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Wohngruppen in der Altenpflege

Ein Baustein im Quartier. Praktische Ideen für Gestaltung und Organisation.

von Silke Boschert (Autor:in)
128 Seiten

Zusammenfassung

"Mein Zimmer, unsere Küche, unser Wohnzimmer" - Die Wohngruppe ist der Shootingstar in der Altenhilfe. Immer mehr Heime schaffen kleine Einheiten für 8 bis 12 Personen, die gemeinsam miteinander leben.

Solche Wohngruppen sollen den früheren Alltag der Bewohner möglichst genau nachbilden. Aber sie stellen Pflegeeinrichtungen auch vor große Herausforderungen.

Dieses Buch stellt praxistaugliche Konzepte von Wohngruppen, ihre Umsetzung, die Organisation und Gestaltung vor.

Wohngruppen verlangen ein gute Konzeption, geschulte Mitarbeiter und eine belastbare Arbeitsorganisation - erst dann stellt sich für die Bewohner der Wohlfühlfaktor ein.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Danksagung

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2020 als weltweites Jahr der professionell Pflegenden und Hebammen ausgerufen. Die Corona-Pandemie brachte mich und meine Kolleginnen im Alltag immer wieder an unsere Grenzen. Nichtsdestotrotz – das Buch ist fertig!

Ich möchte an dieser Stelle ganz speziell Sonja Himmelsbach besonders danken, für ihre Rückendeckung und die vielen positiven Zusprüche, in einer für uns beide schwierigen beruflichen Veränderungssituation. Aber natürlich auch allen anderen Kolleginnen, die mich langjährig beruflich begleitet haben, mich gestützt und zu dem entwickelt haben, was ich heute bin. Die Inhalte im Buch wären nicht ohne die vielen Diskussionen mit Euch entstanden!

Danke weiterhin an alle, die ab der Erstellung, bei den Gasttipps und der Korrektur mitgewirkt haben. Ich hoffe, ihr findet Euch in den niedergeschriebenen Empfehlungen und Tipps wieder!

Ein besonderer Dank gilt Louise Enz, Vorstandsreferentin im Paul-Gerhardt-Werk e. V. Offenburg, Uli Esslinger, Geschäftsführende Leitung Sozialgemeinschaft Schiltach-Schenkenzell e. V., Sonja Himmelsbach, Assistenz der Geschäftsführung des Ortenau Klinikums, Michaela Hilberer, Leitung zentrales Qualitätsmanagement im Paul-Gerhardt-Werk e. V., und Julia Uhl, Einrichtungsleitung im Dietrich-Bonhoeffer-Haus/Quartiersmanagerin im Paul-Gerhardt-Werk e. V.

Schlussendlich danke ich Dir, Martin Novak, für Deine Nerven, Deine kritischen Anmerkungen und Fragen und vor allen Dingen Deine Korrektur. Zum Schluss noch ein herzliches Dankeschön an Claudia Flöer, meine Lektorin, die über zwei Jahre hinweg geduldig am Ball geblieben ist und mich immer wieder erinnert und ermutigt hat, dieses Buch fertigzustellen.

Silke Boschert

Vorwort

Wir werden immer älter, hilfs- und pflegebedürftiger. Zugleich suchen ältere Menschen nach selbstbestimmten Wohn- und Lebensformen. Diese Kombination stellt an das Leben und Wohnen im Alter neue Anforderungen. Das gilt für die Gesellschaft insgesamt, aber auch den einzelnen Menschen und insbesondere die Pflege.

Laut statistischem Bundesamt (Stand: 29. 02. 2020) gab es 2017 in Deutschland über 14.480 vollstationäre Pflegeeinrichtungen. Innerhalb der letzten zehn Jahre wurden davon 3.451 neu gebaut.

Stationäre Pflegeeinrichtungen haben wie bisher die Aufgabe, pflege- und hilfsbedürftige, größtenteils ältere und hochbetagte Menschen zu versorgen, die zuhause aufgrund verschiedenster Gründe nicht mehr leben möchten oder können. Stationäre Pflegeeinrichtungen erbringen pflegerische Leistungen und gewährleisten insgesamt die Begleitung, Betreuung und Versorgung rund um die Uhr. Die Bewohner haben meist multimorbide Erkrankungen mit zunehmenden kognitiven, sensorischen, psychischen und demenziellen Beeinträchtigungen. Besonders beeinträchtigt sind dabei die Gedächtnisfunktion, das Gehör, die Sehfähigkeit, aber auch der Bewegungsapparat und der Gleichgewichtssinn. Oftmals ist der Einzug in ein Pflegeheim nicht freiwillig und geplant, sondern beruht auf einer plötzlichen gesundheitlichen Verschlechterung dieser multimorbiden Erkrankungen.

In den letzten Jahren werden zunehmend voll stationäre Pflegeeinrichtungen konzipiert, die vom traditionellen Setting der Wohnbereiche abweichen und stattdessen eine wohngruppenorientierte Betreuungsform anbieten. Diese Umorientierung entspricht zwar den inzwischen gültigen gesetzlichen Grundlagen – mangels Einbeziehung der Praktiker oftmals aber nicht den Ansprüchen der Zielgruppen und dem Bedarf in der Praxis.

Es entstehen kleinere Organisationseinheiten, die den Quartiersgedanken unterstützen. Diese Bautypologien sind durch ihre Kleinräumigkeit flexibel für die unterschiedlichsten Bedarfs- und Zielgruppen nutzbar. So gibt es zu den verschiedensten Ansätzen der bisherigen Wohn- und Lebensformen zahlreiche und der Zeitphase entsprechend angepasste Raumprogramme. Aber rund um die Wohngruppen existiert in der Praxis bislang nur ein magerer konzeptioneller Handlungsspielraum. Es fehlt weiterhin an praxistauglichen, nachhaltigen und frischen Konzepten für die Organisation solcher Wohngruppen.

Parallel dazu müssen wir in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege ein fast kollabierendes System konstatieren, eine chronische Überlastung der Pflege und einen flächendeckenden Personalmangel. Das heißt auch, dass wir in der Pflege zukünftig nachhaltige Entwicklungsziele und strukturelle Arbeitsveränderungen brauchen. Flankiert von einer Aufwertung des Pflegeberufes, einem nunmehr als »systemrelevant« anerkannten Beruf.

 

Achern, im Oktober 2020 Silke Boschert

Geleitwort von Michael Wipp

Betrachtet man die Entwicklung von Wohnformen für ältere Menschen in den vergangenen 30 Jahren wird sehr schnell deutlich, dass sich hier eine erhebliche Dynamik entwickelt hat. Nicht nur in der Frage der rein baulichen Struktur, sondern vor allem auch in den Erwartungen der Nutzer, aber auch vor dem heutigen Wissenshintergrund erforderlicher Konzepte.

Was ist Alter und welche Anforderungen ergeben sich in Bezug auf die Wohn- und Lebensformen daraus?

So unterschiedlich die Menschen beispielsweise ab 65 aufwärts sind, so unterschiedlich sind deren Bedürfnisse und Erwartungen. Die Rolling Stones gehen mit 75 Jahren auf Welttournee und füllen größte Stadien, während andere Menschen vor dem Hintergrund persönlicher, beruflicher wie auch gesundheitsbedingter Situationen und Gegebenheiten eine ihrem Umfeld entsprechende Unterstützung und Begleitung benötigen. Sicherheit und Geborgenheit ohne einzuengen – wahrlich oft ein Spagat, betrachtet man das auch vor dem Hintergrund eines nicht unerheblichen Anteils demenziell erkrankter Menschen.

So unterschiedlich wie die Anforderungen sind, welche u. a. aus den genannten Gegebenheiten resultieren, so unterschiedlich und variabel müssen Angebote sein. Wir wissen heute im Gegensatz zu den 1970er Jahren, dass ein abgestuftes Angebot vieler einzelner Bausteine benötigt wird, die sich wie Puzzleteile weitmöglichst den Bedürfnissen der Menschen in den jeweiligen Wohnformen anpassen. Ideal, wenn diese Wohnformen durchlässig sind und gleichzeitig einen zeitlich zuverlässigen Bestand für einen Lebensabschnitt/Zeitraum bieten, um nicht häufig das Umfeld wechseln zu müssen.

Kontinuität ist mit zunehmenden Alter ein wichtiger Parameter, der Verlässlichkeit garantiert. Hier muss die Politik in dieser speziellen Gesetzgebung noch wesentlich flexiblere Angebotsformen und deren Durchlässigkeit ermöglichen. Die starre Sektorentrennung von ambulant und stationär mit allen daraus resultierenden Regularien ist schon lange nicht mehr zeitgemäß und stellt für Nutzer, aber auch für Anbieter in der vorgegebenen Anforderungskomplexität, gegenseitigen Ergänzungen oder Ausschlüssen Hürden für bewohnerorientierte zeitgemäße Konzepte dar. Am schwierigsten stellt sich dies am Beispiel des Mitarbeitereinsatzes dar. Die starre und unflexible Trennung der Sektoren führt zu Begrenzungen im täglichen Mitarbeitereinsatz, die vor dem Hintergrund des schwierigen Arbeitsmarktes eigentlich gar nicht sein dürfen.

Auf der anderen Seite hat jede Wohnform viel auch in ihrer praktischen Umsetzung mit Denk- und Handlungsmustern der beteiligten Mitarbeiter zu tun. Der klassische stationäre Sektor mit seinem institutionären Charakter kann insbesondere durch das beschriebene Wohngruppenkonzept mit dem Ansatz häuslichen Lebens erheblich gewinnen. Klassisch strukturierte vollstationäre Pflegeeinrichtungen haben bis heute diesen Charakter nicht verloren, auch wenn sich sehr vieles hin zum Positiven gewandelt hat. Betrachtet man die Anforderungen an Wohngruppenkonzepte zwischen den Bundesländern, bestehen die unterschiedlichsten baulichen und personellen Vorgaben bis hin zur Frage der »Überwachung« behördlicherseits. Nicht selten regiert Obrigkeitsdenken vor dem Deckmantel ordnungsrechtlicher Schutzrechte und steht im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Menschen im Alltag.

Es ist mehr als zu begrüßen, dass mit diesem Fachbuch von einer versierten und beruflich erfahrenen Kollegin die Thematik der Wohngruppen im Alter umfassend aufgegriffen und bearbeitet wird. Gerade auch der Untertitel (»ein Baustein im Quartier«) verdeutlicht den Gedanken der Vernetzung und Bedeutung von Gemeinsamkeit. Das erleben viele ältere Menschen nicht nur in Zeiten der Corona-Krise, sondern ständig. Teilhabe und Gemeinschaft – egal in welcher Wohnform – stellen wesentliche Grundbedürfnisse des menschlichen Zusammenlebens dar. Das viel beschworene Leben zuhause im Alter in den eigenen vier Wänden stößt oft nicht nur mangels der Verfügbarkeit von ambulanten Diensten, von Nachbarschaftshilfe oder Möglichkeiten der Unterstützung begleitender Angehörigen bei heutiger hoher beruflich geforderter Mobilität an ihre Grenzen, sondern führt nicht selten zu (unerkannter) Isolation und Rückzug. Nicht wenige Menschen erleben beispielsweise die Corona Krise nicht als Vereinsamung, schlimmer: Sie kennen es nicht anders.

