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Aktivierung und Beschäftigung für Männer

Von der Planung bis zur Durchführung. Die besten Ideen - sofort umsetzbar

von Bernd Hoffmann (Autor:in)
128 Seiten

Zusammenfassung

Ob Betreuungskräfte oder Bewohner – die Altenpflege ist weiblich. Kein Wunder, dass die meisten Beschäftigungsangebote auf ältere Damen ausgerichtet sind. Männer haben bislang das Nachsehen, fühlen sich bei Sitztanz oder Backnachmittag eher weniger angesprochen. Aber die Zeiten ändern sich. Inzwischen kommen die Geburtsjahrgänge ab 1930 in die Altenheime und so wächst der Anteil der Männer in Pflegeheimen in Richtung 50 Prozent.
Dieses Buch präsentiert eine Fülle von männerspezifischen Beschäftigungsangeboten – alle bereits in der Praxis erprobt und auf großes Interesse gestoßen.
Beschäftigungsangebote für Männer – das ist ein kompaktes Buch, praxisnah und sofort umsetzbar. So finden Betreuungskräfte rasch das Richtige für eine echte Männerrunde.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Danksagung

Ich danke in erster Linie der Schlüterschen Verlagsgesellschaft, die mir die Möglichkeit gegeben hat, meine über Jahre gesammelten Erfahrungen in der Betreuung männlicher Pflegebedürftiger in diesem Buch zu bündeln.

Justyna Musiała, Bastiaan Winde und Vincent Bijwaard danke ich für ihre künstlerisch-kreative Unterstützung. Sie zeichnen für einige der verwendeten Fotos verantwortlich.

Großer Dank geht auch an Astrid Buschfeld und Thomas Grziwotz vom Lucy-Romberg-Haus, einem Bildungsinstitut der AWO in Marl. Sie waren die ersten, die mich mit meinem Seminar »Maloche, Fußball & Feierabendbier« vor einigen Jahren auf die Leute losgelassen haben, da sie die Bedeutung des Themas erkannten. Ich freue mich auf die Fortführung unserer wunderbaren Zusammenarbeit.

Auch bei den vielen Seminarteilnehmern der vergangenen Jahre möchte ich mich bedanken. Die Rückmeldungen aus der Praxis waren und sind sehr wertvoll für mich. Es ist exakt so, wie ich es häufig zu Beginn eines Seminartages sage: Nicht nur die Teilnehmer nehmen etwas für sich mit, sondern auch ich etwas für mich – und das aus jedem einzelnen Seminar. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle Sebastian Röder, der mit dem Team der Caritas Tagespflege St. Paulus in Kamp-Lintfort sehr kreative und herausragende Dinge fabriziert, auf die ich in diesem Buch ebenfalls eingehen werde. Selbiges gilt für Waltraud Möllmann, die ihren Einrichtungsleiter tatsächlich dazu bewegen konnte, aktiven Bogensport mit älteren Herren zu gestatten. Auch hierüber werde ich Ihnen auf den Folgeseiten berichten.

Abschließend danke ich den für mich wichtigsten Personen (und Lebewesen) überhaupt: Meiner Frau Sabine und meinen Hunden Holly und Cira. Die drei hatten in den letzten Wochen und Monaten sehr wenig von mir, da ich mich ständig zum Lesen und Schreiben in mein Arbeitszimmer verzog. Vielen Dank für Eure Geduld. Ab sofort mische ich mich wieder verstärkt unters Rudel!

Einleitung

Da stand ich nun. »Nimm mal den Herrn Meier mit und geh mit ihm eine Runde durch den Wald.« Was meine Kollegen aus der Tagespflege mir, dem Neu-Zivi, da an meinem ersten Arbeitstag auferlegten, klang leicht. War es auch. Bis Herr Meier nicht mehr zurückwollte und ich erstmals in meinem Leben mit dem, zumindest für mich, äußerst herausforderndem Verhalten eines demenzkranken Mannes konfrontiert wurde. Auch wenn ich mit der Situation (mangels Kenntnis des Krankheitsbildes Demenz) hoffnungslos überfordert und zudem noch froher war, dass die Altentherapeuten mir bald zu Hilfe eilten und Herrn Meier zur Rückkehr bewegten: Dies war zugleich der Moment, der meine Neugierde und mein Interesse an der Arbeit mit älteren Menschen nachhaltig weckte und meine spätere Berufswahl begründete.

Einige Jahre später hatte ich mein Studium hinter mich gebracht und stieg voller Tatendrang in den Sozialen Dienst ein. Fortan sollte ich die Beschäftigungsangebote für rund 160 Bewohner verantworten. Das gelang auch recht gut, besonders schwierig blieb es aber immer mit den Männern. Obwohl ich gezielt und regelmäßig Einladungen zu Aktivitäten aussprach, war die Resonanz beim »starken« Geschlecht eher verhalten.

Die Einrichtungen, in denen ich tätig war, verzeichneten bereits damals einen relativ hohen Anteil männlicher Bewohner. Sehr viele Männer waren nach jahrelangem Alkoholmissbrauch am Korsakow-Syndrom erkrankt, was bekanntlich demenzähnliche Gedächtnisstörungen nach sich zieht. Besagte Männer zog es meist nicht zu meinen Aktivitäten, sondern eher in Richtung Ortskern, auf der Suche nach einem leckeren Tröpfchen.

