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Verhaltensprobleme beim Hund

Von den Grundlagen bis zum Management

von Patricia Solms (Herausgeber:in)
248 Seiten

Zusammenfassung

Dieser übersichtliche und leicht verständliche Ratgeber gibt der TFA einen guten Überblick über die am häufigsten vorkommenden Problemverhaltensweisen beim Hund. Fünf renommierte verhaltenstherapeutisch tätige Tierärztinnen geben Tipps für die tägliche Praxis und schildern nachvollziehbare Therapieansätze für die Beratung von Patientenbesitzern. Das Buch ist problemorientiert aufgebaut, jede Verhaltensweise wird erklärt und durch eine Liste der einhergehenden typischen Auffälligkeiten ergänzt. Die TFA bekommt HIlfestellung für das Management von Verhaltensauffälligkeiten und nützliche Tipps zur Prävention. Fachbegriffe können jederzeit im Glossar nachgeschlagen werden. Hand-Outs für Patientenbesitzer stehen zusätzlich online zur Verfügung. Ein wertvoller Ratgeber zum Nachschlagen, den jede TFA gerne zur Hand nehmen wird.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort
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„Deutsch ist nicht des Hundes Muttersprache!“

 

Liebe Leserinnen und Leser,

Durch Bilder wie Lassie und Haschiko werden Vorstellungen geprägt, wie Hunde sein sollen. Doch nicht jeder Hund kann den Ansprüchen seines Besitzers gerecht werden, denn so unterschiedlich wie die Hunde selbst, sind auch deren Halter. Angefangen von „Helikopter-Besitzern“, die – nie ohne Leckerli-Beutel um die Hüfte – peinlich genau darauf achten, dass ihr Hund nicht als erster durch die Tür geht, bis hin zu Besitzern von „Handtaschen-Hunden“, deren Pfoten niemals den Boden berühren dürfen, da sie sich schmutzig machen könnten. Häufig denken Hundehalter, ihr Hund wüsste automatisch sofort, was die Kommandos bedeuten, z. B. was „aus“ heißt. Oft wurde dem Hund diese Vokabel nie richtig beigebracht und er kann gar nicht wissen, was das überhaupt heißt. Genauso könnte der Besitzer „Gurke“ sagen. Probleme sind so vorprogrammiert, was sich nicht zuletzt im Erfolg von Hundeflüsterern und selbsternannten Experten widerspiegelt. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass der Tierarzt oder deren Helferinnen immer wieder zu Rate gezogen werden, wenn Probleme auftauchen. Aus Erfahrung weiß ich, dass viele Tierärzte „zwischen Synkope und Epilepsie“ nicht die Zeit oder die Möglichkeit haben, sich im Detail mit Verhaltensproblemen auseinanderzusetzen und die Besitzer kompetent zu beraten. Daher fällt es nicht zuletzt in den Kompetenzbereich der TFA, dies zu übernehmen. Aber woher soll die TFA wissen, was zu tun ist, wenn der Hund z. B. an Silvester nicht mehr aus dem Badezimmer hervorkommen möchte? In meiner Kindheit wurden Hunde noch angebrüllt und auf den Rücken geworfen, in meiner Studienzeit nur noch mit ihnen geflüstert. Heute geht nichts mehr ohne Leckerli – und an Strafe darf man nicht einmal denken. Aber welcher Ansatz zur Verhaltensänderung ist der richtige? Literatur zur Hundeerziehung gibt es zuhauf. Der Erfolg meines ersten Buches „Verhaltensprobleme bei der Katze“ zeigt mir, dass der Bedarf, sich sachkundig über die Grundlagen von Problemverhalten zu informieren und Patientenbesitzer zumindest bei ersten Lösungsansätzen kompetent zu beraten, nach wie vor ungebrochen ist. Nicht nur TFAs, sondern Tierpfleger in Tierheimen, Betreiber von Tierpensionen, Betreuer/Pflegestellen aus dem Tierschutzbereich und Tierärzte können davon profitieren, damit ein harmonisches Zusammenleben von Tier und Mensch (wieder) möglich ist und Schäden auf beiden Seiten vermieden werden.

Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Frau Sabine Poppe von der Schlüterschen Verlagsgesellschaft, welche mich dazu ermutigte, ein weiteres Buch auf dem Gebiet der Verhaltenskunde herauszubringen. Des Weiteren wäre dieser Ratgeber nicht ohne den unermüdlichen Einsatz der Autorinnen und unserer Lektorin Frau Martina Kunze entstanden. Des Weiteren möchte ich mich auch bei allen Vier- und Zweibeinern für die vielen schönen Fotoaufnahmen bedanken, sowie bei Frau Dr. Dorothea Döring, welche erneut ihre wunderschönen Zeichnungen zur Verfügung gestellt hat. Auch im Namen aller meiner Kollegen möchte ich mich bei den vielen „Helferinnen“ bedanken, ohne die wir Tierärzte so manches Mal „aufgeschmissen“ wären.

Mein letztes großes Dankeschön geht erneut an meinem Mann, welcher mit viel Geduld und Verständnis zur Realisierung dieses Projektes beigetragen hat. Ihm sei dieses Buch gewidmet.

 

Mainz, im Herbst 2019 Patricia Solms

1.1Allgemeine Einführung

Das Verhalten eines Hundes ist von genetischen und umweltbedingten Einflussfaktoren während der Entwicklung abhängig. Je nach Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelteinflüssen ergibt sich später ein unterschiedliches Verhalten. Der Hund hat eine hohe Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichsten Umweltbedingungen und sozialen Lebensformen. Zum Beispiel sind Straßenhunde in der Entwicklung anders geprägt als hochdotierte Zuchttiere, die wohlbehütet ggf. mit nur einer Bezugsperson oder gar im Zwinger aufwachsen. Da insbesondere Umwelteinflüsse während der frühen Entwicklung die Eigenschaften oder Erscheinungsmerkmale des Tieres wirksam beeinflussen, diese jedoch nicht notwendigerweise mit den später herrschenden Umweltbedingungen übereinstimmen, besteht die Gefahr von Fehlanpassungen. Zudem können nicht artgerechte Umweltbedingungen zu pathologischen Veränderungen führen. Davon sind besonders die in menschlicher Obhut lebenden Tiere betroffen, die oft künstlichen oder im Vergleich zu ihren wildlebenden Verwandten zumindest stark veränderten Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Zwar werden relativ wenige Hunde unter sehr restriktiven Haltungsbedingungen (image Abb. 1-1) aufgezogen (z.B. Laborhunde), doch ebenso wenige wachsen entsprechend den wildlebenden Arten im natürlichen Rudelverband auf. Dennoch beruht das Verhalten des Hundes maßgeblich auch auf genetisch angelegten Prädispositionen. Das Ausmaß an Unterschieden im Erscheinungsbild (Phänotyp) genetisch identischer Tiere (Genotyp) als Ergebnis unterschiedlicher Umweltbedingungen wird als phänotypische Plastizität bezeichnet.

Da Umwelteinflüsse, insbesondere während der frühen Entwicklung, großen Einfluss auf den erwachsenen Hund ausüben können, müssen die Mechanismen und Auswirkungen der phänotypischen Plastizität bei der Beschreibung der Verhaltensentwicklung von Hunden berücksichtigt werden. Es ist daher sehr wichtig, Besitzer darüber aufzuklären, dass Verhaltensweisen weder nur mit der Genetik noch ausschließlich mit den Umweltbedingungen zu erklären sind, sondern dass die Verhaltensentwicklung immer ein Zusammenspiel aus beiden Komponenten ist.

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1.2Entwicklungsphasen des Hundewelpen

Geprägt durch bestimmte biologische Prozesse wird die Entwicklung von Hundewelpen meist in vier bis fünf Phasen unterteilt:

1.pränatale Phase

2.neonatale Phase

3.Übergangsphase

4.Sozialisations- bzw. Juvenilphase

1.2.1Pränatale Phase

Die Bedeutung der pränatalen Phase für die Verhaltensentwicklung wurde bei Hunden lange Zeit übersehen, obwohl Studien an Labornagern bereits in den fünfziger Jahren zeigten, dass wesentliche Aspekte des Verhaltens durch Umwelteinflüsse auf das Muttertier während der Trächtigkeit, aber auch durch das Geschlecht der Nachbarföten in der Gebärmutter, beeinflusst werden können. So sind z.B. Nachkommen von Müttern, die während der Trächtigkeit Stress ausgesetzt waren, im Erwachsenenalter ängstlicher und stressempfindlicher.

Aufgrund des unterentwickelten Zustandes des zentralen Nervensystems (ZNS) von Hundewelpen zum Zeitpunkt der Geburt ist nicht davon auszugehen, dass pränatale Einflüsse auf die Verhaltensentwicklung durch Lernen entstehen können. Vielmehr sind direkte hormonelle Einflüsse auf die Entwicklung des zentralen Nervensystems der Hundeföten in Betracht zu ziehen. Von Labornagern weiß man, dass der männliche Fötus kurz vor der Geburt Testosteron produziert. Dies ist ein Hormon, welches für typisch männliches Verhalten, wie z.B. Urinmarkieren, verantwortlich ist und zu einer Vermännlichung (Maskulinisierung) des Gehirns führen kann. Aber auch von weiblichen Föten abgesonderte Sexualhormone können benachbarte Föten in der Gebärmutter verweiblichen (feminisieren), was sich damit unter anderem auf die spätere Aggressionsbereitschaft der Männchen auswirken kann. Aufgrund der Analogien zu Säugetieren wäre beim Hund eine ähnliche Beeinflussung der Hormone auf Nachbarföten möglich. Angesichts der Häufigkeit von stress- und angstbedingten Verhaltensstörungen sowie Aggressionsstörungen bei Hunden (image Kap. 1.3), verdienen daher die Haltungs- und Umweltbedingungen von Hündinnen während der Trächtigkeit in Zukunft eine erhöhte Aufmerksamkeit, auch das Züchten mit verhaltensauffälligen Tieren sollte vermieden werden.

1.2.2Neonatale Phase

Die neonatale Phase umfasst den Lebensabschnitt von der Geburt bis zum Öffnen der Augen 10–16 Tagen nach der Geburt. Das Verhalten von neonatalen Welpen wird hauptsächlich von Reflexen bestimmt, die unmittelbar der Bedarfsdeckung dienen. Im Vordergrund stehen hierbei neben Schlafen insbesondere Verhaltensweisen, die zu erfolgreichem Säugen und mütterlichem Pflegeverhalten führen. In dieser Phase sind die Welpen weitestgehend von der Hündin abhängig. Diese versorgt ihre Welpen mit Nahrung (image Abb. 1-2), hält sie im Nest zusammen und sorgt dadurch für die nötige Nestwärme. Den Absatz von Kot und Urin der Welpen stimuliert die Hündin durch Lecken im Anogenitalbereich. Dabei nimmt sie die Exkremente auf und hält dadurch das Nest sauber.

