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Leichter leben mit Lipödem

Lebensstil verändern, Schmerzen lindern. Das bewährte Selbsthilfe-Programm. Mein Weg zu 40 kg weniger Gewicht und mehr Mobilität. Zertifiziert von der Stiftung Gesundheit

von Lia Lindmann (Autor:in)
208 Seiten

Zusammenfassung

Weniger Schmerzen – mehr Mobilität.
Dicke Beine, schwere Beine, ständig blaue Flecken – für Frauen, die an einem Lipödem leiden, ist das Leben oft eine jahrelange Qual. So, wie für Lia Lindmann. Als sie die Diagnose erhielt, war sie gleich in mehrfach schlecht beraten: fehlende Aufklärung, Halbwahrheiten und Schreckensszenarien ließen sie glauben, das Lipödem sei ein dramatischer Schicksalsschlag. Doch acht Jahre nach der Diagnose und rund 40 Kilo leichter fühlt sie sich besser als je zuvor. In ihrem Ratgeber schildert sie ihren Weg zu einem leichteren Leben mit mehr Mobilität und weniger Schmerzen. Das Buch eignet sich für alle, die ein mitlachen, mitweinen und mitsuchen wollen – nach Wegen und Ideen, um die Lebensqualität mit Lipödem zu verbessern.

Bewährtes Selbsthilfeprogramm
Geballtes Expertenwissen: Für ihren Ratgeber hat Lia Lindmann mit Physiotherapeutinnen, Sanitätshäusern, Ärztinnen, Sport- und Ernährungsberaterinnen gesprochen. All das gesammelte Expertenwissen und ihr eigenes Selbsthilfe-Programm zeigen, wie es gelingen kann, das Gewicht zu reduzieren, die lipödemtypischen Schmerzen zu lindern und die Mobilität zurückzugewinnen. Das Buch enthält über 200 Tipps und Maßnahmen für mehr Wohlbefinden sowie praktische Checklisten, die das Leben mit Lipödem erleichtern.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


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Liebe*r Leser*in,

als bei mir die chronische Fettverteilungsstörung „Lipödem“ diagnostiziert wurde, war ich in mehrfacher Hinsicht schlecht beraten: Ich hatte einen Arzt, der mir nicht erklärte, was diese Diagnose bedeutete. Im Internet fanden sich Halbwahrheiten und Schreckensgeschichten. Und ich stieß scheibchenweise auf Informationen, die mich glauben ließen, es handele sich um einen Schicksalsschlag unsäglichen Ausmaßes. Ich hatte die Erkrankung damals bereits seit 14 Jahren, aber niemand hatte sie über all die Jahre erkannt.

Während mein Physiotherapeut meinte, ohne Humor müsse man sich mit dieser Diagnose von der Brücke stürzen, war ich selbst noch damit beschäftigt, mich für die Lage, in die ich – vielleicht doch selbst verschuldet? – geraten war, zu verurteilen und darüber zu weinen, dass ich nun Kompressionstrümpfe tragen musste, die vermeintlich doch nur Urgroßmütter tragen sollten.

Umso mehr bemühte ich mich, mehr über das Lipödem herauszufinden. Doch was ich erfuhr, war oft unspezifisch oder widersprüchlich: Kohlenhydratarme, fettreduzierte oder eiweißarme Ernährung hießen einige Theorien, die sich allerdings zu widersprechen schienen. Gleichzeitig sagten viele, die Ernährung habe gar keinen Einfluss, an den betroffenen Stellen abzunehmen sei grundsätzlich unmöglich, Besserung ohnehin nicht zu erwarten.

Aus den Ratschlägen hilfreicher Ärzte*innen und Physiotherapeuten* innen, aus Fachliteratur zu Ernährung, Sport und Lipödem- Therapie bastelte ich mein eigenes Konzept. Dieses ist für mich so erfolgreich geworden, dass mich Fachleute und andere Patientinnen ermutigt haben, es niederzuschreiben. Das Lipödem, das nahezu ausschließlich bei Frauen auftritt, ist nicht ohne Weiteres heilbar. Und doch fühle ich mich heute – 7 Jahre nach der Diagnose und vermutlich 20 Jahre nach Beginn der Erkrankung – leichter und besser als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der Pubertät. 35 kg Körpergewicht und unzählige Umfangszentimeter sind verschwunden, obwohl es ursprünglich nur mein Ziel war, ein Voranschreiten des Lipödems zu verhindern.

Mein Weg ist sicher nicht der einzige, der zu Erleichterung führen kann. Trotzdem habe ich ihn in diesem Buch skizziert, damit jede Frau mit Lipödem daraus ziehen kann, was sie für sich als unterstützend erlebt.

Aus insgesamt 22 Möglichkeiten, mit einem Lipödem besser zu leben, kann jede Leserin entscheiden, was sie ausprobieren möchte, für blödsinnig hält oder was sie vielleicht in Erwägung ziehen möchte. Auch aus den ergänzenden Checklisten im Anhang kann man sich nach den eigenen Bedürfnissen bedienen.

Betroffene haben oft tausende Fragen und brauchen Begleitung bei der Therapie. In diesem Buch soll es darum gehen, entgegen allen Prognosen die Behandlung zu einem optimalen Verlauf zu bringen. Und somit den eigenen Gesundheitszustand nicht nur zu erhalten, sondern sogar zu verbessern.

Meine steile These lautet: Das Lipödem schreitet besonders dann voran, wenn wir zu wenig auf die Bedürfnisse unseres Körpers hören und ihm deshalb kaum zu einer stabilen Gesundheit verhelfen können. Daher ist ein wichtiges Herzstück dieses Buches dein Symptomtagebuch. Mithilfe dieser Vorlage (du kannst sie dir einfach kopieren) im Anschluss an die 22 Möglichkeiten für ein leichteres Leben bekommst du hoffentlich Hinweise darauf, was dir persönlich guttut und speziell bei dir zu einer Besserung führen kann.

Dieses Buch ist für alle geschrieben, die ein bisschen mitlachen, mitweinen und vor allem mitsuchen wollen – nach Wegen, wie man es dem Lipödem mit gesunden Methoden schwermachen kann, sich zu verschlimmern. Und mit vielen Ideen, wie auch du deine Lebensqualität verbessern und viele glückliche Momente erleben kannst.

Deine

Dass es sich bei den Schmerzen und Fettansammlungen, die das Lipödem verursacht, um eine Erkrankung handeln könnte, die nicht selbst verschuldet ist, kommt vielen Betroffenen gar nicht in den Sinn. Sie sind verzweifelt, weil sie spüren, dass etwas nicht stimmt. Häufig geben sie sich selbst die Schuld daran und denken: „Wenn ich so dick bin, ist es kein Wunder, dass meine Beine wehtun.“ Bis sie schließlich die Diagnose bekommen. Bei einem unbehandelten Lipödem wachsen die krankhaften Fettzellen stetig weiter und oft kommt zusätzliches Übergewicht dazu. Häufig kommt es dadurch zu Folgeerkrankungen, insbesondere orthopädische Probleme stellen sich ein: Gelenkschmerzen, Platt- oder Senkfüße und Knieschmerzen sind etwa Folgen des hohen Beingewichts.

Ich selbst nahm über die Jahre immer mehr zu und wusste gar nicht, wie ich das aufhalten sollte. Schon seit meiner Pubertät hatte ich mich für gesunde Ernährung interessiert und beinahe hätte ich sogar Ernährungswissenschaften studiert. Dennoch hatte ich mit 23 Jahren schon 10 kg Übergewicht, vor allem an den Beinen und Armen. Mit 25 Jahren waren es 20 kg und mit 28 Jahren 30 kg. Ich konnte mir quasi beim Zunehmen zusehen, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ich wusste nicht mehr weiter.

Da das Lipödem stetig wächst, werden auch die Schmerzen graduell größer. Da man sich langsam daran gewöhnt, ist vielen betroffenen Frauen gar nicht klar, dass es eben nicht normal ist, beim Gehen und Stehen solche Schmerzen zu empfinden. Und dass es auch ungewöhnlich ist, wenn man immerzu sitzen und liegen möchte. Irgendwann kommt man nur zu dem Schluss, es läge an der eigenen Faulheit und mangelnden Fitness, was wiederum zu Schuldgefühlen und Frustration führen kann. Die Schmerzen und Stauungsgefühle, die man empfindet, hält man vielleicht für das, was landläufig als „innerer Schweinehund“ bezeichnet wird – für etwas, das man überwinden sollte, wenn man Sport treiben möchte.

