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Aktiv leben mit Multipler Sklerose

Selbstbestimmt und glücklich - mit MS. Der Ratgeber zum MS-Blog chronisch fabelhaft.

von Samira Mousa (Autor:in)
160 Seiten

Zusammenfassung

Ratgeber der Mut macht

Als bei Samira Mousa mit Anfang zwanzig Multiple Sklerose diagnostiziert wird, merkt sie schnell: So viel Unsicherheit, so viele Fragen – und überall kursieren Horrorszenarien ... Ja, es stimmt: MS ist unheilbar und schränkt die Lebensqualität in unterschiedlicher Stärke ein. Aber auch das stimmt: Es ist möglich, mit MS ein selbstbestimmtes Leben zu führen, der Krankheit aktiv zu begegnen und den Verlauf positiv zu unterstützen. Wie das gelingt, zeigt die erfolgreiche Bloggerin und Autorin. Sie erzählt von ihrem persönlichen Umgang mit MS und davon, wie man an einem Schicksalsschlag wachsen kann. Vor allem aber teilt sie mit ihren Leserinnen und Lesern viele Gedanken, die dabei helfen, einen konstruktiven und ganz eigenen Umgang mit der Angst und Unsicherheit zu finden.

Krankheit mit 1.000 Gesichtern

Multiple Sklerose ist bei keinen zwei Menschen auch der Welt gleich. Deshalb nennt man sie auch „die Krankheit der tausend Gesichter“. Samira Mousa teilt in ihrem Buch alle Erfahrungen, die sie in Bezug auf ihre Symptome gemacht hat und zeigt, wie man mit der Unberechenbarkeit der Erkrankung umgehen kann. Sie liefert eine Fülle von medizinischen Informationen, Tipps zu den Themen Ernährung, Sport, Entspannung oder Reisen. Für alle, die ein selbstbestimmtes und glückliches Leben mit MS führen möchten.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


GELEITWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

was ist eigentlich Multiple Sklerose? Es gibt bereits viele wissenschaftliche Veröffentlichungen, die versuchen, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Die Forschung läuft weiter auf Hochtouren, schon heute aber können Medikamente bei vielen Patienten einen Teil der Krankheitsschübe verhindern und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Multiple Sklerose ist zwar bis heute nicht heilbar, sehr wohl aber beeinflussbar.

Ärzte, Psychologen, Heilpraktiker oder Physiotherapeuten, die Krankheiten auf unterschiedliche Art begegnen, haben ein gemeinsames Ziel, und das ist die Gesundheit des Patienten. Aus ärztlicher Sicht geht es darum, eine passende Therapie zu finden, mit dem Ziel, dass es den Patienten besser geht. Für eine umfassende Betreuung bleibt im hektischen Klinikalltag aber oft keine Zeit. Hinzu kommt, dass sich in unserem digitalen Zeitalter, in dem alle mit allen verbunden scheinen, chronisch kranke Patienten trotzdem oft allein fühlen – mit ihren Sorgen und ihren Fragen: Was kann ich tun, um meine Behandlung zu unterstützen? An wen wende ich mich, wenn ich traurig und mutlos bin?

Auch Samira Mousa weiß: Die Diagnose für eine chronische Erkrankung zu bekommen, fühlt sich erstmal wie ein kräftiger Tritt in die Magengegend an. In ihrem Blog chronisch fabelhaft macht sie deutlich, dass Multiple Sklerose kein Grund ist, sich und seine Träume aufzugeben. In diesem Buch erläutert die Autorin ihren Leserinnen und Lesern, wie es möglich ist, ein aktives und glückliches Leben zu führen, und welche Faktoren dabei eine wichtige Rolle spielen. Die „richtige“ Therapie ist nur ein Teil davon. Sich zu informieren und für die eigene Gesundheit zu kämpfen, sich selbst kennenzulernen, eigene Bedürfnisse zu äußern und sich mit Menschen zu umgeben, die einem guttun, sind wichtige Teile für einen gelungenen Umgang mit jeder chronischen Erkrankung.

Professor Dr. med. Michael Sereda

Neurologe

Georg-August-Universität Göttingen (UMG),

Klinik für klinische Neurophysiologie

Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin

DIE KRANKHEIT MIT DEN TAUSEND GESICHTERN – DIAGNOSE MS

Die Nachricht, dass man Multiple Sklerose hat, schlägt wie eine Bombe ein und ist nicht leicht zu verkraften. Auch für mich war die Diagnose ein Schock. Welche Odyssee der Diagnose meiner MS vorausging und wie es mir in den ersten Wochen damit ging, liest du in diesem Kapitel, das dir außerdem einen Überblick über die verschiedenen Formen der MS und ihre Symptome gibt.

Der Anfang meiner MS-Geschichte

„Frau Mousa, noch können wir dem Kind keinen Namen geben, aber es handelt sich wohl um eine Autoimmunerkrankung. Alles deutet darauf hin, dass Sie Multiple Sklerose haben.“

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MS also, zwei neue Buchstaben, die ab jetzt – so fürchtete ich – mein Leben bestimmen würden.

Stille. Wie ein dumpfer Schlag trafen mich die Worte meines Arztes, den ich ursprünglich wegen Schmerzen in den Augen und Kopfschmerzen aufgesucht hatte. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf: Eine unheilbare Krankheit? Ich? Kann gar nicht sein! Ich hatte weder eine Ahnung davon, was Multiple Sklerose überhaupt ist, noch wusste ich auch nur im Ansatz, was das für mich bedeuten würde. Man sah mich traurig an, ich sah traurig und verwirrt zurück. MS also, zwei neue Buchstaben, die ab jetzt – so fürchtete ich – mein Leben bestimmen würden.

Seit diesem Tag sind über sechs Jahre vergangen. Diese Buchstaben – und mit ihnen die Krankheit – haben mein Leben zwar nicht bestimmt, aber sehr verändert. Ich möchte dir gleich verraten, dass die meisten Änderungen zum Positiven hin stattgefunden haben und dass meine Geschichte keine Leidensgeschichte ist. Ich werde dir nicht nur erzählen, warum, sondern werde dir auch viele Ideen, Anregungen und Tipps mit auf den Weg geben: auf deinen ganz eigenen, einzigartigen Weg mit deiner ganz eigenen, einzigartigen MS. Multiple Sklerose ist bei keinen zwei Menschen auf diesem Planeten gleich. Man nennt sie deswegen auch „die Krankheit der tausend Gesichter“.

Alle Erfahrungen, die ich in Bezug auf meine Symptome und meinen Verlauf gemacht habe, sind einzigartig. Genauso werden deine Symptome, dein Verlauf, dein Umgang damit einzigartig sein. Diese Unberechenbarkeit ist wohl eine der beängstigendsten Eigenschaften der Multiplen Sklerose. Als kämpfe man gegen einen Feind, der ständig die Meinung ändert – so kam es mir zu Anfang vor. Doch ich habe einen Umgang mit dieser Unberechenbarkeit gefunden. Ich möchte mein Leben nicht als täglichen Kampf gestalten, und es ist wunderbar zu wissen, dass diese Entscheidung allein in meiner Hand liegt. Ich habe gelernt, meine Ängste, meine Hoffnungen und Unsicherheiten gleichermaßen anzunehmen, und bin an ihnen gewachsen.

Zwischen Schock und Hoffnung

Die Diagnose MS trifft einen fast immer unvorbereitet. Meist wird MS im Alter zwischen 20 und 40 diagnostiziert, Frauen sind dabei deutlich häufiger als Männer betroffen. Man steht in diesem Alter meist am Anfang oder schon mitten in der Karriere, man hat Wünsche, Träume, hat so viel vor. Auch bei mir sah es nicht anders aus: Ich war damals 23, meine Abschlussprüfungen zur Veranstaltungskauffrau standen an. Eine Übernahme danach im Betrieb – einem angesehenen Club für elektronische Musik – war bereits bestätigt. Ich hegte Pläne. Ich träumte von mir als Businesslady, als starke Person, als Künstleragentin. Geschäftsreisen, schicke Hotels, teure Nachtclubs – das alles sah ich schon vor meinem inneren Auge. Da wollte ich hin, und ich würde alles dafür tun.