Der von Silke Boschert gewählte Begriff »Baustein« verdeutlicht dabei die Notwendigkeit aufzuzeigen, dass es sich bei Wohngruppen nicht um die Lösung für das Alter schlechthin handelt, sondern um ein Puzzleteil in einem Gesamtangebot, aus welchem der Nutzer seine für sich persönlich passende Wohnform auswählen kann oder das die An-/Zugehörigen unter Bezugnahme auf den mutmaßlichen Willen übernehmen, wenn er selbst dazu nicht (mehr) in der Lage ist. Jede Wohnform in der Gemeinschaft ist mit Einschränkungen verbunden, nicht ausschließlich im Alter. Die Qualität für den einzelnen Nutzer wird sich auch darin zeigen, inwieweit es konzeptionell gelingt, Rückzugsmöglichkeiten mit dem Bedürfnis nach Gemeinschaft zu verbinden.

Die passende Wohnform zu finden, ist das eine. Wohngruppenkonzepte in die Praxis umzusetzen, das andere. Leitbild, das Wohnen in einer Wohngruppe, Fragen der Einrichtung und Ausgestaltung von Gemeinschaftsräumen bis zum Alltagsleben mit Kochen sind nur einige wenige Stichpunkte. Silke Boschert beschreibt das sehr nachvollziehbar: Man fühlt sich unmittelbar in eine Wohngruppe hineinversetzt. Die herausgestellte Thematik: Jeder Mensch ist einzigartig. Wie kann sich daran ein Konzept festmachen, das vielen Menschen ein Angebot sein will? Auch Pflege- und Betreuungsleistungen und vielerlei Alltagsdinge müssen organisiert und geplant sein. Wer kann künftig noch die Pflege und Betreuung leisten? Veränderungen stehen in Bezug auf die Pflegeversicherung, aber auch die große Thematik der künftigen personellen Verfügbarkeit an. Welcher Fachkraftbedarf, welcher Assistenzbedarf wird benötigt?

Das Fachbuch macht Spaß bei Lesen, weil es eine Mischung aus umfassender Alltagspraxis in Bezug auf Bewohner und Mitarbeiter in Verbindung mit möglichen Lösungsansätzen abbildet, gepaart mit dem passenden Quantum Humor, ohne jemals das fachliche Fundament zu verlassen. Vielfach gerät man ins Schmunzeln, stellt man sich die beschriebenen Ereignisse vor. Zeitgemäß modern strukturiert mit Hashtags.

In einer Zeit der großen Veränderungen stellt diese qualifizierte Bestandsaufnahme, der Darstellung unterschiedlicher (Tages)-Pflegeangebote bis hin zur konkreten Umsetzung des Lebensalltags in der Wohngruppe eine qualifizierte Hilfestellung dar. Von Alltagsprofis für Nutzer und Interessenten, die selbst aktiv in Aufbau und Gestaltung von Wohngruppen in der Altenpflege werden wollen: die ideale Hilfestellung. Danke Silke Boschert für diese Arbeit!

 

Karlsruhe, im April 2020 Michael Wipp
www.michael-wipp.de

Einleitung

Werte helfen uns, Prioritäten bei der Arbeit zu setzen. Ich bin seit fast 30 Jahren in den verschiedensten Bereichen der Altenpflege tätig und habe dabei schier unzählige Change-Prozesse erlebt. In den letzten 20 Jahren als Leitung bestand mein Schwerpunkt darin, sowohl traditionelle als auch neue moderne, nach Wohngruppen konzipierte Pflegeeinrichtungen zu planen und umzusetzen. Eine Arbeit, die natürlich in Zusammenarbeit mit Fachexperten wie Architekten und Ingenieuren entstand. Parallel dazu studierte ich Management im Gesundheitswesen und mehrdimensionale Organisationsberatung, Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung. Das gab mir das theoretische Rüstzeug zu Themen wie Organisationsdynamik, Individuum und Gruppe.

Jede dieser Wohngruppen, die ich mit den Experten entwarf, hatte ihre baulichen Vor- und Nachteile. Sie war stets dem individuellen Sozialraum angepasst und besaß ihren eigenen persönlichen Charme, der durch die Mitarbeitenden im Haus, aber hauptsächlich durch die Menschen im Quartier geprägt wurde.

Architektur und Möbel sind immer Geschmacks- und Gestaltungssache, entsprechend unterschiedlich ist das Erscheinungsbild der Einrichtungen. Aber alle haben gemeinsam, dass jeder Bewohner in der Wohngruppe sein Leben und Alltag in der Gemeinschaft und im Sozialraum so frei, aktiv und selbstbestimmt wie möglich gestalten darf. Damit das funktioniert, braucht es neben einem angepassten Wohnraumkonzept auch ein spezielles Wohngruppen- und Organisationskonzept und natürlich Mitarbeiter mit einer offenen Haltung, die entsprechend qualifiziert und begeistert sind, und alles tun, um dies zu ermöglichen.

Beim speziellen Wohngruppen- und Organisationskonzept stand immer zweierlei im Fokus:

1. mein persönlicher Leitgedanke des gelingenden Alltags

2. die Mitarbeiterzufriedenheit.

Aus meiner Sicht kann dies nur durch inspirierende, werteorientierte und engagierte Führungskräfte und Mitarbeiter gelingen, die Lust auf ihre Arbeit haben.

Alle Einrichtungen, in denen ich tätig war, haben mehrere Wohngruppen, mit einer Wohngruppengröße von 11–15 Bewohnern. Alle Zimmer sind Einzelzimmer mit Dusche, Toilette und Waschbecken. Neben diesem persönlichen Zimmer als privatem Rückzugsort existiert in allen Häusern der Wohn- und Küchenbereich als gemeinschaftlich genutzter Wohnraum. Alle Gruppen haben eine alltagstaugliche Küche mit entsprechenden Lagermöglichkeiten in Form von Schränken oder Räumen. Zusätzlich gibt es in den Häusern Loggien, Laubengänge, helle Flure, Balkone, eine Kapelle und einen zentralen Gemeinschaftsraum für gemeinsame Aktivitäten, der einen Zugang zum Garten hat.

In Gesprächen und Beratungen fällt mir immer wieder auf, dass die Pflegemitarbeiter zwar gern ihre Ideen einbringen, ihnen aber oft die sprachlichen und fachlichen Begrifflichkeiten für ihre Anliegen fehlen. Dadurch wird den Perspektiven der Fachplaner ein größeres Gewicht beigemessen, obwohl diese den Praxisalltag in der Regel nur vom Hörensagen kennen.

Alle Umsetzungsideen basieren auf Erfahrungen und sind als Inspiration zu verstehen. Sie entstanden über einen Zeitraum von mehreren Jahren, mithilfe von Feedback und durch Reflexionsschleifen im Team. Dabei waren die Sichtweisen von den Bewohnern, Angehörigen und Mitarbeitenden immer mehr als hilfreich. Auch gab es zum Teil heftige Krisen und herausfordernde Auseinandersetzungen, die sehr anstrengend und manchmal fast nicht zu bewältigen waren. Unabhängig davon waren diese für die Entstehung der Ideen im Nachhinein betrachtet äußerst hilfreich. Das Konzept als Ganzes wurde zudem anhand wissenschaftlicher Lehrforschungsprojekte immer wieder theoretisch komplettiert.

Erlauben Sie mir noch einen Gedanken zum Thema »zeitgemäße Sprache mit englisch- und neusprachlichen Ausdrücken«. Wir sind am Ende des Jahres 2020 angekommen. Globalisierung bestimmt unser Weltbild, wir erleben einen multikulturellen Wandel, das Internet ist fester Teil unseres Alltags und der Pflege. Englische Begrifflichkeiten haben längst Einzug in unseren Alltag gehalten – und: Ist das so schlimm? Es ist eher ein Ausdruck der Zeit, in der wir leben. Die junge Generation tut sich damit leicht und wir Älteren sollten das auch tun. Deshalb werden in diesem Buch ganz bewusst solche Begrifflichkeiten (etwa die hashtags) verwendet. Wer am Ball bleiben will, muss rennen!

Wohnprojekte mit einem Mix aus ambulanten, teil- und auch vollstationären Wohnformen sind ein Megatrend in der Altenhilfe.

Vor allem vollstationäre Pflegeeinrichtungen unterliegen einem ständigen Wandel und sind damit Change-Prozessen ausgesetzt. Doch trotz vieler gesetzlicher Stolpersteine, Überlagerungen sowie paradoxen Vorgaben und Gesetzen, enthält dieser Wandel auch ein hohes Potenzial an Gestaltungsspielräumen.1

Definition Vollstationäre Pflegeeinrichtung

Eine vollstationäre Pflegeeinrichtung ist zunächst eine Organisationsform, die als soziales System verstanden werden kann, das durch eine innere Dynamik geprägt ist und mittels komplexer Beziehungsnetze im ständigen Austausch mit sich selbst und mit seiner Umwelt steht.

Pflegeeinrichtungen als Expertenorganisationen benötigen auf der einen Seite einen enormen pflegefachlichen Wissensstand »State of the Art«, gepaart mit einem erheblichen Maß an Selbstbestimmung und -organisation. Auf der anderen Seite brauchen sie aber auch neue Qualifizierungsdiskurse, veränderte Arbeitsbedingungen, eine adäquate Bezahlung und eine vernünftige Arbeit-Freizeit-Bilanz. Schließlich steigen immer mehr Pflegefachkräfte komplett aus, weil die Rahmenbedingungen mehr als misslich sind.

Parallel dazu muss die Arbeit im Team mit immer mehr Laien und semiprofessionellen Akteuren gestaltet werden. Wir haben derzeit die Regel und die gesetzliche Vorgabe, dass nur die Hälfte der Stellendeputate im Pflegebereich von Pflegefachkräften besetzt sein müssen. Für die restlichen 50 Prozent wie angelernte Pflege- und Betreuungskräfte (Alltagsbegleiter, zusätzliche Betreuungskräfte, Servicekräfte, Präsenzkräfte, Seniorenbegleiter, Pflegeassistenten usw.), benötigt die stationäre Pflege dringend einheitliche und eindeutige Qualifizierungsoptionen. Dies gilt ganz besonders für das neue Tätigkeitsprofil in Wohngruppen, in denen für die tägliche Begleitung, Beratung, Unterstützung und das gemeinsame Zubereiten der Mahlzeiten sogenannte Alltagsbegleiter eingesetzt werden.

