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Miteinander durch die Pubertät

Gelassener begleiten, weniger streiten, in Kontakt bleiben. So bleiben dein Kind und du ein Team! Spiegel-Bestsellerautorin

von Inke Hummel (Autor:in)
176 Seiten

Zusammenfassung

Es gibt viele Wege, gute Eltern zu sein. Doch eines braucht jede glückliche Familie: eine sichere Eltern-Kind-Bindung, die Verbundenheit und Vertrauen schafft. Kinder, die so großwerden, erleben ihr Elternhaus als verlässlichen Hafen, aus dem sie selbstbewusst aufbrechen und in den sie ohne Angst zurückkehren können. So bleiben Eltern und Kind ein Team – selbst in den stürmischen Zeiten der Pubertät. Die erfahrene Pädagogin Inke Hummel zeigt, wie ein entspanntes Familienleben mit Teenagern gelingt: Wie bleibe ich mit meinem Kind in Kontakt? Wie führe ich Gespräche ohne zu streiten? Wie verändert sich meine Elternrolle, wenn mein Kind älter wird? Der perfekte Ratgeber für alle Eltern, deren Kind gerade in die Pubertät startet oder schon mittendrin steckt.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


VORWORT VON NORA IMLAU

Bindung ist der Schlüssel

Es gibt unzählige Wege, gute Eltern zu sein. Doch das Fundament gelingenden Familienlebens ist immer gleich: Damit wir uns miteinander wohlfühlen, braucht es eine sichere Bindung als Basis.

Bindung bedeutet Sicherheit. Das Gefühl, zusammenzugehören, was immer geschieht, trägt Familien auch durch schwere Zeiten.

Bindung bedeutet Beziehung, Verbundenheit, Vertrauen. Kinder, die sicher gebunden großwerden, erleben ihr Elternhaus als sicheren Hafen, aus dem sie selbstbewusst aufbrechen, in den sie aber auch immer angstfrei zurückkehren können.

Bindung bedeutet Stabilität trotz beständigem Wandel. Denn so wie sich die Eltern-Kind-Beziehung im Laufe der Jahre wandelt, so verändert sich auch die Bindung mit, passend zu den Bedürfnissen selbstständig werdender Kinder und älter werdender Eltern.

Wenn wir über Bindung sprechen, dann reden wir meist über ganz kleine Kinder. Und es ist ja auch wahr, dass in den ersten Lebensjahren ganz entscheidende Meilensteine im Bindungsaufbau passieren. Indem wir feinfühlig und prompt auf unsere Babys reagieren, stärken wir ihr Vertrauen in uns und die Welt. Durch den ganz engen Körperkontakt, der für die allerersten Lebensmonate typisch ist, spüren wir unsere enge Verbundenheit jeden Tag am eigenen Leib. Und wenn wir unsere kleinen Kinder trösten und beruhigen, ins Bett bringen und einkuscheln, wenn wir mit ihnen schmusen und spielen, fühlen wir sie in jeder Pore unseres Körpers, die ganz besondere Verbindung zwischen uns.

Doch je älter Kinder werden, desto weniger wird über ihre Bindungsbedürfnisse gesprochen. Als gingen wir davon aus, der Aufbau einer guten Bindung sei irgendwann einfach abgeschlossen. Das spiegelt sich auch in der aktuellen Ratgeberliteratur wider: Bücher über die Bedürfnisse von Babys gibt es unzählige. Über Kleinkinder gibt es dann schon weniger, über Schulkinder noch weniger – und dann fällt das Thema Bindung nahezu völlig unter den Tisch. Dabei ist es unglaublich wichtig, die Bindung zu unseren Kindern auch in jener spannenden Umbruchphase zu fördern und zu pflegen, in der sie langsam erwachsen werden.

Deshalb bin ich so froh über dieses Buch, in dem die erfahrene Pädagogin Inke Hummel die Bindungsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen vom Beginn der Pubertät an genau unter die Lupe nimmt und Eltern ganz praktische Hinweise an die Hand gibt, wie sie auch diese stürmische Zeit im Leben ihres Kindes bindungsstark begleiten können. Denn auch wenn uns unsere Kinder irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf wachsen, brauchen sie uns noch immer als liebevolle und wertschätzende Wegbegleiter.

Das klingt so logisch und ist doch so schwer zu leben. Denn Teenager sind herausfordernde Zeitgenossen. Sie sind nicht mehr so klein und süß, dass wir ihnen jeden Wutausbruch leichten Herzens verzeihen – und brauchen unsere Großherzigkeit trotzdem nicht weniger als damals mit drei Jahren. Sie kämpfen vehement für ihre Freiheiten – und fühlen sich gleichzeitig schnell alleingelassen, wenn wir sie einfach alles machen lassen, wonach ihnen gerade der Sinn steht. Sie verstehen sich oft selbst nicht mehr, sind voller Widersprüche und Selbstzweifel – und wollen doch nicht von uns sortiert und aufgeräumt werden.

All das versteht Inke wie keine andere.

Und das liegt an ihrer unglaublichen Herzensbildung, die ihr umfassendes entwicklungspsychologisches Wissen in einmaliger Art ergänzt. Inke analysiert nicht nur, was in der Eltern-Kind-Beziehung vor sich geht. Sie fühlt sich ein, schwingt mit. Sie sieht Eltern und Kinder, wie sie wirklich sind, mit all ihren Brüchen und Widersprüchen. Sie bewertet nicht und mahnt keine unerfüllbaren Standards an, sondern lädt dazu ein, das Bestmögliche möglich zu machen, mit den Ressourcen, die da sind. Das macht ihre Arbeit nicht nur unglaublich entlastend, sondern richtiggehend heilsam.

Wenn ich Eltern, die sich hilfesuchend an mich wenden, an Inke und ihr pädagogisches Beratungsangebot verweise, bekomme ich immer wieder Rückmeldungen voller tiefer Dankbarkeit: „Wir hätten nie gedacht, wie viel Gutes aus so einer Familienbegleitung erwachsen kann!” Häufig höre ich, dass Eltern sich an Inke gewandt haben, um ihr Kind besser zu verstehen – um plötzlich festzustellen, dass sie in der Arbeit mit ihr vor allem ganz viel über sich selbst gelernt haben.

Denn Inkes Ansatz ist es nicht, an einzelnen Symptomen herumzuschrauben, sondern Familien als individuelle und hochkomplexe Systeme zu begreifen.

Wenn Eltern unsicher sind, spiegelt sich das im Verhalten ihrer Kinder. Trauen die Erwachsenen in einer Familie sich nicht, ihre eigenen Grenzen zu zeigen, machen sich Heranwachsende auf die Suche nach eben diesen Grenzen. Und stimmt etwas in der Beziehung zwischen den Elternteilen nicht, hat auch das Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder.