Ich schob zu dieser Zeit teilweise halsbrecherische Nachtschichten, gefolgt von drei oder vier Stunden unruhigem Schlaf, bevor ich wieder im Büro saß. Die Geschäftsreisen, die Hotels, die Nachtclubs flogen an mir vorbei. Ich arbeitete viel, schlief kaum, und tauchten einmal Symptome von Unwohlsein oder Erschöpfung auf, trieb ich sie mir mit einer fast militärischen Strenge aus. Weitermachen. Bloß nicht zum Stillstand kommen. Bloß nicht nachgeben, und schon gar nicht dem immer lauter flehenden Körper. Ich trieb keinen Sport, rauchte, lebte für die Nacht und genoss all dies in vollen Zügen. Nur manchmal wunderte ich mich über hartnäckige Schwindelepisoden, wenn ich besonders viel um die Ohren hatte. Doch die Ärzte beruhigten mich: Ich müsse nur mal etwas entspannen, mich auf eine Wiese legen, in den Himmel gucken. Das machte ich einen oder zwei Tage lang, als der Schwindel und die Erschöpfung zu stark wurden. Und danach ging es wieder an den Schreibtisch.

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Ich schob zu dieser Zeit teilweise halsbrecherische Nachtschichten, gefolgt von drei oder vier Stunden unruhigem Schlaf, bevor ich wieder im Büro saß.

Nebenbei paukte ich für die Abschlussprüfungen als Eventmanagerin. Es war in der Berufsschule, wo ich eines Morgens das erste Mal einen starken Schmerz in den Augen spürte. Ich dachte, es läge an meiner Übermüdung, und gab nicht viel drauf. Das würde sich schon einrenken, das tat es ja irgendwie immer. Doch die Tage vergingen, und auch eine Woche später – mittlerweile hatte sich noch ein stechender Kopfschmerz im vorderen Bereich des Schädels dazugesellt – wurde ich meine Schmerzen nicht los. Jede Bewegung des Augapfels schmerzte in etwa so, als stäche man mir mit einer Nadel von hinten in die Augenhöhle. Es durchfuhr meinen Kopf wie Blitze. An diesem Tag, als ich mir doch ein paar Sorgen zu machen begann, fiel mir auch auf, dass ich plötzlich nicht mehr erkennen konnte, was der Lehrer an die Tafel schrieb. Alles schien verschwommen und doppelt. Ängstlich wandte ich mich an eine Kommilitonin, die eine Netzhautablösung vermutete. Ich bekam einen riesigen Schreck, meldete mich krank und ging zur Augenärztin. Die würde das schon richten, dachte ich mir. Ich rief auf der Arbeit an: Ich bin kurz beim Arzt wegen Kopfschmerzen, danach komme ich direkt ins Büro.

Man ließ mich einige Tests durchführen, und die Ärztin schaute beunruhigter drein, als es mir für einfache Kopfschmerzen angebracht schien. „Ich würde Sie gerne weiter zu einem Neurologen schicken“, sagte sie, als wir feststellten, dass ich die Farbe Rot auf beiden Augen anders wahrnahm. Auf dem einen Auge war Rot nämlich Orange. Das mutete mich seltsam an, irgendwie fand ich es sogar spannend: Was so etwas wohl auslösen könnte?

Beim Neurologen kam ich sofort dran – die Augenärztin meinte, ich solle sagen, es sei sehr dringend. Und so blickte ich abwechselnd mit dem rechten und dem linken Auge auf ein Schachbrettmuster, das sich bewegte. Ich wurde vom Neurologen untersucht, gepiekst, gekratzt, mit einem Reflexhämmerchen bearbeitet. Alles soweit in Ordnung, aber die Augen … „Frau Mousa, Sie müssen ins Krankenhaus. Die Leitfähigkeit Ihrer Sehnerven ist auf beiden Augen sehr unterschiedlich, Sie haben eine Sehnerventzündung.“

Der Sehnerv führt vom Gehirn zur Pupille, durch ihn werden die Bilder, die das Auge sieht, ins Gehirn geleitet. Und dort saß also eine Entzündung. Ich dachte im ersten Moment an eine Art Bindehautentzündung. Dass es sich hierbei um eine Entzündung im Nervensystem handelt oder was das bedeuten kann – das war mir trotz des Namens nicht klar. Ich wollte nur so schnell wie möglich raus, denn ich wollte ja später noch zur Arbeit fahren. „Das sollten Sie absagen“, meinte der Neurologe. „Gehen Sie nach Hause, packen Sie ein paar Sachen und dann fahren Sie bitte in die Notaufnahme. Stellen Sie sich auf einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt ein.“

Langsam wurde mir bewusst, dass es hier um etwas Ernsteres ging. Ins Krankenhaus? Dann muss es wirklich schlimm sein, dachte ich. Ich fuhr nach Hause, packte, sagte die Arbeit mit den Worten ab, dass ich nicht wüsste, wann ich wiederkommen würde, und fuhr zum Krankenhaus. Auf der Station für Neurologie machte man weitere Tests mit mir – wieder das Schachbrett, aber auch viele andere Untersuchungen fanden statt. Irgendwann teilte man mir ein Bett in einem Vierbettzimmer zu. Alle waren ungefähr drei- bis viermal so alt wie ich, und mir wurde mulmig: Was habe ich hier verloren?

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Ich bekam eine intravenöse Kortisonstoßtherapie. In den nächsten Tagen schlossen sich weitere Tests an, eine Nervenwasserentnahme aus der Wirbelsäule, ein MRT, ein CT. Ich wurde durchleuchtet wie ein Gepäckstück am Flughafen. Und dann, nach fünf Tagen, endlich ein paar Infos: Ich habe wohl eine Autoimmunerkrankung, die Multiple Sklerose heißt. Man könne es noch nicht eindeutig sagen, aber es deute alles darauf hin.

Ich war verständlicherweise äußerst verunsichert. MS, das hatte ich schon mal gehört. Was war das noch mal? Natürlich zückte ich sofort mein Handy und begann zu googeln. Eine Horrormeldung jagte die nächste: MS macht inkontinent. Bei MS wird man zum Pflegefall. MS schickt einen direkt in den Rollstuhl. MS ist schlimm, ist schrecklich, ist das Ende des Lebens so wie du es kennst. Das stand da schwarz auf weiß, und in mir breitete sich eine dumpfe, drückende, lähmende Angst aus. Würde ich nun also von heute auf morgen ein Pflegefall werden? Wegen stechender Kopfschmerzen? Die Szenarien überschlugen sich in meinem Kopf. Mein Freund wird mich waschen müssen, dachte ich. Ich werde Windeln tragen müssen wie die alten Damen, die hier mit mir im Zimmer liegen. Ich werde bettlägerig, ich werde ein Schatten meiner selbst werden.

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Mit diesen Ängsten ließ man mich allein. Kein Pflegepersonal, das mich aufgeklärt hätte. Auch die Ärzte taten sich schwer damit, mir mehr zu sagen als: „Unter Umständen kann man mit MS durchaus ein annähernd normales Leben führen.“ Aha. Ich hatte aber keine Lust, ein unter Umständen annähernd normales Leben zu führen. Ich wollte mein Leben auf der Überholspur führen, reisen, mich selbst finden, Träume wagen.

Ich verstehe bis heute nicht, warum es niemanden in diesem Krankenhaus interessierte, was in einem solchen Moment in einer Person vorgeht. Warum wurde mir nicht zugehört? Warum gab es niemanden, der sich Zeit genommen hätte, sich mit mir hingesetzt und mir erklärt hätte, was diese Krankheit nun ist? Und was sie sein kann, aber auch nicht sein muss? Ich werde nie wissen, warum ich so hängengelassen wurde. Aber in diesem Moment begann meine Reise zu meinen eigenen Antworten, zu Techniken und zu Wissen, das mir dabei geholfen hat, ein glückliches, positives, selbstbestimmtes Leben zu führen. Und zwar immer, jeden Tag. Mit MS. Und mit so viel mehr, nämlich dem, was einen Menschen wirklich ausmacht.

