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Fit als Vielsitzer

Die besten Übungen und Alltagstipps für den Schreibtisch und zuhause. 45 Übungen für Kraft und Mobilität.

von Kay Bartrow (Autor:in)
160 Seiten

Zusammenfassung

Wer sitzt, lebt gefährlich

Verspannungen, Dauerschmerzen, Haltungsschäden oder Herz-Kreislauf-Beschwerden: Wer seine Tage überwiegend in sitzender Haltung verbringt, leidet häufig unter den Folgen von Bewegungsmangel. Denn Vielsitzen stellt eine große Belastung für den Körper dar. Der Physiotherapeut und erfolgreiche Ratgeberautor Kay Bartrow zeigt in seinem Buch, wie man einen bewegenden Ausgleich schaffen kann. Dazu liefert er eine Fülle an Informationen, damit seine Leser trotz Dauersitzens fit und beschwerdefrei werden und bleiben. Und das Ganze garantiert alltagstauglich!

Das Trainingsprogramm für Vielsitzer

Von der gesunden Sitzhaltung über den optimalen Arbeitsplatz bis hin zu fünf Übungsreihen, die das Beste aus klassischer Physiotherapie mit Faszien- und Vielseitigkeitsübungen kombinieren – Kay Bartrow zeigt seinen Leserinnen und Lesern, wie sie sich am besten vor den Folgen des Dauersitzens schützen können. Neben den 45 Übungen für mehr Kraft und Mobilität zeigt er, dass eine optimale Sitzhaltung situationsabhängig ist und welche Sitzvarianten man kennen sollte. Auch erklärt er anschaulich, welche positiven Effekte Bewegung hat und warum Dauersitzen krank macht.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

verbringen Sie Ihre Tage überwiegend in sitzender Haltung? Dann sind Sie hier richtig. Eines gleich vorweg: Falsches Sitzen gibt es nicht! Leider auch kein richtiges Sitzen. Denn beim Sitzen ist es wie so oft: Die Dosis macht letztendlich das Gift und entscheidet darüber, ob etwas gut oder schlecht für uns ist. Und leider hängt Ihre körperliche Gesundheit nicht nur von der Dauer Ihres Sitzmarathons, sondern auch von einem vielleicht fehlenden oder nicht ausreichenden bewegenden Ausgleich ab. Den sollten Sie Ihrem Körper im Gegenzug für die bewegungsarme Zeit des Sitzens und Stillhaltens anbieten. Körperliche Gesundheit ist vielschichtig und von mindestens so vielen Faktoren abhängig wie die Anzahl der Gummibärchen, die Sie in Ihrem Leben bisher gegessen haben.

Obwohl Sitzen nicht das Schlechte an sich symbolisiert, vereint es recht viele negative Einflüsse, wenn Sie körperlich gesund bleiben wollen. Welche das im Einzelnen sein können, welche Veränderungen bei Ihnen eventuell bereits im Gange sind und Ihre Gesundheit bedrohen, erfahren Sie in diesem Buch. Und natürlich finden Sie erfolgreiche Strategien gegen die Folgen von Bewegungsverarmung.

Mit den Tipps und Übungen in diesem Buch haben Sie die besten Möglichkeiten, wieder zu einem variantenreichen und ausgleichenden Bewegungsverhalten zu finden und Ihre körperlichen Gesundheitsprobleme auf ganz natürlichem Wege anzugehen.

Mit gesunden Grüßen aus Balingen

Kay Bartrow

WILLKOMMEN IM LAND DER VIELSITZER

Sie fühlen sich nach einem langen Arbeitstag am Schreibtisch wie eingerostet, leiden sogar unter Schmerzen? Anatomisch betrachtet sind wir fürs Liegen, Stehen, Gehen und Sitzen geschaffen. Das Sitzen an und für sich ist nicht das Problem, aber das Dauersitzen. Erfahren Sie mehr, was Dauersitzen anrichtet – und wie Sie in Ihrem Alltag ganz einfach gegenlenken.

Wer zu viel sitzt, lebt gefährlich

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Wir verbringen immer mehr Zeit im Sitzen.

Es brauchte Millionen Jahre der Evolution und Veränderung, bis der Mensch den aufrechten Stand und Gang entwickelt hat … Jetzt sitzen wir wieder. Und zwar zeitlich nicht zu knapp.

