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Weniger schimpfen, weniger schreien

Wutausbrüche vermeiden, liebevoll erziehen. Wie du als Mama gelassen bleibst. Mit Cool-Down-Strategien

von Alexandra Karr-Meng (Autor:in)
192 Seiten

Zusammenfassung

Täglich erleben Eltern wunderschöne, glückliche und liebevolle Momente mit ihren Kindern – täglich kämpfen sie aber auch mit Problemen und Stress-Situationen. In einem Moment sind die Kinder noch verschmust und gut gelaunt, im nächsten Moment entwickeln sie sich zum regelrechten Orkan – da stoßen selbst die besten Eltern im Alltagstrubel an ihre Grenzen. – Wie gelingt es in solchen Momenten, gelassen zu bleiben?
Wie schafft man es, nicht in die Luft zu gehen und laut oder ungerecht zu werden? Alexandra Karr-Meng zeigt, wie man unnötigen Stress vermeiden kann, um den Alltag mit seinem Kind entspannt zu erleben. Sie gibt viele praktische Tipps, damit Konflikte nicht mehr eskalieren und Eltern im Familienalltag die Ruhe bewahren.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


DU MACHST EINEN GUTEN JOB

Zuallererst muss hier Zeit für ein dickes Lob sein – dafür, was du und andere Eltern bei der Erziehung tagtäglich leisten. Doch in jedem Familiengetriebe knirscht es ab und an auch mal. In solchen Fällen hilft dir dieses Buch, den Sand daraus zu entfernen, damit es wieder runder läuft.

Da ich selbst Mutter bin und weiß, wie anstrengend das Elternsein manchmal sein kann, ziehe ich den Hut vor dir: Du stellst dich täglich der Aufgabe, dein Kind liebevoll, achtsam und respektvoll zu erziehen. Du versuchst, deinen Stress im Zaum zu halten, geduldig zu sein, deinem Kind genügend Raum zu lassen, sich zu entfalten, es verantwortungsvoll auf dem Weg ins Leben zu begleiten. Oftmals stehst du im Leben, wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Deshalb ist hier Lob gerechtfertigt: Du machst einen tollen Job!

Doch allzu häufig gibt es Probleme, und dann wird es schwierig, gelassen und geduldig zu bleiben. Die Nerven gehen mit dir durch und du schimpfst, weil du dir nicht anders zu helfen weißt. In solchen Fällen kann dir dieses Buch weiterhelfen. Es wird dir neue Blickwinkel auf euren Familienalltag ermöglichen und dir einen Einblick in die Sichtweise deines Kindes geben. Es enthält jede Menge Beispiele zu stressigen Situationen und bietet verschiedene Lösungsmöglichkeiten dazu an. Dadurch wird sich dein Familienleben verändern.

2018 ist mein erster Ratgeber „Kinder achtsam erziehen” erschienen. Seit dieser Zeit habe ich viele Gespräche darüber geführt und zahlreiche Coachings, Vorträge und Seminare zu diesem Thema gehalten. Und dabei habe ich immer wieder gemerkt: Wir Eltern sitzen alle im gleichen Boot.

Wir erleben jeden Tag wunderschöne, glückliche und liebevolle Momente mit unseren Kindern, kämpfen aber auch täglich mit ähnlichen Problemen. Im einen Moment sind sie verschmust, aufmerksam, wissbegierig, wollen kuscheln oder lachen mit uns, lernen Neues und bringen viel Freude in unser Leben. Doch im nächsten Moment verwandeln sie sich scheinbar in einen Wirbelwind, der über uns hinwegfegt, uns herausfordert und uns an unsere Grenzen bringt. Häufig halten sie uns auch den Spiegel vor und legen den Finger in die Wunden unserer eigenen Fehler und Schwächen. Eltern zu sein, ist nicht immer leicht.

Denn wir werden ja auch nicht wirklich darauf vorbereitet, obwohl es ansonsten für alles Kurse und Prüfungen gibt. Ein Auto darf man erst fahren, wenn man den Führerschein gemacht hat. In die Elternrolle wachsen wir erst allmählich hinein. Wir probieren aus, üben, machen Fehler, lernen und geben unser Bestes. Da helfen auch die Geburtsvorbereitungskurse in trauter Runde nicht wirklich weiter.

Es ist nicht immer leicht, das eigene Leben und das der Familie unter einen Hut zu bekommen. Wir haben oft hohe Ansprüche an uns, wollen unsere Kinder bestmöglich unterstützen und ihnen jede Chance geben, stellen dabei aber unsere eigenen Wünsche hinten an. Wenn wir aber selbst am Limit sind und uns ständig für die Familie aufopfern, halten wir das nicht lange durch. Wir sind unzufrieden, genervt und werden dann auch mal ungehalten und schimpfen. Das ist uns allen schon mehr als einmal passiert, obwohl wir gute Eltern sind. Wir dürfen allerdings auch einmal an uns denken, das ist wichtig und zwingend notwendig, wenn wir unsere Kinder liebevoll und gelassen erziehen möchten. Ich nenne das immer „gesunden Egoismus”. Er hilft uns dabei, die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse der anderen kennenzulernen und in eine Balance zu bringen. Das ist eine wichtige Erkenntnis und eine Herausforderung zugleich.

Noch einige Worte zu mir: Ich bin verheiratet, Mutter eines Sohnes, Coach, Beraterin, Trainerin und habe täglich Kontakt mit Menschen, die unterschiedliche Bedürfnisse haben. Sie bringen sich ein und möchten etwas verändern. Sie wollen Konflikte lösen, ein entspanntes Leben führen, sich beruflich entwickeln ohne die Familie zu vernachlässigen, ihre Kinder fördern …

So individuell wie diese Menschen sind auch ihre Probleme im Alltag. Für mich ist es eine spannende Aufgabe, sie auf ihrem Weg zu begleiten. Es ist schön zu sehen, wie viel Potenzial in jedem Einzelnen steckt. Und oft sind es nur kleine Veränderungen in ihrem Leben, die eine große Wirkung haben.

Das gelingt dir auch, du musst allerdings bei dir selbst anfangen. Wir können andere nicht verändern und nicht erwarten, dass sie sich für uns verändern. Als Eltern sind wir Vorbild für unsere Kinder, sie lernen von uns, kopieren unser Verhalten und sprechen die gleiche Sprache wie wir. Wenn wir uns verändern, nimmt unser Kind dies wahr und passt sich uns unbewusst an. Schaffen wir es, an der richtigen Schraube zu drehen, wird das Familienleben deutlich entspannter. Wir haben es in der Hand, die Lösung schlummert in uns.

Ich habe in meinen Coachings Beispiele für problematische Situationen gesammelt, die ich anonymisiert in diesem Buch verwende. Du findest dich bestimmt in dem einen oder anderen Fall wieder und denkst: „Das ist ja genau wie bei uns zu Hause.”

Du siehst also, du bist nicht allein. Das zu erkennen, ist selbst für mich immer wieder beruhigend. Uns geht es allen ähnlich und es gibt viele Wege, die zu einem harmonischen Familienleben führen. Diese will ich dir in diesem Buch zeigen.

Im ersten Teil geht es zunächst einmal um dich. Du lernst dich selbst besser kennen, entdeckst deine wunden Punkte und kannst herausfinden, wann und warum du in die Luft gehst. Du erfährst auch, wie du schnell wieder gelassen werden kannst und wie du unnötigen Stress vermeidest, um den Alltag mit deinem Kind entspannt zu erleben.

Im zweiten Teil geht es um Probleme im Alltag. Anhand von Beispielen, die wir alle schon mal erlebt haben, zeige ich dir, was das Schwierige in dieser Situation ist, wo der Grund für das Problem liegen könnte und was du konkret tun kannst, damit die Situation nicht eskaliert. Und da wir alle unterschiedlich sind, werde ich dir verschiedene Handlungsmöglichkeiten anbieten. Denn was in der einen Familie super funktioniert, passt für die andere überhaupt nicht. Du kannst also den Lösungsweg auswählen, der für dich und deine Familie am besten passt. Oder sei kreativ und entwickle daraus eigene Strategien.

