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Pflegende und Ärzte

Kommunikation auf Augenhöhe. Das Regensburger Modell - interprofessionell und wegweisend

von Anna Mahnke (Autor:in) Prof. Dr. Martina Müller-Schilling (Autor:in)
196 Seiten

Zusammenfassung

In den bundesdeutschen Kliniken herrscht Druck: einerseits
Leistungen, Fallzahlen, Case-Mix und auf der anderen Seite immer mehr schwerstkranke Patienten.
Doch das muss nicht sein! In der Regensburger Uniklinik
wird Interprofessionalität groß geschrieben. Arbeiten,
forschen, lehren und managen – all das geschieht hier
im Team. Da gibt es gemeinsame Besprechungen und
Visiten, Fortbildungen, verbindliche Absprachen und
vor allem: Kommunikation auf Augenhöhe!
Das Regensburger Modell verfolgt u.a. drei Ziele:
1. Patientenversorgung auf höchstem Niveau
2. hohe Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit
3. gute Personalakquise und-bindung.
Dieses Buch zeigt, wie sich Interprofessionalität im Stationsalltag umsetzen lässt. Und: Dank konkreter
Handlungsempfehlungen kann das Regensburger
Modell in jeder Klinik adaptiert werden!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

Anna Mahnke und Prof. Dr. med. Martina Müller-Schilling

Wir schreiben dieses Vorwort mitten in der COVID-19-Pandemie. Bevor sozusagen alles begann, hatten wir uns vorgenommen, mit diesem Buch eine Diskussion zu initiieren: Wie kann interprofessionelle Zusammenarbeit in unserem klinischen Alltag gelingen? Und zwar mit der Integration der Mitarbeitenden in den Gesundheitsberufen, unserer Patienten und ihrer Angehörigen? Wir wollten mit Ihnen, unseren Lesern, unser »Regensburger Modell« der Interprofessionalität in Klinik, Forschung, Lehre und Management besprechen – ganz praktisch und unter dem Motto »Wir arbeiten, forschen, lehren und managen gemeinsam«, und empfehlen es ausdrücklich zur Nachahmung.

Dann kam die Krise und wir haben den Wert interprofessioneller Zusammenarbeit im Alltag und über den Alltag hinaus – in der Pandemie – erleben dürfen. Die zentrale Rolle unseres Gesundheitssystems, und hier entscheidend der Mitarbeitenden in den Gesundheitsberufen, wurde evident – wie die WHO 2016 formulierte: »vital« für die Resilienz unserer Gesellschaft. So hat die Weltgesundheitsorganisation in ihrem Bericht »Global strategy on human resources for health: workforce 2030« (2016), festgehalten, dass das Recht auf den bestmöglichen Gesundheitszustand nur durch qualifizierte Gesundheitsberufe verwirklicht werden kann: »The health workforce has a vital role in building the resilience of communities and health systems to respond to disasters caused by natural or man-made hazards, as well as related environmental, technological and biological hazards and risks.«

Der Ansatz einer interprofessionellen Versorgung stellt sowohl unsere Patienten und deren bestmögliche Versorgung wie auch die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen in den Mittelpunkt der Überlegungen wie wir New Work oder die »Große Transformation 21« (Malik 2019), die Jahrhundertumwandlung von Wirtschaft und Gesellschaft hin zur Komplexitätsgesellschaft, in Einklang bringen können mit der Komplexität des Gesundheitswesens 21.

Wir sind überzeugt, dass interprofessionelle Zusammenarbeit ein guter Weg ist, um Menschen und Organisationen im Sinne Peter F. Druckers (1967) effektiv oder wirksam zu machen. Peter F. Drucker schrieb über den Unterschied von Effektivität und Effizienz – ins Deutsche übersetzt – »Effektivität heißt, die richtigen Dinge zu tun, Effizienz heißt die Dinge richtig zu tun.«

Im Gesundheitsprozess kommt dem Zusammenspiel der verschiedenen Professionen eine entscheidende Bedeutung zu. Die Qualität und die Sicherheit der Patientenversorgung, die Zufriedenheit der Patienten und der Mitarbeiter hängen essenziell davon ab, ob die »richtigen Dinge« getan werden.

Das Gesundheitswesen 21 steht vor den Herausforderungen komplexer werdender Gesundheitsprobleme und eines akuten Mangels an Mitarbeitenden in den Gesundheitsberufen.

