Angebot von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen wächst und wird angenommen.

Diese Veränderungsprozesse zielen auf Qualitätsverbesserungen für die Bewohner.

Die Altenpflege ist auch ein Wirtschaftsfaktor mit großer Zukunft. Deshalb werden Qualitätsverbesserungen alle Bereiche der Pflege beeinflussen.

Pflegeeinrichtungen sind für Investoren attraktiv, und damit entsteht ein wirtschaftliches Potenzial.

BWL-Kenntnisse und Belegungsmanagement sind somit keine Fremdworte für stationäre Einrichtungsleitungen mehr.

Die Pflegereformen bedingen eine ständige, konsequente Kontrolle der Pflegegrade zur Erlössicherung.

Doch diese Veränderungen haben auch ihren Preis:

Die Führungsarbeit ist komplexer geworden.

Die Zahl der Mitarbeiter sinkt.

Arbeitsdichte, Zeitdruck und die Ansprüche der Kunden (Angehörige und Bewohner) sind enorm gestiegen.

Die Personaldecke ist dünn, Bewerber sind rar und mehr Hilfskräfte im Einsatz.

Die Mitarbeiter brauchen ständige Fort- und Weiterentwicklungen, um auf dem aktuellen Stand des Wissens zu sein.

Kurzum: Wenn Sie als Führungskraft hier mitgehen wollen, dürfen Sie Ihr eigenes Handeln anpassen. Sie sollten sich Ihrer eigenen Werte bewusst sein, um den Kern Ihrer Profession zu wahren und die Faszination wachzuhalten. Aber Sie müssen Ihre Einrichtung, Ihren Wohnbereich auch gleichzeitig steuern, kontrollieren und ergebnisorientiert führen. Und bedenken Sie auch: Bei aller Kritik fasziniert die Altenpflege durch ihre Vielfalt – durch die Kombination aus der Zusammenarbeit mit Menschen, dem dafür nötigen medizinischen Wissen und der sozialen Kompetenz. Diese Faszination kann unter Zeitdruck leicht verloren gehen. Dabei könnte Sie Ihnen Kraft geben und Sie stärken.

Damit sind wir beim Thema dieses Buches! »Wie viel Zeit muss ich mir für Führung nehmen?« Das ist eine häufig gestellte Frage meiner Teilnehmer. Meine Antwort darauf lautet: 2 × 30 Minuten pro Tag! Davon gehören 30 Minuten pro Tag Ihnen, Ihrer Selbstführung. In den weiteren 30 Minuten wenden Sie sich konzentriert Ihren Mitarbeitern zu. So sorgen Sie Sie als Pflege- und Wohnbereichsleitung im Trubel der Veränderungsprozesse gut für sich und ihre Mitarbeiter und erfüllen gleichzeitig Ihre Führungsaufgaben – in einem Tagesablauf, der eigentlich kaum Zeit kostet.

Wie das funktioniert, zeige ich Ihnen in diesem Buch. Ich erläutere Ihnen, wie Sie die Führungsarbeit aufs Essenzielle komprimieren. Sie erhalten Anregungen,

die Ihre knappen Zeitressourcen berücksichtigen,

die Ihnen zeigen, wie Sie das Spannungsfeld zwischen fachlichen Anforderungen und Führungsanspruch verträglich gestalten.

Denn die Altenpflege bleibt ein Spannungsfeld. Das werde und will ich nicht auflösen. Sie haben einen spannenden Beruf gewählt und er soll und wird reizvoll bleiben. Ich möchte Ihnen aber Ihre Existenz innerhalb des Spannungsfeldes erleichtern. Es geht um Sie, um Ihre Freude am Beruf, um die Erhaltung Ihrer Lebensqualität.

Auf mehreren Wegen lade ich Sie ein, Ihre Führungsrolle neu zu erleben:

1.mit Reflexionsaufgaben (– die erste Reflexion haben Sie bereits gemacht, wenn Sie sich mittels der vorab genannten Übung an Veränderungen in der Vergangenheit erinnert haben)

2.mit praktischen Anleitungen und Übungen

3.mit Checklisten, die es Ihnen leichter machen, in der Umsetzung an alles zu denken

4.mit Erfahrungsberichten von Teilnehmern meiner Seminare (WBL und PDL)

5.mit kurzen Gesprächsleitfäden, die Ihnen die Vorbereitung auf wichtige Mitarbeitergespräche erleichtern und dabei helfen, Zeit zu sparen

Führung ist kontextabhängig. Sie sind nicht allein unterwegs, sondern bewegen sich in Abhängigkeiten, sind als Führungskraft in ein System, eine Organisation, eine Einrichtung eingebunden und stehen in einer Hierarchie. Sie sind Teil eines komplexen Systems. Genau das setzt der Optimierung Ihres Denkens, Verhaltens und Handelns gewisse Grenzen. Sie müssen strukturelle Dynamiken meistern und Grenzen setzen. Sie werden lernen, »Nein« zu sagen und über Ihr eigenes individuelles Tun hinausblicken.

Tatsächlich soll Ihr Blick so weit reichen, dass Sie sogar die gesellschaftspolitische Relevanz Ihres Tuns in der Pflege erkennen können.