In der pädagogischen Arbeit mit Eltern ist es unglaublich leicht, in die Schuldfalle zu tappen. Wer ist der Böse, wer ist der Gute in der Eltern-Kind-Beziehung? Welcher Elternteil hat den Fehler gemacht?

Mit viel Achtsamkeit und Feinfühligkeit löst Inke dieses Schulddenken auf und führt Eltern stattdessen dahin, Verantwortung für sich selbst und ihre eigenen Gefühle zu übernehmen, um ihren Kindern die Eltern sein zu können, die sie brauchen. Dabei weiß sie als Mutter dreier eigener, sehr unterschiedlicher Kinder aus eigener Erfahrung, dass längst nicht jeder Teenie das Gleiche von uns braucht. Sondern dass zur lebendigen Beziehungspflege auch gehört, jedes Kind in seinen individuellen Bedürfnissen zu sehen und sich immer wieder darum zu bemühen, ihm das Gegenüber zu sein, das es jetzt gerade benötigt.

Als Mutter von vier Kindern, von denen das älteste gerade an der Schwelle zur Pubertät steht, sage ich deshalb auch ganz persönlich aus tiefstem Herzen Danke für dieses Buch, das auch mir dabei hilft, meinen Weg durch die Herausforderungen der vor uns liegenden Jahre zu finden. Einen Weg, den wir vor vielen Jahren mit einer kuscheligen Babyzeit eingeschlagen haben und von dem ich mir wünsche, dass er genauso achtsam und liebevoll weitergeht, wie er einst begann.

Bindung ist der Schlüssel zum Familienglück, davon bin ich zutiefst überzeugt.

Und mit diesem Buch weist Inke Hummel Eltern den Weg, wie sie ihn finden und bewahren können. Viel Freude beim Lesen!

Nora Imlau

DIE PUBERTÄT – WAS IST DAS EIGENTLICH?

Dein Kind steckt mitten in der Pubertät oder zeigt zumindest die ersten Ansätze von jugendlichem Aufbegehren? Du machst dir Sorgen und suchst Hilfestellung? Sei dir einer Sache bewusst: Du bist nicht allein!

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Diese Entwicklungsphase unserer Kinder ist für die meisten Eltern wohl eine beängstigende Zeit. Sie ist gedanklich beladen mit vielen möglichen Problemen und Konfliktherden.

Zum Glück ist das Selbstverständnis vieler Eltern über die letzten Jahre oder auch Jahrzehnte ein anderes geworden. Und auch unser Bild der Eltern-Kind-Beziehung ist nicht mehr das gleiche wie in unserer eigenen Jugendzeit.

Vielleicht liegt die Angst vor der Pubertät in unseren Köpfen auch daran, dass immer nur jene Teenies auffallen und uns in Erinnerung bleiben, die über die Stränge schlagen. Denn „so ein Kind” will man selbst nicht! Und vielleicht empfinden wir die Pubertät deshalb als besonders gruselig, da das häufig beschriebene Zuviel im Verhalten der Teenies durchweg als gefährlich aufgefasst wird. Dabei ist es nicht schlimm, Risiken einzugehen, sondern oft okay und sogar wichtig für diese Lebensphase. Die Jugendlichen sollen sich doch ausprobieren. Grenzen erkennt man, indem man sie auch mal überschreitet. Und: Die wenigsten kommen komplett vom Weg ab!

Waren wir Eltern so anders damals im gleichen Alter?!

Beziehung und Bindung als Leitmotive

In Beziehung zu bleiben und Wert auf Bindung zu legen ist heutzutage das Leitmotiv! Und diese Art des Umgangs miteinander in der Familie muss nicht nach dem Babyjahr enden, sondern kann unsere Grundhaltung sein, bis unsere Kinder das Haus verlassen. Und noch 4dcarüber hinaus.

image Beziehung meint vor allem unser gutes Miteinander und In-Kontakt-Sein. Bindung heißt zudem die sichere, möglichst prompte Verlässlichkeit und feinfühlige Verbindung als Basis für das Heranreifen des Kindes. Dazu später noch mehr.

Was kann der intensive Blick auf Beziehung und Bindung genau für eine Familie bedeuten? Und: Ist das nicht einfach nur „Kuschelpädagogik”?

„Geht nicht!”, sagen Verfechter von eher autoritären Erziehungsmodellen, bei denen sich Eltern zu sehr darauf fokussieren, eine enge, gute Beziehung zu ihren Kindern im Jugendalter zu haben. Aber das zeigt nur, dass sie die Haltung dahinter nicht verstanden haben. Wer meint, es ginge nur darum, die Wünsche der Kinder zu befriedigen, damit sie nicht aufbegehren, ist auf einem völlig falschen Weg.

Das sind Vorurteile:

Man hat nur die Teenager im Blick.

Man vermeidet Konflikte, um die Teenager in Watte zu packen.

Man redet – und handelt – den Teenagern quasi beständig nach dem Mund.

Das alles stimmt so nicht. Wären diese Vorurteile wahr, würden wir Eltern uns selbst verlieren! Und unsere Teenies blieben orientierungslos. Das kann niemand wollen. Wenn man sich auf das Miteinander konzentriert sowie auf das, was unsere Kinder emotional von uns brauchen, und wir nicht zuletzt auch unsere elterlichen Bedürfnisse beachten, ist echtes In-Beziehung-Bleiben eine Chance!

Es bietet die Möglichkeit, die gute Bindung der ersten Jahre auch in der Pubertät fortzuführen und zu festigen.

Das ist dein Job!

Wir müssen das Geschehen als unsere Aufgabe annehmen. Wenn wir dann zudem nicht vergessen, uns gut um uns selbst zu kümmern (sogenannte „Selbstfürsorge” zu betreiben), sollten wir Eltern die Kraft für möglichst viel Gelassenheit haben. Damit geben wir unserer Familie die Möglichkeit, jeden Konflikt und jeden Stresspunkt als echte Chance zu sehen.

Als Chance auf:

Veränderung – in uns und den Kindern

persönliches Wachsen aller Beteiligten

Fortschritt

elterliches „Überflüssigwerden” in etlichen Bereichen

neuartiges Zusammenwachsen und Bindung bis ins Alter

gelungenes Ablösen und Ichwerden unserer Teenager

Verbesserung der Beziehung und des gegenseitigen Verständnisses

ein beständiges Gefühl unserer Kinder, sich auch als Teenager weiterhin willkommen zu fühlen

einen gemeinsamen Alltag ohne ständiges Zornigsein und Vor-Wut-Explodieren

auf In-Beziehung-Bleiben

So muss die Pubertät kein angstbeladener Zeitraum werden. Sie ist notwendig und kann positiv gelebt werden!