Ein Jahr der Angst

Ich wurde bald aus dem Krankenhaus entlassen, ohne gesicherte Diagnose. An diesem Tag begann ein Jahr der Angst, denn man sagte mir: „Wenn es noch einen weiteren Schub gibt, dann gilt die Diagnose als gesichert.“ Ich erinnerte mich an das, was ich im Internet über Multiple Sklerose gelesen hatte, und begann, wie verrückt nach weiteren Symptomen in meinem Körper zu suchen. Mein Fuß kribbelt! Ein neuer Schub? Ich schmeiße ein Glas Wasser um – habe ich die Kontrolle über meine Hände verloren? Ich stolpere – werde ich ab morgen nicht mehr gehen können? Alles wurde plötzlich potenziell zu einem MS-Symptom. Meine Mutter, mein Bruder und ich lebten in Angst vor dem, was die Krankheit mir antun würde. Ich fiel in ein dunkles Loch, jeden Tag getrieben von der Angst, dass heute mein letzter Tag als die Person sein könnte, die ich kannte: als Samira, die es liebt zu kochen, die gerne flirtet und feiert, die sich schminkt und reist und all das macht, was eine junge Frau eben so macht.

Jeder Morgen begann mit einem gründlichen Scan meines Körpers. Jedes Telefonat mit meiner Mutter begann mit ihrer ängstlichen Frage, ob „etwas Neues“ passiert sei. Etwas, das die Diagnose sichern würde. Etwas, das mich für den Rest meines Lebens an diese zwei Buchstaben fesseln würde. Das Jahr der Angst verging, und als meine Sehnerventzündung sich jährte, wurden meine Augen wieder schlechter. Wieder dieses vertraute Ziepen, wieder die verschwommene Sicht. Als hätte mein Körper die Uhr danach gestellt, als hätte er mich absichtlich ein Jahr zappeln lassen. Ich wusste, was das hieß, und ging zum Neurologen, der ebenfalls wusste, was das bedeutete. Wir sahen uns beide traurig an. Jetzt also wirklich: Multiple Sklerose. Mit allem, was dazugehört.

Ich taumelte wie benommen nach Hause. Diesmal bekam ich die Kortisonstoßtherapie ambulant bei meinem Neurologen. Morgens um acht stand ich auf der Matte und wurde für eine Stunde an den Tropf gehängt. Dann ging es schnurstracks in die Arbeit, an den Schreibtisch, in mein Leben, das vor einem Jahr noch so wild und frei und scheinbar ohne Sorgen gewesen war. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Versuchte zu lächeln. Um keinen Preis dürfte man herausfinden, was mit mir los war! Eine chronische Krankheit, na sowas – das gehört sich ja nicht. Ich wurde, während mein Körper sich dank des Kortisons wie mit Watte ausgestopft anfühlte, auf Arbeit immer unsicherer: Ist MS ein Kündigungsgrund? Verliere ich jetzt meinen Job? Also: lieber die Zähne zusammenbeißen und immer schön lächeln. Ich vertraute mich keinem meiner Kollegen an. Auch meine Chefs erfuhren nichts von mir. Nur mein Freund, den ich in dem schweren Jahr zuvor kennengelernt hatte, meine Familie und drei, vier enge Freundinnen wussten davon. Ich tat, was ich konnte, um mein „schreckliches Geheimnis“ – so empfand ich es damals – zu verbergen.

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Nach der Diagnosestellung riet man mir zu einem Medikament: Eine Basistherapie solle so früh wie möglich beginnen, damit sie ihre größtmögliche Wirkung entfalten könne. Ich konnte nun also wählen zwischen Spritzen, Tabletten oder Infusionen. Man drückte mir einen Stapel bunter Broschüren in die Hand, die Medikamentenhersteller in Arztpraxen auslegen. In diesen Heften: lachende junge Frauen, Männer mit Hunden beim Spazierengehen, glücklich strahlende Familien. Mir war weder nach Lachen zumute noch fühlte ich mich auch nur im geringsten Ansatz glücklich ob des Privilegs, nun selbst entscheiden zu müssen, welches Medikament ich nehmen würde. Keines zu nehmen stand nicht zur Debatte, hatte mein Arzt gesagt, also musste eines her. Ich entschied mich, wurde eingestellt, und die Nebenwirkungen hielten sich glücklicherweise in Grenzen.

Ich akzeptiere die Krankheit

Irgendwie war mit der Diagnosestellung und mit dem Beginn meiner MS-Therapie ein wenig Ruhe bei mir eingekehrt. Es mag befremdlich klingen, dass die Diagnose auch eine Art Erlösung für mich war – aber so fühlte es sich an. Endlich konnte ich dem Kind einen Namen geben und hatte Gewissheit. Das war sehr entlastend. Nun würde ich beginnen können, einen – meinen – Umgang mit der Krankheit zu finden. Vorsichtig traute ich mich wieder an erste Reisen heran, zögernd begann ich, meinem Körper wieder einen Hauch mehr zu vertrauen. Mit dem Medikament, so dachte ich, sei ich nun auf der sicheren Seite und könnte eigentlich so weitermachen wie vorher. Und das tat ich mit voller Wucht: Mein Arbeitspensum stieg wieder an, ich ging viel aus, schlug mir die Nächte um die Ohren. Endlich würde ich der MS zeigen, wer am längeren Hebel sitzt! Ich würde meinem Körper ganz gehörig klarmachen, dass er keine Kraft hat, mich zu kontrollieren, und dass ich – wenn schon – dann mit wehenden Fahnen und so leidenschaftlich wie nur möglich zugrunde gehen würde.

Ich rauchte weiterhin, denn das wollte ich mir jetzt nicht auch noch von der Krankheit nehmen lassen. Ich stresste mich, ich sagte unglaublich anstrengende Jobs zu. Nimm das, Körper! Die einzige Veränderung, die ich langsam in Gang setzte, war mehr sportliche Aktivität. Die MS hatte und hat bisher ja nie wirklich meine Beweglichkeit beeinträchtigt, und so gab es keine gute Ausrede, nun nicht doch mal ein wenig aktiv zu werden. Auch litt ich nicht unter Fatigue, der starken Erschöpfung, die manche Menschen mit MS empfinden. Aber im Großen und Ganzen lebte ich weiterhin auf Kollisionskurs mit meinem Körper, immer mit der bohrenden Angst im Nacken, dass ich eines Tages plötzlich doch im Rollstuhl sitzen würde.

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Im Großen und Ganzen lebte ich weiterhin auf Kollisionskurs mit meinem Körper, immer mit der bohrenden Angst im Nacken, dass ich eines Tages plötzlich doch im Rollstuhl sitzen würde.

Warum die MS mich in dieser Zeit nicht mit einem erneuten Schub in meine Schranken wies? Viel Glück war dabei, denke ich, denn lange wäre es mit diesem Lebensstil wohl nicht gut gegangen. Das erste Mal spürte ich das etwa zwei Jahre, nachdem ich zum ersten Mal eine MS in Aussicht gestellt bekommen hatte. Mittlerweile hatte ich weiteren Menschen von meiner MS erzählt, und alle fragten mich, was meine Symptome seien. „Augenschmerzen und Probleme beim Scharfsehen“, sagte ich dann. Und je öfter ich diesen Satz wiederholte, desto bewusster wurde mir: Das ist zwar äußerst unangenehm, aber ich kann doch wirklich gut damit leben, oder? Mir fiel wie Schuppen von den Augen, dass das, was die Diagnose psychisch mit mir angestellt hatte, das eigentliche Problem geworden war: die ständige nagende Angst. Die Ungewissheit, wann nun das nächste schlimme Symptom auftreten würde. Und der feste, bittere Glaube daran, dass ich ganz bestimmt wahnsinnig großes Pech und den schwersten MS-Verlauf überhaupt haben würde.

Wie ein Knoten löste sich in meiner Brust langsam auf, was sich in zwei Jahren angestaut hatte. Ich spürte, wie meine Tage wieder heller wurden, wie ich langsam, aber sicher aus dem dunklen Loch hervorkam, in das man mich mit der Diagnose gestoßen hatte. Ich begann, meine sozialen Kontakte wieder mehr zu pflegen, und öffnete mich immer mehr Menschen: Ja, ich habe MS. Und ja, ich kann damit gut leben.