Ganz konkret heißt das, Sie werden lernen,

wie Sie pragmatisch und lösungsorientiert im Führungsalltag handeln,

wie Sie wertschätzend führen,

wie Sie sich selbst immer im Blick behalten,

wie Sie den Blick aufs Ganze richten können,

wie Sie mutig konkrete Handlungsschritte definieren.

Fragen Sie sich auch manchmal: »Was mache ich hier eigentlich?« – »Macht das, was ich tue überhaupt noch Sinn?« Sind Sie vielleicht auch unter ganz anderen Rahmenbedingungen in diesen Beruf gegangen? Der Beruf, die Anforderungen, die gesamte gesellschaftliche Entwicklung, haben Wege genommen, die nicht vorhersehbar waren. Wer vor zehn Jahren und mehr in die Altenpflege ging, fand sich in einer ganz anderen Welt. Ihre Mitarbeiter dürften gelegentlich ebenso verwirrt sein. Von Ihnen als Führungskraft wird aber erwartet, dass Sie sich diesen Veränderungen stellen und Ihre Mitarbeiter mit klarem Kurs führen und motivieren.

In meinen PDL-Seminaren spiegeln sich die Veränderungen der Altenpflege in drei Segmenten wider (image Tab. 1):

1.im eigenen Unternehmen

2.bei den Mitarbeitern

3.bei den Führungskräften selbst

Jeder Mensch braucht einen inneren Kompass, der ihn gerade in den hektischen Zeiten immer wieder an dem ausrichtet, was ihm wirklich wichtig ist, was sinnvoll erscheint und ihm Halt gibt.

Das leitet über zu der Frage, welchen Sinn Sie der Arbeit geben und welche Einstellung Sie zu Menschen haben? Die Rahmenbedingungen und Ihr Umfeld mögen sich rapide verändern. Der Sinn Ihrer Aufgabe nicht.

Nach wie vor kommt es darauf an, wie Menschen miteinander umgehen. Von diesem Umgang miteinander werden die Wertsteigerung der Unternehmen und die Lebensqualität aller Beteiligten abhängig sein. Als Führungskraft ist es auch Ihre Aufgabe, dieses Miteinander zu gestalten, Werte und Nutzen für alle zu schaffen.

Es geht immer um beides:

1.den ökonomischen Wohlstand und Wachstum für das Unternehmen und

2.die Lebensqualität als Grundanliegen der Menschen im Unternehmen.

Im Führungsalltag bedeutet das eine Sowohl-als-auch-Strategie zwischen Ökonomie und Humanität. Um dabei nicht ins Schwanken zu kommen, brauchen Sie Orientierung – einen Kompass. Dieser Kompass besteht aus Ihren inneren Werten und Ihrem Bild, das Sie sich von den Menschen machen.

1.1Ihre Werte

Wir alle haben innere Leitlinien – unsere Werte. Das sind Dinge, die uns wichtig sind, beruflich wie privat. Sie helfen uns in schwierigen Situationen, eine Entscheidung zu treffen. Denn sie geben uns vor, was wir schützen, wahren oder vermeiden wollen.

Definition Werte

Werte sind Orientierungs- und Entscheidungshilfen im Leben eines Menschen. Es sind Verhaltensweisen, Eigenschaften, Handlungen, die einem wichtig und erstrebenswert sind.

Unsere Werte (bewusst oder unbewusst) erklären auch so manche emotionale Reaktion. Werden unsere Werte verletzt, sehen wir sie in Gefahr, reagieren wir emotional. Kommt etwa ein Mitarbeiter regelmäßig zu spät zum Dienst und zuckt nur mit den Achseln, wenn Sie ihn darauf ansprechen, reagieren Sie möglicherweise darauf höchst emotional. Ihre Werte »Zuverlässigkeit« und »Pünktlichkeit« werden von diesem Mitarbeiter so dermaßen missachtet, dass Sie vielleicht ärgerlich, genervt, ungehalten oder wütend reagieren.

Die eigenen Werte zu kennen, erhöht nicht nur Ihr eigenes Verständnis für sich und Ihre Reaktionen, sondern Ihre Mitarbeiter können Sie auch besser einschätzen. Sie wirken authentisch, wenn Sie im Rahmen Ihrer Werte handeln. Genug positive Aspekte also, um sich einmal die eigenen Werte zu verdeutlichen.

Die Vorteile:

Sie verstehen Ihre emotionale Empörung besser.

Sie erkennen Ihren inneren Kompass, der Sie leitet.

Sie bleiben in schwierigen Zeiten und unter hohem Arbeitsdruck integer und handeln Ihren Überzeugungen entsprechend.

Es fällt Ihnen leichter, im Alltag Prioritäten zu setzen, da Sie wissen, was Ihnen wichtig ist.

Bei komplexen Entscheidungen sollten sich Ihre eigenen Werte mit der Entscheidung verbinden lassen.

Sie können sich als Führungskraft klar positionieren.

Vielen Menschen fällt es schwer, ihre persönlichen Werte ad hoc zu formulieren. Was würden Sie spontan sagen, wenn Sie jemand nach Ihren zehn wichtigsten Werten fragt? Schauen Sie sich die Beispiele in der folgenden Übung einmal an und treffen Sie eine Auswahl.

Warum sind Werte so wichtig? Als Führungskraft in der Pflege sind Sie von vielseitiger Komplexität umgeben. Die Pflege-Welt hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren sehr stark verändert. Sie sind in einer Position, in der Sie vielen Erwartungen und Ansprüchen ausgesetzt sind (image Kap. 1.4.3).