Vielleicht wird sie eine sehr arbeitsintensive, anstrengende und kräftezehrende Zeit sein. Doch wenn wir im Hinterkopf haben, warum sie notwendig für die Entwicklung eines Kindes ist und welchen Gewinn die Pubertät bringen wird, können wir leichter durch sie hindurchgehen. So ist auch Platz, all die guten Seiten wahrzunehmen, die uns diese Etappe im Leben unserer Kinder bietet.

Was sagen andere Eltern?

Jule (36), Mutter eines zwölfjährigen Mädchens, über die Pubertät ihrer Tochter:

Klar ist unsere Tochter auch launisch, diskussionsfreudig und halt ein pubertärer Teenie. Aber am Ende des Tages stimmt einfach das Miteinander zwischen uns, zwischen ihr und den jüngeren Geschwistern. Und das macht es glaub ich aus. Ganz wichtig finde ich dabei, dass wir Eltern uns auch immer wieder einen Moment Zeit nehmen, Situationen zu regeln, eigenes Verhalten und Ansprüche zu überdenken. Wir müssen mit unseren Kindern wachsen und sie Stück für Stück in die Welt hinausbegleiten. Dann klappt das schon irgendwie. Aber irgendwie gut!

Die Pubertät ist nicht das Übel schlechthin. Es wäre daher wünschenswert, den Begriff anders zu deuten.

Keine Angst vor der Pubertät

Ja: Kraftraubend wird es wahrscheinlich, denn in guten Beziehungen aufwachsende Jugendliche sind nicht „brav”, sondern meinungsstark. Doch all diese Verhaltensweisen sind so wichtig für die Charakterbildung des Kindes. Die Pubertät birgt neben dem Stress ebenso viele gute Gelegenheiten. Wir müssen keine Angst vor ihr haben! Wir müssen auch keine Angst vor „Fehlern” haben. Stolpersteine gehören dazu, nicht jedes Fallen kann und muss von uns verhindert werden. Perfektion wird es niemals geben. Wechsel von Gefühlen des Scheiterns hin zu Glücksmomenten sind normal. Alles ist ein Lernprozess, gerade auch für uns Eltern.

Auch schlechte Erfahrungen sind wichtig zur Wegänderung. Gegebenenfalls sogar professionelle Hilfe zu einem Thema in Anspruch zu nehmen ist ein Zeichen von Stärke. Alles zusammen macht uns zu den Menschen und der Familie, die wir sind.

Dieses Buch will hier Klarheit schaffen. Denn bei einer Elternschaft in enger Verbindung und ohne autoritäres Machtgefälle ist es definitiv essenziell, alle im Blick zu haben – Groß und Klein:

Wir wollen beständig so gut wie möglich in Beziehung bleiben.

Wir wollen ehrlich zeigen, was wir Eltern brauchen.

Wir wollen sehen, was die Kinder benötigen.

Wir wollen ihnen ver- und nicht misstrauen, sie nicht ständig kritisieren, niedermachen oder gar beschämen, sondern konstruktiv alle auftauchenden Probleme angehen.

Dann können wir als Familie gemeinsam wachsen und ein Team bleiben. Dann können wir als Eltern gelassen erziehen, liebevoll begleiten und mit unseren Kindern weniger auf Konfrontationskurs gehen, seltener und vor allem sinnvoller streiten.

Dabei muss man kein Konzept abarbeiten, sondern vorrangig seine eigene Haltung hinterfragen und falls nötig neu justieren sowie bestimmte Alltagsmomente anders, nämlich stärker in Beziehung angehen. Das beugt schon vielen typischen Problemsituationen vor! Die Pubertät fällt dann vielleicht nicht ganz als „übles Schreckgespenst” aus.

Wie kann das gelingen?

Wir blicken:

im Kapitel „So verändert sich meine Elternrolle” auf die Bereiche, die sich für uns Eltern verändern sowie auf den Begriff Beziehung im Vergleich zu Erziehung und im Kapitel „Durch den Alltag der Pubertät” auf Grundlagen von Elternschaft in Beziehung und Bindung,

im Kapitel „Durch den Alltag der Pubertät” darauf, wie es uns Eltern gelingt, loszulassen und unseren Kindern Flügel zu geben,

im Kapitel „Gruppendruck und Sucht: Wie gehen Teenager stark ins Leben?” auf die sieben wichtigsten Voraussetzungen für ungefährliches Verhalten,

im Kapitel „Medien, Schule, Alkohol: Wie vermeide ich konkrete Konfliktsituationen?” auf die anstrengenderen Themen im Zusammenleben mit Heranwachsenden

und lassen uns durch den Humor der Kolumne „Relax! Der entspannte Weg durch die Pubertät” runterfahren auf den wichtigsten Punkt: gelassen zu bleiben.

SO VERÄNDERT SICH MEINE ELTERNROLLE

Natürlich bleibt auch in der Pubertät der Fokus auf einer guten Bindung und einer engen Beziehung. Und dennoch ändert sich unser Verhalten im Vergleich zum Kleinkindalter deutlich. Und das muss es auch!

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Wir Eltern müssen langsam in die neue Situation hineinwachsen. Es ist leider so: Eltern verlieren ihre Stellung im Leben der Kinder. Obgleich sie wichtig bleiben, wird ihr Platz in der Regel deutlich kleiner. Wir müssen Kontrolle abgeben und meist auch damit zurechtkommen, dass die vom Teenie gezeigte Liebe nicht die gleiche Intensität hat wie in den Jahren zuvor.

image Der Teenager löst sich von uns und wurzelt woanders – das ist unsere Herausforderung. Die Bindung wird vermutlich anders, lockerer – aber bedeutet keine Ablehnung. Und sie kann ja auch wieder enger werden, wenn die Pubertät erst einmal überstanden ist!

Vom Kind zum Teenie – auf eigenen Wegen

Gleichaltrige werden wichtiger. Sie werden jetzt stärker vom Teenie selbst gewählt, anstatt durch Aktivitäten gefunden zu werden, die wir Eltern anleiten. Und sie werden nicht nur zu Freunden, sondern teilweise auch zur ersten Liebe. Dies sollten wir begrüßen und offen begleiten.

Statt mit uns zu kooperieren, geht das heranwachsende Kind vermehrt eigene Wege, will und muss sich ausprobieren. Wir Eltern sollen natürlich weiterhin unsere Meinung sagen. Aber wir müssen vermutlich immer öfter eine andere Sichtweise unserer Kinder tolerieren. Wie in allen Beziehungen müssen wir hinnehmen, dass Uneinigkeit dazugehört und normal ist und die Grundlage der Beziehung nicht zerstört! Stattdessen kann uns das sogar voranbringen. Es kommt auf das Wie des Lösens an.