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Abb. 1-2 Hundewelpen sind sogenannte Nesthocker und damit in den ersten Lebenswochen von der Mutterhündin abhängig.

Säugen

Das Aufsuchen der Zitzen durch die Welpen erfolgt vorwiegend reflexbedingt und ist unabhängig von Hunger, Magenfüllung oder Nahrungserwerb (image Abb. 1-3). Durch kräftige, mit den beiden Vordergliedmaßen abwechselnd ausgeführte Tret- und Knetbewegungen gegen das Gesäuge, den sogenannten Milchtritt, werden die Milchbildung und der Milcheinschuss zusätzlich gefördert. Saugen kann bei Welpen in diesem Alter jedoch leicht durch andere Reize als die Zitze ausgelöst werden. Ein gewisses Maß an umorientiertem Saugen (z.B. an Wurfgeschwistern) gehört deshalb zum natürlichen Verhalten von Welpen, tritt jedoch bei Frustration von ernährungsbedingtem Saugverhalten (z.B. bei Flaschenaufzucht) deutlich vermehrt auf und kann sich auch zu einer Verhaltensstörung entwickeln (image Kap. 1.3).

Fortbewegung

Obwohl Hundewelpen zu den sogenannten Nesthockern gehören, sind sie von Geburt an in der Lage, sich fortzubewegen. Vom 1. bis 5. Tag verbleiben die Welpen noch im „funktionellen U“, dem Halbrund, das die liegende Hündin durch Rumpf und Gliedmaßen bildet. Ab dem 6. Lebenstag wird der Aktionsradius zunehmend auf die Wurfkiste ausgedehnt. Dabei tritt auch das sogenannte Suchpendeln auf, ein rhythmisches horizontales Pendeln mit dem Kopf. Suchpendeln zieht die Aufmerksamkeit der Hündin auf sich und veranlasst diese, die Welpen in Richtung Gesäuge zu stupsen oder sich anderweitig um diese zu kümmern. Suchpendeln tritt jedoch nur während der ersten 1–2 Lebenswochen auf. Ab der 2. Lebenswoche werden je nach Rasse bereits erste Steh- und Gehversuche unternommen.

Schlafverhalten

Die Welpen schlafen in dieser Phase fast ausschließlich in Seitenlage und in Körperkontakt mit der Hündin oder den Wurfgeschwistern (image Abb. 1-4). Anfangs schlafen Welpen oft und kurz, mit der Zeit jedoch zunehmend seltener und länger. Die Gesamtdauer des Schlafes kann anfangs durchaus 16–20 Stunden betragen und geht dann kontinuierlich auf 12–14 Stunden beim erwachsenen Hund zurück.

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Abb. 1-4 Welpen schlafen anfangs nur in Seitenlage und bis zu 20 Stunden am Tag.

Wahrnehmung

Welpen nehmen ihre Umwelt in dieser Phase hauptsächlich durch Berührung und über Geruch sowie Geschmack wahr. Obwohl sich das Nervensystem noch in der Entwicklung befindet, ist bereits einfaches Lernen möglich. So kann sich Stimulation mit Geräuschen oder Lichtimpulsen trotz geschlossener Gehörgänge und Augen positiv auf die Gehirnentwicklung auswirken und die Entwicklung des Welpen beschleunigen.

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1.2.3Übergangsphase

Die Übergangsphase beginnt mit dem Öffnen der Augen zwischen dem 10. und 16. Tag nach der Geburt und endet zwischen dem 12. und 23. Tag mit dem Öffnen der Gehörgänge. Sie ist verbunden mit verschiedenen Verhaltensänderungen, die den Übergang vom Neugeborenenverhalten zum Verhalten juveniler Welpen charakterisieren. Mit der Erweiterung des Sinnessystems wird auch der Aktionsradius ausgedehnt. Dies dient anfangs hauptsächlich dazu, Verunreinigung des Nestes durch Kot und Urin, welche mittlerweile ohne Stimulation durch die Hündin ausgeschieden werden, zu vermeiden. Später führen Exploration und Spielverhalten zunehmend zu einer Vergrößerung des Aktionsraumes.

Obwohl die Fähigkeit der Welpen zu lernen immer noch relativ gering ist, führt die visuelle und auditive Entwicklung zu einer Reaktionsfähigkeit auf Umweltreize, welche bereits für die Gewöhnung (Habituation) an verschiedene Umweltreize und somit für die gesunde neurologische Entwicklung des Welpen genutzt werden kann.

1.2.4Sozialisations- und Juvenilphase

Der Übergang von der Sozialisations- zur Juvenilphase ist weniger scharf als früher angenommen. Deshalb neigt man mehr und mehr dazu, diese beiden Phasen zusammenzufassen.

Die Sozialisationsphase beginnt im Alter von ca. 3–4 Wochen (image Abb. 1-5) und geht im Alter von ca. 12–14 Wochen in die Juvenilphase über, welche mit dem Beginn der sexuellen Reife (Pubertät) sehr individuell zwischen fünf und 14 Monaten endet. In die Sozialisationsphase fällt ebenfalls die „sensitive Phase“ (auch „Prägephase“ oder „sensible Phase“ genannt). Dies bezeichnet eine Phase in der Entwicklung, in der bestimmte Verhaltensmuster oder Präferenzen leichter erworben werden als in anderen Phasen. Welpen entwickeln in dieser Zeit nicht nur ihre sozialen Bindungen zu Eltern, Wurfgeschwistern und anderen Rudelmitgliedern, sondern gehen auch besonders leicht artfremde Bindungen zu Menschen und anderen Tieren ein. Das soziale Spiel ist in dieser Phase von besonderer Wichtigkeit. Hierbei lernt der Welpe nicht nur den Umgang mit den Wurfgeschwistern zu kommunizieren und zu interagieren, sondern auch mit anderen Spezies. Darüber hinaus bilden Welpen in dieser Phase aber auch Präferenzen für spezifische Orte aus, was dafür spricht, dass die Bindung von Welpen an ihre Umgebung belebte und unbelebte Objekte mit einschließt. Die Sozialisation in dieser Phase ist allerdings nicht dauerhaft. Erst ab einem Alter von sechs bis acht Monaten bleiben Hunde auch nach längerer Kontaktlosigkeit zu Menschen mit diesen sozialisiert.

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Abb. 1-5 Hundewelpe im Alter von vier Wochen (Sozialisationsphase).

Zusätzlich gibt es in der 8.–12. Lebenswoche innerhalb der Sozialisationsphase die Möglichkeit zur Ausbildung einer Angstperiode. Diese kann jedoch individuell erheblich variieren. Aufgrund der erhöhten Ängstlichkeit in dieser Zeit, sollten mögliche traumatische Erfahrungen weitgehend vermieden werden. Welpen mit einer genetischen Prädisposition für Angstverhalten (image Kap. 5) können während dieser Zeit erhöhte Ängstlichkeit aufweisen, welche jedoch nach dieser Periode auch ohne schlechte Erfahrungen anhalten kann.

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BEACHTE

Die Sozialisations- bzw. juvenile Phase ist mit der wichtigste Lebensabschnitt für die Entwicklung späterer Verhaltensweisen des erwachsenen Hundes.

1.3Entwicklung von Verhaltensstörungen

In der Literatur wird oftmals nicht klar unterschieden zwischen Verhaltensproblemen und Verhaltensstörungen. Aus ethologischer Sicht sind Verhaltensstörungen eine Teilmenge der Verhaltensprobleme. Verhaltensprobleme können auch artgemäßes Verhalten einschließen, das aus Sicht des Hundehalters unerwünscht ist (z.B. Ziehen an der Leine, image Kap. 3). Des Weiteren können auch körperliche Probleme zu Verhaltensauffälligkeiten führen, welche somit jedoch lediglich das Symptom und nicht die Ursache einer Erkrankung darstellen (z.B. schmerzinduzierte Aggression, image Kap. 4). Der Begriff Verhaltensstörung hingegen bezieht sich auf anhaltende Abweichungen des Verhaltens, welches Ausdruck einer psychischen Erkrankung darstellen kann.

1.3.1Entwicklung von Aggressionsverhalten

Aggression ist die mit Abstand am häufigsten beschriebene Kategorie von Verhaltensproblemen bei Hunden. Hierbei darf jedoch nicht vergessen werden, dass Aggression einen Teil des natürlichen Verhaltens von Hunden darstellt. Vom natürlichen Aggressionsverhalten (ggf. Verhaltensproblem) abzugrenzen sind Aggressionsstörungen (Verhaltensstörung) (image Kap. 4). Die Ursachen für die Entwicklung von Aggressionsstörungen können vielfältig sein. Sie reichen von genetischen Ursachen über Krankheiten, traumatische Erfahrungen während der Entwicklung und mangelnde Sozialisation bis hin zu Fehlkonditionierungen durch die Hundehalter. Aber gerade Aggressionsverhalten kann im Zusammenleben mit Menschen und anderen Tieren im späteren Leben erhebliche Probleme verursachen.

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BEACHTE

Der frühzeitige Kontakt mit anderen Tieren (nicht nur Hunden) und fremden Menschen hilft, späteren Verhaltensauffälligkeiten vorzubeugen.

Wildlebende bzw. nicht-domestizierte Caniden bilden innerhalb des Rudels stabile lineare Rangordnungen aus. Diese sind für das Rudel essenziell. Bei domestizierten Hunden scheinen allerdings die Bildung stabiler Rangordnungen und der Zusammenhang zwischen dem Verhalten in unvertrauten Situationen und dem sozialen Rang weniger stark ausgeprägt zu sein. Im Gegensatz zu der landläufigen Meinung vieler Hundebesitzer ist eine statusbezogene Aggression (image Kap. 4) gegenüber Familienmitgliedern (auch häufig als Dominanz bezeichnet) weitaus seltener zu finden, als angenommen. Nachgewiesen und unbestritten ist die Tatsache, dass soziale Deprivation (image Abb. 1-1, S. 2) zu grundlegenden Störungen im Sozialverhalten (einschließlich Aggression) führen kann. Insbesondere betrifft dies die Sozialisationsphase, wenn die Regeln sozialer Interaktionen erworben werden und dies durch Deprivation während dieser Phase ausbleibt.