Zur Verdeutlichung füge ich hier einen Vergleich ein: Wenn wir das Leben früherer Jahrhunderte mit unserem heutigen betrachten, wird uns sofort deutlich, wie groß der Unterschied ist. Wenn Sie eine mittelalterliche Stadt betreten, können Sie sich gut orientieren: Der Kirchturm dominiert den Marktplatz, flankiert vom Rathaus. Dieses Ensemble bildet ein klares Zentrum, um das sich die Straßen ringförmig nach außen erstrecken. Vielleicht gibt es sogar noch Stadtmauern, die die Altstadt schützend umgeben. Alle Wege führten ins geistliche und städtische Zentrum. – Heutzutage fehlt unseren Städten häufig eine solch übersichtliche Architektur. Oft gibt es kein klares Zentrum, Straßen erstrecken sich in alle Himmelsrichtungen. Ohne Stadtplan oder Navigationsgerät verlieren wir schnell die Orientierung.

Das ist im Berufsleben von Pflegenden nicht anders. Wo früher eine klare Hierarchie herrschte und Gesetze viele Jahrzehnte lang galten, ist heute alles im Umbruch: Wer hätte sich vorstellen können, dass Gesetze alle paar Jahre verändert werden? Wer hätte ahnen können, dass Vollzeit-Kräfte ein Auslaufmodell und Teilzeit-, Hilfsund Leihkräfte fast die Norm darstellen? Wer hätte geglaubt, dass sich die Altenpflege- Ausbildung so ändert, dass man fürchten muss, keine Auszubildenden mehr zu bekommen?

Zwei Grundlagen haben aber Bestand: Pflege soll zum einen so geleistet werden, dass die Bewohner gut und qualitätsvoll versorgt und untergebracht sind. Zum anderen sollen die Mitarbeiter gut ausgebildet sein und leidenschaftlich ihrer Arbeit nachgehen.

Zudem sind die Werte in der Altenpflege die gleichen geblieben: Altenpflege ist Beziehungsarbeit, geprägt von Fachkompetenz und Menschlichkeit. In den Leitbildern der Einrichtungen ist nach wie vor die Rede davon, dass man die Menschen so annimmt, wie sie sind und ihnen Geborgenheit und Sicherheit vermittelt. Von wertschätzender Grundhaltung ist die Rede, von Selbstständigkeit der Bewohner und dem Willen, die Mitarbeiter stets und ständig fortzubilden.

Es ist also gut, von Zeit zu Zeit einen »neuen Stadtplan« zu erstellen und sich eine Orientierung zu geben: Wo will ich hin und wie komme ich an dieses Ziel? Werden mir meine Mitarbeiter auf diesem Weg folgen können und wollen?

Sie haben sich anhand der Übung Ihre Werte verdeutlicht. Diese geben Ihnen Orientierung und zeigen Ihnen den Sinn in Ihrem Tun. Können Sie diese Kernwerte, wie ich sie nenne, auch an Ihr Team weitervermitteln? Diese Werte wollen gelebt werden. Wo und wie ist das möglich?

Können Sie sich vorstellen, über den Wert des achtsamen und respektvollen Umgangs mit den Mitarbeitern zu sprechen? Wie wichtig er Ihnen ist! Und über Ihre Befürchtung, dass der Wert »wertschätzender und achtsamer Umgang mit Bewohnern« aufgrund der aktuellen Arbeitssituation leidet? So könnten Sie z. B. berichten, dass Ihnen aufgefallen ist, wie Ihre Mitarbeiter ohne Gruß an einem Bewohner vorbeigehen. Genau das wollten Sie nie in Ihrer Einrichtung erleben. Und so thematisieren Sie ausgehend von Ihrer Beobachtung, wie gefährdet alle sind, die wichtigen Werte in der täglichen Hektik zu verlieren.

Werte wollen gelebt werden. Werte wollen kommuniziert werden. Auf den Werten basieren im Unternehmen letztlich die Leitbilder, die Visionen. Wobei Leitbilder oder Visionen von oberer Ebene heruntergebrochen stark an Wirkung verlieren und eher Unzufriedenheit erzeugen, wenn sie nicht gelebt werden. Möchten Sie sich und Ihrem Team einen Kompass in die Hand geben, der zeigt, wo der Weg lang geht, tun Sie es, indem Sie über das sprechen, was Ihnen allen in Ihrer alltäglichen Arbeit wichtig ist. Was Ihrer Arbeit einen Sinn gibt. Und: Leben Sie Ihre Werte vor! Das gibt Ihnen eine deutliche Motivation und Ihren Mitarbeitern Orientierung.

1.2Ihr Menschenbild

Definition Menschenbild

Menschenbilder sind »…bewusste und unbewusste verallgemeinernde Vorstellungen über Menschen und die Hintergründe ihres Verhaltens.«*

*Steiger T, Lippmann E (Hrsg.) (2013): Handbuch angewandte Psychologie für Führungskräfte. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, S. 4

Bewusste, aber auch unbewusste, verallgemeinernde Annahmen über Menschen … das Menschenbild scheint trotzdem eine höchst individuelle Sache zu sein. Fragen Sie sich daher, was Ihre »inneren« Bilder von den Menschen ausmacht, die Sie umgeben? Was ist Ihrem Menschenbild nach ein guter Mitarbeiter, eine guter Führungskraft, was ist Ihrer Auffassung nach richtig oder falsch bei anderen Menschen? Was ist Ihr persönliches Bild vom Menschen? Wie lautet Ihre Grundüberzeugung?