Aber auch bei den geistig fitten, orientierten Bewohnern machte ich die Beobachtung: Mit den eher auf Frauen ausgerichteten Beschäftigungs- und Aktivierungsangeboten konnten die Herren der Schöpfung überhaupt nichts anfangen. Das starke Geschlecht ist in der Pflegebedürftigkeit in der Rolle des Schwächeren. Und immer dann, wenn Langeweile aufkam, kam es eben auch zu den geschilderten unerwünschten »Begleiterscheinungen« wie bei Herrn Meier. Entsprechend wichtig war es mir, eine gute männerspezifische Tagesstruktur mit passgenauen Beschäftigungsangeboten zu schaffen.

Heute, rund 15 Jahre später, möchte ich meinen beruflichen Erfahrungsschatz mit Ihnen, Lesern dieses Buches, teilen. Bereits seit mehreren Jahren bin ich mit dem Seminar »Maloche, Fußball & Feierabendbier« landauf, landab unterwegs und genieße den Erfahrungsaustausch mit Menschen, die im Betreuungsbereich tätig sind. Die große Nachfrage nach diesen Seminaren (was die durchweg hohen Teilnehmerzahlen zeigen) und die Rückmeldungen der Menschen aus der Betreuungspraxis bestätigen immer wieder – pflegebedürftige Männer benötigen besondere Angebote.

Der Anteil männlicher Senioren in den pflegerischen Langzeiteinrichtungen nimmt ständig zu – und macht passgenaue Maßnahmen erforderlich. Oft genug ziehen sich die Männer zurück und lehnen die Teilnahme an Angeboten ab, da diese ihnen ganz und gar nicht zusagen. Gerade (aber nicht nur) in der Eingewöhnungsphase muss es unser Ziel sein, einen guten Zugang zum Bewohner zu gewinnen, um sozialer Isolation vorzubeugen.

Um angemessene Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten, müssen wir wissen, worin sich die Wünsche und Bedürfnisse männlicher Senioren von denen ihrer weiblichen Altersgenossinnen unterscheiden. Das anerzogene männliche Rollenbild und typische Unterschiede zwischen Mann und Frau müssen den Betreuungskräften bekannt sein. Dann gelingt es im Handumdrehen, passende Aktivitäten anzubieten, die auch die Männer aus der Reserve locken und zur Teilnahme motivieren.

Die hier vorgestellten zahlreichen, in der Praxis bewährten Aktivitäten und Ideen zur Beschäftigung von Männern, von orientierter bis zu demenziell erkrankter Zielgruppe, sollen Ihnen unmittelbar im Berufsalltag eine wertvolle Unterstützung sein!

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Freude bei der zielgerichteten Beschäftigung männlicher Pflegebedürftiger.

Bernd Hoffmann

1.1Der Mann in einer »weiblichen« Umwelt – Herausforderungen in der Betreuung pflegebedürftiger Männer

Obwohl der Anteil der Männer in Pflegeeinrichtungen beständig ansteigt, sind die Frauen weiter deutlich in der Überzahl (image Tab. 1). Im Jahr 2017 gab es in Deutschland insgesamt 3,4 Millionen Pflegebedürftige. Rund 24 Prozent wurden vollstationär in Heimen versorgt, der Frauenanteil betrug 70,4 Prozent.

Dieses Verhältnis gilt allerdings nicht nur für die Bewohner – beim Personal sieht es nicht anders aus. Der Pflegeberuf ist überwiegend in Frauenhand, 85 Prozent der Beschäftigten1 sind weiblich. Dieses Bild bekomme ich auch regelmäßig in meinen Seminaren gespiegelt – die Männer dürfen sich hier nicht nur ausnahmsweise, sondern in aller Regel, als »Hähne im Korb« fühlen und stellen eine klare Minderheit dar.

Da auch die Betreuungskräfte in aller Regel weiblich sind, bestehen für die pflegebedürftigen Senioren nur wenige Möglichkeiten, klassisch »männliche« Themen und Probleme mit einer Person zu besprechen, die sich in die männliche Denk- und Empfindungsweise hineinversetzen kann – idealerweise ein anderer Mann. (So wie ja auch Frauen bestimmte Themen vorzugsweise mit anderen Frauen besprechen).

Männer sind noch eine Minderheit in den Pflegeheimen

Auf die wöchentlichen Beschäftigungsangebote wird seitens der Herren der Schöpfung häufig mit purem Rückzugsverhalten reagiert. Wer mag es den Männern auch verübeln?

