Lade Inhalt...

Beziehungsgestaltung mit Menschen mit Demenz

50 Tipps für die Pflege und Betreuung. So setzen Sie den Expertenstandard richtig um

von Jutta König (Autor:in)
116 Seiten

Zusammenfassung

Für Einrichtungen und Mitarbeiter ist die Umsetzung
des Expertenstandards „Beziehungsgestaltung in der
Pflege von Menschen mit Demenz“ eine anspruchsvolle
Aufgabe. Es geht nicht nur darum, das Agieren und die
Problemlagen zu beschreiben. Vielmehr müssen Pflegekräfte
das Wohlbefinden der Pflegebedürftigen sichern.
Genau das ist angesichts des oft als herausfordernd
empfundenen Verhaltens besonders schwierig.
Doch der Expertenstandard bietet auch große Chancen.
Jutta König zeigt die wesentlichen Inhalte und gibt
konkrete Tipps, wie sich die einzelnen Qualitätsaspekte
im Arbeitsalltag umsetzen lassen. Kompakt und strikt
praxisorientiert wird so aus dem Expertenstandard
eine Pflege, die Wohlbefinden fördert, Pflegekräfte
motiviert und ein gutes Ergebnis bei der Qualitätsprüfung garantiert.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Der Expertenstandard »Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz« wurde lange erhofft und sehnlichst erwartet. Nun liegt er vor. Und wie vermutlich alle Erstlingswerke kann man nicht rundum zufrieden sein. Der Expertenstandard gibt auf viele Dinge noch keine Antwort. Er lässt die wichtigen Betreuungskräfte im Pflegeprozess zu weit außen vor und legt diesen komplett in die Hand der Pflegefachkräfte.

Dennoch, er ist ein Meilenstein. Und wenn der Expertenstand, wie er jetzt vorliegt, bereits in den Einrichtungen umgesetzt wird, ist das eine der größten Revolutionen in der Geschichte der Pflege. Ein komplettes Umdenken in Haltung und im Handeln.

»Beziehungspflege vor Grundpflege«! Verhaltensweisen verstehen, anstatt die Menschen mit Demenz von als herausfordernd erlebtem Verhalten abzuhalten.

Der Expertenstandard macht Mut, Mut für unser aller Zukunft. Es wird sicher noch Jahre dauern, bis wir dort sind, wo der erste Expertenstandard seiner Art uns haben möchte. Bis dahin haben wir dann hoffentlich die Aktualisierung, die die kleinen Schwächen ausbügelt und uns neu beflügelt.

 

Wiesbaden, im Juli 2020 Jutta König

1. Tipp: Setzen Sie die Expertenstandards um, und setzen Sie sie ein

Die Umsetzung aller nationalen Expertenstandards ist für Einrichtungen verpflichtend. Dies geht aus dem § 113a SGB XI hervor.

Bisher sind alle nationalen Expertenstandards durch das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) in Osnabrück veröffentlicht, und können dort auch erworben werden.1

Bereits vor mehr als 20 Jahren haben die Experten des DNQP in jahrelanger Arbeit Standards für bestimmte Risikobereiche oder zur Versorgung von Menschen mit bestimmten Risiken erarbeitet. Derzeit gibt es neun Standards in der Pflegelandschaft, ein 10., »Erhaltung und Förderung der Mobilität«, ist freiwillig und muss dementsprechend nicht eingeführt werden. Sieht man sich allerdings die neuen Qualitätsindikatoren (Selbsterhebung in Heimen) und Qualitätsaspekte (Prüfung durch MDK- und PKV-Prüfdiente) an, so wird deutlich: Die Förderung der Mobilität bringt positive Bewertungen und fließt durchaus in der Prüfung mit ein.

Somit haben wir aktuell folgende verabschiedete Standards aus Osnabrück:

1. Dekubitusprophylaxe, 2. Aktualisierung Juni 2017

2. Entlassungsmanagement, 2. Aktualisierung Juni 2019
(nur für Einrichtungen, die dies betrifft, insbesondere Krankenhäuser)

3. Schmerzmanagement bei akuten Schmerzen,
1. Aktualisierung Dezember 2011

4. Schmerzmanagement bei chronischen Schmerzen, Mai 2015

5. Sturzprophylaxe, 1. Aktualisierung Januar 2013

6. Förderung der Harnkontinenz, 1. Aktualisierung März 2014

7. Pflege von Menschen mit chronischen Wunden,
1. Aktualisierung September 2015

8. Ernährungsmanagement, 1. Aktualisierung Januar 2017

9. Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz Mai 2019

2. Tipp: Nehmen Sie die Expertenstandards nicht als Handlungsanweisung

Die Ziele der Expertenstandards und deren Aufbau sind annähernd vergleichbar. Bei der Zieldefinition wird immer deutlich: Die Standards sind wissenschaftlich fundierte Instrumente. Vorbei sind also die Zeiten, in denen in der Pflege rein nach dem Motto »Versuch und Irrtum« vorgegangen wurde, als Menschen mit Demenz reglementiert oder gar mit Sitzgurten an ihre Stühle fixiert wurden.