Hier sind nachhaltige und wirksame Lösungen gefragt. Die WHO (2010) hat interprofessionelle Zusammenarbeit in der klinischen Praxis wie in der Ausbildung der Gesundheitsberufe als eine innovative Strategie in der Bewältigung der globalen Herausforderungen in den Gesundheitssystemen definiert: »The World HealthOrganization and its partners recognize interprofessional collaboration in education and practice as an innovative strategy that will play an important role in mitigating the global health workforce crisis.«

Literatur

Drucker PF (1967): The Effective Decision. Harvard Business Reviews, Jan./Feb. 1967.

Malik E (2019): Führen, Leisten, Leben. Wirksames Management für eine neue Welt, Campus Verlag, Frankfurt.

World Health Organization (2010): Framework for action on interprofessional education and collaborative practice, WHO reference number: WHO/HRH/HPN/10.3. https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/70185/WHO_HRH_HPN_10.3_eng.pdf?sequence=1, abgerufen am 31.08.2020.

World Health Organization (2016): Global strategy on human resources for health: workforce 2030. https://www.who.int/hrh/resources/global_strategy_workforce2030_14_print.pdf?ua=1, abgerufen am 26.08.2020.

Grußwort des Ärztlichen Direktors

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wie Sie wissen, ist das Gesundheitswesen einem ständigen Wandel unterworfen, sei es aufgrund der sich ändernden Demografie unserer Patienten oder unserer im Gesundheitswesen tätigen Mitarbeiter, sei es aufgrund der immer komplexer werdenden therapeutischen Möglichkeiten.

Gerade die Weiterentwicklung dieser therapeutischen Möglichkeiten führt zu einer immer größeren Spezialisierung von Berufsgruppen oder auch Fachdisziplinen. Diese zunehmende Spezialisierung birgt zumindest die Gefahr, dass die unterschiedlichen Berufsgruppen und Fachdisziplinen am Patienten irgendwann einmal nebeneinander und nicht miteinander arbeiten. Dieses Problem wurde vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen bereits vor über 10 Jahren in einem Gutachten mit dem Titel »Kooperation und Verantwortung – Voraussetzung einer zielorientierten Gesundheitsversorgung« erkannt. In diesem Gutachten wird ein Umdenken gefordert, und zwar insbesondere im Bereich der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gesundheitsberufe. Dabei spielen Begriffe wie »Interdisziplinarität« und »Interprofessionalität« eine zentrale Rolle. Es werden teamorientierte Arbeitsformen und eine Neuaufteilung der Tätigkeitsfelder gefordert.

Insofern freut es mich natürlich ganz besonders, dass das, was vom Sachverständigenrat gefordert wurde, hier bei uns am Universitätsklinikum Regensburg in der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I mit den Schwerpunkten Gastroenterologie, Endokrinologie, Infektiologie und Rheumatologie auch gelebt wird.

Die interprofessionelle Zusammenarbeit betrifft dabei nicht nur den ärztlichen und pflegerischen Bereich, sondern bezieht Physiotherapeuten, Sozialpädagogen, Ernährungswissenschaftler, Diabetesberater, Wundmanager mit ein, immer mit dem Ziel, den Patienten und seine optimale Versorgung in den Mittelpunkt zu stellen. Gleichzeitig beschränkt sich diese interprofessionelle Zusammenarbeit nicht allein auf die Versorgung der Patienten, sondern wird auch in den Bereichen der Forschung, der studentischen Lehre und der Berufsausbildung gelebt.

Dieses Buch zeigt Ihnen mit jedem Kapitel, dass interprofessionelle Zusammenarbeit in der Praxis sehr gut funktionieren kann und, dass sich interprofessionelle Zusammenarbeit lohnt, einerseits für die Mitarbeiter, andererseits – und das ist das wichtigste – für unsere Patienten.

Ich darf nicht nur den Autorinnen dieses Buches, sondern allen aus diesem interprofessionellen Team für ihr Engagement und ihren Einsatz danken und sie ermutigen, den eingeschlagenen Weg weiter konsequent zu beschreiten.