Wichtig ist jetzt, dass Eltern nicht alles persönlich nehmen, sondern erkennen, dass diese Meinungsänderungen notwendig sind, und souverän bleiben. Wir Eltern müssen unsere Kinder mit positivem Blick freigeben. Das heißt, wir entfernen uns voneinander. Ja! – aber möglichst, ohne dass wir sie ablehnen. Stattdessen sollten wir darauf achten, dass das gegenseitige Vertrauen wächst und wir den beständigen Wandel der Beziehung annehmen – mal lockerer, mal strenger.

Und wenn es vonseiten des Teenies zu heftig geworden ist und wir für kurze Zeit eine Mauer zwischen ihm und uns spüren, bleibt es unsere Aufgabe als Eltern, wieder den ersten Schritt aufeinander zuzumachen. Die Pubertierenden bekommen das nicht immer so gut hin. Ist es ganz schlimm zwischen dem Teenie und uns gelaufen, kann es helfen, einen Dritten mit ins Boot zu holen, der dabei hilft, dass sich die Wogen glätten und alle aufeinander zugehen können.

Zu viel Streit heißt: Wir müssen genauer hinschauen

Kommt es im Alltag allerdings gefühlt zu häufig zu vielen Konflikten (und vor allem zu kaputtmachenden statt lösungssuchenden), reicht es möglicherweise nicht mehr aus, die Situation anzunehmen und durch sie hindurchzugehen. Hier ist es wichtig, genauer hinzusehen, was sich in der Beziehung quergestellt hat und wieder zurechtgeru-ckelt werden sollte.

Folgendes sollten wir überprüfen:

Diskutieren wir vielleicht zu viel und geben zu wenig Verantwortung ab?

Lassen wir dem Teenie eventuell zu wenig Platz für seinen Weg?

Ist es wirklich so fürchterlich, welche Kleidung er trägt oder wie er die Haare gestylt hat?

Ist sein Tonfall tatsächlich persönlich gemeint oder einfach nur ein Nebenprodukt seiner hormonell bedingten Instabilität?

Ist es echt unerträglich, dass er sich leicht übergriffig für zum Beispiel Veganismus einsetzt?

Ist es nicht verständlich, dass er eine Stunde länger ausgehen möchte als vorher üblich?

Ist es vielleicht doch nachvollziehbar, dass er mehr in der Handballhalle anzutreffen ist als über seinem Vokabelheft?

Und so weiter.

Eltern müssen ihre klaren Neins hinterfragen und minimieren. Was könnte schlimmstenfalls geschehen, wenn das Kind seinen Weg geht, anstatt den, den wir Eltern richtig finden? Ist der wirklich so dramatisch oder nicht einfach auch ein Lebensweg, der okay wäre?

In der Pubertät unserer Kinder dürfen wir Eltern nicht mehr alles (auf unsere Weise) lösen wollen. Unsere Rolle verändert sich dahingehend, dass wir unsere Kinder mit Zutrauen begleiten, uns gegebenenfalls anbieten zu helfen und bei allem so gut wie möglich Vorbild bleiben. Denn ein solches benötigen sie immer noch, auch wenn ihr Verhalten oft nicht so aussieht, als würden sie zu uns aufschauen.

Läuft etwas ganz anders, als von uns Eltern gedacht, ist es wichtig, dass wir uns nicht in Schuldgefühlen verlieren. Niemand kann sagen, dass dies oder jenes passiert ist, weil wir dieses oder jenes getan oder unterlassen haben. So einfach ist der Zusammenhang nie, zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Schuldsuche hilft ohnehin nicht weiter – Lösungssuche ist der Schlüssel.

image Im Umgang miteinander wird es noch wichtiger als bereits in Kindertagen, dass Eltern ihren Nachwuchs nicht belächeln, Gesagtes und vor allem auch Äußerlichkeiten nicht überbewerten. Man muss um die starke Unsicherheit der Jugendlichen wissen und sollte sensibel damit umgehen. Grinsen können wir mal für uns, aber dem Teenie sollten wir nicht herablassend oder zu bewertend begegnen. Wenn uns etwas sehr stört, empfiehlt sich stattdessen ein offenes, ehrliches und ernsthaftes Gespräch.

Großsein muss geübt werden

Die letztendliche Aufgabe der Kinder nach der Pubertät wird es nicht nur sein, dass sie selbstständig und stark durchs Leben gehen, sondern auch ihre Existenz selbst absichern und sich allein versorgen. Hier ist es Aufgabe der Eltern, beim Finden des passenden Wegs zu unterstützen, ohne zu drängen, und auch den Kindern immer mehr Tätigkeiten bzw. Verpflichtungen zu übertragen, damit sie sie einüben können. Denn niemand kann diese Dinge von jetzt auf gleich, wenn er sie nicht üben – und Fehler machen – durfte.

Die Rechte, aber auch Pflichten werden immer mehr. Jugendliche können zuhören, mitdenken, aktiv werden bei Themen, die Eltern bislang von ihnen ferngehalten bzw. für sie erledigt haben. Das sind zum Beispiel:

Einkaufsplanung

Auswahl eines neuen Stromanbieters

Beratungen zu Vertragsunterzeichnungen

Urlaubsbuchung

Erstellen von Finanzübersichten

sich Gedanken über die Berufswahl machen

sich einen Minijob suchen

Das heißt, wir Eltern müssen zulassen, dass die Jugendlichen sich hier ausprobieren dürfen. Das innerfamiliäre Miteinander formt sich neu, die Rollen werden immer gleichrangiger.

So wird die Pubertät zur Chance – zur Chance auf ein Erhalten der guten Eltern-Kind-Bindung der ersten Jahre und das Weiterführen der Beziehung mit einem Teenager und bald jungen Erwachsenen, der sich in Ruhe abnabeln und selbst finden konnte.

Die Rolle der Eltern

Unsere Elternrolle ist es eigentlich, flexibel und zugewandt mit den Kindern zu wachsen. Und unser Gewinn ist ein hoffentlich lebensfroher und -fähiger junger Erwachsener sowie – nicht zu vergessen – wieder mehr Freiraum für uns selbst.

Das Wichtigste ist dabei wohl, locker zu bleiben!

Familie hat für Jugendliche fast immer einen hohen Stellenwert. Vor dem kompletten Verlust von Nähe müssen sich Eltern in einer Elternschaft, die auf guter, enger Beziehung beruht, kaum fürchten. Ihre Kinder sind sich in der Regel der Wichtigkeit und Schönheit ihres Familiennetzes bewusst. Die Tatsache, dass die meisten Teenager sicher sind, eines Tages selbst Nachwuchs haben zu wollen, zeigt doch, wie gut eingebunden sie sich im Familiensystem fühlen und für wie wichtig sie es halten.

Beziehung schön und gut – doch wo bleibt die Erziehung?