In der frühen Menschheitsgeschichte dürften sich Menschen auf einen umgestürzten Baum oder einen passend gelegenen Felsen gesetzt haben. Wann der Mensch erstmals auf einem Stuhl Platz nahm, ist nicht genau dokumentiert. Spekulativ bleibt auch, ob dieser erste Stuhl in einem königlichen Haus als Thron, in klerikalem Zusammenhang in einer Kirche stand, oder ob die Idee von einem Stuhl eher ein Zufallsprodukt war. Alles schön und gut – bis jemand auf die Idee kam, den Stuhl zu Hause aufzustellen und das Sitzen zur Gewohnheit in unserem Alltag werden zu lassen. Fakt ist, dass sich die Zeit, die wir in sitzender Haltung verbringen, in den letzten Jahren kontinuierlich erweitert hat. Was im Zuge der Industrialisierung und vor allem im Zuge der Digitalisierung auch nicht verwundert. Sowohl unsere Arbeitswelt als auch unsere Freizeitgestaltung verändern sich in Richtung mehr und zu langes Sitzen. In unserer Gesellschaft findet ein tief greifender Umbruch statt, der uns zunehmend in eine sitzende Gesellschaft verwandelt, in der immer weniger Zeit für Bewegung bleibt. Als Kinder lernen wir laufen und sprechen – sobald wir in die Schule kommen, lernen wir Hinsitzen und „Klappe- Halten“. Und in den weiteren Lebensabschnitten sieht die Sitz-Bewegungs-Bilanz nicht wirklich besser aus.

DURCHSCHNITTLICHE SITZZEITEN PRO TAG
Kindergartenkinder bis zu 5 Stunden
Schulkinder 8–9 Stunden
Erwachsene 10–14 Stunden
DURCHSCHNITTLICHE FERNSEHZEIT PRO TAG
18–34 Jahre 1–2 Stunden
35–49 Jahre 2–4 Stunden
50–64 Jahre 4–6 Stunden
ab 65 Jahre >5 Stunden
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Durchschnittliche Sitzzeiten im Tagesverlauf

Unsere Anatomie erlaubt uns ein großes Repertoire an Bewegungen und Haltungen: Wir liegen, stehen und wir sitzen. Dabei ist das Sitzen nicht das größte Problem. Es sind die Begleitumstände des Sitzens, die aus dieser einseitigen Haltung ein Problem machen und uns aus dem Gleichgewicht bringen, beispielsweise ein genereller Bewegungsmangel, fehlende alternative Bewegungen und eine zu geringe Bewegungsvarianz. Eine abgedrückte und damit reduzierte Durchblutung, die erzwungene starre Position von Nerven und Bindegewebe und schlicht die immer gleichen Belastungsanforderungen an unsere Gelenke sind potenziell gefährlich für unsere körperliche Gesundheit. Vor allem, weil wir in einem Körper zuhause sind, der primär von Bewegung und deren Auswirkungen abhängig ist. Und wir Menschen sind nun einmal Bewegungstiere.

Ist Bewegung die wichtigste Voraussetzung für gesundes Zellwachstum und Regeneration, sollten wir ein Mindestmaß an täglicher Bewegung einhalten. Nur damit können wir den sogenannten Bewegungsmangelerscheinungen vorbeugen. Bis zu 14 Stunden täglich nahezu regungslos auf einer Sitzgelegenheit zu verharren, erscheint in diesem Zusammenhang eher wenig zielführend zu sein.

Bewegung ist Leben

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Unser Körper ist permanent in Bewegung.

Bewegung steuert alle lebenswichtigen Prozesse in unserem Körper. Von der Durchblutung über die Versorgung der Zellen mit Nährstoffen bis zum Muskelaufbau und der Ernährung von Knochen und Gelenkflächen. All diese Vorgänge finden stets mit dem Ziel statt, unseren Organismus an sich verändernde Bedingungen anzupassen, und sie wären ohne Bewegung nicht machbar. Auch wenn wir scheinbar bewegungslos und ruhig dasitzen, einfach mal stehen bleiben oder uns anlehnen und es absolut nicht danach aussieht, ist unser Körper dennoch in permanenter Bewegung. Jede Form von Haltung, auch konstanter Körperhaltung, ist nichts anderes als eine gehaltene Bewegung. Viele Bereiche unseres Körpers bleiben weiterhin in Bewegung, auch wenn wir eine scheinbar starre Haltung eingenommen haben:

Wir bestehen aus nahezu 100 Billionen Zellen – in Zahlen ausgeschrieben: 100.000.000.000.000.

Die durchschnittliche Länge einer Zelle beträgt 1/40 Millimeter. Alle Zellen hintereinander aufgereiht ergeben 2,5 Millionen km, das entspricht ca. 60 Erdumrundungen. Wenn wir alle Zellen hintereinanderlegen könnten und pro Sekunde eine Zelle angelegt wird, benötigt man für alle Zellen 3.000.000 Jahre.

In jeder Sekunde werden etwa 50 Millionen Zellen abgebaut und neue aufgebaut. Die gesamte Länge dieser Zellen beträgt lediglich 1 km. Hierfür müssen neue Nährstoffe herantransportiert und Abfallstoffe weggeschafft werden. Diese Vorgänge gelingen leichter, effektiver und sicherer mit Bewegung.