 

Regensburg, im September 2020 Prof. Dr. med. Oliver Kölbl,
Ärztlicher Direktor
des Universitätsklinikums Regensburg

Kurzstatement zur interprofessionellen Zusammenarbeit aus Sicht des kaufmännischen Vorstands

In den 1990er Jahren entwickelten sich im Bereich der betriebswirtschaftlichen Studiengänge zunehmend die Studienschwerpunkte und Studienrichtungen Krankenhausmanagement bzw. Gesundheitsmanagement. Ich selbst fand damals in der Oberstufe in einer Broschüre die Beschreibung des Berufsbilds eines Krankenhausmanagers.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen, das war die vielleicht etwas romantische Beschreibung des Aufgabengebietes eines Krankenhausgeschäftsführers. Genannt wurde u. a. die Zusammenarbeit bzw. Abstimmung mit Ärzten und Pflegekräften, der Krankenhausapotheke, der Logistik, der Technik und Medizintechnik, dem Labor, dem Reinigungsdienst und noch einigen anderen. Letztendlich machte aber genau diese Beschreibung der Zusammenarbeit und engen Abstimmung mit und zwischen den unterschiedlichsten Berufsgruppen die Branche Krankenhaus und das Berufsbild des Krankenhausmanagers für mich interessant. Bis heute sind es die Informationen darüber, wie sich die Medizin und die Versorgung in den einzelnen Fachgebieten ständig weiterentwickelt, die diesen Beruf als Ökonomin im Krankenhaus für mich so spannend machen.

Die Situation der Krankenhäuser in Deutschland wird zunehmend schwieriger. Im Jahr 2018 gab es in Deutschland 1.925 Krankenhäuser in denen rund 19,4 Mio. Patienten (Fallzahlen) stationär behandelt wurden, die durchschnittlich 7,2 Tage im Krankenhaus verweilten. Versorgt wurden die Patienten von 164.636 Ärzten, 331.370 Pflegekräften und 414.360 Vollkräften aus anderen Berufsgruppen.1 40 Prozent der Krankenhäuser schrieben im Jahr 2018 Verluste, mit steigender Tendenz.2

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Zahlreiche Gesundheitsreformen und Gesetzgebungsverfahren haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass ein zunehmendes Spannungsfeld zwischen Medizin und Ökonomie wahrgenommenen wird. Umso wichtiger ist es, dass sich insbesondere die nicht direkt an der Behandlung der Patienten beteiligten Berufsgruppen als Dienstleister und Unterstützer für die Versorgung der Patienten verstehen.

So sind u. a. die administrativen Prozesse von der Aufnahme, Kommunikation mit den Krankenkassen, Dokumentation und Kodierung bis hin zur Abrechnung im Anschluss an die Entlassung ebenso möglichst reibungslos zu organisieren, wie die korrekte und zeitgerechte Beschaffung der für die Behandlung der Patienten benötigten Materialien und Medikamente, die Verpflegung der Patienten und Mitarbeiter, die Reinigung der Räume und Aufbereitung der Instrumentarien bis hin zur Durchführung der notwendigen Instandhaltungsmaßnahmen und Investitionen in Geräte, weitere Ausstattung, Innovationen und Gebäude. Wesentlich hierfür ist ein gemeinsames Verständnis und die Kenntnis über unsere Kernaufgabe, die Behandlung und Versorgung der Patienten, verbunden mit einer guten, interdisziplinären Kommunikation, in der viele verschiedene Aspekte beleuchtet und unterschiedliche Positionen erklärt werden.

Die Herausforderungen im Krankenhausbereich werden auch in den kommenden Jahren eher zu- als abnehmen. Fachkräftemangel, Digitalisierung und der demografische Wandel sind nur einige Schlagwörter, die hiermit in Zusammenhang stehen.

Ich bin überzeugt davon, dass wir auch diese Herausforderungen, mit dem entsprechenden Zusammenhalt und guter, interprofessioneller Zusammenarbeit, meistern werden.

 

Regensburg, im September 2020 Sabine Lange, MBA
Kaufmännische Direktorin
des Universitätsklinikums Regensburg

________________

1 https://www.dkgev.de/service/zahlen-fakten/ (13.09.2020)

2 Vgl. https://www.dkgev.de/dkg/presse/details/zahl-der-unbesetzten-pflegestellen-steigt-dramatisch-wirtschaftliche-situation-in-kliniken-verschlechtert-sich-es-drohen-weitere-insolvenzen/ (13.09.2020)

Grußwort des Pflegedirektors

Eine gelingende Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen ist für eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung unverzichtbar. Pflegefachpersonen und Ärzte sind aufeinander angewiesen, um die komplexen Herausforderungen im klinischen Alltag gut und sicher bewältigen zu können. Das erfordert eine optimale Zusammenarbeit zwischen Pflege und Medizin.