Der Begriff „Erziehung” wird in der Literatur rund um Bindung und Beziehung manchmal kritisch gesehen, da er teilweise so gedeutet wird, als wollten die Eltern ihr Kind „verbessern”, zugunsten eigener Ziele „verbiegen”, an ihnen „ziehen”. „Begleitung” ist daher vielleicht das bessere Wort.

Eltern sammeln Informationen und helfen ihren Kindern mit diesem Wissen auf dem guten Weg zu sich selbst in diese Welt hinein. Hinter ihrem Handeln steckt also durchaus eine Absicht, ein oberes Ziel, eine Struktur. Aber sie wollen nicht die Persönlichkeit des Kindes umformen oder es verbiegen.

Egal welchen Begriff du schließlich für dich wählst – definitiv ist deine Aufgabe die verantwortungsbewusste Hilfe beim Finden ins Leben und bei der Ausbildung der Identität deines heranwachsenden Kindes. Und darauf kommt es an. Gehst und bleibst du derartig in Beziehung, bist du die beste Unterstützung und Kraft, die du sein kannst – kein Idealbild, kein perfekter Elternteil, aber ein echter, authentischer, der auf sich achtet und das Kind achtet und ernst nimmt.

Dass das Erziehen und Anleiten von Kindern ohnehin nur bis zu einem Alter von etwa zehn Jahren sinnvoll ist und in der Pubertät dann eher von den Freunden übernommen wird, ist eine oft gesagte Floskel und nicht ganz korrekt. Ja, in vielerlei Hinsicht und vermehrten Situationen bestimmen die Freunde und ihre Beziehungen untereinander das Weitererarbeiten der jugendlichen Identität (anpassen, abgrenzen, ausprobieren, sozialen Druck spüren), doch das Elternhaus bleibt stets entscheidend.

Was sagen andere Eltern?

Daniel (41), Vater eines Sohnes (14) und einer Tochter (12), über Freunde und das Vorleben von Werten:

Unser Großer ist schon sehr viel mit seinen Kumpels unterwegs. Was er davon mitbringt, sind vor allem sein Markenfimmel bei Klamotten und ein nicht so schönes Vokabular. Er muss bei den Markensachen dazubezahlen, und wenn er sich unangenehm äußert, sagen wir ihm sehr bestimmt, dass er „Alter” oder so etwas gerne zu seinen Freunden sagen kann, aber nicht hier bei uns, weil wir es unangenehm und auch respektlos finden. Das nimmt er gut an. Manchmal rutscht natürlich doch etwas Flapsiges raus, doch eigentlich hat er sich gut im Griff. Ich kontere da auch immer sofort. Ich finde, man merkt schon, dass er sich viel an uns orientiert und an dem, was wir so vorleben an „Benehmen”.

Und je stärker und mit je mehr Bereitschaft Eltern diese Aufgabe (des Erziehens oder eben „Beziehens”) annehmen, desto besser können das Miteinander und auch das Miteinanderwachsen sein. Je intensiver Bindung und Beziehung sind, desto kraftvoller und robuster sind Rücken und Ich deines Jugendlichen. Desto klarer ist für ihn auch das Gefühl des Geliebtwerdens und Eingebettetseins in die Familie – und desto weniger Risiko besteht, dass der Teenager (durch Gleichaltrige) allzu weit von einem positiven Weg abkommt.

DURCH DEN ALLTAG DER PUBERTÄT

Wenn wir beginnen, uns mit der Pubertät auseinanderzusetzen, verstehen wir schnell, was das Wesentliche ist: Unsere pubertierenden, heranwachsenden Kinder brauchen von uns zunächst mal das Gleiche wie die kleinen, nur in etwas anderer Form!

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Was Kinder brauchen sind:

Wurzeln,

Flügel

und uns als anteilnehmenden, begleitenden und richtungweisenden „Leitwolf”, wie der Familientherapeut Jesper Juul es nennt.

So simpel. So schwierig! Denn natürlich läuft es mit einem 13- oder 16-Jährigen anders als mit einem jüngeren Kind. Man kann nicht mehr einfach ein schönes Buch vorlesen, um Nähe zu schaffen. Man kann das Kind nicht fürsorglich auch mal gegen seinen Willen wegtragen, wenn es irgendwo gefährlich wird.

Wie gibt man weiterhin Wurzeln und Nähe?

Man kann nicht mehr in Sichtweite loslassen und dem Kind mit mulmigem Bauchgefühl das Klettern auf dem höchsten Baum erlauben. Man bringt es nicht mehr in einen gut behüteten Kindergarten, in dem von den Erziehern fast alles zurückgemeldet wird, was über Tag nicht so gut läuft. Die Orte ändern sich, die Bezugspersonen werden andere, der Radius erweitert sich, die Risiken sind neue.

Wie aber schafft man es, loszulassen und Flügel zu geben?

Man kann auch nicht mehr einfach die Richtung vorgeben, Regelplakate mit kleinen Bildchen besprechen, Zeiten bestimmen, ohne viel Gegenrede Kompromisse schließen, den Anstoß zum Hausaufgabenserledigen geben, notfalls mit Überredungskunst wie einem Schokopudding. Denn es wird immer mehr Widerworte geben, und das eigene Verhalten wird immer mehr infrage gestellt.

Wie aber schafft man es dennoch, ein Leitwolf zu bleiben?

Was sagen andere Eltern?

Katja (38), Mutter einer neunjährigen Tochter, über den Fokus auf Beziehung:

Ich kann generell sagen, dass Beziehungsorientierung hilfreich ist, weil ich meiner Tochter viel eher in für sie (und uns!) schwierigen Momenten helfen kann und wir deutlich schneller in der Lage sind, Situationen zureflek tieren, als andere Eltern. Generell hilft es eben, Verständnis zu zeigen, Situationen zu besprechen und nicht aus der Rolle als Elternteil heraus irgendetwas durchzudrücken.

Was passiert bei den Jugendlichen?

Jugendliche etwa ab zehn bis 13 Jahren stehen zwischen dem Kindund dem Erwachsensein:

Sie müssen manche Sonderrechte aufgeben, die sie als kleine Kinder hatten – die Schonfrist ist vorbei.

Sie stehen neuen gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber, dürfen und können aber noch nicht alles kompetent selbst lösen – die geistige Reife durchlaufen sie ja erst noch.

Ihr Körper verändert sich, die Geschlechtsreife setzt ein – der Umgang damit ist ein ganz neues Feld.

Ihre Denkfähigkeiten werden andere und gehen dabei durch chaotische Phasen – sie verstehen sich oft selbst nicht. Und wir Eltern kommen schon gar nicht mehr mit.

Ihre gesellschaftliche Position ist oft nicht ganz klar – sind sie nun groß oder klein?

Sie sind verunsichert, ihre Emotionen sind überwältigend – Gefühlsausbrüche in jedwede Richtung sind an der Tagesordnung und überfordern sie selbst und uns.

