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Als Betreuungskraft in der Altenpflege

Sicher agieren und dokumentieren. So gelingt die Arbeit im Team

von Jürgen Link (Autor:in)
152 Seiten

Zusammenfassung

Betreuen Sie qualitätsvoll und ergebnisorientiert

Jede Betreuungskraft in der Altenpflege braucht nicht nur einen großen Fundus an Aktivierungen und Beschäftigungen. Sie ist auch Teil des Teams von
»Pflege & Betreuung«. Nur so wird die Betreuungsarbeit individuell, prüfungssicher und teamorientiert.
Dieses Buch erklärt die wichtigsten Begriffe aus der Pflege, die Betreuungskräfte kennen müssen: von A wie Anamnese bis Z wie Ziel. Es zeigt die organisatorischen Voraussetzungen der Betreuungsarbeit und beschreibt den Weg zu einer prüfungssicheren Dokumentation.
In dieser 2., aktualisierten Auflage wurden zusätzlich Hinweise zu den neuen Qualitätsprüfungs-Richtlinien aufgenommen.
Nur als Team erreichen Betreuungs- und Pflegekräfte das Ziel ihrer Arbeit: Das Wohlbefinden der Klienten – messbar, überprüfbar und sicher dokumentiert.
Denn eine gute Betreuungsarbeit ist ein Qualitätsmerkmal!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Die soziale Betreuung und Alltagsgestaltung ist ein wesentlicher Baustein für eine gute Altenpflege mit zufriedenen Bewohnerinnen und Bewohnern. Nichts ist – auch im hohen Alter – schlimmer als Nichtstun und Stunde um Stunde »die Zeit absitzen« zu müssen. Die Qualität einer Altenpflegeeinrichtung misst sich in erheblichem Maß an ihren Angeboten rund um die Betreuung.

Leistungen der Betreuung sind Bestandteil einer Pflege, die sich nicht in »satt und sauber« erschöpft. Dies zeigt sich auch an der Tatsache, dass die zeitlichen und personellen Ressourcen für die Betreuung bereits Teil des Personalschlüssels der Pflege sind. Und obwohl die Alltagsbegleitung von den Pflegekassen nach § 45a SGB XI gesondert zusätzlich vergütet wird, gibt es noch »Nachholbedarf« in der sozialen Betreuung.

Doch im Alltag ist das oft nicht spürbar. Pflege und Betreuung gehen getrennte Wege. Wichtige Aufgaben wie Anamnese, Pflegeplanung und Biografiearbeit sind oft allein den Pflegefachkräften vorbehalten. Das sollte nicht sein. Mit meinem Buch gebe ich Ihnen deshalb Anregungen und Vorschläge, wie Sie sich als Betreuungskraft auch in die Pflege einbringen können.

Die Angebote der sozialen Betreuung haben sich in sehr vielen Einrichtungen entsprechend der veränderten Klientel verändert und erweitert. Das »klassische« Singen und Basteln nimmt nur noch einen kleinen Teil ein. An vielen Orten sind die Angebote attraktiver und vielfältiger geworden, die Anteile der Einzelbetreuung wurden stärker. Dies erfordert von Betreuungskräften mehr Flexibilität und Kreativität. Das ist das Erste.

Zum Zweiten: Die Pflegestärkungsgesetze I und II erweitern die Möglichkeiten der Betreuung noch mehr. Nutzen Sie diese Chance! Auch dazu gebe ich Ihnen Anregungen.

Und zum Dritten: »Was nicht dokumentiert ist, wurde nicht geleistet«, diese Haltung (auch) der Aufsichtsbehörden erfordert von Ihnen, den Betreuungskräften, eine lückenlose und nachvollziehbare Dokumentation Ihrer Leistungen. Auch dazu gebe ich Ihnen wichtige Hinweise und Hilfen.

Außerdem möchte ich Ihnen die Möglichkeiten und Chancen der Betreuung in der ambulanten Pflege zeigen, die noch viel zu wenig genutzt werden, aber notwendig und wünschenswert sind.

Als Betreuungskräfte sollten Sie auch die »Sprache der Pflege« verstehen. Daher erläutere ich Ihnen einige Schlüsselbegriffe aus dem Bereich der Pflege.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie durch dieses Fachbuch in seiner 2., aktualisierten Auflage wichtige Impulse für ihre tägliche, wichtige Arbeit gewinnen können. Bringen Sie sich ein – es lohnt sich!

 

Kirchheim, im Juni 2019 Jürgen Link

1.1 Betreuung ist nicht nur ein Wort …

… sondern gesetzlich verankert und eine bezahlte Leistung. Am 1. Juli 2008 trat das »Pflege-Weiterentwicklungsgesetz« in Kraft. Der damals schon vorhandene Betreuungsbetrag stieg von 460 Euro auf bis zu 1.200 Euro (Grundbetrag) jährlich bzw. 2.400 Euro (erhöhter Betrag) pro Person. Wer nur einen »vergleichsweise geringen allgemeinen Betreuungsbedarf« hatte, erhielt den Grundbetrag; wer einen »höheren allgemeinen Betreuungsbedarf« aufwies, bekam den höheren.