Insbesondere bei Konzepten mit Wohngruppen gibt es noch großen Veränderungsbedarf, um die positiven Verbesserungen erleben zu können. Unbestritten ist, dass durch diese strukturelle Veränderung auch die Arbeitsbedingungen mitarbeiterfreundlicher werden. Es entsteht eine höhere Identifikation und Zufriedenheit bei den Mitarbeitern, gepaart mit einer professionellen Haltung zur Organisation und deren Ziele.

Auch für die Bewohner ergeben sich positive Effekte: Sie fühlen sich wertgeschätzt und erleben sich als sinnvoll und aktiv. Dabei spielt es keine Rolle, welches Krankheitsbild oder welchen Pflegegrad ein Bewohner hat.

All das funktioniert jedoch nur, wenn die Leitungen Lust auf Innovation haben, Befürworter von organisatorischen Konzepten und Zielen sind und einen partizipativen, situativen, werteorientierten, aber auch agilen und modernen Führungsansatz verfolgen. Nur so können die traditionellen Strukturen des jetzigen Pflegesystems aufgeweicht und verändert werden.

Wieso aber wirken viele moderne Pflegeeinrichtungen durch die neuen Bautypen modern und innovativ, werden aber inhaltlich als träge und müde erlebt? Schauen wir auf die Themen »Organisationen und Geschichte der vollstationären Altenpflege«: Im Arbeitsalltag sind wir alle automatisch Teil einer Organisation und deren Abläufen unterworfen. Die Anpassung an die Gegebenheiten erfolgt in der Regel intuitiv und die wenigsten von uns werden sich dessen bewusst sein, wie kompliziert organisatorische Abläufe und Zusammenhänge in Arbeitsprozessen sind.

Laut Kieser & Ebers2 sind Organisationen »hochkomplexe soziale Gebilde«, die nicht einfach zu erklären bzw. zu verstehen sind. Als kurze inhaltliche Einführung möchte ich an dieser Stelle einige theoretische Grundlagen aufzeigen.

1.1Die alte Arbeitswelt und »new Work«

Schon im alten Ägypten wurde der Bau der Pyramiden durch ausgefeilte Organisationsprinzipien und Managementformen ermöglicht: Die einen planten, die anderen führten aus. Wahrscheinlich gilt das auch für den Steinkreis von Stonehenge und andere berühmte Bauwerke. Es hat damals sicherlich nie jemand so benannt, aber eine Arbeitsteilung gab es schon immer, wenn es um Großprojekte ging. Auch die berühmten Baumeister der Kathedralen in Europa schwangen keinesfalls selbst den Meißel, sondern engagierten Meister ihres Fachs und beschäftigten Legionen von Fach- und Hilfskräften. Schließlich war jeder größere Bau ein komplexes und herausforderndes Projekt.

Arbeitsteilung, Formalisierung, Verwaltung aller Management-Schritte – das steht auch hinter den Gedanken von Frederick Sinslow Taylor (1856–1915) und seinem Maschinenmodell, bei dem es um die Massenproduktion ging. Taylor war der Begründer des Scientific Management. Er hat das Prinzip der Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen neu geprägt und schuf eine Trennung von Hand- und Kopfarbeit. Obwohl zwischenzeitlich eindeutig bewiesen wurde, dass unterschiedliche Ausgangsbedingungen der Organisationen jeweils passende organisatorische Lösungen erfordern, gibt es teilweise bis heute Ansätze von tayloristischer Arbeitsgestaltung in der Industrie.

Zwar lässt sich die klassische Managementform eines Produktionsbetriebes sicherlich nicht 1:1 auf ein wertebasiertes soziales Dienstleistungsunternehmen übertragen, aber mittels entsprechender Abwandlung und Anpassung sind Sozialunternehmen dennoch vergleichbar. Das moderne Management versucht heute, mit Projektmanagement, Matrixsystemen, verschiedensten Formen von Arbeitsteilungen, Abteilungsbildungen, Stellenbeschreibungen, Verfahrensrichtlinien und Hierarchiesystemen zahlreiche Lösungs-ansätze zur Organisationsgestaltung zu bieten.

Der Taylorismus mit seiner Zerlegung von Arbeitsprozessen zog fast von Anfang an Kritik auf sich. So herrschte im ausgehenden 19. Jahrhundert Personalknappheit und auch eine gewisse Arbeitsverdrossenheit angesichts der tayloristischen Arbeitsgestaltung. Die Human Relations-Bewegung, die verstärkt die menschlichen Beziehungen und die Organisationspsychologie in den Blick rückt, hielt Einzug.

Die Professoren Mayo und Roethlisberger brachten mit ihren Hawthorne-Experimenten3 die Erkenntnis, dass psychische Faktoren die Leistung beeinflussen und Entlohnung sowie personenorientierte Führung zudem eine Leistungssteigerung mit sich bringen.

Diese Erkenntnisse wurden mit den darauffolgenden organisationspychologischen Gedankengängen noch komplexer. Einfache Theorien wurden durch vielschichtige Themen abgelöst, wie z. B. »Arbeitsmotivation, Arbeitszufriedenheit, Erfassung von psychischer Belastung im Arbeitsprozess und Maßnahmen ihrer Reduzierung, Führung, Einflüsse der Arbeitsgruppe auf das Arbeitsverhalten ihrer Mitglieder, Gestaltung von Technik unter Berücksichtigung psychischer Auswirkungen, Entscheidungsverhalten von Individuen und Gruppe, Feststellung der Eignung von Personen für bestimmte Tätigkeiten, Qualifizierung, Konfliktmanagement«.4

#newwork ist der aktuelle Begriff, durch den die heutige Arbeitswelt, eine zeitgemäße Führung und eine agile Unternehmensorganisation beschrieben wird. Ursache oder Auslöser sind der demografische Wandel, die Globalisierung und Vernetzung, aber auch neue Technologien, die mit der Digitalisierung Einzug halten. Grundsätzlich widerspricht die Philosophie von new Work nicht organisationspychologischen Theorien, sondern komplementiert deren Ansatz mit einer neuen offenen Haltung, einer werteorientierten Kultur und einer Führung, die weiß, dass Mitarbeiter mehr als nur Zahnräder innerhalb einer Organisation sind.

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Info

New Work ist eine Art offene transparente Führung auf Augenhöhe, gepaart mit Wertschätzung und Partizipation. Vertrauen ist dabei unabdingbar.

Es geht darum, den Mitarbeiter als Individuum und das Team als Gruppe in einem gemeinsamen Prozess zu befähigen, gute und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Die Sichtweisen der Mitarbeitenden werden bei agilen Prozessen immer mit einbezogen, Talente gefördert und im Mitarbeiterteam durch kollegiale Beratung und Coaching nachhaltig an das Unternehmen gebunden.

Auch in der Altenpflege verändert sich die Arbeitswelt. Die Arbeit muss flexibler und projektbasierter gestaltet werden. Die alten Strukturen sind zu starr, Entscheidungen müssen schneller im Sinne der Betroffenen getroffen werden. Daneben benötigen die Mitarbeitenden eine Arbeitsumgebung, die sich nicht nur an den Bewohnern, sondern auch an deren Bedürfnissen orientiert. Eine moderne, innovative und inspirierende Umgebung steigert das körperliche und emotionale Wohlbefinden aller Beteiligten.

1.2Die Entwicklung der vollstationären Altenpflegeorganisationen

Auch die vollstationären Altenpflegeeinrichtungen sind Organisationen und waren lange tayloristisch, also rationalisiert und funktionalisiert, mitunter sind sie es ja zum Teil auch heute noch. Unabhängig davon entwickelte sich die stationäre Altenpflege in den letzten 60 Jahren stetig und enorm weiter. Zwischenzeitlich wird von fünf Generationen der Pflegeheime5 gesprochen.

Im Anstaltskonzept (1945–1960), als erster Generation, das nach dem Leitbild einer Verwahranstalt entstand, sprach man von Insassen. Es gab kaum Gemeinschaftsräume, die Insassen waren in Mehrbettzimmern untergebracht.

Im Stationskonzept (1960–1980), als zweiter Generation, das sich am Leitbild von Krankenhäusern anlehnte, wandelte sich der Insasse zum Patienten. Pflegeabläufe wurden rationalisiert und funktionalisiert. Es gibt bis heute noch Heime mit krankenhausähnlichen Räumlichkeiten, wie z. B. wenige oder kleine Gruppenräume, hallende, dunkle und hochglänzende Flure, karg gestaltete Räume, kaum Rückzugsmöglichkeiten, standardisierte Abläufe, Arbeitsteilung usw.

Im Wohnbereichskonzept (ab 1980), als dritter Generation, das sich am Leitbild Wohnen orientiert, wurden Merkmale einer normalen Wohnung inklusive Gemeinschaftsräumen aufgegriffen. Patienten wurden zu Bewohnern. Es kam zu neuen pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen und einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Der alte Mensch wurde nicht mehr nur defizitär, sondern mit all seinen Ressourcen und Kompetenzen betrachtet. Diese neue Sichtweise der Pflege hatte Auswirkungen auf den Wohnraumdiskurs zum Thema Bewohnerzimmer und dessen Möblierung, Gemeinschaftsräume als Orte der sozialen Integration und Räume für Aktivierung und Therapie.

Das Hausgemeinschaftskonzept (ab 1995), als vierter Generation, wurde erst in den letzten Jahren wirklich sichtbar, mitbedingt durch die zwischenzeitlich zahlreichen neuen gesetzlichen Vorgaben. Es orientiert sich entsprechend dem Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) am Leitbild der Familienorientierung. Zu seinem Konzept gehören Wohngruppen, die sog. Haus- oder Wohngemeinschaften, mit einer Bewohnergröße von 8–12 Bewohnern, dezentralen Strukturen und dem sog. Normalitäts- und Dezentralisierungsprinzip eines normalen Alltags.6 Als Grundlage dient das Leitbild Familie, »alte Menschen erleben Geborgenheit und Normalität«. Gekünstelte oder zusätzliche Aktivierung und Therapie sollen etwas in den Hintergrund rücken, damit aus dem früher daheim geführten Leben bekannte Tätigkeiten und alltägliche Dinge reaktiviert werden.

Somit veränderte sich auch das Wohnraumprogramm. Man benötigt durch das veränderte Konzept lediglich eigene, ausreichend große und dezentralisierte Gemeinschaftsräume und generell weniger Gruppenräume für hausübergeordnete Veranstaltungen, Aktivitäten oder Aktivierungen.