In jeder Sekunde werden Millionen Zellen erneuert. In jeder Sekunde laufen in den einzelnen Zellen mehrere Zehntausende chemischer und physikalischer Reaktionen ab.

Die Schleimhaut des Magen-Darm-Traktes wird ungefähr alle fünf Tage ausgetauscht. Alle vier Wochen werden unsere Hautzellen erneuert. Innerhalb von drei bis vier Monaten sind die Knochenbestandteile ersetzt.

Unser Körper ist in einzigartiger Weise kontinuierlichen Bewegungen ausgesetzt. Deren feine Abstimmungen sorgen für die Zusammenarbeit aller Körpersysteme. Die Bewegungen des Körpers helfen, unseren Stoffwechsel zu optimieren und permanent auf aktuelle Lebenssituationen und laufende Veränderungen anzupassen und abzustimmen – und das ein Leben lang. Bewegung, möglichst vielfältig und variantenreich, bildet somit die Grundlage unserer Lebensgesundheit und unserer täglichen Leistungsfähigkeit.

Leben ist Rhythmus – feel it

Und diese Bewegungen sind fühlbar, sichtbar und messbar. Hier einige dieser „Körperrhythmen“:

Nervenaktionen, messbar im EMG

Herzaktion, messbar im EKG

Hirnrhythmus, ablesbar im EEG

Atmung und Puls

Schlaf-wach-Rhythmus

Hormonelle Rhythmen (Eisprungzyklus der Frau)

Magen-Darm-Peristaltik (Bewegung zum Weitertransport des Nahrungsbreis)

Nahrungsaufnahme und Ausscheidung

Zellschwingungen bis hin zur kleinsten Molekülbewegung (elektrische Zellaktivität)

Bewegung hält unsere Körpersysteme auf Trab

Der menschliche Körper ist weit mehr als die Summe seiner Organe, Bauteile und Systeme. Die einzelnen Körperbestandteile und die damit verbundenen vielfältigen Körperfunktionen sind die Garanten für seine immense Anpassungsfähigkeit. Aber erst die ausgeklügelte Zusammenarbeit dieser Teile sichert uns eine stabile Körpergesundheit, die Grundlage für Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit und schlicht Freude am Leben. Und verantwortlich dafür, dass alle Rädchen dieses vernetzten Systems störungsfrei ineinandergreifen und die Selbstregulationsmechanismen ihre Arbeit erledigen können, ist – Bewegung!

Der menschliche Körper ist mit einem harten und robusten Knochengerüst ausgestattet, das sehr großen Belastungen standhalten kann. Die robuste Wirbelsäule schützt einen wichtigen Teil unseres Nervensystems, das Rückenmark.

Faszien halten alle Einzelteile, Knochen, Organe, Gefäße, zusammen und bilden somit maßgeblich die äußere Form und Gestalt unseres Körpers.

Nerven leiten Informationen und Bewegungsbefehle an die Muskeln weiter. Diese bewegen dann Knochen und Gelenke. Über eine Flüssigkeit (Interzellularflüssigkeit), in der sich auch freie Nervenenden befinden, stehen alle Zellen in steter Kommunikation miteinander und tauschen wichtige Informationen aus: Ist der Körper ausreichend mit Nahrung versorgt? Hat er aktuell genügend oder zu wenig Energie? Wie ist die Position im Raum? Wie ist der Spannungszustand einzelner Fasern oder ganzer Muskeln und Faszien?

Aus dieser komplexen Informationsflut erkennt unser Organismus notwendigen Handlungsbedarf, reagiert und stellt sich auf die neuen Situationen ein. Zellen sterben ab und werden ersetzt. Wunden werden repariert und verletztes Gewebe wird wieder auf die Belastung im Alltag vorbereitet. Unsere Körpergewebe und Organe sind für Bewegung und ein hohes Maß an Aktivität geschaffen und gebaut. Vertrauen Sie auf die mächtigen Selbstregulationskräfte Ihres Körpers und lernen Sie, diese besser zu verstehen. Im Folgenden unternehmen wir einen kurzen Rundgang durch die wichtigen Systeme unseres Körpers, um die Bedeutung von Bewegung im Detail besser kennenzulernen. Je mehr wir verstehen, was im Verborgenen in unserem Körper abläuft und meist reibungslos ineinandergreift, desto besser können wir ihn dabei unterstützen, gesund zu bleiben.

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Energiesystem

Jedes große System und jeder Körper braucht eine Energie, die alles antreibt. Der Körper hält sich durch Nutzung und Verbrauch von Energie am Laufen und leitet vielfältige Wachstum fördernde Prozesse ein. Diese Energie nehmen wir über die Nahrung auf.