Es fällt zwar schwer zu verstehen, warum andere Menschen auch gerne mal stehen oder mit Freude joggen gehen, aber auch das wird oft nur damit erklärt, dass diese Menschen eben disziplinierter sind und aufgrund ihrer Fitness ein besseres Bindegewebe haben. Auch an große und kleine Hämatome gewöhnt man sich schnell und denkt: „Ich kriege eben schnell blaue Flecken.“ Dass ich zum Beispiel schon beim Tragen von Inlineskates, Schlittschuhen oder Skischuhen massive Schmerzen an meinem geschwollenen Unterschenkel hatte, die mir den Spaß am Sport verdarben, sortierte ich in die Kategorie: „Das ist halt so.“ Dabei war ich als Jugendliche recht sportlich gewesen, trainierte 2 bis 5 Stunden pro Woche im Ruderboot. Ich nahm mit meinen Freundinnen an Regatten teil, war bei „Jugend trainiert für Olympia“ aktiv und mochte Sport sehr. In der Oberstufe war Sport mein bestes Schulfach! Nur beim Joggen konnte ich nie wirklich mithalten. Da schien ich einfach viel mehr Beschwerden zu haben als meine gleichaltrigen Sportkameradinnen.

Irgendetwas zog mich nach unten. Ich litt auch psychisch unter meinen dicken Oberschenkeln. Das Lieblingshobby meiner Freundinnen, shoppen gehen, war für mich nur mit Tränen und Selbstablehnung verbunden.

Eine oft verdrängte Krankheit

Und damit bin ich nicht alleine. Verschiedene Studien zeigen, dass im Mittel bis zu 10 Prozent aller Frauen betroffen sind. Häufig beginnt das Lipödem in einer Phase hormoneller Veränderungen wie in der Pubertät, aber zum Beispiel auch in der Schwangerschaft. Ich sehe häufig Menschen, bei denen ich aufgrund der Körperproportionen ein Lipödem vermute. Und auch sonst spricht vieles dafür, dass sie betroffen sein könnten: Sie vermeiden das Stehen und Gehen, verhüllen ihre Beine auch im wärmsten Sommer in dunklen, langen Hosen und Röcken. Und sie haben unerklärliche blaue Flecken. Doch darauf angesprochen sagen sie häufig: „Ich habe das nicht. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“ Tatsächlich vergehen zwischen Entstehung und Diagnose eines Lipödems oft weit mehr als 10 Jahre. Eine Zeit, in der sich bei mir innerlich Angst breitmachte – während mein Körper äußerlich wuchs und mehr und mehr Fettmassen anhäufte. Ich hatte doch schon alles versucht, um das Zunehmen aufzuhalten. Ich war die, die überall einen Apfel aus der Handtasche zog, wenn die anderen einen Döner aßen. Aber mein Körper wucherte immer weiter. In den ersten Jahren dachte ich gar nicht daran, dass ich mich damit an Ärzte*innen wenden könnte. Die Signale meiner Umgebung waren eindeutig: mehr Disziplin, weniger Essen, mehr Sport. Doch zum Sport konnte ich mich immer seltener aufraffen. Erst nach einigen Jahren wandte ich mich an einen Mediziner: „Ich leide unter meinem Übergewicht“, sagte ich. „Was kann ich tun?“ „Essen Sie weniger“, bekam ich zur Antwort. „Sie wissen doch schon selbst, wie man abnimmt“, meinte ein anderer Arzt. Und wieder ein anderer empfahl mir, morgens das Brot in mehrere Stücke zu schneiden. Das sehe dann nach mehr aus.

Erst als ich vor allem nachts so starke Schmerzen hatte, dass ich nicht mehr schlafen konnte, meine Beine heiß waren und ich Berührungen in keiner Form mehr ertragen konnte, beschloss ich, einen Spezialisten, einen Haut- und Venenarzt aufzusuchen. Meine Beine juckten inzwischen so sehr und waren derart geschwollen, dass ich befürchtete, die Haut könnte reißen. Ich dachte, ich hätte entweder eine schwere Hautkrankheit oder extreme Venenschwäche, bei der die Krampfadern nur darauf warteten, aus der Haut herauszukommen. Der Dermatologe und Phlebologe, in dessen Hände ich mich begab, führte im Schnellverfahren die Anamnese und klinische Untersuchung durch und diagnostizierte – Lipödem. Ob in meiner Familie noch jemand dicke Beine habe, fragte er. Und seit wann meine Beine dick seien. „Seit der Pubertät“, sagte ich unter Tränen. Was die Diagnose, die ich gerade erhalten hatte, bedeutete, erklärte mir dieser Arzt leider nicht. Er gab mir lediglich ein Rezept für eine Kompressionsversorgung und sagte: „Auf Wiedersehen!“ Seine sehr knappe und emotionslose Art ließ mich ratlos zurück.

Nun hatte ich also eine Diagnose und eine Verordnung für Kompressionsstrümpfe. Warum es wichtig war, diese zu tragen, wusste ich nicht. Um ehrlich zu sein: Ein halbes Jahr lang schob ich die Anpassung der Strümpfe vor mir her und irgendwie dachte ich auch nicht, dass mein Zustand durch Kompressionsstrümpfe besser werden könnte. Erst nach 6 Monaten ging ich zur Strumpfanpassung. Was darauf folgte, war eine Tortur, die sicher vielen anderen Patientinnen bekannt vorkommt.

Schreckgespenst Diagnose

Ich habe diese Zeit als Katastrophe erlebt: Ärzte*innen, Physiotherapeuten* innen und Sanitätshaus-Mitarbeiter*innen schauten mich stets so mitleidig an, dass ich überzeugt war, mit einem Lipödem kann das Leben nur schlimmer und schlimmer werden. „Progredient“, zu Deutsch „fortschreitend“ war das Schlagwort, das mich ahnen ließ, was noch auf mich zukommen sollte. Bereits jetzt war meine Lebensqualität aufgrund von Schmerzen, Druck und der schieren Masse meiner Beine sehr gering. Und das sollte noch schlimmer werden?

Eine klare Auskunft konnte und wollte mir diesbezüglich niemand geben. Als Patientin im Internetzeitalter ist es da naheliegend, die eigene Erkrankung zu googeln. Dabei stößt man auf Bilder, Reportagen und Forenberichte, die so erschreckend sind, dass man tatsächlich glaubt, das Leben habe von nun an nur noch Negatives zu bieten: wachsende Fettlappen, Elefantiasis (durch Lymphstauung bedingtes extremes Anschwellen besonders der Extremitäten), durch Fettmassen überlastete Gelenke und Knickfüße. Krampfadern und offene Beine. Auch Depressionen und höchste psychische Belastungen werden oft als einzige Zukunftsaussichten dargestellt. Die Tatsache, dass medizinische Experten*innen keinerlei Auskunft über einen wahrscheinlichen Verlauf geben und auch nicht geben können, lassen viele leider so sehr im Ungewissen, dass all diese Schreckensvisionen als unvermeidlich erscheinen. Einerseits ist zwar eine kausale Therapie des Lipödems nicht bekannt, doch können andererseits je nach Krankheitsstadium verschiedene symptomatische Maßnahmen Beschwerden und Schmerzen beseitigen oder zumindest bessern. Ich hatte allerdings von den Möglichkeiten einer Verbesserung in keiner Publikation gelesen und auch von keinem*r Experten*in jemals gehört.

Mein Weg zu einem leichteren Leben

Eine immense Erleichterung habe ich für mich erst erreicht, als ich alle gesundheitsförderlichen Aspekte, die ich zum Lipödem und den dadurch verursachten Beschwerden fand, zusammentrug und für mich optimierte. Vor allem wollte ich von der Erkrankung nicht länger terrorisiert werden. Ich war entschlossen, alles zu tun, was in meiner Macht stand, um den Verlauf zumindest zu verlangsamen. Das Ergebnis dieses Bestrebens war eine deutliche Verbesserung, wie sie niemand für möglich gehalten hätte. Und die schließlich dazu führte, dass meine Ärztin allen ihren Patientinnen mit Lipödem von meiner Geschichte erzählte. „Sie müssen mal darüber schreiben“, sagte sie immer wieder, „damit könnten Sie anderen Patientinnen wirklich helfen.“

Genau das möchte ich mit den folgenden Kapiteln erreichen. Ich beschreibe die verschiedenen Möglichkeiten der konventionellen Behandlung wie Lymphdrainage, Kompressionsversorgung, Sport, Ernährung und Stressmanagement. Hautpflege und Wärme-/Kältebehandlungen. Ebenso operative Therapien und einige alternative zusätzliche Behandlungen. Zudem nehme ich für dich verschiedene typische Begleiterkrankungen unter die Lupe. Doch fangen wir auf den folgenden Seiten am Anfang und mit der Frage an: Was genau ist eigentlich das Lipödem?

