Lade Inhalt...

Häufige Notfälle bei Hund und Katze

vorbereiten, erkennen und managen. Zusatzmaterial online: Flowcharts, Checklisten und Videos

von René Dörfelt (Autor:in)
232 Seiten

Zusammenfassung

Notfallpatienten kommen entweder zur Sprechzeit, wenn alle TFAs und Tierärzte beschäftigt sind, oder außerhalb der Sprechzeiten, wenn nur begrenztes Personal zur Verfügung steht. Oft ist nicht klar, wie schwerwiegend und lebensbedrohlich die Situation ist. Die komplette Aufmerksamkeit und das gesamte Können und Wissen des Personals sind jetzt gefordert. Dies ist nur mit guten Organisationsstrukturen und Teamwork zu schaffen. René Dörfelt zeigt, wie Notfälle optimal vorbereitet werden können, wie Notdienst organisiert werden sollte und wie im jeweiligen Notfall zu handeln ist. Ein wertvoller Leitfaden insbesondere für die haustierärztliche Praxis, mit dem Sie stressige Ausnahmesituationen professionell meistern!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort
image

„Notfallmedizin ist Tempomedizin.“

 

Diese und andere Beschreibungen existieren für den Notdienst. Dennoch sollte der Notfall nicht in Hektik und unkoordiniertes Durcheinanderrennen ausarten. Vielmehr müssen in einer Stresssituation durch optimale Vorbereitung, Ausstattung, Strukturen und Training die Abläufe Hand in Hand funktionieren. Um auf den Notfall – oder besser viele Notfälle – im Notdienst vorbereitet zu sein, ist einerseits Fachwissen gefragt, aber insbesondere auch organisatorische Gegebenheiten bilden einen Grundstein zum Erfolg. Hier spielen Tiermedizinische Fachangestellte eine große Rolle und können die Praxisleitung sowohl im Aufbau als auch in der Aufrechterhaltung von Strukturen effektiv unterstützen.

Viele Notfälle werden nach einfach strukturierten Handlungsanweisungen aufgearbeitet. Hierbei liegt der Fokus zuerst auf der Erhaltung des Lebens und der Vermeidung von Schmerzen unserer Patienten. Zu den lebensrettenden Erstmaßnahmen zählen Schocktherapie, Sauerstofftherapie und Analgesie.

Durch die Arbeit an verschiedenen Universitäten sowie auch an Privatkliniken konnte ich mehrere nationale und international verbreitete Herangehensweisen an tierische Notfälle kennenlernen. Als Leiter des Notfallservice bin ich täglich mit verschieden Notfällen und diversen organisatorischen Herausforderungen konfrontiert. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass eine effektive Notfallversorgung durch den Tierarzt allein nur schwer möglich ist. In der Notfalldiagnostik und Therapie übernehmen TFAs viele essenzielle Aufgaben und tragen damit zum Überleben des Patienten bei. Selbstverständlich sind dafür eine gute Ausbildung und ausreichend Übung wichtige Voraussetzungen.

Dieses Buch soll Tiermedizinischen Fachangestellten grundlegende Kenntnisse der organisatorischen Strukturen und Ausstattung einer Notfallpraxis liefern, aber auch einige wichtige und häufige Notfallszenarien und die lebensrettenden Notfallmaßnahmen in diesen Situationen beschreiben. Die Maßnahmen beruhen sowohl auf der einschlägigen Literatur als auch auf den über die Jahre gesammelten Erfahrungen. Zusätzlich sei interessierten TFAs ans Herz gelegt, die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse selbständig zu erweitern. Möglichkeiten dazu bieten beispielsweise meist internationale Kongresse sowie Zertifizierungskurse im Bereich der Notfallmedizin.

Es gibt immer mehrere Wege, ein Ziel zu erreichen. Daher nehmen Sie die Empfehlungen im Buch bitte nicht als „in Stein gemeißelt“. Über die Jahre werden sich auch hier Änderungen ergeben.

Die Erstellung dieses Buches wäre ohne die umfangreiche Erfahrung von nationalen und internationalen Tierärzten und TFAs, die mich auf meinem Weg begleitet haben, nicht möglich gewesen. Daher möchte ich mich auf diesem Weg für die Unterstützung und vielen Ratschläge bedanken. Des Weiteren danke ich meinen Eltern, die mich auf meinem Weg als Tierarzt immer unterstützt und gefördert haben, sodass ich schlussendlich meiner Leidenschaft, der Notfall- und Intensivmedizin, nachgehen konnte. Nicht zuletzt hat meine Frau mir mit Rat und Tat bei der Umsetzung des Buches zur Seite gestanden und damit einen besonderen Dank verdient.

Damit wünsche ich allen Lesern viele gute Erkenntnisse und Anregungen, den eigenen Notdienst optimal zu organisieren. Getreu dem Motto: „Leben und leben lassen“.

 

München, im Sommer 2019 René Dörfelt

Bei der täglichen Arbeit in der Tierärztlichen Praxis oder Klinik stellen die Notfälle meist besondere Herausforderungen dar. Der „Klassische Notfallpatient“ kommt entweder zur Sprechzeit, wenn alle Tiermedizinischen Fachangestellten (TFA) und Tierärzte (TA/TÄ) beschäftigt sind, oder außerhalb der Sprechzeiten, wenn nur begrenzt Personal zur Verfügung steht. Bei vielen Notfallpatienten ist oft zumindest anfänglich nicht klar, wie schwerwiegend und lebensbedrohlich die Situation ist. In vielen Fällen sind die Notfallpatienten nicht viel mehr als Standardpatienten außerhalb der regulären Termine. Gelegentlich aber handelt es sich um schwere lebensbedrohliche Situationen, welche die komplette Aufmerksamkeit, das gesamte Können und Wissen des Personals und viele Ressourcen der Praxis benötigen. In diesen Situationen ist das Arbeiten als Einzelperson oft nicht effektiv. Daher ist im Notfall Teamwork, also das effektive Zusammenarbeiten von TA und TFA essenziell.

Eine optimale Organisation und der Aufbau von Strukturen sind für den Erfolg der Notfallmedizin sehr wichtig. Dies gilt sowohl für die große Klinik, die regelmäßig mit Notfällen konfrontiert ist, als auch und insbesondere für die haustierärztliche Praxis, in der deutlich seltener akut lebensbedrohliche Notfälle auftreten. Durch den hier nur gelegentlichen Kontakt mit Notfällen sind oft die nötigen Standards, Strukturen und auch die Routine nicht so vorhanden wie in großen Kliniken. Dies macht Notfälle zu stressigen Ausnahmesituationen für alle Beteiligten. Die TFA kann hier einen wichtigen Stellenwert in der Organisation, Etablierung und Aufrechterhaltung der nötigen Strukturen übernehmen (image Kasten). Die Liste gibt allerdings keine Garantie auf Vollständigkeit und sollte beliebig, je nach Ansprüchen der Praxis, erweitert werden.

Eine Besonderheit der direkten Arbeit am Notfallpatienten ist im Gegensatz zur normalen Patienten-Aufarbeitung das sogenannte horizontale Fallmanagement. Während der reguläre stabile Patient einer Anamnese, einer klinischen Untersuchung und weiterführender Diagnostik unterzogen wird, um eine Diagnose zu bekommen und anhand dieser dann eine gezielte Therapie durchführen zu können, fehlt bei instabilen Notfallpatienten oft die Zeit für eine fundierte Diagnose. Daher muss hier schnell entschieden werden, welche Notfalltherapie durchgeführt wird. Gleichzeitig läuft die weitere Diagnostik. Es wird parallel versucht, den Patienten am Leben zu erhalten und eine Diagnose zu erlangen. Oft ist in der Notfallsituation auch keine Diagnose möglich. Stattdessen werden die wahrscheinlichsten therapierbaren Erkrankungen des Patienten behandelt. Insbesondere in der Erstbeurteilung, Notfalltherapie und Überwachung des Patenten kann die TFA eine große Hilfe sein.

image

So kann die TFA Notfall und Notdienst optimal organisieren

Schaffung von Telefonstandards, wenn Notfallpatienten telefonisch angekündigt werden, in Zusammenarbeit mit dem Tierarzt (image Kap. 2.1)

Erstellung von Material- und Medikamentenlisten und Aufrechterhaltung der jeweiligen Ausstattung im Notfallraum (image Kap. 2.2)

gezielte Hilfe bei der Personalsuche für den Notdienst (image Kap. 2.3)

Erstellung von Dienstplänen und Hilfe bei der Koordination der tierärztlichen Dienstpläne in Zusammenarbeit mit der Praxisleitung (image Kap. 2.3)

Erstellung von Standards für die Erstuntersuchung in Zusammenarbeit mit der Praxisleitung (image Kap. 2.6)

Koordination, Erstellung und Implementierung von Standards für die Notfalltherapie und Notfalldiagnostik wie z. B. Flowcharts und Dosierungslisten (image Kap. 2.4)

Koordination der Rücküberweisungen (image Kap. 2.5)

Einberufung von regelmäßigen Besprechungen zur Notfallausstattung und Notfallorganisation mit Tierärzten, TFAs und ggf. Praxismanagement (image Kap. 2.8)

Organisation von Notfallübungen wie z. B. zur Wiederbelebung (image Kap. 2.9)

Bewerbung des Notdienstes per Homepage und Social Media (image Kap. 2.10)

2.1Telefonmanagement

Viele Notfallpatienten werden telefonisch angekündigt. Bereits hier kann die TFA den Notfall in gewisser Weise einschätzen und dem Besitzer mit Rat zur Seite stehen (image Abb. 2-1). Es sollte sichergestellt werden, dass ein Notfallanruf als solcher erkannt und schnellstmöglich beantwortet wird. Dies ist vor allem bei hochfrequentierten Praxen am besten über Telefonanlagen mit interaktiven Auswahloptionen möglich. Das dann angewählte Notfalltelefon muss natürlich permanent mit einer TFA oder dem Notfalltierarzt besetzt sein.