Expertenstandards sind somit eine Niveauregelung, die Probleme methodisch gestützt angehen und Rahmenbedingungen zum adäquaten Umgang damit vorstellen.

Es wird in diesem Zusammenhang gern von sogenannten »vorweggenommenen Sachverständigengutachten« gesprochen. Wenn die Experten bestimmte Behandlungsmethoden oder pflegerische Tätigkeiten als »kontraproduktiv« bezeichnen, so sollte die Pflege diese Tätigkeiten auch nicht mehr durchführen.

Wie weit also eine Einrichtung einen Expertenstandard anwendet und ihn umsetzt, ist allein Sache der Einrichtung selbst. Das zeigt sich auch am Expertenstandard »Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz«. Es gibt kein »richtig« oder »falsch« in dieser Angelegenheit. Es werden Untersuchungen dargelegt, Hinweise und Empfehlungen ausgesprochen. Aber es steht an keiner Stelle: »So müssen Sie es tun, dann wird alles gut.«

Diese Expertenstandards sind keine konkreten Pflege- oder Handlungsanleitungen. Man kann in keinem der Standards nachlesen, was man in welchen Situationen am besten tut. Es wird also keinesfalls dargestellt, was zu tun ist, wenn ein Mensch dieses oder jenes Risiko hat. Mag sein, dass sich einige Pflegekräfte genau einen solchen Standard wünschen, der Vorgaben macht und aufzeigt, was wann zu tun ist. Aber letztendlich kann ich nur sagen: Gut, dass es keine Vorgaben gibt. Denn ich möchte, wenn ich eine Demenz entwickle, nicht nach einem festen Standard versorgt werden. So nach dem Motto: »Erst machen wir dieses, dann jenes, dann wird der Mensch schon gefügig.«

3. Tipp: Der Aufbau aller Expertenstandards ist identisch

Auch der Aufbau der Expertenstandards ist, ebenso wie die Herangehensweise, identisch:

1. Strukturqualität: Hier sind alle Rahmenbedingungen, die die Pflegeeinrichtung bieten soll, und die Fähigkeiten, über die eine Pflegefachkraft und weitere Personen verfügen müssen, festgehalten.

2. Prozessqualität: Hier sind Maßnahmen dokumentiert, die von der Einrichtung und von der Pflegefachkraft eingeleitet werden können.

3. Ergebnisqualität: Das gewünschte Ergebnis ist immer das Ergebnis von Struktur und Prozess. Ohne geeignete Strukturen und sinnvolle Prozesshaftigkeit wird das Ergebnis entweder nicht das Gewünschte sein oder es ist nicht reproduzierbar.

Diese drei Ebenen, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität, kennen die meisten Einrichtungen (ambulant, teil- oder vollstationär), aber sie setzen diese Schritte nicht immer nachvollziehbar um.

Als Beispiel für den Expertenstandard »Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz« dient die folgende Tabelle (image Tab. 1).

Tab. 1: Die Ebenen der Expertenstandards

Struktur Prozess Ergebnis
Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, um vernünftige Prozess in Gang zu setzen. Anforderungen an die Fachkraft und weitere Personen. Umsetzung der Anforderungen. Wenn die Struktur stimmt und die richtigen Prozesse in Gang sind, kommt das gewünschte Ergebnis heraus.
Beispiel
Person-zentrierte Haltung gegenüber Menschen mit Demenz Verstehenshypothese, warum verhält sich ein Mensch so verhält, wie er sich verhält. Wohlbefinden beim Menschen mit Demenz, trotz seiner Verhaltensweisen.