Zwischenzeitlich hat man die vierte Generation um eine fünfte Generation der Quartiershäuser7 ergänzt. Dabei soll neben der Gemeinschaft in einer Gruppe und der Privatheit zusätzlich der Fokus auf dem Sozialraum und der Gemeindeorientierung gelegt werden. »Das Konzept basiert auf drei Prinzipien: Leben in Privatheit, Gemeinschaft und Öffentlichkeit. Für die Bewohner wird Privatheit und eine familienähnliche Gemeinschaft geschaffen. Die Menschen leben in Einzelzimmern und haben eigene kleine Küchen – also einen privaten Rückzugsraum. Angehörige können hier Kaffee kochen, mitgebrachte Speisen erwärmen oder zubereiten und sie gemeinsam mit ihrem Familienmitglied zu sich nehmen – wie Zuhause. Neben den Pantryküchen gibt es in dem Konzept große Wohnküchen, in denen tagsüber immer jemand zugegen ist. In den KDA-Quartiershäusern nehmen die Bewohner auch weiter am Leben in der Öffentlichkeit teil: Sie nutzen Angebote im Quartier oder aber die Einrichtung bietet selbst Veranstaltungen für alle Bürger des Quartiers an.«8

Die Unterscheidungsmerkmale aller Ansätze – bis auf die fünfte Generation – finden sich hauptsächlich in den baulichen Strukturen. Die Veränderungen im Denken, in der Haltung bzw. im Verhalten der Mitarbeiter sind kaum in der Praxis zu beobachten, obwohl es diesbezüglich gute theoretische Forschungsansätze gibt. Und bis heute gibt es ein großes Manko: Leider wird oftmals bei den ersten Planungsschritten ohne die Praktiker geplant und gebaut. Dabei entsteht eine Raumplanung, die nicht zu den Abläufen und dem Leben in der Praxis passt.

1.3Der Sozialraumansatz

Der Sozialraum, auch Quartier genannt, bedeutet generationsgerechte Gemeinwesen-Orientierung. Menschen suchen sich ihren Wohnsitz primär nach der gewünschten Infrastruktur aus. Hierbei gehört es prinzipiell dazu, sozialraumorientierte Handlungsstrategien zu schaffen, die Netzwerkstrukturen und ehrenamtliche Selbsthilfefähigkeiten verfestigen. Neben dem Wohnen ist ein Quartier immer auch ein Ort der sozialen Begegnung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dabei geht es um die persönlichen Interessen und Wünsche der Menschen innerhalb ihres Wohnquartiers. Das kann einerseits bedeuten, dass sie länger in ihren eigenen vier Wänden wohnen können, anderseits aber auch, dass alle Generationen in den verschiedensten Wohn- und Versorgungsangeboten gut miteinander vernetzt sind und sich gegenseitig stützen und helfen.

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Info

In der Gesellschaft besteht weitgehend Konsens darüber, dass die Gestaltung des demografischen Wandels nur gemeinsam, also mit allen Akteuren vor Ort, gelingen kann.

Megatrends wie Individualisierung, Digitalisierung und Assistenzsysteme, strukturelle Veränderungen der Arbeitswelt, neue oder veränderte Familienstrukturen und demografischer Wandel haben Auswirkungen auf das soziale Umfeld innerhalb eines Wohnquartiers. Komplexe Wohnprojekte mit einem Mix aus ambulanten, teil- und auch vollstationären Wohnformen entsprechen diesem Ansatz. Eine zersplitterte Organisationsstruktur innerhalb der Dienstleister verhindert in vielen Orten allerdings die Kooperation und Vernetzung der verschiedensten Akteure.

Fazit Das Quartier

Ein funktionsfähiges Quartier benötigt nicht nur voll- und teilstationäre Pflege, sondern auch barrierefreies Service-Wohnen und Leistungen durch einen ambulanten Dienst oder auch eine Arztpraxis. Begegnungsstätten als Anlaufstellen und weitere Möglichkeiten der Begegnung perfektionieren das Wohnquartier und können durch niedrigschwelliges, bürgerschaftliches und ehrenamtliches Engagement zum Herzstück der Quartiersarbeit werden. In guten Quartierskonzepten profitieren nicht nur die Menschen im Quartier, sondern auch die in den Pflegeeinrichtungen.

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1 Vgl. Dürr U (2004): Organisationsentwicklung in den Einrichtungen der stationären Altenpflege. Empirische Untersuchung von OE-Prozessen im Modell der gepoolten Organisationsberatung. Marburg, Tectum Verlag.

2 Vgl. Kieser A, Ebers M (2006): Organisationstheorien. Kohlhammer Verlag, Stuttgart.

3 So benannt, weil die Professoren ihre Experimente in den einem Werk namens »Hawthorne« durchführten.

4 Vgl. Kieser & Ebers 2006

5 Vgl. Michell-Auli P, Sowinski C (2013): Die 5. Generation: KDA-Quartiershäuser. Ansätze zur Neuausrichtung von Alten- und Pflegeheimen. Medhochzwei, Heidelberg.

6 Vgl. Kaiser G (2012): Vom Pflegeheim zur Hausgemeinschaft Empfehlungen zur Planung von Pflegeeinrichtungen. KDA, Köln.

7 Vgl. Michell-Auli & Sowinski 2012

8 KDA (2020): 2011: Die fünfte Generation: KDA-Quartiershäuser. Im Internet: https://kda.de/ueber-das-kda/die-geschichte-des-kda/

In vielen neuen vollstationären Pflegeeinrichtungen findet sich zwar der neue Wohnraumansatz des Hausgemeinschaftskonzepts der vierten Generation, aber der Organisationsablauf bleibt weiterhin konservativ, funktionsorientiert nach dem Wohnbereichskonzept oder sogar nach dem Stationskonzept, also tayloristisch: funktional und rational gestaltet.

So findet sich eine Sprache, in der von »Pflegeheim«, »Station«, »Patient« oder »Bettlägerigkeit« gesprochen wird. Abläufe, Aktivierungseinheiten, Strukturen und Entscheidungsprogramme, informelle Handlungen, aber auch das Denken und die Haltung der Akteure beziehen sich noch immer auf die arbeitsteiligen Ansätze des Taylorismus.

Weiterhin ist für die Praxis der voll stationären Pflege in den neuen Wohngruppen oftmals unklar, wie das Normalitätsprinzip als »normaler Alltag« umgesetzt werden kann. Wie sollte das auch gehen, angesichts von Wohngruppen mit einer gesetzlichen Höchstgrenze von bis zu 15 Bewohnern? Mit deren diversen Erkrankungen, Einschränkungen und Herausforderungen ist der Alltag an sich schon nicht »normal«.

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Es ist nicht normal, dass mehrere pflege- und hilfsbedürftige Menschen, oftmals unfreiwillig, von ihrer Familie getrennt und aus ihrem bisherigen Lebensraum herausgerissen werden, um dann in einem durchschnittlich 20 qm großen Zimmer mit einer gemeinsam genutzten Wohnküche ihr restliches Leben bis zum Tod verbringen müssen.

Fakt ist, dass wir zwar einerseits einen baulichen Wohnraumansatz für Wohngruppen haben, es uns aber andererseits oftmals an einfachen praxistauglichen Ideen und Interventionen fehlt, um dem Alltag in Wohngruppen gerecht zu werden. Deshalb arbeiten Pflegende auch in den schönen neuen hellen Pflegeeinrichtungen meist noch nach traditionellen, bekannten und bewährten Handlungsmustern.

Das bedeutet, die Pflege pflegt nach wie vor funktional und routiniert. Es gibt weiterhin Bade- und Duschpläne, die Mahlzeiten werden extern vorgekocht und zu vorgegebenen Zeiten in die Gruppen geliefert. Vielleicht werden sie noch vor Ort aufgewärmt und angerichtet.

Parallel gibt es eine wohngruppenübergreifende Angebotspalette von Aktivierungseinheiten und ab und zu wird gemeinsam ein Kuchen gebacken. Es wird wie immer zu definierten Zeiten gepflegt, gegessen und geschlafen. Die Nacht beginnt, wenn der Nachtdienst kommt und in der Regel ist dann ein Großteil der Bewohner im Bett.

Das hört sich sicherlich sehr kritisch und negativ an, aber erst wenn diese Tatsachen wirklich anerkannt werden, kann sich etwas in der Haltung der Pflegenden oder Leitungen ändern. Dazu muss immer wieder die Perspektive gewechselt und gefragt werden: Wie würde ich persönlich heute im Pflegeheim leben wollen?

Wir wissen das übrigens sehr genau, weil wir Bewohner befragen können. Etwa jene, die in Wohngruppen leben und in einer offenen Wohngruppenküche alle Mahlzeiten rund um die Uhr mithilfe einer Alltagsbegleitung selbst zubereiten. Die folgenden Antworten stammen von Bewohnern des Alfred-Behr-Hauses in Haslach, einer Einrichtung, in der Selbstbestimmung eine große Rolle spielt und die Mitarbeiter innovative Ideen haben und entsprechend dem Wohngruppenkonzept organisiert sind:

»Hier darf ich tun, was ich will, auch aufstehen, wann ich will.«

»Ich bin nicht alleine, immer ist jemand in der Küche, dadurch fühle mich sicher.«

»Ich fühle mich noch wertvoll, weil ich etwas leiste.«

»Ich kann mit meinem E-Rolli durch die Räume fahren und schauen was die anderen machen.«

»Ich kann noch etwas, darum helfe ich in der Küche.«

»Ich habe früher schon nicht gerne gekocht, das sollen die anderen machen.«

»Manchmal weiß die Alltagsbegleiterin nicht, wie das Rezept geht, dann sage ich es ihr und toll ist, dass ich um 11 Uhr morgens noch frühstücken kann. Ich bin ein richtiger Langschläfer.«

»Die anderen Bewohner brauchen mich, darum helfe ich beim Kochen mit.«

»Die Alltagsbegleitung kann doch nicht für die vielen Bewohner alleine kochen, die braucht mich.«

»Ich schaue gerne beim Kochen zu.«

»Hier bin ich noch wer.«

»Ich bin gerne alleine in meinem Zimmer.«

»Ich habe meinen festen Sitzplatz in der Küche, sodass ich immer zur Küchenzeile sehen kann. Das finde ich gut.«

»Wenn ich meine Ruhe haben will, gehe ich in mein Zimmer.«

»Wenn ich Hunger habe, gehe ich in die Gruppe, dort gibt es immer etwas zu essen.«

2.1Wohngruppen – eine kurze Typologie

Zwischenzeitlich tauchen in vielen Konzepten Begriffe wie »Hausgemeinschaft«, »Wohngemeinschaft« oder »Wohngruppe« auf, werden aber zum Teil völlig unterschiedlich interpretiert. Um Konzepte in die Praxis umsetzen zu können, bedarf es einer eindeutigen begrifflichen Trennung und einer klaren Definition. Wenn alle daran beteiligten Personen die gleiche Sprache sprechen und die gleichen Definitionen verwenden, können konzeptionelle Umsetzungen einfacher gelingen und Missverständnisse vermieden werden.