An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie notwendig oder sinnvoll die permanente telefonische Erreichbarkeit ist. Ist man erreichbar, kann selbstverständlich der Notfall angekündigt werden und die Praxis kann sich auf den Notfall vorbereiten und ggf. weiteres Personal hinzurufen. Des Weiteren können komplexe Notfälle, die außerhalb der Kapazität der Praxis liegen, gezielt an die nächste Klinik verwiesen werden. Gegebenenfalls können auch einfache Fälle auf einen Termin am nächsten Tag verlegt werden. Nachteil der permanenten Erreichbarkeit ist die häufig lange Eingebundenheit in Telefonate, d. h. es geht Zeit verloren, in der man sich um die Notfallpatienten vor Ort kümmern könnte. Sofern die Erreichbarkeit allerdings nicht gegeben ist, besteht auch nicht die Möglichkeit der Vorselektion. Des Weiteren können Patientenbesitzer irritiert sein, wenn die Notfallpraxis nicht erreichbar ist.

Für kleinere Praxen mit gelegentlichem Notdienst oder nur wenigen Notfallpatienten, in denen nicht immer Personal vor Ort ist, scheint die telefonische Bereitschaft die optimale Variante zu sein. In großen Kliniken kann hingegen ein Notfalltelefon gegebenenfalls den Betrieb eher stören als fördern. In diesen Fällen bietet sich zumindest eine Telefonanlage mit Auswahloptionen nach folgendem Beispiel an:

Handelt es sich um eine Terminabsprache oder allgemeine Fragen, rufen Sie zu den Öffnungszeiten an.

Haben Sie einen Notfall, kommen Sie bitte sofort vorbei.

Überweisende Kollegen wählen die Nummer xy (und werden mit der diensthabenden TFA oder dem TA verbunden).

Bei der Annahme des Telefonats durch die TFA hilft oft ein koordiniertes Abarbeiten, die Situation optimal einzuschätzen und dem Besitzer die wichtigsten Informationen an die Hand zu geben. Daher sollten folgende Fragen gestellt bzw. Informationen gegeben werden (Telefontriage):

Wer ruft an?

Um was für ein Tier handelt es sich? Rasse, Alter, Geschlecht?

Was ist das aktuelle Problem?

Bei Unfällen: Sind mehrere Tiere betroffen?

Wie sind die Vitalparameter, soweit beurteilbar (Bewusstsein, Herz- bzw. Pulsfrequenz, Atemfrequenz und Atemarbeit, Schleimhautfarbe, weitere offensichtliche Abweichungen)?

Erfolgte eine Vorbehandlung?

Bestehen Medikamentenunverträglichkeiten?

Wann wird der Patient eintreffen?

Anweisung, was die Besitzer als Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen können (Lagerung, Stressreduktion)

Hinweis auf Selbstschutz

Erklärung, wie der Besitzer am besten zur Klinik kommt (Adresse nennen, ggf. Adresse per E-Mail oder anderen elektronischen Medien zukommen lassen).

Gegebenenfalls kann ein vorbereitetes Formular helfen, die wichtigsten Informationen schriftlich zu fixieren. Zudem kann damit besser durch das Telefonat geführt werden.

Wer ruft an? Mit dieser Frage kann der Anrufer persönlich angesprochen werden.

Signalement des Tieres? Diese Abfrage hilft oft schon, häufige Differenzialdiagnosen ein- bzw. auszuschließen und das Material der Größe des Patienten entsprechend vorzubereiten.

Was ist das aktuelle Problem? Die Frage hilft, schnell auf das Hauptproblem zu stoßen, ohne einen ellenlangen Vorbericht zu bekommen, wie etwa: „Ja vor drei Jahren hatte der Hugo …, und dann …“.

Bei Unfällen: Ist mehr als ein Tier betroffen? Diese Information hilft, sich ggf. auf mehrere Patienten vorzubereiten. Eventuell müssen einige Patienten in andere Praxen oder Kliniken verwiesen werden. Wenn möglich, kann auch weiteres Personal hinzugezogen werden.

Wie sind die Vitalparameter? Diese Informationen zielen darauf ab, die lebensbedrohlichsten Abweichungen zu erkennen und den Schweregrad der Erkrankung bereits jetzt einzuschätzen. Gelegentlich sind mit diesen Informationen bereits einige Differenzialdiagnosen wahrscheinlicher. Wichtig ist, dass die Befunde dem TA grundsätzlich weitergegeben werden und keine eigene Diagnose gestellt wird. Beispielsweise sollte nicht gesagt werden: „Der Hund hat eine Magen-Drehung“, wenn die Befunde blasse Schleimhäute, hohe Herzfrequenz, Würgen und zunehmender Bauchumfang vorliegen. Der TA muss sich aus den Befunden sein eigenes Bild machen und nach der Untersuchung des Patienten die Diagnose stellen. Das geht am besten unbeeinflusst, ohne vorherige Verdachtsdiagnosen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass man sich durch voreilige Diagnosen in die Irre leiten lässt und ein falsches Bild vom Patienten bekommt.

Wann wird der Patient eintreffen? Diese Frage hilft, zeitlich und personell zu planen und ggf. bei angekündigten schweren Notfällen nicht erst mit der Behandlung eines einfachen Falls anzufangen, wenn der lebensbedrohliche Notfall in fünf Minuten eintrifft.

Diese Liste hilft dabei, die Dringlichkeiten der Notfälle optimal einschätzen zu können. Bei weniger schwerwiegenden Notfällen kann ggf. eine Vorstellung in personell besser besetzten Notfallsprechstunden empfohlen werden. Falls bereits am Telefon klar ist, dass die Praxis den Notfall nicht selbstständig managen kann, sollte eine Überweisung an eine adäquat ausgestattete Praxis oder Klinik empfohlen werden.

image

2.2Notfallausstattung

2.2.1Notfallraum

Ein Raum in der Praxis sollte als Notfallraum deklariert sein. Dieser sollte gut zugänglich sein und immer für den Notfall zur Verfügung stehen. Am besten liegt der Notfallraum direkt am Eingangsbereich. Es ist nicht sinnvoll, ihn in die hinterste Ecke einer größeren Praxis zu legen, in die man nur über Treppen oder vorbei an engen Ecken gelangen kann.

In einer Notfallsituation muss auch der kollabierte 70 kg schwere Hund gut auf der Trage vom Praxiseingang in den Raum gebracht werden können. Eine Option ist es auch, einen Zugang zum Notfallraum von außen zu schaffen. So kann man ggf. kollabierte Tiere aus dem Auto direkt in den Raum bringen, oder ggf. auch euthanasierte Tiere aus dem Raum bringen, ohne an wartenden Besitzern und Tieren vorbei zu müssen.

image

PRAXISTIPP

Der Notfallraum kann selbstverständlich auch als Behandlungsraum genutzt werden, sollte jedoch im Falle eines lebensbedrohlichen Notfalls sofort geräumt werden. Dieses Management muss allen Praxismitarbeitern bewusst sein.

In großen Kliniken bietet es sich an, mehrere optimal ausgestattete Notfallräume zu haben. So können auch mehrere Notfallpatienten parallel behandelt werden. Gelegentlich wird das Konzept der getrennten Untersuchungs- und Behandlungsräume umgesetzt. Das heißt, einige kleine Räume sind nur spärlich ausgestattet und dienen der Anamnese- Erhebung und der klinischen Untersuchung. Hier ist meist nur der TA oder die TFA mit dem Besitzer allein. Patienten, bei denen Blutentnahmen, Infusionen oder kleinere Notfalleingriffe erfolgen, werden in einen zentralen Behandlungsraum verbracht. Dort ist neben dem gesamten Notfallmaterial und den Geräten außerdem genügend Personal vorhanden. Die eigentliche Behandlung wird ohne den Besitzer durchgeführt. Solch eine Aufteilung bietet sich insbesondere in größeren Kliniken mit vielen Notfällen und adäquater Personaldecke an.