Raus aus dem Netz aus Lügen

Je besser es mir ging, desto weniger nahm ich die MS als Bedrohung wahr. Ich überlegte: Was, wenn ich versuche, einfach die Seiten an der Krankheit irgendwie schätzen zu lernen, die mir guttun? Hatte mein Arzt nicht gesagt, es wäre wichtig, Stress zu vermeiden und sich z. B. wirklich krankschreiben zu lassen, wenn man krank ist? Das war mir davor nie in den Sinn gekommen. Er sagte auch, es sei wichtig, sich Termine so zu legen, dass man nicht von einem zum anderen hetzen müsse. Auch das klang logisch, aber an mir selbst ausprobiert hatte ich diese Tipps noch nie. Selbstfürsorge? Dieses Wort war ein Fremdwort für mich. Ich begann zögerlich, etwas netter zu meinem Nervensystem zu sein. Mich mehr zu trauen. Auch mal Nein zu sagen. Und die Ergebnisse waren verblüffend: Weder wurde ich entlassen noch verlor ich alle meine Freunde noch ging die Welt unter. Die drehte sich gemächlich weiter, während ich die ersten Lichtstrahlen am Ende des dunklen Tunnels sehen konnte. Ist es also doch möglich, mit MS aktiv zu leben? Ja sogar glücklich zu sein, auch wenn man MS hat?

Ich wollte nicht mehr nur Fragen stellen und nach Antworten suchen. Ich wollte Austausch und ich wollte gehört werden. Plötzlich erschien mir das Netz aus Lügen, das ich gesponnen hatte, um nichts von meinem „schrecklichen Geheimnis“ zu verraten, wie eine Ganzkörperfessel. Ich musste da raus. Ich wollte etwas bewegen, mir Luft machen. Und vor allem wollte ich eines: Menschen dort abholen, wo ich vor zwei Jahren gestanden hatte: allein, verängstigt, endlos verunsichert. Und mir wurde klar: Ich würde einen Blog über Multiple Sklerose schreiben. Einen ehrlichen Blog. Auf dem Sorgen und Ängste genauso viel Platz bekämen wie wunderbare Erkenntnisse, Träume und Selbstliebe. Ich wollte den Blog schreiben, den ich selbst gebraucht hätte. Einen positiven MS-Blog.

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Meine Abende sahen nun anders aus: Statt mit Freunden durch die Bars zu ziehen, saß ich mit Laptop und Buch am Schreibtisch, um mir beizubringen, wie man einen Blog aufbaut. Wie man eine Website aufsetzt, Marketing betreibt. Wie einen Leute überhaupt finden, da draußen im großen Meer des WWW. Ich wollte gefunden und gelesen werden, mehr als alles andere. Und so war es mir egal, dass ich neben meiner 40-Stunden-Woche nun auch noch jeden Abend investieren musste, um zu lernen. Ich wusste, wofür ich es tat, und mein Körper sah es mir zum Glück nach.

Auch keimte zur etwa gleichen Zeit eine Idee, die mich schon seit vielen Jahren begleitet hatte: Ich wollte eine Weltreise machen. Einfach losreisen, den Rucksack auf dem Rücken. Sehen, wo das Leben mich hintreibt. Fühlen, sein, lernen, Fehler machen – und daran wachsen. Diesen Wunsch hatte ich immer aufgeschoben: Erst mal das Abi, erst mal die Ausbildung, erst mal die Karriereleiter hochklettern. Ich hatte immer so gelebt, als hätte ich endlos Zeit, als wäre meine Gesundheit garantiert und als käme ich schon noch dazu, all das, was mich so begeisterte, irgendwann zu machen. Doch plötzlich gab es kein „irgendwann mal“ mehr. Es war, als hätte die MS mich aufgeweckt. Als hätte sie mir das Hirn entbrezelt und mir gezeigt: Jetzt ist dein Leben. Mach jetzt etwas draus. Du bekommt all die Tage und Jahre, die du mit etwas verbringst, das du nicht liebst, nie mehr zurück. Das Leben ist kurz.

Ich setze alles auf eine Karte

Plötzlich wusste ich, was ich tun würde: Ich würde einen richtig guten MS-Blog schreiben und mit diesem Blog auf Weltreise gehen. Ich würde von überall auf der Welt aus als Texterin arbeiten, würde ab und an mal eine Kooperation mit dem Blog durchführen und damit zusätzlich Geld verdienen. Und so legte ich los. Lernte, arbeitete, arbeitete noch mehr und sparte, so viel ich nur konnte. Und im Januar 2017 war es dann soweit: Mein Blog chronisch fabelhaft ging online. Von null auf hundert. Vom Versteckspiel hin zu kompletter, schonungsloser, nackter Ehrlichkeit. Hier, das bin ich! Und ich bin trotzdem okay, liebenswert, attraktiv und lustig! Ich bin immer noch ich, auch wenn ich nun ein Extragepäckstück durchs Leben tragen muss. Ich bin okay. Ich habe MS – und trotzdem bin ich okay.

Die Reaktionen warfen mich fast um: Ich bekam so viel wunderbares, positives, bestärkendes Feedback aus meinem Umfeld. Viele schrieben mich an: Sie kennen auch jemanden mit MS! Es sei klasse, was ich da tue. Ich fühlte mich bestärkt. Ich hatte eine Nische gefunden, in der es noch so viel Bedarf gab – und immer noch gibt: an Aufklärung. An guten Informationen. An differenzierten Meinungen, um sich daraus eine eigene bilden zu können. Der Blog wuchs in den nächsten Monaten stetig, immer mehr Menschen lasen ihn. Ich merkte: Er ist gut. Das hilft den Menschen, und es hilft mir. Ich selbst hatte über dieses Ventil, das Schreiben, die Möglichkeit gefunden, mir Luft zu machen, wenn doch mal wieder MS-Symptome auftraten, so wie es im April 2017 der Fall war. In diesem Monat kündigte ich meinen Job und setzte alles auf eine Karte: Weltreise und Blog.

Und dann passierte es: Der nächste Schub, mein bisher größter. Meine linke Körperhälfte wurde schleichend gefühlloser, so, als steckte ich mit dem halben Rumpf, mit Arm und Bein in einem Gummianzug. Die Kündigung war bereits eingereicht, und nun das? Doch ich biss die Zähne zusammen. Ich holte mir Mut bei den Menschen, die meinen Blog lasen, bei meinen Freunden und meiner Familie. Der Schub hinterließ das erste Mal bleibende Folgen, und auch heute spüre ich noch manchmal in meinen Gliedmaßen einen Nachklang der Taubheit. An die Zeit im Krankenhaus schloss sich eine harte Zeit an, in der ein zäher, über Wochen nicht enden wollender Schwindel dazukam. Doch ich glaubte an mich. Die andere Option wäre gewesen aufzugeben, und das kam nicht in Frage. Ich wollte jetzt leben, jetzt frei sein. Mich finden, mich kennenlernen. Vielleicht auch meine MS kennenlernen, nun, wo sie schon mal da war und mir mein Leben lang bleiben würde. Der Schub hatte mir eines so deutlich wie noch nie gemacht: Ich würde nicht nur spontan und planlos weiterleben können und dabei meine Gesundheit dem Zufall überlassen. Ich würde lernen müssen, mir selbst gegenüber Verantwortung zu übernehmen.

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Ich wollte nicht mehr mit meinem Glück spielen, das ich mit meiner leichten Verlaufsform bis zu diesem Zeitpunkt gehabt hatte. Ich wollte aktiv etwas dafür tun, so gut, so glücklich wie nur möglich leben zu können. Ich begann Sport zu treiben, gab das Rauchen auf, stellte meine Ernährung um – alles langsam und nach und nach, aber aktiv. Denn ich hatte eine Entscheidung getroffen, und wenn ich eines gelernt habe, dann das: Es liegt unendlich viel Kraft darin, Entscheidungen zu treffen. Wenn wir uns aktiv für etwas entscheiden, anstatt uns treiben zu lassen und von einer Situation in die nächste zu schlittern, dann sind wir imstande, außerordentlich große Kräfte freizusetzen.

Und heute?

Ich bin gerade von einer zweijährigen Weltreise zurückgekehrt. In dieser Zeit bin ich 600 km auf dem Jakobsweg gepilgert, habe vier Kontinente bereist, zwei, jetzt drei Bücher geschrieben und mir das eine oder andere blaue Auge abgeholt. chronisch fabelhaft ist mittlerweile einer der größten und erfolgreichsten MS-Blogs im deutschsprachigen Raum. Meine MS hat sich seit dem Schub im Mai 2017 zwar noch ab und an gemeldet, aber einen erneuten Schub hatte ich glücklicherweise nicht. Auch weil ich mich nicht nur auf mein Glück verlassen habe. Ich habe Methoden entwickelt, um so viel wie möglich dafür zu tun, dass es mir so gut wie möglich geht. Ich habe wahnsinnig viel an mir selbst und mit meinem Umfeld gearbeitet, um an diesen Punkt zu gelangen. Dafür hat es einige Jahre gebraucht und auch einige Rückschläge, doch sie waren es wert. Wir lernen nur aus Fehlern. Wir wachsen nur an Hürden.