Ein Lipödem ist eine chronische und mitunter sehr schmerzhafte Fettverteilungsstörung bzw. Fettvermehrungsstörung, bei der sich üblicherweise zunächst an den Oberschenkeln und am Gesäß, schließlich auch an den Unterschenkeln und in einigen Fällen an den Armen Fett ansammelt. Fettgewebsvermehrung und Gewichtszunahme sind hormonell und genetisch bedingt und treten oft trotz gleichbleibender Ernährung auf. Die Erkrankung ist typischerweise fortschreitend, mit zunehmender Druckschmerzhaftigkeit. Die Unterhautfettgewebsvermehrung resultiert aus Hypertrophie und Hyperplasie, das heißt: Im Vergleich zum normalen Fettgewebe sind die Fettzellen beim Lipödem vergrößert und vermehrt. Die Gefäße sind durchlässiger als bei gesunden Menschen. Dadurch gelangt Flüssigkeit leicht ins Binde- und Stützgewebe, was auch die Neigung zu Hämatomen erklärt. Das Lipödemfett enthält Flüssigkeit und Fibrosen, also krankhafte, knubbelige Vermehrungen von Gewebe im Bereich zwischen den Zellen (extrazelluläre Matrix) und vergrößerte und vermehrte Makrophagen (Riesenfresszellen des Immunsystems) sowie stark erhöhte Interleukin-8-Werte und eine geringe Konzentration von Aromatase. Diese Befunde weisen auf chronische Entzündungen hin, die Schmerzen verursachen, und auf ein hormonelles Ungleichgewicht. Auffällige Adiponektin-Werte legen einen veränderten Zuckerstoffwechsel nahe.

Die Verhärtungen des Fettgewebes (Fibrosen) sind Dr. Karen Herbst von der Universität Arizona zufolge der Grund, warum das Lipödemfett nicht durch Diäten, Sport oder Magenbandoperationen verschwindet. Ihren Erkenntnissen nach ist es zentral, die Entzündungen des Gewebes zu behandeln, da die Entzündungen die Verhärtungen hervorrufen. Auf den Ultraschallbildern, die sie zeigt, sieht man, dass das überschüssige Fett nicht nur im äußeren Bereich des Körpers sitzt, sondern auch innerhalb des Muskelgewebes.

Bei Männern wurden lipödemähnliche Veränderungen bislang nur in Zusammenhang mit hormonell wirksamen Therapien, bei ausgeprägten Hormonstörungen (z. B. Hypogonadismus = fehlende oder verminderte hormonelle Aktivität der Hoden) oder bei einer Leberzirrhose beschrieben.

Insgesamt gehen die Fachleute angesichts einer weit verbreiteten Unsicherheit bezüglich der Diagnosestellung auch von einer hohen Dunkelziffer aus. Zusätzlich wird ein erkanntes Lipödem oft nicht ernst genommen, weshalb viele betroffene Frauen keine oder erst sehr spät eine Behandlung bekommen. In der Regel werden auch kaum Verbesserungsmöglichkeiten in Aussicht gestellt, weshalb eine große Anzahl von Patientinnen eingeleitete Therapien nicht konsequent verfolgt.

Wenn ich von Patientinnen spreche, meine ich damit Cis-Frauen, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Es ist allerdings auch wichtig zu betonen, dass das Lipödem genauso häufig Trans-Männer sowie nichtbinär identifizierende und intergeschlechtliche Menschen betreffen kann, wenn sie einen von XX-Chromosomen sowie den Hormonen Östrogen und Progesteron geprägten Körper haben.

Im letzten Stadium der Erkrankung leiden die Betroffenen unter großen, unförmigen Hautlappen, die durch massive Fettansammlung im Bereich der Beine entstehen. Lymphflüssigkeit lagert sich in das Fettgewebe ein, was durch Bewegung, Stehen und Sitzen ohne Kompressionsversorgung teils dramatische Ausmaße annimmt. Die Körperstellen, an denen das Lipödem sitzt, sind üblicherweise sehr schmerz- und druckempfindlich, blaue Flecken entstehen schon bei kleinsten Stößen.

Viele Patientinnen empfinden selbst streichelnde, zärtliche Berührungen als unangenehm, was sich auf das generelle Körperempfinden wie auch Partnerschaften negativ auswirkt. Mit einem Körperbild, das im Vergleich zu gängigen Schönheitsidealen als unproportional wahrgenommen wird, und das sich auch durch Sport zunächst nicht beeinflussen lässt, entwickeln die Betroffenen häufig ein problematisches Verhältnis zum eigenen Körper. Da man selbst anscheinend keinen positiven Einfluss auf die Erkrankung nehmen kann, entsteht zudem das Gefühl, ihr gänzlich ausgeliefert zu sein. Das Resultat ist für viele Frauen ein qualvoller Kreislauf aus Schmerz, Essen und gesellschaftlichem Rückzug, was wiederum noch mehr zusätzliches Übergewicht und enorme Niedergeschlagenheit bedeutet.

Stadien des Lipödems

Nach den medizinischen Leitlinien wird zwischen 3 Stadien unterschieden:

Stadium 1: Die Hautoberfläche ist glatt mit gleichmäßig verdickter Unterhaut (Subkutis), beginnende feinknotige Dellen, was umgangssprachlich auch als Orangenhaut oder Cellulite bekannt ist.

Stadium 2: Grobknotige Dellen charakterisieren, was von Medizinern teilweise auch als Matratzenphänomen bezeichnet wird. Die Hautoberfläche ist uneben, überwiegend wellenartig verändert mit knotenartigen Strukturen im verdickten Unterhautbereich.

Stadium 3: Es haben sich bereits große Hautlappen und -wülste gebildet: ausgeprägte Umfangsvermehrung mit überhängenden Gewebeanteilen (Wammenbildung).

Teilweise wird das Lipo-Lymphödem, bei dem das Lymphsystem stark beschädigt ist, als Stadium 4 bezeichnet. In diesem Fall sind die gesamten Arme und Beine inklusive Hände und Füße, Finger und Zehen von schmerzhaften Anschwellungen betroffen.

Oft wird das Lipödem mit seiner schmerzlosen, weichen „Schwester“ – der Lipohypertrophie – verwechselt. Auch diese Form der starken Fettgewebsvermehrung tritt fast nur bei Frauen auf und betrifft vorwiegend Oberschenkel und Oberarme. Allerdings verursachen Lipohypertrophien nicht die für das Lipödem typischen Druckschmerzen. Jedoch kann sich daraus im Laufe der Zeit ein Lipödem entwickeln.

Die 4 Typen des Lipödems

Beim Lipödem wird zwischen verschiedenen Lokalisationen unterschieden:

Typ I: Es zeigen sich vermehrte Fetteinlagerungen an Gesäß und Hüften.

Typ II: Die Fettansammlungen reichen bis zu den Knien, es bilden sich Fettlappen an der Knieinnenseite.

Typ III: Dieser Typ betrifft den gesamten Unterkörper, die Fettansammlungen enden aber am Knöchel.

Typ IV: Arme und Beine sind betroffen, Füße und Hände bleiben ausgespart.

Ich habe ein Lipödem Typ IV, wobei meine Arme nur leicht betroffen sind. An den Beinen hatte ich ein Stadium 2. Heute pendele ich zwischen einem entspannten und einem angespannten Stadium 1. Wobei ich es deutlich merke, wie sich Symptome verabschieden, wenn ich es schaffe, gut auf mich zu achten.

Unterschied zum Lymphödem

Es ist keine Übertreibung, wenn ich aufliste, dass ich von vielen medizinischen Fachleuten gefragt wurde: „Sie meinen, Sie haben ein Lymphödem?“, nachdem ich ihnen mitteilte, dass ich ein Lipödem habe. Doch ein Lymphödem ist im Gegensatz zum Lipödem nicht symmetrisch, sondern es tritt an nur einer Stelle auf, beispielsweise an einem Bein, einem Arm, im Gesicht, am Hals, am Rumpf oder den Genitalien. Es zeigt sich mit Schwellungen des Gewebes durch eingelagerte Flüssigkeit: Zu dem Rückstau kommt es, weil sich mehr Flüssigkeit ansammelt, als abtransportiert werden kann. Ursache kann eine andere Erkrankung sein (sekundäres Lymphödem). Gehäuft treten Lymphödeme zum Beispiel nach Tumoroperationen auf. Beim primären Lymphödem handelt es sich dagegen um eine angeborene Fehlbildung des Lymphsystems. Generell gilt: Im Gegensatz zum Lipödem, das nicht immer sofort als Erkrankung wahrgenommen wird, sind Lymphödeme durch die deutlich abgegrenzte, regionale Schwellung für die meisten Menschen eindeutig medizinisch auffällig.