Der Notfallraum sollte selbstverständlich allen Anforderungen an die Ausstattung und Hygiene eines normalen Behandlungsraums entsprechen. Dazu zählen Wasser- und Abwasseranschluss mit Waschmöglichkeit sowie entsprechend gut zu reinigendes und belastbares Bodenmaterial. Der Raum sollte allgemein hell und gut beleuchtet sein. Untersuchungslampen an der Decke oder der Wand helfen zudem, die Sichtverhältnisse bei Untersuchungen oder kleineren Eingriffen zu verbessern.

Die Oberflächen sollten natürlich nicht zugestellt und gut zu desinfizieren sein. Dazu muss ausreichend Flächen-Desinfektionsmittel – z. B. als Wischdesinfektion – vorhanden sein. Ebenso ist auf Hand-Desinfektionsmittel, Seifenspender und Handpflege-Möglichkeiten zu achten.

Zur Aufrechterhaltung der Hygiene ist neben einer Desinfektion des Tisches und der Oberflächen eine Personalhygiene, die vor allem aus einer optimalen Hand-Desinfektion vor und nach jedem Patientenkontakt besteht, essenziell. Um die Hände, inklusive der Unterarme, optimal desinfizieren zu können, dürfen keine Ringe, Uhren oder Ähnliches an den Händen getragen werden. Um dennoch die wichtigsten Vitalparameter der Patienten erheben zu können, sollten eine oder zwei Uhren mit Sekundenzeigern so an exponierten Stellen des Raums aufgestellt sein, dass diese von allen Positionen einsehbar sind.

2.2.2Material

Die benötigen Materialien beinhalten Hilfsmittel der klinischen Diagnostik, Labordiagnostik, Materialien zur Infusionstherapie, Intubation, Sauerstofftherapie und Wiederbelebung sowie Notfallmedikamente. Diese sollten gut beschriftet immer an demselben Platz zu finden sein (image Abb. 2-2).

Sowohl an den Schränken und Schubladen als auch an den einzelnen Schrankabteilen sollte der Inhalt gut lesbar angeschrieben werden. Zudem ist es sinnvoll, die Ordnung im Notfallraum nicht ständig zu ändern, sodass sich bei der Suche nach den Materialien eine Gewohnheit bzw. ein Automatismus einstellen kann (image Abb. 2-3).

image

Abb. 2-2 Die TFA überprüft Infusionslösungen im Notfallraum. Beachte: Die Schranktüren öffnen nach oben.

image

Abb. 2-3 Die TFA bereitet im Notfallraum das EKG am Multiparametermonitor für den angekündigten Notfallpatienten vor. Ebenfalls zur Ausstattung gehören neben dem Behandlungstisch eine Sauerstoffflasche, ein Infusionsständer und eine Infusionspumpe.

Besonders wichtig sind die Materialien zur Wiederbelebung. Alles sollte sich im Notfallraum befinden, es könnte auch für andere Notfallsituationen sehr hilfreich sein. Im Reanimationsfall müssen Trachealtuben in verschiedenen Durchmessern vorhanden sein. Zum Legen der Tuben ist ein funktionelles Laryngoskop essenziell. Die Tuben sollten mit einem festen Band am Kopf des Tieres fixiert, sowie der Ballon am Ende des Tubus mit einer Spritze entsprechend geblockt werden können. Die Möglichkeit zur Beatmung des Patienten kann mittels eines Ambu® Beatmungsbeutels oder einer Anästhesiemaschine geschaffen werden.

Ein höhenverstellbarer Behandlungstisch ist ebenfalls essenziell. Ins- besondere für die Behandlung großer Hunde ist es sinnvoll, wenn dieser bis fast auf den Boden gefahren werden kann. Ebenso wichtig ist ein portabler Tisch bzw. eine Trage. Es kommt häufig vor, dass schwere Hunde nicht gehfähig im Auto liegen. Hier ist es sinnvoll, eine Trage oder einen Tisch mit entsprechend großen und robusten Rädern zur Verfügung zu haben, womit man auch in das Außengelände der Praxis fahren kann. Mit einem fahrbaren Tisch kann der nicht gehfähige Patient in den OP oder auf Station gebracht werden. Ein idealer Transporttisch ist höhenverstellbar, mit abnehmbarer Transporttrage und hat die Möglichkeit, Material wie Notfallmedikamente mitzuführen und bietet im Optimalfall noch die Möglichkeit, eine Sauerstoffflasche zur O2-Versorgung des Patienten zu transportieren. Zur Desinfektion der Tische sollte ausreichend Desinfektionsmittel, am besten in Form von Desinfektionstüchern zur Verfügung stehen. Insbesondere bei häufigem Kontakt mit infektiösen oder stark verschmutzten Tieren empfiehlt es sich, Hygienematten bzw. Krankenunterlagen auf den Tischen zu platzieren, die nach jedem Patienten gewechselt werden.

Eine Sauerstoffquelle im Notfallraum ermöglicht die Verabreichung von O2 bei Reanimation und Dyspnoe sowie an Schockpatienten. Diese kann als Flasche, als Sauerstoffkonzentrator oder als zentrale Sauerstoffversorgung der Praxis vorhanden sein. Die Sauerstoffapplikation kann per Flow-by-Technik oder über transparente Masken erfolgen. Alternativ steht die invasive O2-Versorgung des Patienten mit Sauerstoffsonde oder Trachealkanüle zur Auswahl (image Kap. 3.1.2).

Die zur Untersuchung benötigten Materialien wie Stethoskop, Thermometer, neurologische Instrumente wie Reflexhammer, Stablampe, Klemme, Otoskop sowie Handschuhe sollten stets im Notfallraum vorhanden sein. Ebenso dazu gehören Materialien zur Blutentnahme.

Verbrauchsmaterialien wie Dreiwegehähne, Butterfly-Katheter, Infusionsleitungen und Spritzen in verschiedenen Größen sollten immer in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Material für einen Gefäßzugang für verschiedene Patientengrößen ist für eine adäquate Notfalltherapie unentbehrlich. Dazu zählen eine Schermaschine und Desinfektionsmöglichkeiten zur Vorbereitung des Patienten, Venenkatheter in verschiedenen Größen sowie Fixationsmaterial. Insbesondere für stark hypovolämische Patienten empfiehlt es sich, Material für eine Venotomie vorrätig zu haben (Skalpell, Nahtmaterial, Mosquitoklemmen). Intraossäre Katheter, also Kanülen, die in das Knochenmark eingebracht werden, ermöglichen den Gefäßzugang bei sehr kleinen Tieren oder nicht auffindbaren Venen. Es ist empfehlenswert, Verbrauchsmaterialien für verschiedene Indikationen (z. B. Harnkatheter, Thorakozentese, Throraxdrainage, Tracheotomie) in Form von vorbereiteten Sets zur Verfügung zu haben (image Abb. 2-4 und image Abb. 2-5).

image

Abb. 2-4 Notfallsets für verschiedene Indikationen

Selbstverständlich sollte sich im oder in der Nähe des Notfallraums auch eine Waage für Hunde sowie eine für Katzen und Heimtiere befinden.

Bei allen Materialien und Geräten ist die Aufrechterhaltung der Ordnung essenziell. Die Geräte sollten jederzeit sofort einsatzbereit sein. Die Ordnung sollte mehrmals täglich, am besten anhand einer Minimal- maximal-Checkliste kontrolliert und bei Bedarf wiederhergestellt werden. Alle Geräte sind auf Vollständigkeit, Funktion und Sauberkeit zu überprüfen. Es hat sich bewährt, auch diese Überprüfungen anhand von Checklisten mit Unterschrift zu bestätigen.

Hilfreiche Formulare für die Ausstattung des Notfallraums und die Aufrechterhaltung der Ordnung finden Sie zum Download auf tfa-wissen.de unter:

image svg.to/ausstattung_notfallraum

image svg.to/materialien_notfallraum

image svg.to/verbrauchsmaterial_min_max

2.2.3Geräte

Verschiedene Geräte gehören in den Notfallraum. Dazu zählen Geräte zur Infusion wie Infusions- und Spritzenpumpen, Sauerstoffflaschen oder Sauerstoffkonzentratoren sowie Überwachungsgeräte. Zur Patientenüberwachung können ein Multiparametermonitor oder die jeweiligen Einzelgeräte zur Verfügung stehen. Dabei sollten einerseits die Parameter Blutdruck und arterielle Sauerstoffsättigung (per Pulsoximetrie) gemessen werden, andererseits ist die Überwachung per EKG und Kapnographie sinnvoll.

Viele Medikamente müssen gekühlt gelagert werden. Zudem werden insbesondere für hypertherme Patienten kühle Infusionslösungen benötigt. All das sollte in einem ausschließlich dafür genutzten Kühlschrank vorrätig gehalten werden.