Ebenfalls seit dem 1. Juli 2008 gibt es spezielle Angebote für demenziell Erkrankte in Heimen, um ihre Betreuung deutlich zu verbessern. Pflegeheime können seither Betreuungskräfte einstellen – und bezahlen. Seit 2013 gilt das übrigens auch für Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege. Und seit 2015 – mit dem Pflegestärkungsgesetz I – gilt der Anspruch grundsätzlich für »alle Bewohner bzw. Tagesgäste der Pflegeeinrichtungen«1, ob nun demenziell erkrankt oder nicht.

Pflege- und Betreuungskräfte müssen zusammen arbeiten, zum Wohle des älteren pflegebedürftigen Menschen. Damit stehen beide Berufsgruppen vor derselben Herausforderung: Sie müssen den älteren Menschen gut kennenlernen, sich mit ihm und miteinander abstimmen. Kurzum: Es muss miteinander gesprochen werden. Vor allem Betreuungskräfte müssen wissen, wovon Pflegekräfte reden – Sie brauchen ein kleines Lexikon »Pflege-Deutsch/Deutsch-Pflege« (image Kap. 2).

Wenden wir uns aber zunächst der »Betreuung« zu. Warum brauchte man überhaupt zusätzliche Betreuungskräfte? Geschah vorher, vor dem 1. Juli 2008, gar nichts in Sachen »Betreuung«? Doch, natürlich – auch Pflegekräfte pflegen nicht nur. Sie betreuen auch. Aber tatsächlich fehlt ihnen ein wichtiges Element, das für die Betreuung unabdingbar ist: Zeit. Das empfinden nicht nur die Pflegekräfte so, das sehen sogar Experten ein: »Eine der zentralen Voraussetzungen für eine gute Betreuung in Pflegeheimen ist die Vorhaltung ausreichenden und entsprechend qualifizierten Personals. Insbesondere im Zusammenhang mit der Versorgung Demenzkranker wird dabei zuweilen kritisiert, dass nicht genügend Zeit für die Betreuung bestünde, da sich die Pflege vor allem auf die Unterstützung bei den Alltagsverrichtungen konzentriere.«2

Zusätzliche Betreuungskräfte sind also nötig, entfalten »positive Wirkungen«3 und haben – wie die Pflegekräfte – dieselben Ziele:

Soziale Betreuung orientiert sich an der Lebenswelt der Klienten:

Größtmögliche Selbstständigkeit ist der Indikator für Wohlbefinden.

Größtmögliche Entscheidungs-, Handlungs- und Gestaltungsspielräume.

Größtmögliche Selbstbestimmung bei den Aktivitäten der Betreuung.

Spaß haben, sich selbst verwirklichen, mit anderen etwas erleben – genau das wollen Heimbewohner und Tagespflegegäste. Doch die Art und Weise der Betreuung verändert sich zunehmend: Männer brauchen spezielle Angebote. Gruppenaktivitäten müssen auf die spezifischen Interessen der Teilnehmer abgestimmt werden. Individuelle Einzelbetreuungen werden zunehmen. Daneben muss auch auf die individuelle Tagesstruktur der Klienten Rücksicht genommen werden. Einheitliche Zeiten für Frühstück, Mittagessen und Abendessen werden bald der Vergangenheit angehören. Ein Wochenplan für Aktivitäten, die immer nach dem gleichen Muster ablaufen, genügt schon heute nicht mehr. Er ist übrigens auch gar nicht notwendig: »Wenn Sie es schaffen, auch die Menschen mit Demenz in den Tagesablauf zu integrieren, benötigen Sie kaum Betreuungspläne. Sie sollten dabei jeweils an der Normalität des Menschen mit Demenz anknüpfen. Es ist für die meisten weiblichen Tagesgäste normal, beim Essen kochen, Tisch decken, Geschirr spülen und anderen Tätigkeiten mitzuwirken oder sogar selbst das Zepter in die Hand zu nehmen. Es ist für die männlichen Tagesgäste nicht ganz ungewöhnlich, dass sie Dinge im Haushalt mit übernehmen mussten, wie Einräumen, Wegräumen, Müllentsorgung etc.«4

Fazit Den Pflegebedürftigen fest im Blick

Jede Betreuung ist individuell, verlangt Aufmerksamkeit, Kooperationsbereitschaft und Flexibilität – von der Betreuungskraft, nicht vom Betreuten!

1.2 Betreuungskraft werden – Aus Freude am Menschen

Wo man auch hinschaut: Betreuungskräfte werden gebraucht, als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte! Bis zu 45.000 Betreuungskräfte sollte es geben, das wurde 2015 in Zusammenhang mit dem Pflegestärkungsgesetz I bekannt. Tatsächlich zählte man am 26. Oktober 20175 die Zahl von 60.000 Betreuungskräften. Wichtig ist und bleibt die Zusammenarbeit mit den Pflegekräften. Sogar finanziell sind die Berufsgruppen gleich gestellt: Seit dem 1. Oktober 2015 gilt auch für die zusätzliche Betreuungskraft der höhere Pflege-Mindestlohn. Seit dem 1. Januar 2016 bildet der Pflege-Mindestlohn die absolute Lohnuntergrenze für alle Pflege- und Betreuungskräfte: 9,19 Euro pro Stunde.