Im Hinblick auf die möglichen Effekte von frühen Erfahrungen des Hundewelpen gilt bei Aggressionen ein möglichst breites Angebot an unterschiedlichen Explorationsmöglichkeiten, vielseitige Kontakte mit Mensch und Tier (image Abb. 1-6) und ein liebevoll-konsequentes Durchsetzungsvermögen des Hundebesitzers (besonders zum Zeitpunkt der Pubertät des Tieres) als ein guter Ansatz, spätere Verhaltenskomplikationen zu vermeiden (image Kap. 1.4, image Kap. 2, image Kap. 4). Ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen Hund und Hundehalter ist ebenfalls von enormer Bedeutung und trägt besonders zu einer ausgeglichenen Entwicklung des Welpen bei.

1.3.2Entwicklung von Angstverhalten

Auch ängstliches Verhalten gehört zum normalen Verhaltensrepertoire eines Welpen und sichert in der Natur das Überleben des Individuums. Dem normalen Angstverhalten gegenüber steht die pathologische Angstreaktion. Dabei müssen die Begriffe Angst, Furcht und Phobie getrennt voneinander betrachtet werden (image Kap. 5.1.1). Die Ursachen von pathologischem Angstverhalten sind vielfältig. Ängstlichkeit und Furchtsamkeit beruhen auf genetischen Dispositionen, sodass auch das Auftreten von krankhaften Ängsten und Phobien abhängig ist vom Genotyp. Angstverhalten ist aber auch von vorliegenden Umweltbedingungen, Erfahrungen und individuellen Unterschieden des jeweiligen Welpen abhängig. Auch körperliche Erkrankungen (z.B. anhaltende Schmerzen) können zu verstärktem Angstverhalten führen. So vielfältig wie die Ursachen, so vielfältig sind auch die möglichen Angstformen, die sich ausbilden können: z.B. Angst vor Menschen, anderen Tieren, Artgenossen, Geräuschen, bestimmten Orten, bestimmten Situationen oder Gegenständen und vor dem Alleinsein (image Kap. 5). Häufig verstärkt der Hundehalter sogar unbeabsichtigt das Angstverhalten, indem er den Welpen tröstet und damit das Angstverhalten zusätzlich noch durch Aufmerksamkeit belohnt. Keinesfalls sollte jedoch das Angstverhalten auch noch bestraft werden. Neben solchen Fehlkonditionierungen können Angststörungen auch durch inkonsistentes Strafen, z.B. falsches Timing der Bestrafung, ausgelöst werden. Diese Art des Strafens bedeutet für die Hunde unvorhersehbare und unkontrollierbare aversive Erfahrungen, die die generelle Ängstlichkeit erhöhen, da die Hunde die Strafe nicht mit der verbotenen Tat in Verbindung bringen können. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Welpe, nach der Rückkehr seines Besitzers für Unsauberkeit oder zerstörerisches Verhalten in der Wohnung bestraft wird, das heißt, das unerwünschte Verhalten schon längere Zeit zurückliegt (image Kap. 3).

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BEACHTE

Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit einer Situation sind bei Welpen entscheidende Faktoren für die Entstehung von Stress und können zu Angstverhalten sowie Anzeichen von klinischer Depression führen.

1.3.3Entwicklung von abnormal-repetitivem Verhalten

In der verhaltensmedizinischen Fachliteratur werden abnormal-repetitive Verhaltensweisen (ARV) auch als Stereotypien und/oder als Zwangsstörungen bezeichnet (image Kap. 6). Bei Menschen und Nagern ist bekannt, dass die Entwicklung von Zwangsstörungen eine starke genetische Grundlage hat. Verschiedene Umwelteinflüsse stellen jedoch weitere Risikofaktoren dar, insbesondere traumatische soziale Erlebnisse während der frühen Entwicklungsphase sowie hormonelle Faktoren. Stereotypien hingegen entstehen hauptsächlich unter Bedingungen, welche das Ausüben von natürlichen Verhaltensweisen wiederholt oder permanent verhindern (z.B. Zwingerhaltung). Dabei entwickeln sich die Stereotypien aus den Reaktionen der Tiere auf Verhaltensfrustrationen. Gerade bei Welpen kann durch nicht artgerechte Umweltbedingungen (image Abb. 1-1) oder fehlende Sozialisation die Gehirnentwicklung beeinträchtigt werden, was zu irreversiblen Veränderungen des zentralen Nervensystems (ZNS) und damit zur Ausbildung von ARV führen kann. Bei Hunden mit einer Veranlagung für ARV können auch medizinische Ursachen als Auslöser der Entwicklung von ARV wirken (image Kap. 6).

1.4Präventionsmaßnahmen

Umwelteinflüsse und Erfahrungen, insbesondere während der frühen Entwicklung des Hundes, können sich nachhaltig auf das Verhalten des erwachsenen Hundes auswirken. Neonatales Handling (Anfassen, Streicheln oder Hochheben) oder milder Stress, z.B. wenn der Welpe für kurze Zeit (30 Sekunden) aus dem Nest entfernt wird, haben langfristige, positive Auswirkungen auf die Verhaltensentwicklung (image Abb. 1-7). Die Welpen werden dadurch weniger stressempfindlich und weniger ängstlich. Sie zeigen sich explorationsfreudiger und sind selbstbewusster im Umgang mit Artgenossen oder Artfremden. Restriktive Haltungsbedingungen hingegen können sich negativ auf die sensorische Entwicklung des Welpen auswirken (image Abb. 1-1, S. 2). Die Folgen sind ein reduziertes Lernvermögen und eine mangelnde Trainierbarkeit. Auch chronischer Stress, z.B. durch langanhaltende belastende Situationen, denen sich der Welpe nicht entziehen kann, kann die Verhaltensentwicklung des Welpen negativ beeinflussen. Daher ist das Wissen um die normale Verhaltensentwicklung eines Welpen enorm wichtig, um der Entwicklung von Verhaltensstörungen vorbeugen und vorhandene Probleme lösen zu können.

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1.4.1Sozialisation und Habituation

Prä- und postnataler Stress sowie soziale Deprivation (image Abb. 1-1, S. 2) in den ersten Lebenswochen können zu erhöhter Stressempfindlichkeit gegenüber neuen Reizen und Situationen führen. Die wichtigste Zeit zur Vorbeugung von Verhaltensstörungen ist jedoch die Sozialisationsphase (sensible/sensitive Phase). In dieser Zeit entwickeln Welpen nicht nur soziale Bindungen zu Eltern, Wurfgeschwistern und anderen Rudelmitgliedern, sondern gehen auch besonders leicht artfremde Bindungen zu Menschen und anderen Tieren ein. Phobien und generalisierte Ängste richten sich vorzugsweise auf Reize, denen die Hunde erstmals nach der 12. Lebenswoche ausgesetzt sind. Dies gilt auch für die generalisierte Angst vor Menschen. Eine solche kann bei Hunden entstehen, die während der Sozialisationsphase kaum oder keinen Kontakt zu Menschen hatten. Danach ist es nachweislich sehr viel schwieriger, die Welpen an unbekannte Spezies zu gewöhnen. Da in der Sozialisierungsphase auch eine Prägung auf Objekte (z.B. Staubsauger) der Umgebung stattfindet, können objektbezogene Ängste und Aggressionen am ehesten vermieden werden, wenn Welpen in dieser Zeit einem möglichst reichhaltigen Angebot an sozialen und unbelebten Reizen ausgesetzt werden (image Abb. 1-8).

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Abb. 1-8 Um Verhaltensprobleme zu vermeiden, sollten Welpen möglichst ein breites Spektrum an unterschiedlichen Gegenständen spielerisch kennenlernen (hier einen Staubsauger).

Bei der Sozialisierung an den Menschen sollte das Spektrum unterschiedlich große Personen, verschiedene Haut- bzw. Haarfarben und unterschiedliche Geschlechter sowie Altersgruppen umfassen. Gerade im Hinblick auf eine Bissprävention sollten Welpen mit Kindern unterschiedlichen Alters konfrontiert werden und im Gegenzug auch die Kinder im Umgang mit Hunden vertraut gemacht werden. Auch unterschiedliche Kleidung/Accessoires sollten berücksichtigt werden (z.B. Hüte, Brillen, Schirme, Mäntel, Gehhilfen etc.). Viele Mitmenschen sind Welpen gegenüber unvoreingenommener eingestellt als erwachsenen Hunden. Es ist also besonders sinnvoll, möglichst junge Hunde an unterschiedliche Orte oder Situationen zu gewöhnen (z.B. Fußgängerzone, Straßenbahn, Stadtpark etc.). Dies kann gleichzeitig auch eine gute Sozialisation an andere Tiere oder Artgenossen zur Folge haben, welche sich ebenfalls in Größe, Alter, Geschlecht, Farbe etc. voneinander unterscheiden (image Abb. 1-9). Welpenschulen können dies zusätzlich unterstützen.

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Abb. 1-9 Bei den verschiedenen Hunderassen gibt es im Aussehen enorme Unterschiede. Je vielfältiger das Kennenlernen anderer Hunde, desto besser die Sozialisation.

Als unbelebte Gewöhnungsobjekte eignen sich Gegenstände aller Art, mit denen die Welpen auch im Erwachsenenalter konfrontiert werden könnten, wie z.B. Staubsauger, Fernseher, Fahrräder, etc. (image Abb. 1-8). Bevor ein Welpe in sein neues Zuhause gebracht wird, sollte er auch an das Autofahren gewöhnt werden (image Abb. 1-10) und positive Erlebnisse mit der Autofahrt verbinden können (z.B. die Fahrt ins freie Feld, auf die Hundewiese etc.).

Unterschiedliche Geräusche spielen bei der Sozialisation des Welpen ebenfalls eine große Rolle. Daher sollte auch auf die Habituation an verschiedene Geräuschkulissen (z.B. Stadtverkehr, Feuerwerk, Gewitter etc.) gedacht werden.

Prinzipiell lernen Welpen einfacher durch positive Assoziationen als durch negative Erfahrungen. Die Sozialisation an die unterschiedlichen Umweltsituationen sollte immer sicher für den Welpen sein und ihm Vergnügen bereiten. Traumatische Erfahrungen sind zu vermeiden, da sie einen gegenteiligen Effekt bewirken.

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1.4.2Erziehungsmaßnahmen

Ähnlich wie Kinder brauchen auch Welpen klare Regeln mit konsequenten und konsistenten Erziehungsmethoden. Eine gut ausgebildete Gehorsamkeit fördert die Bindung zwischen Hund und Halter und ist essenziell, um (auch späteren) Verhaltensproblemen vorzubeugen. Beherrscht der Hund einfache Kommandos wie „Sitz“, „Komm“, „Aus“ oder „Geh’ auf deinen Platz“ fällt es dem Hund leichter, sich in schwierigen Situationen adäquat zu verhalten (image Kap. 3). Aber auch das Alleinbleiben will gelernt sein und muss demnach geübt werden (Infoblatt „Alleinbleiben muss gelernt werden“ image Kap. 5.5.6).