Im Gegensatz dazu erhalten hypotherme Patienten angewärmte Infusionslösungen. Da die Erwärmung im Wasserbad oder in der Mikrowelle nur unzuverlässig funktioniert, ist die Erwärmung im Wärmeschrank (auf Vorrat) optimal. In diesem können auch Gelkissen zur Wärmung besonders kleiner Tiere gelagert werden (image Abb. 2-6).

image

Abb. 2-6 Gelkissen zur aktiven Wärmung kleiner Patienten. Achtung: Bitte nie direkt auf die Haut legen, sondern immer ein Tuch, z. B. Handtuch, zwischen Kissen und Haut legen.

Selbstverständlich sollten passive Wärmemethoden wie Decken ausreichend zur Verfügung stehen. Aktive Wärmemethoden wie Wärmelampen, Warmluftgebläse (z. B. Bair Hugger®) und elektrische Heizdecken mit Sicherheitsmechanismen (z. B. HotBody®, image Abb. 2-7) sind zur optimalen Behandlung von ausgekühlten Tieren und vor allem Katzen im Schock essenziell.

Insbesondere bei Patienten mit Atemnot oder Tieren, die häufig erbrechen, muss oft Material aus dem Rachen entfernt werden. Hierzu sollte eine Unterdruckabsaugung zur Verfügung stehen. Damit ist es ebenfalls möglich, die Flüssigkeit bei Aszites bzw. von Thorax- und Perikardergüssen (letzteres v. a. bei großen Tieren) abzusaugen (image Abb. 2-8 und image Abb. 2-9).

image

2.2.4Labor

In der Notfallmedizin werden häufig Laboruntersuchungen benötigt. Dazu zählen die Untersuchungen von Urin, Kot, Blut und diversen Punktaten. Das Notfalllabor sollte die Vor-Ort-Messung der benötigten Parameter ermöglichen(image Tab. 2-1). Es muss nun praxisintern entschieden werden, welchen Umfang das Notfalllabor haben soll. Das minimal ausgestattete Notfalllabor sollte eine komplette Urinuntersuchung, die Anfertigung von Blutausstrichen, die Bestimmung von Hämatokrit (image Abb. 2-10), Glukose, Kalium, Laktat, Totalprotein (TP), einem Nierenwert, Leberfunktionsparametern, die Durchführung eines globalen Gerinnungstests sowie die mikroskopische Untersuchung von Ergüssen und Punktaten ermöglichen. Selbstverständlich bietet sich in größeren Praxen die Anschaffung von komplexen Laborgeräten wie ein Blutbildgerät, ein Analysegerät für klinische Chemie, Blutgasanalyse- und Gerinnungstestgeräte sowie verschiedene „Cage side tests“ (einfache, schnelle Tests, die direkt am Patienten durchgeführt werden können) an.

image

Abb. 2-10 Die Hämatokritzentrifuge und das Refraktometer sollten zur Standard-Laborausstattung jeder Notfallpraxis gehören.

a Hämatokritzentrifuge für das Zentrifugieren der Hämatokritkapillare

b Hämatokritablesegerät und Refraktometer für die Bestimmung von Hämatokrit und Totalprotein

image

2.2.5Bildgebung

Eine bildgebende Diagnostik ist für viele Notfallpatienten sehr sinnvoll. Mit ihr können viele Veränderungen, die in der klinischen Untersuchung nicht verifiziert werden können, sichtbar gemacht werden.

Röntgenuntersuchungen helfen, vor allem die Lunge und die knöchernen Strukturen zu beurteilen. Zudem können Kontrastmitteluntersuchungen durchgeführt werden. Allerdings nimmt die Röntgendiagnostik bei der initialen Stabilisierung einen geringeren Stellenwert als die Ultraschalluntersuchung ein. Sie ist somit keine Anforderung an eine einfache Notfallpraxis. Dennoch sollte die Möglichkeit zur Überweisung an eine geeignete Einrichtung zur Röntgendiagnostik bestehen.

Der Stellenwert der Ultraschalluntersuchungen in der Notfallmedizin wächst zunehmend. Mittlerweile ist der Ultraschall aus der Notfallmedizin nicht mehr wegzudenken. Hierbei spielt der sogenannte „Point of Care“-Ultraschall eine besondere Rolle. Dieser hat zum Ziel, mit einfachen, schnellen Untersuchungen bestmögliche Aussagen über lokale anatomische Strukturen des Patienten zu liefern. Im einfachsten Fall wird eine 4- bzw. 5-Punkt-Untersuchung des Abdomens bzw. des Thorax des Patienten durchgeführt – mit dem Ziel, insbesondere bei Traumapatienten freie Flüssigkeit zu detektieren (image Abb. 2-11). Dieses Ziel sollten auch unerfahrene Untersucher erreichen können, da keine Organe dargestellt werden, sondern an vorgegebenen Punkten nach Flüssigkeit gesucht wird. Somit ist der Einsatz einer solchen Untersuchung auch durch notfallmedizinisch-ausgebildete TFAs denkbar.

Der „Point of Care“-Ultraschall erfolgt in der für den Patienten angenehmsten Position: meist in Brust-Bauch- oder Seitenlage. Die Rückenlage wird nur ungern verwendet, da diese mit vermehrtem Druck auf die Lungen und Gefäße und so mit einer Verstärkung von Atemproblemen und dem Risiko für Kreislaufversagen einhergeht. Die eingesetzten Ultraschallgeräte sind meist einfache Geräte. Ein Mikrokonvexschallkopf ist meist ausreichend. Das Fell wird in den meisten Fällen nicht geschoren, sondern nur gescheitelt und mit etwas Alkohol benetzt, um die Ankopplung des Schallkopfes sicherzustellen.

Weitere Einsatzgebiete des „Point of Care“-Ultraschalls sind die Feststellung der Unversehrtheit von Harn- und Gallenblase, der Ausschluss eines Perikard-Ergusses, die grobe Beurteilung der Herzkontraktion, des venösen Flüssigkeitsstatus und der Lunge in Bezug auf Lungenödeme, Pneumonie, Blutungen und Pneumothorax sowie die Beurteilung des Uterus und die Vitalitätsbestimmung der Welpen.

Somit stellt der Ultraschall bereits in der Erstuntersuchung des Patienten oft eine wichtige und hilfreiche Untersuchungsmethode dar. Zudem kann der Ultraschall zur kontrollierten Punktion von Harnblase, Ergüssen in Thorax und Abdomen sowie von Tumor oder Abszess-verdächtigen Strukturen benutzt werden. In einigen Fällen erleichtert die Ultraschalluntersuchung auch das Auffinden von Gefäßen. Dies kann beim Legen von zentralvenösen Kathetern insbesondere bei sehr adipösen Patienten hilfreich sein.

image

2.2.6Medikamente und Infusionen

Notfallmedikamente

Das Repertoire der Notfallmedikamente sollte die Therapie der häufigsten Notfälle ermöglichen. Dazu zählen Medikamente mit Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System, Anästhetika, Analgetika, Antibiotika, Medikamente zum Einsatz bei Vergiftungen, Antiemetika und Magenschutzmedikamente, Medikamente zur Euthanasie sowie diverse andere (image Abb. 2-12).

Auch bei Notfallmedikamenten sollte man immer wissen, welches Medikament in der Spritze ist. Daher empfiehlt es sich, jede aufgezogene Spritze zu beschriften. Hierbei sind vorgedruckte Label sinnvoll (image Abb. 2-13). Es sollte nie eine Spritze mit einem Medikament injiziert werden, bei dem man nicht 100%ig sicher ist, um welches Medikament es sich handelt.

Genau wie für das Notfalllabor gelten auch hier einige Medikamente als unverzichtbar und zählen zur Basisausstattung einer Notfallpraxis. Andere Medikamente werden aufgrund der eher seltenen Indikation, komplexen Verabreichung oder nötigen Intensivüberwachung zur Zusatzausstattung in großen Praxen und Kliniken gezählt. Einen Überblick dazu ge- ben (image Tab. 2-2 und image Tab. 2-3).

image

Abb. 2-13 Vorbereitete Label zur Beschriftung aufgezogener Spritzen

image

Neben Dosierungslisten und Tabellen besteht auch die Möglichkeit, Dosisrechner zu verwenden. Diese können unter anderem in Form von Excel-Dateien auf den Praxiscomputern hinterlegt sein. Allerdings müssen diese natürlich regelmäßig an neue Medikamente angepasst werden. Zur besseren Vergleichbarkeit mehrerer Präparate desselben Wirkstoffes erfolgt die Berechnung stets in mg/kg Körpergewicht (KGW). Diese Dosis wird anschließend in ml umgerechnet.

Den beispielhaften Aufbau eines Dosisrechners sowie Dosierungslisten für verschiedene Medikamente finden Sie zum Download auf tfa-wissen. de unter:

image svg.to/dosisrechner

image svg.to/dosierungslisten

Infusionslösungen

Infusionen gehören zu den wichtigsten medikamentellen Therapien von Notfallpatienten. Sie dienen zur Schocktherapie und zum Ausgleich von Flüssigkeitsverlusten. Generell wird zwischen kristalloiden und kolloidalen Infusionslösungen unterschieden (image Abb. 2-14).