Nahezu alle Pflegeeinrichtungen orientieren sich stark am Wohngruppenbzw. Hausgemeinschaftsprinzip. Die Wohnküche steht im Mittelpunkt des Lebens, die Betreuungsangebote sind im Regelfall stark hauswirtschaftlich ausgerichtet: Koch- und Backgruppen, lebenspraktische Tätigkeiten wie Wäsche oder Servietten falten oder Duftsäckchen befüllen. Alles nicht gerade traditionell männliche Betätigungsfelder…

Solche angebotenen Aktivitäten sind unattraktiv für die (meisten) Männer, da sie nicht ihren erlernten Rollenbildern, früheren Hobbys und/oder Interessen entsprechen. Zeit ihres Lebens haben sich Männer kaum für diese Art von Beschäftigungen begeistert. Deswegen fällt es Betreuungskräften oft so schwer, die männlichen Bewohner zur Teilnahme an Angeboten zu motivieren. Mangelt es an interessanten Aktivitäten, kommt es in der Folge zu Langeweile und herausforderndem Verhalten, worunter auch der häufig zu beobachtende Rückzug in die Passivität/Isolation fällt.

Natürlich hat jeder ältere, pflegebedürftige Mann auch ein Recht auf »Nicht-Betreuung«. Das Leben in einem Altenheim ist etwas gänzlich anderes als der Animations-Marathon im Ibiza-Urlaub, wo man sich der regelmäßigen Aufforderung sportiver, auffällig gut gelaunter Menschen zum täglichen Volleyballspiel am Strand nur schwerlich entziehen kann.

Pflegebedürftige Bewohner brauchen keine Animateure, sie brauchen belastbare und vertrauensvolle Beziehungen.

Den Wünschen und individuellen Vorlieben der älteren Menschen haben die Pflege- und Betreuungskräfte zu entsprechen. Diese Vorgabe findet sich auch in den Qualitätsprüfungs-Richtlinien des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen: »Es ist zu beurteilen, ob die geplante Tagesstrukturierung individuell an die Wünsche und Gewohnheiten der versorgten Person angepasst wurde. Die geplante Tagesstrukturierung sollte Wach- und Ruhezeiten, Zeiträume für Mahlzeiten und Gewohnheiten der Person in Bezug auf den Tagesablauf beinhalten.«2

Grundsätzlich sind Pflege- und Betreuungskräfte jedoch stets bestrebt, eine Integration in die Gemeinschaft zu fördern, z. B. in dem sie gemeinsame, verbindende Interessen unter den Senioren betonen und so versuchen, soziale Kontakte herzustellen.

Männer brauchen keine Animateure, sondern vertrauensvolle Beziehungen

Auch wenn Pflegeeinrichtungen, gemäß Pflegestatistik 2017, derzeit »nur« 30 Prozent männliche Bewohner verzeichnen: Das ist schon eine beträchtliche Anzahl. Auf jeden Fall zu viel, um das »starke«, im Alter aber eigentlich doch eher »schwache« Geschlecht komplett durchs Raster fallen zu lassen. Natürlich werden Frauen auch in den kommenden Jahren die deutlich größere Geschlechtergruppe im Pflegeheim stellen. Durch die längere Lebenserwartung verbringen die Damen den Lebensabend häufiger allein und haben oft niemanden mehr, der sie bei Pflegebedürftigkeit versorgen kann. Das deckt sich mit den Aussagen im 7. Altenbericht der Bundesregierung3, wonach der Anteil der Frauen in Heimen mit 73 Prozent deutlich höher ist als ihr Anteil an den zu Hause Versorgten (61 Prozent).

Da die häufig alleinstehenden älteren Damen niemanden haben, der sie zu Hause pflegt, ist der Einzug ins Heim zwangsläufig die letzte Option. Männer hingegen werden im Regelfall zumindest vorerst in der häuslichen Umgebung von ihrer (oftmals jüngeren) Ehefrau gepflegt.

Dennoch ist in den kommenden Jahren mit einer weiteren Zunahme männlicher Bewohner zu rechnen. Immerhin betrug der Männeranteil an der Altersgruppe der 80- bis 90jährigen Deutschen im Jahr 2016 bereits 36,4 Prozent (image Tab. 2) und gleicht sich damit mehr und mehr dem Frauenanteil, auch im hohen Alter, an.

Fazit Der Männeranteil wächst

Es ist also höchste Eisenbahn, sich mit den speziellen Anforderungen und Bedürfnissen männlicher Bewohner auseinanderzusetzen!

1.2Das Rollenbild des Mannes im 20. Jahrhundert

Wenn Sie männliche Bewohner mit Aktivitäten erreichen möchten, müssen Sie zunächst das Rollenselbstbild des Mannes im 20. Jahrhundert betrachten. Auch ältere Männer fühlen sich in ihrem Selbstwert gestärkt, wenn ihre familiären Rollen, ihr Freizeitverhalten und ihre bisherigen Lebensleistungen von anderen Personen anerkannt und gewürdigt werden. Das trifft auch auf die älteren Männer zu, die betreut werden, weil sie pflegebedürftig sind. Selbst wenn sie durch eine Demenz mehr und mehr Erinnerungen an ihr Leben verlieren, bleiben die einst gelernten Rollen zumindest noch teilweise erhalten und bieten gute Anknüpfungspunkte für Ihre Aktivierungsangebote.