Auf der anderen Seite machen es die Kommandos dem Halter einfacher, seinen Hund zu kontrollieren und damit Konfliktsituationen zu umgehen. Wenn z.B. ein Welpe niemals Warnsignale (Knurren, Zähnefletschen etc.) zeigen darf, weil er für dieses unerwünschte Verhalten vom Menschen bestraft wird, könnte er beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation direkt zubeißen, um einer nochmaligen Bestrafung für das Warnverhalten zu entgehen (gelernte Aggression, image Kap. 4). Die bessere Möglichkeit wäre jedoch, dass der Halter die Situation entschärft, indem er ein Alternativverhalten seitens des Welpen einfordert, um die Eskalation zu vermeiden. Liegt z.B. ein Junghund auf dem Sofa und knurrt den Besitzer an, kann dieser Konflikt durch das Kommando „Geh’ auf Deinen Platz“ gelöst werden. Dafür muss der Welpe das Kommando aber auch verstanden haben und sicher beherrschen.

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BEACHTE

Deutsch ist nicht des Hundes Muttersprache. Ein Welpe kann erst dann ein Kommando ausführen, wenn er vorher gelernt hat, was es bedeutet!

Als Faustregel gilt: Ein Hund hat ein Kommando dann verstanden, wenn er bei acht von zehn Malen das gewünschte Verhalten bei der ersten Aufforderung sicher ausführt.

Ein weiteres Beispiel ist die spielerische Aggression (image Kap. 4): Ein Welpe erkundet seine Umwelt durch Exploration. Dies bedeutet unter anderem auch, dass er viele Dinge, genau wie ein Kleinkind, durch Zubeißen kennenlernt. Dabei macht der Welpe auch im Spiel mit der menschlichen Hand keine Ausnahme. Als effektive Gegenmaßnahme gilt es hier, das Spiel mit einer durchdringenden Schmerzäußerung (z.B. einem Schrei) und ohne weitere Strafmaßnahmen abrupt zu beenden. Inadäquate Erziehungsmaßnahmen wie Nackenschütteln oder ähnliche Gewaltanwendungen sollten gänzlich unterbleiben, da dies Angst und Aggression fördern kann. Das Ende des Spieles ist hierbei für den Welpen Strafe genug. Demzufolge lernt der Welpe beim nächsten Spiel mit seinem Besitzer entsprechend vorsichtiger zu sein und die Beißhemmung einzusetzen (image Abb. 1-11).

Kurze Einheiten von Folgsamkeitstraining mehrmals am Tag können schon früh begonnen werden. Das Training sollte leicht verständlich, vorhersehbar, konsistent und stressfrei aufgebaut werden. Positive Verstärkung durch Belohnung (image Kap. 2) sollte dabei Bestrafungen vorgezogen werden. Gewünschtes Verhalten, z.B. ein „Sitz“ vor einer Person zur Begrüßung, sollte belohnt (image Abb. 1-12b), unerwünschtes Verhalten hingegen ignoriert werden (image Abb. 1-12a). So kann sich z.B. die Person während des Anspringens wegdrehen, um den Hund zu ignorieren; siehe dazu auch image Kap. 2, image Kap. 3.

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Abb. 1-12 Das Anspringen von (fremden) Leuten ist oftmals nicht erwünscht. Ein Welpe sollte daher schon früh lernen, stattdessen das Richtige zu tun (z.B. „Sitz“).
a Anspringen ist unerwünscht.
b „Sitz“ sollte belohnt werden.

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PRAXISTIPP

Es hilft dem Welpen, sich besser zurechtzufinden, wenn man ihm nicht nur beibringt, welches Verhalten er lassen soll, sondern ihm auch zeigt, welches Verhalten erwünscht ist.

Ein Verhalten, das nicht belohnt wird (auch nicht durch Aufmerksamkeit), zeigt der Hund in der Regel mit der Zeit auch nicht mehr (Extinktion, image Kap. 2). Bei selbstbelohnendem Verhalten (z.B. dem Stehlen von Essen) hilft Ignorieren jedoch nicht. Deshalb steht hier an erster Stelle, dem Welpen keine Gelegenheit zu geben, das unerwünschte Verhalten zeigen zu können (Essen steht z.B. in unerreichbarer Höhe). Gleichzeitig sollte man Alternativen anbieten, die dazu führen, dass der Welpe ein gewünschtes Verhalten zeigt und dieses dann belohnen (z.B. Beschäftigung mit einem Futterspielzeug) (image Abb. 1-13).

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Abb. 1-13 Futterspielzeuge können nicht nur als Belohnung eingesetzt werden, sondern fördern auch die mentale Stimulation und dienen der artgerechten Beschäftigung (hier ein Kong®, Colorado).

Durch Desensibilisierung und Gegenkonditionierung können viele Verhaltensprobleme schon im Vorfeld gelöst werden (image Kap. 2). Diese Techniken finden sowohl bei einfachen Dingen (z.B. Halsband anlegen, Futternapf berühren, in die Ohren schauen, Pfoten putzen etc.) als auch bei etwas aufwändigeren Situationen (z.B. alleine bleiben müssen) Anwendung.

Ängste sollten abgebaut werden, indem der Welpe lernt, dass beängstigende Situationen auch ganz harmlos sein und sogar mit etwas Positivem assoziiert werden können. Wenn ein Welpe z.B. schon früh lernt, dass die Berührung am Fang, das Öffnen des Fangs und das Massieren des Zahnfleischs immer mit einem Leckerli verbunden sind, wird er sich im späteren Alter gerne die Zähne putzen lassen (image Abb. 1-14).

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Abb. 1-14 Körperpflege ist auch bei Hunden wichtig und muss geübt werden. Je früher der Welpe lernt, sich die Zähne putzen oder bürsten zu lassen, desto einfacher hat es der Besitzer später.

Auch ein Tierarztbesuch kann sich ganz entspannt gestalten, wenn der Besitzer mit seinem Welpen Berührungen aller Art (in die Ohren schauen, Fieber messen, Pfoten berühren etc.) frühzeitig übt (image Abb. 1-15).

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BEACHTE

Die Belohnung eines positiven Verhaltens ist immer einer Strafmaßnahme vorzuziehen.

Ein Welpe lernt leichter sich richtig zu verhalten, wenn er weiß, was er tun soll und damit positive Erfahrungen macht.

1.4.3Beschäftigung

Neben der unzureichenden Sozialisation des Welpen ist ein häufiger Grund für Verhaltensprobleme die mangelnde Kenntnis des Besitzers über das natürliche Verhalten seines Tieres. Hunde gehören zu den Tieren, welche eine hohe Motivation haben, ein instinktives Verhalten (z.B. Nahrungssuche) auszuführen. Oftmals wird ihnen dies aber nicht ermöglicht, da bei vielen Haushunden die Futtersuche ausschließlich im Leeren ihres Futternapfes besteht, welches dem komplexen Verhalten der Nahrungssuche in der Natur (Wittern, Lauern, Jagen, Erlegen etc.) nicht gerecht wird. Fehlende geistige Auslastung und Frustration können die Folge sein. Verschiedene Studien belegen jedoch, dass bei Tieren die Förderung von komplexer und variabler Futtersuche generell das Auftreten von Verhaltensstörungen reduzieren kann (image Abb. 1-13). Daher sollten Welpen ausreichend beschäftigt werden, um Verhaltensproblemen vorzubeugen bzw. sie weitgehend zu vermeiden. Beschäftigungsmöglichkeiten bereiten dem Welpen nicht nur Freude, sondern motivieren ihn zusätzlich, neue Dinge kennenzulernen und helfen somit, die Sozialisation sowie Habituation an neue Gegebenheiten zu unterstützen.

Trainingseinheiten und Explorationsmöglichkeiten sind effektive Maßnahmen, um Aufmerksamkeit, Abwechslungsreichtum und soziale Interaktion zu fördern. Gezielte, beaufsichtigte Beschäftigung hält den Welpen davon ab, unerwünschtes Verhalten zu zeigen (z.B. Anknabbern von Gegenständen) und hat außerdem den Vorteil, dass der Hund nachfolgend ermüdet, wodurch automatisch unerwünschtes Verhalten vermindert wird. Interaktives Spielzeug (z.B. von der Fima Nina Ottosson®), angemessene körperliche Aktivitäten oder leichte Denksportaufgaben fördern die mentale Stimulation und neuronale Entwicklung. Die Art der Beschäftigung sollte dem Alter, der Rasse und den individuellen Bedürfnissen des Welpen angepasst werden. Temperamentvolle oder bewegungsfreudige Rassen, wie z.B. Terrier oder Huskys, brauchen zudem mehr Beschäftigung als weniger aktive Rassen. Dem Halter sind hier durch die immer weitreichendere Entwicklung von Beschäftigungsmaterialien keine Grenzen gesetzt. Auch während der spielerischen Beschäftigung geben klare Regeln dem Welpen die Möglichkeit, sich so zu verhalten, dass es erst gar nicht zu Konfliktsituationen kommt (z.B. Beißhemmung; image Abb. 1-11). Exzessive Bewegung, wie z.B. am Fahrrad laufen, ist der orthopädischen Gesundheit des Welpen nicht zuträglich und sollte durch angemessene Spaziergänge und Konzentrationsaufgaben, wie z.B. Nasenarbeit oder Futtersuchspiele etc., ersetzt werden.

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BEACHTE

Vielseitige und ausreichende Beschäftigung mit dem Welpen hilft, Verhaltensstörungen vorzubeugen.

Hunde lernen nicht nur im Welpenalter, sondern ein Leben lang.

2.1Allgemeine Einführung

Wenn Besitzer mit dem Verhalten ihres Hundes Probleme haben, muss versucht werden, dieses unerwünschte Verhalten über bestimmte Trainingsmaßnahmen zu verändern. Im Zusammenspiel mit eventuell nötiger Medikamentengabe (oder Heilung bestimmter Erkrankungen) bezeichnet man dieses Training als Verhaltenstherapie. Über eine alleinige Gabe von z.B. Psychopharmaka und die Behandlung von z.B. orthopädischen Problemen lässt sich eine Verhaltensmodifikation nicht erfolgreich erreichen. Man muss neben der Beseitigung möglicher Ursachen auch generell an einem erwünschten Alternativverhalten arbeiten, d.h. man muss trainieren.