Kristalloid sind Infusionen, die aus Wasser und Elektrolyten bestehen. Diese verbleiben nicht im Gefäßsystem, sondern diffundieren in das Interstitium sowie im Falle von freiem Wasser auch in die Zellen. Damit verbleiben nach ca. 30–60 min von einem Liter kristalloider Infusion meist nicht mehr als 250 ml im Gefäßsystem. Der Rest wurde bis dahin in das Interstitium umverteilt. Die kristalloiden Infusionslösungen können weiterhin in isotone, hypotone und hypertone Lösungen unterteilt werden.

Isotone Lösungen besitzen aufgrund ihrer Elektrolytmengen eine Osmolarität, die in etwa der des Körpers, also ca. 300 mosmol/l entspricht. Sie werden auch als Vollelektrolytlösungen bezeichnet und sind mit dem Zusatz 1/1 gekennzeichnet. Isotone Vollelektrolytlösungen stellen die klassischen Schockinfusionslösungen, Ersatzlösungen und Rehydratationslösungen dar. Beispiele sind 0,9%ige NaCl-Lösung, Ringer-Laktat- und Ringer-Acetat-Lösungen. Isotone 0,9%ige NaCl-Lösung besitzt einen sehr hohen Chloridgehalt, sodass die alleinige Infusion hiermit zur Anreicherung von Chlorid im Körper und zur Ansäuerung des Patienten führen kann. Balancierte Vollelektrolytlösungen wie Ringer-Acetat hingegen besitzen physiologischere Elektrolytkonzentrationen und zugleich einen gewissen Gehalt an Kalium, Calcium und gelegentlich Magnesium.

Hypotone Lösungen besitzen einen geringeren Elektrolytgehalt und somit eine geringere Osmolarität als Körperflüssigkeit. Damit werden sie vermehrt in die Zellen umverteilt. Dies kann zur alleinigen Erhaltungsinfusion und zum Senken einer Hypernatriämie sinnvoll sein. Hypotone Lösungen sind meist mit dem Zusatz 1/2 oder 1/3 versehen. Auch eine 5%ige Glukoselösung ist eine hypotone Lösung, da die Glukose schnell verstoffwechselt wird und damit freies Wasser im Körper zurückbleibt. Aufgrund der schnellen Aufnahme der Flüssigkeit in die Zellen sind hypotone Lösungen weder als Schockinfusion noch zur Rehydratation geeignet.

Hypertone Lösungen besitzen einen deutlich höheren Elektrolytgehalt als die Körperflüssigkeiten. Dadurch ziehen sie Flüssigkeit aus der Zelle in das Gefäßsystem und in das Interstitium und sind somit gut für die Schocktherapie, insbesondere bei großen Patienten, geeignet. Eine zu hohe Dosis kann allerdings mit Nebenwirkungen wie Dehydratation bis hin zu Krämpfen verbunden sein.

Kolloide sind recht große Moleküle, welche die Gefäßwand nicht bzw. nur sehr langsam durchdringen können und daher im Gefäßsystem verbleiben. Damit sind kolloidale Infusionslösungen insbesondere zur Schockinfusion oder bei Tieren mit sehr geringem Proteingehalt hilfreich. Es stehen sowohl natürliche Kolloidlösungen wie Plasma und Vollblut, als auch künstliche Kolloidlösungen wie Hydroxyethylstärke (HAES) zur Verfügung. Zu Effekt und Nebenwirkungen des HAES werden aktuell massive Diskussionen geführt. Bei Menschen mit Sepsis wurde nach Einsatz von HAES eine höhere Sterberate und eine stärkere Entwicklung akuter Nierenschädigungen beobachtet. Aktuell sind HAES-Lösungen für die Veterinärmedizin nicht verfügbar. Schlechtere Alternativen stellen Gelatinepräparate dar.

In image Tab. 2-4 ist die Zusammensetzung einiger gängiger Infusionslösungen dargestellt. Alle Infusionslösungen sollten möglichst intravenös (i. v.) oder bei sehr kleinen Patienten intraossär (i. o.) verabreicht werden. Dies kann frei tropfend aus der Infusionsflasche, über ein Infusionsbesteck mit numerisch einstellbarer Infusionsrate oder im Optimalfall über eine Infusionspumpe erfolgen. Falls sich der Patient nicht im Schock befindet, ist in Ausnahmefällen auch eine subkutane (s. c.) Verabreichung isotoner Lösungen möglich. Infusionspumpen erleichtern die gezielte Infusionstherapie mit exakten Mengen. Mithilfe von Spritzenpumpen können sehr kleine Infusionsmengen oder kurzwirksame Analgetika und vasoaktive Medikamente kontinuierlich in exakten Mengen verabreicht werden.

Infusionszusätze

Vielen Infusionen können, je nach Anforderungen des Patienten und Abweichungen vom physiologischen Zustand, verschiedene Zusätze wie Glukose, Kalium, Phosphat, Magnesium usw. beigemischt werden (image Abb. 2-15). Wichtig hierbei ist zu beachten, dass diese Lösungen nicht als Schockinfusion, sondern nur kontrolliert über einen längeren Zeitraum verbreicht werden sollten. Daher müssen diese Lösungen exakt beschriftet werden. Nach der Zugabe der Infusionszusätze müssen die Lösungen adäquat durchmischt werden, da ansonsten extrem hohe Konzentrationen des Zusatzes in den Patienten gelangen und unerwünschte Nebenwirkungen zur Folge haben können. Beim Zusetzen besteht ebenfalls die Gefahr, dass die Lösung bakteriell kontaminiert wird. Daher sollte das Anmischen so steril wie möglich erfolgen. Grundsätzlich birgt jede angebrochene Infusionslösung das Risiko eines Bakterienwachstums. Daher sollten einmal geöffnete oder am Patienten befindliche Infusionsflaschen mit Anbruchdatum und -zeit beschriftet und nach 24–48 h verworfen werden (image Abb. 2-16).

image

Abb. 2-15 Häufig verwendete Infusionszusätze (v. l. n. r.): Phosphat, Calciumgluconat 10 %, Mannitol, Glukose 40 % und Kalium-L-Malat

Einen besonderen Infusionszusatz stellt Kalium dar. Es wird häufig bei Patienten mit stationärer Therapie eingesetzt, da viele von ihnen im Laufe der Zeit eine Hypokaliämie entwickeln. Zur Substitution stehen Kaliumchlorid und Kalium-L-Malat zur Verfügung. Der Chloridgehalt im Kaliumchlorid kann jedoch, wie zuvor bereits erwähnt, zur Ansäuerung des Patienten führen. Kalium-L-Malat erscheint daher besser geeignet, da das Malat als Puffer dient. Die zu substituierende Menge richtet sich nach dem Serumkalium-Gehalt des Patienten. Einen Überblick dazu liefert (image Tab. 2-5). Hierbei ist zu beachten, dass viele Infusionslösungen bereits Kalium enthalten. Diese Menge sollte vom Zusatz abgezogen werden. Da in Deutschland zurzeit nur einmolare Kaliumlösungen (= 1 mol/l) erhältlich sind, entspricht die Tabellenangabe in mmol auch der Menge in ml, die zuzusetzen ist. Kalium darf nie zu schnell verabreicht werden. Daher sollte eine maximale Infusionsrate von 0,5 mmol/kg KGW/h nicht überschritten werden.

image

Abb. 2-16 Ordnungsgemäß beschriftete Infusionsflasche mit Kaliumzusatz. Beachte: Die Beschriftung enthält die Patientenidentifikation, das Anbruchdatum und zugesetzte Substanzen.

Tab. 2-5 Kalium-Substitution in Abhängigkeit vom Kaliumgehalt im Serum

Serumkalium (mmol/l) Kalium-Substitution (mmol/l) maximale Rate (ml/kg/h)
4,5–3,5 20 25
3,0–3,5 30 16
2,5–3,0 40 12
2,0–2,5 60 9
< 2 80 6

Phosphat als Infusionszusatz wird insbesondere beim Phosphatmangel, wie er z. B. bei der diabetischen Ketoazidose entsteht, eingesetzt. Da Phosphat mit Calcium Komplexe bildet, sollte es nicht zusammen mit calicumhaltigen Lösungen verabreicht werden. Am besten ist die Verabreichung über einen gesonderten Venenkatheter.

In der folgenden Tabelle (image Tab. 2-6) sind verschiedene Infusionslösungen und -zusätze mit ihren jeweiligen Einsatzgebieten und Besonderheiten dargestellt.