Um angehende Ärzte und Pflegepersonal für die Teamarbeit zu sensibilisieren, trainieren Medizinstudierende und Pflegeauszubildende am Universitätsklinikum Regensburg in der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I die interprofessionelle Zusammenarbeit schon während der Ausbildung. Sie bekommen damit die Möglichkeit, Einblicke in die Tätigkeit der jeweils anderen Berufsgruppe zu erhalten und die gegenseitige Verständigung zu trainieren.

Am Beispiel der täglichen Visite am Krankenbett können bestehende Rituale und Routinen in der Kommunikation gemeinsam reflektiert, abgeändert und zu einem echten Erlebnis für Patienten und Behandlungsteam umgestaltet werden. Aus eigenem Erleben als Gesundheits- und Krankenpfleger ist es eine entsetzliche Sache, wenn die Visite am Bett vorbeigeht: »Das ist das Ende der Welt, denn dann fühlt der Patient sich abgeschrieben als nicht mehr behandlungsfähig oder behandlungswürdig« (Ruth Schröck).

Was im »Regensburger Modell« in kleinem Rahmen stattfindet, wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als »innovative Strategie« anerkannt und von der Gesellschaft für medizinische Ausbildung seit geraumer Zeit gefordert – zum Schutz und zur Sicherheit der Patientinnen und Patienten. »We care. We cure« ist das gemeinsame Motto von Pflegenden und Ärzten in der Krankenversorgung am Universitätsklinikum Regensburg.

 

Regensburg, im September 2020 Alfred Stockinger
Pflegedirektor
am Universitätsklinikum Regensburg

Danksagung

Wir danken allen, die mit uns leben, arbeiten und lernen und uns inspirieren.

Wir danken Ihnen, unseren Lesern, dass Sie sich mit uns Gedanken machen über die Gesundheitsversorgung der Zukunft. In Zeiten wie diesen gilt es, die Pandemie-Bekämpfung und unseren klinischen und wissenschaftlichen Versorgungsauftrag zu integrieren – und das im Hinblick auf den akuten Mangel an Mitarbeitenden in den Gesundheitsberufen. Hier bedarf es nachhaltiger Lösungen. Wir glauben, dass interprofessionelle Zusammenarbeit in Lehre, Ausbildung und Praxis eine innovative und nachhaltige Strategie für das Gesundheitssystem und die Mitarbeiter, die dieses System konstituieren, darstellt.

Wir danken unseren Patienten für ihr Vertrauen und ihre positiven Rückmeldungen über ihre Behandlung auf unseren interprofessionellen Ausbildungsstationen. Wir danken ihnen, dass sie an unseren interprofessionellen Forschungsprojekten teilnehmen und uns so helfen, dass wir gemeinsam zu neuen – für Patientinnen und Patienten wichtigen – Fragestellungen gelangen. Durch eine gemeinsame Wissensintegration können wir kontinuierlich Behandlungsqualität, Behandlungsprozesse und Patientensicherheit verbessern.

Wir danken der Schlüterschen Verlagsgesellschaft, die dem Thema »interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ)« eine Plattform gibt. Funktionierende interprofessionelle Teams sind die Zukunft des Gesundheitssystems – national wie international – danke, dass wir mit unserem Buch zur Implementierung von IPZ beitragen dürfen.

Wir danken unserer Lektorin, Claudia Flöer, die jeden unserer Texte noch besser gemacht hat. Liebe Frau Flöer, wir haben immer mit Spannung erwartet, wie Sie unsere Texte umgesetzt haben und danken Ihnen für Motivation, viele Anregungen und für Ihren Blick auf das Wesentliche für die praktische Umsetzung im klinischen Alltag. So spannt sich der Bogen von der Frage »Was ist machbar?« zur Überlegung »Was ist umsetzbar?« und dem Wunsch »Was kann der Leser mitnehmen?« – Dies verdanken wir und unsere Leser Ihnen.

Wir danken den Autoren, die uns Schlüsselfaktoren in der Implementierung von IPZ erklären. Dies sind die interprofessionelle Ausbildung, Rahmenbedingungen wie Kommunikationsstrategien, strukturierte Protokolle, Skills Labs, eine verbesserte räumliche Integration der Professionen, innovative Führungsmethoden, Change Management, Organisationskultur, Informationssysteme und über allem ein Klima der Offenheit.