Im dritten Teil zeige ich Dir verschiedene Cool-Down-Strategien, die dich zur Ruhe kommen lassen. Diese werden dich in fordernden Situationen entlasten und unterstützen.

Viel Freude auf deinem Weg, dein Kind liebevoll, wertschätzend und gelassen zu erziehen.

Herzliche Grüße

Alexandra Karr-Meng

ERZIEHUNG OHNE SCHREIEN – WIE SOLL DAS FUNKTIONIEREN?

Eine gute Frage, die du wahrscheinlich nicht so einfach beantworten kannst. Denn Schreien und Schimpfen sind für viele von uns normal, sind es doch Zeichen für einen Ausbruch unserer Gefühle – und Emotionen gehören schließlich zu unserem Leben. Ich zeige dir, wie es besser geht.

Manchmal sind unsere Tage extrem anstrengend, wir sind ausgelaugt und müde und sehnen uns nach einem ruhigen Tagesabschluss. Doch wenn es dann anders kommt, als wir es uns wünschen, wenn Hektik ausbricht und plötzlich Chaos herrscht, sind auch die entspanntesten Eltern einmal mit ihrer Geduld am Ende und reagieren über. Dann fragen wir uns, was in unserer Familie falsch läuft und was wir besser machen könnten.

Emotionen – das Salz in der Suppe des Familienlebens

Das perfekte Familienglück: Der Tag beginnt, die Kinder hüpfen fröhlich aus dem Bett, ziehen sich freiwillig an, putzen artig die Zähne und waschen sich. Beim Frühstück wird nicht gemeckert und gekleckert, die Kinder warten schon am Auto, damit ihr pünktlich losfahren könnt. Sie sind gut gelaunt, strahlen und können es gar nicht erwarten, endlich in die Kita und die Schule zu kommen. Auch nachmittags hören sie aufs Wort, tun alles, was du von ihnen erwartest, geben keine Widerworte, ignorieren deine Rufe zum Abendessen nicht, quengeln nicht, weil sie ins Bett müssen, schlafen auch sofort friedlich ein und natürlich die Nacht durch. Ein utopischer Traum, oder?

Natürlich wünschen wir uns, dass der Alltag reibungslos verläuft und weniger an unseren Kräften zehrt. Aber wäre das oben beschriebene Familienglück auf Dauer tatsächlich erstrebenswert? Wohl eher nicht. Es sind doch die Gefühle, die unser Familienleben ausmachen. Neben den schönen Emotionen wie Freude, Glück, Liebe, machen auch die negativen wie Wut, Trauer, Angst, Scham das Leben interessant. Sie bringen uns dazu, dass wir miteinander lachen, streiten, uns lieben, uns übereinander ärgern aber auch miteinander glücklich und zufrieden sind. Sie sind das Salz in der Suppe unseres Familienlebens und es geht einfach nicht ohne sie.

Allerdings ist unsere Gefühlslage auch dafür verantwortlich, dass wir manchmal die Geduld verlieren. Wenn wir mit den Nerven am Ende sind und unser Kind beim Abendessen das Wasserglas umschmeißt und der gedeckte Küchentisch unter Wasser steht. Dann gelingt es uns nicht mehr so einfach, gelassen und souverän zu reagieren. Wir werden ungerecht, schimpfen und werden manchmal lauter als beabsichtigt.

Das sind Momente, die uns an unsere Grenzen führen, uns aus der Reserve locken und wütend werden lassen. Und das passiert natürlich meistens am Ende eines langen Tages, an dem wir als Eltern alles Mögliche erledigen mussten und der Alltagskram quasi auch noch nebenher laufen muss. Da hast du den ganzen Tag lang geackert, organisiert, geplant und ausgeführt – und dann zeigen dir deine Kinder, dass selbst eine genau ausgeklügelte Planung nicht aufzugehen scheint. Doch ich kann dich trösten, das läuft überall so, auch bei mir.

Die Frage ist nur, wie wir darauf reagieren. Bleiben wir bei dem Beispiel mit dem Glas. Es kippt, der Inhalt läuft über den Tisch und dann kommt richtig Hektik auf. Man versucht noch schnell zu retten, was zu retten ist. Hier wird keiner die Ruhe selbst sein, denn alle wurden überrascht. Am meisten das Kind, denn es hat das Glas ja nicht mit Absicht umgestoßen, sondern wollte einfach nur etwas trinken.

Emotional könnte dein Kind auf dieses Missgeschick sehr unterschiedlich reagieren:

verunsichert

ängstlich

erstarrt

wütend

schreiend

weinerlich

zornig

geschockt

furchtsam

Die Gefühle deines Kindes in dieser Situation können also vielfältig sein, und wenn dann noch deine Emotionen hochkochen, kann dies ein explosiver Cocktail werden und die Stressspirale fängt an sich zu drehen. Durch eine heftige Reaktion von deiner Seite fühlt sich dein Kind noch mehr in die Ecke gedrängt und seine unguten Gefühle werden verstärkt.

Daher ist es gerade in stressigen Situationen wichtig, gelassen und liebevoll zu bleiben, damit dein Kind merkt, dass du es akzeptierst und lieb hast, auch wenn es Fehler macht.

Wir Eltern stoßen im Alltag immer wieder an unsere Grenzen und dann fällt es uns nicht leicht, gelassen, wertschätzend und liebevoll zu bleiben. Insbesondere in Situationen, in denen wir uns durch unser Gegenüber selbst nicht wertgeschätzt fühlen. Es geht uns allen so, denn wir sind alle nur Menschen. Deshalb ist es auch in Ordnung und kein Beinbruch, wenn mir mal die Beherrschung verlieren.

Andererseits haben wir im Gegensatz zu unseren Kindern wesentlich mehr Erfahrung im Umgang mit Emotionen und können diese besser steuern. Wir merken, wenn es uns zu viel und die Situation zu stressig wird und können gegensteuern. Leider ignorieren wir häufig die ersten Anzeichen von Überforderung und machen einfach weiter. So lange, bis keine gelassene Reaktion mehr möglich ist und wir explodieren.

Julia hat einen anstrengenden Tag hinter sich. Ein vollgepackter Arbeitstag mit überlangen Besprechungen und jeder Menge anspruchsvoller Kunden. Auf dem Heimweg gerät sie auch noch in einen Stau und kommt deshalb erst 5 Minuten, bevor die Kita schließt, dort an. Ihr Sohn Max erwartet sie schon sehnsüchtig und fragt, ob sie zu Hause zusammen noch Lego spielen können. Dort angekommen erfüllt Julia seinen Wunsch und spielt mit ihm, bis es Zeit fürs Abendbrot ist. Nach dem Essen soll Max sich bettfertig machen. Julia hilft ihm beim Zähneputzen, liest noch eine Gutenachtgeschichte vor und dann soll Max schlafen. Das möchte er aber nicht. Er meckert und will noch weiterspielen. Da ist Julia mit ihrer Geduld jedoch am Ende. Sie schimpft mit Max: „Jetzt ist Schluss, du schläfst jetzt sofort. Ich will auch mal meine Ruhe haben. Es kann sich nicht immer alles um dich drehen. Ich habe heute schon so viel mit dir gemacht.” Diese heftige Reaktion bringt Max zum Weinen. Julia versucht, ihn zu beruhigen, was allerdings erst nach längerer Zeit gelingt.

Solche Tage haben wir alle schon erlebt und können Julias Reaktion nachvollziehen. Sie hat sich zu viel zugemutet und sich keine Ruhephasen gegönnt. Dass sie dann irgendwann genervt ist, ist völlig normal. Schade ist dabei jedoch, dass Max Opfer ihres negativen Gefühlsausbruchs wird. Er kann schließlich wenig dafür, dass ihr Tag anstrengend war. Max hat seine eigenen Bedürfnisse, die er natürlich einfordert: Er war den ganzen Tag in der Kita und hat sich darauf gefreut, mit seiner Mutter Zeit zu verbringen. Er will mit ihr zusammen spielen, ihre Nähe genießen und Aufmerksamkeit erhalten.

Julia ist die Erwachsene und könnte erkennen, dass ihr nach einem anstrengenden Arbeitstag alles zu viel wird und sie eine kurze Pause braucht, um danach erholt mit Max zu spielen. Dafür müsste sie wahrnehmen, was sie gerade braucht und sich dies auch zugestehen.