Alle Ihre heutigen Bewohner sind mit einer traditionellen Rollenzuschreibung aufgewachsen. Sie wurden in den 30er- oder 40-Jahren geboren, sind also noch mit einer ganz anderen Art von Erziehung aufgewachsen. Einer Erziehung, die noch stark zwischen Mädchen und Jungen unterschied. Auch heute finden sich durchaus noch Überbleibsel der einstigen geschlechtsspezifischen Sozialisation: Jungs gingen auf den Fußballplatz, Mädchen spielten mit Puppen. Und was rief der Vater einst dem Sohnemann auf dem Bolzplatz zu, wenn dieser hingefallen war und bitterlich weinte? »Steh auf und hör auf zu heulen, Du bist doch kein Mädchen!« Den Spruch hört man sogar noch heute.

Die traditionellen Geschlechterrollen gelten auch heute noch

»Typische« männliche Rolle zur Mitte des 20. Jahrhunderts

Oberhaupt und Ernährer der Frau und Familie

Zuständig für Kontakte nach außen

Stark, rational, kämpferisch, sexuell aktiv

Männer sind »Jäger« und Versorger der Familie – das »steinzeitliche« Rollenbild erscheint hier noch als durchaus passend

»Typische« weibliche Rolle zur Mitte des 20. Jahrhunderts

Abhängig von einem männlichen Beschützer (in der Kindheit und Jugend übernimmt diese Rolle der Vater, später der Partner/Ehemann)

Zuständig für die sozialen Bindungen innerhalb der Partnerschaft und Familie

Schwach, emotional, irrational, ausgleichend, sexuell passiv oder desinteressiert

Frauen sind auf »Jäger« angewiesene »Brutversorgerinnen«

Tab. 3: Typisch »männliche« Eigenschaften

Klassisches Rollenselbstbild des Mannes

hart sein

kein Risiko scheuen

der Geldverwalter der Familie sein

eher wortkarg

körperlich stark

niemals schwach

recht emotionslos

draufgängerisch sein

Oberhaupt der Familie

Beruf im Mittelpunkt des Lebens

seelisch stark und belastbar

niemals Angst zeigen und haben

immer Souveränität ausstrahlen

nicht den Gefühlen folgen, sondern immer

dem Verstand folgen/rational handeln

Laut statistischem Bundesamt waren 2016 über 80 Prozent der Pflegeheimbewohner 65 Jahre und älter, 85 Jahre und älter waren 37 Prozent. Das heißt im Umkehrschluss: Die meisten der Pflegeheimbewohner sind in den 40-und 50er Jahren aufgewachsen. Eine Zeit, in der männlich-weibliche Rollenbilder noch sehr traditionell geprägt waren.4

1.3Der Beruf stiftete Identität und Sozialkontakte

Die Aufgaben der Frauen, die heute als ältere pflegebedürftige Bewohnerinnen in Pflegeheimen zuhause sind, waren in ihrem früheren Leben klassisch eher sozial ausgerichtet – Fürsorge, Pflege und Erziehung gehörten zu den wesentlichen Bestandteilen ihrer übernommenen Rolle. Ihre männlichen Altersgenossen hingegen setzten sich vorrangig mit sachlichen Dingen auseinander. Dem Beruf und dem beruflichen Umfeld maßen sie ihr Leben lang eine besonders starke Bedeutung zu. Sie waren zeitlebens leistungs- und karriereorientiert. Berufe und die zu bewältigenden Aufgaben gaben ihnen Identität. Daraus erwuchs Stolz. Oft wurde durch das Berufsleben auch das soziale Umfeld maßgeblich bestimmt – entsprechend viel brach dann aber leider auch weg, als es in den Ruhestand ging: Kollegen waren nicht zwangsläufig Freunde.

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Es ist vergleichbar mit der Erfahrung, die wir wohl alle in der Schulzeit gesammelt haben. Nach der Freude über das Schulende und tränenreichen Verabschiedungen am letzten Schultag vereinbarten wir, dass wir alle miteinander in Kontakt bleiben würden. Ein Leben ohne den täglichen Austausch mit den Klassenkameraden? Das konnte sich wohl niemand von uns seinerzeit vorstellen.

Aber… Hand aufs Herz, mit wie vielen ehemaligen Klassenkameraden haben Sie tatsächlich heute noch regelmäßig Kontakt? Mal abgesehen vom jährlichen Geburtstagsgruß über Facebook (selbst das klappt meist nur, wenn wir über die Erinnerungsfunktionen der sozialen Medien dazu aufgefordert werden), werden die Interaktionen während all der Jahre wohl überschaubar geworden sein.

Ältere Männer verlieren oft ihre sozialen Kontakte

Mit den Kollegen unserer männlichen Pflegeheimbewohner verhält es sich häufig nicht anders – während die Frauen zeitlebens auch außerberufliche Beziehungen hegten und pflegten, verarmen die sozialen Kontakte des älteren, pflegebedürftigen Mannes sehr häufig beim Eintritt in den Ruhestand.

1.4Rente oder rENDE?