Die darin enthaltenen Nährstoffe werden durch eine Vielzahl an chemischen Prozessen in ihre Bestandteile zerlegt, bis sie wasserlöslich sind und so in unserem Körper über den Blutweg verteilt werden können. Ist die Nahrung zerlegt, wird die „Energiewährung“ unseres Körpers ATP (Adenosin-Tri-Phosphat) genannt. Diese Energiewährung zieht unser Körper aus den energieliefernden Stoffen, im Wesentlichen Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette. Sie ermöglicht alle Prozesse von der winzigen Zellebene bis zu den großen Bewegungen auf der mechanischen Körperebene. Selbst die Regulation der Körpertemperatur, das Entspannen der Muskeln nach einer Bewegung oder das schlichte Atmen kostet Energie und wir bezahlen für diese Aktivitäten mit ATP.

Die einzelnen Körpersysteme sind dabei in ihrem Energiebedarf recht unterschiedlich. Am Beispiel des Grundumsatzes lässt sich das einfach darstellen. Beim sogenannten Grundumsatz handelt es sich um die Energiemenge, die ein gesunder Erwachsener zur Erhaltung der Körperstrukturen, zur Temperaturregelung und für permanent ablaufende chemische und physikalische Prozesse auf Zell- und Organebene benötigt (Männer 7100 kJ, Frauen 6300 kJ). Dabei verteilt sich der Energiebedarf wie folgt:

Anteil des Energiebedarfs einzelner Organsysteme

ORGAN ANTEIL AM GRUNDUMSATZ
Muskulatur 26 %
Gehirn 22 %
Leber 20 %
Herz 10 %
Nieren 10 %
andere Organe 12 %

Einfluss von häufigem Sitzen auf das Energiesystem:

Es entsteht eine unzureichende Stoffwechsellage, vor allem bei Verletzung und regenerativen Prozessen mit erhöhtem Energiebedarf.

Das Energiegleichgewicht ist nicht mehr gewährleistet.

Ihr Körper ermüdet schneller.

Zellprozesse sind weniger aktiv.

Die Regenerationsfähigkeit nach Verletzungen ist verlangsamt.

Es besteht eine erhöhte Gefahr von Defektheilung, das heißt, der Körper wird nach einer Erkrankung nicht mehr vollständig gesund.

Atmung

Die Atmung ist ein energieliefernder Austauschprozess. Mit der Atemluft nimmt unser Körper Sauerstoff auf und gibt Kohlendioxid und Wasserdampf ab. Mit jedem Atemzug ziehen wir etwa einen halben Liter Luft in die Lungen. Während körperlicher Belastungen und beim Sport kann dieses Atemzugvolumen auf zwei bis vier Liter ansteigen. Spitzensportler haben zum Teil ein Atemzugvolumen von sechs bis acht Liter pro Atemzug. Die Lunge ist ein Organ der Überraschungen. Mit einer Oberfläche von etwa 100 m² und über 300 Millionen Lungenbläschen in Feinbauweise gewährleistet dieses Organsystem den lebenswichtigen Gasaustausch und ermöglicht optimale Verbrennungsprozesse in den Zellen und damit die Bereitstellung von Energie. ATP und Sauerstoff sind unser Treibstoff. Ohne diese Energiewährungen wären uns Aktivitäten und Leistungen nicht möglich.

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Einfluss von häufigem Sitzen auf die Atmung:

Sie machen kürzere Atemzüge.

Die Atembewegung in Brustkorb und Lunge ist mangelhaft.

Ihr Lungengewebe kann sich schlechter entfalten.

Die Sauerstoffaufnahme wird schlechter.

Sie ermüden schneller, z. B. durch Sauerstoffmangel in der Peripherie an Muskeln.

Ihre Atemmechanik verschlechtert sich.

Bewegungsapparat

Unser Bewegungsapparat ist ein Wunderwerk voller Superlative und innovativer Technik. In einem durchschnittlichen Erwachsenen stecken 215 Knochen, die etwa 10 Prozent des Körpergewichtes ausmachen. Dabei ist der „Steigbügel“ im Ohr der kleinste Knochen, mit einer Länge von 2 bis 3 mm; wohingegen der Oberschenkelknochen mit einer durchschnittlichen Länge von 46 cm und einer Tragfähigkeit von bis zu 1,6 Tonnen der längste Knochen im Körper ist. Die Knochen werden primär von Muskeln in Bewegung gesetzt, von denen wir tatsächlich 640 in unserem Körper haben. Davon sind 400 Muskeln am Bewegungsapparat zu finden. Die Muskeln haben einen Anteil von 40 bis 50 Prozent des Körpergewichtes. Zum Lachen braucht es die Aktivität von 43 Muskeln, an einem Stirnrunzeln sind bereits 15 Muskeln beteiligt.