Unerwünschtes Verhalten kann viele Ursachen haben:

genetische Prädispositionen (Grundlagen) für z.B. erhöhte Ängstlichkeit oder niedrige Stresstoleranz (image Kap. 5)

mangelhafte Erfahrungen mit Stimuli aus der unbelebten Umwelt und mangelhaften Kontakt mit Artgenossen und Menschen in der Sozialisationsphase (auch als „Deprivation“ bezeichnet). Dies fördert Ängstlichkeit und beeinflusst z.B. auch die Lernfähigkeit negativ (image Kap. 1).

klinische Erkrankungen, die z.B. die Stresstoleranz negativ beeinflussen. Hier stehen akute und besonders chronische Schmerzen an erster Stelle.

mangelhafte Auslastung (Langeweile) oder zu viel „Action“ (Überforderung) (image Kap. 6)

Traumata: negative Erfahrungen/Erlebnisse mit bestimmten Individuen und/oder in bestimmten Situationen

sehr negative Lebensbedingungen der Mutter vor der Geburt der Welpen und negative Erfahrungen der Welpen in den ersten Lebenswochen (image Kap. 1)

ganz konkrete Erfolgserlebnisse für den Hund, wenn er das unerwünschte Verhalten zeigt

Im Rahmen einer Verhaltenstherapie muss immer versucht werden, mögliche Ursachen, dort wo es machbar ist, in ihren Auswirkungen zu reduzieren. Das wird in einigen Bereichen nur schlecht oder gar nicht gelingen (z.B. im Bereich „Genetik“) – in anderen Bereichen wird es einfacher sein (z.B. im Bereich „Erfolgserlebnisse“). Auf die Details hinsichtlich der „Ursachenforschung“ bei einzelnen Problembereichen wird bei den jeweiligen „Problem“-Kapiteln eingegangen.

Dieses Kapitel befasst sich mit dem Training, den Möglichkeiten der praktischen Verhaltensmodifikation. Das Ziel einer Verhaltensmodifikation ist im Idealfall, dass das unerwünschte Verhalten gar nicht mehr gezeigt wird. Nicht in jedem Problemfall ist eine komplette Lösung möglich. Manchmal helfen dem Besitzer und dem Hund aber auch schon kleine Veränderungen, und man muss keine komplette, d.h. 100%ige Lösung anstreben.

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Problem: Der Hund buddelt im Garten

Eine Komplettlösung wäre, wenn der Hund gar nicht mehr buddelt. Das wird nur mit intensivem, langwierigem Training zu erreichen sein und es benötigt die Bereitschaft des Besitzers und auch die logistischen Möglichkeiten, das Training intensiv und regelmäßig über Monate durchzuführen. Einfacher kann es sein, dem Hund beizubringen, nur an einer ganz bestimmten Stelle zu buddeln. Diese wird dem Hund „schmackhaft“ gemacht, indem man vor seinen Augen Leckerli im Boden versteckt und ihn diese dann ausgraben lässt. Das Buddeln wird dabei über Belohnung (image Kap. 2.3) verstärkt, d.h. der Besitzer sagt das Lobwort, während der Hund buddelt und legt danach ein Leckerli auf den Boden direkt vor die Hundenase. Wenn der Hund dieses aufnimmt, kommt automatisch der Geruch der anderen Leckerlis in die Hundenase und die Chance ist groß, dass der Hund wieder anfängt zu buddeln. Man bekommt so einige Wiederholungen in Serie, um die Handlung des Buddelns zu belohnen. Wenn der Hund zuverlässig buddelt, begleitet man das Buddeln mit einem Signal. Man sagt z.B. „Grab los“ während er buddelt und belohnt direkt danach. Wenn man das 1–2 Tage mehrmals geübt hat, geht man am 2. oder 3. Tag zur Buddelstelle und sagt direkt „Grab los“. Wenn der Hund dann sofort buddelt, weiß man, dass man ein Signal etabliert hat und wird den Hund jetzt mehrmals wegrufen und wieder hinführen zur Buddelstelle und jedes Mal das Signal zum Buddeln geben, bevor der Hund von selber anfängt. Das Buddeln selber wird dann in kürzeren oder längeren Intervallen des Buddelns (z.B. nach drei Sekunden Buddeln oder nach zehn Sekunden Buddeln etc.) belohnt. In dieser Phase ist der Besitzer noch sehr nah an der Buddelstelle dran. In den nächsten zwei Tagen wird der Besitzer zunehmend weiter entfernt sein (anfangs vielleicht zwei Meter, später vier Meter etc.), wenn er das Signal zum Buddeln gibt. Dabei sollte er dann auch mit der Hand in Richtung der Buddelstelle zeigen. Wenn der Hund zur Stelle hinläuft und buddelt, wird wieder belohnt. Das Ziel ist, dass der Besitzer so weit wie möglich von der Buddelstelle weg steht und den Hund trotzdem erfolgreich zum Buddeln schicken kann. Jetzt wird auch langsam die Zeit verlängert, bis während des Buddelns noch eine Belohnung kommt, und die Belohnung kommt auch nicht mehr bei jeder Buddelei. Im Übrigen ist das Buddeln selber auch schon eine Form der Belohnung für den Hund. Man baut so einen Ortsschwerpunkt für den Hund auf, wo das Buddeln sich besonders lohnt. Man belohnt auch jedes Mal, wenn der Hund spontan dort buddelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er an anderen Stellen buddelt, wird dadurch sehr gering. Wenn der Hund doch einmal an einer anderen Stelle buddelt als der erlaubten, geht man als Besitzer sehr deutlich in Richtung Buddelstelle. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Hund dies bemerkt, ist groß. Man gibt dann beiläufig das Signal zum Buddeln an der erwünschten Stelle und belohnt den Hund, wenn er dort hingeht und buddelt. Das Buddeln an der unerwünschten Stelle darf nicht bestraft werden und man darf auch nicht direkt dort das Signal zum Buddeln am erwünschten Ort geben. Man muss erst erreichen, dass der Hund neugierig kurz dem Besitzer hinterherschaut um zu sehen, wo der wohl so dramatisch hinläuft. Auf diese Weise werden andere Orte als die zum Buddeln erwünschten für den Hund einfach uninteressant.

Ein Infoblatt zum Thema „Hilfe – mein Hund buddelt!“ zur Weitergabe an den Besitzer finden Sie auf tfa-wissen.de unter: image svg.to/buddeln

Wenn man ein Verhaltensproblem „beseitigen“ möchte, ist es wichtig, dass man sich positive Ziele für das Training setzt. Ein Ziel wie „Der Hund soll Radfahrer nicht mehr jagen“ wäre ein negatives Ziel. Man kann nicht auf ein Verhalten hintrainieren, welches der Hund hinterher (nach erfolgreichem Training) nicht mehr zeigen soll (image Abb. 2-1). Eine positive Zielvorstellung in diesem Falle wäre folgende: „Wenn mein Hund Radfahrer sieht, kommt er in meine Nähe und läuft mit entspannter Körperhaltung, Kopf geradeaus in Laufrichtung so lange neben mir, bis ich ihm ein anderes Signal gebe“. Mit so einem Ziel ist genau das Verhalten definiert, welches der Hund in der Problemsituation anstelle des unerwünschten Verhaltens zeigen soll. Auf so ein klar definiertes Verhalten kann dann zielgerichtet hintrainiert werden. Man nennt dieses Verhalten dann auch „Alternativverhalten“ – d.h. es ist die erwünschte Alternative zum unerwünschten Problemverhalten (image Abb. 2-2).

Problematisches Verhalten wird, wie jedes andere Verhalten auch, aus einem emotionalen Hintergrund heraus gezeigt. Das heißt, dass zunächst eine Emotion (z.B. Angst oder Freude) vorhanden ist. Das Gehirn erzeugt daraufhin durch Verrechnung mit vorhandenen Informationen (z.B. auch bereits gelernten Gedächtnisinhalten) einen Motivationszustand, der schließlich ein bestimmtes Verhalten auslöst.

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In der Verhaltensmodifikation macht man sich den umgekehrten Prozess zunutze. Zu diesem „Top-down-Prozess“ (Gehirnaktion führt zu Verhalten = Aktivitätsprozess wird vom Kopf zum Körper weitergeleitet) hat sich in der Evolution nämlich der passende „Bottom-up-Prozess“ (bestimmtes Verhalten löst Veränderungen des emotionalen Zustandes aus = Aktivitätsprozess wird vom Körper zum Kopf weitergeleitet) entwickelt. Über ein passendes Alternativverhalten in Bezug auf Problem und Hund kann eine generelle Entspannung des Hundes erreicht werden. Zudem wird er sicherer und reagiert weniger ängstlich in konkreten Situationen. Man verändert dadurch also den emotionalen Zustand zum Positiven.

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2.1.1Training von Alternativverhalten

Damit das Training von Alternativverhalten schnell Erfolg zeigt, müssen einige grundsätzliche Elemente der praktischen Verhaltensmodifikation beachtet werden. Es bringt z.B. nichts, sich nur und ausschließlich auf ein Alternativverhalten zu konzentrieren, wenn die grundsätzlichen Rahmenbedingungen nicht stimmen. Man kann erfolgreiche Verhaltensmodifikation auch mit dem Bau eines Hauses vergleichen (image Abb. 2-3). Ohne ein gutes Fundament oder einen trockenen Keller stehen die Wände nicht, und ohne Wände kann man kein Dach darauf setzen.

Das Fundament der Verhaltensmodifikation besteht aus gutem Management und dem Beachten von Sicherheitsaspekten. Je achtsamer man hier ist, vor allem zu Beginn, desto geringer ist das Risiko, dass jemand (oder der Hund) zu Schaden kommt.

Management und Sicherheit

Management bedeutet, Probleme zu vermeiden, so gut es geht. Ein absolut perfektes Management kann nie erreicht werden, da die reale Welt leider viel zu viele Überraschungen parat hält. Dennoch sollte man immer versuchen, das Management von Problemen zu verbessern. Problemvermeidung ist nötig, damit der Hund nicht Tag für Tag immer wieder das Problemverhalten zeigt. Denn dann würde sich das Problemverhalten des Hundes noch verstärken – ein spezielles Training ist dann ohnehin hinfällig. Besprechen Sie individuelle Managementmaßnahmen mit dem Besitzer, damit er positiv auf den Hund einwirken kann. Managementmaßnahmen können z.B. sein (image Abb. 2-4, image Abb. 2-5, image Abb. 2-6):

den Hund rechtzeitig an die Leine nehmen

In der Übergangszeit, bis das spezielle Training greift, lieber einmal mehr die Straßenseite wechseln, wenn einem ein Problemauslöser, ein Stressor, entgegenkommt.

sich mit anderen absprechen. Man muss nicht unbedingt zur gleichen Zeit Gassi gehen wie der Besitzer des Hundes, den der eigene Hund nicht mag.

den Hund in ein Nebenzimmer bringen, wenn jemand an der Haustür klingelt

Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Managementmaßnahmen. Diese müssen individuell in Abhängigkeit vom Problem und Hund besprochen und ggf. geübt werden.