Ich lade Sie ein, einmal innezuhalten und sich zu überlegen, wie Ihr Menschenbild hinsichtlich Ihrer Mitarbeiter aussieht.

Vielleicht sind Sie ja der Meinung, dass Ihre Mitarbeiter

Intrinsisch, von innen heraus, motiviert sind, ihre Arbeit zu tun,

sich selbst Ziele setzen und diese auch umsetzen,

sich weiterentwickeln möchten,

Verantwortung übernehmen wollen.

Dann sind Sie eine Führungskraft, die ihren Mitarbeitern vertraut, sich auf ihren Teamgeist verlässt und sie mit Respekt und Anteilnahme führt.

Vielleicht aber sehen Sie Ihre Mitarbeiter sehr kritisch, weil

sie nur mühsam zu motivieren sind,

ständig Belohnungen erwarten,

stets streng geführt werden müssen, damit sie überhaupt arbeiten.

Dann ist Ihre Führung von Misstrauen, vielleicht sogar Verachtung und einer großen Distanz geprägt.

Unterschiedliche Führungskräfte sehen ein und denselben Mitarbeiter anders, weil sie sich eine persönliche Vorstellung von ihm und den Hintergründen seines Verhaltens machen.

Tatsächlich hat Ihr Menschenbild prägenden Charakter. Sie führen Ihre Mitarbeiter so, wie Sie sie sehen bzw. ihr Verhalten interpretieren. Ihr Menschenbild prägt Ihre Führung mehr, als Sie vielleicht sehen (wollen). Umso wichtiger ist es, dass Sie Ihr Menschenbild kennen und – vielleicht – auch hinterfragen. Heißt es nicht, dass jeder Chef irgendwann die Mitarbeiter hat, die er verdient? Der strenge Chef hätte demnach die eher unmotivierten Arbeiter, die nur widerwillig und mit viel Kontrolle ihrer Arbeit nachkommen. Der anteilnehmende Chef hätte Teams, die aus eigener Motivation heraus ihre Arbeit mit Leidenschaft tun, sich selber Ziele setzen und diese verfolgen.

Ein bisschen Hilfe in Sachen Menschenbild möchte ich Ihnen geben. Ich stelle Ihnen mein Menschenbild vor. Es ist von drei Annahmen geprägt, an die ich glaube:

1.Menschen streben nach Sinn.

2.Menschen haben einen freien Willen.

3.Menschen tragen die Verantwortung für ihr Leben.

Entstanden ist dies Menschenbild nicht aus einer theoretischen Beschäftigung, sondern in vielen Jahren der Zusammenarbeit, des Coachens und Unterstützens von Menschen, die in der Altenpflege arbeiten. Deshalb möchte ich es Ihnen nicht nur vorstellen, sondern auch erläutern, inwieweit es auch für die Auswirkungen für die Altenpflege haben kann.

zu 1.: Menschen streben nach Sinn.

Wenn das, was wir tun, einen Sinn ergibt, sind wir am stärksten motiviert. Fehlt uns dieser Sinn im Tun, kann diese Sinnlosigkeit in mentale und körperliche Krankheiten, sogar zu Lebensmüdigkeit führen. Sinn erleben wir, wenn wir unsere Werte leben können.

Jeder Mensch hat seine individuellen (oft auch unbewussten) Werte, die er leben will. Auch wenn der äußere Handlungsspielraum eingeschränkt ist, kann er durch seine innere Einstellung zu den Dingen und den Menschen Sinn finden.

Was bedeutet das im Führungsalltag für Sie? – Es ist für Ihre Zufriedenheit elementar wichtig, einen Sinn in Ihrem Tun zu sehen. Nur dann können Sie den Sinn der Arbeit auch an Ihre Mitarbeiter weitergeben. Manchmal geht der Sinn in der operativen Hektik verloren. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie sich immer wieder den Sinn Ihres Tuns bewusst machen. So erhalten Sie Ihre eigene und die Motivation Ihrer Mitarbeiter.

Meine Überzeugung, dass wir alle nach Sinn streben, heißt, dass

alle ein Bedürfnis haben, diesen Sinn in der Arbeit zu sehen und die Motivation zu spüren, die er erzeugt. Auch Mitarbeiter, die komplett demotiviert wirken/sind, wollen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Ihre Demotivation hat einen Grund. Als Führungskraft ist es auch eine Aufgabe, diesen Grund herauszufinden.

Arbeit auch dann Sinn macht, wenn wir sie mitgestalten können. Wenn uns Handlungsspielraum gegeben ist und man uns Vertrauen entgegen bringt. Wenn Sie als Führungskraft diesen Freiraum gewähren können, stiften Sie Sinn.

zu 2.: Menschen haben einen freien Willen.

Wir haben einen freien Willen und können uns immer wieder (neu) entscheiden. Zumindest, was bestimmte Sichtweisen angeht. Jeder von uns kann immer wieder neu entscheiden, worauf er sich primär konzentriert – auf die Möglichkeiten, die sich ihm bieten oder auf die Grenzen, die ihm gesetzt werden.