2.2.7Aufrechterhaltung der Ausstattung

Das Notfallmaterial muss zu jedem Zeitpunkt komplett und einsatzbereit sein. Daher ist es essenziell, die Ausstattung regelmäßig zu kontrollieren und aufzufüllen. Dies sollte die zuständige TFA übernehmen. Hierbei ist es sinnvoll, eine Person bzw. Position mit der Aufgabe zu betrauen. Wenn viele Personen zuständig sind oder keiner explizit benannt ist, funktioniert das System meist nicht.

Die Materialien sollten zu jedem Schichtbeginn überprüft werden. Am besten geht man anhand der minimal/maximal-Listen durch die entsprechenden Räume. Am Ende der Kontrolle sollte an einer bestimmten Stelle/Liste die Kontrolle gegengezeichnet werden. Zudem sollte die diensthabende TFA mit der permanenten Auffüllung des verbrauchten Materials betreut werden.

Manche selten genutzte Materialboxen können auch mit einem Klebeband markiert werden, welches bei Benutzung wie ein Siegel gebrochen wird (image Abb. 2-17). Daran kann die verantwortliche Person dann die

image

Abb. 2-17 Portabler Notfallwagen. Schubladen sind mit enthaltenen Materialien beschriftet. Das Datum der letzten Kontrolle ist am Sicherungsband vermerkt.

Notwendigkeit des Auffüllens erkennen. Für Boxen mit fertigen Sets sind zum Auffüllen Inhaltslisten sehr hilfreich. Das Material muss dann nur noch nach Liste ersetzt werden.

Hilfreiche Bestands- und Auffülllisten für die Station sowie für den Hunde- und Katzenstall finden Sie zum Download auf tfa-wissen.de unter:

image svg.to/bestandsliste_station

image svg.to/bestandsliste_hundestall

image svg.to/bestandsliste_katzenstall

2.2.8Andere Arbeitshilfen

Das Vorhandensein von Notfallprotokollen mit Flowcharts (Flussdiagramme) und Medikamenten-Dosierungstabellen ermöglichen den schnellen und koordinierten Zugang zum Patienten und die exakte Dosierung der Medikamente ohne Rechenfehler. Einschlägige Fachliteratur in unmittelbarer Nähe ermöglicht zudem das Nachschlagen bei nicht-alltäglichen Notfallszenarien. Online-Recherchen einschlägiger Hilfsdienste ermöglichen die gezielte Suche nach Therapieoptionen für seltenere Vergiftungsfälle sowie nach Dosierungen selten benutzter Medikamente.

Wichtige Telefonnummern sollten ebenfalls gut zugänglich vorhanden sein – auch in Vorbereitung auf einen Zwischenfall, in dem Menschen betroffen sind. Dazu zählen Folgende:

Polizei

Feuerwehr

Krankenhaus

Vergiftungsnotruf

Durchgangsarzt

Ersthelfer

Überweisungskliniken und -praxen

2.3Personalmanagement

2.3.1Anforderungen

Eine besondere Herausforderung im Notdienst ist das Personalmanagement. Hierbei ist die Einstellung geeigneten Personals ebenso wichtig wie die Erstellung eines Dienstplans unter Berücksichtigung aller rechtlichen Rahmenbedingungen. Im normalen Notdienst sollten mindestens ein TA und eine TFA gemeinsam Dienst haben. Der alleinige Dienst eines TA erscheint nicht mehr zeitgemäß und ist nur in kleineren Praxen mit wenigen, einfachen Notfällen machbar.

Das Personal sollte selbstverständlich eine gute fachliche Qualifikation besitzen. Leider wird im Notdienst oft der Anfangsassistent oder die junge, weniger erfahrene TFA eingeteilt. Daher ist eine zusätzliche Ausbildung des Personals essenziell. Dies kann sowohl intern als auch extern über Kurse und Seminare erfolgen. Auf internationaler Ebene werden hierzu einige Kurse angeboten, z. B. unter image www.vets-now.com/professionals/vet-cpd-events-courses/cert-vn-ecc/.

Natürlich muss der Kandidat für den Notdienst gewisse persönliche Eignung mitbringen. Hierzu zählen eine gewisse zeitliche Flexibilität, Stresstoleranz, ein gutes Allgemeinwissen, eine schnelle Auffassungsgabe und geistige Flexibilität. Zudem ist es sinnvoll, dass die geeignete Person empathisch ist, gern auch auf Menschen zugeht und dennoch ein ausreichendes Selbstbewusstsein mitbringt, um auch mit schwierigen Kunden in Stresssituationen effektiv umgehen zu können.

Um das optimale Personal zu finden, sollte die Notdienst-verantwortliche TFA mit in Personalentscheidungen einbezogen werden. Dies bezieht sich sowohl auf die Ausschreibung als auch auf die Auswahl und Einführung neuer Notdienst-TFAs und -TÄ. Dies erscheint auch in Bezug auf persönliche Eignung der Kandidaten und Teamfähigkeit sinnvoll.

2.3.2Dienstplan

Bei der Erstellung des Notdienstplans sind eine Reihe von fachlichen, organisatorischen und rechtlichen Gegebenheiten zu beachten.

Insbesondere in Praxen mit ausgedehntem Notdienst kann es vorteilhaft sein, das Notdienstpersonal zu Zeiten mit vielen zu erwartenden Notfällen wie Urlaubszeit, Feiertage, Brückentage oder an Wochenenden entsprechend aufzustocken. Durch dieses antizyklische Personalmanagement ist das an und nach den hochfrequentierten Tagen eingesetzte Personal weniger erschöpft und die Notfälle können effektiver behandelt werden. Zudem ist es sinnvoll, eine gewisse Überlappung der Dienstzeiten vorzunehmen. Damit können zum einen Patienten effektiver übergeben werden, zum anderen kann während der Überlappungszeit eine Aufarbeitung der „antherapierten“ Notfälle, d. h. derjenigen Fälle, bei denen die Therapie begonnen wurde, aber noch nicht abgeschlossen ist, erfolgen. Des Weiteren sollten die rechtlich vorgeschriebenen Pausenzeiten in die überlappende Zeit gelegt werden.

Natürlich muss auch auf persönliche Belange des Personals wie Schwangerschaft, Kleinkinder, Behinderungen, pflegebedürftige Angehörige usw. geachtet werden.

Im Dienstplan sind auch rechtliche Vorschriften wie Pausenzeiten, maximale Wochenarbeitszeit, Ausgleichstage für Wochenend- und Feiertagsarbeit und Ruhezeiten zwischen den Schichten zu beachten (Arbeitszeitgesetz). So darf die maximale Wochenarbeitszeit inklusive Bereitschaft maximal 48 h betragen. Pro Tag sollte die Dienstzeit 10 h nicht überschreiten. Zwischen jedem Dienst müssen mind. 11 h Ruhezeit liegen. Zudem ist auch die Anzahl der Sonntage, an denen man pro Jahr arbeiten darf, begrenzt.

Zwei beispielhafte Dienstpläne für vier bzw. sechs Tierärzte finden Sie zum Download auf tfa-wissen.de unter: image svg.to/dienstplan_beispiel

Die blauen Kästen stehen darin für einen Nachtdienst, die roten für einen Tagdienst am Wochenende oder Feiertag. In die insgesamt 12–12,5 h Anwesenheit sind 2,5 h Pausenzeiten flexibel integriert.

Wenn möglich, kann die leitende TFA auch an der Dienstplanerstellung der TÄ beteiligt werden. Hierbei kann sie die genannten Konzepte einführen. Des Weiteren kann so vor allem bei neu angestellten Praxisassistenten auf eine Zuteilung einer erfahrenen TFA geachtet werden.

image

2.3.3Stressbewältigung

Die Arbeit im Notdienst verlangt den Angestellten immer einiges ab. Die Arbeitszeiten liegen regelmäßig an den Wochenenden und nachts, wenn Partner, Freunde und Familienmitglieder oft Freizeit haben. Ein Großteil der Patienten im Notdienst ist schwer krank und viele versterben trotz intensiver Behandlung. Man hat viel Kontakt zu Besitzern in emotionalen Ausnahmesituationen und ist daher ständig mit Konfliktbewältigung beschäftigt. Diese und andere Stressoren wirken sich oft auf den Körper aus. Daher ist es essenziell, für sich selbst Methoden zur geistigen Gesunderhaltung zu finden. Nicht zuletzt kann der Arbeitgeber hierbei hilfreich zur Seite stehen.

Nachfolgend seien nur einige Methoden der geistigen Gesunderhaltung und Stressbewältigung aufgeführt:

Es ist empfehlenswert die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Am besten schafft man sich Rituale nach der Arbeit, redet kurz über komplexe Patienten mit Kollegen und versucht, Geschehenes bereits vor Antritt des Feierabends zu besprechen und zu verarbeiten. Die Freizeitgestaltung sollte möglichst arbeitsfremd gewählt werden. Viele Menschen beschäftigen sich mit Wandern, Sport, bis hin zu Extremsport, Fliegenfischen oder anderen Betätigungen, bei denen auch der Geist gefordert ist.