Wir danken Sabrina Hetz, Doris Wohlgemuth, Julia Kolbeck, Tanja Kracht und Sandra Meier für die Projektleitung unseres Projektes »Buch in der Inneren I« und für ihre Ruhe, Umsicht, Gelassenheit und vor allem gute Laune bei allen Herausforderungen im Projektverlauf.

Wir danken PD Dr. rer. nat. Karsten Gülow für seinen unerschütterlichen Altruismus, seine Freude und sein Talent, das beste Bild und die beste Abbildung zum Text zu finden.

Wir danken unseren Familien – für immerwährende Unterstützung – mit und ohne Buchprojekt.

Wir danken unserem Team: Es erfüllt uns mit großer Demut, mit Ihnen allen arbeiten zu dürfen und gemeinsam die Universitätsmedizin in all ihren Bereichen Forschung, Lehre, Klinik und Management nachhaltig zu gestalten. Wir sind uns einig, dass nicht die Leistungen Einzelner im Vordergrund stehen sollen, sondern der Nutzen/der Gewinn – »Value« für den Patienten. Dies sind unsere gemeinsame Wertvorstellungen, die Grundlage dieses Buches und unsere Motivation für die Zukunft.

Danke Ihnen und Euch allen!

Prof. Dr. med. Martina Müller-Schilling
Anna Mahnke

1  Das Regensburger Modell

Anna Mahnke, Martina Müller-Schilling

1.1 Das Regensburger Modell – interprofessionell arbeiten, forschen, lehren und managen

Der demografische Wandel, komplexer werdende Gesundheitsprobleme und die angespannte Personalsituation stellen alle Berufsgruppen in Krankenhäusern vor neue Herausforderungen.

Neue Konzepte werden benötigt, um diesen Herausforderungen mit innovativen und zukunftsorientierten Lösungen zu begegnen.

In der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Regensburg wurde ein solches Projekt ins Leben gerufen: »Das Regensburger Modell«. Hier arbeiten Ärzte und Pflegekräfte auf Augenhöhe interprofessionell zusammen – in allen Bereichen: Klinik, Forschung und Lehre –, die ein Universitätsklinikum zu bieten hat.

1.2 Das Regensburger Modell – Ein Exzellenzprojekt für Interprofessionalität

»Gute interprofessionelle Zusammenarbeit rettet Leben.« Unter diesem Leitmotiv entstand die Idee zum Regensburger Modell. Das Projekt wurde von uns – Professor Dr. med. Martina-Müller Schilling, Klinikdirektorin und Lehrstuhlinhaberin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I, und Anna Mahnke, Pflegedienstleitung des Pflegezentrums 4 am Universitätsklinikum Regensburg, konzipiert und initiiert.

Das klare Ziel aller beteiligten Berufsgruppen ist die beste Versorgung – fachlich und menschlich – für unsere schwerstkranken Patienten. Hierfür schaffen wir Rahmenbedingungen, die den Mehraufwand zur Implementierung honorieren, weil wir wissen, dass unsere gemeinsamen Anstrengungen nachhaltig sind und zu einem besseren Ergebnis und Wert, »Value«, in der Versorgung führen.

Eine gute Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen ist für die Gesundheitsversorgung des individuellen Patienten und für die Gesundheitsversorgung unserer Gesellschaft unverzichtbar:

Die Qualität der Patientenversorgung wird optimiert. Die Patientenzufriedenheit steigt. Die Akzeptanz der Behandlung erhöht sich und führt zu besseren Behandlungsergebnissen. Die Patientensicherheit nimmt zu.

Die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigt. Krankheits- und Fehltage nehmen ab und das Wohlbefinden der Mitarbeiter verbessert sich.

Die Integration und Ausbildung angehender Ärzte, Pflegekräfte und dual-Studierender gelingt vor dem Hintergrund einer neuen Arbeitsplatzattraktivität und der gelebten Mitarbeiterbeteiligung in einem sicheren Lernumfeld.

Interprofessionalität fördert die erfolgreiche Mitarbeiterentwicklung.

Interprofessionalität generiert praxisrelevante Forschungsansätze.

Interprofessionalität verbessert last but not least das wirtschaftliche Ergebnis der Klinik.