Aber wer wird eigentlich Betreuungskraft? Was machen Betreuungskräfte? Diese Fragen haben nicht nur Sie – diese Fragen hatte auch der GKV-Spitzenverband und er fand Antworten. 2012 erschien Band 9 der Schriftenreihe »Modellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung«6. Der Titel: »Betreuungskräfte in Pflegeeinrichtungen«. 213 Einrichtungen beteiligten sich, 549 Betreuungskräfte nahmen teil. Das waren zu diesem Zeitpunkt lediglich drei Prozent der damals tätigen 16300 Betreuungskräfte. Trotzdem sind die Antworten erhellend und ich werde im weiteren Verlauf öfter darauf eingehen. So können Sie sich und Ihr Aufgabenfeld mit 549 Berufskolleginnen vergleichen.

1.2.1 Am Anfang steht die Ausbildung

Ein 40-stündiges Orientierungspraktikum, eine mindestens 160-stündige Qualifizierungsmaßnahme und jedes Jahr eine Fortbildung. Mehr braucht es nicht, um Betreuungskraft zu werden – aber auch nicht weniger. Die jährlichen Fortbildungen sollen übrigens mindestens 16 Unterrichtsstunden umfassen. Es gibt ja auch viel zu lernen, denn der Gesetzgeber stellt eine ganze Reihe von Anforderungen an die Betreuungskräfte:

»Grundlegende Anforderungen an die persönliche Eignung von Menschen, die beruflich eine Betreuungstätigkeit in stationären Pflegeeinrichtungen ausüben möchten, sind insbesondere

eine positive Haltung gegenüber kranken, behinderten und alten Menschen,

soziale Kompetenz und kommunikative Fähigkeiten,

Beobachtungsgabe und Wahrnehmungsfähigkeit,

Empathiefähigkeit und Beziehungsfähigkeit,

die Bereitschaft und Fähigkeit zu nonverbaler Kommunikation,

Phantasie, Kreativität und Flexibilität,

Gelassenheit im Umgang mit verhaltensbedingten Besonderheiten infolge von körperlichen, demenziellen und psychischen Krankheiten oder geistigen Behinderungen,

psychische Stabilität, Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns, Fähigkeit sich abzugrenzen,

Fähigkeit zur würdevollen Begleitung und Anleitung von einzelnen oder mehreren Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen, Demenz, psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen,

Teamfähigkeit,

Zuverlässigkeit.«7

Diese Anforderungen sind gesetzlich festgelegt in den »Richtlinien nach § 53c Abs. 3 SGB XI zur Qualifikation und zu den Aufgaben von zusätzlichen Betreuungskräften in stationären Pflegeeinrichtungen (Betreuungskräfte-RI) vom 19. August 2008 in der Fassung vom 23. November 2016«. Aufgesetzt hat diese Richtlinien der GKV-Spitzenverband. Der wiederum ist der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, der die Aufgaben des Spitzenverbandes Bund der Pflegekassen nach § 53 SGB XI wahrnimmt.

Wer wird eigentlich Betreuungskraft? Schauen wir in die Studie: Die Hälfte der Betreuungskräfte (fast alles Frauen, im Durchschnitt 47 Jahre alt), die bei der Untersuchung des GKV-Spitzenverbandes8 mitmachten, verfügten über die Mittlere Reife, 20 Prozent besaßen sogar die Fachhochschulreife oder einen höheren Abschluss. Viele von ihnen hatten einen Berufsabschluss, wobei die Kaufleute im Einzelhandel mit 13,4 Prozent an der Spitze lagen. Aber auch Altenpflegefachkräfte oder -helfer fanden sich. Viele Betreuungskräfte (53 Prozent) verfügten bereits über Vorerfahrungen in der Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen oder Nachbarn oder haben zuvor bereits ehrenamtlich in diesem Bereich gearbeitet.

Welche Arbeitsbelastung haben Betreuungskräfte? Auch hier ein wenig Zahlenmaterial aus der Studie: Ein Drittel der befragten Betreuungskräfte arbeitete weniger als 20 Stunden pro Woche, 50 Prozent arbeiteten zwischen 20 und 35 Stunden pro Woche. Im Schnitt betreuten sie zwischen 10 und 30 Bewohner. Die Aktivitäten:

Zum Tagesangebot gehörten Gespräche, Vorlesen, Musik hören, Spaziergänge

Zum Wochenangebot zählten Malen und Basteln, Kochen und Backen, Fotoalben anschauen, Brett- und Kartenspiele, Bewegungsübungen und Tanzen in der Gruppe, Spaziergänge, Ausflüge, Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Sportveranstaltungen, Gottesdiensten und Besuche von Friedhöfen.