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Ich möchte dir helfen, einen Umgang mit dieser Angst, mit dieser Unsicherheit zu finden.

In diesem Buch möchte ich dir die Techniken, Informationen und Gedanken mit auf den Weg geben, die ich mir in diesen Jahren angeeignet habe. Einige werden für dich funktionieren, andere nicht. Manches wird dich überraschen, manches vielleicht auch ärgern oder ängstigen – das ist okay. MS ist beängstigend. Ich möchte dir helfen, einen Umgang mit dieser Angst, mit dieser Unsicherheit zu finden. Ich möchte Fragen beantworten und auch aufwerfen, damit du sie dir selbst beantworten kannst.

Nimm für dich mit, was dir hilft. Du schaffst es. Du hast eine Entscheidung getroffen: Du hast dieses Buch gekauft. Damit bist du den ersten Schritt gegangen. Danke für dein Vertrauen und dein Interesse. Gehen wir es an!

Zunächst ein Schock: Die Diagnose MS

Erste Anzeichen einer MS

Fast jeden Menschen trifft die Diagnose MS vollkommen unvorbereitet. Meistens führen Symptome, die man selbst oder der Arzt zuerst ganz anders einordnen, dazu, dass man einen Spezialisten aufsucht – etwa einen Neurologen. Die Erstsymptome können sehr unterschiedlich sein, was die Diagnosestellung so kompliziert macht und oft eine monate-, manchmal sogar jahrelange Suche nach Antworten erfordert.

Eine „klassische“ Erstmanifestation ist eine Sehnerventzündung, medizinisch Optikusneuritis genannt. Auch Taubheitsgefühle und sich anders äußernde Empfindungsstörungen sind oft die ersten Symptome einer MS. Diffuse Schmerzen, die blitzartig den Körper durchzucken, Spastiken, Inkontinenz und Schwindel können u. a. ebenfalls Symptome darstellen. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass eine MS-Diagnose natürlich nicht nur aufgrund eines oder auch mehrerer dieser Symptome gestellt wird. Sie sind häufig aber die Gründe, warum man überhaupt zum Arzt geht. Es sind Beschwerden, die den Alltag beeinträchtigen und mit denen der Körper einem signalisiert, dass etwas „nicht stimmt“. Kaum einer rechnet mit einer so gravierenden Diagnose wie der MS, und umso wichtiger ist es zu verstehen, welche Untersuchungen durchgeführt werden müssen, um eine solche Diagnose richtig zu stellen.

Neurologische Untersuchungen

Die Diagnose MS wird üblicherweise entweder vom Neurologen oder im Krankenhaus gestellt. Dazu werden neurologische Untersuchungen durchgeführt.

Vibrations- und Reflextests Hier testet der Arzt z. B. mit einer angeschlagenen Stimmgabel an den Füßen, ob auf beiden Seiten die Vibration gleich stark und gleich lang wahrgenommen wird. Er testet die Bauchhautreflexe, du wirst eventuell gebeten, auf einer Linie zu gehen, zu hüpfen oder das Gesicht zu verziehen. Diesen Untersuchungen schließt sich der „Schachbrettmuster-Test“ an, fachsprachlich VEP (für „visuell evozierte Potenziale“). Bei diesem Test blickst du auf ein sich bewegendes Schachbrettmuster auf einem Bildschirm. Über Elektroden an der Kopfhaut wird die Leitfähigkeit der Sehnerven gemessen. Dieser Test ist ein wenig anstrengend für die Augen, aber – wie die anderen neurologischen Untersuchungen auch – schmerzfrei. Auch ein EEG, ein Elektroenzephalogramm, wird meist angefertigt, das wie die anderen Tests zu den Standarduntersuchungen im Bereich der Neurologie gehört.

Liquordiagnostik Eine Liquordiagnostik, auch Lumbalpunktion genannt, ist ebenfalls Teil der Standardprozedur. Hierbei wird mit einer feinen Nadel Nervenwasser aus dem Rückenmark entnommen, das dann auf Entzündungsmarker getestet wird. Diese Untersuchung kann etwas schmerzhaft und unbequem sein – sie muss allerdings in der Regel nur einmal durchgeführt werden.

MRT Andere Untersuchungen werden häufiger durchgeführt, etwa das MRT, das ebenfalls zur Diagnostik gehört. Die Magnetresonanztomografie ist eine radiologische Untersuchung, bei der du liegend in eine Röhre, den Kernspintomografen, gefahren wirst. Meist trägt man dabei Kopfhörer, denn es kann ganz schön laut werden da drin! MRT-Untersuchungen dauern je nach Gerät unterschiedlich lange: zwischen wenigen Minuten und zwei Stunden. Je nach Bedarf wird dabei ein sogenanntes Kontrastmittel intravenös verabreicht, das dabei hilft, akute Entzündungen im Nervensystem zu erkennen. Nach der Stellung einer MS-Diagnose wird in der Regel, auch wenn keine neuen Symptome auftreten, einmal im Jahr ein Kontroll-MRT angefertigt.

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Die Diagnose MS stellt dein Arzt nach diesen Untersuchungen mithilfe der sogenannten McDonald-Kriterien. Das sind internationale medizinische Richtlinien, nach denen Multiple Sklerose diagnostiziert wird. Sie hilft dem Arzt dabei, die Entscheidung zu treffen, denn manchmal können die Ergebnisse nicht ganz eindeutig sein. Es kann auch sein, dass du noch keine feste Diagnose bekommst. Ein „KIS“, ein „klinisch isoliertes Syndrom“, wird bei denjenigen diagnostiziert, bei denen die Parameter für eine MS-Diagnose zu undeutlich sind oder gewisse Kriterien fehlen. Meist wird die Diagnose in diesem Fall nach einem zweiten Schub innerhalb einer gewissen zeitlichen Frist gestellt, manche Menschen leben aber auch ihr Leben lang mit der Diagnose KIS und es entwickelt sich nie eine MS daraus.

Zusätzlich zu diesen Untersuchungen kann dein Arzt je nach deinen Symptomen auch verschiedene andere Tests anordnen. Es kann anstrengend sein, von einem Spezialisten zum anderen zu laufen, um dort dieses und jenes testen zu lassen. Hier kannst du dich an deine Krankenkasse wenden, die dir dabei helfen kann, Termine bei entsprechenden Ärzten zu bekommen. Wenn du stationär im Krankenhaus bist, wird man dort vor Ort alle nötigen Tests durchführen, was deutlich angenehmer und weniger stressig sein kann.

Das Gedankenkarussell

Und dann stehen plötzlich diese zwei Buchstaben im Raum: MS, Multiple Sklerose. Ein Gefühl, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen – so beschreiben die meisten Menschen diesen Moment. Man fällt und fällt – und fragt sich, wie man das je im Leben schaffen soll: Leben mit einer chronischen, unheilbaren Krankheit. Das hatten wohl die wenigsten auf ihrer Bucket- List.

Ärzte rauschen durch die Tür hinein, erzählen dir dieses und jenes, reden über Therapien und wie gut man mit MS heutzutage leben kann. Dann rauschen sie wieder hinaus, vielleicht drücken sie dir noch einen Schwung bunter Hefte in die Hand, die Namen tragen wie: „Familienplanung mit MS? Ja, aber sicher!“ oder „Sportlich und aktiv bleiben mit Multipler Sklerose“. Tausend Fragen schwirren durch deinen Kopf. Ein dumpfe Angst macht sich breit: Werde ich nun ein Pflegefall? Warum kann mir keiner sagen, wie es nun weitergeht?

Eine der Eigenschaften der MS, die vielen Menschen am meisten zusetzt, ist, dass ihre Entwicklung im Großen und Ganzen unvorhersehbar ist. Kaum ein Neurologe wird dir eine genaue Prognose geben wollen, denn dafür ist die MS bei jedem Menschen einfach zu verschieden. Es wird keinen Verlauf geben, der deinem gleicht. Es gibt keinen Menschen mit MS, dem es gesundheitlich genauso geht wie dir. So wie bei Menschen ohne chronische Krankheit ja auch! Ein zuversichtliches, glückliches Leben mit dieser Unsicherheit ist definitiv möglich, aber ich werde dir im Laufe dieses Buches die Werkzeuge an die Hand geben, die du brauchst, um gut mit der Diagnose leben zu können.