Wir haben einen Kulturwandel erfolgreich beschritten, darüber sind wir uns einig. Wir sind uns auch einig, dass dies ein stetiger Prozess ist. Durch interprofessionelles Miteinander hat sich eine hohe Motivationskultur und Mitarbeiterkultur entwickelt. Diese ist nicht nur vereinbar mit, sondern trägt entscheidend zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Klinik durch Transparenz und die Kommunikation aller Hierarchieebenen bei.

Wir sind überzeugt, dass unser »Regensburger Modell« – sicherlich an der ein oder anderen Stelle adaptiert –, an jeden anderen Standort übertragen werden kann. Aber wir müssen auch betonen, dass es nicht ausreicht, nur einzelne Maßnahmen zu initiieren. Um einen Kulturwandel zu beschreiten,

bedarf es einer ganzheitlichen Strategie,

struktureller Rahmenbedingungen (z. B. Einrichtung von gemeinsamen Zimmern für Pflegekräfte und Ärzte),

der Entwicklung und Einführung interprofessioneller Kommunikationstrainings,

interprofessioneller Lehr- und Lernformate und

umfassender Change-Projekte.

1.2.1 Interprofessionalität im klinischen Alltag

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Interprofessionelle Tafelbesprechungen und gemeinsame Visiten gehören zum täglichen standardisierten Tagesablauf. Der ärztliche und pflegerische Kliniktag ist synchronisiert, um hier größtmögliche Synergieeffekte zu erreichen.

In Zusammenarbeit mit anderen Kliniken und Instituten des Universitätsklinikums Regensburg finden interprofessionelle, interdisziplinäre Visiten, z. B. mit Vertretern der Klinikapotheke statt, so etwa die gemeinsamen Arzneimittelvisiten (image Kap. 3.7), in denen in Ergänzung zum Antibiotic Stewardship (image Kap. 3.7.2) z. B. der rationale Medikamenteneinsatz und mögliche Medikamenten-Interaktionen thematisiert werden. Ziel ist es, eine exzellente bedarfs- und ressourcenorientierte Versorgung zu gewährleisten, bei der der Patient im Mittelpunkt steht.

Neben der Klinikapotheke sind auch Disziplinen wie die Klinikseelsorge, die Physiotherapie, der psychiatrische Dienst oder das Referat für Personalentwicklung in die kontinuierlichen interprofessionellen Prozesse eingebunden.

1.2.2 Interdisziplinäre Forschung ist ein Benefit für alle – Akademisierung der Pflege

Der Einsatz von Bachelor- und Masterabsolventen in der Pflege hat die interprofessionelle Forschung intensiviert. Akademisierte Pflegekräfte in der direkten Patientenversorgung führen nachweislich (Aiken et al. 2014) zu messbarer Verbesserung der Patientenversorgung.

Interprofessionelle Forschungsergebnisse können so direkt in die Patientenversorgung integriert werden. Beispiele für praxisnahe und interprofessionelle Forschungsprojekte sind auf unserer Intensivstation Projekte wie:

das Management des Delirs,

die Untersuchung von Infektionen bei zentralen Gefäßkathetern,

die Etablierung und Validierung gemeinsamer Skills Lab-Trainings.

1.2.3 Interprofessionelle Aus-, Weiter- und Fortbildung als Personalentwicklungsmaßnahme

Alle Veranstaltungen im Rahmen der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Klinik werden im interprofessionellen Team geplant und durchgeführt (image Abb. 1). Beispielhaft ist hier die Fortbildungsreihe »Intensive Gastroenterologie«, die jedes Jahr unter Einbeziehung ärztlicher und pflegerischer Themen stattfindet und ein interaktives Konzept mit Vorträgen und »Hands-on« Training – interprofessionell und interdisziplinär – beinhaltet. Auch Selbsthilfegruppen, Zuweiser und die Patienten werden in die Fortbildungen eingebunden, um den intern gestarteten Kommunikations- und Interaktionsprozess auch nach außen zu tragen und einen wertschätzenden Dialog zu gestalten (image Abb. 2).

1.2.4 Interprofessionalität ist Chefsache

Interprofessionalität ist »Chefsache« und muss von der Führungsebene aus gelebt werden. Das »Regensburger Modell« steht dafür, jeden Mitarbeiter sowohl fachlich als auch in Managementfähigkeiten, in Budgetfragen und in der Führung des eigenen Bereichs zu unterstützen, zu entwickeln und weiter auszubilden.