_________________

1 https://www.dnqp.de/de/bestellung/

4. Tipp: Es geht um Beziehungspflege

Dieser Expertenstandard befasst sich nicht mit Pflegerisiken im praktischen Pflegealltag, wie es die anderen Expertenstandards tun. Hier geht es um Beziehungspflege. Darum, wie Sie die Welt für Menschen mit einer Demenz besser machen können, wie Sie das Verhalten der betroffenen Klienten eher verstehen. Erst wenn Sie den Menschen und sein Handeln verstehen, beenden Sie Ihre Fehler im Umgang mit diesen Menschen.

Es geht nicht darum, Menschen mit Demenz von deren Handeln abzubringen, sie in die Regeln der Gemeinschaft einzufügen. Es geht um Lebensqualität für die Menschen mit Demenz.

image

Selbstbestimmung und Wertschätzung sind Ausdruck von Lebensqualität und kosten nichts, noch nicht einmal Zeit!

Wenn Sie Menschen mit Demenz als störend, nervend oder herausfordernd sehen, werden Sie ihnen keine Lebensqualität ermöglichen können. Der Expertenstandard befasst sich damit, wie wichtig es ist, die Anzeichen einer Demenz zu erkennen, auch wenn es (noch) keine Diagnose gibt.

Der Expertenstand macht auch klar, was biografische Daten im Alltag bedeuten und wie wichtig die Bedürfnisse eines Klienten sind, um ihn besser zu verstehen. »Daher bilden person-zentrierte, beziehungsgestaltende und -fördernde Maßnahmen eine notwendige Grundlage für die Einflussnahme auf die Entstehung von herausfordernd erlebtem Verhalten.«2

Da es um einen Menschen mit Demenz geht, darf die Diagnose Demenz nicht im Vordergrund stehen. Wenn man einem Menschen Insulin spritzt, stellt man bei der Beziehung zu diesem Menschen schließlich auch nicht seinen Diabetes in den Vordergrund.

Wichtig Achten Sie daher von Anfang an auf Ihren Sprachgebrauch

Sprechen Sie nicht von »dem Dementen« oder von einer »Demenzgruppe« oder »Demenzbereich«. Es ist die Beziehung zu einem Menschen, die Sie herstellen, nicht die zu einer Diagnose.

Um Menschen mit Demenz das zu geben, was sie benötigen, sie in den Mittelpunkt zu stellen, wahrzunehmen, wertzuschätzen und ihnen ihre Selbstbestimmung zu erhalten, bedarf es nicht zwingend einer Fachkompetenz. Es bedarf in erster Linie einer entsprechenden Haltung gegenüber den Menschen mit Demenz. Diese Haltung ist geprägt durch Wissen und kann beeinflusst werden. Das sehen wir auf allen Feldern unseres Lebens. Mit der Bildung wächst unser Wissen und ändert sich unsere Sicht auf die Dinge.

»Anwender dieses Expertenstandards sind Pflegefachkräfte ohne spezielle Weiterbildung im gerontopsychiatrischen Bereich. Im Expertenstandard wird dennoch deutlich, dass die person-zentrierte Beziehungsgestaltung mit Menschen mit Demenz ohne besondere Kompetenzen nicht bewältigt werden kann.«3

Das Expertenteam wendet sich leider im Aufbau ausschließlich an Pflegefachkräfte und stellt, wie in den anderen Expertenstandards auch, die Bedingungen nur an diese – und an die Einrichtung. Natürlich sind die Fachkräfte für die Umsetzung des Pflegeprozesses verantwortlich. Sie koordinieren die direkte und die indirekte Pflege. Aber oft genug sind keine Fachkräfte vor Ort beim Klienten, sondern Kollegen anderer Berufsgruppen. Und diese können und sollten aus meiner Sicht ebenso Adressaten dieses Expertenstandards sein. Zumal man im Text mitunter liest, was Pflegende (und das sind nicht immer Fachkräfte) für Aufgaben gegenüber Menschen mit Demenz haben. Aber alle formulierten Leitsätze in Struktur-, Prozess und Ergebnisqualität beginnen stets mit den Worten »die Pflegefachkraft«.