Manche Betreuungskräfte erledigten auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten, begleiteten beim Kinobesuch, bei Arztbesuchen oder bei Einkäufen.9

1.2.2 Betreuung hat gesetzliche Grundlagen

Was Betreuungskräfte tun sollen, steht in den Richtlinien10 (§ 2): »Die Aufgabe der zusätzlichen Betreuungskräfte ist es, die Anspruchsberechtigten zum Beispiel zu folgenden Alltagsaktivitäten zu motivieren und sie dabei zu betreuen und zu begleiten:

Malen und basteln,

handwerkliche Arbeiten und leichte Gartenarbeiten,

Haustiere füttern und pflegen,

Kochen und backen,

Anfertigung von Erinnerungsalben oder -ordnern,

Musik hören, musizieren, singen,

Brett- und Kartenspiele,

Spaziergänge und Ausflüge,

Bewegungsübungen und Tanzen in der Gruppe,

Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Sportveranstaltungen Gottesdiensten, und Friedhöfen,

Lesen und Vorlesen,

Fotoalben anschauen.«

Aber da gibt es ja noch ein Ärgernis: »Betreuungskräfte werden für pflegerische Aufgaben herangezogen«. Auch in der Studie des GKV-Spitzenverbandes wurde das dokumentiert. »81 % der Betreuungskräfte geben an, täglich beim Trinken- und 67 % täglich beim Essenreichen zu unterstützen. Auch Hilfe bei Toilettengängen wird durch fast die Hälfte der Betreuungskräfte (47 %) mindestens einmal die Woche oder täglich übernommen. Jede fünfte Betreuungskraft (21 %) gibt zudem an, mindestens einmal die Woche oder täglich beim Waschen und Ankleiden der Bewohner zu helfen.«11

Darf das eigentlich sein? Pflegeheime argumentieren hier gern mit den Betreuungskräfte-Richtlinien: Dort heißt es in § 2 Absatz 4: »Zu den Aufgaben der zusätzlichen Betreuungskräfte gehören auch die Hilfen, die bei der Durchführung ihrer Betreuungs- und Aktivierungstätigkeiten unaufschiebbar und unmittelbar erforderlich sind, wenn eine Pflegekraft nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.«

»Rechtzeitig« ist natürlich ein interpretierbarer Begriff und manche Betreuungskraft fühlt sich mit Aufgaben überlastet, die eigentlich zur Pflege gehören. Doch auch hier die Betreuungskräfte-Richtlinie (§ 2 Abs. 4)weiter: »Zusätzliche Betreuungskräfte dürfen weder regelmäßig noch planmäßig in körperbezogene Pflegemaßnahmen sowie hauswirtschaftliche Tätigkeiten eingebunden werden.«

Ein großes Ärgernis sehe ich in der fehlenden Vorgabe des Gesetzgebers und der Aufsichtsbehörden hinsichtlich der Vorhaltung von Betreuungspersonal im Rahmen der Refinanzierung über die Pflegesätze. Dies führte bei vielen Heimen dazu, dass bisherige Betreuungskräfte nun als zusätzliche Betreuungskräfte nach § 45b SGB XI geführt wurden, also die ursprünglich beabsichtigte Stellenmehrung nur bedingt umgesetzt wurde.

1.2.3 Die Pflegestärkungsgesetze I und II sowie das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz

Durch das Pflegestärkungsgesetz I wurden seit dem 1. Januar 2015 die Leistungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen spürbar ausgeweitet und die Zahl der zusätzlichen Betreuungskräfte in stationären Pflegeeinrichtungen erhöht. Hilfen für Demenzkranke wurden verbessert, niederschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote gestärkt. Zudem wurde ein Pflegevorsorgefonds eingerichtet.

Mit dem Pflegestärkungsgesetz II, das am 1. Januar 2016 in Kraft trat, kamen der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutachtungsverfahren. Die bisherige Unterscheidung zwischen Pflegebedürftigen mit körperlichen Einschränkungen und Demenzkranken ist Vergangenheit. Im Zentrum steht seither der individuelle Unterstützungsbedarf jedes Einzelnen. Dadurch wurde die Pflegeversicherung auf eine neue Grundlage gestellt und die bisherigen drei Pflegestufen wurden durch fünf passgenauere Pflegegrade ersetzt.

Die Vorteile der Reform liegen in

einer stärkeren Berücksichtigung der Bedürfnisse von Demenzkranken;

höheren Leistungen, gemessen an allen Pflegebedürftigen;

neuen Begutachtungskriterien, die die Gesamtsituation pflegebedürftiger Menschen besser erfassen;

der Angleichung der Leistungen an die Preisentwicklung.

Laut Bundesministerium für Gesundheit hat sich die finanzielle Lage vieler Pflegebedürftiger dadurch verbessert. Auf jeden Fall wurde niemand schlechter gestellt als zuvor. Bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit wird nicht mehr zwischen körperlichen, geistigen und psychischen Erkrankungen unterschieden. Die Pflegebedürftigkeit wird ausschließlich nach dem Grad der Selbstständigkeit beurteilt. So kann auch das Krankheitsbild »Demenz« besser als bisher einbezogen werden. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff und die fünf Pflegegrade wurden allerdings erst ab 2017 umgesetzt, weil das neue Begutachtungs-verfahren zunächst noch auf seine Praxistauglichkeit getestet wurde. Die Beteiligten, nämlich der Medizinische Dienst der Krankenversicherung, die Pflegedienste und die Pflegeheime benötigten mindestens ein Jahr Vorbereitungszeit, um die neuen Regelungen umsetzen zu können. Weiter bringt das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz neue Regelungen zur Qualitätsprüfung des MDK.