Professorin Dr. med. Karen Herbst, Endokrinologin

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Mein Name ist Karen Herbst. Ich arbeite als Endokrinologin an der Universität von Arizona. Mein Spezialgebiet sind Patienten mit Erkrankungen des Fettgewebes, wie Lipödem und Dercum-Erkrankung. Ich bin außerdem Programmdirektorin von TREAT, dem Treatment, Research and Education of Adipose Tissue Program (Programm zur Behandlung, Forschung und Bildung im Bereich von Übergewichtsgewebe). Bei TREAT haben wir die Mission, herauszufinden, wie der gesamte Körper von Übergewichtsgewebe in den Unterhautschichten beeinflusst wird, wie es den Stoffwechsel beeinflusst und warum das Fett des Lipödems durch Bewegung und Ernährung nicht verloren werden kann.

2015 habe ich den Preis „Philantropin des Jahres“ erhalten. Diese Auszeichnung bedeutet mir viel, da am Anfang meiner Karriere über Jahre hinweg niemand an den Erkrankungen des Fettgewebes interessiert war. Aber das ändert sich gerade und die Aufmerksamkeit wendet sich zu den Fettgewebserkrankungen. Das gibt uns Hoffnung, dass wir die weit verbreiteten Erkrankungen wie Lipödem und Dercum-Krankheit irgendwann heilen können. Es ist mein Ziel, medizinische Bildverfahren und Phänotypisierungen von normal entwickeltem und abnormalem Fettgewebe weiterzuentwickeln und Menschen in Gesundheitsberufen so weiterzubilden, dass sie für Menschen mit erkranktem Fettgewebe treffsicherere Diagnosen und bessere Therapien anbieten können.

Ich empfehle, dass Lipödem-Patientinnen auch bei Endokrinologen vorstellig werden, da diese tiefgehende Schilddrüsenuntersuchungen durchführen können, die über die normalen Laboruntersuchungen hinausgehen. Es muss untersucht werden, inwiefern Stoffwechselerkrankungen vorliegen. Einem Endokrinologen stehen im Vergleich zum Allgemeinmediziner meist mehr Untersuchungsmöglichkeiten und Erfahrungswerte zur Verfügung.

Die Untersuchungen zu Stoffwechselerkrankungen bestehen aus einer körperlichen Untersuchung, Vermessungen von Hüfte und Taille, Blutdruckbeobachtung und Laborwertuntersuchungen. Im Labor sollte ein Lipidprofil erstellt werden, also ein Überblick über Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin und Triglyceride. Desweiteren untersuchen wir Hämoglobin A1C, Insulinwerte (vor allem Nüchterninsulin) und den Blutzuckerspiegel. Ein Endokrinologe kann dann feststellen, ob eine (zusätzliche) Übergewichtskomponente beim Lipödem vorliegt. Bei reinem Lipödem ohne Adipositas wäre eine Magenbandoperation zum Beispiel nicht angezeigt.

Wenn eine Fehlfunktion der Schilddrüse vorliegt, kann diese durch Ergänzung von Schilddrüsenhormonen ausgeglichen werden und Müdigkeit und Antriebslosigkeit verringern, die Konzentration verbessern und Gewichtsabnahme von zusätzlichem Übergewicht unterstützen. Auch Gewebsflüssigkeit kann durch optimal eingestellte Schilddrüsenhormone reduziert werden. Es ist bisher noch unbekannt, inwiefern die Korrektur von Östrogen- oder Progesteronmangel bzw. -überschuss die Erkrankungen beeinflussen können.

Dr. rer. nat. Dipl.-Biol. Sara al Ghadban, Wissenschaftlerin

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Es ist spannend, Forscherin im Bereich der Zellbiologie des Lipödems zu sein: Die Zellmechanismen zu untersuchen, die Rolle von Entzündung, Hormonen und der Zytokine. Zytokine sind Proteine, die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren und oft bei Entzündungsprozessen eine Rolle spielen. Auch wenn sich in den letzten 10 Jahren viel in der Forschung getan hat: Das Lipödem ist immer noch eine relativ unbekannte Erkrankung und Forschungsgelder zu bekommen ist immer noch sehr schwierig. Was wir wissen: Lipödem ist eine schmerzhafte Fettverteilungsstörung, die oft als simples Übergewicht fehldiagnostiziert wird. Etwa 10 Prozent der Frauen europäischer Herkunft und anderer Bevölkerungsgruppen sind davon betroffen. Lipödem zeigt sich charakteristisch in der symmetrischen Vergrößerung der Fetteinlagerungen von Gesäß, Hüften und Beinen, bei 80 Prozent der Patientinnen auch der Arme.

Das Lipödem-Fettgewebe hat vergrößerte Fettzellen, Entzündungszellen und erweiterte, übermäßig durchlässige Blut- und Lymphgefäße. Eine Fehlfunktion des Lymphsystems sorgt für Flüssigkeitsansammlungen im Gewebe und die Ansammlung von Entzündungszellen, was zu Fibrosen führt und Gewichtsreduktion stark erschwert. Entzündungen und überschüssige Substanz in den Gewebszwischenräumen aktivieren ebenfalls Nervenfasern, die die Schmerzhaftigkeit des Lipödem-Fettgewebes bewirken.

Wir brauchen mehr Forschung, um die Lipödem-Gewebsstrukturen sowie die Form und Funktion von Blut- und Lymphgefäßen bei Lipödem tiefgehend zu entschlüsseln. Wenn wir die Pathophysiologie der Erkrankung verstehen, ermöglicht es medizinischem Personal, die Krankheit besser zu diagnostizieren und potenzielle Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln.

Derzeit gibt es sowohl klinische Studien als auch Grundlagenforschung. Dennoch haben wir kaum die Spitze des Eisbergs erforscht. Bei der Lipedema Foundation kann man die aktuelle Forschung des Felds überblicken. Auch in Österreich gibt es eine Forschungsgruppe zur Zellbiologie des Lipödems. Viele weitere Felder müssen intensiver untersucht werden: Lipödem-Stammzellen, das Lipödem auf neurologischer Ebene, Hormonstudien.

Um gegen das Lipödem anzukämpfen, wird in der konventionellen Therapie und meist auch vor, zwischen und nach Operationen Kompressionsbestrumpfung verschrieben. Dies ist für viele Patientinnen eine Herausforderung. Bei einigen Patientinnen scheitert der Therapiebeginn schon daran, das von den Ärzten*innen ausgestellte Rezept für die Kompression einzulösen. Irgendwie scheint bereits dieser Begriff oder die Vorstellung daran eine Angst auszulösen, die größer ist als jene vor der Verschlimmerung der Krankheit. Vielleicht ist die Nichtauseinandersetzung mit Kompressionsstrümpfen auch Teil einer Verdrängung.

Wobei das Vermessen körperlich eigentlich nicht problematisch ist. Bei meiner ersten Versorgung saß, lag und stand ich auf bzw. vor einer Liege und die Verkäuferin im Sanitätshaus vermaß meine Beine: An jedem Knöchel, Schienbein, Knie und Oberschenkel werden die Umfänge notiert, ebenso an Po, Hüfte, Taille und unter der Brust. Dann wird die Länge des Fußes vermessen und der Abstand zwischen Fuß und Schrittbereich.

Mindestens 25 verschiedene Daten wurden auf einem Bestellbogen für Kompression eingetragen – fein säuberlich an Bein- und Körperlinien notiert. Man entscheidet gemeinsam, wie hoch die Leibhöhe sein soll. Ob es Besonderheiten zu beachten gibt und welche Farbe man möchte. Es gibt nämlich nicht nur schwarze und beige, sondern auch farbige Strumpfmodelle von knallpink bis tiefblau. Darüber hinaus gibt es Batikmuster und Tattooeffekt, Swarowskisteine, Tigerprint und vieles mehr. Modisch kann man sich voll und ganz ausleben, wenn man möchte.