5. Tipp: Verschaffen Sie sich einen Überblick über den Expertenstandard

Tab. 2: Kriterien des Expertenstandards*

Zielsetzung: Jeder pflegebedürftige Mensch mit Demenz erhält Angebote zur Beziehungsgestaltung, die das Gefühl, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein, erhalten oder fördern.
Begründung: Beziehungen zählen zu den wesentlichen Faktoren, die aus Sicht von Menschen mit Demenz Lebensqualität konstituieren und beeinflussen. Durch person-zentrierte Interaktions- und Kommunikationsangebote kann die Beziehung zwischen Menschen mit Demenz und Pflegenden sowie anderen Menschen in ihrem sozialen Umfeld erhalten und gefördert werden.
image

2.1 Expertenstandard-Vorgaben in der Strukturqualität

Bevor ich in Kapitel 2.4 auf die Umsetzung und den praktischen Teil eingehe, müssen im Folgenden die Voraussetzungen anhand der Strukturqualität erläutert werden. Denn ohne Wissen, ohne Struktur, wird die Umsetzung ein »Versuch und Irrtum« sein und das Ergebnis damit höchst unterschiedlich.

image

Info

Die Strukturqualität beschreibt die Umsetzungsvoraussetzungen.

6. Tipp: Handeln Sie person-zentriert

Die erste Anforderung aus dem Expertenstandard ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die erfolgreiche Arbeit mit Menschen mit Demenz. Erfolgreich in dem Sinne, dass der Mensch mit Demenz als selbstbestimmt wahrgenommen wird, Respekt und Anerkennung erfährt.

Strukturqualität S1a: »Die Pflegefachkraft hat eine person-zentrierte Haltung in der Pflege von Menschen mit Demenz entwickelt« lautet entsprechend auch die erste Anforderung.

Aber was so locker und leicht dasteht, ist eine große Herausforderung: person-zentriert, der Person zugewandt, die Person in den Mittelpunkt stellend. Das fällt uns mitunter schon im Alltag schwer, auch wenn wir es nicht mit Menschen mit Demenz zu tun haben. So gibt es Kollegen, die nicht zuhören können. Sie erzählen stets von sich, sind wenig empathisch, bemerken mitunter nicht einmal, ob sich der andere für die Themen interessiert, die gerade angerissen wurden. Wer zu sehr auf sich bezogen ist, kann sich nicht in andere hineinversetzen, sich in deren Lage und Situation hineindenken. Worte wie Respekt, Akzeptanz, Anerkennung, bleiben dann Phrasen und Worthülsen. Das hat nichts mit Menschen mit Demenz zu tun. Das gilt auch für den Austausch auf Augenhöhe zwischen gesunden Menschen.

Person-zentriert – ein großes Wort, das mit Leben gefüllt sein möchte. Im weiteren Verlauf dieses Buches komme ich daher immer wieder darauf zurück. Denn ohne sich einem Menschen zuzuwenden bekommt man keinen Zugang, erreicht nicht das gewünschte Ergebnis (Lebensqualität), sondern ggf. das Gegenteil (Verzweiflung).

7. Tipp: Unterscheiden Sie die Arten von Demenz

Rund 80 Prozent der Demenzen sind neurodegenerative Krankheiten (Nervenzellen gehen zugrunde). »Demenz« ist also nur ein Symptom und »ein Oberbegriff für rund 50 Krankheiten«4 des Gehirns. Seltsamerweise differenzieren wir bei einer Demenz wesentlich weniger als etwa bei inneren Erkrankungen.

Wir kämen im Alltag nie auf die Idee zu sagen, »dieser Klient hat eine innere und jener eine knöcherne Erkrankung«. Sofort wollen wir die Differenzierung: Welche Art der inneren Erkrankung liegt vor? Leber, Herz, Galle, Niere, Darm und wenn ja, was genau? Bei der Demenz sind wir da gelassener. Die Diagnose, das Symptom, reicht uns, wir hinterfragen nicht weiter. Und viele Ärzte leider auch nicht.

Die häufigsten Formen der Demenz5:

Alzheimer Demenz (ca. 60–70 Prozent),

vaskuläre Demenz,

Multiinfarktdemenz bei Morbus Parkinson

fronttemporale Demenz (PICK)

Demenz als neurologische Folge bei Lewy-Körperchen-Demenz, Kreuzfeld-Jacob, Korsakow-Syndrom, Stoffwechselerkrankung, Infektionen.

Die möglichen Ursachen einer Demenz sind vielfältig und auch noch nicht vollständig bekannt. Man vermutet6 folgende Ursachen:

Durchblutungsstörungen,

Stoffwechselerkrankungen,

krankhafte Eiweißeinschlüsse,

Absterben von Nervenzellen durch verschiedenen Prozesse, z. B.

Vergiftung durch Medikamentenmissbrauch, Alkohol,

Vitaminmangelzustände,

Depressionen,

Hirntumore oder -geschwulste,

Normaldruckhydrozephalus.