Mit der Berentung, dem »zu-Hause-bleiben-müssen«, droht dem Mann häufig die pure Funktionslosigkeit. Schließlich hat er den Haushalt zumeist »kampflos« jahrzehntelang seiner Ehegattin überlassen. Zog es den Mann tagtäglich nach draußen, so war der Lebensmittelpunkt der Frauen im Regelfall die Wohnstätte. Die Wohnung wurde von der Frau dekoriert, die Haushaltsführung häufig von ihr allein bewerkstelligt, während der Gatte das Geld verdiente und sich um die finanziellen Aspekte des Lebens kümmerte. Nicht selten hört man Frauen angesichts des nahenden Ruhestands der Männer stöhnen: »Oje, bald hab ich den rund um die Uhr zu Hause! Das kann ja lustig werden…« Es ist kein Zufall, dass die Anzahl der im Seniorenalter geschiedenen Ehen beständig zunimmt, lernt man sich doch nach all den getrennt verbrachten Jahren noch einmal ganz neu kennen – und manchmal führt das zu der überraschenden Erkenntnis: »Wir haben eigentlich nichts (mehr) gemeinsam.«

Dabei könnte es doch so schön sein: Das »3. Lebensalter« (image Tab. 4) ist für viele Menschen eine ganz neue Lebensphase. Die Menschen in den westlichen Industrienationen werden heute deutlich älter und sind auch biologisch fitter. Ein heute 70-Jähriger ist meist noch so fit wie ein 65-jähriger Mann Ende der 80er Jahre. Frühere Generationen haben sich im Alter, wenn man die Arbeit nicht mehr verrichten konnte, aufs Sterbebett gelegt und auf den Tod gewartet – dessen Ankunft meist nicht lange auf sich warten ließ. Es gab schlicht keinen Zeitraum nach dem Arbeitsleben, den es aktiv zu gestalten galt. Heute hingegen stehen den 65-Jährigen meist noch einige Jahrzehnte bei relativ guter Gesundheit bevor. Eigentlich doch eine prima Sache! Endlich Zeit, das zu tun, was wegen des Berufs immer zu kurz kam! Das Problem ist nur häufig: Außer dem Beruf haben sich die Männer mit kaum etwas anderem beschäftigt. Hobbys? Wann denn, für so etwas war keine Zeit da! Die Firma, der Betrieb – das war der Mittelpunkt des Lebens. Viele Herren der Schöpfung sind also gefordert, ein Altersprojekt zu entwickeln.

Das 3. Lebensalter ist heute oft eine ganz neue Lebensphase

Sofern Man(n) weitblickend noch während des Berufslebens die Weichen für die Zeit danach stellt, kann die dritte Lebensphase durchaus angenehm und bereichernd werden.

Falls jemand allerdings durch eine Erkrankung vorzeitig erwerbsunfähig wird oder wenn ein aus betrieblichen Gründen veranlasster Stellenabbau vorzeitig das unfreiwillige »Aus« im Berufsleben markiert, sieht es düster aus. Die neu gewonnene Freiheit und Freizeit kann dann schnell zum schwarzen Loch werden.

Da auch die Sozialkontakte meist auf der Strecke (bzw. in der Firma) bleiben, trifft es viele Männer besonders hart, wenn die Partnerin vor ihnen verstirbt. Mal ganz abgesehen davon, dass die Ehegatten mit der Haushaltsführung (die ja auch nie in ihren Zuständigkeitsbereich fiel) meist hoffnungslos überfordert sind. Die Frau ist mitunter die einzige Person, bei der man sich fallen lassen kann, wo man (ganz unmännlich) zu seinen Gefühlen stehen und diese zeigen kann. Zudem ist sie teilweise der einzige verbleibende Sozialkontakt des Mannes. »Ehe schützt Männer vor Suizid« – das ist statistisch nachgewiesen.5

Tab. 4: Lebensphasen des Alters und deren Auswirkungen auf die Männer

3. Lebensalter (Rentner) 4. Lebensalter (Hochaltrigkeit (80 Jahre+)

Nach dem Erwerbsleben

Neue Lebensphase

Überschuss an Kompetenzen und Ressourcen können zur Pflege von Interessen und Aufrechterhaltung von Beziehungen verwendet werden

Phase der Entfaltung, Selbstverwirklichung

Nachlassen von Kräften, Ressourcen und Kompetenzen

Ressourcen werden zur Bewältigung des Alltags genutzt

Körperliche, geistige Einschränkungen über Pflegebedürftigkeit bis zur völligen Abhängigkeit

Defizitäres Selbstbild

Bedürfnisse und Wünsche sind ebenso vorhanden wie Ressourcen

Ausrichtung an Freude, Sinnstiftendem immens wichtig

Probleme Probleme

Wenn der Beruf wegbricht, gehen die Sozialkontakte ebenfalls häufig verloren-

Zu Hause droht den Männern »Funktionslosigkeit«-

Beschäftigungen waren früher eher auf den Beruf ausgerichtet, sinnvolle Hobbys oder ein »Altersprojekt« müssen entwickelt werden.

Souveränität geht verloren.

Der Versorger wird zum Versorgten.

Gefühl des Ausgeliefertseins.

Oftmals keine (aus Sicht des Mannes) sinnvollen Beschäftigungsangebote, daher Rückzugsverhalten.

