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Shitstorm im Darm

Gut leben trotz Morbus Crohn. Der Ratgeber zum Blog "Lieber Herr Crohn". Zertifiziert von der Stiftung Gesundheit

von Michaela Schara (Autor:in)
216 Seiten

Zusammenfassung

Shit happens!
Morbus Crohn – als Michaela Schara diese Diagnose erhielt, war sie erleichtert. Endlich eine Erklärung, was mit ihr los war! Doch dann erkannte sie, dass die chronisch entzündliche Darmerkrankung ihr Leben ganz schön auf den Kopf stellte. Zur Erkrankung kamen zahlreiche soziale, bürokratische und vor allem kräftezehrende Hürden hinzu. Dieses Buch ist das, was sie sich damals gewünscht hätte: ein locker geschriebener Ratgeber, mit den wichtigsten medizinischen Fakten, hilfreichen Informationen und zahlreichen Tipps zum Leben mit Morbus Crohn. Alles getreu dem Motto: „Auch wenn die Lage (Pardon) beschissen ist (was bei Morbus Crohn sehr häufig vorkommt), finden sich immer wieder Dinge, mit deren Hilfe man sich den Humor und das Lächeln zurückholen kann, um dem Crohn die Zähne zu zeigen.“

Gut leben trotz Morbus Crohn
Woran krankt es und wo crohnt es? Welche crohnischen Komplikationen kommen auf einen zu? Und wie wird man Experte in eigener Sache, um gut für sich selbst sorgen zu können? Michaela Schara spricht locker und humorvoll über Themen wie Appetitmangel und Gewichtsverlust, medizinische Untersuchungen, Medikamente, Nebenwirkungen oder leidigen Behördenkram. Mit ihren Informationen möchte sie nicht nur alle unterstützen, die an Morbus Crohn leiden, sondern auch Angehörige, Freunde und alle, die den Crohnies helfend zur Seite stehen.

Aus dem Inhalt:
• Was bedeutet „chronisch entzündliche Darmerkrankung“?
• Die Ursachen von Morbus Crohn
• Die richtigen Asnprechpartner finden
• Die Diagnosestraße
• Untersuchungsmethoden am Ort des Geschehens
• Crohn-Therapien
• Das Steuer in die Hand nehmen
• Holy shit – lernen, über Scheiße zu reden
• Ernährungsstatus: Es is(s)t kompliziert
• Medizinische Alternativen und komplementäre Methoden
• Krankheitsmanagement

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Liebe Leserin, lieber Leser,

was ist eigentlich Morbus Crohn? Und was ist Morbus Crohn nicht? Es gibt viele medizinische Veröffentlichungen, die versuchen, auf diese Fragen eine Antwort zu geben. Die Forschung läuft auf Hochtouren, um diese Erkrankung, ihre Ursachen, ihren Verlauf und ihre Therapie näher zu erforschen. Was wir aber nicht oder zu wenig haben, ist die Einsicht und, viel wichtiger, das echte Erleben einer betroffenen Frau, also von jemandem, der diese Erkrankung schon seit einigen Jahren am eigenen Leib erfährt.

Chronisch kranke Patienten befinden sich in einem ständigen Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Medikamenten und zum Gesundheitssystem und sind oft im eigenen Schuldgefühl gefangen, etwas falsch gemacht zu haben und dafür bestraft zu werden. Wie geht es einem Menschen mit seiner Erkrankung eigentlich? Was empfindet er? Welche Hürden lauern an jeder Ecke auf ihn?

Michaela Schara ist es sehr gut gelungen, auf diese Fragen Antworten zu geben. Mit einem sehr kreativen und oft humorvollen Zugang, unterstrichen mit zum Thema passenden Bildern, erzählt sie voller Mut ihre Geschichte und findet dadurch auch einen Ausdruck für viele andere Menschen, die von Morbus Crohn betroffen sind. Sie erzählt bis ins kleinste Detail, mit welchen Hürden zu rechnen ist, aber auch, dass die eigene Einstellung und die Verantwortung, die man für sich hat, nicht an andere übergeben werden sollen.

Die Autorin zeigt uns sehr erfolgreich, dass es möglich ist, ein Leben zu führen, ohne von der Erkrankung eingeschränkt zu sein, aber dass dafür viele verschiedene Faktoren verantwortlich sind. Das „richtige“ Medikament ist nur ein Teil davon. Die Verantwortung zu übernehmen und für die eigene Gesundheit zu kämpfen, sich selbst kennenzulernen, eigene Bedürfnisse zu erkennen und ihnen nachzugeben, sich mit Menschen zu umgeben, die einem guttun, ist ein wesentlicher Teil jeder chronischen Erkrankung. Es ist, wie bei vielen anderen Krankheiten auch, oft so, dass viele Wege nach Rom führen.

Wir alle, die auf unterschiedliche Art Krankheiten und Kranken begegnen, haben ein gemeinsames Ziel, und das ist das Wohlbefinden des Menschen. Aus ärztlicher Sicht geht es leider oft nur darum, ein Medikament zu verschreiben in der Hoffnung, dass es für die Behandlung ausreichend ist.

Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es sehr auf die Qualität der Ärztin-Patientin-Beziehung ankommt und es sehr oft darum geht, einen Menschen in seiner Not zu verstehen, ihm beizustehen, mit ihm gemeinsam die Hilflosigkeit auszuhalten und eine Antwort auf die Frage zu finden: „Warum gerade ich?“ Die Autorin hat diese Unterschiede in der Behandlung sehr gut erkannt und dargestellt.

In der heutigen digitalen Zeit, wo alle mit allen verbunden scheinen, sind chronisch kranke Patienten trotzdem oft allein. Wie schaffe ich es als chronisch Kranke, eine Brücke zu anderen zu bauen? Sieht mich noch wer? Hört mich noch wer? Das Buch gibt Hoffnung und zeigt den Weg.

Dr. med. Larisa Dzirlo

Fachärztin für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie am Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien

FÜR WEN IST DIESES BUCH?

Für dich, für deine Angehörigen, Freunde und alle, die den Crohnies helfend zur Seite stehen. Für jeden, der wissen will, was das ist, dieser Morbus Crohn, und wie man Crohnies unterstützen kann.

Als ich 2005 meine Crohn-Diagnose erhielt, war ich immens erleichtert. Endlich eine Erklärung dafür, was mit mir los war! Ich stand auf dem Standpunkt, dass man nur den richtigen Namen finden musste, um zu wissen, was zu tun sei. Problem erkannt, Problem gebannt.

Ich brauchte ein Jahr, um zu verstehen, dass die Diagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung namens Morbus Crohn der Beginn eines langen Weges war, der mein Leben auf den Kopf stellte, wichtige Lebensbereiche veränderte, einige stilllegte und dafür sorgte, dass auch das Leben meiner Familie und Freunde eine Veränderung erfuhr.

Bis zu diesem Zeitpunkt war mein medizinisches Verständnis, was Diagnosen und Therapien betraf, laienhaft und am ehesten mit dem Biologieunterricht in der vierten Klasse zu vergleichen: Das mochte interessant sein, aber in Summe ging es mir da vorbei, wo man an sich draufsetzt.

Damals dachte ich, dass man so gut wie alles reparieren, anpassen und wieder hinbekommen konnte, solange noch ein Funken Leben im Leib war. Wie bei einem Motor mit mechanischem Defekt, wo man Teile austauschen kann, Gebrochenes heil macht, das Ganze gut schmiert und fertig. Ich dachte, ich würde ein paar Pillen einwerfen, ein paar Tage Bettruhe einhalten, und alles wäre wieder gut.

Dass „der Crohn“ sich nicht an diese Erwartung hielt, war die erste von vielen Enttäuschungen. Das ganze Prozedere, das mit Erkrankung, Krankenhausaufenthalten, Diagnosestraße und dem Umbau meiner Lebensplanung einherging, kostete mich Kraft, die ich im Kampf gegen die Erkrankung gebraucht hätte.

Aber da war niemand, der mir die nichtmedizinischen Nebenwirkungen erklärte, auf wichtige Abläufe hinwies, die einem das crohnische Leben erleichtern konnten, oder mir den schweren Part abnahm, meiner Familie und meinen Freunden etwas zu erklären, was ich selbst nicht verstand.

Ich erhielt fallweise Broschüren mit Infos über Morbus Crohn oder zu bestimmten Therapien. Aber die waren meist trocken, enthielten grausige Schilderungen von den Dingen, die ich mir nicht mal wagte vorzustellen, aus Angst, dass sie eintreten könnten.