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Spielregeln, Bindung und Grundgehorsamkeit

Parallel zum Management werden die tragenden Wände gebaut, auf denen später das Dach, das spezielle Training, ruht. Den Hunden soll und muss es bei uns gut gehen. Zum Wohlbefinden gehört, dass der Hund die Dinge bekommt, die er braucht, und dabei gesund und schmerzfrei ist. In der Wissenschaft werden dafür die Begriffe „Bedürfnisbefriedigung“ und „Schadensvermeidung“ verwendet. Neben dem Bedürfnis nach Nahrung steht für Hunde ganz besonders das Bedürfnis nach Sozialkontakt im Vordergrund. Hier kann man als Besitzer einhaken, um eine generelle Spielregel aufzustellen wie: „Du bekommst alles von mir, was für dich toll und wichtig ist – aber…“. Das „aber“ bezieht sich darauf, dass der Hund ein bestimmtes Verhalten zeigen muss, bevor die guten Sachen passieren. Zum Beispiel kann man sehr häufig am Tag ruhiges und entspanntes Verhalten dadurch belohnen, dass man den Hund kurz streichelt.

Bei dem Thema „Spielregeln“ beobachtet man, welches Verhalten der Hund mehrmals am Tag spontan, von sich aus zeigt. Ist dieses Verhalten im Hinblick auf die Problemlösung nützlich, dann sollte es möglichst oft belohnt werden. Gleichzeitig sollte aufdringliches, aufmerksamkeitsforderndes Verhalten des Hundes ignoriert werden. Denn es geht nicht darum, dass der Hund bestimmte Verhaltensweisen auf ein Signal hin zeigt und auch nicht darum, wer Chef ist, sondern darum, ein gutes Fundament für erwünschtes Verhalten aufzubauen.

Spielregeln

Wichtig zum Umgang mit Spielregeln ist:

Spielregeln zu Hause eindeutig definieren: z.B. ruhiges Verhalten lohnt immer aufdringliches, erregtes Verhalten lohnt nie. Damit wird der Besitzer auch zu einem zuverlässigen Signalgeber für den Hund.

Dass sich ein Verhalten nie lohnt, macht der Besitzer über Ignorieren deutlich. Ignorieren bedeutet, den Hund nicht anzusprechen, nicht anzufassen und nicht anzuschauen – und zwar sofort und deutlich, sobald der Hund das aufdringliche Verhalten zeigt. Dabei sollte immer bedacht werden, dass Ignorieren nur eine „punktförmige“ Information für den Hund bedeutet und nichts ist, was lange Zeit andauert.

Damit das Ignorieren auch Erfolg verspricht, müssen die Managementmaßnahmen passen. Wenn z.B. das Problem darin besteht, dass der Hund Schuhe anknabbert, wenn er keine Beachtung findet, sollte man darauf achten, dass bei solchen Übungen keine Schuhe herumliegen.

Vorsicht: Besonders wichtig ist es, dabei auf Toleranzgrenzen zu achten, damit keine Frustration eintritt. Eventuell muss man dem Besitzer zunächst klare Zeitvorgaben machen, z.B. übt er diese Spielregeln zunächst nur je eine Stunde am Vormittag und eine am Nachmittag und das zu einer Zeit, wo die Wahrscheinlichkeit am größten ist, dass der Hund sowieso nur ruhig auf seinem Lager liegt.

Für einmal Ignorieren von aufdringlichem Verhalten sollte mindestens 10-mal erwünschtes, ruhiges Verhalten belohnt werden.

Der Besitzer muss konsequent und freundlich sein und sich als verlässlicher Interaktionspartner präsentieren.

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Bindung

Mit klar definierten Spielregeln wird sich der Besitzer als zuverlässiger Partner etablieren. Sie fördern gleichzeitig die Position des Besitzers als Sicherheitsgeber für den Hund und die Bindung zwischen Hund und Besitzer. Grade für ängstliche Hunde sind solche Strukturen, Rituale und Routinen sehr hilfreich.

Grundgehorsam

Ein guter Grundgehorsam gehört auch in diesen Bereich der Analogie „tragenden Wände“. Es kann sinnvoll sein, wenn Besitzer sich zunächst in einem sorgfältigen Grundgehorsamstraining üben, bevor sie kompliziertere, speziell gegen das Problem gerichtete Trainingsaufgaben anwenden. Praktisches Training ist ein Handwerk und beinhaltet bestimmte motorische Komponenten, die ein Mensch unter Umständen erst genauso einüben muss wie ein Hund.

Vorteile von Grundgehorsam sind:

Bestimmte Grundgehorsamsübungen sind hilfreich bei der Problemvermeidung und in bestimmten Fällen auch nützlich beim speziellen Training:

Aufmerksamkeit auf Signal gegenüber dem Besitzer

Zurückkommen auf Signal

gute Leinenführigkeit

ein Objekt aus dem Maul ausgeben

ein Kommando für ein stationäres Verhalten wie Sitzen oder Liegen inklusive Verbleiben in der Position

Ein guter Grundgehorsam verbessert das subjektive Sicherheitsgefühl des Besitzers. Weil er sich auf den Gehorsam seines Hundes „verlassen“ kann, ist er im Umgang mit dem Hund und beim Gassigang entspannter. Ein entspannter Besitzer wiederum ist ein besserer Trainer für seinen Hund.

Ein guter Grundgehorsam führt dazu, dass bestimmte negative Maßnahmen (wie z.B. ein schmerzhafter Leinenruck) nicht mehr durchgeführt werden.

Spezielles Training

In Analogie zum „Dach“ beim Hausbau schließt das spezielle Training die Maßnahmen für das Alternativverhalten ab. Es kann auch dazu dienen, Hemmmechanismen beim Hund zu verbessern, das subjektive Sicherheitsgefühl des Hundes zu stärken oder auch andere Ziele zu verfolgen. Es wird jeweils dasjenige Verhalten trainiert, welches abhängig von der Problemkonstellation nötig und sinnvoll ist.

In den folgenden Kapiteln sollen einige grundsätzliche Dinge zum Thema „Training“ besprochen werden, z.B. warum das Arbeiten mit Belohnung sinnvoller ist als die Anwendung von Strafe. Auch einige generelle methodische Ansätze werden vorgestellt, wie z.B. Desensibilisierung oder Gegenkonditionierung. Individuelle Trainingsansätze für individuelle Probleme werden schließlich in den speziellen „Problem“-Kapiteln beschrieben.

2.2Lernen über Verknüpfung (Assoziation) und Konditionierung

Lernen bedeutet, dass ein Hund über seine Sinnesorgane Informationen aus seiner Umwelt aufnimmt und sein Gehirn sie verarbeitet. Es speichert beim Lernprozess ein Gedächtnisbild von dieser Information und eventuell ein dazugehöriges Verhalten ab. Dieses Gedächtnisbild steht dann für eine spätere Verwendung zur Verfügung. Wenn ein Hund z.B. eine positive Erfahrung im Zusammenhang mit einer bestimmten Person macht, kann diese Erfahrung beim erneuten Zusammentreffen mit dieser Person abgerufen werden und das Verhalten des Hundes beeinflussen.

Die Tatsache, dass der Hund etwas erlernt hat, lässt sich am Verhalten des Hundes beobachten und messen.

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Der wichtigste Lernvorgang ist das Lernen über Verknüpfung (Lernen über Assoziation). Dabei werden z.B. zwei Signale miteinander im Gehirn verknüpft oder ein Signal und ein Verhalten. Wenn diese Verknüpfung sehr oft und regelmäßig stattfindet, spricht man von Konditionierung, was zu einer Gedächtnisbildung führt. Später reicht dann bereits einer der Partner dieser verknüpften Signale, um im Gehirn sofort ein Bild des anderen Signals zu aktivieren oder um die dazugehörige Handlung auszulösen.

Man unterscheidet in der Lerntheorie zwischen der klassischen und der instrumentellen Konditionierung. Bei der klassischen Konditionierung kommt es zur Assoziation zwischen zwei Signalen. In dem berühmten Experiment von Ivan Pawlow wurde das Signal „Futter“ mit dem Signal „Geräusch“ verknüpft. „Futter“ löst angeborenerweise eine bestimmte Verhaltensreaktion aus, welche die Verdauung erleichtert: die Arbeit der Speicheldrüsen. Nach der Konditionierung der Verknüpfung löste auch „Geräusch“ diese Reaktion der Speicheldrüsen aus. Jedes Lebewesen verfügt über ein bestimmtes Repertoire an angeborenen Verhaltensweisen. Diese sind spontan abrufbar, sobald das passende Signal wahrgenommen wird. Es handelt sich dabei um (über) lebenssichernde Verhaltensweisen oder Verhaltensweisen, die schnell den eigenen Zustand optimieren helfen. Die Energiegewinnung aus der Nahrung geht z.B. schneller und besser, wenn die Verdauung schon im Maul durch den Speichel beginnt.

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Bei der instrumentellen Konditionierung kommt es zur Assoziation zwischen einem Signal und einem bestimmten Verhalten. Die Schnelligkeit und Effektivität der Konditionierung wird unmittelbar beeinflusst durch die Konsequenz, die der Hund als Reaktion auf sein Verhalten erfährt. Konsequenzen werden durch Verstärker ausgelöst bzw. gebildet. Man unterscheidet positive und negative Verstärker (Umgangssprachlich Belohnung und Strafe). Welches Verhalten der Hund dann in Zukunft im Zusammenhang mit einem bestimmten Signal zeigen wird, orientiert sich an den Folgen, die dieses Verhalten bislang für ihn hatte.

In der Humanpsychologie wird noch einmal zwischen instrumenteller und operanter Konditionierung unterschieden:

operante Konditionierung: Das Tier bewirkt durch sein Verhalten eine bestimmte Konsequenz (das Tier ist der Handelnde = Operateur).

instrumentelle Konditionierung: Das Tier nutzt das Verhalten als Instrument, um eine bestimmte Konsequenz zu erhalten.

Bei der Anwendung im Training mit Tieren haben diese Bezeichnungen eher einen historisch-kulturellen Hintergrund. In den USA wird der Begriff „operant conditioning“ häufiger benutzt, in Europa spricht man eher nur von „instrumental conditioning“.