1.5Verlust der Souveränität – wenn die Kräfte nachlassen

Noch gravierender sind die Probleme, mit denen sich das einstmals starke Geschlecht im vierten Lebensalter auseinandersetzen muss. Zunehmend geht die Souveränität über das eigene Leben verloren. Von den Attributen, aus denen Man(n) Selbstbewusstsein zog, ist kaum noch etwas übrig. »Der alte pflegebedürftige Mann fällt gewissermaßen zurück in eine weibliche Welt, in der er wie ein Kleinkind versorgt wird. So war er einmal gewesen, doch so wollte er als Mann nie wieder werden.«6

Einfügen in Abhängigkeitsverhältnisse? Sich unterordnen? Alles andere als leicht. Man(n) hat doch immer die Abläufe bestimmt, hatte klar das Sagen. Man(n) möchte sich doch keine Blöße geben. Vor den anderen die Schwächen zeigen? So weit kommt das noch! Dann ziehen die Pflegebedürftigen sich eher zurück in die soziale Isolation – und ignorieren alle Bemühungen, sie in die Gemeinschaft zu integrieren.

Viele Männer halten an ihrem erlernten Rollenbild auch als Pflegebedürftige fest und vermeiden daher in der Regel alles, was ihr Rollenbild nach außen schwächen könnte.

Zwar besagt die allgemeine fachliche Einschätzung, dass bei fortschreitender Pflegebedürftigkeit die geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr und mehr in den Hintergrund rücken und dass es Frauen oft genauso schwerfällt, sich in die Welt eines Pflegeheims so integrieren.7 Es gibt immer wieder Männer (und Frauen), die sich relativ gut zurechtfinden. So gibt es durchaus Männer, die nicht am klassischen Rollenbild festklammern, sondern Wäsche zusammenfalten oder sich an hauswirtschaftlichen Tätigkeiten beteiligen. Verallgemeinerungen sind daher stets problematisch. Es gibt schließlich auch Frauen, die gerne an Autos »herumschrauben«, genauso wie es Männer gibt, die kein Bier trinken und keinen Hammer halten können. Grundsätzlich ist die Macht der erlernten Rollen jedoch groß.

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Viele Männer haben verinnerlicht, dass sie keine Schwächen zeigen dürfen (»starkes Geschlecht«). Entsprechend schwer fällt es ihnen, im Alter Hilfen anzunehmen. Auch vertraute Tätigkeiten, die sie nicht mehr mit der früheren Präzision ausführen können, werden vermieden, um sich keine Blöße durch Scheitern zu geben. Eine Ablehnung von Aktivitäten kann also auch einfach der Versuch des männlichen Bewohners sein, sich seine Männlichkeit zu bewahren. Aus jenem Grund bevorzugte es auch Herr Schmidt, sich schweigend auf sein Zimmer zurückzuziehen.

1.6Keine Vorbilder, keine Orientierung – »Mann sein = anders sein«?

Wir halten fest: Da sich der ältere Mann, der Ihnen heute im Pflegeheim begegnet, zeitlebens fast ausschließlich über berufliche Erfolge und Leistung definierte, für »Unsinniges« keine Zeit war, muss er auch – sogar besonders – im Alter immer wieder um das »Mannsein« ringen. Dazu braucht man(n) Gelegenheiten und ein anerkennendes Umfeld. Einfach ausgedrückt: Die männlichen Pflegebedürftigen müssen sich auch im Alter noch männlich fühlen können. Und das passt so gar nicht zusammen mit Aktivitäten wie Wolle wickeln oder dem Mandalas ausmalen.

Männer tun sich in einem von Frauen dominierten Umfeld mitunter sehr schwer. In der Kindheit verbrachten sie noch relativ häufig Zeit mit Frauen, in erster Linie natürlich mit der Mutter.

Wenn der Vater von der Arbeit nach Hause kam, waren die Jungs meist schon im Bett – somit konnte man sich kein Vorbild am männlichen Verhalten des Familienoberhaupts nehmen. Auch in Kindergarten und Schule gab es kaum männliche Identifikationsfiguren, an denen man sich orientieren konnte. Erzieherinnen? Weiblich. Lehrerinnen in der Grundschule? Zum Großteil ebenso. »Männlich« sein wurde somit aus der Not heraus als »anders als eine Frau zu sein« interpretiert. Wenn die Mädchen Hüpfspiele übten war klar: Das ist nichts für die Jungs!

Mit dem Einstieg in die Ausbildung und das Berufsleben änderten sich die Vorzeichen komplett. Die Berufslaufbahn, die den Großteil des Lebens fortan maßgeblich bestimmte, war meist eine reine Männerdomäne.