Doktor Google war auch nicht hilfreich – außer um mir den Rest der guten Laune zu versalzen und mich mit Frust und vielen „Waswäre-wenns“ zu impfen. Die Fülle an Infos war unüberschaubar und für einen Laien nicht richtig einzustufen.

Dieses Buch ist das, was ich mir damals und zwischendurch gewünscht hätte. Ein locker geschriebener Ratgeber mit einer nicht zu üppigen, aber alles Wichtige abdeckenden Menge medizinischer Fakten, und mit Infos rund um Hintergründe, was das Leben jenseits des Krankenhauses betrifft. Ergänzt um Tipps, wie man sich das Leben mit dem unerwünschten Sidekick, den ich „Lieber Herr Crohn“ nenne, einrichtet.

Seit ich die Diagnose erhielt, habe ich auch gelernt, warum es wichtig ist, sich mit medizinischen Hintergründen, Terminologien und „Arztsprech“ auseinanderzusetzen. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, dass man zwar eine gute Medizinerin, ein guter Therapeut oder Pfleger sein kann – aber das bedeutet nicht, dass man auch die Fähigkeit hat, schwierige Sachverhalte so zu vermitteln, dass es ein mit chronischer Erschöpfung und Schmerzen beladener Patient verstehen kann. Abgesehen davon ist es auch für kompetente Krankheitshelfer nicht einfach, das gesamte Umfeld und die Auswirkungen einer solchen Erkrankung zu überblicken.

Mein Wunsch für dieses Buch ist, dass es sowohl für neue als auch für länger Diagnostizierte ein Hilfsmittel zum besseren Verständnis ihrer Erkrankung ist und eine Möglichkeit für Angehörige und Freunde bietet, sich ein Bild von Morbus Crohn zu machen. Und dass es zusätzlich den Blick derer weitet, die uns auf medizinischer Seite beim Bewältigen der Diagnose und Finden der Therapie unterstützen.

Ich hoffe auch, dass es mir im Folgenden gelingt, nahrhaftes Futter für den Mutmuskel anzubieten und ihn mit dem zu stärken, was uns alle sofort kräftiger macht: Humor. Wenn man sein Lachen wiederfindet, dann ist alles möglich.

Das Buch bietet also ein breites Spektrum und ist so aufgebaut, dass man die Infos auch aufnehmen kann, ohne das gesamte Buch von vorne bis hinten lesen zu müssen. Wähle einfach das Thema, das dich jetzt interessiert. Damit du auf einen Blick erkennst, für welchen Bereich manche Themen und Tipps besonders gedacht sind, gibt es Icons, die kennzeichnen, ob das nun die Zeit im Schub oder während einer Remission betrifft und ob es speziell für Angehörige wichtig zu wissen ist.

Weil ein Buch, in dem es um eine chronische Darmerkrankung geht, schon auf Grund der Location der Erkrankung nicht ohne das auskommt, was man im wohlerzogenen Sprachgebrauch nicht in den Mund nimmt, gibt es Kackhäufchen-Icons, die zart besaitete Gemüter davor warnen, dass im Folgenden mitunter das Wort fällt, das mit „Sch“ beginnt und mit „eiße“ endet.

Ein weiterer, auf den ersten Blick nicht erkennbarer Zusatznutzen dieses Buches: Du hast nun auch ein schlagkräftiges Hilfsmittel in der Hand, das du denjenigen – rein verbal – um die Ohren hauen kannst, die mit Halbwissen, null Ahnung, aber vielen gut gemeinten Ratschlägen kommen und den Bereich von Nervenkraft aufbrauchen, der einen davor bewahrt, die Contenance zu verlieren.

WAS IST MORBUS CROHN?

In diesem Kapitel geht es darum zu lernen, woher der Fiesling namens „Crohn“ kommt, wo er sein gemeines Werk erledigt, wie er zu seinem Namen kam und was man über ihn herausgefunden hat. Spoiler: nicht viel, aber das ist spannend!

Was bedeuten „Morbus“ und „Crohn“?

Jedes Mal, wenn mich jemand fragt, was das für eine Krankheit ist, die ich habe, fehlen mir die Worte. Auch mehr als zehn Jahre nach der Diagnose weiß ich spontan nicht, wie ich reagieren soll. Besonders fremde Menschen, die einfach nur smalltalken wollen, sorgen bei mir für geistiges Stottern.

Was wollen sie wissen? Wollen sie überhaupt etwas wissen oder fragen sie nur aus Höflichkeit? Aus welchem Grund interessieren sie sich dafür und vor allem: Welchen Hintergrund haben sie? Riskiere ich eine Tippgeber-Attacke, wenn ich erkläre, was Morbus Crohn ist? Bekomme ich die Geschichte vom Schwippschwager zweiten Grades erzählt, der auch oft am Potte sitzt oder jemanden kennt, der das hat? Oder erhalte ich Heiltipps, seltsame Buchempfehlungen, alternative Therapieangebote, die mir das innerliche Kotzen bescheren, während mein Mund krampfhaft versucht, nicht zu schreien?

Ich habe mir irgendwann einen Stufenplan überlegt, der mich aus der Sprechstarre herausholt und mein Gegenüber in bekömmlichen Abschnitten informiert. Es hat Zeit gebraucht, bis ich einen Plan hatte, der flexibel genug ist, sich an mich und mein jeweiliges Gegenüber anzupassen. Am wichtigsten war, dass ich zuerst selbst genau wissen musste, was Morbus Crohn bedeutet – in medizinischer Hinsicht, für mein Leben, meine Umgebung, mich selbst.

Das bedeutete, sich tief in eine Materie einzuarbeiten, die mir vom ersten Moment an unsympathisch, weil unwillkommen war. Es bedeutete zu lernen, welchen Infos man trauen kann, wie man medizinische Inhalte richtig übersetzt und wo man besser nicht zu tief hineinsinkt, um den Boden unter den Füßen und den Glauben an bessere Zeiten nicht zu verlieren.

Der Hauptpunkt, der sich durch alles zieht, was ich gelernt, gehört und erfahren habe, ist das Wissen, dass jeder seinen eigenen Crohn hat. Der kann ähnlich sein oder komplett anders verlaufen, sowohl was Heftigkeit, Schubdauer, Art und Lokalisation der Schmerzen betrifft, bis hin zu dem, was man an Nahrung verträgt und welche Auswirkungen der Crohn auf das restliche Leben und persönliche Umfeld hat.

Morbus Crohn ist keine Grippe, die bei allen ähnliche Symptome auslöst, für die man bestimmte Medikamente nimmt, die bei jedem das Gleiche bewirken. Manches, was du auf den folgenden Seiten findest, mag sich gruselig anhören, anderes skurril oder vollkommen logisch. Denk immer daran, dass dies ein Einblick in die Crohn-Speisekarte ist, mit dem, was man aktuell über den Crohn weiß und dem, was sich an Symptomen und Problemen zeigen kann. Was bedeutet, dass es nicht das sein muss, was dir in deinem Crohn-Leben auch tatsächlich passieren wird.

Ja, ich bin sicher, dass ich „das“ habe. Ich habe es sogar mehrfach schriftlich, kann es bildlich nachweisen, und in meinen Unterlagen gibt’s noch eine CD mit dem Film einer Koloskopie, wo man sich „diesen Morbus“ im Geisterbahn-Modus anschauen kann.

Mein Morbus hat einen zusätzlichen Namen, der ihn von anderen unterscheidet: Mein Morbus ist ein Crohn. Der Morbus des Freundes des Bekannten usw. usf. ist in diesem Fall ein Bechterew und damit ein vollkommen anderer, genau wie der Basedow, der Menière oder ein Dutzend anderer Krankheiten, die mit „Morbus“ beginnen. „Morbus“ bedeutet schlicht „Krankheit“ auf Latein. Um welche Krankheit es sich handelt, erklärt das zweite Wort – in meinem Fall: Crohn. Dieser Zusatz besteht meist aus dem Namen dessen, der die Erkrankung als Erstes beschrieben oder entdeckt hat.

Morbus Crohn hat seinen Namen vom amerikanischen Arzt Burril Bernard Crohn. Er lebte von 1834 bis 1983 und war der Enkel jüdischer Einwanderer, die während der Märzrevolution 1848 von Deutschland nach Amerika zogen. Er arbeitete im Mt. Sinai Hospital in New York. Sein Hauptinteresse lag im gastrointestinalen Bereich, das bedeutet, er beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Bauch, dem Darm und dem Verdauungsapparat. Heute nennt man so einen Arzt Gastroenterologe. Dieser Begriff wurde 1886 von einem Berliner Arzt geprägt.