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Klassische und instrumentelle Konditionierung unterscheiden sich nicht nur darin, dass bei ersterer ein Signal mit einem anderen Signal und bei letzterer ein Signal mit einem Verhalten verknüpft wird sowie ein Verstärker hinzukommt. Sie unterscheiden sich auch hinsichtlich der Schnelligkeit und Zuverlässigkeit, mit der feste Verknüpfungen gebildet werden. Bei der instrumentellen Konditionierung werden anfangs beim Lernprozess alle vorhandenen Signale miteinander und mit dem Verhalten verknüpft. Das kann der Ort sein, an dem die Übung stattfindet, oder die Kleidung, die der Trainer trägt. Erst im Laufe von diversen Wiederholungen, an verschiedenen Orten und in verschiedenen Situationen wird sich für den Hund herausfiltern, dass es um genau diese beiden Ereignisse geht: das „Sitz“ und das „Sich-Hinsetzen“. Anfangs wird das Sitzen auf Signal nur in der Situation funktionieren, in der es ausdrücklich geübt wurde. Erst nach und nach wird der Hund generalisieren, d.h. das Signal „Sitz“ funktioniert dann auch, egal, wo der Hund grade ist, wie weit weg er sich vom Besitzer befindet oder in welcher Stimmung er ist. Es ist im Training immer wichtig, auf eine Generalisierung eines Verhaltens hinzuarbeiten. Erst dann ist das Verhalten auf Signal wirklich zuverlässig.

Bei einem klassischen Konditionierungsprozess ist es nicht so wichtig, sich viele Gedanken zur Generalisierung zu machen. Wenn man darauf achtet, dass der Hund im Moment des Trainings wirklich motiviert ist und sich auf den Besitzer/Trainer konzentrieren kann, dann erfolgt eine Generalisierung von ganz alleine.

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2.3Belohnung und Bestrafung in Theorie und Praxis

Im vorherigen Kapitel wurden schon die Begriffe Belohnung und Strafe benutzt und darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um Verstärker handelt, deren korrekte Anwendung im Training sehr wichtig ist.

Es muss gleich zu Beginn betont werden, dass es im Hinblick auf den Trainingserfolg immer sinnvoller ist, ein erwünschtes Verhalten durch Belohnung zu fördern als ein unerwünschtes zu bestrafen. Bei der Anwendung von Strafe sind außerdem noch andere Aspekte zu berücksichtigen, wie z.B. die Maßgaben des Tierschutzgesetzes.

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Tiergerechte Erziehungsmethoden wählen

Das Tierschutzgesetz fordert, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf – auch nicht in der Ausbildung. Da es tiergerechte Erziehungsmethoden gibt, besteht kein vernünftiger Grund, Tieren in der Ausbildung oder in der Verhaltenstherapie Schmerzen zuzufügen oder sie in Angst zu versetzen oder zu erschrecken.

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Abb. 2-10 Eine Strafmaßnahme (hier: Schimpfen) löst beim Hund Angst aus.

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In der Lerntheorie unterscheidet man jeweils zwischen positiven und negativen Strafen und Belohnungen. image Tab. 2-1 gibt eine Übersicht und Anwendungsbeispiele, wie Verhalten verstärkt bzw. beeinflusst werden kann. Die Begriffe „positiv“ und „negativ“ beziehen sich darauf, dass dem Hund etwas zugefügt bzw. gegeben wird oder dass etwas entfernt wird.

In der Praxis, beim Training, sollte man sich auf die positive Belohnung konzentrieren. Damit gibt man dem Hund die wirklich exakte, eindeutige Information „Ja, genau dieses Verhalten lohnt sich – davon zeige jetzt mehr und öfter“. Über eine positive Strafe gibt man dem Hund nur die Information, welches Verhalten sich nicht lohnt. Damit weiß der Hund aber noch lange nicht, welches Verhalten sich wirklich lohnt. Um eine negative Belohnung zu geben, muss man dem Hund zunächst etwas Unangenehmes zufügen. Positive Strafe und negative Belohnung sind demnach eng miteinander verknüpft – und es gilt hier das zur positiven Strafe bereits Gesagte. Die negative Strafe, d.h. das Wegnehmen von etwas Angenehmen, wird sich im Training sicher häufiger mal ergeben, z.B. während des Shapingprozesses, wenn man auf Dauer nur noch sehr schnelles Hinsetzen belohnen möchte. Hier ist es wichtig, dass man die Anforderungen im Training nicht zu schnell steigert. Wenn durch das häufige Ausbleiben des erwarteten Leckerlis Frustration und Stress eintreten, kann dies hinderlich für die Konzentration und den Gedächtnisbildungsprozess als solches sein.

Tab. 2-1 Positive und negative Belohnung und Strafe in der Übersicht

  Belohnung Strafe
positiv

Etwas Angenehmes wird zugefügt: Der Hund hat Erfolg bei der Optimierung des eigenen Zustands.

ausgelöste Emotion: Freude

Beispiel: Der Hund setzt sich zügig auf das „Sitz“ hin und erhält sofort ein Leckerli.

Etwas Unangenehmes wird zugefügt: Der Hund erleidet einen Misserfolg bei der Optimierung seines Zustands.

ausgelöste Emotion: Angst

Beispiel: Der Hund erhält das Signal „Sitz“ und bleibt stehen. Daraufhin schlägt der Besitzer ihm schmerzhaft auf die Kruppe.

negativ

Etwas Unangenehmes wird entfernt, sodass für den Hund wieder ein angenehmer Zustand eintritt.

ausgelöste Emotion: Erleichterung

Beispiel: Der Hund ist auf das Signal „Platz“ hin stehengeblieben. Der Besitzer ruckt die Leine kräftig nach unten, sodass der Hund sich hinlegen muss. Kaum liegt er, ist die Leine locker und der Schmerz lässt nach.

Etwas Angenehmes wird entfernt oder es wird nicht gegeben (d.h. eine Erwartungshaltung des Hundes wird nicht bedient).

ausgelöste Emotion: Frustration

Beispiel: Der Hund hat sich zwar nach dem „Sitz“ hingesetzt, aber nach den Wünschen des Besitzers viel zu langsam. Der Besitzer steckt das Leckerli, welches der Hund eigentlich bekommen sollte, wieder in die Tasche.

2.3.1Shaping

Shaping bedeutet direkt übersetzt „Formen“. Man bezeichnet damit einen Trainingsprozess, bei dem das erwünschte Verhalten in kleinen Schritten herausgeformt wird. Das Trainingsziel ist z.B., dass sich der Hund auf seinen Platz legt und entspannt so lange liegen bleibt, bis er ein neues Kommando bekommt.

1. Als ersten Schritt wirft man Leckerli auf den Platz. In dem Moment, wo der Hund dort draufgeht, um die Leckerli zu fressen, sagt man das Signal „Korb“ und gleich das Lobwort (image Abb. 2-11). Die Leckerli liegen ja schon dort zum Fressen.

2. Auf diesem Wege lernt der Hund das Wortsignal, aber auch ein Handzeichen: die ausgestreckte Hand, die die Leckerli geworfen hat. Nach einigen Durchläufen von Schritt 1 sagt der Besitzer jetzt nur noch das Wort und gibt das Handzeichen, wirft aber kein Leckerli mehr. Wenn der Hund auf den Platz geht, wird er sofort belohnt (mit Lobwort und Leckerli).

3. Wenn dies zuverlässig klappt, wird dem Hund nach dem Betreten des Platzes ein Sitzsignal gegeben und erst dann belohnt, wenn er sich gesetzt hat. Ziel: Der Hund geht auf Signal auf den Platz und setzt sich selbstständig sofort hin.

4. Jetzt wird dem sitzenden Hund ein Signal zum Hinlegen gegeben und das Liegen belohnt. Ziel: Der Hund geht auf Wortsignal und Handzeichen sofort auf den Platz und legt sich dort hin, ohne dass es noch weitere Signale braucht.

5. Mit diesen ersten vier Schritten werden die Signale gelehrt und definiert, welches Verhalten der Hund genau auf die Signale hin zeigen soll. Jetzt wird in ganz kleinen Schritten langsam die Belohnung hinausgezögert. Der Hund muss immer länger liegen, bevor er die Belohnung erhält. Danach ist die Übung zu Ende und der Hund kann kurz machen, was er will, bevor die nächste Runde beginnt.

6. Diese Zeitverlängerung des Liegens muss langsam erfolgen. Anfangs wird die Belohnung vielleicht nur um 2 Sekunden hinausgezögert, dann um 5, 10 etc.

Ein Infoblatt zum Thema „Shaping“ zur Weitergabe an den Besitzer finden Sie auf tfa-wissen.de unter: image svg.to/shaping

2.3.2Primäre und sekundäre Belohnung

Bislang wurde immer nur von „Belohnung“ geredet. Man muss hier aber noch einige theoretische und praktische Dinge erläutern, denn „einfach nur“ belohnen – damit ist es nicht getan. Man unterscheidet konkret noch einmal zwischen primärer und sekundärer Belohnung.

Als primäre Belohnung bezeichnet man in der Lerntheorie alle Dinge/Signale, die angeborenerweise ein Belohnungsgefühl auslösen. Es handelt sich dabei um die sogenannten Ressourcen, d.h. lebenswichtigen Dinge. Typische Ressourcen sind z.B. Futter oder Sozialkontakt. Hier muss der Hund nicht erst lernen, dass sie für ihn wichtig sind. Angeborenerweise weiß das Gehirn, dass es sich lohnt, dafür zu denken, zu lernen und zu arbeiten. Da es im Training aber sehr wichtig ist, eine Belohnung in einem exakten Timing zu geben, kommt man rein über die Arbeit mit primären Belohnungen schnell an die Grenzen des Machbaren. Wenn der Hund weiter von mir weg ist, als mein Arm lang ist, kann ich ein Leckerli nicht mehr sofort geben, wenn der Hund das gewünschte Verhalten zeigt.

Hier kommen die sekundären Belohnungen ins Spiel. Als sekundäre Belohnung bezeichnet man Signale, die über einen klassischen Konditionierungsprozess eine Belohnungsqualität erhalten haben. Das Wort „fein“ ist eine solche sekundäre Belohnung. Dieses Wort kann man punktgenau sagen – genau dann, wenn der Hund das erwünschte Verhalten zeigt – und anschließend das Leckerli geben. Man nennt solche sekundären Belohnungen deshalb auch „Belohnungssignale“ oder „Markersignale“ . Wenn in diesem Buch im Zusammenhang mit Trainingsanleitungen von „Belohnung“ gesprochen wird, ist immer das System aus sekundärer und primärer Belohnung gemeint.

Clickertraining

Das Clickertraining ist ein schönes Beispiel, an dem man das Zusammenspiel zwischen primärer und sekundärer Belohnung erläutern kann.

Der Clicker ist ein kleines Plastikkästchen, welches ein Click-Geräusch produziert, wenn man an einer bestimmten Stelle darauf drückt. Dieses Clickgeräusch wird als sekundäre Belohnung eingesetzt (image Abb. 2-12). Der Clicker ist ein Trainingshilfsmittel – und hat wie alle Hilfsmittel Vor- und Nachteile.