Im Ruhestand kehrt der alternde Mann zurück in ein von weiblicher Hand gestaltetes Umfeld. Und im hohen Alter, bedingt durch Pflegebedürftigkeit, gelangt der Senior in einer Pflegeeinrichtung wieder in eine Umgebung, in der Frauen das Geschehen sogar komplett bestimmen. Da es hier wenige Männer gibt, an denen man sich bezüglich des »angemessenen« (männlichen) Verhaltens orientieren könnte, greifen erneut die vom Jungen bereits in der Kindheit erlernten Muster: Oftmals grenzen sich die Senioren wieder bewusst gegenüber weiblichen Verhaltensweisen ab, um »anders« zu sein und das klassische Rollenbild (und damit das eigene »Mannsein«) aufrecht zu erhalten. Denn auch im Pflegeheim gilt: »Männlich verhalte ich mich dann, wenn ich es anders mache als die ganzen Frauen hier.« Aktivitäten, an denen diese teilnehmen, gelten vielen Senioren als eher »unmännlich« und werden gemieden.8

Wohlgemerkt – es ist völlig klar, dass Ausnahmen hier die Regel bestätigen. Natürlich gibt es Männer, die sehr wohl die Gemeinschaft von Frauen suchen und auch an Aktivitäten teilnehmen wie Koch- und Backgruppen, die man als »eher unmännlich« bezeichnen würde.

Wer es ein Leben lang genossen hat, mit Frauen in Kontakt zu treten, der will das auch im Alter nicht missen. Der Hahn im Korb zu sein, als einziger Mann unter lauter reizenden älteren Damen – das genießen manche älteren Herren sichtlich.

Die vorangegangenen Ausführungen sollten Ihnen verdeutlichen, warum viele Männer sich so stark in die (selbst gewählte) Isolation zurückziehen. Es kann durchaus sein, dass die Herren der Schöpfung selbst manchmal gar nicht so genau wissen, warum sie auf nichts mehr so richtig Lust haben.

Einzelgespräche können hier sehr gut genutzt werden, um Versagensängste behutsam abzubauen und zu verdeutlichen, dass man sich auch ohne »aktives Tun« an den Aktivitäten beteiligen kann.

1.7Bedeutung der Biografie und Sozialisation

Alle Menschen werden durch ihre persönliche Lebensgeschichte, also ihre Biografie, von gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und technischen Entwicklungen geprägt.

Welche biografischen Besonderheiten gilt es also bezüglich der alt gewordenen Männer zu beachten? Jede Generation hat eine eigene, verbindende Zeitgeschichte. So werden wir uns alle in vielen, vielen Jahren sicherlich noch an die Momente erinnern, als die Flugzeuge am 11. September 2001 in die Zwillingstürme des World Trade Centers krachten. Diese Frage stelle ich gerne in meinen Seminaren, um den Teilnehmern verbindende Elemente unserer Zeitgeschichte zu verdeutlichen – die Ergebnisse sind dabei immer gleich: Bis auf ganz wenige Ausnahmen können die Anwesenden im Regelfall noch detailliert erinnern, was sie in diesem Augenblick gemacht haben und wo sie gerade waren.

Jede Generation hat eine eigene, prägende Zeitgeschichte

Auch der Fall der Berliner Mauer gehört zu einem Ereignis, an das sich viele von uns (auch die »Generation X«, d. h. die zwischen 1965 bis 1975 Geborenen) zeitlebens erinnern werden.

Der technologische Fortschritt, die Entwicklung des Internets, die Öffnung der Landesgrenzen im Zuge der Europäisierung – all das gehört zu unserem Leben und hat uns geprägt. Gerade im Alter, wenn wir selbst an einer gerontopsychiatrischen Erkrankung wie der Demenz erkranken sollten (ich klopfe für uns alle vorsorglich dreimal auf Holz, während ich dies schreibe), gewinnt die Biografie an Bedeutung. Um die Bedürfnisse der alten Menschen von heute zu befriedigen, benötigen wir zwingend Kenntnisse ihrer Zeitgeschichte.

Unser Verhalten ist das Ergebnis unserer Erziehung, unserer Sozialisation, dem uns durch unsere Eltern vermittelten Wert- und Normgefüge. Auch diese variieren im Wandel der Zeit – wo früher noch der Rohrstock auf die Schüler wartete, ist es heute der kommunikativ geschulte Schulsozialarbeiter.

Natürlich ist das persönliche Erleben unserer Lebensgeschichte gänzlich unterschiedlich und daher auch nur ein Aspekt, der uns Menschen so werden lässt, wie wir sind (ansonsten müssten sich ja alle Menschen einer Generation gleich verhalten).

Und so geht’s:

Erstellen Sie einen Zeitstrahl.

Den Startpunkt markiert das Geburtsjahr Ihrer ältesten Bewohner. Tragen Sie nun alle relevanten historischen Entwicklungen in den Strahl ein bis in die Gegenwart.

Sie können aus der Aufgabe auch eine tolle Aktivität konzipieren – warum alles im Internet zusammensuchen, wenn die Zeitzeugen an Ihrem Tisch sitzen? Sie werden viel über die individuellen Biografien der alten Menschen lernen – und deren persönliche Sichtweise auf die individuell erlebte Geschichte. Zudem können Sie, sofern Sie die Inhalte von den Senioren in der Gruppe zusammentragen lassen, sicher sein, dass auch wirklich nur relevante geschichtliche Meilensteine aufgenommen werden und Sie sich nicht in unbedeutenden Details verlieren.

Alle Mitarbeiter sollten sich mit dem Zeitstrahl auseinandersetzen und bestehende Wissenslücken schließen.