Dr. Crohn forschte speziell im nichtchirurgischen Bereich der Darmbehandlungen. Damals wurden „Bauchprobleme“ meist mit dem Skalpell therapiert. Dr. Crohn fand heraus, dass sich die Probleme bei speziellen Erkrankungen so aber nicht lösen ließen, sie sogar fallweise schlimmer wurden. Gemeinsam mit seinen Kollegen Leon Ginzburg und Gordon Oppenheimer entdeckte er dann in weiterer Folge die später nach ihm benannte entzündliche Darmerkrankung.

Unbekannt war die Erkrankung davor aber auch nicht. Dr. Crohn und seine Kollegen konnten sie jedoch klar spezifizieren, als eigenständige Erkrankung beweisen und so von anderen unterscheiden.

… mit denen Morbus Crohn bezeichnet wurde und wird, sind u. a.: regionale Enteritis, Enteritis regionalis Crohn, Ileitis terminalis, Enterocolitis regionalis, sklerosierende chronische Enteritis oder schlicht „Chron’sche Krankheit“.

Abgekürzt wird Morbus Crohn mit MC, auf Englisch heißt es Crohn’s Disease, abgekürzt CD.

Manche Crohn-Patienten bezeichnen sich selbst oft als „Crohnies“.

Was bedeutet „chronisch entzündliche Darmerkrankung“?

Woher der Crohn seinen Namen hat, weißt du nun. Aber was steckt im Detail dahinter? Morbus Crohn ist eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (abgekürzt: CED). Aktuell kennt man zwei CED, eben den Crohn und Colitis ulcerosa.

Sie wird oft als „Schwesterkrankheit“ bezeichnet, weil sie dem Crohn sehr ähnlich ist. Im Gegensatz zum Crohn, der den gesamten Verdauungstrakt befallen kann, tobt die Colitis ulcerosa „nur“ im Dickdarm, was auch nicht lustig ist.

Chronisch bedeutet, dass es sich nicht um eine vorübergehende Sache handelt wie eine Grippe oder Infektionskrankheit. Eine chronische Erkrankung entwickelt sich, meist langsam, über einen längeren Zeitraum hinweg und dauert auch länger. Chronisch ist eine Sache übrigens dann, wenn sie länger als vier bis sechs Wochen besteht.

Entzündlich bedeutet, dass es hauptsächlich Entzündungsprozesse sind, die hier ablaufen, und zwar im Darmbereich. Entzündungen sind eine Reaktion des Körpers auf Verletzungen oder Irritationen.

CHRONISCH = CROHNISCH?

„Crohnisch“ ist keine alternative Schreibweise von „chronisch“. Es ist die grammatikalisch unzulässige Adjektivierung des Hauptwortes „Crohn“ – eigentlich müsste es Crohn’sches Irgendwas heißen und nicht crohnisches Dingsbums. Aber weil alles, was mit Crohn zu tun hat, streng genommen chronisch ist, sind die beiden Wörter im Crohn’schen Sprachgebrauch von Crohnies verschmolzen – es ist sozusagen CED-Slang.

Im Fall von Morbus Crohn kommt noch ein Begriff dazu, der das Ganze für einen selbst und andere besonders schwer begreifbar macht: Er ist unheilbar. Das bedeutet, dass es für diese Krankheit zurzeit noch kein Heilmittel gibt und man sie bis an sein Lebensende hat.

Der Begriff „unheilbar“ ist meiner Meinung nach das, was vielen am meisten zu schaffen macht. Das Wort sorgt immer wieder für Diskussionen. Das ist etwas, was viele Menschen schlicht nicht wahrhaben wollen – es kann in unserer Zeit doch nicht sein, dass man „so etwas“ nicht auf die Reihe bekommt! Und überhaupt:

Solche Aussagen bekommt man als Crohnie oft serviert. Sie werden leider nicht richtiger, auch wenn sie mit noch so viel Vehemenz erzählt werden. Auch wenn man es selbst gerne glauben will: Der Crohn geht nicht wieder weg, wenn er mal da ist. Er ist gekommen, um zu bleiben. Aber man kann die Symptome in den Griff bekommen, und er kann sich unsichtbar machen und schlafen.

Crohnische Charakterzüge

Morbus Crohn verläuft bei den meisten Patienten in Schüben. Es gibt Phasen, wo man krank ist, und Phasen, wo der Crohn „schläft“ und nicht aktiv ist. In diesen Phasen, die man Remission nennt, haben viele so gut wie keine Symptome und sind beschwerdefrei. Man fühlt sich ganz normal, im Sinne von „gesund“. Die Erkrankung ist damit nicht verschwunden, man ist nicht davon geheilt. Der Crohn ruht, stört nicht, ist unsichtbar und auch bei Untersuchungen kaum bis gar nicht nachweisbar.

Wie lange eine Remission anhält, weiß niemand. Manche haben einen Schub und den Rest ihres Lebens Ruhe (Glückwunsch!). Die meisten haben immer wieder kleinere oder größere Schübe, die sich gleichen, aber auch ganz und gar unterschiedlich verlaufen können. Und manche haben eine Art Dauerschub, mit Aufs und Abs.

Zu welcher Sorte man gehört, weiß man vorher nicht. Leider. Aber ich denke, man ist glücklicher, wenn man sich vorstellt, dass man zu denen gehört, die einen sanfteren Crohn mit mehr Remissionsvermögen und -dauer haben.

Woran es krankt und wo es crohnt

Der Crohn hat sich eine breite Spielwiese für sein fieses Tun gesucht: den gesamten Verdauungstrakt. Der beginnt im Mund und endet am Po. Das ist an sich schon ein großer Bereich. Besonders gemein ist, dass der Mistkerl auch Außenstellen bilden kann und sogenannte extraintestinale Beschwerden auslöst.

EXTRAINTESTINAL …

… bedeutet, dass die Probleme weder gefühlt noch sichtbar mit dem Darm oder dem Verdauungsapparat zu tun haben und an ganz anderen Stellen auftreten.

Der Begriff Verdauungsapparat ist gut gewählt: Der Darm ist der Motor unseres Körpers. Wenn er stottert und nicht das tut, wofür er da ist, dann leidet alles – Mensch und Umfeld.

Hinzu kommt, dass man diesen wunderbaren Lebensmotor nicht austauschen kann. Herz, Nieren, Leber und vieles mehr kann man heute transplantieren oder mit „Ersatzteilen“ versehen. Doch der Darm ist so komplex und einzigartig, dass man noch keine Ersatzmöglichkeit gefunden hat. Ohne ihn geht’s einfach nicht. Speziell nicht ohne Dünndarm, denn ohne den lebt es sich nicht lange.

Im Dünndarm wird die Nahrung verwertet. Viele glauben, dass das im Magen passiert. Der ist aber nur dafür da, die Nahrung vorzubereiten, damit sie vom Dünndarm verarbeitet werden kann. Jeder Teil des Dünndarms erfüllt eine Funktion und ist für eine bestimmte Nahrungsverwertung zuständig. So wird z. B. am Ende des Dünndarms, im sogenannten terminalen Ileum, das Vitamin B12 gebildet und aufgenommen.

Ist ein Teil des Dünndarms krank, vernarbt oder operativ entfernt, dann versucht der Rest, dessen Funktion zu übernehmen. Das geht nur teilweise und nicht immer. Das ist ein Grund, warum man versucht, so wenig und so selten wie möglich zu operieren. Zuerst wird man immer mit einer medikamentösen Behandlung beginnen und versuchen, die Entzündung einzudämmen.

Der Dickdarm ist ähnlich wertvoll. Auch hier werden wichtige Stoffe für den Körperhaushalt gebildet und aufgenommen und dem Stuhl das Wasser entzogen. Doch wenn der Dickdarm massiv geschädigt ist oder es schwere gesundheitliche Probleme gibt, kann man zur Not auch ohne ihn auskommen und z. B. mit einem Stoma, einem künstlichen Darmausgang, leben. Oder es wird aus einem Teil des Dünndarms ein kleiner „Ersatzdickdarm“ gebaut.

BUCHEMPFEHLUNG

Wenn du mehr über die Funktion des Darms wissen willst – und ich empfehle dir sehr, dich dafür zu interessieren! –, dann lies das Buch „Darm mit Charme“ von Giulia Enders. Ich finde, dass jeder, der einen Darm hat, sich mit diesem Buch beschäftigen sollte.