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400 Muskeln befinden sich alleine an unserem Bewegungsapparat.

Einfluss von häufigem Sitzen auf den Bewegungsapparat:

Die Gelenke werden einseitig belastet.

Die Muskeln werden monoton belastet, das führt u. a. zu Verkürzungen und zu Spannungserhöhung.

Die Faszien sind schlechter angepasst.

Es kommt zu einer Durchblutungsreduktion in „abgeknickten“ Bereichen wie Hüfte und Leiste.

Es kommt zu einer Überlastung, z. B. von Nacken und Lendenwirbelsäule.

Möglich sind multiple Bewegungsmangelerscheinungen.

Sinnesorgane

Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen sind unsere Sinne und damit auch unser Tor zur Welt. Nur durch ein intaktes Sinnessystem sind wir in der glücklichen Lage, unsere Welt wahrzunehmen, zu begreifen und mit ihr zu kommunizieren. Erst das komplexe Zusammenspiel zwischen den Sinnen und unserem Nervensystem ermöglicht Bewegung, Aktivität und Reaktionen.

Einfluss von häufigem Sitzen auf die Sinnesleistung:

Es fehlt die Abwechslung bei der Reizaufnahme.

Es kommt zu einer konstanten Überlastung einzelner Systeme.

Folge ist eine gesteigerte Ermüdung, z. B. unserer Augen bei Bildschirmarbeitsplätzen.

Nervensystem

Das Nervensystem ist die Steuerzentrale für alle inneren Prozesse im Körper, für Bewegungen und Aktivitäten. Wir unterscheiden zwischen dem peripheren Nervensystem (PNS), das aus den Rezeptoren und den peripheren Nervenverbindungen besteht, und dem zentralen Nervensystem (ZNS), bestehend aus dem Rückenmark und dem Gehirn. Einwirkende Reize aus der Umwelt werden über die Rezeptoren aufgenommen und an das zentrale Nervensystem zur Verarbeitung weitergeleitet. Hier werden die Informationen nach Priorität gefiltert, weiterverarbeitet und entsprechende Reaktionen geplant und eingeleitet.

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Würden wir alle Nervenfasern unseres Körpers aneinanderkleben, ergäbe sich eine sagenhafte Länge von 768.000 km. Das entspricht der Strecke Erde – Mond und zurück.

Eine Hauptaufgabe des Nervensystems besteht in der Weiterleitung von Reizen und Impulsen zur Informationsübertragung. Die langsamsten Nervenfasern haben dabei eine Geschwindigkeit von 1 m/s (3,6 km/h). Die schnellsten Nervenfasern erfüllen diese Aufgabe mit einer Leitungsgeschwindigkeit von 120 m/s (432 km/h).

Ein wesentlicher Teil des Nervensystems ist für die Steuerung innerer Prozesse und Organe zuständig: das vegetative Nervensystem (VNS). Dieser Teil ist weniger bewusst durch uns beeinflussbar und tut eben das, was getan werden muss, um das Leben des Organismus zu sichern. Hier sind zwei wesentliche Teilbereiche aktiv: Sympathikus und Parasympathikus. Dabei ist der Sympathikus dafür verantwortlich, alle Stellschrauben des Organismus auf eine höhere körperliche Leistungsfähigkeit einzustellen. Er beschleunigt Herzschlag und Atmung, erhöht den Blutdruck und sorgt für eine schnellere Durchblutung der Bronchien zur verbesserten Sauerstoffaufnahme. Der Parasympathikus ist hingegen eher für Erholungsphasen zuständig. Er verlangsamt Atmung und Herzschlag und verengt die Blutgefäße der Bronchien. Dies setzt uns in eine Art Ruhezustand. Beide Systeme stehen in enger Verbindung miteinander und ermöglichen somit eine optimale Regulation des gesamten Organismus.

Einfluss von häufigem Sitzen auf das Nervensystem:

Es kommt zu einer einseitigen Spannungssituation für periphere Nerven.

Die Entstehung von Kompressionsneuropathien (Engpässe von Nervenleitungen) kann mit begünstigt werden.

Die Durchblutung peripherer Nerven kann nachteilig beeinflusst werden.

Blutkreislauf

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Der Blutkreislauf versorgt alle Zellen des Organismus mit Sauerstoff, Nährund Baustoffen.