Wie hätte Julia die Situation entschärfen können? Sie hätte nach der Ankunft zu Hause mit Max eine kurze Weile spielen können und dann eine kleine gemeinsame Auszeit ankündigen können: „Jeder hat jetzt etwas Zeit allein zu spielen”. Wenn sie vorab bereits das Abendritual nach dem Essen angekündigt hätte, wäre Max darauf vorbereitet gewesen. Und durch die kleine Auszeit etwas ausgeruht, hätte Julia sicher wesentlich gelassener auf die „kraftraubende Situation” reagieren können.

Achte darauf, dass es auch dir gutgeht

Wie Julia meinen wir immer funktionieren zu müssen, um stets für unsere Familie da zu sein. Dies ist wichtig und wertvoll, doch es gehört ebenso zu unseren Aufgaben, auf uns selbst zu achten und mit unseren Kräften zu haushalten. Denn nur dann können wir unsere Kinder liebevoll und gelassen begleiten.

Wir sind schließlich ein Vorbild für unsere Kinder, insbesondere in den ersten Lebensjahren, in denen sie so viel lernen. Schon gleich nach der Geburt beginnen Babys, alles wie ein Schwamm aufzusaugen, lernen Krabbeln, Laufen und Sprechen. Was sie wollen zeigen sie uns auch mit ihren Emotionen und das bereits ab der ersten Lebenssekunde.

Weil sie allerdings noch nicht gelernt haben, damit umzugehen, werden kleinere Kinder oft von ihren Emotionen überrollt, die sie völlig ungefiltert ausleben. Sie können sich unbändig freuen, lachen bis ihnen die Tränen kommen, sie können aber auch genau so heftig weinen, wenn sie traurig sind oder vor lauter Wut gegen den Sessel treten oder Gegenstände durch das Zimmer werfen.

Um zu lernen mit ihren Gefühlen besser umzugehen, dafür brauchen sie uns. Und deshalb ist es wichtig, dass wir bei uns selbst anfangen. Zuerst müssen wir unsere eigenen Emotionen kennen und sie steuern können, dann erst können wir unserem Kind Möglichkeiten aufzeigen, wie es sich in seiner eigenen Gefühlswelt besser zurechtfindet.

Lass dir in der Erziehung nicht zu viel reinreden

Wenn wir über Kindererziehung sprechen, liegt die Messlatte hoch. Kinder müssen gut erzogen sein, beste Startbedingungen für ihren weiteren Lebensweg erhalten, gesund und ausgewogen ernährt werden. Für sie muss jede Chance genutzt werden, alles muss perfekt sein und optimal laufen. Doch wer legt fest, was perfekt ist? Welche Kriterien für eine gute Erziehung gibt es? Wann benehmen sich Kinder gut oder schlecht?

Diese Fragen könnt ihr nur individuell für euch selbst beantworten. Es gibt keine allgemeingültige Definition für richtige oder falsche Erziehung. Natürlich gibt es gesellschaftliche Normen, die erwünscht sind, wie zum Beispiel anderen Menschen mit Respekt zu begegnen oder keine körperliche und psychische Gewalt anzuwenden. Doch wie ihr in eurer Familie Erziehung definiert, ist eure persönliche Angelegenheit.

Ich erlebe es immer wieder, dass jede Familie zwar ganz eigene Vorstellungen von Kindererziehung hat, aber trotzdem davon ausgeht, dass auch andere Menschen diese Ansichten teilen. Wenn dies nicht so ist, wundern sie sich.

Und wenn es um Erziehung, die darin angewandten Regeln und Prinzipien geht, scheiden sich die Geister umso mehr. Hier gibt es keine zwingend festgelegte Vorgehensweise, kein absolut richtig oder absolut falsch. Es muss für dich und deine Familie passen.

In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, das Handeln anderer möglichst wenig zu bewerten. Was du für gut befindest, finden andere Eltern unnötig oder doof. Bei diesem Thema ist Zurückhaltung gefragt. Natürlich haben wir schon alle Situationen erlebt, bei denen wir im Stillen gedacht haben: „Das geht gar nicht, das Kind tanzt seinen Eltern auf der Nase herum. Es macht was es will und hält sich an keine Regeln.” Doch wenn du so etwas den Eltern gegenüber laut äußerst, ist oft schnell Schluss mit Lustig. Kritische Kommentare über ihren Nachwuchs hören Mütter und Väter nicht gerne. Aber mal ganz ehrlich, du doch wahrscheinlich auch nicht!

Natürlich ist es menschlich, sich über das Verhalten von Kindern anderer Familien seine Meinung zu bilden oder sie insgeheim sogar zu kritisieren. Doch wir wissen oft nicht, ob wir richtig einschätzen, was wir gerade beobachtet haben. Kennen wir den ganzen Zusammenhang? Vielleicht ist die Situation durch eine Folge bestimmter Ereignisse der letzten Stunden entstanden.

Hier ist eine gewisse Zurückhaltung angebracht, genauso wie bei unerbetenen Erziehungstipps und Ratschlägen. Sie werden schnell als Beleidigung oder Hinweis auf persönliches Versagen empfunden, weil die meisten Eltern die eigenen Schwachpunkte ganz genau kennen und es natürlich nicht gerne mögen, wenn ihnen die vor Augen geführt werden.

Für mich gäbe es allerdings eine Situation, in die ich mich sofort einklinken würde, nämlich dann, wenn Gewalt ausgeübt wird. Ich erinnere mich an eine Szene auf dem Spielplatz vor etlichen Jahren. Unser Sohn spielte friedlich im Sandkasten vor sich hin. Ich saß in Sichtweite auf der Bank. Da kam ein anderes, etwas älteres Kind dazu und nahm unserem Sohn sein Förmchen weg, der daraufhin zu weinen begann. Ich ging zu den beiden hin und bat das andere Kind ihm das Förmchen zurückzugeben. Doch es wurde aggressiv und fing an zu schreien. Daraufhin kam die Mutter des Kindes hinzu und wollte ihren Sohn schlagen. Da griff ich ein und stellte die verdutzte Mutter zur Rede. So etwas geht nicht – Gewalt ist keine Lösung. Gerade in einem solchen Fall ist Zivilcourage gefragt.

Was wichtig ist – Werte in deiner Familie

Im Gegensatz zu solch unerfreulichen zufälligen Kontakten suchen wir uns als Freunde Familien aus, die ähnliche Ansichten und Neigungen haben wie wir. Da umgeben wir uns mit Gleichgesinnten, mit denen wir uns gerne treffen: Während die Kinder friedlich miteinander spielen, plaudern die Eltern entspannt miteinander. Das funktioniert besonders gut, wenn wir ähnlich ticken – sprich: ein ähnliches inneres Wertesystem haben.

Habt ihr schon mal darüber nachgedacht nach welchen Werten ihr in eurer Familie lebt? Vermutlich eher selten. Unsere Werte sind meist einfach da, sie bringen uns dazu, Dinge oder Situationen zu beurteilen, gut oder schlecht zu finden. Sie sind den ganzen Tag in unserem Unterbewusstsein aktiv und sagen uns, was wir zu tun oder zu lassen haben. Nach ihnen richten wir – oft ganz unbewusst – unser Leben aus, erziehen unsere Kinder, suchen uns unsere Freunde aus und manchmal sogar unseren Beruf. Sie sind allgegenwärtig und wie Leitplanken in unserem Leben, denn sie geben uns Orientierung, zeigen uns wo’s lang geht und helfen uns Entscheidungen zu treffen.

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WAS SIND WERTE?