Je nachdem, wo der Crohn aktiv ist, unterscheidet man verschiedene Crohn-Versionen, die alleine oder in Kombination auftreten.

Terminales Ileum und Ileozäkal-Klappe (auch Bauhin- oder Bauhinsche Klappe): Das ist der Bereich, wo der Dünndarm in den Dickdarm übergeht und mit ca. 45 % die häufigste Crohn-Version.

Dünndarm-Bereich: Tritt der Crohn hauptsächlich im Dünndarm auf, spricht man auch von einer Ileitis oder Jejunoileitis, je nachdem, welcher Bereich des Dünndarms betroffen ist. Das ist mit ca. 35 % die zweithäufigste Version.

Dickdarm-Bereich: Tobt der Crohn im Dickdarm, spricht man von einer Crohn-Colitis, nicht zu verwechseln mit der Schwesterkrankheit Colitis ulcerosa, die mit dieser Version nur den Ort des Auftretens gemein hat.

Gastroduodenal-Bereich: Das ist der Bereich des Oberbauches, wo der Magen und der Zwölffingerdarm zuhause sind.

Perianal-Bereich: Das ist der Bereich rund um den Po. Es gibt Crohn-Versionen, die nur hier aktiv sind, und zugleich kann dieser Bereich auch als „Zusatz“ bei einer der anderen Versionen crohnisch aktiv sein.

Oraler Bereich: Du ahnst es vielleicht schon: Hier ist der Mundbereich betroffen. Als „Allein-Version“ ist sie eine der seltensten Crohn-Versionen und betrifft am häufigsten kleine Kinder. Klassische Symptome: geschwollene Lippen und Fissuren (Risse) in der Mundschleimhaut. Häufiger ist dieser Bereich in Kombination mit einer der anderen Versionen aktiv, aber auch bei (crohnbedingter) Mangelernährung und Nährstoffmangel kann es hier zu crohnähnlichen Entzündungen kommen.

Intestinale Crohn-Symptome

Intestinal bedeutet den Darm (das Intestinum) betreffend. Hier geht es um Symptome, die während eines Schubes im Bauchraum auftreten können bzw. damit unmittelbar in Zusammenhang stehen.

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Beachte bitte, dass sich der Crohn bei jedem anders zeigt! Es kann auch sein, dass sich das von einem Schub zum anderen ändert. Geh daher sensibel und fürsorglich mit dir um und lieber einmal öfter zum Arzt, wenn du das Gefühl hast, dass „etwas im Busch“ sein könnte.

Je nachdem in welchem Bereich des Verdauungsapparates der Crohn aktiv wird, kann es zu unterschiedlichen Symptomen kommen. Als Klassiker gelten:

krampfartige Bauchschmerzen im gesamten Bauchraum

häufiger Durchfall, fallweise mit Blut und Schleim versetzt, fallweise mit unverdauter Nahrung

Das sind die berühmtesten Symptome für Morbus Crohn. Diese Prominenz ist dann mühsam, wenn man einen Schub mit kaum bis keinem Durchfall hat, da man für weniger gut informierte Ärzte dann nicht ins Crohn-Klischee passt. Klassisch bei ärztlichen Fehleinschätzungen ist der Ambulanzbesuch, wo man nicht immer zum gleichen Arzt kommt und es unter Umständen mit einem Neuling oder gastro-unerfahrenen Arzt zu tun hat. Das bedeutet nicht, dass das Kapitel Crohn im Medizinstudium wenig oder falsch behandelt wird. Es ist einfach so, dass die Verbreitung von CED nicht groß und somit der Fokus darauf in der allgemeinen Ausbildung gering ist.

Wenn der Crohn mehr im Dickdarm tobt, hat man eher Durchfall, als wenn er im Dünndarm aktiv ist. Ich hatte Schübe, wo ich mehr als 30-mal am Tag aufs Klo rannte, und ich hatte Schübe, wo ich kaum bis keinen Durchfall hatte.

Im Folgenden weitere Symptome, die auftreten können, wenn der Crohn aktiv ist.

Allgemeines Unwohlsein

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Das ist ein schwammiger Begriff und zugleich sehr treffend: Man spürt, dass da „etwas ist“. Es ziept, zerrt und zupft am Rande der bewussten Wahrnehmung. Das Bauchgefühl ist angespannt und sendet Alarmstufe rot. Fallweise hat man erhöhte Temperatur oder fühlt sich fiebrig, ohne es wirklich zu sein.

Appetitmangel und (ungewollter) Gewichtsverlust

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Geht’s dem Bauch nicht gut, schaltet der Körper den Appetit ab. Dann sind selbst Lieblingsspeisen nicht verlockend. Damit kommt es logischerweise zu einem Gewichtsverlust. Kommt dann noch Durchfall hinzu, verliert man innerhalb kurzer Zeit einige Kilos.

 

Aber auch bei normalem Appetit und üppigen Mahlzeiten kann es zu einer Gewichtsreduktion kommen, weil der Darm die Nahrung nicht entsprechend verwerten kann und sie teils unverdaut wieder von sich gibt.

Anämie – Verringerung der roten Blutkörperchen

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Anämie ist der lateinische Begriff für Blutarmut. Damit bezeichnet man den Mangel an roten Blutkörperchen und dem darin enthaltenen Blutfarbstoff (Hämoglobin). Diesen braucht der Körper, damit er Sauerstoff transportieren kann. Der Hb-Wert im Blutbild gibt an, wie viel Hämoglobin im Blut ist. Von Blutarmut bzw. Anämie spricht man, wenn der Hb-Wert bei Männern unter 13 g/dl bzw. bei Frauen unter 12 g/dl sinkt.

Ein wichtiger Bestandteil des Blutfarbstoffes ist Eisen, das der Darm aus der Nahrung gewinnt. Kann der Darm aus welchem Grund auch immer kein Eisen aufnehmen (resorbieren), bekommt das Blut zu wenig davon. Die Folgen: Man ist blass, kraftlos, anfällig für Entzündungen, gerät schnell außer Atem. Das kann bis zu Schlafstörungen, unruhigen Beinen (Restless-Legs-Syndrom), Sehstörungen, Gedächtnisproblemen und anderen Erschöpfungssymptomen gehen. Die Ursache ist Sauerstoffmangel, weil dem Blut der Transporteur fehlt.

Fies ist, dass Eisenmangelanämie crohnbedingt auch dann auftreten kann, wenn die Eisenspeicher im Körper voll sind. Man hätte genug auf Lager, aber der Crohn hat den Schlüssel weggenommen: Die Leber öffnet die Speicher nicht, weil es evolutionsbedingt so eingestellt ist, dass bei Verdacht auf bakterielle oder virale Entzündungen kein Eisen frei wird. Nur dass es hier eben der Crohn ist, der für diese Sperre sorgt und die Leber täuscht. Weil die Lager voll sind, wird auch kein neues Eisen aufgenommen. In diesem Fall spricht man von einer immunologisch bedingten Ursache oder Entzündungsanämie.

Anämie ist etwas, das auch während einer Remission vorkommen kann, wenn der Crohn die Darmschleimhaut in den Schüben davor geschädigt hat, oder als Folge von notwendigen Darm-Operationen. Es gibt aber auch eine angeborene Eisen-Resorptionsstörung.

Nahrungsergänzungsmittel einnehmen hilft bei einer Eisen-Resorptionsstörung übrigens nicht. Weil die der Darm ja verarbeiten müsste, und wenn er das Eisen schon aus der Nahrung nicht verwerten kann, sorgen die Tabletten und Vitaminsäfte nur dafür, dass der Stuhl teuer wird. In diesem Fall kann man die Mittel direkt in die Klospülung werfen und runterspülen – das hätte den gleichen Effekt.

Hat man Probleme mit der Eisenaufnahme bzw. im kleinen Blutbild, kann es auch sein, dass wichtige Vitamine und Spurenelemente wie Vitamin B12, Folsäure, Kalzium, Magnesium usw. nicht aufgenommen werden können oder dass Medikamente Spurenelemente reduzieren und die Aufnahme behindern.

Anämie kann auch als Folge von Blutverlust auftreten oder weil man nicht genug isst, an Appetitmangel leidet, zu wenig eisenhaltige Nahrung zu sich nimmt bzw. sich generell nicht ausgewogen genug ernährt. Fallweise tritt Anämie auch als Nebenwirkung durch Medikamente auf. In jedem Fall muss Anämie rasch und medizinisch abgeklärt werden – also ab in die Praxis oder Ambulanz!