Dennoch: Trotz der Kompetenz und Freundlichkeit der Verkäuferin und der körperlich unproblematischen Prozedur verlief meine erste Erfahrung mit den Kompressionsstrümpfen wie in einem schlechten Traum. Die beherrschenden Gefühle: Verzweiflung, Angst und Selbstvorwürfe. 2 Wochen nach der Vermessung konnte ich die ersten Strümpfe anprobieren. So etwas sollten nur 80-Jährige tragen, dachte ich. Ich war doch noch unter 30! Der Strumpf war unheimlich eng, schnitt mir ins geschwollene Fleisch und ließ sich nur mit Hilfe zweier Verkäuferinnen anziehen. Während der Strumpf an sich hübsch aussah und eine filigrane Borte wie bei einem wunderschönen Dessousstrumpf hatte, machten eben diese grazilen Verzierungen meine Beine in meiner Wahrnehmung zur Karikatur. Das allgemein vorherrschende Schönheitsideal brüllte mir ins Ohr, dass ein schlanker, glatter, trainierter Frauenschenkel in ein solches Wäschestück gehörte, aber nicht ein Bein, das fettumhüllt und durch Orangenhaut gezeichnet war. Nur ein letztes bisschen Selbstachtung hinderte mich daran, auf dem gesamten Heimweg über mein Schicksal zu weinen.

Strümpfe bestimmen das Leben mit

Gerade am Anfang braucht es viel Zeit und Übung, die Strümpfe anzuziehen. Ich stand 15 Minuten früher auf und musste mir überlegen, wie ich bei der anstrengenden Prozedur nicht auch noch meinen damaligen Partner aufweckte. Denn eigentlich sollen die Strümpfe morgens sofort, noch im Bett liegend, angezogen werden. Das Wackeln auf der Matratze macht es dabei nahezu unmöglich, dass ein*e Partner*in weiterschlafen kann. Also lernte ich, die Strümpfe auf dem Teppichboden neben dem Bett anzuziehen, was von außen betrachtet vermutlich wie der ungeschickte Versuch einer Made wirkte, die in einen Strohhalm klettern möchte.

Ich begann, mein Leben um meine Strümpfe herum zu planen. Denn auch das Duschen am Morgen war für mich nicht mehr so leicht möglich. Die Beine sind nämlich auch nach gründlichem Abtrocknen noch leicht feucht, was ein Anziehen der Strümpfe umso beschwerlicher macht. Also duschte ich abends und versicherte mich, dass inklusive Zähneputzen alle weiteren Tätigkeiten bereits erledigt waren, ich also nach dem Duschen nicht mehr ohne Strümpfe herumlaufen musste.

So gibt Kompression neuen Halt

Obwohl die Therapie mit Kompressionsstrümpfen nicht von Anfang an eine Freude ist, sondern mit einigen Qualen und Konfrontationen daherkommt, ist sie nicht ohne Grund die erste und wichtigste Säule der Behandlung des Lipödems. Nur aufgrund der Strümpfe ist es mir gelungen, bereits in den ersten Wochen die Beinumfänge zu reduzieren. Kompressionsstrümpfe machen genau das, was sie versprechen: Sie verengen die Gefäße im Bein und erleichtern damit den Flüssigkeitstransport!

Durch den Druck wird ein Ausschwemmen von Wasser bewirkt und damit eine immense Verbesserung der Gesamtsituation.

Mit ein wenig Übung wird auch das Anziehen deutlich leichter und geht schneller. In relativ kurzer Zeit hätte man mir Geld anbieten müssen, damit ich die Strümpfe nicht anziehe. Ich merkte deutliche Verbesserungen im Beingefühl, hatte abends weniger Schmerzen, fand es angenehmer, mich zu bewegen. Und langsam – Schritt für Schritt – bekam ich ein Gefühl dafür, warum es viele Menschen so wohltuend finden, einen Spaziergang zu machen. Ich tat das von nun an täglich.

Wenn ich die Strümpfe einmal nicht trug – und wenn es nur für den kurzen Weg zur Bäckerei vor der Haustür war – bereute ich dies oft schon beim Verlassen der Wohnung. Die Bewegung des Fetts um mein Bein herum war unangenehm und schmerzhaft. Ich begann deutlich zu spüren, wenn meine Beine anschwollen und schwer wurden. Dank der Kompressionsstrümpfe wurde mein Körpergefühl deutlich aufmerksamer dafür, was mir (nicht) guttat.

Von Rundstrick und Flachstrick

Ich startete meine Erfahrungen mit Kompressionsstrümpfen und Strumpfhosen zunächst mit einem Rundstrickstrumpf der Firma Medi. Rundstrick sieht vom Material her fast wie eine Feinstrumpfhose aus, ist zumeist halbtransparent und könnte auch für ein nichtmedizinisches Kleidungsstück gehalten werden. Rundstrickstrümpfe kosten zwischen 125 und 175 Euro. Mein erster Strumpf ging von der Fußspitze bis zum Oberschenkel und endete dort mit einem Strumpfband. Schon nach kurzer Zeit wurde er mir zu groß und ich bekam einen neuen Strumpf mit schlankeren Maßen.

Wenige Wochen später brauchte ich ein weiteres, noch schmaler geschnittenes Strumpfpaar, welches mir ebenfalls nach kurzer Zeit vom Bein rutschte, weil ich so rasant an den bestrumpften Stellen an Zentimetern verlor. Am unbestrumpften oberen Abschnitt meines Oberschenkels blieb eine unproportional dicke Wölbung. Entscheidend für mich war: Ich begann, Hoffnung zu entwickeln.

Schließlich wurde es Zeit für flachgestrickte Strumpfhosen, in meinem Fall von der Firma Juzo. Jetzt wurde auch die oberste Wölbung meiner Oberschenkel eingeschlossen. Zudem haben Strumpfhosen einen Leibteil, der bis über den Bauchnabel gehen sollte.

Diese Anfertigung wird zentimetergenau an das Bein angepasst. Sie ist aus gröberem Material und hat an der Beinrückseite eine breite Naht, die eindeutig verrät, dass es sich um ein medizinisches Produkt handelt. Diese Flachstrickstrumpfhosen haben gegenüber der Rundstrickvariante einen deutlichen Vorteil: Der entstehende Druck ist sowohl ein Arbeitsdruck als auch ein Ruhedruck. Das heißt, die Druckwirkung ist nicht nur gegeben, wenn man die Muskeln bewegt, sondern auch beim ruhigen Sitzen, Stehen oder Liegen. Diese maßangefertigten Strümpfe und Strumpfhosen sind allerdings auch deutlich teurer, die Kosten liegen hier zwischen 500 und über 700 Euro.

Nebenwirkungen abklären lassen

Das Tragegefühl verbessert sich mit der Zeit deutlich. Zum einen liegt das daran, dass sich – wenn die Behandlung gut anschlägt – der Beinzustand verbessert und das Gewebe weniger unter Spannung steht. Und zum anderen ist paradoxerweise ein festerer Strumpf angenehmer zu tragen als ein weniger fester, da sich der Druck des Strumpfmaterials gleichmäßiger verteilt. Sollten am Anfang dennoch Nebenwirkungen auftreten – wie etwa hoher Blutdruck, Kopfschmerzen oder Übelkeit –, ist es sinnvoll, den Sitz der Strumpfhose überprüfen zu lassen.

Vielleicht ist sie für den Anfang etwas zu eng? Oder der Leibteil sitzt zu straff? Viel Trinken ist in der Anfangszeit auf jeden Fall wichtig und wirkt Kopfschmerzen entgegen. Es gibt auch Strumpfhosen mit flexiblem Leibteil, die auch in Schwangerschaften eingesetzt werden können. Wenn du Nebenwirkungen hast, kannst du auch zunächst stundenweise (morgens beginnend) mit der Kompression anfangen und im Sanitätshaus oder mit deinem*r Arzt*Ärztin die Beschwerden besprechen. Wenn etwas anschwillt oder das Material einschneidet, solltest du die Strümpfe unbedingt ausziehen und überprüfen lassen.

Neue Erlebnisse werden möglich

Interessanterweise war es zunächst so, als ob sich mit den Kompressionsstrümpfen das Gehen und die Orientierung leicht veränderten. Ich hatte das Gefühl, meine Koordination neu erlernen zu müssen. Manchmal trat ich sogar auf der Treppe leicht neben die Treppenstufe. Konzentration war gefordert. Dafür hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, körperlich sehr zusammengehalten zu sein: Nicht mehr das Schlackern meiner Beine zu spüren und eine gewisse Straffheit und Haltung zu merken, stärkte mich auch emotional. Die Kompression am Bauch gab mehr Haltung beim Sitzen. Ich fühlte mich „gehalten“ und das tat mir sehr gut.

Erst kürzlich bin ich bei einem 20-minütigen Spaziergang um den See richtig sentimental geworden: Es war sonnig, das Wasser glitzerte. Ich spürte den Boden unter meinen Turnschuhen, atmete die frische Luft ein und fühlte aus tiefstem Herzen, wie dankbar ich meinen Strumpfhosen bin, dass sie dieses schöne Erlebnis und viele andere ermöglichen. Solche Momente sind glaube ich ganz wichtig. Man muss wissen, wofür man die Strümpfe trägt, um sich täglich wieder konsequent hineinzuzwängen und sie regelmäßig zu tragen.