1.3 Die Pflegegrade

Selbstverständlich gibt es klar definierte Voraussetzungen, die je nach Pflegegrad erfüllt werden müssen. Diese richten sich generell an der Selbstständigkeit der Betroffenen aus:

Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten
Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung

1.3.1 Das Begutachtungsinstrument (BI)

Die Einführung des neuen Begutachtungsassessments (NBA) klang nach einer grundlegenden Revolution bei der Beurteilung von Pflegebedürftigkeit. Die Pflege sollte individueller werden, Menschen mit kognitiven Defiziten sollten nicht länger benachteiligt werden. Eine bessere Beratung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen wurde angestrebt. Die Gutachter des MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) bewerten die Selbstständigkeit bzw. die Fähigkeiten von Antragstellern in 77 Kategorien. Dabei geht es darum, in welchem Maß ein Pflegebedürftiger in der Lage ist, seinen Alltag selbstständig zu gestalten. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Selbstständigkeit, körperlich wie geistig.

Die Kriterien der Pflegebedürftigkeit sind in § 14 SGB XI definiert. »(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.«

Also kurz gesagt: Menschen, die gesundheitlich beeinträchtigt sind und die diese Beeinträchtigungen nicht selbständig kompensieren können. Diese Kriterien müssen für mindestens sechs Monate erfüllt sein. In § 14 Absatz 2 SGB XI sind die sechs Module festgelegt, die der MDK seiner Empfehlung zugrunde legen muss:

1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;

2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;

3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;

4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;

5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:

a) in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,

b) in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,

c) in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie

d) in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;

6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sich beschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.

Die Beeinträchtigungen in der selbständigen Haushaltsführung werden bei den obengenannten Kriterien angemessen berücksichtigt.

1.4 Die Pflegereform – Konsequenzen für Betreuungskräfte

Die Pflegedokumentation im stationären Bereich muss diesen Kriterien folgen, um für jeden Bewohner den Nachweis eines bestimmten Pflegegrades führen zu können. Weil der psychosoziale Hilfebedarf sowie die Erforderlichkeit von Begleitung am Tag und in der Nacht viel stärker im Fokus stehen, gewinnt auch die Dokumentation von Betreuungsleistungen deutlich an Bedeutung.

Fazit Dokumentieren Sie fachgerecht!

Die Bedeutung von Betreuungsleistungen wird durch die gesetzlichen Veränderungen gestärkt und ausgeweitet. Die Betreuungsleistungen werden im Rahmen der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit schwerer ins Gewicht fallen. Damit wird die fachgerechte Dokumentation dieser Angebote zum Nachweis des Hilfebedarfs noch wichtiger als heute.

________________

1https://www.gkv-spitzenverband.de/pflegeversicherung/beratung_und_betreuung/betreuungs-kraefte_nach_87_b_sgb_xi/betreuungskraefte_nach_87_b_sgb_xi.jsp, Zugriff am 28. 01. 2019

2https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung/beratung_und_betreuung/betreuungskraefte/GKV_Schriftenreihe_Band_9_Pflege_Betreuungskraefte.pdf, Zugriff am 28. 01. 2019

3 Ebd.

4Vgl. König J. (2017): Tagespflege und der MDK. 2. Aufl. Schlütersche, Hannover, S. 131

5https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2017/4-quartal/betreuungskraefte.html, Zugriff am 29.01.2019

6GKV (2012): Betreuungskräfte in Pflegeeinrichtungen. Schriftenreihe Modellprogramm zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, Band 9. Im Internet: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung/beratung_und_betreuung/betreuungskraefte/GKV_Schriftenreihe_Band_9_Pflege_Betreuungskraefte.pdf, Zugriff am 29.01.2019

7https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung/richtlinien__verein-barungen__formulare/rahmenvertraege__richlinien_und_bundesempfehlungen/2014_12_29_Ange-passte_Richtlinien__87b_SGB_XI_final.pdf, Zugriff am 29.01.2019

8GKV 2012, S. 24

9Ebd., S. 29

10GKV-Spitzenverband (2016). Richtlinien nach § 53c SGB XI zur Qualifikation und zu den Aufgaben von zusätzlichen Betreuungskräften in stationären Pflegeeinrichtungen (Betreuungskräfte-RI) vom 19. August 2008 in der Fassung vom 23. November 2016. im Internet: https://www.gkv-spitzenver-band.de/pflegeversicherung/beratung_und_betreuung/betreuungskraefte_nach_87_b_sgb_xi/betreuungskraefte_nach_87_b_sgb_xi.jsp, Zugriff am 29.01.2019

11GKV 2012, S. 33

Betreuungskräfte werden auch heute noch nicht überall in die Planung der Pflege einbezogen. Dabei können sie aus ihrer Arbeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern wertvolle Hinweise für die Pflegeplanung, die Anamnese und die Pflegemaßnahmen geben. Vor allem, wenn es um die individuelle Biografie geht, erfahren Betreuungskräfte bei ihrer Arbeit in der Gruppen- und Einzelbetreuung vieles, was für eine qualitativ gute Pflege und Betreuung nützlich sein kann.