EISEN UND VITAMIN C

Wenn du Eisen zu dir nimmst – egal ob durch eisenhaltige Nahrungsmittel oder Tabletten – musst du auch Vitamin C zu dir nehmen, damit der Körper das Eisen überhaupt verarbeiten kann. Gute Eisenpräparate kombinieren das. Wer das Eisen lieber mit Nahrungsmitteln „aufstockt“: einfach darauf achten, dass du auch Vitamin-C-haltige Lebensmittel isst.

Blähungen

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Nicht jeder kleine Pups ist ein Zeichen für einen Schub. Doch heftige, schmerzhafte und derb übel riechende Blähungen sind ein zusätzliches Symptom, das bei einem Schub häufig vorkommt.

 

Mehr zur heißen Luft von Down Under findest du im Abschnitt „Blähungen“ auf Seite 106.

Übelkeit, Erbrechen

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Kombiniert mit Appetitmangel ist dies ein Punkt, der sich aus der ganzen Symptomatik erklären kann – wer Schmerzen hat, sich elend fühlt, Durchfall hat, dem ist schnell übel. Es kann aber auch ein Warnsignal sein, dass der Crohn einen besonders fiesen Hinter-halt gelegt hat: Darmverschluss. Auf jeden Fall ist es ein wichtiges Symptom, dass du rasch abklären lassen solltest.

Crohnische Komplikationen

Dieses Kapitel, würde ich uns gerne ersparen, weil es die sogenannten „Worst Cases“ beschreibt. Es geht um die Dinge, die als Folge eines intensiven Crohn-Schubes passieren könnten ganz großer Konjunktiv! Da es in allen diesen Fällen jedoch wichtig ist, schnell zu reagieren, darf dieser Abschnitt nicht fehlen.

Stenosen

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Das sind Verengungen, in diesem Fall im Darm. Die Gründe sind vielfältig. Meist liegt es daran, dass sich in der Darmschleimhaut narbiges Gewebe gebildet hat. Wie bei einem Schorf am Knie nach einem Sturz wird die Haut bei oftmaligen Entzündungen vernarbter und der Darmquerschnitt damit dünner. Nahrungsbrei und Stuhl müssen sich durch dieses Nadelöhr pressen, was oft mit Schmerzen verbunden ist. Heftige Blähungen, die vorm Loslassen arg wehtun, Druckschmerz im Bauch, das Gefühl, als würde etwas „stecken“, eine tastbare Schwellung an der Stelle, wo sich die Stenose gebildet hat, können ein Anzeichen sein. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Blockade, weil nichts mehr durchgeht. Dann spricht man von einem Darmverschluss (Ileus).

Abszesse

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Das sind fiese, kleine oder größere Entzündungen, die sich wie Pusteln aufblähen, schnell größer werden und gemein wehtun, fallweise kann es auch zu Fieber kommen. Auch hier merkst du flott, dass etwas los ist, und solltest es rasch ärztlich abklären lassen, auch nachts oder am Wochenende. Abszesse haben keine geregelten Arbeitszeiten, dafür eine blumige Wachstumstendenz: Sie vergrößern sich so, wie sich Seerosen vermehren, nämlich gemäß der Formel x2 – aus einer werden über Nacht zwei, dann vier, dann 16 usw.

Abszesse können sich auch während einer Remission bilden, speziell wenn Fisteln da sind oder wenn sich etwas verkapselt hat, das dann zu einem Abszess wird.

Fisteln

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Diese kommen auch abseits des Crohn vor. Der Name selbst kommt von fistula, lateinisch für „Pfeife“ oder „Röhre“. Es sind Tunnelverbindungen zwischen zwei Organen oder zwischen einem Organ und der Außenhaut. Diese Tunnel bilden sich spontan, aus unterschiedlichen Gründen.

Crohn-Fisteln können als miese Zusatzkomponente im Schub auftreten und haben eine eigene Charakteristik. Egal wo sie auftreten: Man muss rasch etwas tun, um ihr Wachstum in den Griff zu bekommen, sie chirurgisch stilllegen, entfernen oder drainieren. Geht der Crohn in Remission, gibt es gute Chancen, dass sich die Fisteln zurückbilden und sogar schließen.

Extraintestinale Crohn-Symptome

Unser Körper ist ein großes, wunderbares Ganzes, und das bedeutet, dass ein Problem an einer so zentralen Stelle wie dem Darm auch Probleme an anderer Stelle machen kann. Man bezeichnet das als extraintestinale Manifestationen, abgekürzt EIM – etwas, das außerhalb (extra) des Verdauungstraktes (intestinal) passiert. Was für nicht-Crohn-orientierte Ärzte und Crohn-Newbies verwirrend sein kann, weil man sie nicht gleich mit einer Darmentzündung in Verbindung bringen würde.

Diese Fiesheiten können während eines Schubes, aber auch während einer Remission auftreten. Weil sie auch symptomatisch für andere Erkrankungen sein können, muss man immer abklären, ob sie crohnverursacht oder von etwas anderem ausgelöst wurden.

Wie beim vorigen Abschnitt gilt auch hier: Das Folgende ist eine Übersicht der Dinge, die passieren könnten – aber nicht müssen. Auch hier ist die Bandbreite groß. Ca. 43 % aller CED-Patienten haben eine, ca. 15 % aller Crohnies mehrere EIMs. Die meisten haben aber keine. Beobachte dich und nimm mögliche Anzeichen ernst. Wenn du unsicher bist, etwas nicht einordnen kannst oder dich unwohl fühlst, dann frag deinen Arzt oder deine Ärztin lieber einmal öfter.

Gelenkschmerzen

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Eine der häufigsten EIM. Der Volksmund sagt Rheuma dazu, medizinisch werden Gelenkschmerzen als Arthralgien bezeichnet. Gelenke und Knochen tun weh wie bei einer Grippe, ohne dass man Fieber hat. Meist sind es die großen Gelenke wie Knie, Ellbogen, Sprunggelenke bis hin zu Kreuzbein, Hüfte, Wirbelsäule und Schultern.

Diese EIM tritt während eines Schubes auf oder im Anschluss daran. In seltenen Fällen geht sie dem Crohn sogar voraus, und man hat dann vor dem ersten Schub Gelenkschmerzen – oder sie kommen lange nach einer Crohn-Diagnose, als spätes „Geschenk“. Fallweise können Arthralgien auch eine Reaktion auf ein Medikament sein.

Augenentzündungen

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Selten kann es im Rahmen eines aktiven Crohns zu einer Augenentzündung kommen. Der Klassiker ist die Entzündung der Lederhaut (Episkleritis), das ist der äußere weiße, undurchsichtige Mantel des Augapfels. Oder die Regenbogenhautentzündung (anteriore Uveitis oder Iridocyclitis), eine Entzündung der Adlerhaut im Augeninneren.

Wenn du Veränderungen beim Sehen bemerkst, die Augen entzündet sind oder wehtun: Sofort zum Augenarzt und bei der Terminvereinbarung sagen, dass du Crohn hast und einen schnellen Termin brauchst. Es kann mit dem Crohn zusammenhängen, aber auch eine Folge der Medikamente sein – auf jeden Fall muss es so rasch wie möglich abgeklärt werden.

Hautprobleme

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Ein Drittel aller CED-Patienten hat Probleme mit der Haut. Am häufigsten sind Fissuren: kleine und größere Risse, die sich schmerzhaft entzünden können. Besonders fies sind sie am Po, wo sie besonders häufig auftreten, meist als Folge häufiger Durchfälle. Das macht dann jeden Stuhlgang zur Mutprobe.

Andere Hautprobleme sind Erythema nodosum und das Pyoderma gangraenosum. Klingt beides nicht freundlich und beides tut weh. Erythema nodosum äußert sich mit bläulichen, druckempfindlichen Knötchen, meist auf den Beinen. Pyoderma gangraenosum kommt in Form rötlich entzündeter, eher runder, gleichfalls druckempfindlicher Flecken, ebenfalls eher an den Beinen und ähnlich wie blaue Flecken nach einem Sturz, aber viel roter und „anders“.

Da die Haut als größtes Sinnesorgan besonders auf Darmveränderungen reagiert, kann es bei Crohnies auch zu anderen, nicht unbedingt crohnspezifischen Hautproblemen kommen. Unreine Haut, entzündete Pusteln, die schlecht abheilen oder verhornen, auch als Rosacea bezeichnet. Psoriasis (trockene, schuppige Haut) oder das sogenannte Sweet-Syndrom: plötzliches Fieber, rote Knötchen oder Flecken im Gesicht und an den Extremitäten.