Einen Zeitstrahl können Sie in Microsoft Office® ganz einfach über die Funktion »SmartArt« einfügen – eine Vielzahl an Layoutvorlagen macht die Gestaltung leicht und optisch ansprechend dazu (für spätere Aushänge etc.)

1.8Biografische Eckpunkte zum Verständnis der Männer

Da Biografie und Sozialisation, wie im vorherigen Kapitel geschildert, prägend sind und die Verhaltensweisen im Alter (mit)bestimmen, sollten Sie sich exemplarisch typische biografische Eckdaten der im Pflegeheim lebenden Männer ansehen.

Hierzu müssen Sie sich zunächst die Altersstruktur vor Augen halten. Das männliche Durchschnittsalter in der von mir geleiteten Pflegeeinrichtung betrug im vergangenen Jahr 80,9 Jahre. Dies deckt sich großenteils mit den Angaben im 7. Altenbericht der Bundesregierung9, wonach die Hälfte der Bewohner ein Durchschnittsalter von 85 Jahren und mehr aufweist. Wenn wir hier die um einige Jahre höhere Lebenserwartung der Frauen und die Verteilungshäufigkeiten der Geschlechter in den Vergleich einbeziehen, erscheint das Durchschnittsalter für die Männer angemessen und repräsentativ.

Statistisch gesehen heißt dies, dass die in stationärer Langzeitpflege untergebrachten Männer in aller Regel rund um das Jahr 1939 geboren wurden.

Wie Sie dem Muster-Zeitstrahl auf der vorherigen Seite entnehmen können, wurden Ihre Bewohner also »in den Krieg hinein« geboren. Der Zweite Weltkrieg (1939–1945) und die Nachkriegszeit mit allen Beschwerlichkeiten und Entbehrungen waren für viele ältere Männer ein prägendes Ereignis.

Kriegs- und Hungerjahre bestimmten die Kindheit.

Die Jugend war geprägt vom Nationalsozialismus und später vom Wiederaufbau des stark zerstörten Landes.

Das Erleben und die Erinnerungen sind aber natürlich nicht auf den Krieg beschränkt. Die Männer erlebten auch das Wirtschaftswunder, den (an damaligen Maßstäben gemessen) rasanten technischen Fortschritt, die erste Ölkrise. Auch mit dem Thema Terrorismus setzte man sich bereits vor Jahrzehnten auseinander. Die Olympischen Sommerspiele 1972 in München, die Schleyer-Entführung durch die RAF, später dann das Geiseldrama in Gladbeck: Es sind viele Erlebnisse, die in den Gedächtnissen der Generation für immer eingebrannt sind.

Besondere Beachtung sollten Sie auf die Männer legen, die 90 Jahre und älter sind: Hier wird das Kriegserleben nochmals auf eine andere Stufe gestellt. Bis Ende der 1920er Jahre geborene Männer haben in aller Regel im Zweiten Weltkrieg als Soldaten oder Flakhelfer gedient. Es wurden sehr unterschiedliche Erfahrungen gesammelt, die von Heldengeschichten bis zu schockierenden Erlebnissen wie Kriegsgefangenschaften reichen.

Apropos Kriegsgefangenschaft: Heutzutage sind Themen wie »posttraumatische Belastungsstörungen« in aller Munde. Soldaten, die in den letzten Jahrzehnten mit Kriegshandlungen konfrontiert wurden (beispielhaft seien hier die Golfkriege, Afghanistaneinsätze oder der Irak-Krieg zu nennen) können nach Rückkehr in ihre Heimat mit einer umfassenden medizinischen und therapeutischen Betreuung rechnen. Professionelle Hilfe zur Bewältigung dieser Kriegserlebnisse gab es für die Rückkehrer aus dem Zweiten Weltkrieg seinerzeit hingegen noch nicht. Jeder musste mit den Erlebnissen selbst zurechtkommen und diese eigenständig verarbeiten. Die letzten russischen Kriegsgefangenen trafen erst im Januar 1956 wieder in Deutschland ein. Hier wurden sie keineswegs als Helden gefeiert, sondern waren oft verwirrte Fremde in einer vollkommen neuen Welt, die schon gelernt hatte, ohne sie auszukommen.

Es war meist verpönt, das Thema »Krieg« überhaupt anzuschneiden. Zu stark waren die Schmerzen, die Verluste, die seelischen Narben. Im Übrigen galt dies nicht nur für die Männer: Auch Frauen wurden in der Heimat Opfer zahlreicher Kriegsverbrechen, mussten mitunter Vergewaltigungen über sich ergehen lassen und zogen es vor, diese schrecklichen Geheimnisse (vielfach auf der Flucht erlitten) mit niemandem zu teilen – auch (oder vor allen Dingen nicht) mit dem von der Front zurückkehrenden Ehegatten.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842690172
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Behinderung Biografien & Erinnerungen Bücher Männer Ruhestand & Rente

Autor

  • Bernd Hoffmann (Autor:in)

Bernd Hoffmann ist Dipl.-Sozialpädagoge, Leiter eines Altenheims, freiberuflicher Dozent, Gutachter und Fachautor.
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Titel: Aktivierung und Beschäftigung für Männer