Zunächst einmal hat das KDA den Begriff »Hausgemeinschaft« für die vollstationäre Pflege geprägt und versteht darunter eine Gemeinschaft von Bewohnern in stationären Wohngruppen in einer vollstationären Pflegeeinrichtung.

Der Begriff »Wohngemeinschaft« wird dem ambulanten Bereich zugeordnet. Darunter wird ein Leben in ambulanten Wohngruppen (offen oder trägergestützt) verstanden. In beiden Wohnoptionen (Haus- und Wohngemeinschaft) leben mehrere Personen in Gruppen miteinander. Das hauptsächliche Unterscheidungsmerkmal dieser beiden Wohnoptionen besteht einerseits im Raumprogramm und anderseits in einem nicht nur konzeptionell, sondern hauptsächlich organisatorisch veränderten Ansatz.

Laut KDA sind Hausgemeinschaften (und somit auch Wohngemeinschaften) mit einem hohen Grad an dezentralen Strukturen, Normalität und Kleinteiligkeit verbunden. Sie werden mit dem Leitbild der Familie verglichen, das Geborgenheit und Alltag verspricht. Nach diesem Konzept werden in der Wohngruppe alle Versorgungsleistungen wie Mahlzeitenzubereitung, Reinigung der Räume, Wäscheversorgung usw. bewohnernah und integrierend durch eine Bezugsperson (Präsenzkraft oder Alltagsbegleitung) durchgeführt, um einem natürlichen Lebensrhythmus zu entsprechen.

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Pflege erlebt sich in den Haus- und Wohngemeinschaften als Gast, wird bedarfsgerecht vollzogen, rückt jedoch in den Hintergrund*, dominiert also nicht die Abläufe im Alltag.

* Vgl. Kaiser G (2012): Vom Pflegeheim zur Hausgemeinschaft Empfehlungen zur Planung von Pflegeeinrichtungen. KDA, Köln

2.2Das Leitbild »Individualität, Gruppe und Öffentlichkeit«

Viele in den letzten Jahren entstandenen vollstationäre Wohngruppen sind nur teilweise vergleichbar mit dem Ansatz der Hausgemeinschaften des KDA. So haben viele Einrichtungen kein hohes Maß an Dezentralität, sind individueller und spezifischer an die bisherigen traditionellen Strukturen der vollstationären Organisation angepasst und entsprechen eher einem Mix aus ambulanten und vollstationären Wohnformen.

Dieser Umstand hebt aber die Grundidee der Normalität und der Kleinteiligkeit nicht auf, sondern bringt individuellere Lösungen und einen vielseitigeren Handlungsspielraum auch für Quartierskonzeptionen und somit eine hohe Lebensqualität für die Bewohner mit sich. Je nach Raum- und Organisationskonzept hat der Betreiber alle Möglichkeiten, die Abläufe und Versorgung spezifischer zu gestalten.

Deshalb ist es empfehlenswert, diesen vollstationären Wohngruppen das Leitbild Individualität, Gruppenorientierung und Öffentlichkeit im Sozialraumansatz zugrunde zu legen.9 Die Ideen bzw. Handlungsempfehlungen in diesem Buch entsprechen diesem Ansatz und dem Raumkonzept nach einem Wohngruppenansatz mit dem Leitbild von Individualität, Gruppe und Öffentlichkeit.

2.3Das Leitbild »Gruppenorientierung«

Was bedeutet Familienorientierung in einer stationären Wohngruppe? Nach Friedemann10 stellt eine Familie eine Einheit mit Struktur und Organisation dar, die in einer Wechselbeziehung zur Umwelt steht. Dabei besteht die Familie aus allen Mitmenschen, die eine Person als ihre Familie betrachtet, die aber nicht miteinander verwandt sein müssen.

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In einer Familie, die man als eine Primärgruppe verstehen kann, können mehrere Personen verschiedener Generationen und beiderlei Geschlechts in unterschiedlichsten sozialen Rollenzuschreibungen zusammenleben.

Eine Familie wird u. a. gekennzeichnet durch eine enge emotionale Bindung, starkes Verantwortungsgefühl, Zugehörigkeit, Unterstützung und Sicherheit. Familienprozesse sind gegenseitig akzeptiertes Kollektivverhalten. Die Familie existiert für sich ohne einen bestimmten Zweck als Subsystem eines Menschen. Aus ihr kann man nicht entfernt werden, selbst wenn man sich zerstreitet.

In einer vollstationären Wohngruppe können bis zu 15 Personen in einer gruppenähnlichen Formation in einer sogenannten »Sekundärgruppe«11 zusammenleben. Mit Gruppe als kollektivem Subjekt ist hier zu verstehen: Eine Anzahl von 6–15 Personen, die eine Gemeinsamkeit haben, miteinander in Beziehung stehen und untereinander an Kommunikationsprozessen beteiligt sind.

Dabei sind Gruppen (image Abb. 1) generell äußeren, inneren und veränderten Bedingungen dynamisch ausgesetzt und verfolgen ein Grundmuster, haben eine eigene Identität, ein Ziel, sprechen sich gruppendynamische Rollen zu und durchlaufen auch Phasen.

Unterscheidungsmerkmale zwischen einer vollstationären Wohngruppe und einer Familie:

Eine Gruppe setzt sich nicht freiwillig zusammen.

Es gibt keine sozialen Rollenzuschreibungen wie Mutter, Vater, Kinder usw.

Jede Person wird aus ihrem individuellen bisherigen Leben durch Pflegebedürftigkeit herausgerissen.

Es sind die verschiedensten gerontologischen und multimorbiden Erkrankungen vorhanden.

Es ist keine (Grund)Identifikation vorhanden und, je nach Belegungssituation, wird sie auch nicht entstehen.

Die Bewohner bringen die unterschiedlichsten kulturellen und soziologischen Lebensbiografien mit.

2.3.1 Das Leben in Wohngruppen

Eine Bewohnergruppe ist keine Familie und sollte auch nicht so verstanden werden. Das »Leitbild Familie« und seine Übertragung auf »Alte Menschen erleben Geborgenheit und Normalität«12 führt im Alltag eher zu Problemen. Beobachtungen zeigen, dass für die Bewohnergruppe, aber auch für die Mitarbeiter, insbesondere für die Alltagsbegleiter, das Leitbild »Familie« nicht umzusetzen ist. Allzu schnell erhalten sie eine klassische Rolle zugesprochen, wie etwa die der Mutter. Dabei besteht die Gefahr, dass sich der Mitarbeiter/Alltagsbegleiter durch solche Zuschreibungen von sozialen Rollen zu stark ins Geschehen einbringt13 und steuern will.

Familienorientierung bedeutet daher nicht, dass die Bewohner in einer Wohngruppe wie in einer Familie zusammenleben, sondern jeder Bewohner bringt seine Familie als individuelles Subsystem in die Wohngruppe mit. In der Praxis wird am Beispiel der Wohngruppe bei Tisch die Komplexität immer wieder deutlich. Hierbei ist es besonders herausfordernd, den vielen Akteuren mit den individuellen Ansprüchen gerecht zu werden.

Deswegen benötigen die Praktiker unbedingt neue praktische Interventionsansätze (image Kap. 3.6), bei denen das Subsystem Familie des einzelnen Bewohners, aber auch die Dynamik der Bewohnergruppe im Blickpunkt stehen sollte.

2.3.2 Wirkliches Wohnen in einer Wohngruppe

Wohnen meint allgemein unsere Handlungen, ritualisierte und alltägliche Abläufe, die unser Leben im Wohnraum ausmachen. Es geht um die regelmäßige Wiederholung von Abfolgen wie Kochen, Essen, Duschen, Schlafen, Ausruhen oder Aufräumen. Diese Dinge machen wir, ohne darüber nachzudenken. Es entsteht eine Gewohnheit, durch die ein Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und zufriedener Ruhe erzeugt wird. Wir spüren, es ist gut, wie es ist.

Der Begriff Wohnen wird aus dem germanischen Wortstamm »wunian« abgeleitet und meint so viel wie »Wonne«, »wohlfühlen«14. Die Wohnung eines Menschen spiegelt ein Stück seiner Persönlichkeit wider, durch ihre Ausgestaltung wird Vertrautheit geschaffen. Somit wird ein Raum durch eine individuelle Ausstattung zum persönlichen Wohnraum. Die Türschwelle bildet die Grenze. »Aus dem Prozess der Gewöhnung geht jene Vertrautheit mit einer Umgebung hervor, die man im engeren und im weiteren Sinne Wohnen nennen kann. Das eigene Leben kann sich einrichten, wenn Gewohnheiten die Fremdheit durchbrechen und für Vertrautheit sorgen.«15 Wer schon einmal umgezogen ist, weiß um die Macht der Gewohnheit und kennt das Gefühl des leichten Orientierungsverlustes, wenn die neue Wohnung gerade erst bezogen wurde.

Auch in der Bezeichnung »Bewohner« steckt das Wort wohnen und es bezeichnet eine Person, die einen Raum bewohnt. Bewohner meint nicht »Patienten« oder »Gast«, der nur kurzfristig ein Zimmer nutzt. Somit bekommen die Worte »Bewohner einer Wohngruppe« eine doppelte Wichtigkeit. »Dabei geht es um die Erlebbarkeit räumlicher Grenzen zwischen ?der Welt? und dem Eigenraum, dem Privaten.«16

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Krankenhausähnliche Räumlichkeiten oder hotelähnliche Arrangements werden dem Wesen des »wirklichen« Wohnens keinesfalls gerecht!

In einer vollstationären Pflegeeinrichtung mit kleinen dezentralen Wohneinheiten sprechen wir vom Wohnen in einer Wohngruppe. Wir haben hier Gemeinschaftsräume, die einerseits vom Kollektiv, der Gruppe und den Mitarbeitenden, genutzt werden, aber auch von einzelnen Menschen. Diese Gemeinschaftsräume sind für individuelle ritualisierte Abläufe, Gewohnheiten eminent wichtig. Auf der anderen Seite haben wir zahlreiche, einzelne, individualisierte Bewohnerzimmer, die den wirklichen individuellen persönlichen Eigenraum darstellen.

Dieser Art von Wohnen entspricht auch dem neuen Wohntrend, der wegführt von einer klassischen Raumaufteilung in Küche, Ess-, Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer. Stattdessen gibt es Rückzugs- und Repräsentationsräume. Wohn- und Kochbereich verschmelzen zur offen Wohnküche, zum Treffpunkt von Familie und Freunden. Das Bad wird zur Wellness-Oase, dank digitalem Fortschritt ist das Arbeiten nicht mehr an ein bestimmtes Zimmer gebunden, Schlafzimmer werden zu Rückzugsorten etc.