Nicht immer ist der Crohn schuld, zumindest nicht als erste Ursache. Es kann sich auch um eine Medikamentennebenwirkung handeln oder eine andere Erkrankung. In jedem Fall sind es Symptome, die du ernst nehmen solltest und die kontrolliert gehören.

Leber und Gallenbeschwerden

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Das ist ein besonders wichtiger Punkt: Im Zuge einer Crohn-Erkrankung kann es zu chronisch-entzündlichen Lebererkrankungen kommen, die sich auch auf die Gallenwege ausweiten. Es handelt sich dabei um die sogenannte primär sklerosierende Cholangitis (PSC). Diese Erkrankung kann auch ohne Crohn-Beteiligung auftreten, und man weiß eigentlich noch gar nicht genau, ob sie, wenn sie bei Crohnies vorkommt, überhaupt mit dem Crohn in Verbindung steht. Allerdings hat man bei 13 % der PSC-Erkrankten zusätzlich einen Crohn diagnostiziert, meist mit ausgeprägten Dickdarmbeschwerden. Umgekehrt haben aber nur 3,4 % der Crohnies eine PSC. Man vermutet dennoch, dass es eine gemeinsame, genetische Ursache gibt, und fieserweise ist mit einer PSC auch das Karzinomrisiko für Leber, Galle und Darm erhöht.

Nieren und Gallensteine

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Laut Statistik kommen sie bei Patienten mit CED häufiger vor. Ob es sich um eine ernährungsbedingte Komponente handelt (im Sinne einer Mangel- oder Fehlernährung), um eine crohnspezifische Besonderheit oder ob durch Medikamente verursacht, weiß man noch nicht.

Osteoporose

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Das ist eine EIM, die in den meisten Fällen durch Mangelernährung oder Medikamente, speziell Kortison, hervorgerufen wird. Ca. 37 % aller Crohn-Kranken haben Osteoporose (was normalerweise als eine Alterserscheinung auftritt). Die leichtere Version, Osteopenie genannt, tritt bei ca. 92 % aller CED-Kranken auf – also mit hoher Wahrscheinlichkeit. Man vermutet, dass sie durch eine Aufnahmestörung im Darm (Resorptionsstörung) von Kalzium und Vitamin D verursacht wird. Auch darum ist es wichtig, den Vitamin-D-Wert im Blut regelmäßig zu kontrollieren. Die gute Nachricht: Osteoporose lässt sich gut und schmerzfrei diagnostizieren (mittels Densitometrie, also Knochendichtemessung) und auch relativ einfach therapieren.

Müdigkeit und Fatigue

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Bei Fatigue ist man nicht in dem Sinn müde wie nach einer schlecht geschlafenen Nacht oder einem anstrengenden Tag. Es ist eher ein Bleimantel, der einen niederdrückt: eine erschöpfende Schwere, als hätte man ein Energieleck. Viel schlafen ändert nichts daran, dass man sich kraftlos, leer und ausgelaugt fühlt.

Müdigkeit ist im Gegenzug dazu ein mehr körperliches, greifbareres Problem, dass man gezielt mit einer bestimmten Sache in Verbindung bringen kann: viel Durchfall, häufige Schlafunterbrechungen, das Essen gibt keine Kraft, weil es nicht richtig verdaut wird, Medikamente machen müde. Das Gemeine bei Crohn: Man kann beides gleichzeitig haben, fallweise ergänzt mit „Brainfog“.

Das war ein kleiner Streifzug durch die wichtigsten Nebendarsteller im crohnischen Gruselkabinett. Auch wenn diese Kapitel wenig Grund zur Freude bieten, ist es wichtig, dass du lernst, mögliche Symptome schnell in „muss zum Doc“ und „kann warten“ einzuteilen. Geh in jedem Fall lieber früher zum Arzt und lass das Googeln sein. Warte nicht darauf, dass es sich von selbst regelt. Zehn Fehlalarme sind besser, als wenn man einmal abwartet, und genau dann ist es kein falscher Verdacht.

Ein wichtiger Punkt fehlt noch, den man so in keiner Beschreibung findet, der aber meiner Meinung nach eine klassische EIM ist.

Indolenz

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Indolenz ist etwas, das dir nicht wehtut, weil es eben darum geht, dass einem gefühlt weniger wehtut, auch wenn es gerade sehr wehtun sollte. Es ist auch keine körperliche Komplikation, sondern eine Art Gewöhnung, die bei schmerzhaften chronischen Krankheiten auftreten kann. Das Wort bedeutet im medizinischen Sinne „schmerzlos, schmerzfrei“: Man ist Schmerzen gegenüber gleichgültiger und empfindet sie nicht als so stark, wie sie eigentlich sind. Damit beachtet man dieses Warnsignal auch nicht so, wie es von Natur aus gedacht ist. Und man kommuniziert es auch nicht so, wie man sollte, damit die Ärzte es entsprechend einstufen können. Indolenz ist, wenn man so will, das Gegenteil von Hypochondrie. Oder wie mir ein Arzt mal sagte: „Wenn Sie sagen, dass etwas wehtut, und in die Ambulanz kommen, dann brennt nicht das Dach, sondern die ganze Burg.“

Das klingt nun nicht so dramatisch, schließlich sind Schmerzen nichts Angenehmes, und wenn man sie nicht so stark spürt, dann ist das doch eigentlich gut, oder? Leider nein. Schmerzen sind unangenehm, und das mit Grund: Sie sollen uns aufmerksam machen, dass etwas nicht in Ordnung ist und man sich darum kümmern muss. Hört man nicht auf das Warnsignal, ignoriert es oder, wie im Falle einer Indolenz, registriert es nicht ausreichend, wird wertvolle Zeit verschwendet, und in Folge muss sich die Therapie um eine größere Baustelle kümmern.

Was hilft dagegen? Der beste Rat ist: mehr jammern – aber auf konstruktive Art und Weise. Wer in schmerzhaften Situationen die Zähne zusammenbeißt und der Gefahr mutig, aber stumm ins Antlitz blickt, bekommt vielleicht mal ein Heldendenkmal und respektvolle Hochachtung. Aber bedenke, dass Denkmäler nicht zu Lebzeiten errichtet werden und immer ein Taubenproblem haben. Lerne auf deine Körpersignale zu achten, nimm sie ernst und kommuniziere sie so, dass sie verstanden werden und eine Handlung auslösen, nämlich deine medizinischen Helfer dazu motivieren, sich mit dir gemeinsam dem Problem zu widmen. Nur wenn du den Schmerz selbst ernst nimmst, werden es auch andere tun.

Die Ursachen von Morbus Crohn

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Morbus Crohn ist eine Autoimmunerkrankung. Das bedeutet, dass das Immunsystem eine Fehlsteuerung hat und den Körper angreift, den es eigentlich schützen soll. Bei Morbus Crohn spielen sich diese Kämpfe in der Darmschleimhaut (Mukosa) ab. In Folge entstehen Entzündungen, die im Darm, in der Mundschleimhaut, der Speiseröhre oder im Magen auftreten können. Das meint man, wenn es heißt, dass der Crohn im gesamten Verdauungstrakt aktiv sein kann.

Ein Grund, warum es bisher noch keine ultimative Heilung für Morbus Crohn gibt, liegt darin, dass man bis heute nicht wirklich weiß, wodurch er ausgelöst wird. In den letzten Jahren wurde die Erforschung an den Ursachen intensiviert. Was auch wirtschaftliche Gründe hat: Es gibt immer mehr Menschen, die an Morbus Crohn leiden. In Europa sind es ca. 2,5 Millionen Menschen, in Amerika ca. eine Million. Rein statistisch kann man sagen, dass von 100000 Menschen weltweit ca. 300 an Morbus Crohn und ca. 500 an Colitis ulcerosa leiden.

Ein Punkt gilt mittlerweile als gesicherte Ursache für Morbus Crohn: ein bestimmter genetischer Code. Durch diese genetische Komponente wird eine Störung der Barrierefunktion in der Darmschleimhaut verursacht. So landen Darmbakterien an Stellen, wo sie höchst unwillkommen sind. Die Folge sind heftige Immunreaktionen und Entzündungen.

Crohnische Grüße aus dem Neandertal

Morbus Crohn und Diabetes haben eine Gemeinsamkeit: Die genetische Ursache beider Erkrankungen geht auf Erbgutschnipsel zurück, die aus der Verbindung von Homo sapiens mit Homo neanderthalensis beruht. Die beiden Menschengruppen lebten eine Zeit lang nebeneinander, es ergaben sich hier auch zwischenmenschliche Beziehungen, die zwar nicht sehr fruchtbar, aber von der genetischen Seite her sehr nachhaltig wirksam waren.