Wenn die Ursachen von Demenz also unterschiedlich sind, sind es die Auswirkungen ebenfalls. Traurig finde ich allerdings, dass ältere Menschen allein aufgrund von Vitaminmangel (häufig B-Komplex und D) verstärkte Symptome einer Demenz zeigen können. Und das im dritten Jahrtausend, in unserem Wohlfahrtsstaat. Vitaminmangel kann durch ausgewogene Ernährung und Bewegung sowie frische Luft und Sonne meist verhindert werden. Mitunter muss jedoch mit Nahrungsergänzungsmitteln substituiert werden.

Den Hormon- und Vitaminstand per Blutbild regelmäßig zu erheben, ist in der Altenhilfe leider nicht Normalität. Denn dieses Blutbild ist in der Regel keine Kassenleistung und muss in den meisten Fällen privat gezahlt werden. Wenn der nächste Angehörige Sie wieder mal fragen sollte, was er seiner Mutter zum Geburtstag schenken könnte, haben Sie ab jetzt den Tipp schlechthin!

8. Tipp: Lernen Sie die sieben Stufen einer Demenzerkrankung kennen

Die Alzheimer Organisation7 beschreibt sieben Stufen in der Entwicklung bei einer Demenzerkrankung. Wichtig ist zu wissen, dass die Stufen fließend sein können, sich überlagern oder gar übersprungen.

»Stufe 1: Keine Beeinträchtigung(normale Funktion)«

Diese Person leidet nicht unter Gedächtnisproblemen. Ein Gespräch mit einem Mediziner zeigt keine Anzeichen von Symptomen einer Demenz.

Stufe 2: Sehr leicht gemindertes Wahrnehmungsvermögen(möglicherweise normale, altersbedingte Veränderungen oder früheste Anzeichen der Alzheimer-Krankheit)

Diese Person kann den Eindruck haben, dass er oder sie Gedächtnislücken aufweist, bekannte Wörter vergisst oder Alltagsgegenstände verlegt. Aber es können keine Demenz-Symptome während einer ärztlichen Untersuchung oder von Freunden, Familien oder Mitarbeitern erkannt werden.

Stufe 3: Leicht gemindertes Wahrnehmungsvermögen Leicht gemindertes Wahrnehmungsvermögen (frühes Stadium von Alzheimer kann bei einigen, aber nicht bei allen Personen mit diesen Symptomen diagnostiziert werden)

Freunde, Familie oder Mitarbeiter bemerken erste Schwierigkeiten. Während eines ausführlichen ärztlichen Gesprächs können Ärzte möglicherweise Probleme mit dem Gedächtnis oder der Konzentration feststellen. Die normalen Schwierigkeiten der dritten Stufe beinhalten:

Merkliche Probleme zeigen sich bei der Wahl des richtigen Wortes oder Namens

Schwierigkeiten, sich an Namen von Menschen zu erinnern, die einem neulich vorgestellt wurden

Erkennbare größere Schwierigkeiten bei der Ausführung von Aufgaben im sozialen oder Arbeitsumfeld

Das Vergessen von Inhalten, die gerade gelesen wurden

Verlust oder Verlegen von wertvollen Gegenständen

Zunehmende Schwierigkeiten bei Planung oder Organisation

Stufe 4: Mäßig gemindertes Wahrnehmungsvermögen (leichtes oder frühes Stadium der Alzheimer-Krankheit)

An diesem Punkt sollten in einem sorgfältigen Arztgespräch eindeutige Symptome in mehreren Bereichen feststellbar sein:

Vergessen von kurz zurückliegenden Ereignissen

Beeinträchtigte Fähigkeit, herausfordernde Rechenaufgaben im Kopf durchzuführen, z. B. rückwärts zählen von 100 in 7er Schritten

Größere Schwierigkeiten bei der Durchführung komplexer Aufgaben, wie Planung eines Essens für Gäste, Bezahlen von Rechnungen oder Verwalten der Finanzen

Vergesslichkeit bei der eigenen, persönlichen Vergangenheit

Schlechte Stimmung oder Zurückgezogenheit, besonders in sozial oder mental herausfordernden Situationen

Stufe 5: Mittelschwer gemindertes Wahrnehmungsvermögen (mäßige oder mittlere Alzheimer-Krankheit)

Es zeigen sich auffällige Gedächtnis- und Denklücken und manche Betroffene fangen an, Hilfestellung bei alltäglichen Aktivitäten zu benötigen. Bei dieser Stufe können Personen mit Alzheimer:

Nicht in der Lage sein, sich an die eigene Adresse oder Telefonnummer zu erinnern oder an die Schule oder Hochschule, an der sie ihren Abschluss gemacht haben

Verwirrt sein darüber, an welchem Ort sie sich befinden oder welcher Tag heute ist

Schwierigkeiten haben mit weniger anspruchsvollem Kopfrechnen, wie z. B. rückwärts zählen von 40 in 4er-Schritten oder von 20 in 2er-Schritten

Hilfe benötigen bei der Auswahl von Kleidung, die der jeweiligen Jahreszeit oder dem Anlass angemessen ist

Sich immer noch an wichtige Details über sich selbst und die Familie erinnern

Noch keine Unterstützung beim Essen oder beim Gang zur Toilette benötigen

Stufe 6: Schwerwiegend gemindertes Wahrnehmungsvermögen (mittelschwere oder mittlere Stufe der Alzheimer-Krankheit)

Das Gedächtnis verschlechtert sich weiterhin, Persönlichkeitsveränderungen können auftreten und Personen benötigen umfangreiche Hilfe bei täglichen Aktivitäten. Bei dieser Stufe können manche Betroffene:

Schwierigkeiten haben, kurz zurückliegende Ereignisse und ihre Umgebung bewusst wahrzunehmen

Sich an den eigenen Namen erinnern, aber Schwierigkeiten haben, sich an ihre persönliche Vergangenheit zu erinnern

Vertraute von nicht vertrauten Gesichtern unterscheiden, aber Schwierigkeiten haben, sich an den Namen des Ehepartners oder Betreuers zu erinnern

Hilfe beim Ankleiden benötigen und möglicherweise ohne Aufsicht Fehler machen wie den Schlafanzug über die Tageskleider oder Schuhe an den falschen Fuß anziehen

Erhebliche Veränderungen beim Schlafverhalten feststellen – wie Schlafen am Tag und Unruhe in der Nacht

Hilfe benötigen bei den verschiedenen Schritten des Toilettengangs (wie z. B. Betätigung der Toilettenspülung und die Benutzung oder Entsorgung des Toilettenpapiers)

Zunehmend häufige Schwierigkeiten mit Blasen- oder Darmkontrolle haben

Wesentliche Veränderung des Charakters und des Benehmens erfahren, einschließlich Misstrauen und Wahnvorstellungen (wie z. B. zu glauben, dass der Betreuer ein Betrüger ist) oder zwanghafte, wiederholte Verhaltensweisen wie Hände ringen oder Stoff zerreißen

Tendenz zum Umherirren und Verirren

Stufe 7: Sehr schwerwiegend gemindertes Wahrnehmungsvermögen (fortgeschrittenes oder Spätstadium der Alzheimer-Krankheit)

In der Endstufe dieser Krankheit verliert eine Person die Fähigkeit, sich seiner oder ihrer Umgebung mitzuteilen, eine Unterhaltung zu führen und schließlich Bewegungen zu kontrollieren. Worte oder Sätze können immer noch benutzt werden.

In diesem Stadium wird umfangreiche Hilfe bei der täglichen Betreuung benötigt, einschließlich beim Essen oder dem Gang zur Toilette. Die Fähigkeit zum Lächeln, ohne Unterstützung zu sitzen und den Kopf aufrecht zu halten kann verloren gehen. Reflexe werden abnormal. Muskeln werden starr. Das Schlucken wird beeinträchtigt.

9. Tipp: Identifizieren Sie Menschen mit Demenz

Strukturqualität S1b: »Die Pflegefachkraft hat das Wissen und die Kompetenz, Menschen mit Demenz zu identifizieren und damit einhergehende Unterstützungsbedarfe in der Beziehungsgestaltung fachlich einzuschätzen.«

Definition der Demenz nach ICD-10

Im ICD werden Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme definiert. »Demenz (F00 bis F03) ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung. Das Bewusstsein ist nicht getrübt.«8

Für die Diagnose einer Demenz müssen die Symptome nach ICD über mindestens sechs Monate bestanden haben (vgl. Dilling et al. 2004). Die Sinne (Sinnesorgane, Wahrnehmung) funktionieren im für die Person üblichen Rahmen. Gewöhnlich begleiten Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens oder der Motivation die kognitiven Beeinträchtigungen; gelegentlich treten diese Syndrome auch eher auf. Sie kommen bei Alzheimer-Krankheit, Gefäßerkrankungen des Gehirns und anderen Zustandsbildern vor, die primär oder sekundär das Gehirn und die Neuronen betreffen.