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9 Vgl. Boschert S, Eiben A, Knörr AL, Lautenschläger M (2013): Zukunft der Pflege. Prämierte Arbeiten des BKK Innovationspreises Gesundheit 2012. Hrsg. BKK Landesverband Hessen. Mabuse Verlag, Frankfurt.

10 Vgl. Planer K (2010): Haus- und Wohngemeinschaften. Neue Pflegekonzepte für innovative Versorgungsformen. Huber-Verlag, Bern.

11 Vgl. Ratheiser KM, Menschik-Bendele J, Krainz EE, Burger M (2011): Burnout und Prävention. Ein Lesebuch für Ärzte, Pfleger und Therapeuten. Springer Verlag, Wien.

12 Kaiser 2012, S. 25

13 Vgl. Boschert et al. 2013

14 Feddersen E, Lüdtke I (2018): Entwurfsatlas Wohnen im Alter. Birkhäuser Verlag GmbH, Basel, S. 39

15 Ebd.

16 Ebd.

Die folgenden Ideen sollen Sie zum Nachdenken und Reflektieren anregen, Ihnen zugleich aber Handlungsempfehlungen, ja sogar Inspirationen geben. Je nachdem, welchen Ansatz Ihre Einrichtung verfolgt oder in welchen Spannungsfeldern sie sich befindet, können Sie sich abwandeln. Es ging dabei nicht um Vollständigkeit oder gar den Ersatz für Expertenwissen. Aber wenn eine der folgenden Situationen auf Sie zutrifft, finden Sie hier bewährte Ideen aus der Praxis:

Sie stehen vor einem Neubau mit Erstbezug und neuem Team.

Sie planen einen Ersatzneubau und den Umzug einer traditionellen Pflegeeinrichtung mit einem bestehenden Team.

Sie planen Umbaumaßnahmen und Sanierungen.

Sie arbeiten nach dem Wohngruppenansatz mit einer Ablauforganisation nach dem traditionellen Wohnbereichssystem.

Sie arbeiten in einer teilstationären Altenpflege- oder einer Tagespflegeeinrichtung.

Wichtig Der # (hashtag)

Ein hashtag ist ein Wort oder eine Phrase, bezeichnet mit dem #, dem Doppelkreuz. Der Name hashtag setzt sich aus dem englischen »hash« für das Doppelkreuz # und »tag« für eine Markierung zusammen. Im Social Networking hilft der hashtag dabei, einen Satz, eine Nachricht oder ein Schlagwort wiederzufinden. Zwischenzeitlich steht der hashtag auch dafür, etwas sehr pointiert auszusagen.

Genauso werden in diesem Buch die #hashtags benutzt.

3.1Architektonische Grundlagen und Wohnraumgestaltung

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#tolive

#healingarchitecture

#schlauplanen

#innvoationpflegeheim

#fürdiepraxisplanen

#identitätleben

Das Wohnen und das Wohnumfeld beeinflussen die Lebensqualität direkt und indirekt. Wohnen bedeutet u. a. ein Zuhause, einen Platz in dieser Welt zu haben, der Sicherheit, Schutz und Geborgenheit bietet. Viele der im Pflegeheim lebenden Menschen mussten oft ungewollt von heute auf morgen in eine vollstationäre Einrichtung umziehen. Dieses urplötzliche Verlassen der gewohnten, persönlichen und vertrauten Umgebung, einhergehend mit der Tatsache, sich im fremden Umfeld neue Gewohnheiten aneignen zu müssen, erzeugen zunächst Unsicherheit und Orientierungsverlust. Zudem sind die Menschen nun plötzlich Bedingungen unterworfen, die andere für sie entworfen haben.

So legen die Bundesländer in Deutschland grundsätzlich die Mindeststandards bei den Flächen und der Finanzierung pro Pflegeplatz fest. Dabei sind die Raumprogramme, Größenangaben und Platzzahlen unterschiedlich und unterliegen den Landesheimgesetzen und der bundesweit gültigen Heimmindestbauverordnung (HeimMindBuVO). Grundsätzlich kann man jedoch, unabhängig von der Refinanzierung und dem angestrebten Konzept, sagen, dass für einen Mindestqualitätsstandard 45–55 qm Raum pro Bewohnerplatz benötigt wird.

In neuen innovativen Wohngruppenkonzepten (image Kap. 2) geht es um ein ökonomisches, nachhaltiges und kluges Erschließungskonzept, in dem der Bewohner in seiner Wohngruppe seine Identität leben kann.

Vor der räumlichen Planung sollte ein konzeptioneller Diskurs stattfinden und erst danach eine Anpassung der Raumplanung an das umzusetzende Konzept. Dieser Diskurs benötigt mehrere Blickwinkel: den des Architekten, den der Pflegenden, aber vor allen Dingen auch den Blickwinkel der Bewohner. Dabei sollten verschiedene Denkansätze diskutiert werden. Worauf wollen Sie einen Schwerpunkt legen?

Viele sprechen vom Alltagsansatz und Wohnen wie zuhause, schaffen aber atmosphärisch eine Art von Hotel, in dem sich niemand heimisch, sondern nur wie ein Übernachtungsgast fühlt. Viele sprechen vom Alltagsansatz und Wohnen wie Zuhause, schaffen aber eher eine Hotel-Atmosphäre, in dem sich die Wenigsten heimisch fühlt, sondern eben nur wie ein Übernachtungsgast.

3.1.1 Beziehen Sie die Mitarbeitenden in die Raumplanung ein

In erster Linie geht es zwar um den Lebensraum der zukünftigen Bewohner, dennoch dürfen die Raumbedarfe der Mitarbeitenden bei der Planung nicht vernachlässigt werden, schließlich tragen sie maßgeblich zum Wohlbefinden der Bewohner bei.

So unterstützen Personalräume, die dem Praxisalltag angepasst sind, einen reibungslosen Ablauf und ermöglichen erholsame Pausen. Sie tragen als positiver Nebeneffekt dazu bei, dass sich die Mitarbeiter wohler, wertgeschätzt und motiviert fühlen. Beziehen Sie darum die zukünftigen Mitarbeiter in die Raumplanung mit ein!17

3.1.2 Bei der Planung sind alle Sparringspartner

In der Regel sind bei einer Planung einer Pflegeeinrichtung sehr viele Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen involviert und es kann bereits im Findungsprozess schnell zu Schwierigkeiten kommen. Der technische Dienst, die Hauswirtschaft oder die Pflegedienstleitung betrachten und bewerten ein und dieselbe Sache aus ganz unter-schiedlich Blickwinkeln. In hierarchischen Strukturen besteht die Gefahr, dass die Ansichten und Meinungen der unteren und mittleren Ebene nicht gehört werden oder dass diese sich schon von vornherein überhaupt nicht trauen, ihre Standpunkte kundzutun. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, um das Wissenspotenzial aller Beteiligten herauskitzeln zu können. Dieser mühsame und langwierige Prozess kann nur gelingen, wenn man sich gegenseitig als Sparringspartner sieht, der Profil zeigt, um dadurch zu einem optimalen Ergebnis zu kommen. Sorgen Sie für eine gute Moderation der Diskussionen und eine übersichtliche Darstellung der Ergebnisse!

3.1.3 Planungsvorgaben – mutige Diskussionen erlaubt

Je nach Bundesland haben Sie unterschiedliche rechtliche Grundlagen als Planungsvorgabe. Rechtliche Grundlagen sind gegeben und es ist meist beschwerlich und zeitraubend, sich inhaltlich gegen diese und die vertretenden Behörden abzumühen, zumal dies in den seltensten Fällen von Erfolg gekrönt ist. Dennoch lohnt es sich im Einzelfall, in die Diskussion zu gehen und mittels praxisbezogener Konzeptideen zu überzeugen.

Verschaffen Sie sich einen gesetzlichen Überblick über Doppelzimmer, Sollbruchstellen oder das Nutzen von einem gemeinsamen Bewohnerbad für zwei Bewohner usw. und denken Sie sich verschiedene Praxisszenarien als Argumentationshilfe aus. Führen Sie selbstbewusst und mutig Diskussionen!

3.1.4 Achten Sie auf eine gesundheitsfördernde Architektur (healing architecture)

Sobald die Erwartungen der Einrichtung an den Sozialraum, das Quartier, (image Kap. 1.3) geklärt sind, also feststeht, wie diese ins Quartier eingebunden wird, können weitere Überlegungen folgen.

Eine Pflegeeinrichtung wird für Menschen geplant, die krank, hilfsbedürftig, verunsichert, verwirrt, ausgeliefert, wehrlos, verängstigt oder zutiefst verletzt sind. Diese Kriterien sollten insofern bei der architektonischen Planung besonders berücksichtigt werden. Es empfiehlt sich, bei der Planung nicht nur medizin-technische Auflagen, bautechnische und heimrechtliche Anforderungen zu berücksichtigen, sondern ganz genau zu erfassen, was den Bewohnern in einer Pflegeeinrichtung gut tut und was Mitarbeiter für die optimale Verrichtung ihrer täglichen Aufgaben benötigen. Das kann mit Atmosphäre, Akustik, Licht, Farben, Formen, Möblierung, Beschaffenheit von Materialien und deren Verarbeitung sowie therapeutischen Konzepten und Ansätzen zusammenhängen.

»Für den Architekten muss deshalb vorrangig sein, für den Menschen in seiner Gesamtheit zu planen und nicht, wie es manchmal der Fall ist, sich in formalen Arabesken selbst darzustellen. Um für den Menschen als Einheit von Körper, Geist und Seele Räume zu gestalten (...)«18 Hierzu sollte grundsätzlich klar sein, wozu die Räume dienen, welchen Nutzen sie haben und welchen Bedürfnissen sie entsprechen sollen.

3.1.5 Ein gutes Quartierskonzept benötigt ansprechende Quartiersräume

Wenn Sie ein Quartierskonzept planen, benötigen Sie dafür ein entsprechendes Raumprogramm. Überlegen Sie sich, welche Bausteine Sie für Ihr Quartier möchten und bedenken Sie, was dazu benötigt wird. Begegnungsmöglichkeiten für Menschen außerhalb der Einrichtungen benötigen gesonderte Räume für Veranstaltungen, Toiletten, vielleicht einen externen Ein- und Ausgang, eine Verteilerküche, Beratungsräume und vieles mehr. Vergessen Sie dabei nicht ein ansprechendes Design, damit die Räume Lust aufs Quartier machen!