Es gibt zwei Arten von Werten. Jeder Mensch und jede Familie hat individuelle Werte. Das sind bestimmte Vorstellungen, die wir selbst definieren. Sie sind durch unsere Erziehung, Bildung oder durch Erlebnisse in der Kindheit geprägt und daher sehr individuell. Individuelle Werte können sein: Gegenseitige Unterstützung, respektvoller Umgang, auf Schwächere achten, keine Gewalt dulden …

Es gibt auch gesellschaftliche Werte, die innerhalb einer Kultur oder in einem Land gelten. Diese sind zum Beispiel Solidarität, Toleranz, Respekt, Höflichkeit, Wertschätzung …

Im Folgenden habe ich einige der Werte aufgelistet, die für viele Familien wichtig sind:

Achtsamkeit

Anstand

Disziplin

Empathie

Gelassenheit

Hilfsbereitschaft

Kreativität

Mut

Ordnungsliebe

Respekt

Pünktlichkeit

Toleranz

Verantwortungsbewusstsein

Zielstrebigkeit

Wenn Menschen gegen unsere Werte verstoßen, findet unser internes Wertesystem dies nicht gut. Wir ärgern uns darüber, fühlen uns angegriffen und tun manchmal unseren Unmut kund. Wenn du beispielsweise sehr ordentlich bist, aber ein Kind hast, das eher unordentlich und chaotisch ist, gefällt dir das nicht. Dabei vergisst du wahrscheinlich: Für Kinder ist Ordnung nicht wichtig, sie sehen deren Notwendigkeit nicht. Man kann doch auch in einem unordentlichen Zimmer wunderbar spielen oder Schuhe und Jacke gleich im Flur liegen lassen. Sie werden ja genau dort bald wieder angezogen. Dies führt natürlich im Alltag zu Konflikten und du fängst irgendwann an, dich zu beschweren und zu schimpfen und versuchst, deinem Kind beizubringen, dass Ordnung wichtig ist. Dein Kind interessiert das aber überhaupt nicht.

Ein Kompromiss bringt dich oft weiter

Dann ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um darüber nachzudenken, ob es sinnvoll ist, an deiner Ordnungsliebe festzuhalten oder einen Kompromiss einzugehen. Muss das Wohnzimmer am Abend perfekt aufgeräumt sein, oder ist es für dich auch okay, wenn die Spielsachen in einer Ecke ihren Platz haben, damit dein Kind am Morgen gleich wieder damit spielen kann? Das wird für dich vermutlich nicht ganz einfach zu ertragen sein, doch es ist eine gute Lösung. Du rückst etwas von deinem Wert „Ordnung” ab, zeigst deinem Kind aber gleichzeitig Möglichkeiten, wie es Ordnung halten kann, ohne seine Kreativität zu lähmen. Das macht den Familienalltag wesentlich entspannter.

Solche „kleinen” Regeln kannst du deinem Kind schon früh mit auf den Weg geben. Wenn das Kind im Wohnzimmer seine Spielecke hat, ist das vollkommen in Ordnung. Andererseits muss es aber auch akzeptieren, wenn wir nicht im ganzen Wohnzimmer Spielzeuge dulden und die Sachen abends in die Spielecke geräumt werden. Solche kleinen Regeln bringen Kinder weiter und erleichtern uns den Alltag. Sie müssen die Regeln allerdings auch verstehen.

Gerade im Kleinkindalter haben Kinder andere Perspektiven als wir. Wenn sie anfangen sich zu bewegen, Krabbeln und Laufen lernen, erweitert sich ihr Blickfeld. Bis zu einer Höhe von 50 Zentimetern über dem Boden sehen sie jetzt alles. Und was sie da entdecken, will natürlich erkundet werden. Egal ob der Couchtisch aus Glas, Steckdosen, Schranktüren, Schubladen – nichts ist vor ihnen sicher. Das ist völlig verständlich, denn nur so können sie sich weiter entwickeln. Aus Ihnen werden Forscher und Entdecker.

Als Erwachsene weißt du natürlich, dass man Schränke und Schubladen nicht ungefragt öffnet, und dass es gefährlich ist, den Finger in die Steckdose zu stecken. Und du möchtest, dass dein Kind dies auch versteht. Das kann es aber erst ab einem bestimmten Alter, Kleinkinder sind dafür noch zu jung. Deshalb ist es wichtig, dass du eine Umgebung schaffst, in der sich dein Kind frei entfalten und die Welt entdecken kann, in der du dich aber immer noch wohlfühlst. Denn wenn dein Kind ständig gegen deine Werte, in diesem Fall deinen Ordnungssinn, handelt, führt dies irgendwann zu Konflikten. Du ärgerst dich darüber, dass dein Kind nun schon zum dritten Mal dein Kerzen-Arrangement vom Couchtisch schubst, wirst wütend und schimpfst mit ihm. Für dein Kind ist der Couchtisch samt Deko aber ein Abenteuerland, das erkundet werden muss. Es tut dies nicht, um dich zu ärgern.

Deshalb ist es gut, wenn du ein wenig von deinen Werten und Prinzipen abrückst und deinen Toleranzbereich erweiterst, bis dein Kind aus dem Kleinkindalter heraus ist, und es versteht, dass du bestimmte Dinge nicht möchtest und es Regeln gibt, an die es sich halten soll.

Die Eltern von Karl lieben Bücher; in ihrem Wohnzimmer befindet sich eine große Bücherwand, mit vielen wertvollen Exemplaren. Als Karl zu krabbeln beginnt, ist diese Wand sein erstes Ziel. Sie wird zu seinem Lieblingsobjekt im Wohnzimmer und als er alleine sitzen kann, setzt er sich mehrmals täglich vor das Regal und räumt die unterste Bücherreihe aus. Seinen Eltern gefällt das natürlich nicht, denn das ständige Ausräumen hinterlässt unschöne Spuren an den Büchern. Sie versuchen ihm zu erklären, dass sie das nicht möchten. Karl interessiert das natürlich wenig. Seine Mama sagt zig mal am Tag: „Karl, hör auf, ich möchte das nicht”, und nimmt ihn vom Bücherregal weg. Doch er reagiert jedes Mal mit lautstarkem Geschrei und macht sich wieder auf den Weg zum Regal. Irgendwann haben die Eltern ein Einsehen und füllen das unterste Regalfach mit günstigen Taschenbüchern und Kinderbüchern. Mit denen kann Karl jetzt spielen und er hat große Freude daran.

Bevor du ein Kind hattest, konntest du nach deinen individuellen Wertvorstellungen leben. Sobald Nachwuchs da ist, ist das nicht mehr so einfach und du musst deine Überzeugungen gegebenenfalls korrigieren oder deinen Wertehorizont etwas erweitern, damit kein Stress aufkommt. Manchmal ist dies ziemlich einfach, du musst nur deinen Blickwinkel ändern und deine Werte etwas anpassen, damit sie in deine jeweilige Lebensphase passen. Du sollst dich nicht verbiegen, doch sie sollen für dich und deine Familie stimmig sein und alle Familienmitglieder sollten damit leben können.

Geh mit deinem Kind deinen eigenen Weg

Wir haben ja schon festgestellt: Eltern sein ist nicht immer einfach. Manchmal ist es sogar richtig anstrengend, nervenaufreibend und kein Zuckerschlecken. Denn es gibt ja auch keine Anleitung dafür. Wir sind es irgendwann, und dann wachsen wir in diese Rolle hinein. Dabei gelingt uns manches gut, anderes weniger gut.

So gibt es viele Situationen, auf die wir vermutlich weniger stolz sind: Etwa dann, wenn wir nicht wie aus dem Ei gepellt mit unseren Kindern das Haus verlassen, wenn die Küche aussieht wie ein Schlachtfeld, sich im Badezimmer Wäscheberge türmen oder die Frühstücksbox des Kindes zu Hause vergessen wurde. Und insbesondere dann, wenn wir die Nerven verlieren und mit unserem Kind schimpfen.

Nach solchen Gefühlsausbrüchen geht es uns meist nicht gut. Wir haben ein schlechtes Gewissen, fühlen uns mies und haben das Gefühl, die Situation nicht unter Kontrolle oder versagt zu haben. Wenn unser Kind dann entsprechend reagiert, zu weinen anfängt, trotzig wird oder zu schreien beginnt, dann führt das häufig dazu, dass sich unsere negativen Gefühle noch verstärken. Wir hinterfragen uns und denken: „Was mache ich nur falsch? Warum gelingt es mir nicht, ruhig zu bleiben? Warum habe ich mich nicht unter Kontrolle?” In uns kommt die Angst auf, schlechte Eltern zu sein.