Das sieht man auch beim Caritasverband München und Freising so: Dort gelingt es »mit Hilfe der zusätzlichen Betreuungskräfte, trotz der zunehmenden Anforderungen, den Menschen in den Altenheimen ein Alltagsleben zu ermöglichen. Dabei wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, in dem die Unterstützung im Alltagsleben mehr ist als das Angebot von »Beschäftigung wie Singkreis, Gedächtnistraining und ähnlichen Inhalten.« … Entscheidend hierfür ist, dass die Betreuungskraft nicht auf sich alleine gestellt ist, und das Handeln nicht dem individuellen Bedarf des betreuten Menschen entgegensteht oder dessen Gesundheit gar gefährdet. Aus diesem Grund ist es erforderlich, die eingesetzten Betreuungskräfte aktiv in die Prozesse der Einrichtung mit einzubinden und im Sinne einer interdisziplinären Zusammenarbeit alle notwendigen Informationen zukommen zu lassen.«12

Das bedeutet auch: Anamnese, Maßnahmen und Biografiearbeit sind nicht nur alleiniges Aufgabenfeld der Pflegefachkräfte. Voraussetzung ist aber, dass jede Betreuungskraft die Hintergründe dieser pflegefachlichen Aufgaben kennt und sich dann auch aktiv einbringen kann. Ich stelle Ihnen im Folgenden einige grundlegende Begriffe aus der Pflege vor. Die Grundlage dafür ist der Pflegeprozess (image Abb. 1). Denn jede professionelle Pflege beinhaltet ein systematisches Planen und Handeln und wird durch den sogenannten »Pflegeprozess« geleitet.

image

Abb. 1: Die Teilschritte des Pflegeprozesses.

2.1 Was ist eigentlich …

2.1.1 eine Pflegeanamnese?

Definition Pflegeananmnese

Die Pflegeanamnese ist die Einschätzung des Allgemeinzustandes des Pflegebedürftigen. Sie besteht aus einer Sammlung von Informationen über pflegerelevante Ressourcen und Probleme. Diese Anamnese erfolgt innerhalb der ersten 48 Stunden nach der Aufnahme eines Bewohners/Klienten. Sie steht am Anfang des Pflegeprozesses und ist Bedingung für die Planung der Pflege.

Mit der Pflegeanamnese wird der Aufnahmezustand beschrieben und der eigentliche Pflegebedarf ermittelt. Danach wird sie nicht mehr aktualisiert! Das ist der Unterschied zur Informationssammlung, denn die wird weiter ergänzt, in regelmäßigen Abständen überprüft (evaluiert) und gegebenenfalls verändert.

Eine Pflegeanamnese erfasst also den Gesamtzustand eines Pflegebedürftigen, bevor Pflege und Betreuung tatsächlich beginnen. Die Anamnese wird deshalb in der Regel grundsätzlich am Aufnahmetag durchgeführt und auch abgeschlossen. Die Anamnese kann schon bei einem ersten Kontakt im häuslichen Umfeld oder im Krankenhaus beginnen.

Bei der Pflegeanamnese wird Folgendes erhoben:

die Vorgeschichte, soweit sie pflege- und betreuungsrelevant ist;

der pflegerische Bedarf (bei welchen pflegerischen Handlungen benötigt der Klient Unterstützung?);

die Ressourcen (Welche Ressourcen sind noch vorhanden?);

individuelle Gewohnheiten und Wünsche bei der Durchführung der Pflege;

erste biografische Daten;

die Zusammenarbeit mit den pflegenden Angehörigen (in der ambulanten Pflege).

Beispiel einer Pflegeanamnese in der ambulanten Pflege

Situation:

Frau M. ist seit fünf Jahren verwitwet und lebt allein in ihrer Wohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses. Sie ist seit einem leichten Schlaganfall mit teilweise rechtsseitiger Lähmung vor fünf Monaten nicht mehr in der Lage, alle Tätigkeiten der Körperpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung allein selbstständig zu erledigen. Für die große Toilette benötigt sie Unterstützung durch Dritte, ebenso für das An- und Auskleiden. Zurzeit kümmert sich die Tochter darum, aber dauerhaft kann sie diese Tätigkeiten nicht übernehmen. Frau M. erhält Medikamente für den Blutdruck und ihre Altersdiabetes. Die Einschätzung des Pflegebedarfs anhand der AEDL nach Krohwinkel13:

Tab. 1: Kommunizieren können

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Tab. 2: Sich bewegen können

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Tab. 3: Vitale Funktionen erhalten können

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Tab. 6: Ausscheiden können

Stuhlgang
Normal X Regelmäßig Neigt zu Durchfall Neigt zu Verstopfung  
Stuhlinkontinenz
X Nein Gelegentlich Immer Hilfsmittel:
Wasserlassen
Normal Vermehrt vermindert    
Harninkontinenz
Nein X Gelegentlich Immer Hilfsmittel: Einlagen