Man hat mittlerweile auch herausgefunden, dass es eine spezielle genetische Crohn-Komponente gibt, die für einen Ausbruch der Erkrankung im frühkindlichen Alter verantwortlich ist. Hier wird aktuell empfohlen, bei entsprechendem Verdacht eine Genanalyse zu machen, um so schneller mit einer gezielten, intensiven Therapie zu beginnen. Das ist auch eine Option, wenn man zu den Crohn-Fällen gehört, wo Therapien immer wieder geändert werden müssen, weil sie nicht so greifen wie erhofft.

DREI CED-GRUNDFORMEN

Anhand von größeren genetischen Studien hat man festgestellt, dass man von drei CED-Grundformen ausgehen muss:

Colitis ulcerosa

Morbus Crohn mit Dickdarmbefall

Morbus Crohn mit Dünndarmbefall

Im Detail lassen sich genetisch gesehen an die 200 Unterarten unterscheiden.

Ansonsten aber gilt Morbus Crohn nach wie vor als sogenannte idiopathische Erkrankung. So werden Erkrankungen mit nicht bekannter Ursache bezeichnet. Der genetische Code allein ist in den meisten Fällen zu wenig. Es braucht noch weitere Faktoren, die dafür sorgen, dass der Crohn sein übles Werk beginnt. Man kennt zwar einige Risikofaktoren, die in Verdacht stehen, in Kombination mit der genetischen Veranlagung einen Crohn auszulösen, aber sicher weiß man es noch nicht.

Man hat auch herausgefunden, dass die Zusammensetzung der Darmbakterien, das sogenannte Mikrobiom, höchstwahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf von Morbus Crohn hat. Zwar hat man bis heute noch kein bestimmtes Bakterium gefunden, dass für einen Crohn-Schub verantwortlich gemacht werden kann. Aber man weiß mittlerweile, dass die bakterielle Darmbesiedelung bei CED-Patienten meist geringer und instabil ist und sich fallweise innerhalb weniger Wochen komplett verändert – was sie bei gesunden Menschen nicht macht.

MYCOBACTERIUM AV IUM SUBSP. PARATUBERCULOSIS

Im Internet finden sich immer wieder Hinweise, dass ein bestimmtes Bakterium mit Namen Mycobacterium avium subsp. paratuberculosis der böse Schelm sei, der eine Crohn-Lawine lostreten könne. Das hat sich aber schon vor längerer Zeit als falsch herausgestellt. Der kleine Racker ist kein guter, aber den Crohn hat er nicht von der Leine gelassen.

Immer wieder werden auch psychische Faktoren (Stress, seelische Verstimmungen bzw. Belastungen, Depression, Probleme) als Auslöser genannt. Im Verlauf einer Erkrankung können sich diese Faktoren zwar negativ auswirken (als Schubauslöser ist ihre Beteiligung umstritten) und die Lage zusätzlich verschärfen, als eine Ursache für Crohn kann man sie aber ausschließen.

Was die Ursachen von Morbus Crohn betrifft, kann man sagen, dass man zwar schon weiter ist als vor zehn bis 20 Jahren, aber immer noch lange nicht weiß, was genau es braucht, damit ein Mensch an Morbus Crohn erkrankt und wie man das verhindert. Die aktuell bekannten und ein paar, in Verdacht stehende, Ursachen kurz zusammengefasst:

ein geschwächtes Immunsystem, das sich selbst angreift (= Autoimmunerkrankung)

eine durch eine genetische Komponente geschwächte Darmbarriere, die ihre Funktion nicht vollständig ausüben kann und dem geschwächten Immunsystem einen Kampfplatz liefert

ein Darm-Mikrobiom mit geringerer Vielfalt als bei gesunden Menschen und mit vermutlich mehr schlechten als guten Bakterien, die sich auf diesem Kampfplatz einen Battle mit dem hauseigenen Immunsystem liefern

eine höhere Anfälligkeit und Sensibilität bestimmten Umweltund Lebensfaktoren gegenüber (Rauchen, Stress, destruktive Ernährungsgewohnheiten, Depression …), die für eine zusätzliche Schwächung des angeschlagenen Systems sorgen

und viele weitere Mutmaßungen, Verdachtsmomente und Ideen

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Rauchen ist für den gesunden Körper nicht gut, für einen kranken noch weniger. Was den Crohn betrifft, weiß man, dass man die Symptome und die Schubintensität reduzieren kann, wenn man mit dem Rauchen aufhört. Ebenso hilfreich ist es, den Zuckerkonsum zu reduzieren. Beides kann u. a. die Darmwand dünner machen und spielt somit dem Crohn in die Hände.

Was ist Morbus Crohn nicht?

Was Morbus Crohn ist, haben wir in den vorigen Kapiteln ausführlich durchgeackert. Nun komme ich zu den Unterstellungen, die man als Neu- und Alt-Crohnie immer hört. Was sie nicht richtiger macht. Manche dieser Crohn-Sagen und -Märchen sind verständlich, schließlich hat nicht jeder ein Medizinstudium absolviert. Manche basieren auf internetten Verschwörungstheorien, manches ist esoterisches Geschwurbel, was man mit einem Lächeln abtun könnte, wenn derartige Diagnosen nicht besonders wehtun würden und einem mehr zu kauen geben, als man selbst in gesunden Zeiten vertragen würde.

Legende 1: „Crohn ist ansteckend“

Eine Crohn-Bekannte erzählte mir vor Jahren, wie sie die Diagnose erhielt, Therapien bekam, dann eine Remission hatte. Kurz darauf lernte sie ihren damaligen Mann kennen. Nur ein paar Monate danach wurde auch er mit Crohn diagnostiziert. Seitdem geht im Dorf die Mär, dass sie ihn angesteckt habe. Das hat sie definitiv nicht. Doch Gerüchte kommen dem, was man als Unsterblichkeit bezeichnet, sehr nahe: Die Geschichte wird auch 20 Jahre später noch so erzählt.

Crohn ist nicht ansteckend. Hundertprozentig nicht. Gesunde brauchen keine Berührungsängste zu haben. Anders sieht es aus, wenn du Crohn hast und Medikamente nimmst, die die Immunabwehr ausschalten (Immunsuppressiva). Dann sind die anderen für dich eine Gefahr, weil du dich leichter anstecken kannst.

Legende 2: „Crohn ist ein leaky-Gut-Syndrom“

Hierbei handelt es sich um einen pseudomedizinischen Mythos, der besagt, die Dünndarm-Schleimhaut habe Löcher und sei schuld an vielen chronischen Krankheiten. Doch dieses Syndrom ist medizinisch nicht feststellbar. Es ist weder in der wissenschaftlichen Medizin noch in einschlägigen Fachliteraturdatenbanken zu finden. Möglicherweise – und das ist meine Vermutung – hat man die Beschreibung eines Dünndarm-Crohns ausgeschmückt und als eigenes Syndrom dargestellt. Man hat als Crohnie zwar keine Löcher, wie sie im Leaky-Gut-Syndrom mystisch beschrieben werden, doch die Darmschleimhaut ist durchlässiger, was der Beschreibung am nächsten kommt.

Allerdings wird beim LG-Syndrom die durchlässigere Darmschleimhaut, die als Symptom bei verschiedenen Krankheiten auftreten kann, als Krankheitsursache beschrieben. Crohn ist aber definitiv kein Leaky-Gut-Syndrom – wenn, dann ist es vielleicht umgekehrt. Crohn ist wissenschaftlich untersucht. Das LG-Syndrom ist eine Idee der Alternativmedizin ohne wissenschaftliche Grundlage, und seine „Diagnose“ kann eine adäquate, lebensrettende Crohn-Therapie drastisch verzögern.

Legende 3: „Crohn ist das Gleiche wie Reizdarmsymptom“

Mit dem Reizdarmsymptom wird eine Sammlung an Symptomen bezeichnet, die grundsätzlich mit dem Darm zu tun haben, aber keiner spezifischen Darmerkrankung zugeordnet werden können. Die Symptome ähneln den crohnischen Begleiterscheinungen, aber eine CED wurde nicht diagnostiziert. Fallweise passiert das zu einem späteren Zeitpunkt, bei einer weiteren Untersuchung. Fallweise handelt es sich um keine CED, sondern eine eigene Erkrankung, für die man noch keine Spezifikation oder Namen gefunden hat, weswegen man sie unter „Reizdarm“ zusammenfasst.