Grundsätzlich ist es gut, wenn wir unser Verhalten hinterfragen, doch wir sollten nicht zu kritisch mit uns sein. Wir wollen für unser Kind ja nur das Beste. Es kann aber nicht immer alles reibungslos laufen. Wir haben gute und schlechte Tage, wie unser Kind auch, und dann gelingt es uns nicht immer, gelassen zu bleiben. Warum werden wir unseren Kindern gegenüber laut? In meinen Gesprächen haben mir Eltern zahlreiche Gründe genannt. Wir schimpfen:

weil wir gestresst sind

weil wir unter Zeitdruck stehen

weil wir schlechte Laune haben

weil wir müde sind

weil heute nichts nach Plan läuft

weil unsere Bedürfnisse keinen Raum haben

weil wir perfekt sein wollen

weil unser Kind nicht auf uns hört

weil wir uns schämen

Jeder dieser Gründe ist nachvollziehbar. Manchmal hat der Tag nicht genügend Stunden, um alle uns gestellten Aufgaben bei der Arbeit, im Haushalt und der Familie zu erledigen. Wenn zu viel auf einmal zusammenkommt, stoßen wir an unsere Grenzen und schimpfen mit unseren Kindern, obwohl ihr Verhalten wahrscheinlich nur der letzte kleine Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt. Sie bekommen unseren gesamten Unmut ab, obwohl sie nur zu einem kleinen Teil an unserer Überforderung schuld sind. Und das ist natürlich nicht richtig.

Ein weiterer Auslöser für negative Gefühle wie Scham sind die Erwartungshaltungen anderer an uns und unsere Familie. Wenn wir die nicht erfüllen, so wird uns suggeriert, gehören wir nicht dazu. Die meisten Menschen sind aber Herdentiere, sie wollen gemocht werden, dazu gehören und nicht negativ auffallen. Wenn sich unser Kind anders verhält, als es die Erzieherin in der Kita oder andere Eltern erwarten, fällt es auf. Es kommt zu Irritationen und zu kritischen Nachfragen. Und wir schämen uns dann.

Die Normen der Anderen müssen nicht deine sein

Tim bewegt sich viel und spielt leidenschaftlich gern mit Fahrzeugen. Eines Tages ist er mit seiner Mama bei Emma, einem Mädchen, das er noch aus der Pekipgruppe kennt. Die Kinder spielen im Wohnzimmer, und die Mütter sitzen auf der Couch und unterhalten sich. Tim rennt mit einem Auto durchs Wohnzimmer und macht Motorengeräusche dazu. Emma spielt ruhig auf dem Teppich mit Bauklötzen und sucht häufig die Nähe zu ihrer Mutter. Nach einiger Zeit sagt Emmas Mutter zu Tims Mama: „Ich wollte dich das immer schon fragen. Ist mit Tim alles in Ordnung? Er ist immer so ungestüm und wild. Ich habe den Eindruck er ist hyperaktiv.”

Solche Aussagen lassen bei uns den Puls sofort in die Höhe schnellen. Wer so etwas zu hören bekommt, fragt sich unwillkürlich: Was soll das? Wird mein Kind angegriffen, weil es sich nicht der „Norm” entsprechend verhält? Aber welche Norm ist das? Es ist die Norm der Anderen. Tims Mutter hätte ebenso kritisch fragen können: „Ist mit Emma alles in Ordnung? Sie ist immer so still und leise …”

Ich kann hier nur mit Nachdruck sagen: Hört auf, eure Kinder miteinander zu vergleichen! Der eigene Erfahrungshorizont kann nicht als allgemeingültige Richtschnur genommen werden. Kinder sind, genau wie Erwachsene, nun mal eigenständige Individuen, und jedes Kind hat seine Charaktereigenschaften, seine Stärken und Schwächen und das ist gut so.

Auch in seiner Entwicklung hat jedes Kind sein eigenes Tempo und dies sollte man ihm lassen. Das eine kann früh sitzen, das andere eher reden, manche Kinder krabbeln nicht, stehen dafür aber sofort auf eigenen Füßen. Das ständige Vergleichen – es fängt schon im Babyalter an – ist zwar an der Tagesordnung, doch viele von uns Eltern macht es wahnsinnig. Es schürt unsere Ängste und wir machen uns Sorgen, wenn unser Kind etwas später dran ist. Aus unserem Umfeld hören wir dann Bemerkungen wie: „Läuft er noch nicht?” „Sie redet aber wenig.” „Er ist aber ein schlechter Esser.” „Sie müsste doch mal durchschlafen.” Das ist meist nicht böse gemeint, doch es verunsichert uns und lässt uns an unserem Kind zweifeln.

Ich kann dir nur raten, solche Aussagen nicht ernst zu nehmen. Jedes Kind braucht für seine Entwicklung unterschiedlich viel Zeit. Wenn dein Kind gesund ist, wird es in der Regel mit 2 Jahren laufen und sprechen können. Falls du das Gefühl hast, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist, lass es von einem Arzt untersuchen. Doch wenn der keine Ursache für eine Entwicklungsverzögerung findet, lass es gut sein. Jedes Kind entwickelt sich in seinem eigenen Tempo, manche sind Kickstarter und andere brauchen etwas länger. Aber das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass es deinem Kind gut geht und es sich in einer vertrauensvollen Umgebung frei und ohne Druck entwickeln kann.

In unserer Gesellschaft wird vieles zur Schau gestellt: Autos, Häuser, sportliche und berufliche Erfolge – und leider genauso die Kinder. Das Schneller, Höher, Weiter wird durch Zeitungen, Fernsehen und Internet in alle Lebensbereiche getragen, und gilt inzwischen eben auch in der Kindererziehung. Andere zu beurteilen ist normal geworden.

Lass dir von außen keinen Druck machen und versuche nicht, die Erwartungen der anderen zu erfüllen. Vertraue dir und deiner Intuition. Wenn andere dir einreden wollen, mit deinem Kind stimme etwas nicht oder es verhalte sich falsch, lass dich nicht darauf ein. Es ist dein Kind und deine Familie, ihr bestimmt, was wichtig ist und welches Tempo das richtige für euch ist. Alles andere führt zu Stress und womöglich sogar dazu, dass du mit deinem Kind schimpfst, weil es die Erwartungen nicht erfüllt, die Andere haben. Höre stattdessen auf dein Gefühl, lass dich nicht aus der Ruhe bringen. Dein Kind wird sich gut entwickeln, und wenn es mehr Zeit für bestimmte Dinge braucht, dann ist das eben so!

Im Beispiel von Tim könnte seine Mama auf die versteckte Kritik von Emmas Mutter mit Scham und Angst reagieren: „Was denkt sie nur über mein Kind, hier werden wir bestimmt nicht mehr eingeladen.“ Sie könnte mit ihrem Sohn schimpfen und versuchen, sein Verhalten zu ändern: „Hör auf, mit dem Auto durch die Wohnung zu fahren. Sei mal leise, wir können uns ja gar nicht unterhalten.” Dann wäre Tim bestimmt verunsichert, denn er will ja nur so spielen, wie sonst auch, und er tut ja mit seinem Spiel keinem weh. In solchen Fällen ist es wichtig, souverän zu reagieren und sich nicht durch die Erwartungshaltung anderer unter Druck setzen zu lassen. Dabei hilft es, die Situation kurz von außen zu betrachten. Tims Mama könnte sich fragen, was hinter der Aussage von Emmas Mutter steckt. Vielleicht hat sie ja deshalb ein Problem mit Tims Verhalten, weil ihr Kind so zurückhaltend ist. Möglicherweise ist sie ja auch neidisch, dass Tim so ein aufgewecktes und lebhaftes Kind ist.

Erzieh dein Kind auf Augenhöhe

Im Leben deines Kindes bist du in seinen ersten Lebensjahren die wichtigste Person. Es lernt von Dir, kopiert dein Verhalten, es vertraut dir und glaubt an dich. Kurzum, du bist sein Vorbild.