Ruhen und schlafen können

Hilfsmittel: gelegentlich Schlafmittel

Rituale: warme Milch vor dem Schlafengehen

Schlafzeiten:

aufstehen morgens ca. 7:00 Uhr

Mittagsschlaf von 13:00 bis 14:00 Uhr

Schlafengehen abends ca. 22:30 Uhr

Tagesstrukturierung:

beim Frühstück Zeitung lesen

telefoniert häufig mit Verwandten

schaut gerne Vorabendserien und Nachrichtensendungen Hobbys: Stricken, Krimis, Canasta, Volksmusik

Tab. 8: Sich als Mann/Frau fühlen können

Bedürfnis nach körperlicher Nähe  
X normal Ausgeprägt Nicht vorhanden
Bedürfnis nach Distanz  
X normal Ausgeprägt Nicht vorhanden
Sexualität  
Gesprächsbereitschaft X Kein Thema  
Pflege erwünscht durch gleichgeschlechtliche Kraft Ja X Unerheblich

Für eine sichere Umgebung sorgen können

Risiken und eigene Maßnahmen:

kann Risiken erkennen und sich entsprechend verhalten

Unterstützungsbedarf: ja in Form von Beratung oder nein

Mit existenziellen Erfahrungen umgehen können:

Es sind folgende gefährdende Erfahrungen feststellbar:

Verlustängste

Angst vor dem Tod

Maßnahmen: Gespräche

Aus dieser Anamnese können erste Schlüsse zum Umgang mit der Klientin gezogen werden, um die sachgerechte Pflege und Betreuung sicherzustellen. Die Daten der Pflegeanamnese bilden die Grundlagen für die Pflegeplanung und die Maßnahmenplanung. Außerdem können aus der Pflegeanamnese erste Informationen für die gezielte Biografiearbeit genutzt werden.

2.1.2 eine Informationssammlung?

Definition Informationssammlung

Die Informationssammlung gehört zur Pflegedokumentation. Erfasst werden die aktuelle Situation und der aktuelle Zustand des Pflegebedürftigen.

Die Informationssammlung wird laufend ergänzt. Denn es gibt nun mal keinen Menschen, der über Wochen, Monate oder Jahre keine Veränderungen erfährt. In der Informationssammlung finden sich u. a.:

Stammblatt

Pflege- und Sozialanamnese

Biografiebogen

Überleitungsbogen

Einschätzung Mangelernährung, Kontrakturrisiko etc.

Kontinenz- und Schmerzeinschätzung

Berichteblatt

Ärztliche Verordnungen

Vitalwerte14

2.1.3 die Biografiearbeit?

Definition Biografiearbeit

Unter Biografiearbeit versteht man die Erfassung der Lebensgeschichte eines Menschen. Diese ist vergangenheits-, gegenwartsund zukunftsbezogen, wie das Leben selbst. Befindlichkeiten und Verhaltensweisen werden bestimmt durch prägende Ereignisse in der Vergangenheit, die augenblickliche Lebenssituation und die Wünsche und Erwartungen, aber auch Befürchtungen für die Zukunft.

Als Betreuungskraft müssen Sie viel Verständnis für alte Menschen aufbringen, egal, wie alt Sie selbst sind. Die intensive Beschäftigung mit Biografiearbeit hilft Ihnen dabei, dieses Verständnis zu fördern.

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Abb. 2: Die Ebenen der Biografiearbeit.

Wie sollten Sie sonst die Verhaltensweisen eines alten Menschen nachvollziehen und verstehen, wenn Sie seine Geschichte nicht kennen? Viele Details des Lebens Ihrer Klienten zu kennen, hilft Ihnen, diese individuell betreuen zu können. Wichtig ist dabei, die Lebensereignisse dieser Menschen im Kontext der jeweiligen Zeit zu interpretieren. Sie sollten also einen reichlichen Fundus an Informationen zusammentragen:

Person und Familie

Lebensumstände in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter

Ereignisse wie Heirat, Geburt von Kindern, berufliche Erfolge

Traumatische Erfahrungen wie Krieg, Flucht, Gefangenschaft oder andere Formen der Gewalt

Kulturelle Prägung (z. B. auf dem Land oder in der Stadt gelebt zu haben)

Religiöse Bindungen

Politische und gesellschaftliche Einflüsse, den »Zeitgeist« im Jugendund Erwachsenenalter, der das Frauen-/Männerbild, den Erziehungsstil und die Vorstellungen von Prinzipien geprägt hat

Es geht bei der Biografiearbeit um das individuelle Erleben der jeweiligen Person. Vielleicht hat sie traumatische Erfahrungen in einem Krieg gemacht; vielleicht hatte sie – trotz Flucht oder Vertreibung eine glückliche Kindheit? Jeder Mensch beurteilt selbst sein Leben!