Doch erst mal verschlingt einen die Unsicherheit. Oftmals fühlt man sich auch alleine. Die Ärzte haben keine Zeit für ausführliche Erklärungen. Man bekommt mitunter das Gefühl, nur die Nummer auf einer Akte zu sein. So sehr es schmerzt: Nimm dieses Verhalten nicht persönlich. Du bist einzigartig und wichtig, und es gibt zahlreiche Wege, auf denen du dich austauschen kannst. Der eigene Neurologe ist hier oft der bessere Gesprächspartner, vor allem wenn es rund um die psychischen Belastungen geht, die mit einer solchen Diagnose verständlicherweise einhergehen.

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Es kann auch helfen, dich den Menschen in deinem Umfeld anzuvertrauen. Dein Partner, deine Partnerin, beste Freunde, deine Eltern können dir beistehen. Oftmals werden sie Fragen an dich haben, die du auch nicht beantworten kannst. Sie werden das tun, was du auch tun wirst: Suchmaschinen durchforsten, um zu verstehen, was mit dir vorgeht. Diese überstürzte Suche nach Lösungen, nach Antworten, ist eine ganz natürliche Reaktion. Dass es für ein „Problem“ keine „schnelle Lösung“ gibt, ist heutzutage sehr selten geworden. Aber MS ist anders – sie lässt sich nicht über Nacht verstehen oder verarbeiten. Kein Life-Hack wird dir dabei helfen, von einem Tag auf den anderen wieder genauso zu sein wie vorher. Und das ist der größte Wunsch: Ich möchte einfach nur so sein wie vorher! Auch ich hegte diesen Wunsch sehr lange. Mach dir aber bewusst, dass die MS auch eine Chance sein kann. Auch wenn das jetzt noch sehr weit hergeholt klingen mag: Ein solcher Schicksalsschlag birgt auch immer das Potenzial für Wachstum. Damit kannst und musst du nicht sofort anfangen, also überstürze es nicht. Aber wisse, dass es einen Weg gibt, den du einschlagen kannst, wenn du dazu bereit bist.

Es ist in dieser Zeit auch wichtig, trauern zu dürfen. Um die eigene Gesundheit. Es ist tröstend, tiefes Mitgefühl für sich zu empfinden. Auch Wut ist ganz normal – gegenüber sich selbst, den Ärzten, vielleicht auch den Angehörigen. In dieser Zeit durchlaufen wir alle Emotionen, alle Gefühlszustände. Das ist unglaublich wichtig, denn nur wer trauert, kann irgendwann einen Weg finden, mit der Krankheit umzugehen. Verdrängen oder Herunterspielen der Krankheit mögen auch vorkommen. Das Verdrängen kann sogar über viele Jahre nach der Diagnosestellung anhalten. Erlaubt ist in diesem Moment, was dir guttut. Weine, schrei, schreib deine Gedanken auf, zerreiß sie wieder. Du wirst vielleicht sehr intensiv träumen oder dich matt und abgeschlagen fühlen. Viele berichten auch davon, dass sie die Tage nach der Diagnosestellung wie in einer Art Trance verbrachten, als wären sie Schauspieler in einem Film und das alle passierte nicht in Wirklichkeit. Auch dieses Verhalten dient deinem Schutz und sollte erst einmal nicht abgewählt werden.

Achte in diesen Tagen darauf, dass es dir an nichts fehlt, um dich körperlich und seelisch so gut wie eben möglich zu fühlen. Höre Hörbücher, trage Stoffe, die sich angenehm anfühlen. Iss, worauf du Lust hast – am besten frisches Essen aus hochwertigen Zutaten. Schlaf so viel du möchtest, lass dein Telefon klingeln, wenn du gerade keine Lust zu sprechen hast. Gerade bist nur du wichtig, und Menschen, die dich lieben, werden das verstehen. Sei gut zu dir und hab Nachsicht und Geduld.

Im Krankenhaus

Man kann sich etwas Schöneres vorstellen als einen stationären Krankenhausaufenthalt, aber wenn es eben sein muss, sollte man das Beste daraus machen. Ich finde sogar, dass ich im Krankenhaus manchmal ganz gut aufgehoben bin, weil ich zu Hause keine wirkliche Ruhe finde, um krank zu sein. Es kann also durchaus eine gute Entscheidung sein, wegen MS ins Krankenhaus zu gehen, wenn gerade ein neuer Schub ins Haus steht. Oft kommt ein MS-Schub ja nicht urplötzlich, sondern kündigt sich an, du kannst deinen Aufenthalt meist also gut planen.

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Oft kommt ein MS-Schub nicht urplötzlich, sondern kündigt sich an, du kannst deinen Aufenthalt meist also gut planen.

Wie kannst du dir deine Zeit dort also so angenehm wie möglich gestalten? Hier folgen zehn Dinge, die dir das Leben dort leichter machen.

1. Selbstversorgung Das mag anstrengend klingen, aber wenn man wegen MS im Krankenhaus liegt, tut „Soulfood“ am besten.

Wir wollen uns mit Essen trösten. Aber in dem Moment nach Chicken Nuggets, Fertigschokopudding und Chips zu greifen, ist eine ziemlich schlechte Idee, weil all diese Dinge verschiedenste giftige Stoffe enthalten, die du deinem Körper vor allem in dieser Situation, wenn er ohnehin durch Kortison geschwächt ist, nicht zumuten solltest. Verzichte also am besten auf das Krankenhausessen (allein ein Blick auf die Zutatenliste verdirbt mir den Appetit: Zucker, Zusatzstoffe, Verdickungsmittel, Konservierungsstoffe …) und lass dir von deinem Besuch saisonales Bio-Obst und -Gemüse mitbringen. Ich selbst reite nicht selten mit einem großen Beutel voll mit guter Nahrung im Krankenhaus ein. Es gibt fast immer einen Kühlschrank auf Station, in dem du deine Sachen lagern kannst, und Obst und Gemüse kannst du auch in einem Obstkorb im Zimmer aufbewahren.

2. Ohrstöpsel Schlafen im Vierbettzimmer? Meistens so gut wie unmöglich. Es ist faszinierend – und tierisch anstrengend, was für Geräusche manche schlafende Menschen so produzieren. An Schlaf ist da oft nicht zu denken. Deswegen mein Ratschlag: Nimm Ohrstöpsel aus Wachs oder Silikon, die du deinem Gehörgang anpassen kannst und die dicht genug sind, um dich wirklich vor den Geräuschen deiner Mitmenschen abzuschirmen. Sie taugen übrigens auch herrlich, wenn deine Zimmergenossen lautstarken Besuch bekommen und du einfach nur lesen oder ruhen möchtest. Du bekommst sie in jedem Drogeriemarkt.

3. Kopfhörer Natürlich willst du auch mal fernsehen, wenn du im Krankenhaus liegst. Oder du willst ein Hörbuch hören oder, oder, oder … denk also dran, deine Kopfhörer mitzunehmen! Meist bleibt sonst nur die Option, sie für teures Geld direkt im Krankenhaus zu kaufen.

4. Zeitschriften Wenn ich im Krankenhaus bin und Kortison bekomme, bin ich immer so durch den Wind, dass meine Aufmerksamkeitsspanne eher kurz ist. Mich da wirklich in ein Buch zu vertiefen, ist meistens keine Option. Was aber geht: Zeitschriften! Das beste Zeitschriftensortiment gibt es meistens am Bahnhof. Schick ruhig mal deinen nächsten Besuch vorher dort vorbei und gib ihm deine Wunschliste mit.

5. Tigerbalsam Tigerbalsam kann einen in vielerlei Hinsicht retten, z. B.:

Gegen unangenehme Gerüche: Einfach etwas Tigerbalsam in ein Taschentuch geben und unter die Nase halten.

Wenn die Gelenke und der Nacken vom vielen Herumliegen schmerzen, massiere die entsprechende Stelle damit.

Hilft auch bei trockenen Lippen oder verstopfter Schnupfennase.

Tigerbalsam bekommst du in der Apotheke, in der Drogerie oder online.