3.1.6 Legen Sie Wert auf eine orientierungsfördernde Architektur

Es geht bei der orientierungsfördernden Architektur in Pflegeeinrichtungen schon längst nicht mehr allein um eine Diskussion über Handläufe, Leitsysteme an den Wänden oder die Gestaltung der Inneneinrichtung, sondern um die architektonische Gebäudegestaltung und um die Erschließung mannigfaltigster Räume, die gleichermaßen für Menschen mit einer demenziellen Erkrankung und Menschen mit anderen Erkrankungen genutzt werden können. Kleine Wohngruppeneinheiten sind schon von sich aus orientierungsfördernd. Das gilt auch für Erschließungskonzepte mit einfachen, gradlinigen Flurtypen, Ess- und Aufenthaltsräumen in zentraler Lage, wodurch der Bewohner sozusagen »alles im Blick« hat bzw. sehen kann. Was können für Sie weitere, orientierungsfördernde Parameter sein?

3.1.7 Ladestation für E-Rollis nicht vergessen

Selbstbestimmt leben heißt, soziale Kontakte und aktive Freizeitbeschäftigung nach eigenem Ermessen und Belieben hegen und pflegen. In modernen Einrichtungen werden die Bewohner hinsichtlich ihrer Mobilität gefördert und E-Rollis sind immer häufiger anzutreffen. E-Rollis benötigen deutlich mehr Platz als normale Rollstühle und können oft nicht mehr im Zimmer untergebracht werden.

Planen Sie für die sperrigen Elektrorollstühle oder Multifunktionsrollstühle einen trockenen windgeschützten Ort mit Elektroladestelle.

3.1.8 Platz für E-Bikes und E-Autos vorsehen

Allgemeine Parkplätze müssen je nach räumlichen Gegebenheiten und gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden. Im Zeitalter einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Mobilität gehören Elektrofahrzeuge und E-Bikes (Pedelecs) sicherlich für den einen oder anderen Träger mit zum allgemeinen Fuhrpark. Auch für Mitarbeiter und Besucher könnte dies eine Alternative für die herkömmlichen Fahrzeuge sein. Denken Sie bei der Planung also an entsprechende Ladestationen. Die E-Fahrzeug-Besitzer werden es zu schätzen wissen, wenn sie auf dem Parkplatz auch noch eine Ladestation vorfinden.

3.1.9 Sesam öffne dich – die Eingangstür

Automatische Schiebetüren, die sich mit Hilfe von Bewegungssensoren öffnen, entsprechen der Barrierefreiheit und erleichtern allen Menschen einen komfortablen und einladenden Eintritt. Auch aus gesundheitlicher und hygienischer Sicht sind solche Automatik-Türen ideal, weil sie nicht mehr von Hand geöffnet werden müssen, wodurch das Übertragen von Keimen durch die Hände vermieden wird.

Bei einer einzigen Schiebetür, die sofort nach innen oder außen führt, besteht allerdings der Nachteil, dass jedes Mal beim Vorbeigehen die Tür auf und zu geht. Dadurch entsteht Durchzug im Eingangsbereich, was vor allem in der kälteren Jahreszeit sehr unangenehm werden kann.

Hier empfiehlt es sich, in eine zweite automatische innere Schiebetür zu investieren, die durch einen großzügigen Windfang von der äußeren Tür getrennt ist. Als Nebeneffekt werden Energiekosten gespart und der Verkehrslärm besser abgehalten. Durch das Auslegen einer Schmutzfangmatte im Windfang kann man zudem noch ohne großen Aufwand für einen sauberen und trockenen Eingangsbereich sorgen.

Der Eingangsbereich im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Bohlsbach (image Abb. 3) hat keinen Windfang mit einer inneren Schiebetür. Die Verkehrsflächen werden als Kommunikationsinseln mit genutzt.

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Abb. 3: Der Eingangsbereich im Dietrich-Bonhoeffer-Haus Bohlsbach mit Blick in den Quartiersraum.

3.1.10 Der Eingangsbereich – die Visitenkarte des Hauses

Der erste Eindruck zählt und kann durch einen einladenden Eingangsbereich gefördert werden. Sessel, Tischchen und Schränkchen mit Zeitungen und Magazinen schaffen schnell eine gemütliche und einladende Atmosphäre. Hier können Informationen zum positiven Eindruck beitragen. Sinnvoll wären Infos über

das Haus und den Träger,

den Namen des Hauses und seine Geschichte,

anstehende Veranstaltungen,

Bewohnernamen mit Zimmernummern (nur wenn von den Bewohnern gewünscht),

den Speiseplan,

Vorstellung der Mitarbeiter durch perfekte Fotos

etc.

Falls gewünscht, können auch die Mitarbeiter anhand von Fotos vorgestellt werden. Dafür ist es klug, einer Mitarbeiterin die Verantwortung zu übertragen, die Bilder hinsichtlich der Mitarbeiter immer auf dem aktuellsten Stand zu halten. Die Informationsdarstellung kann via Bildschirm und entsprechendem Programm oder Fotos, Schautafel, Flyer in einem Ständer, Tafeln an den Wänden etc. erfolgen.

3.1.11 Notrufanlage und Smart Home

Sicherheit spielt für die Bewohner eine große Rolle und sie benötigen nicht nur in Notfällen schnelle Hilfe, sondern auch in alltäglichen Situationen. Es ist sinnvoll, die Rufanlage an die Raum- und Pflegekonzeption anzupassen und sie nicht einfach standardisiert zu planen, ohne die Praktiker mit einzubeziehen.

Folgende Aspekte sollten dabei mitbedacht werden:

die Standorte der Druck- oder Zugtaster (Birnentaster),

die Optik und Größe der Meldesysteme (können schnell an ein Krankenhaus erinnern),

der Standort für das Display, auf dem sichtbar wird, wo der Ruf ausgelöst wurde,

der Ort der Signalleuchte der Lichtmeldungen in den Fluren,

spezielle Programmierungen je nach Raumkonzept (Gruppenschaltungen usw.),

Weiterleitungen auf Telefone und Türöfner,

Aufschaltungen auf Türsprechanlage, Sprechanlage in Fahrstühlen und Brandmeldeanlagen.

In einer Pflegeeinrichtung sind ausreichend Steckdosen in den Bewohnerzimmern, Wohngruppenküchen, Büro- und Lagerräumen, aber auch in den Fluren ein elementares Thema und sollten ausreichend geplant werden. In der Praxis und für die täglichen Aktionen in einer Pflegeeinrichtung sind diese Mehraufwendungen für die Elektrik eine lohnende Investition.

3.1.12 Leitsystem – kein Leitdschungel

Hinter jeder Tür steckt zwar ein Raum, der eine Funktion mit entsprechendem Namen hat, aber deshalb muss nicht zwangsläufig jede Tür beschriftet werden. Würden Sie zuhause sämtliche Türen beschildern? Sicherlich nicht!

Schaffen Sie deshalb ein sinnvolles Leitsystem und beschildern Sie nur jene Räume, die für die Bewohner oder Besucher relevant sind. Der Vorteil ist, dass die Flure dadurch weniger nach Krankenhaus aussehen. Mitarbeiter finden ihre Räume außerdem auch ohne Beschriftung.

3.1.13 Kreative Raumbezeichnungen

Schon bei der Planung erhalten die Räume oft einen Namen, der später auch auf den Türschildern zu finden ist. Durch eine geschickt gewählte Bezeichnung können Räume positiv und kreativ gekennzeichnet werden. Warum nicht einen »Besprechungsraum« als »Denkraum« bezeichnen? Warum nicht »Team-Insel« statt »Personalzimmer«? Kreative Raumbezeichnungen führen fast wie von selbst auch zu schöneren Türschildern oder besonders schön gestalteten Beschriftungen an den Türen.

3.1.14 Setzen Sie architektonische Landmarken

Landmarken sind eine Orientierungsform19 nicht nur für Menschen mit einer demenziellen Erkrankung, sondern auch für ältere Menschen mit Orientierungsproblemen. In »komplexen architektonischen Gebäuden orientiert sich der Nutzer von Punkt zu Punkt«20 und entwickelt seine eigene kognitive Landkarte. Vermeiden Sie ein langweiliges Leitsystem und schaffen Sie mit architektonischen Landmarken ein kreatives Informationssystem, damit sich die Bewohner zurechtfinden.

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Info

Architektonische Landmarken können Farbverläufe an den Wänden, unterschiedliche Bodenbeläge, Lichtspiele durch szenische Lampen, aber auch bewusst platzierte Möbelstücke sein.

3.1.15 Sorgen Sie für ausreichende aber auch atmosphärische Lichtverhältnisse auf den Verkehrswegen

Dunkle Flure und Schattenbilder können Spiegelungen und Trugbilder hervorrufen, die Angst auslösen können. Menschen mit einer Sehschwäche oder einer demenziellen Erkrankung können Spiegelbilder als Hindernis wahrnehmen, was zu Stürzen führen kann. Lichtblendungen können für alte Menschen unüberwindbare Barrieren bedeuten und Schatteneffekte verunsichern vor allem demenziell Erkrankte. Verunsicherung bedeutet immer die Gefahr von Rückzug und somit den Verlust von Selbstständigkeit. Darum ist eine gute, indirekte Beleuchtung in Fluren und anderen Verkehrsflächen wichtig. »Eine zylindrische Beleuchtungsstärke von ca. 500 lx in Augenhöhe und eine horizontale Beleuchtungsstärke 200 bis 300 lx auf dem Boden wird als ideal empfunden.«21

Empfehlenswert sind in den Fluren zwei verschiedene Lichtquellen, je eine für die Tag- und Nachtlichtschaltung. Nicht nur sparsam, sondern auch praktisch ist es, wenn ein indirektes Nachtlicht mit einem Bewegungsmelder gekoppelt ist. Leuchtmittel mit einem gelblichen Schimmer geben viel wärmeres Licht ab als solche mit einem hohen Blauanteil.

3.1.16 Erfinden Sie Alltagsszenarien für das Lichtkonzept

Ein Lichtkonzept benötigt neben Lampen und Leuchtmitteln auch einen klaren Plan, wie diese miteinander verknüpft sein sollen und geschaltet werden. Hier lohnt es sich, mit den Praktikern Szenarien typischer Alltagshandlungen zu beschreiben:

Was passiert am Abend in einer Wohngruppe?

Wie soll das Licht zum Spielabend oder beim gemütlichen Zusammensein geschaltet sein?

Gibt es ein Wohnzimmer und kann man das Licht vor Ort ein- und ausschalten?

Wo sind generell die Ein- und Ausschalter angebracht, vor Ort oder an einem zentralen Tableau?

Wie ist die Flurbeleuchtung geschaltet, insbesondere wenn die Flurlampen Teil der Wohngruppen sind?

Ist die Lampenschaltung der Wohngruppen auf einer Ebene (Wohnbereich) getrennt voneinander schaltbar?

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Tipp

Erstellen Sie für die Planer als Vorgabe einfache und für die Laien verständliche Alltagsszenarien aus der Praxis. So können Sie ein richtig gutes und nachhaltiges, aber auch praxistaugliches Lichtkonzept erstellen.