Definition der Demenz im DSM V

Das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen nutzt den Begriff Demenz nicht mehr explizit und definiert diesen neu als neurokognitive Störungen9. Zu diesen gehören auch neurokognitive Störungen, Delirien und amnestische Störungen. Diese neue Definition setzt die Diagnostische Schwelle weiter nach unten und befasst sich mit erworbenen kognitiven Beeinträchtigungen, wobei Beeinträchtigungen durch Substanzeinnahmen (z. B. Drogen) herausgenommen und separat spezifiziert wurden.

Zur Beeinträchtigung zählen:

Aufmerksamkeit

Exekutivfunktionen (geistige Funktion mit der Menschen die Bedingungen ihrer Umwelt steuern)

Lernen und Gedächtnis

Sprache

soziale Kognition oder im perzeptiv-motorisch (Wahrnehmung und Ausführung).

Dabei wird dann in zwei Schweregrade unterschieden10

Leiche NCD (neurokognitiven Störungen): hier sind die Klienten noch zu einer selbständigen Lebensführung in der Lage

Schwere NCD: Klienten sind in ihrer Lebensführung beeinträchtigt und haben Unterstützungsbedarfe

10. Tipp: Überschätzen Sie eine Vergesslichkeit nicht

Wir alle kennen das. Wir verlegen einen Schlüssel, der direkt vor uns liegt; wir suchen die Brille, die auf unserer Nase sitzt; den Stift, den wir gerade noch in der Hand hatten und dergleichen mehr.

Unser Hirn ist wie ein Arbeitsspeicher. Ist dieser voll, kann der Prozessor seine Arbeit nicht wie gewohnt leisten. Das kennen wir alle. Wenn wir angespannt sind, 1000 Dinge gleichzeitig bedenken und oder erledigen müssen, wird manches vergessen.

Wenn Menschen sich grämen, sich sorgen, um sich, um die Zukunft, um ihre Lieben, dann hat nicht mehr viel anderes Platz in ihren Gedanken. In unserem Alter ist all das kein Problem. Hat man aber 80 oder mehr Jahre gelebt, wird jegliches Vergessen sofort anders interpretiert. Und nicht selten wird die »normale« Vergesslichkeit einer angeblichen Demenz zugeordnet.

11. Tipp: Beachten Sie, dass sich im Alter die Wahrnehmung verändert

Ein ganz normaler Prozess des Alterns ist es, dass die Zellteilung sich verlangsamt und bestimmte Zellen sich nicht mehr regenerieren. Was mit Haut, Knochen und inneren Organen geschieht, geschieht auch mit unseren Sinnesorganen.

Wir sind im Alltag auf all unsere Sinnesorgane angewiesen. Wir übertreiben es teilweise sogar. Nehmen wir nur die Tatsache, dass viele Menschen nicht an einem Kleidungsstück vorbeigehen können, ohne es anzufassen. Selbst Schuhe im Regal werden angelegentlich befühlt. Das ist für viele Käufer vollkommen normal. Haben wir die Schuhe dann gekauft, betasten wir sie allerdings nie wieder.

Wenn das ein oder andere Sinnesorgan nicht zur Verfügung steht, beeinträchtigt dies die Lebensqualität enorm. Das bemerken wir selbst bei einer kleinen Erkältung. Wenn die Nase dicht ist, riechen und schmecken wir nicht so gut. Das Essen schmeckt nicht, wir haben keine Freude am Essen. Verletzen wir uns an der Fingerkuppe, fühlen wir dort außer Schmerz bei Berührung wenig.

image

Abb. 1: Unsere Sinne.

Wie mag es also Menschen gehen, denen ein oder gar mehrere Sinnesorgane nicht zur Verfügung stehen? Vielleicht verzeihen Sie den »Dauernörglern« beim Essen eher, wenn Sie sich der Tatsache bewusst sind, dass sie nur wenig schmecken oder riechen. Ist das Hören eingeschränkt, missverstehen die Menschen uns leicht und winken vielleicht mürrisch ab, weil sie wieder nur die Hälfte verstanden haben.

Wenn die Sinnesorgane nicht gleichermaßen funktionieren, wird nicht selten auf andere ausgewichen und diese verstärkt eingesetzt. Was man noch gut kann, macht man eben auch. Wenn der Mensch mit Demenz einen Gegenstand, der ihm womöglich nicht gehört, einfach betastet oder gar mitnimmt, ist das ebenfalls ganz normal.