Kinder lieben und vertrauen uns als Eltern bedingungslos und deshalb ist es wichtig, dass wir dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Sie brauchen ein liebevolles, zuverlässiges Zuhause, müssen wissen, woran sie sind und worauf sie sich verlassen können. Sie brauchen einen sicheren Rahmen, in dem sie sich frei bewegen können, der ihnen aber auch Halt gibt. Natürlich werden sie immer wieder versuchen, diesen Rahmen zu überschreiten, das ist wichtig für ihre Entwicklung und völlig in Ordnung. Sie müssen sich ausprobieren und Grenzen austesten. Doch dann ist es notwendig, dass dieser Rahmen aus klaren Regeln besteht, die sie verstehen.

Den meisten Eltern ist es wichtig, ihr Kind auf Augenhöhe zu erziehen. Das bedeutet, dass Kinder den gleichen Respekt verdient haben wie Erwachsene. Sie brauchen unseren Schutz und unsere bedingungslose Liebe. Wir sollen sie ernst nehmen und dürfen ihre Ängste und Sorgen nicht lächerlich machen oder herunterspielen.

Augenhöhe heißt für mich aber nicht, dass Eltern und Kinder gleich sind. Wir tragen als Erwachsene die Verantwortung für unser Kind, für sein Leben, für seine körperliche und geistige Entwicklung und für seine Gesundheit, und deshalb sollten wir in kritischen Situationen das Sagen haben. Das heißt für mich aber auch, dass wir unser Kind konsequent und liebevoll begleiten, es unterstützen und ihm Hilfe anbieten, es in einem bestimmten Rahmen aber eigene Erfahrungen machen lassen, solange es sich damit nicht ernsthaft schadet.

Doch viele Eltern verwechseln Erziehung auf Augenhöhe mit einer Gleichstellung der Kinder in der Familie oder sogar einer Unterordnung der Erwachsenen. Sie sind bereit:

alle Bedürfnisse ihrer Kinder sofort zu befriedigen

das Kind den Takt angeben zu lassen

alles zu tun, was das Kind sich wünscht

dem Kind alle Freiheiten zu lassen

das Kind in alle Entscheidungen mit einzubeziehen

Doch das kann nicht sein. Damit überfordern wir unsere Kinder. Insbesondere in ihren ersten Lebensjahren können sie noch keine wirklich überlegten Entscheidungen treffen. Sie handeln spontan, aus der Situation heraus, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Sie können die Tragweite ihres Vorgehens noch gar nicht erfassen. Kleine Kinder haben kein Gefühl für Gefahr und würden blindlings über jede Straße laufen. Sie verstehen auch nicht, dass es dem anderen Kind weh tut, wenn sie es mit der Schaufel schlagen, oder dass ihr Kindergartenfreund traurig ist, wenn sie ihm die Spielsachen wegnehmen.

Freiraum mit einem vernünftigen Rahmen

In der Vorweihnachtszeit war ich in einer Bäckerei, vor mir eine lange Schlange. Ganz vorne stand eine Oma mit ihrer 2-jährigen Enkelin. Sie fragte das Kind: „Julie, was willst du haben? Du darfst dir aussuchen, was du willst.” Das kleine Mädchen zeigte auf die Nikoläuse aus Schokolade. Daraufhin erklärte die Oma, dass Julie sich doch lieber ein Teilchen oder Kuchen aussuchen solle. Also entschied sich Julie für Apfelkuchen. Als die Verkäuferin ihn eingepackt hatte, wollte Julie dann doch lieber ein Croissant. Und als das in der Tüte verschwunden war, äußerte Julie den Wunsch nach einer Nussecke. Die Oma schaffte es nicht, Nein zu sagen, denn Julie fing sofort an zu weinen, wenn ihr ein Wunsch nicht erfüllt wurde, und bald war die Einkaufstüte prall gefüllt. Irgendwann sagte ein Mann in der Schlange: „Das ist doch der Wahnsinn. Die Kleine kann doch noch gar nicht abschätzen, was sie will.” Trotzdem durfte Julie sich noch zwei Teilchen aussuchen, bevor Oma und Enkelin mit zwei vollen Tüten die Bäckerei verließen.

Dieses Beispiel zeigt sehr schön, dass ein Kind überfordert ist, wenn es solche Entscheidungen treffen soll. Die Backwaren sehen alle lecker aus und natürlich will es sich nicht nur eines aussuchen. Es würde am liebsten alles essen. Hier hätte die Großmutter einen Rahmen setzen und ihrer Enkelin eine begrenzte Auswahlmöglichkeit bieten müssen: „Julie, du darfst dir ein Teilchen aussuchen. Möchtest du lieber eine Zimtschnecke oder eine Nussecke.” Julie hat dann immer noch eine Wahl, sie darf sich zwischen zwei Dingen entscheiden, wird aber nicht von dem Überangebot an Waren überwältigt.

Augenhöhe heißt also nicht, dass die Entscheidungsfreiheit beim Kind liegt und der Nachwuchs alles bestimmt und den Ton angibt. Denn wenn das der Fall ist, bist du nicht mehr auf Augenhöhe. Dein Kind steht über dir, es hat dich im Griff und irgendwann ist deine Geduld zu Ende. Dann machst du Ansagen, an die sich dein Kind aber nicht hält. Es ist ja daran gewöhnt, dass es „der Bestimmer” ist und wird kein Nein akzeptieren. Du wirst womöglich laut und schimpfst, doch auch das hilft nichts.

Wir tragen die Verantwortung dafür, dass Kinder Entscheidungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten treffen können. Wie groß dieser Rahmen ist, kommt auf das Alter des Kindes an. Ist es noch klein, ist der Freiraum, in dem es sich bewegen kann eben noch klein und wird je nach Entwicklungsschritt erweitert. Es ist wichtig, dass dein Kind selbst Erfahrungen macht und daraus lernt. Und mit jeder Erfahrung, die es macht, wächst die Kompetenz deines Kindes. Wir dürfen es aber nicht überfordern. Es ist wichtig, dass ein Entwicklungsschritt nach dem anderen gemacht wird und dabei kein Druck entsteht. So kann dein Kind behutsam heranwachsen.

Werde zum Bedürfnisdetektiv

Hinter allem was wir Menschen tun, steckt ein Bedürfnis. Wir wollen etwas bekommen, was wir nicht haben und handeln dann, um dieses Ziel zu erreichen. Es gibt viele unterschiedliche Bedürfnisse und es ist nicht immer leicht zu erkennen, was andere erfüllt haben wollen. Sogar uns selbst ist das oft nicht so recht klar.

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DIE BEDÜRFNISPYRAMIDE

Die menschlichen Bedürfnisse bauen laut dem US-Psychologen Andrew Maslow aufeinander auf. Wenn die Bedürfnisse einer Stufe einigermaßen befriedigt sind, entsteht im Menschen der Wunsch, die Bedürfnisse der nächsten Stufe erfüllt zu bekommen.

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Bedürfnisse hat ein Mensch bereits von Geburt an. Ein Baby weint, weil es Hunger hat, müde ist oder es die Nähe seiner Eltern sucht. Es möchte, dass seine Grund- und Sicherheitsbedürfnisse befriedigt werden. Es weint also nicht, um dich zu ärgern oder um zu sehen, wer das Sagen hat. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen halten. Denn es keimt in uns doch manchmal der Verdacht auf, dass unser Kind uns mit seinem Verhalten herausfordern will. Das stimmt natürlich nicht. Kinder tun nichts, um uns bewusst zu ärgern. Sie sind kleine, liebenswerte Egoisten und möchten einfach nur, dass ihr Bedürfnis befriedigt wird. Dabei denken sie natürlich nicht daran, dass wir Eltern auch Bedürfnisse haben. Das können sie frühestens ab dem 4. Lebensjahr, wenn sich ihre Empathie, ihre Fähigkeit, die Gefühle anderer nachzuempfinden, entwickelt.

Mein Wunsch + dein Wunsch = Kompromiss

Oft genug prallen unterschiedliche Bedürfniswelten aufeinander.