Was bedeutet das im Führungsalltag für Sie? – Auch wenn die Bedingungen schwierig bis unerträglich sind, können Sie frei wählen, worauf Sie sich konzentrieren wollen. Eine sehr beeindruckende und empfehlenswerte Lektüre ist hierzu Viktor Frankls Buch »... trotzdem Ja zum Leben sagen«, in dem er beschreibt, wie es ihm unter entsetzlichen KZ-Bedingungen gelang, seinen Willen und seine Würde zu erhalten.

In Ihrem Alltag ist es der Blick auf das Mögliche, der Ihnen Freiheit gibt. Es ist die Lösungsorientierung, ohne alles schön reden zu wollen. Es ist die Konzentration auf das Wesentliche, auf das Machbare und setzt somit auch die Prioritäten.

In meinen Seminaren nutzen die Teilnehmer die Gelegenheit, sich über die harten Arbeitsbedingungen in ihren Einrichtungen auszutauschen. Dieser Austausch ist entlastend, da es allen Teilnehmern ähnlich geht. Deshalb gebe ich diesen Klagen Raum. Dennoch gibt es einen Zeitpunkt, zu dem ich die Diskussion »drehe«. Ich weise dann darauf hin, dass es in der Macht eines jeden Einzelnen liegt, das »Machbare« in der Situation zu sehen und als Führungskraft verantwortlich zu handeln.

zu 3.: Menschen tragen die Verantwortung für ihr Leben (Prinzip der Selbstverantwortung).

Jeder trägt die Verantwortung für sein Leben, für seine Entscheidungen (auch wenn sie sich als Fehler herausstellen). Ich trage die Verantwortung für mein Tun (auch wenn das morgen anders aussehen würde). Ich trage die Verantwortung für mein Denken (auch wenn die Gedanken manchmal wirr sind). Die eigene Verantwortung bewusst zu leben heißt, das Leben aktiv zu gestalten und die Verantwortung nicht auf andere zu schieben. Eigenverantwortlich zu denken und zu handeln heißt auch, für sich selber gut zu sorgen.

Was bedeutet das im Führungsalltag für Sie? – Sie sind für sich selbst verantwortlich. Menschen in der Pflege neigen oft dazu, sich vor allem für die anderen verantwortlich zu fühlen, seien es Bewohner oder Mitarbeiter. Die Gefahr dabei ist es, dass man sich selbst aus dem Blick verliert. Sich der Verantwortung für sein eigenes Leben bewusst zu sein, hilft klare Grenzen zu ziehen. Das ist Ihre erste Verantwortung.

Ihre Zweite lautet: Sie haben mit der Übernahme der Führungsaufgabe eine Entscheidung getroffen und sind verantwortlich dafür, wie Sie diese Aufgabe bewältigen. Sie tragen die Verantwortung für Arbeitsergebnisse bezüglich Quantität und Qualität. Sie tragen auch die Mitverantwortung, dass Ihre Mitarbeiter mit ihren Kompetenzen und Fähigkeiten diese Arbeitsergebnisse erbringen können und dabei gesund bleiben. Sie gestalten und schaffen den Rahmen, in dem gern gearbeitet wird. Sie bieten die Möglichkeit der Weiterentwicklung.

Das heißt, ein (positives) Menschenbild ist für Sie als Führungskraft die Basis, auf der Sie stehen, auf die sie sich zurückbesinnen, wenn es stürmisch wird. Denn es gilt auch, dass in der Pflege viele Menschen unterwegs sind, deren Menschenbild von wertschätzenden Annahmen geprägt ist. Das wird sicherlich auch bei Ihnen der Fall sein, sonst hätten Sie einen anderen Beruf gewählt.

Als der ehemalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr die Aktion »Ich pflege, weil …« ins Leben rief, fragte er, warum Pflegekräfte tun, was sie tun. Die Antworten – hier ein paar Beispiele – dürften Sie nicht erstaunen:

»Ich pflege, weil ich alten und kranken Menschen helfen möchte; es in der Pflege nie langweilig wird oder die Menschen so etwas glücklicher werden können.«1

»Ich pflege, weil mir das Wohlbefinden anderer Menschen am Herzen liegt.«2

»Ich pflege, weil für mich dieser Beruf mehr als nur eine Tätigkeit bedeutet, ich sehe ihn wie eine Berufung und ein Stück Lebensweg. Meine Fürsorge und Hilfe gebe ich gerne kranken, alten und sterbenden Menschen. Dabei ist es mir sehr wichtig, die Würde zu achten.«3

Diese Aussagen erstaunen Sie nicht und Ihr Menschenbild ist davon geprägt, dass Sie Ihre Mitarbeiter als leidenschaftliche, engagierte und kompetente Menschen ansehen? Ich möchte Sie ausdrücklich ermutigen, sich das immer wieder bewusst zu machen. Auf dieser Basis sind Sie in der Lage, Beziehungen zu gestalten: zu Ihren Mitarbeitern, zu den Bewohnern und ihren Angehörigen. Beziehungen, die Wachstum, Entwicklung, Wertsteigerung und Erfolg bewirken. Menschen sind dialogische Wesen, das heißt, sie brauchen eine Atmosphäre, in der sie in diesem Bedürfnis verstanden werden, eine Atmosphäre in der sie sich wohl fühlen.