12. Tipp: Verwechseln Sie Depressionen nicht mit Demenz

Depressionen gehen nicht selten mit einer Demenz einher. Aber es kommt auch vor, dass depressive Menschen mitunter demenziell verändert wirken, es aber nicht sind. Die Depression sorgt dafür, dass Menschen in sich gekehrt sind. Sich teilweise von ihrer Umwelt abkapseln. Dann reagieren diese Menschen nicht immer oder nicht sofort auf ihr Umfeld. Sie geben falsche Antworten, antworten verzögert oder gar nicht. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass diese Personen nicht verstehen, was um sie herum geschieht.

Menschen, die unter Depressionen leiden, haben oft mangelndes Selbstvertrauen, wirken niedergeschlagen und verzagt. Mitunter beklagen sie auch, dass sie darunter leiden, bestimmte Dinge nicht mehr zu beherrschen oder für nichts mehr gut zu sein. Menschen mit Demenz hingegen versuchen oft, ihre Defizite zu überspielen. Wenn sie bemerken, dass sie etwas nicht können, finden sie nicht selten Methoden, für sie Unbekanntem aus dem Weg zu gehen. Sie überspielen ihre Wissenslücken, lenken ab oder gehen der Situation aus dem Weg.

Während Menschen mit Demenz offensichtliche Defizite im Alltag haben, sind Menschen mit Depressionen mal mehr oder weniger gut in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen. Menschen mit Depressionen können gezielt Hilfe anfordern und ihre Situation in aller Regel auch realistisch einschätzen. Das gilt für Menschen mit Demenz, insbesondere im fortgeschrittenen Stadium, nicht immer. Nicht selten tritt im späteren Verlauf einer Depression eine Demenz auf.

13. Tipp: Fördern Sie eine person-zentrierte Haltung auch strukturell

Strukturqualität S1c: »Die Einrichtung fördert und unterstützt eine personzentrierte Haltung für eine die Beziehung fördernde und gestaltende Pflege von Menschen mit Demenz sowie ihre Angehörigen und sorgt für eine personzentrierte Pflegeorganisation.«

Die Einrichtung ist dafür verantwortlich, dass die Mitarbeiter eine person-zentrierte Haltung entwickeln und auch leben können. Wenn die Leitung (Der Fisch stinkt immer vom Kopf her) die Strukturen nicht schafft, können sich die Mitarbeiter nicht entsprechend entfalten.

Hier bekommt das Leitbild einer Einrichtung eine gänzlich neue Bedeutung. Jahrelang war das Leitbild förmlich aus der Mode gekommen. War es in den späten 90er-Jahren noch bei jeder MDK-Prüfung gefragt, ist es schon seit Jahren kein Thema mehr in Prüfungen und somit ein eingerahmtes Teil im Foyer, das nur die Reinigungskraft beim Säubern bemerkt.

Lassen Sie Ihr Leitbild neu aufleben. Geben Sie ihm einen neuen Platz. Überarbeiten Sie es (image 17. Tipp: Stellen Sie das Leitbild auf den Prüfstand).

14. Tipp: Vermeiden Sie Milieufehler

Zu Hause sind Menschen in ihrer wohlbekannten Umgebung. Sie finden sich so leicht zurecht, oft wohnen sie schon Jahre oder Jahrzehnte (womöglich seit ihrer Geburt) im gleichen Wohnumfeld. Das Milieu hat also eine tragende Bedeutung für das Wohlbefinden.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842690745
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Qualitätsindikatoren Lebensqualität Demenz Pflegedokumentation Altenpflege Qualitätsprüfung Pflegepraxis Beziehungspflege Versorgungssergebnisse Tipps für den Alltag

Autor

  • Jutta König (Autor:in)

Jutta König ist Wirtschaftsdiplom-Betriebswirtin Gesundheit (VWA) und Sachverständige bei verschiedenen Sozialgerichten im Bundesgebiet. Sie unterrichtet Pflegesachverständige und Pflegeberater, arbeitet als Unternehmensberaterin und Dozentin in den Bereichen SGB XI, SGB V, Heim- und Betreuungsrecht. Sie ist examinierte Altenpflegerin,Pflegedienst- und Heimleitung.
Zurück

Titel: Beziehungsgestaltung mit Menschen mit Demenz