6. Schlafmaske Manche Menschen können den ganzen Tag schlafen, andere haben große Probleme damit. Gerade wenn es hell ist, finde ich oft keine Ruhe – auch, wenn ich eigentlich todmüde bin. Deswegen gehört bei mir eine Schlafmaske im Krankenhaus auf jeden Fall dazu – in Kombination mit einem Kopfhörer die ideale Entspannung.

7. Gesunde Snacks Ein bisschen Naschen muss sein. Neben frischem Obst und Gemüse bieten sich hier Snacks an, die tatsächlich gesund sind und deinen Organismus nicht noch zusätzlich mit Chemie und Giften belasten, z. B. getrocknete Apfelringe, Gemüsechips oder Bio-Studentenfutter. Decke dich mit einem Vorrat ein oder lass dir von deinem Besuch Snacks mitbringen.

8. Thermoskanne Oft trinkt man im Krankenhaus nicht genug, und die winzigen Teetässchen im Krankenhaus sind meist schon nach zwei Schlucken leer. Deswegen bietet es sich an, eine eigene Teekanne mitzunehmen, im Idealfall eine isolierte, damit dein Tee auch länger warm bleibt. Achte darauf, dass die Thermoskanne von guter Qualität und frei von Schadstoffen ist. Besorge dir dazu ein oder zwei leckere Bio-Teesorten, die dir richtig gut schmecken. Wenn du den Tee süßen willst, nimm keinen Haushaltszucker, sondern versuche es mit Honig, Agavendicksaft oder Stevia aus dem Bioladen.

9. Kokosöl Meine Geheimwaffe für so ziemlich alles, was mit Körperpflege zu tun hat. Kokosöl ist vielseitig, riecht gut, ist ein Naturprodukt und ersetzt eine ganze Reihe von Pflegeprodukten:

Du kannst dir mit Kokosöl die Zähne putzen (tatsächlich!).

Es macht trockene Haarspitzen schnell wieder weich.

Raue, rissige Hautstellen, z. B. an den Ellbogen, werden schnell wieder geschmeidig.

Es eignet sich als reichhaltige Bodylotion und Gesichtscreme, wenn du extrem trockene Haut hast.

Du kannst dir selbst damit eine kleine Massage geben, wenn du unter Krämpfen oder Druckschmerzen leidest.

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10. Notizheft Du kennst das vielleicht: Dir spuken den ganzen Tag tausend Fragen, die du dem Oberarzt stellen willst, im Kopf herum, und wenn endlich der so lang ersehnte Mensch im weißen Kittel vor dir steht, ist dein Hirn plötzlich wie leer gefegt. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern auch frustrierend. Abhilfe schafft hier ein kleines Notizheft: Immer wenn dir eine Frage einfällt oder du dir ein weiteres Symptom nicht erklären kannst: rein damit ins Buch.

Du kannst auch während der Visite Stichpunkte machen, da man oft schnell wieder vergisst, was der Arzt gesagt hat. Das muss dir übrigens auch nicht unangenehm sein: Viele Ärzte schätzen es sogar, wenn sie nicht alle doppelt und dreifach erwähnen müssen. Und dann finden natürlich auch andere Gedanken und Ideen in deinem Notizbuch Platz: Ängste, Sorgen oder Wünsche. Es tut gut, dir von der Seele zu schreiben, was dich belastet.

Zehn Dos und Don’ts direkt nach der Diagnose

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Was ist Multiple Sklerose?

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Multiple Sklerose ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems.

Multiple Sklerose – oft mit den Buchstaben MS abgekürzt – ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, kurz ZNS. Sie ist eine Autoimmunerkrankung, eine Fehlsteuerung des Immunsystems. Dieses richtet sich dabei gegen den eigenen Körper bzw. körpereigene Zellen und zerstört diese.

Unsere Nerven im Gehirn und Rückenmark können von dieser Zerstörung betroffen sein. Alle Nerven sind umhüllt mit einer schützenden Zellschicht, den Myelinscheiden. Das durch die MS fehlgeleitete Immunsystem greift diese Schutzschicht an und zerstört sie. Dadurch können an den betroffenen Nervenbahnen Entzündungen entstehen. Diese Entzündungen können mehrfach (multipel) und überall im ZNS auftreten. Nach dem Abklingen der Entzündung bleibt Narbengewebe zurück (Sklerosen). Diese werden im MRT als weiße Stellen im Gehirn und Rückenmark sichtbar, man nennt sie Läsionen. Während dieser Entzündungen, die sich Schub nennen, können vielfältige Störungen auftreten. Da jeder Nerv betroffen sein kann, sind die Symptome so mannigfaltig und unterschiedlich, dass es nicht immer leichtfällt, ein Symptom auf eine neue Aktivität der MS, also einen neuen MS-Schub zurückzuführen. Durch Stress und andere Einflüsse wie Temperaturunterschiede oder Hormonschwankungen können alte Läsionen auch erneut Symptome hervorrufen, ohne dass ein akuter Schub besteht.

Die in einem Schub entstandenen Symptome können sich teilweise vollständig zurückbilden, was vor allem zu Beginn der Krankheit und bei leichteren Verläufen der Fall ist. Andere Symptome hinterlassen bleibende Schäden und Störungen, mit denen man dann lernen muss, im Alltag umzugehen. Manchmal entwickeln sich Symptome, die in einem Schub entstanden sind, auch nur sehr langsam zurück. Dieser Prozess kann über Monate hinweg andauern.

Multiple Sklerose trifft Frauen aus ungeklärten Gründen häufiger als Männer, wobei Männer eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, an PPMS, also der von Anfang an fortschreitenden (progredienten) Verlaufsform zu erkranken. Üblicherweise wird die Diagnose zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr gestellt, es gibt aber auch Kinder und Jugendliche mit MS sowie Menschen, die die Diagnose erst in der zweiten Lebenshälfte erhalten.

Die Verlaufsformen der MS

Es gibt drei Verlaufsformen, die bei der Multiplen Sklerose unterschieden werden.

Schubförmig-remittierende MS (RRMS)

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Ein Schub im Rahmen der RRMS wird klassischerweise mit der intravenösen oder oralen Gabe von Kortison behandelt.

Bei der schubförmig-remittierenden MS, die zu Anfang etwa 85 % der MS-Diagnosen ausmacht, treten oben beschriebene Schübe auf. Von einem Schub spricht man, wenn ein neues Symptom auftritt und für mindestens 24 Stunden anhält oder wenn sich ein bereits bestehendes Symptom deutlich verschlechtert und diese Verschlechterung über 48 Stunden anhält. Ein erneuter Schub muss immer vom behandelnden Arzt festgestellt werden und als ein solcher objektiv einzuordnen sein. Ein Schub kann mehrere Tage andauern, manchmal auch Wochen. Er wird klassischerweise mit der intravenösen oder oralen Gabe von Kortison behandelt. Zwischen den Schüben können mehrere Woche, Monate und sogar Jahre liegen.

Sekundär-progrediente MS (SPMS)

Rund die Hälfte der Menschen mit einer RRMS entwickeln nach etwa zehn Jahren eine sekundär-progrediente MS. Bei dieser Verlaufsform stehen anfangs Schübe im Rahmen der RRMS, nach dem Übergang in die SPMS bilden Symptome sich nicht mehr zurück, es beginnt eine schleichende Verschlechterung des Gesundheitszustands und der körperlichen Fähigkeiten.

Primär-progrediente MS (PPMS)

Etwa 15 % der Menschen mit MS erkranken an der primär-progredienten Verlaufsform der Krankheit. Hierbei zeigen sich keine Schübe und keine „Ruhephasen“ zwischen den Entzündungsvorgängen im ZNS. Es kommt zu einer fortschreitenden Verschlechterung. Häufig sind Menschen von dieser Form der MS betroffen, die zu einem späten Zeitpunkt in ihrem Leben die MS-Diagnose erhalten. Gangstörungen und die Notwendigkeit eines Rollstuhls sind typisch für diese Verlaufsform (aber sicher nicht für alle Formen der MS).

Auch das sogenannte „klinisch isolierte Syndrom“, das ich bereits beschrieben habe, sei hier erwähnt. Es wird diagnostiziert, wenn eine zeitliche und räumliche Streuung der Läsionen und MS-typischen Symptome nicht für die Stellung einer Diagnose anhand der McDonald-Kriterien ausreicht. Oftmals stellt das KIS eine Vorstufe der MS da, doch es ist nicht zwingend der Fall, dass weitere Aktivitäten stattfinden, die zur Diagnosestellung einer MS führen.