Weder ein spontanes Sonnenbad noch ein kurzer Spaziergang sind für uns Lipödem-Patientinnen mal eben möglich. Immer ist ein umständliches An- und Ausziehen vonnöten. Manchmal muss man sich deshalb daran erinnern, wie es ohne Strümpfe und wie viel schlechter der Körperzustand dann wohl wäre. Auch ist es im Sommer natürlich besonders unangenehm, in enge, dicke Strumpfhosen gepackt zu sein. Aber besonders dann ist die nachhaltige Kompressionstherapie sehr wichtig.

Die richtige Pflege

Für eine bessere Haltbarkeit sollten Kompressionsstrümpfe grundsätzlich mit einem Vollwaschmittel behandelt werden, welches keinen Weichspüler enthält. Regelmäßiges, tägliches Waschen tut den Strümpfen insgesamt gut und frischt die Elastizität auf. Ich wasche die Strümpfe von Hand oder mit der Maschine im Kurzwaschgang bei 30 Grad und mittlerem Schleudergang. Bei der Handwäsche achte ich darauf, dass ich die Strümpfe nicht zu stark wringe, sondern eher vorsichtig ausdrücke. Da klassische Handwaschmittel der Elastizität schaden können, sollte auch hier ein Vollwaschmittel oder ein spezielles Handwaschmittel der Hersteller eingesetzt werden. Der Trockner ist für mich übrigens tabu, auch wenn die Händler zumeist angeben, dass ein Trocknen im Schontrockengang möglich ist. Vom Trocknen in der Sonne oder auf der Heizung raten die Hersteller ab. Und auf keinen Fall sollten die Strumpfhosen lange nass in einer Tasche oder in einem Handtuch herumliegen.

Welche Marke? Welches Modell?

Um es vorwegzunehmen: So ganz genau kann niemand aus der Ferne entscheiden, welche Marke und welches Modell genau richtig für dich sind. Die verschiedenen Hersteller bieten auch viele unterschiedliche Modelle an. Und niemand hat sie in allen Krankheitsstadien und an allen vorstellbaren Körpern repräsentativ getestet. Unterschiedliche Reputationen gibt es aber schon, die ich hier kurz und unverbindlich aus zahlreichen persönlichen Gesprächen und anekdotischen Erzählungen zusammentrage.

Demnach scheint Juzo die am häufigsten verwendete Marke unter Lipödem-Patientinnen zu sein. Die Produkte gelten als bequem mit hohem Tragekomfort. Nur gegen Ende der Tragezeit dünnt das Material mitunter etwas aus. Auch ich trage Strumpfhosen dieses Herstellers (Expert) gerne und habe nicht das Bedürfnis, zu einem anderen zu wechseln.

Auch die Strümpfe von Medi werden von einigen Patientinnen als angenehm kraftvoll beschrieben, manche bemängeln aber den Tragekomfort bei den Flachstickmodellen 550 und Mondi. Tierbesitzerinnen und Friseurinnen schreiben oft, dass Haare an Modellen von Medi weniger hängenbleiben als an anderen Strumpfhosen, da sie eher glatt sind. Leider bewirkt das für einige wiederum, dass die Strümpfe etwas stärker rutschen.

Strümpfe und Strumpfhosen von Jobst haben ein sehr festes Material, das einige sehr schätzen. Das Unternehmen Ofa hat ein Modell mit Merinowolle im Sortiment (Lastofa Forte), das manchen gut gefällt, da es als sehr weich empfunden wird und für ein angenehmes Wärmeempfinden sorgt. Auch hinsichtlich der Frage, mit welcher Kompressionsstrumpfhose man gut aktiv sein kann, berichten verschiedene Patientinnen von guten Erfahrungen mit diesem Modell.

„Nie wieder etwas anderes“, empfehlen Patientinnen oft, die das Modell Curaflow des Anbieters Bauerfeind tragen. Das feinmaschige Gestrick führt zu einem effektiven Druck auf das Beingewebe, was viele als sehr angenehm empfinden.

In der Praxis ist es so, dass Sanitätshäuser oft einen oder mehrere bestimmte Kooperationspartner haben, für die sie besonders gut Maß nehmen können. Nicht ohne Grund: Die Kommunikation zwischen Sanitätshaus und Herstellern sollte stimmen, damit vorgenommene Messungen später beim fertigen Strumpf auch wirklich ihren Zweck erfüllen und die Strümpfe gut passen. Wenn du aus irgendeinem Grund Probleme mit deinen Kompressionsstrümpfen hast, solltest du dennoch auch nach Angeboten anderer Hersteller fragen.

Bei Rundstrickmodellen von der Stange kann man auch auf Online- Vergleichsportalen nach Empfehlungen schauen. Diese Vergleichsportale sind nicht immer transparent, was die Herkunft der Daten anbelangt. Frauen mit Lipödem tragen meistens Kompressionsklasse 2 oder 3 und Flachstrick. In Kompressionsklasse 2 und Rundstrick schneidet auf vergleich.org eine Strumpfhose von BeFit24 sehr gut ab. Auch ein Modell von Lorey wird ebenfalls sehr gut bewertet.

Schnittformen sind eine Frage der persönlichen Bedürfnisse

Bezüglich der Frage nach Bermuda, Capri, Strümpfen oder Stulpen gibt es für mich persönlich nur eine Antwort: Strumpfhose. Ich möchte, dass meine Beine komplett in Kompression sind und dass zwischen den verschiedenen Körperpartien keine Übergänge sind. Meine eingangs beschriebenen Erfahrungen mit den Oberschenkelstrümpfen und ein Sommer mit einer Bermudahose haben mich gelehrt: Außerhalb der Kompressionszone hatte ich jeweils mit verstärkten Schwellungen zu kämpfen. Nur innerhalb der Kompression habe ich den gewünschten Effekt erlebt. Meine Partnerin meint übrigens, ich sehe in Kompression sexy aus. Und sie mag sogar den allabendlichen „Tanz“, den ich vor dem Schlafengehen veranstalte, um aus der Strumpfhose herauszukommen.

Sollte es medizinische Gründe für eine andere Form geben, dann sind diese Formen natürlich richtig und wichtig. In diesem Falle gilt immer, die unteren Versorgungen (z. B. Kniestrümpfe) vor den oberen Versorgungen (z. B. Caprihose) anzuziehen. Außerdem im Falle des Falles lieber nur die untere Versorgung, nicht aber nur die obere Versorgung zu tragen. Bei einer Online-Umfrage in einer Lipödem- Selbsthilfegruppe war das Votum recht eindeutig: Auf die Komplettstrumpfhose schworen genauso viele Frauen wie auf die Kombination Oberschenkelstrümpfe und Bermudahose. Der Gewinner der Online-Umfrage war dagegen eine Kombination aus Caprihosenlänge und Kniestrümpfen, die den oberen Kniebereich doppelt verpackt und dabei etwas Flexibilität bietet.

Bleibt festzuhalten: Als Patientinnen sind wir alle verschieden. Die einen legen Wert auf weiche Passgenauigkeit, die anderen auf höchste Effektivität und Spannung. Manche wünscht sich interessante Muster, die andere einen optimalen Drainageeffekt. In jedem Fall aber ist die Kompression der Grundbaustein der Lipödem- Therapie. Wenn sie nicht richtig sitzt, ist vieles andere vergeblich.

Kompression & Kleidung

Einen Tipp meiner Ärztin, den ich konsequent beherzige, möchte ich dir auch noch weitergeben: Unter der Kompressionsversorgung keine Unterhose tragen! Das klingt vielleicht erst einmal seltsam, aber da die Strumpfhosen ohnehin jeden Tag gewaschen werden, ist das an sich kein Problem. Der Vorteil ist, dass die Nähte der Unterwäsche so nicht durch die Kompression in die Haut gedrückt werden und den Lymphfluss beeinträchtigen. Falls ich mal zum Arzt oder zur Lymphdrainage muss, habe ich allerdings immer eine Unterhose in der Handtasche. Das hat schon zu lustigen Situationen geführt. In meiner Handtasche ist manchmal ein bisschen Chaos. Und wenn ich nicht weiß, ob ich noch eine Notfallunterhose eingepackt habe, dann packe ich immer noch eine dazu. Immer wenn ich dann die Handtasche mal wieder aufräume, habe ich in der Regel eher zu viele als zu wenige Unterhosen eingepackt. Mein persönlicher Rekord liegt bei 7 Unterhosen.