Du kommst nach einem ereignisreichen Tag nach Hause und möchtest am liebsten deine Ruhe haben. Dein Kind ist ganz aufgedreht, weil es heute mit der Kitagruppe im Zoo war und die Elefanten füttern durfte. Es will auf deinen Schoss, hört gar nicht mehr auf zu erzählen und möchte, dass du mit ihm Zoo spielst. Als Erwachsene bist du selbstverständlich in der Lage, deine Bedürfnisse für dein Kind zurückzustellen. Du verzichtest also erst mal auf Ruhe und Entspannung und gehst auf dein Kind ein. Aber nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn du zum vierten Mal an diesem Abend den Elefanten spielst und dein Kind dir sagt: „Mama, du machst das nicht gut, du bist kein richtiger Elefant”, kann dir der Geduldsfaden reißen und du schimpfst: „Jetzt ist aber mal gut, dann spiel jetzt einfach alleine weiter. Ich will auch mal meine Ruhe haben.”

Solche Szenen kennen wir alle. Statt wohlverdient die Füße hochzulegen spielst du mit, aber dann ist dein Legoturm nicht hoch genug, und deine Sandkuchen sind nicht schön „gebacken”. Hier solltest du bereits im Vorfeld in dich hineinhören und versuchen herauszufinden, was deine Bedürfnisse und was die deines Kindes sind und wie ein guter Kompromiss aussehen könnte.

Du könntest folgendermaßen reagieren:

1. Ich nehme wahr, dass ich mich nach einer Auszeit sehne, allerdings möchte mein Kind mir von seinem Tag berichten und freut sich auf mich.

2. Ich fühle mich müde und ausgelaugt, freue mich aber auch auf mein Kind.

3. Ich brauche Ruhe und will schlafen. Mein Kind möchte Aufmerksamkeit und Anerkennung.

4. Ich werde mich mit meinem Kind auf die Couch setzen und mir von seinem Tag erzählen lassen. Dann lesen wir noch eine Geschichte und gehen schlafen. Morgen spielen wir dann Zoo.

Diese Form der Kommunikation nennt man bedürfnisorientierte Kommunikation. Sie hilft dir, die Bedürfnisse deines Kindes und deine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und eine Lösung zu finden, die allen gerecht wird. Da wird dann ein Kompromiss geschlossen, bei dem alle Beteiligten ein wenig zurückstecken müssen.

In stressigen Situationen fällt uns diese Reflektion nicht immer leicht. Wir sind ganz darin gefangen, reagieren spontan und oft gesteuert durch unser schlechtes Gewissen. Unser Kind will von seinem Tag erzählen und Zoo spielen. Wir wollen etwas ganz anderes. Sind wir darum schlechte Eltern? Nein!

Erziehung auf Augenhöhe heißt immer, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder zu respektieren und zu versuchen diese unter einen Hut zu bekommen. Es heißt nicht, dass du deine Bedürfnisse immer zurückstellst, damit deine Familie glücklich und zufrieden ist. Erziehung auf Augenhöhe heißt tragfähige Kompromisse zu finden und respekt- und liebevoll miteinander umzugehen.

WAS PRÄGT DICH? – DEINE INNEREN ÜBERZEUGUNGEN

Computer werden durch Programme gesteuert. Bei uns Menschen ist das mit den inneren Überzeugungen ähnlich. Sie sind wie Programmierungen seit der Kindheit auf unserer Festplatte eingebrannt und steuern uns manchmal ein Leben lang. Doch wenn sie negativ sind, behindern sie uns und müssen repariert werden. In diesem Kapitel erfährst du, wie dieses „Umprogrammieren” funktioniert, sodass aus einem „Das wird sowieso nichts” ein „Glaub an Dich! Du schaffst das!” wird.

Fühlst du dich manchmal fremdgesteuert? Tust du Dinge, die dir nicht gefallen oder von denen du nicht überzeugt bist, und fühlst du dich danach nicht gut? Reagierst du völlig anders, als du es dir eigentlich vorgenommen hattest und ärgerst dich im Nachhinein darüber? Das liegt daran, dass du, genau wie wir alle, von inneren Überzeugungen gesteuert wirst, die wir schon seit der Kindheit haben. Man kann sie auch Glaubenssätze nennen. Sie haben allerdings nichts mit religiösen Vorstellungen zu tun, sondern damit, an welche Dinge wir glauben. Da diese inneren Überzeugungen sehr stark unser Denken und Handeln beeinflussen, wirken sie sich auch auf unser Zusammenleben aus und damit natürlich darauf, wie wir unsere Kinder erziehen.

Finde heraus, was dich prägt

Welche Rolle spielen unsere Glaubenssätze bei der Erziehung? Haben sie etwas damit zu tun, dass wir manchmal die Nerven verlieren und dann schimpfen und meckern? Das ist durchaus so.

Glaubenssätze beeinflussen uns ein Leben lang. Ähnlich wie unsere Werte sind sie Leitplanken für uns. Nur können wir sie nicht selbst bestimmen, sie prägen uns in unserer Kindheit und behindern oder unterstützen uns noch als Erwachsene. Wenn jemand dagegen verstößt, finden wir das nicht gut und können deshalb ungehalten werden. Außerdem prägen wir als Eltern auch die Glaubenssätze unseres eigenen Kindes. Gerade deshalb ist es wichtig, zu wissen, wie sie wirken und was sie alles auslösen können.

So entstehen innere Überzeugungen

Bereits in der Kindheit werden Glaubenssätze angelegt und sie verfestigen sich im Laufe unseres Lebens. Wir erhalten von Eltern, Großeltern, Erzieherinnen, Lehrern und anderen Bezugspersonen in unserem sozialen Umfeld unterschiedliche Erklärungen und Botschaften. Einige dieser Aussagen verinnerlichen wir so sehr, dass sie sich zu Glaubenssätzen entwickeln.

Welche Botschaften bei uns wirken und sich verfestigen, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Selbst bei Kindern, die in dem gleichen familiären und sozialen Umfeld aufwachsen, unterscheiden sich ihre Glaubensätze. Es kommt auf die Persönlichkeit und den Charakter des Kindes an, welche Botschaften es annimmt und als eigene Überzeugung verinnerlicht und welche es überhaupt nicht berühren.

Hast Du in der Kindheit häufig gesagt bekommen: „Sei lieb und nett, sonst mögen dich die anderen nicht”? Dann kann sich dieser Satz so fest in deinem Inneren verankern, dass du heute als Erwachsene immer noch unbewusst danach handelst. Du bist immer hilfsbereit, freundlich und zuvorkommend. Du machst es jedem recht und stellst deine eigenen Bedürfnisse zurück. Denn du willst ja gemocht werden. Die Annahme hinter den negativen Glaubenssätzen ist dann: „Wenn ich mich korrekt verhalte, hat mich meine Bezugsperson lieb.”

Auf die Botschaft „Sei lieb und nett, sonst mögen dich die anderen nicht” könntest du aber auch völlig gegensätzlich reagieren und Widerstand leisten. Du bist nicht nett, sagst deine Meinung und nimmst in Kauf, nicht gemocht zu werden. Jeder Mensch reagiert also anders auf solche Botschaften.

Wichtig ist es jedoch zu erkennen, wann und wie die inneren Überzeugungen aus der Kindheit unser Verhalten als Erwachsene manipulieren. Wenn dein Chef vor dir steht und dir eine unangenehme Aufgabe übertragen will, für die du eigentlich keine Zeit hast, wirst du entweder nett sein und die Aufgabe annehmen oder ihm deutlich zu verstehen geben, dass du dies nicht tun wirst. Du wirst dabei vermutlich nicht überlegt und souverän handeln, Vor- und Nachteile abwägen, um dann entsprechend zu antworten. Gesteuert von deinen Glaubenssätzen wirst du emotional und unbewusst handeln. Und wenn du in diesem Fall nett bist und die Aufgabe übernimmst, dich das aber stresst, stauen sich deine Emotionen auf und werden sich in deinem privaten Umfeld entladen. Du wirst ungehalten gegenüber deinem Partner oder deinem Kind, obwohl die rein gar nichts mit der Situation zu tun haben.

Der Einfluss der Glaubenssätze auf uns

Es gibt negative und positive Glaubensätze. Die negativen schränken uns ein, sabotieren uns, die positiven machen uns selbstbewusst und stärken uns.

Hier einige Beispiele für negative Glaubenssätze, die unsere Lebensfreude beeinträchtigen und unser Selbstbewusstsein sabotieren können:

Das kannst du nicht schaffen!

Freue Dich nicht zu früh!

Das wird sowieso nichts!