3.1.17 Farben wirken sich aufs Wohlbefinden aus

Wie sich Farben auf das Wohlbefinden und die Orientierung auswirken können, wurde in den letzten Jahren immer wieder diskutiert. Je mehr Wissen über Bedeutung und Wirksamkeit von Farben auf den Menschen bestand, umso häufiger wurden farbliche Veränderungen von Wänden, Türen oder Möblierung durchgeführt. Es ist jedoch ein Irrglaube, dass man mit einem bewussten Farbeinsatz »entsprechende Wirkungen und Stimmungen auch gezielt hervorrufen oder unterstützen«22 kann.

Menschen sind unterschiedlich und entsprechend unterschiedlich wird die Farbgebung wahrgenommen. Auch differiert diese Wahrnehmung je nachdem, in welchem Zustand sich eine Person befindet. Heute gibt es Untersuchungen darüber, dass eine grüne Wandfarbe nicht das gleiche Wohlbefinden auslöst, wie der Blick auf eine grüne Gartenanlage. Deshalb geht es in modernen Pflegeeinrichtungen mit kleinen Wohngruppen nicht mehr darum, ob eine Wohngruppe eine gelbe oder eine grüne Wandfarbe hat, ob man die Tür oder den Türrahmen durch Farben hervorhebt oder etwa alles im mediterranen Stil gehalten wird.

Es geht um eine neutrale Einheit von Wandfarben, Bodenbelägen, Vorhängen, Möblierung und Dekoration. Außerdem sollten und können Sie farbliche Akzente je nach veränderter Klientel in den Gemeinschaftsräumen hin und wieder hinterfragen und gegebenenfalls verändern. Natürlich können parallel dazu Farben in öffentlichen Nutzungsräumen, wie z. B. Fluren, als Orientierung oder als Kontraste dienen.

3.1.18 Planen Sie Bodenbeläge entsprechend der zukünftigen Raumnutzung

Auch die Art und die Farbe des Bodenbelags sind von entscheidender Bedeutung. In Funktionsräumen ist sicherlich ein funktionaler Boden mit Fliesen vorzuziehen, in allen anderen öffentlichen Gemeinschaftsräumen schafft jedoch ein Boden aus Holz oder in Holzoptik ein warmes und natürliches Ambiente. Ob Sie den Boden in den Bewohnerzimmern anders gestalten möchten oder ebenso wie in den öffentlichen Räumen, ist sicherlich Geschmackssache. Unabhängig davon ist es auf jeden Fall sinnvoll, den Bodenbelag in Bezug auf Beschaffenheit und Farbgebung auf die Möblierung der Zimmer abzustimmen.

»Farbe kann durch Kontraste Sicherheit vermitteln: Beispielsweise mit Hilfe deutlich in ihren Umrissen erkennbaren Mobiliars, das sich von Boden und Wand abhebt oder auch leicht erkennbarer Handläufe. Stufen können im Bodenbelag und Sanitärobjekte vor Wänden farblich kontrastieren. Sturzprophylaxe ist ein handfestes Argument für das gezielte und gekonnte räumliche Farbkonzept…«23

Menschen mit einer Sehbehinderung oder einer demenziellen Erkrankung haben Schwierigkeiten, wenn sie in einen anderen Bereich gehen und der Bodenbelag wechselt. Bodenübergänge sollten deshalb einheitlich und fließend gestaltet werden. Es sei denn, Sie möchten verhindern, dass der Bewohner einen Bereich betritt!

Wird nun die Wandfarbe in einer ähnlichen Farbe wie der Bodenbelag gestaltet, wirkt alles monoton und eintönig. Wände, die farblich im Kontrast zum Boden stehen, erzeugen ein anderes Raumgefühl und können zu mehr Sicherheit beitragen!

Kontraste entstehen auch durch eine abweichende Farbgebung der Möblierung oder der Türen. Wenn die Wände und Türen die gleiche Farbgebung aufweisen, besteht die Gefahr, dass sie nicht wahrgenommen werden. Dieses Wissen kann man selbstverständlich nutzen um Bereiche, wie etwa Treppenhäuser oder Fahrstühle, die Bewohner nicht betreten sollen, gezielt zu kaschieren.

3.1.19 Planen Sie einen Lagerraum für die Reinigungswagen ein

Die unterschiedlichsten Flächen benötigen verschiedenste Reinigungsmittel und Hilfsmittel. Auch um allen Hygienerichtlinien entsprechen zu können, werden weitere Mittel benötigt. Das bedeutet, es wird mehr Platz für die Unterbringung der Putzmittel und der Reinigungswagen benötigt.

Da die Anzahl der Reinigungswägen und folglich deren Platzbedarf eng mit der zukünftigen Einsatzplanung der Reinigungskräfte verknüpft ist, sollten Sie sich schon frühzeitig damit beschäftigen, die korrekte Größe für den Lagerraum zu finden.

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Tipp

Sie haben zu wenig Räume für Ihre Pflegewagen, aber vielleicht im Flur, mit angemessener Breite, noch die eine oder andere Wandfläche übrig? Dann planen Sie bodentiefe Wand oder Einbauschränke, in denen Sie mit den Wagen einfach hineinfahren können.

3.1.20 Nutzen Sie Flure optimal für Stauraum

Brandschutzverordnungen und Fluchtwege verhindern oftmals in den Fluren das Abstellen von Abwurfwagen, Pflegehilfsmitteln, usw. Natürlich ist es auch nicht besonders schön, wenn Flure mit Hilfsmitteln und Wäsche- oder Müllwagen vollgestellt werden. Um dies zu vermeiden, lohnt es sich bei der Raumplanung besonders, begehbare Wandschränke und Abstellräume einzuplanen.

Wird dabei auch noch die Ablauforganisation der Pflege mitberücksichtigt, dass also beispielsweise pro Schicht immer fünf Mitarbeiter anwesend sind und diese einen Pflege- und Abwurfwagen für ihre Pflegetour nutzen, kann anhand dieser Angaben die benötigte Größe der Räume und Schränke genau berechnet werden.

3.1.21 Planen Sie ausreichend Zusatzräume und Einbauschränke ein

Sie haben zuhause bestimmt einen Hauswirtschafts- oder Lagerraum? Neben der Planung von ausreichend Platz für den Küchen-, Ess- und Wohnbereich ist es unabdingbar, in Reichweite der Wohngruppe weitere Räume zu planen.

Neben einem Vorratsraum für Lebensmitteln, einem Raum oder Platz für Getränkevorrat, Reinigungswagen und Staubsauger, ist es auch sinnvoll, weitere Wandschränke in den Wohngruppen für Kleinigkeiten wie etwa Blumenvasen zu planen.

3.1.22 Beidseitige Handläufe sind nicht mehr nötig

Handläufe dienen der Sicherheit und Mobilität und sind somit wichtig für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Gleichzeitig zerstören sie aber oftmals optisch den Wohnraum bzw. die Wand und machen deutlich, dass hier immobile Menschen leben.

Beidseitige Handläufe in Fluren oder Gemeinschaftsräumen können heutzutage in Bezug auf ihre Sinnhaftigkeit diskutiert werden. Ein Großteil der Bewohner, sofern sie noch gehfähig sind, besitzt einen Rollator oder andere Gehilfen. Infolgedessen reichen einseitige Handläufe oft aus. Natürlich sollte dies vor der Realisierung immer bei der zuständigen Behörde angesprochen und geklärt werden.

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Abb. 4: Handlauf im Flur des Alfred-Behr-Hauses, Caritasverband Kinzigtal e. V.

Handläufe können, wenn sie kreativ designed werden, weniger auffällig in die Wand eingearbeitet werden und als Sinnesreiz für zusätzliche Zwecke wie z. B. als Ablage für interessante Dinge wie Muscheln, Süßigkeiten, Nudeln, Knöpfe usw. genutzt werden.

Allerdings sollten Sie in einer Wohngruppe für demenziell erkrankte Bewohner eher größere Dinge nehmen, um eine Verschluckungsgefahr von vornherein auszuschließen.

3.1.23 Nischen und Flurenden als kleine Ruheinseln für die Bewohner

Nischen, Flurenden und Zwischenräume müssen nicht langweilig und steril wirken. Gestalten Sie diese als Ruheinseln, indem Sie dort Sessel und ansprechende Dekorationselemente platzieren. Wenn Sie gleichzeitig durch entsprechende atmosphärische Landmarken für visuelle Reize sorgen, finden sich die Bewohner gut im Raum zurecht und werden diese kleinen Inseln genießen. Schön sind dabei Wanduhren, schöne alte Antiquitäten, Stehlampen, Fotos oder Bilder an den Wänden.

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Abb. 5: Ruheinsel im Alfred-Behr-Haus, Caritasverband Kinzigtal e. V.

3.1.24 Sehr Praktisch: zwei Wohngruppen auf einer Etage

Es ist nicht nur sinnvoll, zwei Wohngruppen mit einer Wohngruppengröße von 13–15 Bewohnern auf einem Stockwerk zu planen, sondern es entspricht auch den zahlreichen gesetzlichen Vorgaben und Empfehlungen. Die Ablauforganisation kann, mit zwei Wohngruppen pro Stockwerk, den bisherigen Abläufen eines Wohnbereichskonzeptes besser entsprechen.

So sieht z. B. das erste Obergeschoss im Pflegeheim Steinbach aus:

zwei Wohngruppen mit je 15 Bewohnern,

jede Gruppe mit offener Wohngruppenküche,

zusätzlich ein offenes Wohnzimmer,

ein geschlossenes Themenzimmer,

gemeinsamer Pflegestützpunkt für beide Wohngruppen zentral zwischen den Wohngruppen.

3.1.25 Kleine Wohneinheiten für Spezialisierungen

Kleinere Wohneinheiten in Gruppen bieten sich für besondere Konzepte als Spezialisierungen an. Je nach Bedarf im Sozialraum und vorangegangener Marktanalyse könnten dies sein:

Junge Pflegebedürftige,

Menschen mit Handicap,

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842690721
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Pflegemanagement & -planung Selbstbestimmt im Alter Konzepte im Alter Psychiatrie Kommunikation Sozialwissenschaft Altenpflege

Autor

  • Silke Boschert (Autor:in)

Silke Boschert ist examinierte Altenpflegerin, war in der ambulanten, teil- und vollstationären Altenpflege tätig. Sie studierte Management im Gesundheitswesen BA und Mehrdimensionale Organisationsberatung MA. Derzeit ist sie als Vorständin des Paul- Gerhardt-Werks in Offenburg tätig. »Hier sind die praktischen Ideen, die für nachhaltige Konzepte zur Wohngruppengestaltung gebraucht werden!«
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Titel: Wohngruppen in der Altenpflege