Heute werden die Zimmer im Altenpflegeheim mit vielen eigenen Möbeln eingerichtet. Vertrautes hilft, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Persönliche Wäsche, Handtücher, Bett- und Tischwäsche etc. werden mitgebracht. Der eigene Schrank mit vielen Utensilien der eigenen Lebensgeschichte kann ein wichtiges Betätigungsfeld für Damen werden. Handtaschen, Hüte, Schals, Lederhandschuhe etc. können eigentlich nie im ausreichenden Maß vorhanden sein. Bei Männern können Schrauben- oder Handwerkskisten, Bücher, Zeitschriften etc. Möglichkeiten zum Sortieren enthalten. Uhren, Fotos oder einem alten Hobby zugehörige Sachen geben jeder Lebensumgebung den ganz persönlichen Ausdruck und bieten damit auch immer Anknüpfungspunkte für Gespräche. Durch ein kontinuierliches »Sammeln« von Biografischem entsteht ein facettenreiches Bild über den Bewohner, der vielleicht nicht mehr mitteilen kann, was sein Lebensglück ausgemacht hat.

Im Gegensatz zur Pflegeanamnese ist die Biografiearbeit kein einmaliger, abgeschlossener Prozess, sondern erfolgt fortlaufend während der Pflege und Betreuung. Damit dies gelingt, ist es wichtig, dass Sie biografische Informationen, die oftmals nur als Nebenbemerkungen geäußert werden, bewusst wahrnehmen und dokumentieren. Dabei müssen Sie immer unterscheiden, welche Informationen in die Dokumentation aufgenommen werden dürfen und was Ihnen persönlich anvertraut wurde und daher nicht in die Dokumentation aufgenommen werden darf.

Gelingende Biografiearbeit setzt ein Vertrauen zwischen dem Klienten und Ihnen voraus. In vielen Einrichtungen und Diensten ist Biografiearbeit Aufgabe der Pflegefachkräfte, manchmal erhalten auch Altenpflegeschüler im Rahmen ihrer Ausbildung den Auftrag, die Biografie eines Klienten zu erstellen.

Doch gerade Sie als Betreuungskraft können zur Biografiearbeit viele Informationen beitragen. Sie erleben Klienten in einem anderen Setting als Pflegekräfte. Bei Betreuungsaktivitäten zeigen Klienten meist ein anderes, selbstbewussteres Verhalten. Hier fühlen sie sich wohl und können ihre verbliebenen Ressourcen einsetzen. Gezielte Betreuung knüpft an Erlebnisse und Lebensverläufe von Klienten an. Hierbei erfahren Sie als Betreuungskraft viel über die Biografie der betreuten Menschen. Dokumentieren Sie das und machen Sie Ihre Erkenntnisse für das ganze Team nutzbar. Meines Erachtens sind Betreuungskräfte »Quelle Nummer 1« für die Biografiearbeit. Ihre Erkenntnisse sollten gezielt genutzt werden, um eine qualitativ gute Pflege und Betreuung sicherzustellen.

Gute Erfahrungen werden mit einer Biografiearbeit vor Beginn der stationären Hilfe gemacht. Die verantwortlichen Pflegefachkräfte und/oder Betreuungskräfte besuchen den Klienten in seinem häuslichen Umfeld und gewinnen so viele Informationen, die nach dem Einzug ins Heim mühsam erfragt werden müssen. Positiver Nebeneffekt ist, dass die künftigen Heimbewohner bereits vor der Aufnahme einen persönlichen Kontakt zu einer wichtigen Bezugsperson haben, Ängste können damit wirksam vermindert werden.

Das Wissen über die Geschichte und die Erlebnisse eines Klienten, die sein Leben geprägt haben, lassen manche Verhaltensweise verständlich werden und tragen zu einer individuelleren Pflege und Betreuung bei.

Biografiearbeit hat noch sehr viel größere Bedeutung bei der Betreuung und Pflege von Menschen mit demenziellen Veränderungen. Sie lässt Signale des Klienten zuverlässiger interpretieren. Biographisches Wissen hilft, den Klienten in seiner Gesamtheit und Einzigartigkeit zu erkennen und zu respektieren. Die Beschäftigung mit der Biografie kann bei demenziell erkrankten Menschen noch vorhandene Fähigkeiten aktivieren und die Identität länger bewahren.

Biografiearbeit hilft den Pflege- und Betreuungskräften:

den Klienten als Individuum und einzigartiges Wesen zu sehen, nicht nur als hilfebedürftigen alten und kranken Menschen;

Verhalten und Eigenheiten des Klienten besser zu verstehen;

die eigene Einstellung zum Klienten zu überprüfen;

die Zusammenarbeit mit Angehörigen zu verbessern;

Pflege und Betreuung individueller zu planen und durchzuführen.

Klienten hilft die Biografiearbeit:

ein von Vertrauen geprägtes Verhältnis zu den Pflege- und Betreuungskräften aufzubauen;

die eigene Lebensgeschichte aufzuarbeiten;

sich bewusst an alte Zeiten zu erinnern;

neue Perspektiven für die eigene Zukunft zu entwickeln.

Die Literatur unterscheidet zwei Methoden der Biografiearbeit:

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842689725
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Altenpflege Gesundheitswesen Lernmaterialien Pflege Psychologie & Hilfe Sozialarbeit

Autor

  • Jürgen Link (Autor:in)

Jürgen Link ist Diplom-Verwaltungswirt/Betriebswirt und arbeitete viele Jahre in leitenden Positionen in der Altenpflege. Er ist Inhaber der Firma JuLi-Beratung.
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Titel: Als Betreuungskraft in der Altenpflege