Du bist ein richtiger Pechvogel!

Die anderen sind besser als du!

Halte dich zurück, das stört die anderen!

Streng dich endlich mal an!

Mach dir darüber keine Gedanken, das entscheidest du nicht!

Sei immer schön nett und brav, sonst mögen dich die anderen nicht!

Natürlich wird kein Elternteil solche Sätze aussprechen, um sein Kind absichtlich „klein zu machen” oder ihm zu schaden. Sie werden meist so dahergesagt, weil das Umfeld sie in diesem Moment als passend erachtet. Es hinterlässt auch keine nachhaltigen Schäden, wenn man in der Kindheit gelegentlich negative Rückmeldungen erhält. Das ist Teil der Erziehung und gehört nun mal zu den Aufgaben unserer Bezugspersonen. Denn Kinder können nicht immer tun und lassen, was sie möchten, sie müssen auch ein Nein akzeptieren. Was aber passiert, wenn sie ständig solche negativen Botschaften zu hören bekommen und gleichzeitig spüren, ich werde nur geliebt oder wertgeschätzt, wenn ich mich dementsprechend verhalte? Dann verfestigt sich diese Botschaft zum Glaubenssatz und sie sind irgendwann selbst überzeugt davon, immer zurückhaltend und höflich sein zu müssen, damit sie Wertschätzung erhalten. Und das wirkt sich bis ins Erwachsenenalter aus.

Anna war ein temperamentvolles Kind, sie konnte auch mal schreien und zornig werden. Dann hat sie wütend mit dem Fuß aufgestampft und herumgebrüllt. Deshalb musste sie in ihrer Kindheit oft den Satz mitanhören: „Anna flippt wieder mal völlig aus. Sie hat sich einfach nicht im Griff.” Und wenn sie ihre Wutanfälle hatte, wurde sie in ihr Zimmer geschickt, um sich zu beruhigen. Dies löste bei ihr das Gefühl aus, nicht „richtig” zu sein. Obwohl sie Nähe gebraucht hätte, wurde sie mit Liebesentzug bestraft. Dadurch verfestigt sich bei Anna im Laufe ihres Lebens der Gedanke, dass sie nur geliebt wird, wenn sie ruhig und brav ist. Als Erwachsene unterdrückt sie nun negative Emotionen und traut sich nicht mehr, ihre Meinung zu sagen. Sie hat Angst, dass sie negativ auffällt oder nicht gemocht wird.

So etwas passiert nicht, wenn du einmal mit deinem Kind schimpfst oder es ungerecht behandelst. Eine Aussage wird immer erst zum Glaubenssatz, wenn diese in einer bestimmten Situation mit einer Emotion verknüpft wird und sich öfters wiederholt. Anna hört mehrmals, dass es ihren Eltern nicht gefällt, dass sie ihren Gefühlen freien Lauf lässt und wird zudem noch mit Liebesentzug bestraft. Beides zusammen ist die Grundlage für einen Glaubenssatz. Anna denkt: „Ich bin nur gut, wenn ich still und brav bin.” Bestimmt haben es die Eltern nicht böse gemeint und wollten Anna mit ihrer Aussage nicht einschränken. Vielleicht waren sie durch Annas Wutausbrüche genervt und haben deshalb so etwas gesagt. Da Anna aber mehrere solcher Erlebnisse hatte, die ihr immer wieder gezeigt haben, „es ist nicht gut, wenn ich wütend bin”, nimmt sie sich zurück.

Wie hätte verhindert werden können, dass Anna diese negativen Erfahrungen als Glaubenssatz verinnerlicht? Wenn sie sich wieder beruhigt hatte, wird Anna erkannt haben, dass ihr Verhalten nicht korrekt war. Dafür musste sie sich aber quasi selbst den Spiegel vorhalten und von selbst darauf kommen, sie war ja allein in ihrem „Zimmerarrest”. Da das vor allem für ein Kind schwierig ist, hätte ihre Mutter kurze Zeit später, wenn die Wut verflogen war, die Situation ruhig ansprechen und erklären sollen. So hätte Anna lernen können, dass Wut etwas Normales ist und mit ihrer Mutter Wege finden, ihren Unmut zu äußern ohne zu brüllen und zu stampfen.

Positive Botschaften stärken dein Kind

Doch genau wie negative Glaubenssätze uns sabotieren, gibt es auch positive Glaubensätze, die uns stärken und uns Kraft geben:

Du bist ein toller Mensch!

Wir haben Dich lieb, egal was du machst!

Du schaffst das!

Glaub an Dich!

Du kannst alles erreichen!

Du bist liebenswert, genau so wie du bist!

Du darfst immer offen deine Meinung sagen!

Solche Aussagen lassen unser Selbstbewusstsein wachsen und machen uns zu souveränen, liebevollen Menschen, die an sich und ihre Fähigkeiten glauben. Deshalb brauchen wir gerade diese positiven Glaubenssätze im Alltag. Denn wenn es uns schlecht geht, sind sie unsere innere Stimme, die uns sagt, dass wir gut und richtig sind.

Wenn du in deiner Kindheit von deinen Eltern die Botschaft bekommen hast, wir lieben dich, egal was du tust, und sie dich diese bedingungslose Liebe haben spüren lassen, wird diese Botschaft ganz tief in deiner Gedankenwelt verankert sein. Du bist dir sicher, ein guter Mensch zu sein. Du hast als Erwachsene keine Angst Fehler zu machen, da du weißt, dass du gut bist, auch wenn du Fehler machst. Von der Wertschätzung anderer Menschen bist du nicht so abhängig, denn du weißt ja auch hier, dass du so wie du bist, gut bist, nämlich selbstbewusst, ohne arrogant zu sein.

Gerade deshalb ist es wichtig, dass einem Kind möglichst viele positive Glaubenssätze mit auf den Weg gegeben werden.

Dein Kind merkt sofort, wenn du etwas sagst und es nicht ernst meinst. Wenn du zum Beispiel lobst, damit du deine Ruhe hast, geht das nach hinten los. Aussagen wie: „Das hast du toll gemalt, mal doch weiter” könnten sich zu einem negativen Glaubenssatz entwickeln, da dein Kind merkt, dass du es nicht ernst nimmst und nur mit einer Floskel auf sein Bild reagierst.

Wenn du dein Kind wirklich stärken willst, sag ihm Dinge, die du ernst meinst und die du an ihm schätzt. Am besten möglichst detailliert und mit einem Beispiel verknüpft, damit es lernt, an sich zu glauben und spürt, dass du merkst, was dein Kind bewegt. Positive Botschaften werden dein Kind ein Leben lang begleiten. Sie sind seine sichere Basis auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Sie vermitteln ihm Geborgenheit und Liebe und es wird immer darauf zurückgreifen können. Wenn es sicher sein kann, geliebt zu werden, ganz egal was es tut, legt man damit ein Fundament für ein gesundes Selbstbewusstsein.

Natürlich musst du deinem Kind manchmal sagen, dass bestimmte Dinge nicht gehen und dann wird es vielleicht wütend. Das ist in Ordnung, uns gefällt es ja auch nicht immer, wenn wir ein Nein hören. Doch es wird Kritik akzeptieren, wenn es weiß, dass du es bedingungslos liebst, sein Verhalten aber eben in diesem Moment nicht tolerierst.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842616271
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (September)
Schlagworte
Achtsamkeit Kommunikation Pädagogik Mädchen Erziehungs-Ratgeber Junge

Autor

  • Alexandra Karr-Meng (Autor:in)

Alexandra Karr-Meng unterstützt als Coach Eltern und Erzieherinnen bei der achtsamen Kommunikation mit Kindern. Mit ihrem Ratgeber „Kinder achtsam erziehen“ hat sie bereits tausenden Eltern dabei geholfen, etwas mehr Ruhe und Gelassenheit ins Familienleben zu bringen. Als Mutter weiß sie: Im Alltagstrubel kommen Ruhe, Respekt und gegenseitige Wertschätzung häufig zu kurz – daher hat sie Lösungen entwickelt, die auch in hektischen Momenten leicht umzusetzen sind und trotzdem eine enorme Wirkung im Familienleben haben.
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Titel: Weniger schimpfen, weniger schreien