Selbstverständlich kommen Menschen mit einer großen intrinsischen Motivation besser mit dem stressigen Notdienst zurecht, als geistig oder emotional labile Menschen. Dies gilt es bereits bei der Mitarbeiterauswahl zu berücksichtigen. Auch permanente Motivation durch Kollegen und Mitarbeiter sollte im Notdienst selbstverständlich sein.

Die alleinige Arbeit im Notdienst kann auf die Dauer belastend sein. Daher ist es hilfreich, gelegentlich die Position zu wechseln. Das heißt, wer nur im Nachtdienst arbeitet, sollte hin und wieder auch im Tagdienst eingesetzt werden. Auch gelegentliche Hospitanzen an anderen Notdiensteinrichtungen helfen, aus dem eigenen Trott herauszukommen und neuen Input, Anregungen und Motivation zu erlangen. Dies gilt ebenso für den Besuch von Seminaren und Fortbildungen bzw. Kongressen zum Thema Notfallmedizin. Hierzu wären z. B. die jährlich stattfindenden Kongresse der Internationalen Vereinigungen der Notfallmedizin wie European Veterinary Emergency and Critical Care Congress (image evecc-congress.org) und International Veterinary Emergency and Critical Care Society Congress (image veccs.org) zu nennen.

Alleinige Arbeit im Notdienst macht einsam. Daher empfiehlt es sich, viel mit Kollegen aus anderen Arbeitsbereichen der Praxis/Klinik zu kommunizieren bzw. zu interagieren. Zum Erhalt des Gemeinschaftsgefühls ist es hilfreich, sich die Sorgen und Nöte anderer Kollegen anzuhören, um auch selbst gehört zu werden.

Zudem kann man selbst auch an der geistigen Gesundheit arbeiten, indem man sich z. B. mit autogenem Training, Yoga oder anderen Entspannungstechniken vertraut macht. Zu guter Letzt helfen auch an Volkshochschulen angebotene Kurse zur Stressbewältigung, über Konfliktmanagement und Selbstorganisation, den Arbeitsalltag zu meistern.

image

2.4Listen, Tabellen, Flowcharts

Wie bereits erwähnt, führen Routine und Standards häufig zu besseren Ergebnissen. Daher ist es sinnvoll, vor allem in größeren Praxen mit hoher Personalfluktuation sogenannte Standard Operating Procedures (SOPs) zu erstellen. Diese sollten unter anderem Standards zur Triage, Patientenaufnahme, Organisation, Reinigung und Desinfektion, aber auch zu spezifischen Notfallerkrankungen beinhalten.

Am besten sollten diese in Vorbereitung des Notdienstes erstellt werden. Natürlich müssen, sobald neue Geräte, Abläufe und Methoden zum Einsatz kommen, die entsprechenden Anleitungen erstellt sein und für alle Anwender zur Verfügung stehen.

Alle diese Anleitungen müssen in den Praxisablauf implementiert werden. Dazu reicht ein allgemeines Ablegen nicht aus. Optimal ist eine Besprechung mit allen Mitarbeitern, in der neue SOPs vorgestellt und ggf. diskutiert werden. Im Anschluss können die fertigen Anleitungen an alle Beteiligten verschickt werden. Zur permanenten Orientierung ist es sinnvoll, die SOPs sowohl als Ausdruck als auch digital auf allen Praxiscomputern vorliegen zu haben. Die Einführung bzw. Änderung einer Anweisung ohne die entsprechende Information aller Beteiligten ist meist deutlich weniger erfolgreich.

Es reicht auch nicht aus, Anweisungen einmal zu erteilen und sie dann jahrelang auf dem Papier unverändert zu lassen. Viele Vorgehensweisen sind im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen. Auch medizinische Richtlinien ändern sich regelmäßig. Daher sollten alle Anleitungen regelmäßig, z. B. im Jahresabstand evaluiert und ggf. angepasst werden. Sowohl bei der Erstellung als auch bei der Einführung und Aufrechterhaltung der SOPs kann die TFA einen großen und wichtigen Beitrag leisten. Dazu ist es optimal, wenn die für das Gerät bzw. die Abteilung zuständige TFA bei allen Punkten der SOP-Erstellung hinzugezogen oder die Erstellung ihr übertragen wird.

image

Zu den SOPs gehören ebenfalls eine Reihe von Listen. Dazu zählen Auffüll- bzw. Bestandslisten, Reinigungslisten für Räume, Dosierungslisten für Medikamente bis hin zu Excel-Dateien zur Berechnung von Medikamentendosen. Diese Listen helfen, Material in ausreichender Menge verfügbar zu halten und Rechenfehler im Notfall zu vermeiden. Wie anfangs erwähnt, sollten alle möglichen Maßnahmen ergriffen werden, um die Notfallmaterialien permanent einsatzbereit zu halten und Fehler in der Hektik des Notdienstes zu vermeiden.

Für standardisierte Praxisabläufe, z. B. Patientenaufnahme, Abrechnung, OP-Reinigung sowie verschiedene Notfallszenarien, können diese SOPs in Form von Flowcharts auf einer A4-Seite übersichtlich dargestellt werden. Manche Personen können damit deutlich mehr anfangen als mit niedergeschriebenem Fließtext.

Beispiele für SOPs im Fall von Anaphylaxie, Hitzschlag und Hypoglykämie mit klinischem Erscheinungsbild, Notfalltherapie und Differenzialdiagnosen finden Sie zum Download auf tfa-wissen.de unter:

image svg.to/sop_anaphylaxie

image svg.to/sop_hitzschlag

image svg.to/sop_hypoglykaemie

image

BEACHTE

Die optimale Vorbereitung auf den Notfall und das Vorhandensein aller Materialien ist der erste, essenzielle Schritt zur erfolgreichen Notfalltherapie.

2.5Dokumentation und Rücküberweisungen

Jeder überwiesene Notfallpatient sollte am Ende der Behandlung eine Rücküberweisung bekommen. Auch nicht-überwiesene Patienten sollten einen Befundbericht zur Vorlage beim Haustierarzt erhalten. Es ist sicherlich nicht immer einfach, dies in der Hektik des Notdienstes zu ermöglichen. Hier kann gute Organisation und die Mitarbeit der TFA viel Erleichterung bringen. Die Einträge im Praxisverwaltungsprogramm können bereits standardisiert bzw. in Form eines Formulars erfolgen. Dies kann die TFA nach Anweisung des TA bereits erledigen. Viele Praxisverwaltungsprogramme bieten die Option, bereits vorgefertigte Formulare und Formulierungen zu verwenden, sodass nur noch die Behandlungsdaten entsprechend eingetragen werden müssen. Auch dies kann, bei gut strukturierten Patientenkarteien, aus Behandlungsformularen automatisch passieren. Bei gut vorbereiteten Formularen ist somit eine Rücküberweisung innerhalb kurzer Zeit fertig und kann direkt mitgegeben werden. Dies hilft einerseits, Unklarheiten beim Tierbesitzer, z. B. zur Medikation, zu beseitigen. Zum anderen informiert es den überweisenden Tierarzt über die Befunde und die durchgeführte Behandlung.

Es ist hilfreich, zur Erstellung der Befundberichte bzw. Rücküberweisungen in der Praxis klare Richtlinien zu haben. Diese sollten sowohl die Zuständigkeit für die Berichte klären als auch den Zeitraum, in dem die Berichte versendet sein sollten, festlegen.

Natürlich ist ein Bericht schneller beim Haustierarzt, wenn er per E-Mail oder Fax versandt wird. Daher sollte bei jedem Notfallpatienten Wert darauf gelegt werden, dass in der Datei sowohl der Haustierarzt bzw. überweisende Tierarzt vermerkt ist als auch die Fax-Nummer bzw. E-Mail-Adresse aktuell ist.

Selbstverständlich empfiehlt es sich auch, insbesondere bei komplexen Patienten ein kurzes Telefonat mit dem überweisenden Tierarzt zum aktuellen Stand zu führen. Dadurch kann man gelegentlich weitere, wichtige Informationen zum Fall erlangen.