Ihr Menschenbild hat als »mentale Landkarte« Auswirkungen auf Ihren Führungsalltag und auf die gesamte Einrichtung. Die Leistungsfähigkeit einer Organisation kann nicht losgelöst von der Art und Weise verstanden werden, wie mit den Menschen, d. h. den Mitarbeitern umgegangen wird. Natürlich bezieht sich das ebenso auf den Umgang mit sich selbst. Sie stehen am Anfang des Prozesses, Ihr Bild von sich selbst, von Ihrer Aufgabe und Ihren Zielen.

1.3Ihre tägliche Führungszeit

Könnten Sie Ihren Mitarbeitern genau erklären, was Sie den ganzen Tag tun? Sie sollten es können. Obwohl ich immer wieder höre, dass Mitarbeiter das wohl kaum interessieren würde, kann ich diese Ansicht nicht teilen. Im Gegenteil: Mitarbeiter, die die Aufgaben der Führungskräfte nicht kennen, stellen sich einfach vor, was Führungskräfte so den ganzen Tag machen – viel telefonieren, viel kommunizieren, viel kontrollieren ... Finden Sie sich in solchen Allgemeinplätzen wieder? Mit Sicherheit nicht. Eigentlich verbringen Sie doch den ganzen Tag damit, die Arbeit zu organisieren, die Mitarbeiter planmäßig einzusetzen, Ziele zu setzen, Ergebnisse zu kontrollieren usw. Kurzum: Sie führen!

image Übung

Schreiben Sie Ihren Tagesablauf auf. Sie sehen auf einen Blick, wo Ihre Zeit bleibt. Wie ist Ihre Zeit verteilt? Was daran ist unabänderlich, wo gibt es Spielraum?

Sehen wir uns als Beispiel einen typischen Tagesablauf der PDL Sonja Werther4 an. Ich habe Sonja Werther als erfahrene PDL kennengelernt und sie nach ihrem Tagesablauf gefragt, weil sie auf mich klar und strukturiert wirkte. Genau das verrät auch ihr Tagesablauf.

Tab. 2: Tagesablauf Sonja Werther, KW 23, 6. Juni

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Im Tagesablauf von Sonja Werther steckt die Quantität von Führungszeiten in den Übergaben, den Schulungen und Mitarbeitergesprächen. Übergabezeiten, Besprechungen, Schulungen und anlassbezogene Mitarbeitergespräche sind die Zeiten, in denen Sonja Werther führt. Nicht alle Anlässe werden jeden Tag stattfinden. Wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass diese Art von Führung täglich stattfindet. Wie Sie diese Zeiten nutzen, ist die große Frage.

Sollte Ihr Tagesablauf ähnlich aussehen wie der von Sonja Werther, so organisieren Sie, klären Sie, steuern Sie – kurzum, Sie führen. Dabei sind Sie erst einmal funktional unterwegs. Führen bedeutet Einfluss auf Mitarbeiter nehmen, um Ziele zu erreichen. Es ist also eine bewusste Handlung, um zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen. Dieses bewusste Handeln ist planvolles Handeln.

Das planvolle Handeln reicht aber nicht aus. Es geht auch um die Beziehungsqualität. Also darum, menschliche Beziehungen so zu gestalten, dass die gemeinsamen Ziele (des Unternehmens) erreicht werden. Aber damit ergibt sich eine erste Konkurrenz: Unternehmen brauchen Erfolg, um zu bestehen – Menschen wünschen sich aber auch die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, und die gehen weit über den Erhalt einer Arbeitsstelle hinaus.

Ein Blick in die sich verändernde Arbeitswelt kann Ihren Blick erweitern:

Unternehmen, die den Fokus auf humane und wirtschaftliche Aspekte legen, können durchaus erfolgreich sein. So plädiert Götz Werner (der Gründer der dm-Märkte)5 für einen Weg, der Mitarbeiter auf den Weg in die Selbstverantwortung und Innovation einlädt. Er stellt sie in den Mittelpunkt des Unternehmens und der Führung und ist damit sehr erfolgreich. Er sieht Unternehmen als soziale Organismen: »Die Menschen im Unternehmen sind die wichtigsten Kunden, die wir haben.«(DVD 31:00) und »Die Menschen sind der Zweck von Organisationen.« (DVD 33:00) 6

Zielt der Zweck eines Unternehmens vor allem auf Gewinnmaximierung ab, werden die Mitarbeiter zum Mittel, um diesen Zweck zu erreichen. Das Menschenbild wäre eher funktional, der Führungsstil ebenso.

Wenn Unternehmen als soziale Organisationen für die darin arbeitenden Mitarbeiter gesehen werden, sind Mitarbeiter und Kunden der Zweck der Unternehmen. Darauf bezieht sich ein anderes Menschenbild und ein anderer Führungsstil.

image Übung

Ich verstehe Führung als das Gestalten von Beziehungen, um Ziele zu erreichen. Tatsächlich leben Sie diese Beziehungen jeden Tag. Doch nutzen Sie auch die Gelegenheiten, die sich Ihnen bieten? Markieren Sie in Ihrem Tagesplan all die Zeiten, in denen Sie mit Mitarbeitern im Gespräch sind – das sind Führungszeiten!