Legende 4: „Crohn ist eine psychische Erkrankung oder eine andere Form von Depression“

Lange Zeit hat man den vom Crohn heimgesuchten Patienten unterstellt, dass es sich um eine rein psychische Erkrankung handelt. Im Internet finden sich nach wie vor Beschreibungen über die sogenannte Crohn-Persönlichkeit, was sich fallweise sehr stigmatisierend liest. Seit einigen Jahren ist jedoch erwiesen, dass CED keine psychische Erkrankungen ist: „Ein Einfluss psychosozialer Faktoren wie Persönlichkeitsmerkmale, belastende Lebensereignisse und Alltagsbelastungen auf die Entstehung des Morbus Crohn wurde im vorigen Jahrhundert vermutet, kann aber nicht nachgewiesen werden“, so Professorin Gabriele Moser, Leiterin der Ambulanz und wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für gastroenterologische Psychosomatik an der Universität Wien.

Legende 5: „Crohn ist eine andere Form von Magersucht“

Auch das stimmt nicht. Da man im Schub oft sehr rasch sehr viel Gewicht verliert, kommen von Außenstehenden immer wieder solche Vermutungen, und der Durchfall wird als „rückwärtiges Erbrechen“ zur gewollten Gewichtsreduktion definiert. Weil auch das eine Aussage ist, die wehtut und die Erkrankung in Richtung psychisches Problem verlagert, nochmals in aller Deutlichkeit: Crohn und Magersucht sind zwei verschiedene Paar Schuhe und haben nichts miteinander zu tun.

Legende 6: „Crohn ist reine Einbildung“

„Bist du dir sicher, dass du dir das nicht alles nur einbildest?“, ist eine Frage, die ich oft gehört habe. Ja, ich bin sicher, dass ich mir das nicht einbilde. Meine Ärzte sind es auch. Die Histologie, die Untersuchungsergebnisse, die Befunde, die Erfahrung, die Erlebnisse untermauern das. Die Unterstellung, das man sich eine Erkrankung einbildet, vielleicht sogar gewünscht hat, tut mehr weh als der Crohn, der an sich schon teuflisch wehtun kann.

Legende 7: „Crohn ist eine Magenverstimmung von falschem Essen“

„Dein Bauch tut wieder weh? Bist du sicher, dass du nichts Falsches gegessen hast?“ Wenn die speziellen Crohn-Schmerzen anklopfen, dann wünschte ich mir sehr, dass es vom viel zitierten „falschen Essen“ käme. Doch mein Bauch und ich kennen die Wahrheit: Der Crohn hat ein eigenes Lied, einen bestimmten Rhythmus, eine spezielle Tonart, und wenn die in mir schwingt, dann muss sich das falsche Essen eine Nummer ziehen und beim Problememachen hinten anstellen.

Eine andere Version von „Crohn = Magenverstimmung“ ist die, nach der die Schmerzen, der Durchfall, die Krämpfe und alles andere die Folge einer inadäquaten Ernährung sind. Es wäre wirklich toll, wenn es so einfach wäre und eine Ernährungsumstellung den Crohn zum Mond schicken könnte. Das funktioniert aber nicht, weil der Crohn eben keine Magenverstimmung ist.

Legende 8: „Crohn ist eine spezielle Viruserkrankung“

Hier wird die Lage komplizierter: Crohn kann unter Umständen ähnliche Symptome verursachen wie eine fiese Magen-Darm-Grippe. Ein guter Arzt bzw. Labortests im Krankenhaus können das aber rasch unterscheiden. Auch die Blutbefunde sind hilfreich, und erfahrene Crohnies kennen den Unterschied quasi im Schlaf. Fies ist: Man kann Läuse und Flöhe gleichzeitig haben – also Crohn und eine Magen-Darm-Grippe oder eine andere Viruserkrankung. Das ist der Grund, warum man bei einem akuten Schub immer auch auf Viruserkrankungen befragt und getestet wird bzw. werden sollte.

Was Crohn ebenfalls alles nicht ist

Zu behaupten, Crohn sei eine Nebenwirkung von Medikamenten oder anderen Erkrankungen, ist genauso dem Bereich der Verschwörungstherorien zuzuordnen wie die Behauptung, Crohn sei eine Erfindung der Ärzte und der Pharmaindustrie, um uns das Geld aus der Tasche zu ziehen. Auch ist Crohn kein Fluch aus einem früheren Leben – mein absoluter Anti-Liebling auf der Liste falscher Crohnursachen. Da der Crohn zudem ein höchst unsensibler Genosse ist, lässt er sich auch mit Reinkarnationstherapien, Fern-Aurabehandlungen oder Handauflegen nicht vertreiben – was an seiner nicht vorhandenen Spiritualität liegen dürfte.

DIAGNOSE UND THERAPIE

In diesem Kapitel geht es um die notwendigen Untersuchungen, wie man die passenden Mediziner findet, welche Therapien es gibt, wo sie ansetzen und warum es wichtig ist, dass man sich mit diesen Dingen besser anfreundet – auch wenn sie einem tierisch auf den Geist gehen.

Sobald man die üblichen Hausmittel und alternativen Mittelchen durch hat, sobald sich die Erkenntnis manifestiert hat, dass „das“ nicht so einfach weggeht und man professionelle Hilfe braucht, stellt sich die Frage, an wen man sich wenden soll. Das Wichtigste bei der Auswahl deines Ärzteteams sind drei Punkte: Vertrauen, Empathie und Professionalität.

1.Egal ob Hausarzt, Fachärztin oder Therapeut: Du brauchst jemandem, dem du vertraust und bei dem du dich in guten Händen fühlst.

2.Nur nett alleine ist zu wenig. Es braucht ein gutes Maß an Empathie und Gefühl, die zwischenmenschliche Chemie muss stimmen.

3.Schlussendlich soll der Arzt mit dem medizinischen Wissensstand, was Diagnosen, Besonderheiten und moderne Therapien für CED betrifft, vertraut sein und wissen, was speziell jetzt bei dir angeraten ist.

Mir waren zudem noch zwei Punkte wichtig, die diese drei Kriterien verbinden: dass der Mensch, der mir gegenübersitzt, mit mir auf Augenhöhe spricht und fähig ist zuzugeben, wenn er oder sie etwas nicht weiß und mir dann sagen kann, an wen man ich mich wenden kann, um Hilfe zu finden.

Die richtigen Ansprechpartner finden

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Klassisch führt die Erkenntnis, dass man medizinische Hilfe braucht, zuerst zum Hausarzt oder in eine Krankenhausambulanz. Beides sind gute Anlaufstellen, und im besten Fall stehst du damit am Beginn von dem, was man als Diagnosestraße bezeichnet.

Der Hausarzt

Er oder sie ist für viele die erste Anlaufstelle, sowohl was den ersten Kontakt mit Medizinern überhaupt betrifft als auch wenn es darum geht, sich Rat zu holen, wenn man gesundheitliche Hilfe braucht.

Im Idealfall hat sich im Lauf des Lebens eine gute Arzt-Patienten-Beziehung aufgebaut. Der Doktor kennt einen vielleicht schon seit Kindesbeinen und man kennt ihn. Wenn du aber das Gefühl hast, dass dein Hausarzt okay, aber in speziellen Fällen überfordert ist oder die empathische Schiene nicht passt, dann such dir einen anderen. Das gilt übrigens auch für alle anderen Medizinerinnen und Therapeuten. Nur weil man vom Zufall zusammengewürfelt wurde, muss man sich das Leben nicht auf Dauer schwermachen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842629066
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Chronische Darmerkrankung Entzündliche Darmerkankung Erfahrungsbericht Darmerkrankungen Colitis ulcerosa

Autor

  • Michaela Schara (Autor:in)

Michaela Schara war als Marketing-Beraterin und Coach tätig, erhielt 2005 die Diagnose Morbus Crohn und musste ihre berufliche Tätigkeit 2012 crohn-bedingt einstellen. Zu tun hat sie dennoch genug, zum Beispiel mit medizinischen Herausforderungen und ihrem Gesundheitsmanagement. Auf ihrem Blog "Lieber Herr Crohn!" veröffentlicht sie, neben heiter-sarkastischen Zeichnungen, ihre Erlebnisse, Tipps und Infos rund um das Leben mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung - um sich und anderen Mut zu machen und dem lieben Herrn Crohn die Arschkarte zu zeigen.
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Titel: Shitstorm im Darm