Sie bleiben also „bedürftig”, abhängig von uns Eltern – noch gut ein Jahrzehnt lang. Sie sind darauf angewiesen, dass wir ihnen Entwicklungsspielraum lassen und auch eventuellen Fehlern Raum geben.

Bestimmte Dinge müssen erlebt, durchlebt, bewältigt werden, um voranzukommen.

Was sagen andere Eltern?

Nina (39), Mutter von drei Söhnen (5, 8, 13), über den Fokus auf Beziehung: Beziehungsorientierung hilft in unserer Familie extrem in Stresssituationen. Wir können uns aufeinander verlassen. Die Kinder wissen, wir sind da in guten wie in schlechten Zeiten, und keiner braucht Angst zu haben vor Fehlern. Jeder macht Fehler, und trotzdem werden sie bedingungslos geliebt. Orientiert an Beziehung heißt hier auch: „Okay, Mama hat einen schlechten Tag und ist launisch, aber es ist nicht unsere Schuld, sie hat einfach nur ein schlechten Tag.”

Machtgefälle erzeugt Gehorsam – Kadavergehorsam und Angst. Angst ist ein ganz schlechter Berater und ein zerstörerisches Lebenselixier. Nimmt Raum für Entwicklung. Bindungs- und Beziehungsorientierung ist die Basis für einen wertschätzenden Umgang miteinander und schafft Raum für Entwicklung.

Ebenso wie ein Kleinkind beispielsweise nicht lernt, sich gut zu ernähren, wenn wir ihm nicht zeigen, was ein gesunder, abwechslungsreicher Speiseplan ist, braucht auch ein Jugendlicher Impulse:

Struktur

Vorbild

Ideen

Stimulation

und schlichtweg Situationen, in denen er

erkennen,

überlegen,

mitgestalten,

Ziele entdecken,

Werte stecken,

sich selbst finden kann.

Dabei muss er bekannte Pfade verlassen, Neues (das für Erwachsene typisch ist oder dafür gehalten wird wie zum Beispiel Ausgehen und Feiern) wird probiert – und das Elternhaus sollte möglichst der rote Faden bleiben, um eventuelle Ausrutscher und Unwägbarkeiten aufzufangen.

Die Grundpfeiler der Beziehung

Es gibt Grundpfeiler, die am besten von Anfang an unser Familienleben mit den Kindern bestimmen sollten (sie können aber durchaus auch noch später ausgestaltet werden):

Bindung

Beziehung

sich informieren

Wertschätzung

Respekt und Straffreiheit

gute Kommunikation

Vertrauen und Verantwortung

Freundschaften annehmen

Mit sein

Vorbild sein

Selbstfürsorge

Hinter diesen Grundpfeilern stecken niemals eng umrissene To-do-Pläne, sondern es sind vielmehr Bereiche, die jede Familie nach ihren Bedürfnissen und Lebensbedingungen ausfüllen kann.

Bei den Grundpfeilern geht es jeweils darum:

sich selbst zu zeigen – So bin ich!

den anderen wahrzunehmen – Wie bist du?

das Machtgefälle zwischen Klein und Groß nicht auszunutzen – Wie schaffen wir das als Team?

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So können wir Eltern versuchen, mit unseren Kindern möglichst kampffrei umzugehen, obwohl sie in sich selbst mit so vielem kämpfen müssen. Wer Wert auf Bindung und Beziehung legt, geht diesen anderen Weg.

Bindung: Wie bleibe ich eng an meinem Teenager?

Bindung meint hier ein enges Band zwischen dem Kind und dir als Elternteil, das mal kürzer und mal länger ist. Das Kind kann sich dabei darauf verlassen, dass du seine Signale richtig lesen und seinen wirklichen, tiefen Bedürfnissen (nicht Wünschen!) so gut wie möglich und rasch nachkommst.

BEDÜRFNISSE – WÜNSCHE: WO IST DER UNTERSCHIED?

Die Begriffe „Bedürfnisse” und „Wünsche” werden gerne durcheinandergeworfen, dabei ist die Unterscheidung gar nicht so kompliziert.

Bedürfnisse sind das, was ein Mensch emotional und körperlich braucht, um psychisch gesund zu sein.

Wünsche sind das, was ein Mensch darüber hinaus einfach noch gerne haben würde (nicht nur materiell), dessen Fehlen ihn aber psychisch nicht angreift.

Zwischen diesen Polen stecken unsere Kinder:

Manchmal benötigt das Kind (egal in welchem Alter) körperliche Nähe und die Eltern als Absicherung, wenn zu viel von ihm gefordert wird und zu viele Eindrücke auf es einprasseln.

Ein anderes Mal benötigt es aber euer Vertrauen und Loslassen, damit es selbstständig ausprobieren kann, wie die Welt funktioniert und was es in ihr bewirken kann.

In einer guten Bindung begleitest du dein Kind dabei achtsam und liebevoll, gibst Orientierung und Struktur, leitest es an. Im Babyalter und in den (Klein-)Kinderjahren werden möglichst die Grundlagen gelegt, auf die man sich im Jugendalter verlassen möchte und muss. Nach dem zehnten Geburtstag kann aber immer noch Etliches davon neu in den Alltag integriert werden.

Eine der aber unbedingt zu legenden Grundlagen für ein gutes Miteinander auch in den Jugendjahren sind die sogenannten Spiegelneuronen: Sie entstehen von klein auf in unseren Kindern, wenn wir ihnen warm, zugewandt und mitfühlend begegnen, und ermöglichen es ihnen im Gegenzug, Zuneigung und Einfühlsamkeit zu zeigen, so-dass ein echtes Teamsein auch in der Pubertät eine gute Basis hat.

Was sagen andere Eltern?

Yvonne (42), Mutter einer Tochter (12), über das Wechselspiel aus Nähe und Distanz:

Meine Tochter steht sehr zwischen den Stühlen: Einerseits ist sie noch klein, spielt gerne mit jüngeren Kindern und deren Spielsachen, tobt und klettert. Aber andererseits schaut sie auf die etwas älteren Mädchen in ihrer Klasse, die schon shoppen gehen, Instagram nutzen oder Partys feiern.

Um sich in den neuen Bereich zu wagen, braucht sie mich manchmal noch ganz stark. Dann muss ich sie nicht nur hinsichtlich ihrer Kleiderwahl be-raten, sondern mich auch mal mit zu ihr ins Bett kuscheln und ihr etwas vorlesen. Ich habe das Gefühl, wenn sie ab und an noch etwas klein sein darf, hat sie auch die Kraft, groß zu werden und allein loszuziehen.

Was kannst du tun?