Über der Kompression sollte die Kleidung möglichst locker sein. Röhrenjeans und Bleistiftrock sind zwar nicht verboten, können aber durchaus dazu führen, dass sich Gewebsflüssigkeit anstaut. Als sehr angenehm empfinde ich es auch, wenn die Kleidung über der Kompression möglichst kurz ist und zumindest die Knöchel frei sind. Alles was über die Knöchel geht, lässt mich ziemlich schnell überhitzen und ich fühle mich eingesperrt.

Sanitätshäuser & Kostenerstattung

Das richtige Sanitätshaus macht da natürlich auch einen großen Unterschied! Mir war das nicht sofort klar, da ich mit meinem ersten Sanitätshaus wirklich Glück hatte, weil man dort auf Kompression speziell für Frauen spezialisiert war. Nicht jede Lipödem-Patientin macht gleich zu Anfang ebenso gute Erfahrungen. Viele der Häuser sind ein buntes Sammelsurium des Hilfsmittelmarkts: Verkauft werden Schuheinlagen, Kniebandagen, Orthesen, Prothesen, Rollstühle, Gehhilfen und vieles andere mehr. Mitunter laufen Kompressionsartikel unter ferner liefen und es fehlt die Expertise bezüglich der richtigen Vermessung und Beratung. Hier ist es also sehr sinnvoll, per Online-Recherche oder mithilfe einer Selbsthilfegruppe eine gute Adresse am eigenen Ort zu finden.

Ein für Lipödem-Patientinnen geeignetes Sanitätshaus hat die Kompressionsversorgung als Schwerpunkt und verfügt über mindestens eine spezialisierte Fachkraft, die für die Beratungen zur Verfügung steht.

Und noch ein Tipp: Es ist wichtig, dass du dich vorab informierst, welche Regelung bezüglich Kompressionsversorgung bei deiner Krankenkasse gilt. Die meisten gesetzlichen Krankenkassen zahlen 4 Strumpfpaare pro Kalenderjahr. Es gibt aber auch Krankenkassen, die nur 2 Strumpfpaare pro Kalenderjahr erstatten, was eine Versorgung unvollständig und das Leben der Patientin sehr schwierig macht. Ähnlich sieht es oft bei privaten Versicherern aus: Teilweise wird nur ein einziges Paar Kompressionsstrümpfe für ein ganzes Jahr erstattet. Eine Wechselversorgung ist jedoch nicht nur aus hygienischen Gründen unerlässlich, da die Strümpfe täglich gewaschen werden müssen. Auch ist ein so funktionales Kleidungsstück anfälliger für Schäden.

Ich habe mittlerweile gelernt, Nähte selbst wieder zusammenzunähen, wenn beispielsweise am Fuß, im Schritt oder am Antirutschband Löcher entstehen. Frage am besten im Sanitätshaus nach, ob du dort einen hoch elastischen Spezialfaden bekommen kannst, mit dem das Nähen gut funktioniert. Müssen die Strümpfe etwa bei größeren Rissen oder einem Herstellungsfehler eingeschickt werden, dauert das üblicherweise 2 bis 3 Wochen.

Nach 6 Monaten verlieren die Strümpfe ihre Kompressionswirkung und müssen spätestens dann ausgewechselt werden. Alles in allem wirkt sich eine Unterversorgung mit Kompressionsstrümpfen äußerst nachteilig auf den Krankheitsverlauf aus und führt zu unzähligen Problemen: Nasse Strumpfhosen verursachen Erkältungen und Nierenprobleme. Eine mangelhafte Versorgung führt zudem zur Wirkungslosigkeit aller anderen durchgeführten Maßnahmen, wie zum Beispiel einer Lymphdrainage.

Pause von der Kompression?

Bei meiner Lymphdrainage und auch in verschiedenen Foren habe ich häufig davon erfahren, dass nicht alle Patientinnen ihre Strümpfe konsequent tragen. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Generell sollte daran gearbeitet werden, dass die Bequemlichkeit erreicht wird, die es braucht, um die Strümpfe zu tragen. Sollte man die Strümpfe nur einen halben Tag lang tragen können oder wollen, ist es sinnvoller, sie von morgens an zu tragen und am Nachmittag auszuziehen. Wenn man den Morgen ohne Kompression verbringt, ist es anschließend schwieriger, die Strümpfe anzuziehen. Nur wenn ich mal wirklich einen Tag im Liegen verbringe – beispielsweise weil ich einen faulen Sonntag mit Serien und einem guten Buch im Bett verbringe –, lasse ich die Strümpfe für diesen Tag ganz weg. Ansonsten ist es für den Krankheitsverlauf überhaupt nicht vorteilhaft, wenn die Kompression dauerhaft nicht getragen wird.

Neben der Verbesserung des Lipödems hatte ich übrigens noch wesentlich mehr positive Effekte durch die Kompressionstherapie: einen normalisierte Blutdruck, die Verbesserung meiner Schwindelgefühle und generell größere Aktivität und eine positive Spannung. Nur gegen Moskitostiche schützen die Strümpfe leider nicht. Die kleinen Biester können da noch ganz gut durchstechen. Aber dessen ungeachtet ist mein wichtigster Rat: Trag deine Strümpfe jederzeit!

Dagmar Diedrich-Anima, Medizinische Versorgung für Frauen

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Das Sanitätshaus Anima hat sich bereits 2001 hauptsächlich auf die Versorgung von Frauen spezialisiert und bietet vor allem Produkte in den Bereichen Phlebologie (Venenleiden) und Lymphologie (Lymphund Lipödem) an. Wir wollen Frauen helfen, durch eine gute Versorgung ihre Lebensqualität zu verbessern, zu erhalten oder wiederherzustellen. Kurz nach der Diagnose sind viele Frauen mit der Suche nach flachgestrickter Kompressionsversorgung überfordert. Ein gutes Sanitätshaus ist deshalb besonders wichtig.

Bei der Internetrecherche und im lokalen Branchenverzeichnis findet man enorm viele Sanitätshäuser. Doch der erste Blick täuscht, denn nicht alle sind mit Flachstrick-Kompressionsversorgungen vertraut, bieten diese sogar oftmals gar nicht erst an.

Wir empfehlen vor dem ersten Besuch durch einen Blick auf die Internetseite oder einen Anruf herauszufinden, ob das Unternehmen diese besondere Art des Messens auch wirklich beherrscht. Andernfalls kann die Bestellung schnell enttäuschend werden. Sie haben es bereits schwer genug, ersparen Sie sich den unnötigen Frust!

Ein weiterer, oft unterschätzter Tipp: Achten Sie beim Besuch des Sanitätshauses auch auf die zwischenmenschliche Komponente! Wie werden Sie behandelt? Fühlen Sie sich wohl? Haben Sie das Gefühl, ernstgenommen zu werden? Diese Punkte sollten ebenfalls eine Rolle spielen!

Haben Sie ein qualifiziertes Sanitätshaus gefunden, wird man Sie dort ausmessen. Dieser Prozess ist unglaublich wichtig. Dabei sollte man Folgendes beachten:

• Der Messzeitpunkt ist wichtig – entweder morgens oder direkt nach einer Lymphdrainage sollte gemessen werden, damit die Beine möglichst entstaut sind.

• Das Maßnehmen unterscheidet sich: Bei Flachstrick muss das sogenannte Zugmaß genommen werden, bei Rundstrick hingegen das Hautmaß.

• Je nach Hersteller müssen verschiedene Messpunkte genommen werden – andernfalls sitzt die Versorgung nicht richtig.

• Besonders bei den Abschlüssen ist Sorgfalt das oberste Gebot, da die Versorgung andernfalls schmerzhaft in die Haut einschneiden könnte.

Doch die Maße allein bewirken noch nicht, dass die Versorgung angenehm sitzt und den schmerzhaften Alltag erleichtert. Nun gilt es, sich für einen der zahlreichen Hersteller zu entscheiden: wie zum Beispiel Juzo, Medi, Bauerfeind, Ofa, Jobst, Thuasne – an Auswahl mangelt es nicht, wohl aber an Sachkenntnis, welches Produkt von welchem Hersteller für Ihre individuellen Bedürfnisse am geeignetsten ist. Doch keine Sorge, auch hier sollte Ihnen die kompetente Fachkraft des Sanitätshauses bei der Auswahl behilflich sein können. Für unser Haus sind vor allem Dinge wie die Wandstabilität des Materials, die sich an der Gewebestruktur der Patientin orientiert, der Tragekomfort und die zur Verfügung stehenden optischen Merkmale wichtig. Das Klischee der biederen, nicht vorzeigbaren Kompressionsware ist schon lange nicht mehr aktuell.