2.6Die Triage

Im Praxis- oder Klinikalltag werden häufig viele, unterschiedlich kranke Patienten vorgestellt. In den Augen des Tierbesitzers erscheint jede Situation, die seiner Ansicht nach mit einer potenziellen oder akuten Gefährdung des Wohlbefindens oder des Lebens des Patienten einhergeht bzw. zu Leiden, Schmerzen oder Schäden führen kann oder auch nur eine Abweichung vom Alltag und normalen Befinden des Tieres darstellt, als Notfall.

image

Damit besteht eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Besitzers und der medizinischen Notwendigkeit der sofortigen Notfalltherapie. Ziel der Erstuntersuchung sollte somit sein, den tatsächlichen Schweregrad des Notfalls effektiv einzuschätzen, um schnellstmöglich adäquate Maßnahmen treffen zu können und den Patienten in einem optimalen Zeitfenster behandeln zu können. Daher sollte jeder Notfallpatient bereits beim Betreten der Praxis einer kurzen klinischen Untersuchung unterzogen werden. Diese umfasst selbstverständlich auch eine kurze Anamnese (image Kasten „Notfall-Anamnese“).

image

Die Erstuntersuchung wird auch als Triage bezeichnet. Dies bedeutet sinngemäß eine Sortierung der Notfälle nach dem Schweregrad des Zustands. Sie hat in der Katastrophenmedizin das Ziel, die Notfälle optimal einschätzen zu können und festzustellen, welcher der Patienten sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet und einer bevorzugten Behandlung bedarf, um schlussendlich möglichst viele Patienten zu retten. Dabei sollte nicht zu viel Zeit mit bereits toten oder nur leicht verletzten Patienten verbracht werden. Ist das Leben eines Patienten akut bedroht, wird gleichzeitig festgestellt, woran der Patient potenziell versterben kann.

Die Durchführung der Triage obliegt der Person, die den ersten Patientenkontakt hat. Dies kann die TFA oder auch der TA sein. Innerhalb einer kurzen Zeit von ca. einer Minute werden die wichtigsten Vitalparameter nach dem ABC-Schema untersucht:

A (Airways/Atemwege):

Es wird beurteilt, ob die Atemwege frei sind. Dies bedeutet nicht, dass jedem Patienten so weit ins Maul geschaut werden muss, bis der Kehlkopf sichtbar ist. Es sollte aber zumindest die Maulhöhle kurz auf große Fremdköper untersucht werden und durch Hören und Beurteilung der Atmung entschieden werden, ob die Atemwege frei sind.

B (Breathing/Atmung):

Zur Beurteilung der Atmung wird neben der Atemfrequenz auch insbesondere auf die Atemarbeit geachtet. Ziel ist es, herauszufinden, ob der Patient Probleme mit der Atmung und folglich der Sauerstoffaufnahme hat. Insbesondere Tiere mit Erkrankungen der oberen Atemwege weisen oft eine sehr langsame Atemfrequenz auf, müssen jedoch eine hochgradige Arbeit leisten, um Luft und damit Sauerstoff (O2) einzuatmen. Diese Atemarbeit ist meist an starken abdominalen Atembewegungen, also Bewegungen der Flanken, zu erkennen. Falls man sich nicht sicher ist, ob das Tier eine verstärkte Atemarbeit aufweist, ist es sinnvoll, mit dem Patienten mitzuatmen. Dabei kann man oft mitfühlen, ob es sich um einfach nur frequente Atmung handelt oder ob es Atemnot ist. Zur weiteren Beurteilung der Atmung sollte zugleich eruiert werden, ob das Tier einen Stridor, also Atemgeräusche der oberen Atemwege, aufweist. Dies ist insbesondere bei Hunden oft schon beim Eintreten in den Behandlungsraum auffällig. Bei Katzen fällt der Stridor oft weniger imposant auf. Hier kann es helfen, die oberen Atemwege vorsichtig durchzutasten, um dann bei leichtem Druck auf Kehlkopf oder Luftröhre evtl. einen verstärkten Stridor hören zu können. Zur weiteren Beurteilung der Atmung wird die Lunge kurz auskultiert, also mit dem Stethoskop abgehört. Dabei achtet man auf die Stärke der Ein- und Ausatemgeräusche. Sind die Atemgeräusche verstärkt, liegt wahrscheinlich eine Lungenerkrankung vor. Bei abgeschwächten Atemgeräuschen ist eine Pleuralspalt-Erkrankung wie z. B. ein Pneumothorax oder ein Liquidothorax wahrscheinlich.

C (Circulation/Kreislauf):

Viele Notfallpatienten leiden an Kreislaufproblemen. Um diese zu erkennen, muss eine gezielte Untersuchung der folgenden sechs Kreislaufparameter durchgeführt werden:

Herzfrequenz

Schleimhautfarbe

kapilläre Rückfüllzeit

Pulsqualität

Bewusstsein

periphere Gliedmaßentemperatur

Die Herzfrequenz lässt sich am besten durch die Auskultation am rechten und linken Thorax in mittlerer Höhe unter der Schulter (im Bereich des 4.–5. Interkostalraums) bestimmen. Bei Patienten im Kreislaufversagen ist die Frequenz meist höher, in seltenen Fällen auch niedriger als physiologisch.

image

Die Maul- oder Augenschleimhäute sind normalerweise blassrosa gefärbt. Bei Tieren im Kreislaufversagen sind diese oft blass oder deutlich gerötet.

Die kapilläre Rückfüllzeit (KFZ) wird an der Innenseite der Lefze bzw. am Zahnfleisch durch Druck auf die Schleimhaut und die damit einhergehende Verdrängung des Blutes aus den Kapillaren bestimmt. Nach dem Entfernen des druckausübenden Fingers wird gemessen, wie lange es bis zum Wiedereintritt der Rosafärbung dauert (image Abb. 2-18). Normalerweise liegt die KFZ bei Hunden und Katzen bei ca. 1,5, also unter 2 Sekunden. Beim Kreislaufversagen ist die KFZ meist verlängert. In einigen Fällen kann diese allerdings auch deutlich verkürzt sein (image Kap. 3.2 „Schock“).

image

Abb. 2-18 Bestimmung der kapillären Rückfüllzeit an der Lefze eines Hundes.

a Der Finger übt Druck auf die Schleimhaut aus.

b Nach Beenden des Fingerdrucks wird die KFZ gemessen.

Die Pulsqualität wird optimal an einer peripheren Arterie bestimmt. Dazu zählt vor allem die Arteria dorsalis pedis auf dem Fußrücken unterhalb des Sprunggelenks (image Abb. 2-19). Der arterielle Puls sollte gut und kräftig spürbar sein. Im Kreislaufversagen ist der arterielle Puls oft nicht palpabel, also nicht fühlbar. Falls der Puls an der A. dorsalis pedis nicht palpabel ist, kann es dennoch sein, dass er an der A. femoralis (Innenschenkelarterie) tastbar ist. Ein fehlender Puls an der A. dorsalis pedis weist bereits auf einen sehr schlechten Kreislaufzustand hin. Falls der Puls auch an der A. femoralis nicht tastbar ist, handelt es sich um eine akut lebensbedrohliche Situation. Neben der Pulsqualität sollte selbstverständlich auch auf Gefäßspannung, Gefäßfüllung, Regelmäßigkeit und Abgesetztheit des Pulses geachtet werden.

image

Abb. 2-19 Lokalisation der dorsalen Metatarsalarterie und -vene. Die Arterie ist rot, die Vene blau markiert.

Das Bewusstsein ist im Kreislaufversagen durch den geringeren Sauerstofftransport oft vermindert. Daher sollte dieses auch als Kreislaufparameter mitbestimmt werden.

Bei manchen Schockformen ist durch die Zentralisierung des Blutes und die dadurch verminderte Hautdurchblutung auch die Temperatur der Gliedmaßen verringert. Somit stellt die periphere Temperatur den 6. Kreislaufparameter dar.

D (Disabilities/weitere Schädigungen):

Beim Notfallpatienten sollten je nach Vorstellungsgrund noch weitere, auf den ersten Blick sichtbare Veränderungen beachtet werden. Dazu zählen neurologische Befunde wie Krämpfe, Stehfähigkeit und Pupillengröße bzw. Pupillenlichtreaktion. Eine Miosis (enge Pupillen) oder Mydriasis (Pupillenerweiterung), die nicht auf einfallendes Licht reagiert sowie eine Anisokorie (die Pupillen beider Augen sind unterschiedlich groß) sind Hinweise auf eine Störung im zentralen Nervensystem. Ebenso sollte bei Tieren mit Harnabsatzproblemen die Blase palpiert werden. Tiere mit einer prall gefüllten Blase stellen oft einen schwerwiegenderen Notfall dar. Weitere Auffälligkeiten, die beachtet werden sollten, sind, ob sich das Tier gerade in der Geburt befindet oder ob offensichtliche Blutungen, Wunden oder Schmerzen vorhanden sind.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842690271
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Notfallmedikamente Schmerzen Bissverletzung Blutungen Notfall TFA Notfallmanagement Triage Tiermedizinische Fachangestellte Durchfall Notfallaustattung Notfallkoordination Ratgeber

Autor

  • René Dörfelt (Autor:in)

Dr. med. vet. René Dörfelt ist Dipl. ECVECC (Emergency and Critical Care), Dipl. ECVAA (Anaesthesia and Analgesia), Fachtierarzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie sowie Fachtierarzt für Kleintiere. Er arbeitet als leitender Oberarzt für Intensiv- und Notfallmedizin, Anästhesiologie an der Medizinischen Kleintierklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bundesweit referiert er auf Kongressen und schult regelmäßig TFAs und Ärzte zum Thema „Notfallmanagement“.
Zurück

Titel: Häufige Notfälle bei Hund und Katze