1.4Führen Sie mit Plan

Jeder Mensch hat seinen eigenen Arbeitsstil und seinen individuellen Umgang mit der Zeit. Jede berufliche Situation hat eine eigene Dynamik, der man sich anpassen muss. Der Grad der Anpassung und aktiven Gestaltung von Zeitkorridoren ist ein Balanceakt, den jede Führungskraft zu bewältigen hat. Mittlerweile ist auch allen bewusst geworden, dass Zeitmanagement-Techniken hier nur eine kleine Hilfestellung darstellen.

Jede Einrichtung, jede Organisation hat zudem einen sehr eigenen, typischen Umgang mit der Zeit. Wenn wir uns also mit der »Führung mit Plan« beschäftigen, richtet sich der Blick automatisch auf Ihren persönlichen Umgang mit der Zeit, Ihren persönlichen Führungsstil und die strukturellen Gegebenheiten Ihrer Einrichtung.

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer in meinen Seminaren beklagen das streng limitierte Zeitkorsett. Damit umzugehen und auch noch Mitarbeiter zu führen, ist zugegebenermaßen eine Kunst. In diesem engen Raster auch noch das persönliche Führungsprofil zu leben, ist aber dennoch ein lohnenswertes Ziel. Denn wenn Sie nicht mehr authentisch sein können, wird Ihnen die Arbeit keine Freude und keine Befriedigung mehr bieten. Also heißt es, in engen Grenzen den persönlichen Führungsstil leben. Es ist eine elementare Aufgabe, den eigenen persönlichen Arbeitsstil zu kennen und ihn permanent zu verfeinern.

Sie fühlen sich getrieben, zu Ad-hoc-Reaktionen gedrängt und stehen unter dem dauernden Eindruck, dass Ihnen die Zeit davonläuft? Das geht vielen Führungskräften nicht anders. Wie können Sie in bewussteres Handeln kommen?

Im Tagesplan von Sonja Werther erkennen Sie die täglichen Aufgaben einer PDL. Laut klassischen Stellenbeschreibungen liegen ihre Aufgaben in folgenden Bereichen:

Qualitätsmanagement

Bewohnerbetreuung

Personal-/Mitarbeiterführung

Verwaltungsaufgaben

Kommunikations- und Beziehungspflege zu den unterschiedlichsten Bereichen.

Schauen Sie sich Ihren eigenen Tagesablauf an. Wie viele reale Führungszeit ist darin? Können Sie 30 Minuten entdecken, in denen Sie Ihre Mitarbeiter führen? Und weitere 30 Minuten, in denen Sie sich selbst führen? In der Regel arbeitet ein PDL 39 Stunden pro Woche, also 7,8 Stunden pro Tag (= 468 Minuten). 30 Minuten Führungszeit für Ihre Mitarbeiter sind pro Tag gerade mal 6,4 Prozent Ihrer Arbeitszeit. Klingt das nicht machbar?!

Sollten Sie als Führungskraft auch zu den »Es-ist-nie-gut-genug«-Menschen gehören, kann eine solche zeitliche Übersicht Ihre eigenen (womöglich zu hohen) Ansprüche relativieren. Es ist genug, wenn Sie 30 Minuten effiziente (schnell und mit geringem Aufwand) und effektive (zielführende) Führungszeit aufbringen. Und weitere 30 Minuten, in denen Sie sich selbst führen. Dazu später mehr (image Kap. 3).

Konkret heißt das: Nutzen Sie Übergaben und Besprechungen, um bewusst zu führen. Das können hocheffiziente und effektive Zeiten sein. Es ist doch auch ansonsten nicht anders. Die Pflege von Bewohnern wird ebenfalls hocheffizient betrieben. Das führt dazu, dass wir klare Strukturen und Arbeitsabläufe haben, um so am besten den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohnern zu entsprechen. Diese Abläufe sind QM-relevant und besitzen hohe Priorität. Letztlich ist dieses Vorgehen auch auf den Führungsalltag übertragbar. Also, machen Sie sich einen Plan, sofern Sie ihn noch nicht haben.

Nehmen wir das Beispiel der WBL Florian Völker7. Die Themen Wohnbereich, Pflege und Administration gilt es jeden Tag zu planen und durchzuführen. Mit einer Übersicht sieht er am ehesten, wo seine Planung noch verbesserungswürdig ist. Schauen wir in seine Tagesplanung, in die Übersicht. Passt das so? Würden Sie etwas verändern?

Tab. 3: Tagesplanung Florian Völker

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Florian Völker ist auf den ersten Blick zufrieden. Ja, das passt. Er überlegt, ob er die Übergabe noch effektiver gestalten kann. Bisher lässt er sich einfach die Vorkommnisse erklären. Da könnt er noch tiefer fragen und steuern. Zum Beispiel »Was habt Ihr unternommen, um eine Lösung zu finden?« – »Was ist der Grund für ...?« – »Was werdet Ihr tun, wenn die Situation noch einmal auftritt?« Die administrativen Aufgaben wird er sich noch einmal genauer anschauen. Da würde er gerne Aufgaben im Team stärker verteilen.