Vorteile des Clickers:

Das Geräusch ist schnell produziert, denn eine Aktion des Daumens läuft schneller als eine Aktion des Kehlkopfes (um z.B. ein Signal wie „fein“ zu produzieren).

Das Clickgeräusch ist ohne Emotion, während man ein „fein“ durchaus auch so betonen kann, dass es für den Hund eher negativ ist.

Das Clickgeräusch ist ein sehr aussagekräftiges Signal, da es ansonsten im Alltag nicht vorkommt – im Gegensatz zu unserer Stimme, die der Hund auch außerhalb des Trainings hört.

Nachteile des Clickers:

Wie bei allen Hilfsmitteln muss man daran denken, ihn zum Training mitzunehmen.

Für einige Hunde ist das Clickgeräusch anfangs unangenehm. Deshalb sollte man zunächst ausprobieren, wie der Hund nur auf das Geräusch selbst reagiert, ohne dass eine Trainingsmaßnahme stattfindet. Nicht bei allen Hunden kann das Clickgeräusch als sekundäre Belohnung auftrainiert werden.

Durch folgende Maßnahmen wird das Clickgeräusch zu einer sekundären Belohnung:

Das Prinzip dahinter ist die klassische Konditionierung. Mehrmals am Tag nimmt der Halter ein paar Leckerli und den Clicker mit zu seinem Hund und beginnt mit dem Training.

Der Hund muss nichts anderes machen, als „da zu sein und aufmerksam zu sein“. Es werden noch keine Kommandos geübt. Der Halter geht einfach zum Hund, der ihn hoffentlich leicht erwartungsvoll anschaut, und beginnt mit der klassischen Konditionierung.

Der Halter clickt und gibt dem Hund sofort ein Leckerli. Damit befolgt er die Regel: neues Signal (Click) ca. 0,5 Sekunden vor altem Signal (Leckerli).

Dieser Vorgang wird ca. 10-mal wiederholt mit einer anschließenden Pause bis zum nächsten Durchgang. Sinnvoll sind 20–25 Durchgänge am Tag. Damit wird das Clickgeräusch wirklich fest als sekundäre Belohnung aufgebaut.

Wenn die Konditionierung erfolgreich war, kann der Clicker als sekundäre Belohnung auch in anderen Trainingsprozessen, z.B. bei der instrumentellen Konditionierung von „Platz“ oder Rückruf, eingesetzt werden.

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Auch eine „sekundäre Strafe“ kann auftrainiert werden. Ein Signal wie „pfui“ z.B. kann in Zusammenhang mit einem primär aversiven/ negativen Signal, welches Angst, Schreck oder Schmerz auslöst, gelernt werden. Auf die Probleme und No-Gos beim Einsatz von Strafe wurde weiter vorne schon hingewiesen (image Kap. 2.3, Kasten „Tierschutzgesetz“ und Kasten „Beachte“; image S.45 f. Deshalb soll dieser Bereich nicht weiter ausgeführt werden.

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Abb. 2-12 Der Click ertönt in dem Moment, in dem der Hund das gewünschte Verhalten zeigt.

Ein Infoblatt mit Anleitung zum Clickertraining zur Weitergabe an den Besitzer finden Sie auf tfa-wissen.de unter: image svg.to/clicker

2.4Habituation

Habituation bedeutet „Gewöhnung“ – und Gewöhnungsprozesse sind ein wichtiges Element der Verhaltensmodifikation. Im wissenschaftlichen Sinn bedeutet „Habituation“, dass ein Lebewesen immer schwächer auf ein Signal oder eine Situation reagiert. Habituieren kann man schnell an Signale, die keine große Bedeutung besitzen. Sie treten dann in den Hintergrund und werden unwichtig.

Voraussetzungen für eine schnelle Habituation sind:

Das Signal ist „einfach“ da, ohne positive oder negative Konsequenzen für den Hund.

Das Signal wird häufig wiederholt.

Für eine gezielte Habituation sollte die Trainingssituation so gestaltet werden, dass das Signal eher dezent ist. Der Hund sollte nur eine kurze Orientierungsreaktion zeigen, sich danach aber sofort wieder entspannen und/oder anderen Beschäftigungen zuwenden. Parallel muss der Hund auch die Möglichkeit haben, sich weiter vom Signal zurückzuziehen, wenn er es möchte.

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Beispiel für eine Habituation

Der Hund reagiert ängstlich auf das Signal „Staubsauger“, z.B. weil er es als Welpe nie kennengelernt hat. Um den Hund zu habituieren, lässt man den Staubsauger zunächst einfach auf dem Teppich stehen, sodass der Hund sich an das Objekt als solches gewöhnen kann. Dabei wechselt der Staubsauger von Tag zu Tag die Position im Zimmer. Wenn der Hund gegenüber dem „stillen Staubsauger“ keine Angstreaktion mehr zeigt, positioniert man den Staubsauger an einer eher entfernten Ecke und lässt ihn einfach auf niedrigster Stufe laufen. Langsam erhöht man die Geräuschintensität und rückt den Staubsauger mehr in die Mitte des Lebensraumes. Der Hund hat so die Möglichkeit, sich an das Objekt zu gewöhnen und es wird kein Angstauslöser mehr sein (image Kap. 1).

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2.5Desensibilisierung

Eine Desensibilisierung ist im Grunde genommen eine Sonderform der Habituation. Hierbei wird nicht nur die Intensität des angst- oder stressauslösenden Signals in sehr kleinen Schritten gesteigert, sondern man trainiert mit dem Hund auch passende Alternativverhalten für die Situationen, in denen Angst- und Stressauslöser vorhanden sind, und belohnt den Hund, wenn er dieses Verhalten zeigt. Deshalb spricht man auch von einer sogenannten systematischen Desensibilisierung (image Abb. 2-13, image Abb. 2-14).

Eine systematische Desensibilisierung könnte am Beispiel Staubsauger aus dem vorherigen Abschnitt so aussehen:

Zunächst wird dem Hund das Kommando „Geh auf deinen Platz“ beigebracht.

Dann wird der Staubsauger auf niedrigster Stufe und weit weg vom Hund und seinem Platz eingeschaltet. Gleichzeitig erhält der Hund das Signal, auf seinen Platz zu gehen. Zeigt er das gewünschte Verhalten, wird er dafür belohnt. Wichtig ist, dass der Hund dabei entspannt ist. Er darf anfangs kurz auf den Staubsauger schauen und auch leichte Stresssymptome zeigen, sollte sich dann aber schnell entspannen und in der Lage sein, zügig auf das Kommando zu reagieren. Diese Übung wird mehrmals hintereinander und über einige Tage wiederholt.

Langsam wird im Laufe einiger Tage bei dieser Übung entweder der Staubsauger lauter oder er wird etwas näher an Hund und Korb gestellt. Diese beiden Steigerungen (Lautstärke und Nähe) dürfen aber nicht gleichzeitig stattfinden.

Das Ziel ist, dass der Hund spontan in den Korb geht, sobald der Staubsauger angestellt wird, und entspannt darin liegen bleibt, auch wenn sich der Staubsauger um ihn herumbewegt.

Wichtige Aspekte der Desensibilisierung sind:

Das zu belohnende Alternativverhalten muss vor Beginn der Desensibilisierung bereits gut auftrainiert sein bzw. der Hund muss es zuverlässig spontan zeigen können.

Das Signal, gegen welches desensibilisiert werden soll, muss gut identifiziert sein und es muss möglich sein, es in der Intensität zu variieren.

Der Besitzer muss bei der Steigerung der Intensität des Signals geduldig sein und sollte nicht zu schnell „vorpreschen“, d.h. er darf z.B. Lautstärke und/oder Nähe zum Signal/Objekt nicht zu schnell erhöhen bzw. verringern.

Die Geschwindigkeit, mit der Anforderungen gesteigert werden, muss an die Möglichkeiten des Hundes angepasst sein. Der Hund muss bei jedem Steigerungsschritt, zumindest nach kurzer Zeit, wieder in der Lage sein, das gewünschte Verhalten entspannt zu zeigen.

Ein Flooding, d.h. eine Überforderung, muss vermieden werden, da es besonders ein Angstproblem dramatisch verstärken kann.

2.6Gegenkonditionierung

Bei einer Gegenkonditionierung wird das angst- oder stressauslösende Signal mit etwas Positivem verknüpft, sodass nach erfolgreichem Training keine Angst und/oder kein Stress mehr, sondern das positive Gefühl ausgelöst wird, sowie das Signal erscheint.

Man unterscheidet zwischen der klassischen Gegenkonditionierung und der instrumentellen Gegenkonditionierung. Letztere wird auch als Umkonditionierung bezeichnet und entspricht hinsichtlich ihres Ablaufes der Vorgehensweise bei der Desensibilisierung: Der Hund wird für ein Alternativverhalten belohnt, das er im Zusammenhang mit dem Stressor oder Angstauslöser zeigt.

Bei der klassischen Gegenkonditionierung wird der Angstauslöser, Erregungsauslöser oder Stressor direkt mit etwas Positivem gepaart. Dieses positive Element löst ein angenehmes Gefühl beim Hund aus, sodass nach dem Konditionierungsprozess auch der vormalige Angstauslöser ein positives Gefühl auslöst. Hierbei wird also wieder ein Signal mit einem anderen Signal gepaart. Der Hund zeigt dann das Verhalten, welches zu diesem positiven Signal gehört und nicht mehr das Verhalten, das früher durch den Stressor ausgelöst wurde.

Einen Gegenkonditionierungsprozess am Beispiel eines Hundes mit einem Jagdproblem zeigt image Abb. 2-15. Das Signal, welches Erregung, Stress und letztendlich Jagdverhalten auslöst, ist das Wild. Die Besitzerin füttert jetzt dem Hund Leckerli ins Maul, während der Stressor (Wild) anwesend ist. Auf Dauer wird so „Wildanblick“ eng mit „Leckerli in Frauchens Hand“ verknüpft. Nach erfolgreicher Gegenkonditionierung wird der Hund sich bei Wildanblick mit der Schnauze in Richtung der Hand der Besitzerin orientieren – und damit entfällt das Jagdverhalten.

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2.7Flooding (Reizüberflutung)

„Flooding“ bedeutet „Reizüberflutung“. Sie tritt bei einer massiven und intensiven Konfrontation mit dem Stressor bzw. dem Angstauslöser ein.

Autor

  • Patricia Solms (Herausgeber:in)

Frau Dr. Solms trägt die Zusatzbezeichnung Verhaltensmedizin, sie ist Sachverständige für Sachkunde- und Wesensprüfungen, praktiziert seit 2009 in eigener Praxis in Mainz und gibt regelmäßig Seminare zu Verhaltensstörungen bei Hund und Katze für TFA und Tierärzte.
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Titel: Verhaltensprobleme beim Hund