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Typische MS-Symptome

Die Krankheit mit den tausend Gesichtern – und wohl ebenso vielen Symptomen. Ein MS-Symptom kann vieles sein, und nicht selten stehen sowohl Ärzte als auch Patienten vor dem Rätsel: Ist es ein neuer Schub? Oder doch etwas ganz anderes? Auch die Vorstellung bei anderen (Fach-)Ärzten kann nötig sein, um die Eindeutigkeit einer als MS-Symptom eingeordneten Empfindung abzuklären. Ich möchte hier auf die häufigsten MS-Symptome eingehen. Bedenke dabei, dass diese Symptome nicht bei allen Menschen auftreten. Einige wirst du vielleicht nie haben, manche Symptome, die du im Rahmen deiner MS verspürst, werden in dieser Liste fehlen. Sie erhebt deswegen keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient lediglich der Orientierung und Einordnung.

Sehnerventzündung und Augenprobleme

Viele Multiple Sklerosen manifestieren sich das erste Mal mit einer Sehnerventzündung oder einer Verschlechterung der Sicht. Das Sehen von Doppelbildern, Schmerzen in den Augenhöhlen, Kopfschmerzen und das Gefühl, „durch einen Schleier zu sehen“, können hierbei auftreten. Zeitweise kann auch eine Erblindung vorkommen – manchmal auf einem oder auch auf beiden Augen. Diese Erblindung ist äußerst beunruhigend, jedoch selten permanent. Mit dem Fortschreiten der Krankheit und mehrfach auftretenden Sehnerventzündungen kann die Sehfähigkeit mit der Zeit abnehmen. Regelmäßige Untersuchungen helfen, dies frühzeitig zu erkennen.

Empfindungsstörungen: Taubheit, Kribbeln und „Ameisenlaufen“

Viele Menschen mit MS berichten – oft auch als Erstmanifestation der Krankheit – von Missempfindungen, die häufig in den Extremitäten auftreten, also in den Händen, Armen und Beinen. Meist beginnt das Symptom dabei lokal, z. B. im Fuß, und breitet sich dann innerhalb einiger Stunden oder Tage weiter aus. Die Gefühle werden unterschiedlich beschrieben. Oftmals wird von einer Taubheit berichtet, die unterschiedlich stark sein kann: Von dem Gefühl, „in Watte gepackt“ zu sein, bis zu tatsächlicher vollkommener Gefühllosigkeit. Auch ein Kribbeln, ein Gefühl elektrischer Impulse oder das „Ameisenlaufen“ sind typisch. Dabei hat man ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Kribbeln in den Extremitäten, das sich anfühlt, als würden Ameisen darüberkrabbeln. Auch dieses Kribbeln breitet sich häufig nach einiger Zeit aus.

Chronische Erschöpfung und Fatigue

Vor allem nach einigen Jahren mit der Krankheit berichten viele Menschen mit MS von einer bleiernen, schweren Müdigkeit und Erschöpfung. Diese tritt häufig in angespannten Situationen auf und kann den Alltag belasten. Es fällt vielen Betroffenen nicht leicht, eine Fatigue richtig zu deuten und einzuordnen. Auch im Umfeld stößt dieses Symptom manchmal auf wenig Verständnis und bedarf einer gezielten Kommunikation und viel Fingerspitzengefühl bei der Einordnung.

Muskelkrämpfe und Spastiken

Bei einem durch die MS erhöhten Muskeltonus, also einem übermäßigen Spannungszustand der Muskeln, spricht man von einer Spastik. Das sind Verkrampfungen, die von den Betroffenen oft als äußerst schmerzhaft empfunden werden. Sie können auch zu einem Tremor, also einem Zittern, führen. Manchmal treten Spastiken und Verkrampfungen auch als Folge anderer durch die MS ausgelöster Symptome auf, wie einer Verlagerung des Körpergewichts und damit einhergehender Überlastung und Fehlhaltung bestimmter Körperteile.

Schwindel und Störungen des Gleichgewichts

Im Rahmen der MS kann es zu Schwindel und Problemen mit dem Gleichgewicht kommen. Diese Störungen können als akuter Schub auftreten, sich aber auch danach noch bei bestimmten Situationen manifestieren. Betroffene berichten über Probleme, auf einer geraden Linie zu gehen, einem Gefühl, als wäre man betrunken, oder einem Drehschwindel. Da dieses Symptom von der Außenwelt häufig nicht eingeordnet werden kann, ist vielen Menschen mit MS der Schwindel unangenehm, wozu aber kein Grund besteht.

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Im Rahmen der MS kann es zu Schwindel und Problemen mit dem Gleichgewicht kommen. Eine „klassische“ Erstmanifestation ist eine Sehnerventzündung, medizinisch Optikusneuritis genannt.

Blasenstörungen und Inkontinenz

Die Nerven, die die Steuerung der Blasenfunktionen kontrollieren, sind recht häufig von unterschiedlich starken Entzündungen betroffen. Dabei erklärt die Länge dieser Nerven und damit die gebotene „Angriffsfläche“ die Häufung von Blasenstörungen bei MS. Hierzu können Probleme bei der Kontrolle der Schließmuskeln (übrigens gilt das auch für den Stuhlgang) auftreten, es kann daher zu Einnässen kommen und das Tragen von entsprechenden Einlagen erforderlich sein.

Bei anderen ist das Wasserlassen und damit die vollständige Entleerung der Blase erschwert. Verbleibt zu viel Restharn in der Blase, begünstigt das Harnweginfekte und Blasenentzündungen, die mitunter chronisch verlaufen können. Es kann erforderlich sein, einen Katheter zu benutzen, der oft als große Erleichterung im Umgang mit Blasenstörungen empfunden wird.

Sexuelle Funktionsstörungen

Bei Männern kann die Potenz unter der MS leiden, denn auch die für die Erektion zuständigen Nerven können von Entzündungen betroffen sein. Manche Potenzstörungen sind vorübergehend, andere halten sich längerfristig. Auch Frauen können wegen auftretender Gefühlsstörungen im Intimbereich zeitweise oder dauerhaft bei der Lustempfindung eingeschränkt sein. Entsprechende Präparate können Männern helfen, und auch ein anderer Umgang mit der eigenen Lust, den erogenen Zonen des Körpers und ein Hinterfragen der Penetration als wichtigstes Element beim Sex können Wege sein, einen Umgang mit diesem Symptom zu finden.

Kognitive Störungen

Etwa 40 % aller Menschen mit MS erleben im Verlauf ihrer Krankheit kognitive Einschränkungen oder Störungen. Dazu können eine verminderte Konzentrationsfähigkeit, ein eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis, Wortfindungsstörungen oder verlangsamtes Denken zählen. Manche MS-Betroffene berichten auch von dem Gefühl, „in einer Wolke zu leben“ oder von einer Abnahme der Entscheidungsfreudigkeit. Die Ursachen für diese Einschränkungen sind ungeklärt, sie lassen sich nicht immer auf konkrete Entzündungsvorgänge im ZNS zurückführen. Sogenanntes „Gehirnjogging“ und das Erlernen neuer Fähigkeiten hat sich hier als hilfreich erwiesen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842629257
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Chronische Schmerzen Entzündungshemmende Ernährung MS Alternativ-Medizin Ernährungstherapie Meditation

Autor

  • Samira Mousa (Autor:in)

Samira Mousa erhielt mit Anfang zwanzig die Diagnose Multiple Sklerose. Damals brach für sie eine Welt zusammen, doch dann entschied sie, ihr Leben umzukrempeln – und es Stück für Stück zu dem zu machen, das sie führen möchte und das sie jeden Tag erfüllt. Auf ihrem erfolgreichen Blog „Chronisch Fabelhaft“ berichtet sie nicht nur über den Umgang mit der Krankheit und Tipps für eine ausgewogene Ernährung, mehr Entspannung und Bewegung, sondern erzählt auch, was ihr dabei geholfen hat, die MS zu akzeptieren, und warum ein Leben mit Multipler Sklerose auch wunderbar sein kann.
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Titel: Aktiv leben mit Multipler Sklerose