Um Nähe und Wurzeln zu geben, braucht es vor allem ein gutes Einfühlen: Verbringst du als Elternteil die gemeinsame Zeit, die du mit deinem Teenie hast (und die ja immer geringer wird pro Tag im Vergleich zu den ersten Jahren), immer wieder eng, wirklich im Moment, lernst du, ihn zu lesen. Durch verlässliches Reagieren gibst du ihm Sicherheit, die zu Selbstsicherheit werden kann.

Zum Loslassen und Flügelgeben braucht es Vertrauen: Du musst deinem Kind vertrauen und auch darauf, dass du seinen Rücken gestärkt hast. Und du musst auch Vertrauen in die (Um-)Welt haben, indem du nicht überall das Schlimmste befürchtest.

Auch du durftest (oder wolltest) die Welt als Jugendlicher erkunden. Jetzt musst du das deinem Kind ermöglichen. Seine gesunde Ich-Entwicklung braucht Raum und von dir nur noch etwas Unterstützung und Angebote. Versuche, alles zu kontrollieren, sind hinderlich und bei guter Bindungsbasis gar nicht notwendig. Besinne dich stattdessen auf:

Vertrauen und Bestärkung,

das Reden über verschiedenen Alternativen auf dem Weg,

gegebenenfalls auch mal Hilfe von außen in Form von fachlich versierten Beratungen, wenn man doch mal ins Straucheln gekommen ist.

Um dein Kind anzuleiten und ihm starke Orientierung rund um das oben beschriebene Wurzeln- und Flügelgeben zu geben, ist es wichtig:

dass ihr euch gegenseitig respektiert und auf Augenhöhe bleibt.

dass du dich und deine Standpunkte hinterfragst, anstatt auf ihnen zu beharren.

dass du aber auch Gewissheit findest und vorgibst in Form von liebevollem Grenzensetzen und von Struktur.

dass du feinfühlig erspürst, was in deinem Kind los ist.

dass du ihm hilfst, alle Eindrücke und Argumente zu sortieren.

dass du auf Bevormundung und Machtmissbrauch verzichtest.

Was sagen andere Eltern?

Dirk (41), Vater eines Sohnes (14), über das Überprüfen eigener Standpunkte:

Die Schule unseres Sohnes veranstaltet jedes Jahr einen „Tag des sozialen Engagements”. Der reguläre Schultag ist dann frei, um durch kleine Jobs oder Kuchenverkäufe Geld für ein Hilfsprojekt verdienen zu können.

Unser Sohn wollte die Arbeit gerne am Wochenende vorher erledigen, um den dann quasi schulfreien Tag für einen Ausflug in einen Freizeitpark nutzen zu können. Alles in mir sträubte sich dagegen. Ich bin ein pflichtbewusster Mensch und sagte erst mal spontan Nein. Doch er ließ sich nicht unterkriegen. Mutig trug er seine Argumente vor, dass er ja arbeiten und Geld verdienen würde. Aber dass er so gerne einmal unter der Woche und außerhalb der Ferien die Attraktionen des Parks nutzen wolle – ohne lange Schlangen.

Wir Eltern mussten das sacken lassen, aber uns auch recht schnell eingestehen, dass wir seinen Wunsch gut nachvollziehen konnten. Er würde nicht schwänzen, sondern vorarbeiten. Und vor allem hatte er uns ehrlich und offen von seinen Plänen erzählt. All das zusammengenommen, fanden wir unsere Antwort und konnten ihm ein klares Ja mitgeben, das niemandem wehtat.

Ehrlich bleiben

Wichtig ist, dass du authentisch bleibst. Das heißt, du kannst ruhig offen zugeben, wenn du mal nicht weiterweißt oder noch unsicher bist. Manchmal dauert es eben ein paar Tage, bis du eine gute Entscheidung treffen kannst.

Du kannst auch zugeben, wenn du dich bei verschiedenen Fragestellungen überfordert fühlst. Ein Teenie, der spürt, dass seine Eltern sein Computerspiel oder seine Cliquenprobleme schwierig finden, aber verstehen wollen und ernst nehmen, wird wahrscheinlich auch zu dir kommen, um über andere Sorgen zu sprechen und Lösungen zu finden. Ein Jugendlicher, der sieht, dass Erwachsene in der Regel verantwortungsbewusst mit der Politik, dem Alkohol, ihren Freundschaften, der Umwelt, der Arbeit, den Verwandten, mit sich selbst und so weiter umgehen, wird es ihnen in enger Verbindung eher nachtun, als einen komplett anderen Kurs einzuschlagen. Interessen und Persönlichkeitsmerkmale sind ganz individuell. Und doch kann der elterliche Stern der leitende sein.

Manchmal mag der Weg deines Kindes oberflächlich anders aussehen. Aber du als Elternteil bist Vorbild, und es wird sich unbewusst vieles mitnehmen. Du und dein Kind seid und bleibt gleich und doch nicht gleich. Verbunden und doch in Ablösung.

Was sagen andere Eltern?

Ingrid (39), Mutter eines Sohnes (15) und einer Tochter (13), über Gemeinsamkeiten mit den Kindern:

Ich bin eine ganz Ordentliche. Seit die Kinder endlich nicht mehr in unserem Wohnzimmer spielen, ist hier wieder Ordnung eingekehrt. Und allgemein bin ich sehr fürs Aufräumen und Sofortwegpacken. Ich habe lange ärgerlich gedacht, dass das doch wirklich mal im Kopf unseres Sohnes ankommen muss. Seine Schwester macht das total toll. Aber bei ihm im Zimmer sieht es immer aus … Vor allem auf dem Fußboden: Kleidung, Schulsachen, alte Stofftiere, schmutzige Socken. Da muss ich immer durchatmen.

Doch ich habe verstanden, dass er meinen Ordnungsfimmel anders übernommen hat und sein Chaoszimmer irgendwie braucht, um in anderen Bereichen gut klarzukommen. Er vergisst nie eine geänderte Trainingszeit vom Sportverein, keinen Vokabeltest und keine Klassenarbeit. Das ist ja schon unheimlich viel Ordnung und Selbstständigkeit. Seit ich das so sehe, kann ich seine unordentliche Seite viel besser ertragen und meckere endlich weniger.

Beziehung: Wie bleiben wir ein Team?

Eine gute Beziehung erreicht man auf der oben genannten Bindungsbasis, die möglichst in den ersten Lebensjahren geschaffen sein sollte. Das Grundlegendste, um sie auch in der Pubertät zu erhalten, ist, sich emotional nicht zu distanzieren.

Wie schaffen Eltern das?

Du musst bewusst Kontakt suchen.

Du musst geplant im Alltag Situationen schaffen, die dir einen guten Anschluss an den Teenager ermöglichen.

Du solltest grundlegendes Interesse an deinem Kind zeigen.

Du solltest ihm ein Vorbild sein in einem guten Umgang miteinander.