Der Blutkreislauf versorgt alle Zellen des Organismus mit Sauerstoff, Nähr- und Baustoffen. In erster Linie dient dieser Versorgungsweg dem Selbsterhalt und des Weiteren auch einem gezielten Aufbau und der Regeneration. Das Herz als Motor dieses Kreislaufsystems pumpt das mit Sauerstoff angereicherte Blut über die großen Schlagadern bis in die Randbereiche und bringt damit die Nähr- und Baustoffe über große, mittlere und kleine Blutbahnen (Arterien) zu den Zellen. Das verbrauchte Blut wird über das venöse System wieder zurücktransportiert und in die Lunge gepumpt und dort mit Sauerstoff angereichert. Der Kreislauf kann von Neuem beginnen. Bei Erwachsenen fließen ca. fünf bis sechs Liter Blut (etwa acht Prozent des Körpergewichtes) durch das Röhrensystem des Blutkreislaufes. Die Herzbewegungen verteilen das Blut im Körper, aktive Muskelbewegungen unterstützen den Rückfluss durch die Venen.

Einfluss von häufigem Sitzen auf den Blutkreislauf und die Blutzirkulation:

Die Durchblutung in den Randbereichen und Armen und Beinen ist reduziert.

Es kommt zu erschwerten Arbeitsbedingungen für den Herzmuskel und für den venösen Rückfluss.

Die Schwellungen des Gewebes kann begünstigt werden (Ödembildung).

Der Blutdruck wird beeinflusst.

Immunsystem

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Unser Immunsystem kann verhindern, dass schädliche Stoffe und Erreger in unseren Körper eindringen und diesen in Bedrängnis bringen.

Wir sind jeden Tag Milliarden von Keimen, Erregern, Bakterien, Pilzen, Parasiten und Viren ausgesetzt. Die meisten davon sind harmlos, manche sogar nützlich, einige sind allerdings auch potenziell gesundheitsschädlich. Unser Immunsystem kann Freund von Feind unterscheiden und verhindern, dass schädliche Stoffe und Erreger in unseren Körper eindringen und diesen nachhaltig in Bedrängnis bringen. Zum Immunsystem gehören physiologische Barrieren (Blut-Hirn-Schranke), die für bestimmte Erreger nicht passierbar sind, spezielle Immunzellen, in Körperflüssigkeiten gelöste Antikörper, das Lymphsystem und Teile des Darms und des Verdauungstraktes. Unser Immunsystem arbeitet zu einem großen Teil über Flüssigkeiten (Blutgefäße, Lymphsystem). Deshalb können sich Verhaltensweisen, die die Flüssigkeiten in unserem Körper schlechter zirkulieren lassen, negativ auf das Immunsystem auswirken. Dazu zählen Bewegungsmangel, einseitige Körperhaltungen, hohe Muskelspannungen durch zu viel Stress und einseitige Ernährung mit zu wenig Flüssigkeitszufuhr.

Einfluss von häufigem Sitzen auf das Immunsystem:

Wundheilung und Regeneration werden verzögert.

Der Schutz vor schädlichen Stoffen kann verringert sein, damit sind eine stärkere Allergieneigung und eine höhere Erkrankungsrate möglich.

Die körpereigene Bakterienflora kann nachteilig beeinflusst werden.

Hormonsystem

Das hormonelle Regulationssystem wird zur Abstimmung der Aktivitäten aller Körpersysteme benötigt. Dazu zählen unter anderem Zell- und Organaktivitäten, aber auch psychische – und hierbei vor allem emotionale – Reaktionen. Spezielle Drüsen (endokrine Drüsen) bilden Hormone, die über den Blutweg im Körper verteilt und so an den jeweiligen Aktionsort transportiert werden.

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Die körpereigenen Hormone halten eine Balance aufrecht und sind meist in nur winzigen Mengen im Körper vorhanden.

Ein starkes Ansteigen oder Abfallen eines Hormons hat häufig negative Folgen für unsere Gesundheit. Wichtig ist hierbei stets das optimal ausgeglichene Zusammenspiel aller körpereigenen Hormone. Dinge wie Energieumsatz, Stoffwechsel, Wachstum, Durchblutung, Mineralstoff- und Wasserhaushalt oder die sexuelle Aktivität und der Schlaf-wach-Rhythmus werden von Hormonen gesteuert. All diese Zell-, Organ- und Gewebeaktivitäten haben mit Bewegung zu tun. Hormone bringen wahrhaftig Bewegung in unseren Körper.

Einfluss von häufigem Sitzen auf das Hormonsystem:

Bewegungsmangelerscheinungen lassen einzelne Hormonfunktionen entgleisen, vor allem Stoffwechsel bedingte Störungen.

Diabetes kann begünstigt werden.

Der Blutdruck wird negativ beeinflusst.

Die Schmerzverarbeitung und die Schmerzempfindung können nachteilig beeinflusst werden.

Durch fehlende Bewegung bzw. motorische Kompensation steigt unser Stresspegel.

Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen können ausgelöst oder unterstützt werden.