Zu Beginn meiner Therapie wusste ich nicht, was ich unter einer Lymphdrainage verstehen sollte. Der Begriff erweckte bei mir ähnlich unangenehme Assoziationen wie das Wort Aderlass und klang nach der Verheißung von Schmerzen bzw. mindestens einer torturähnlichen Prozedur. Glücklicherweise sollte ich bald feststellen, dass die Lymphdrainage einen sehr angenehmen Teil der Lipödem-Therapie darstellt. Der schwierigste Teil daran war der, die ungeliebten Körperstellen vor fremden Menschen zu entblößen und anfassen zu lassen, aber auch die Konfrontation mit der eigenen Beinmasse.

Bei den ersten Lymphdrainagen ging es mir deshalb psychisch sehr schlecht. Doch mit der Verbesserung der Erkrankung wurde auch das Gefühl bei der Behandlung besser. Ich hatte wechselnde Therapeuten*innen, die alle mit unterschiedlichen Handgriffen arbeiteten. Gemeinsam war allen Sitzungen, dass sie innerhalb der 25 bis 50 Minuten andauernden Behandlung eine deutliche Verbesserung des Gewebezustands bewirkten. Häufig konnte ich allein aufgrund des sich einstellenden besseren Körpergefühls und der Leichtigkeit in den Beinen bemerken, wie belastet diese vor der Lymphdrainage waren. Mein Bewegungsdrang und auch meine Stimmung verbesserten sich schlagartig. Einige Male sprang ich förmlich vor Freude in die Luft, nachdem ich die Praxis verlassen hatte. Dieses leichte Beingefühl war wirklich ein Geschenk.

Was passiert da eigentlich?

Prinzipiell gibt es 3 verschiedene Richtungen der manuellen Lymphdrainage (MLD): Die Vodder-, die Asdonk- und die Földi-Methode. Der dänische Biologe und Physiotherapeut Dr. Emil Vodder (1896 bis 1986) und seine Frau Estrid entwickelten die Massagegriffe, die heute als MLD bekannt sind, in den 1930er-Jahren. Ursprünglich war das Ziel, Patienten mit chronischen Infekten der oberen Atemwege, die oft stark geschwollene Lymphknoten am Hals aufwiesen, Linderung zu verschaffen. Da Vodder selbst kein Mediziner war, wurde die MLD lange nicht von der Schulmedizin anerkannt.

Eine Hürde, die erst durch Weiterentwicklungen der Ärzte Dr. med. Johannes Asdonk (1910 bis 2003) und Prof. Dr. med. Michael Földi (1920 bis 2018), der als Vater der modernen MLD gilt, genommen werden konnte. Durch die Erzählungen seiner späteren Ehefrau Christa lernte Asdonk 1963 die manuelle Lymphdrainage kennen. Wenige Jahre später gründete er die erste Schule für MLD und dann die erste lymphologische Fachklinik Anfang der 1970er-Jahre. Auch Földi gründete gemeinsam mit seiner Ehefrau Etelka 1979 eine lymphologische Fachklinik in Hinterzarten; an der Földischule werden bis heute Therapeuten in manueller Lymphdrainage ausgebildet. Auch der Begriff der komplexen physikalischen Entstauungstherapie (KPE) wurde insbesondere durch die Arbeit der Familie Földi geprägt.

Die Therapeuten*innen aktivieren üblicherweise zunächst die oberen Lymphbahnen am Schlüsselbein durch kreisförmige Bewegungen in Richtung seiner inneren Enden. Dies kann durch das Rückwärtskreisen der Schultern unterstützt werden. Anschließend folgt die Bearbeitung des Bauchraums, was man selbst als Patientin durch tiefe Bauchatmung unterstützt. An den Beinen beginnt die Lymphdrainage üblicherweise an den Leistenlymphknoten. Mit Schöpf-, Dreh- und Pumpgriffen geht es dann weiter nach unten, im besten Fall bis zu den Füßen und Zehen. Diese Aktivierung erhöht die Pumpleistung der Lymphgefäße und schiebt gestaute Ödemflüssigkeit aus dem betroffenen Körperteil in gesunde Körperregionen. Die entstauende Wirkung einer MLD hält eine Zeit lang an, wenn man sofort anschließend die passenden Kompressionsstrümpfe anzieht. Ohne konsequentes Tragen der Strümpfe oder bei nicht mehr ausreichend wirksamer Kompression verpufft der Effekt dagegen rasch.

Noch eine interessante Beobachtung möchte ich dir weitergeben: Nach meinem ersten Therapeuten*innenwechsel hatte ich schreckliche Angst, dass die „neue“ Lymphdrainage vielleicht „falsch“ sein könnte: Jeder Griff, der mir ungewöhnlich vorkam, hätte ja zu einem schlechteren Resultat führen können. Manche Therapeuten*innen bearbeiten etwa die Beinrückseite, andere verzichten darauf. Manche legen eine Kissenrolle unter die Kniekehlen, andere nicht. Einige verbringen viel Zeit im Hals- und Bauchbereich, andere weniger. Ich habe nach einigen sehr unterschiedlichen Behandlungen festgestellt: Der Effekt nach der MLD ist für mich immer positiv.

Positiv unterstützen

Um die Lymphdrainage zu unterstützen und auch zu Hause noch einen möglichst guten Effekt zu haben, fragte ich viele Physiotherapeuten* innen, welches Verhalten meinerseits sich positiv auswirken würde. Ich wollte zum Beispiel wissen, ob es vorteilhafter ist, eine Lymphdrainage am Vor- oder am Nachmittag wahrzunehmen. Ob sich Bewegung eher vor oder nach der Lymphdrainage anbietet und welche Griffe ich an mir selbst ausführen kann. Aus den verschiedenen Rückmeldungen und dem eigenen Ausprobieren zog ich folgende Schlüsse: Da die MLD im Liegen stattfindet, kann sich ihr Effekt verlängern, wenn man auch danach noch entspannen kann – dazu ist ein Termin am späten Nachmittag sehr hilfreich. Ich bleibe nach der Behandlung gerne eine Weile liegen. Das ist meistens ein sehr angenehmer Moment, denn ich fühle mich schmerzreduziert und leichter, entspannter und angenehm müde. Ein weiterer Effekt der MLD ist, wenn man nach der Behandlung dringend zur Toilette muss und Flüssigkeit aus dem System entlassen kann.

Sportliche Betätigung oder ein körperlich aktiver Tag ist eher vor der Behandlung sinnvoll, weil durch Bewegung die Durchblutung der Beine verstärkt wird. Das ist grundsätzlich gut, erhöht jedoch auch die Menge an Wassereinlagerungen. Im Anschluss an die Aktivität ist die MLD also genau richtig. Nur in dem Fall, dass du erst durch die erleichterte Situation nach der Behandlung dazu befähigt bist, dich zu bewegen, ist Sport nach der MLD sinnvoller als vorher.

Selbstbehandlung leicht gemacht

Aus den Gesprächen mit den Therapeuten*innen entwickelte ich auch eine eigene Technik zur Selbstbehandlung, die ich insbesondere im ersten Jahr der Therapie sehr häufig, meist sogar täglich, anwandte. Dabei massiere ich abends vor dem Schlafen ebenfalls zunächst die Mulden oberhalb des Schlüsselbeins kreisförmig in Richtung seiner unteren Enden, drücke und massiere dann die Bauchregion, während ich sehr tief in den Bauch einatme, und aktiviere anschließend die Leistenlymphknoten und die oberen Oberschenkellymphbahnen mit leichten Kreisbewegungen aufwärts.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842629431
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Januar)
Schlagworte
Lymphdrainage Behandlungsmöglichkeiten Ernährung Bewegung Hormone Lymphsystem Medikamente Ratgeber

Autor

  • Lia Lindmann (Autor:in)

Lia Lindmann erhielt 2012 die Diagnose Lipödem. Seitdem hat sie sich intensiv mit der Erkrankung beschäftigt und Wege gesucht und gefunden, ihr Leben mit Lipödem zu verbessern. Für ihr Buch hat sie nicht nur auf ihre praktische Lebenserfahrung zurückgegriffen, sondern auch unzählige Expertengespräche geführt und Erkenntnisse aus Fachbüchern, Ratgeberbroschüren und Fachartikeln zusammengetragen. Lia Lindmann arbeitet als Pädagogin und Journalistin und wurde von Institutionen wie den Vereinten Nationen oder UNESCO gefördert und besprochen. Sie bietet außerdem individuelle Beratung für Menschen mit Lipödem an.
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Titel: Leichter leben mit Lipödem