1.4.1 Klären Sie die Prioritäten

In der Regel verbindet jede Führungskraft ihre Ziele mit denen des Unternehmens. Wahrscheinlich tun Sie das auch. Sie können natürlich auch die Zufriedenheit der Bewohner und Mitarbeiter als erstes Ziel ansehen. Die Hauptsache ist: Sie haben ein Ziel! Ansonsten gilt der Spruch: »Wenn alles wichtig ist, ist nichts wichtig.«

Wenn Sie alle Dinge mit gleicher Priorität behandeln, laufen Sie Gefahr, das Wesentliche nicht mehr vom Unwesentlichen trennen zu können. Sie verbrauchen womöglich Energie für unwichtige Dinge und haben keine Zeit für die Dinge, die Ihre volle Konzentration benötigen. Deshalb müssen Sie priorisieren. Die sogenannte ABC-Analyse hilft bei der Fokussierung auf das Wesentliche. Aufgaben werden hierbei in A-, Bund C-Aufgaben eingeteilt.

Wichtig ABC-Analyse

A-Aufgaben sind die wenigen, besonders wichtigen Aufgaben mit einer hohen Wertigkeit.

B-Aufgaben sind mittelmäßig wertvoll, meist verschiebbar, dürfen nur nicht aus den Augen verloren werden.

C-Aufgaben sind häufig Routinetätigkeiten, die Zeit kosten und im Idealfall sogar delegierbar sind. Eine Fokussierung auf diese Aufgaben hat kaum Auswirkungen auf den gesamten Erfolg. C-Aufgaben sind eher »Zeitfresser«.

Was ist Ihnen in Ihrer Führungstätigkeit wichtig, wenn Sie Führung als Einflussnahme auf die Mitarbeiter verstehen, um ein Ziel zu erreichen? Die eigenen Prioritäten zu klären ist immer wieder eine knifflige Aufgabe. Lassen Sie uns die ABC-Analyse auf Ihren Führungsalltag beziehen.

A-Aufgaben

Was hat in Ihrem Führungsverständnis die höchste Priorität? Beispiel: Beziehung gestalten – mit jedem Mitarbeiter einmal am Tag sprechen und wissen, wie es ihm geht.

Was sind Ihre persönlichen A-Prioritäten? Dies sind Führungsaufgaben, die nur Sie erledigen können und die für Ihren Führungserfolg unabdingbar sind. Beispiel: Leistung beobachten: Überblick über den/die Wohnbereich/e haben, um eine Leistung zurückzumelden – Rückmeldung geben, was gut gelaufen ist.

Was hat so hohe Priorität, dass Sie es in Ihren täglichen Ablauf mit einbinden wollen?

Beispiel 1: Kreativität und Gestaltungsfreiräume einräumen: Sich in einer Mitarbeiterrunde ein spezielles Problem vornehmen und es gemeinsam kreativ lösen. Das kann ein Problem sein, das Bewohner, Angehörige oder den Ablauf extrem stört.

Beispiel 2: Informieren: kurze 15-minütige Besprechung, um die Tagesthemen gemeinsam zu bewerten.

image Die A-Prioritäten gilt es zu tun!

B-Aufgaben

B-Prioritäten sind Tätigkeiten, die zwar wichtig, aber nicht so dringend sind. Sie sind also zeitlich keine »brennend« heißen Tätigkeiten und können bis zu einem gewissen Grad geschoben werden. Wenn man sie allerdings zu lange verschiebt, werden sie dann doch schnell brennend heiß. Also kann man sie nicht zu lange aufschieben.

Was Sie zu diesen B-Prioritäten zählen, entscheiden letztlich Sie selbst.

Einige Beispiele:

Planung von Fortbildungsmaßnahmen

Verfassen von Zeugnissen

Erstellung und Kontrolle der Dienstpläne

Ermittlung des aktuellen und zukünftig notwendigen Personals im Rahmen des Personalbudgets

Stellenplan entwickeln anhand des Belegungsplans

Kontrolle der Arbeits- und Brandschutzverordnung

Entwicklung und Optimierung von Arbeitsmethoden und einheitlichen Pflegetechniken

image Die B-Prioritäten gilt es zu planen.

C-Aufgaben

C-Prioritäten sind Tätigkeiten, die keinen nennenswerten Belang für Ihren Erfolg haben. Manchmal sind es liebgewonnene Gewohnheiten, von denen wir ungern lassen. Es können Routine-Aufgaben sein, auf alle Fälle sind es Aufgaben, die jemand anders an Ihrer Stelle genauso gut machen kann.

Einige Beispiele:

Protokolle von Besprechungen schreiben

Fort- und Weiterbildungswünsche entgegennehmen

Auswahl und Beschaffung von Fachliteratur

Aktualisierung der Warteliste

Überprüfung der eingegangenen Lieferungen

Überprüfung der Dienst- und Urlaubspläne

Erstellen und Aktualisierung von Überstunden Listen

Post verteilen

Blumen gießen

Sicherstellen der Wartung von Dienstfahrtzeugen

Kontrolle von Renovier- und Reparaturarbeiten

image Die C-Prioritäten gilt es zu delegieren.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842689909
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Mai)
Schlagworte
Altenpflege Business & Karriere Job & Karriere Medizin Motivation Pflege

Autor

  • Susanne Vathke (Autor:in)

Susanne Vathke ist Trainerin und Coach für wertorientiertes Führen sowie systemischer Coach & Organisationsberaterin.
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Titel: Mitarbeiterführung in der Altenpflege