Verdauungssystem

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Die Magen- und Darmmuskulatur kann durch ausreichend Aktivität unterstützt werden.

Im Verdauungssystem wird die aufgenommene Nahrung mithilfe spezieller Stoffe (Enzyme, Fermente) weiter zerkleinert und vor allem verflüssigt. So können diese Nährstoffe über den Blutweg in die Zellen transportiert werden, wo sie dann zur Energiegewinnung und für den Auf-, Ab- und Umbau von Geweben eingesetzt werden. Auch dieser Prozess der Energiegewinnung ist nicht umsonst, sondern kostet unseren Organismus Energie. Die Verdauung beginnt im Mund. Dort werden bereits erste Stoffe nach der Zerkleinerung durch Kauen mit Speichelflüssigkeit zersetzt und aufgelöst. Bereits hier werden erste Bestandteile in den Blutweg aufgenommen, bevor der Speisebrei über Magen und Darm weiterverarbeitet wird. All diese Vorgänge werden durch Bewegungen wie beispielsweise Schlucken oder die wellenförmige Anspannung (peristaltische Kontraktion) der Magen- und Darmmuskulatur unterstützt und beschleunigt. Die Fähigkeit der Magen- und Darmmuskulatur sich anzuspannen kann durch ausreichend Aktivität unterstützt werden. Fehlt diese aktive Bewegung in unserem Alltag, werden auch diese Stoffwechselaktionen verlangsamt und laufen eventuell unzureichend oder fehlerhaft ab.

Einfluss von häufigem Sitzen auf die Verdauung:

Ein reduziertes Bewegungsverhalten begünstigt Darmträgheit. Verdauungsstörungen oder andere Symptome wie Druckgefühl, Blähungen, verlangsamte Ausscheidung oder Verstopfung sind häufig die Folgen.

Erhöhter Druck auf einzelne Verdauungsorgane bedeutet reduzierte Funktionen.

Harnsystem

Das Harnsystem ist hauptsächlich für die Ausscheidung von Stoffwechselprodukten (Harnstoff aus dem Eiweißstoffwechsel), Wasser, Salzen und körperfremden Stoffen wie Medikamente oder Genussmittel (Alkohol) zuständig. Zudem reguliert dieses System unsere Flüssigkeitsbilanz, den Blutdruck und ist die wichtigste Instanz zur Entgiftung unseres Körpers. Das Harnsystem besteht aus den zwei Nieren, den Harnleitern, der Blase und der Harnröhre. Die Nieren filtern unser gesamtes Blutvolumen, wobei etwa 1500 bis 1800 Liter Blut pro Tag durch die Nieren fließen. Daraus werden pro Tag etwa 1,5 Liter Urin gebildet und mit allen Schadstoffen, die ausgefiltert wurden, ausgeschieden.

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Über das Harnsystem scheiden wir Stoffwechselprodukte aus.

Einfluss von häufigem Sitzen auf das Harnsystem:

Es entsteht ein ungünstiger Druck auf Blase, Harnröhre und Prostata.

Die Blasen- und Beckenbodenmuskulatur wird zunehmend inaktiviert.

Die Filterleistung unseres Harnsystems nimmt ab.

Es gibt keine richtige und falsche Haltung

„Haltung“ ist ein Begriff, der mehrere Bedeutungsmöglichkeiten zulässt. Synonyme Begrifflichkeiten, die sich hinter Haltung verbergen, sind unter anderem:

Körperhaltung, Pose, Stellung, Position

Gesinnung, Einstellung, Grundeinstellung

Auftreten, Verhalten

Fassung, Beherrschtheit, Selbstbeherrschung

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Haltung hat eine körperlich-biologische, eine emotional- psychische und eine soziale Ebene.

Allein schon an der Vielfalt der Wortbedeutungen wird klar, dass die Haltung nicht nur eine körperliche Sache ist. Hierbei geht es um mehr. Haltung ist vielfältig und vielschichtig – Haltung hat eine körperlich-biologische, eine emotional-psychische und eine soziale Ebene. Und diese drei Ebenen beeinflussen sich gegenseitig und hängen eng miteinander zusammen.

Eine optimale Haltung ist situationsabhängig

Das Wichtigste zuerst: Es gibt keine falsche Körperhaltung. Es gibt lediglich ungünstige Dosierungen oder einen ungünstigen Zeitpunkt für bestimmte Haltungen oder Bewegungen. Auch die einzig richtige Körperhaltung gibt es nicht. Es gibt zwei Szenarien, in denen bestimmte Aktivitäten, Bewegungen oder Belastungen ungünstig sein können und die damit negative Effekte auf unsere körperliche Gesundheit haben.