Du solltest Streitigkeiten, Schweigen oder Aggressionen nicht überbewerten oder persönlich nehmen.

Du solltest nie deinen Humor vergessen – der einem Pubertieren-den gegenüber allerdings nicht zu persönlich werden sollte!

Was sagen andere Eltern?

Marion (47), Mutter einer Tochter (17), über ein neues Ritual zur Kontaktaufnahme:

Es gab eine Zeit, da hat meine Tochter kaum noch etwas mit mir besprochen. Ich nehme an, sie hatte Freunde, die für bestimmte Themen ihre Ansprechpartner waren, und sie schrieb viel in ihr Tagebuch.

Ich war frisch getrennt und hatte Sorge, sie zu verlieren und gar nicht mehr zu wissen, was in ihr vorgeht. Gerade aufgrund der Scheidung war ich natürlich nervös, dass ich irgendetwas verpassen könnte.

Da kam mir die Idee, dass ich ihr Schreiben nutzen könnte: Ich verfasste einen kleinen Brief und schob ihn unter ihrer Tür durch. Und tatsächlich kam das gut an! Manches ließ sie außen vor, und dann bohrte ich auch nicht nach, aber eine Zeit lang schrieben wir uns so fast täglich kleine Gedanken und kamen uns wieder näher. Irgendwann passierte der Austausch dann auch wieder mündlich. Aber zu dem Punkt mussten wir eben erst einmal kommen. Dieses Ritual hat uns geholfen.

Was kannst du tun?

Wichtig hierbei ist, dass jeder – Eltern und Kinder – sich bemüht, die Sicht des anderen einzunehmen, um gemeinsam trotz Uneinigkeit voranzukommen. Deinem Teenager ist dies kognitiv, also von der Wahrnehmung her, immer besser möglich, aber es wird ihm durch allerlei Entwicklungsaufgaben erschwert. Darum ist er darauf angewiesen, dass du als Elternteil die Beziehungsarbeit immer wieder stark angehst:

Du musst auf dein Kind zugehen, auch wenn dir die Lust oft fehlen mag. – „Lass uns noch mal reden!”

Du solltest es ruhig an den Wechsel der Blickrichtungen erinnern und mit ihm überlegen, wie andere sich wegen irgendetwas Geschehenem fühlen – oder aber erklären, wie es dir selbst mit einer Sache geht. – „Was glaubst du, wie das beim anderen ankam?”

Du solltest auch stets die Seite des Pubertierenden betrachten. – „Erkläre mir dein Handeln!”

Und schließlich solltest du deinem Kind dabei behilflich sein, all diese Sichtweisen zusammenzubringen.

Geschieht dies warm und unterstützend, so wird sich ein Kind, das eine gute Bindung hat, über kurz oder lang wahrscheinlich immer wieder aufs Gespräch und die angebotene Unterstützung einlassen.

Aktiv werden

Besonders förderlich für eine gute Beziehung ist aber gemeinsames Tun:

ein Spaziergang

der Abwasch

das Sonntagsessen

ein Bauprojekt im Garten

eine Mitgliedschaft im Sportverein

ein Konzertbesuch

eine Bahnfahrt oder Reise

Verbringt ihr gemeinsame Zeit, habt ihr ein gemeinsames Ziel, kommt ihr zusammen im Machen und Weltentdecken, ergeben sich ganz andere Berührungspunkte als zwischen Mahlzeiten, Schulnoten und Schmutzwäschediskussionen. Wer zusammen etwas schafft, lässt neuartige Erlebnisse zu und kreiert Erinnerungen, die zusammenschweißen. Eltern und ihre heranwachsenden Kinder, die so in Beziehung gehen, lernen einander besser kennen, nehmen einander intensiver wahr und sind einander zugewandter.

Was sagen andere Eltern?

Otto (48), Vater eines Sohnes (11), über ein neues Ritual der Kontaktaufnahme: Als mein Sohn zur weiterführenden Schule kam, ging es ganz plötzlich los, dass er sich nur noch an seinen Klassenkameraden orientierte und uns Eltern ziemlich vergaß. Ich habe ein bisschen gebraucht, um das zu realisieren, weil es ja erst einmal auch ganz nett war, nicht mehr so eng eingebunden zu sein. Doch als er dann immer mehr mit fragwürdiger Musik bzw. Texten ankam, die ich wirklich ganz schrecklich fand, hatte ich das Gefühl, ich will das ändern, ich will wieder verstehen, womit er sich beschäftigt. So kamen wir dazu, uns samstagsvormittags mit Freunden zum Fußballspielen zu verabreden. Irgendwie reichte das schon, damit wir wieder etwas näher zusammenfanden. Wir fachsimpelten über die Bundesliga oder einzelne Spieler – und das Beste war: Auf der Autofahrt zum Sportplatz erzählte er mir offen von seinen neuen Musikvorlieben. So konnte ich seine Faszination besser nachvollziehen, hatte aber auch Gelegenheit, ihm zu sagen, was mich daran störte.

Es mag immer wieder Phasen geben, in denen ein Kind ein derartiges Zusammenkommen eher ablehnt. Dies solltest du nie persönlich nehmen. Bleib am Ball und beharre hier und da auch mal anleitend auf Teilnahme. Im anschließenden Gespräch lässt sich herauskitzeln, ob es dem Teenie nicht doch gefallen hat. Besprecht auch, welche Ideen er selbst für ein andermaliges gemeinsames Tun hat – was man dann natürlich auch angehen sollte, auch wenn es Überwindung kostet.

Informieren: Was ist Pubertät und was macht Pubertierende aus?

Ein entscheidender Eckpunkt im guten Umgang mit jugendlichen Kindern ist das Einholen von Informationen über diese Lebensphase.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842616240
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (September)
Schlagworte
Pubertät Junge Pubertät Mädchen Teenager Drogen Erziehungs-Ratgeber Eltern-Ratgeber Schul-Probleme gemeinsam durch die Pubertät

Autor

  • Inke Hummel (Autor:in)

Inke Hummel ist Pädagogin und Inhaberin der Familienbegleitung „sAchtsam Hummel“, Leiterin für Eltern-Kind-Kurse und Bloggerin. Als pädagogischer Coach unterstützt sie Familien im ersten Babyjahr, in der Kindergarten- und Grundschulzeit sowie in der Pubertät. Besonders häufig begleitet sie Eltern mit gefühlsstarken Kindern und verhilft ihnen zu einer gelingenden Eltern-Kind-Bindung. Im Verein „Bindungs( t)räume“ setzt sie sich dafür ein, dass Eltern und Pädagogen die Bedürfnisse von Kindern besser verstehen. Inke Hummel ist verheiratet und hat drei Kinder im Teenageralter.
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Titel: Miteinander durch die Pubertät