Verletzung: Leiden Sie an den Folgen einer Verletzung, sollten Sie alle Bewegungen oder Haltungen vermeiden, die den verletzten Körperbereich intensiven Belastungen aussetzen. Dies gilt allerdings lediglich für die Zeit der Regeneration. Sind die Verletzungen und deren Folgen verheilt, können Sie die Belastung wieder zunehmend steigern.

Untrainierter Zustand: Ist Ihr Körper an bestimmte Belastungen und Aktivitäten wie sportliche Herausforderungen nicht gewöhnt, sind Sie also für die angestrebte Belastung nicht ausreichend vorbereitet oder trainiert, sollten Sie dieses Trainingsdefizit aufholen, bevor Sie sich diesen Belastungen aussetzen.

Es braucht keine große Körperkenntnis, um solche Überlastungen und Überforderungen des Bewegungsapparates zu verhindern. Diese Überlegungen gelten nicht nur für Aktivitäten, sondern auch für Körperhaltungen. Wenn Sie sich in einer Körperhaltung auf Dauer nicht wohlfühlen, sollten Sie diese ändern. Jede über längere Zeit eingenommene Haltung wird irgendwann unangenehm und hat das Potenzial, unsere Gesundheit nachteilig zu beeinträchtigen und zu verändern.

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Die Dosis und die Intensität machen bekanntlich das Gift. Die Körperhaltung eines Menschen definiert sich als dynamische Anpassungsreaktion auf verschiedene Situationen und Aktivitäten.

Eine optimale Haltung, die auch die Belastung für den Bewegungsapparat minimiert, ist somit immer individuell und situationsabhängig. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. der Körpergröße, den Längen der Arme und Beine und dem individuellen Körperbau, der Funktionsfähigkeit Ihrer Muskulatur (also Faktoren wie z. B. der Kraft- oder Ausdauerfähigkeit) und Ihrem allgemeinen Trainingszustand. Zudem wirken auch andere Faktoren auf unsere Körperhaltung ein, wie die durchgeführte Aktivität, die Tageszeit, Aktivitäten am Vortag, Schmerzzustand unseres Organismus, aktueller Ermüdungszustand oder schlicht die Tagesform, der aktuelle emotionale Zustand. So ergibt sich eine Vielzahl an möglichen und vor allem normalen Körperhaltungen, die gut für uns sind, solange sie nicht dauerhaft über einen längeren Zeitraum eingenommen werden.

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Solange wir uns eine größtmögliche Variabilität in unseren Bewegungen und Haltungen erhalten, machen wir alles richtig. Unser Körper ist genau dafür gebaut: vielfältigste Haltungen und Bewegungen einzunehmen und durchzuführen. Wir wissen heute aus vielen medizinischen und bewegungswissenschaftlichen Studien, dass eine einwirkende Belastung nicht immer dieselben Effekte in unserem Körper auslöst, sondern vielmehr stets andere Auswirkungen hat. Absolute Werte sind selbst in Studien nicht reproduzierbar, da das Leben selbst mit seinen Bewegungen oder Aktivitäten viel zu unterschiedlich abläuft. Wir bewegen uns nicht immer auf dieselbe Weise, sondern passen uns den Erfordernissen und den Alltagssituationen an. Damit sind auch die Belastungen, die dabei in unserem Körper, an den Gelenken und auch an den Muskeln auftreten, sehr variabel.

An den Arm- oder Beinlängen sowie am Längenverhältnis zwischen Oberkörper und Unterkörper können wir nichts verändern. Aber wir können die Bewegungskontrolle durch eine aktivere Muskulatur, ein schnelleres und effizienteres Zusammenspiel der Nerven mit den Bewegungsmuskeln sowie die Gelenkfunktionen verbessern.

Arbeits- und Freizeithaltungen

Jede Haltung beansprucht Muskeln, Gelenke, Nerven und Faszien. Im Alltag treten hauptsächlich zwei Gruppen von Haltungen auf, die die tatsächlichen Belastungen unseres Bewegungsapparates verändern und beeinflussen: die Arbeitshaltungen und die Freizeithaltungen.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783869100432
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Januar)
Schlagworte
Übungen Dauersitzen Bewegungsmangel vielsitzen Bewegung Haltung

Autor

  • Kay Bartrow (Autor:in)

Kay Bartrow hat sich seit vielen Jahren als Autor von Bewegungsthemen etabliert. Er ist Physiotherapeut mit Fortbildungen in Manueller Therapie, Medizinischem Aufbautraining und medizinischer Trainingstherapie in Balingen. Zudem hält er Fortbildungskurse für examinierte Physiotherapeuten und hält Vorträge zu medizinisch gesundheitlichen Themen. Aus seiner langjährigen Arbeit als Physiotherapeut weiß er, dass Schmerzgeplagte ihre Beschwerden häufig selbst mit gezielten Übungen in den Griff bekommen können.
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