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Jeder Mitarbeiter ist eine Führungskraft – das ist das Credo der Klinik.

Um alle Mitarbeiter entsprechend zu beteiligen und zu qualifizieren, finden jeweils zweimal im Jahr interprofessionelle Strategieklausuren statt. Die Themen der Klausur umfassen Klinik, Lehre und Forschung, um die Klinikstrategie und Ziele gemeinsam festzulegen, transparent zu machen und zu kommunizieren. Auch in die Budgetgespräche der Klinikdirektorin werden die leitenden Mitarbeiter sowohl von ärztlicher als auch von pflegerischer Seite eingebunden.

1.2.5 Transparenz in der Unternehmensführung

Gemeinsame Ziele zu verfolgen, funktioniert dann im klinischen und wissenschaftlichen Alltag, wenn Transparenz in allen Hierarchiestufen existiert. Hierzu veranstalten wir jeweils zweimal jährlich eine Strategieklausur für alle Mitarbeiter der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I für die Bereiche Gesamtstrategie der Klinik, Forschung und Lehre.

Thema der ersten Strategieklausur eines Jahres ist die Planung für das aktuelle Jahr. Jeder Mitarbeiter hat die Möglichkeit sich aktiv in die Jahresplanung und die strategische Ausrichtung der Klinik einzubringen. In der zweiten Strategieklausur erfolgt eine Evaluation der Themen, der Meilensteine und der Ziele.

Die Transparenz fördert die Motivation und die Beteiligung der Mitarbeiter. Zu spezifischen Themen gibt es eigene Strategierunden. Herauszuheben sind hier vor allem die Themen Forschung und Lehre sowie die strategische und betriebswirtschaftliche Ausrichtung der Klinik.

1.2.6 Ausbildung in der Zukunft – Interprofessionalität als Exzellenzmodell »A-STAR« und »I’M A-STAR«

Das Regensburger Modell ist ein Prozess, in dem die Interprofessionalität zu einer nachhaltigen Wertschätzung nach innen, in der Kommunikation der Mitarbeiter/Patienten und nach außen in der Kommunikation mit Zuweisern, Angehörigen und Selbsthilfegruppen und auch der Bevölkerung geführt hat. Hier haben wir innovative Formate gemeinsamer Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen etabliert.

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Info

Ziel ist, die Führungskräfte von morgen bestmöglich auf ihren zukünftigen ärztlichen oder pflegerischen Beruf vorzubereiten und den interprofessionellen Gedanken bereits im Studium bzw. der Ausbildung zu vermitteln.

Die Lernenden sollen einen Einblick in das jeweilige Tätigkeitsfeld des anderener halten. Ärzte sollen verstehen, wie das Pflegepersonal arbeitet und umgekehrt. Dieses professionsübergreifende Denken erweitert das Handlungsfeld des Einzelnen und ist für den späteren Umgang untereinander unabdingbar.

Im Rahmen dieses Ausbildungsmodells führen Medizinstudierende und angehende Pflegekräfte ihre eigene Station. Die Förderung unseres ärztlichen und pflegerischen Nachwuchses ist uns ein zentrales Anliegen. Unsere Modellstation A-STAR (AusbildungsSTAtion Regensburg) (image Kap. 5.2) eröffnet in einer geschützten Lernatmosphäre neue Möglichkeiten des Lernens. Wir wollen Verantwortungsbewusstsein und Selbstständigkeit vermitteln und das Miteinander fördern – im Umgang mit Patienten, aber auch in der interprofessionellen Leitung einer Station.

Das Skills Lab (image Kap. 5.1) nimmt hier einen großen Stellenwert ein. Durch gezielte »Hands-on« Trainings werden im sicheren Rahmen Fähigkeiten gezielt eingeübt. Ziel ist es, eine qualitativ hochwertige sowie bedarfs- und ressourcenorientierte Patientenversorgung zu vermitteln. Der Lehransatz ist ganzheitlich gewählt. Zu den Inhalten gehören universitäre Maximalversorgung und Empathie, die Diskussion ethischer Fragestellungen wie auch betriebswirtschaftlicher Inhalte, tägliche Teamreflexionen, Selbst-Management und Salutogenese. All das sind Inhalte, die Mitarbeiter, Studierende und Auszubildende gemeinsam anspornen und begeistern. Fragt man die Patienten, so möchten diese – falls sie denn wieder in die Klinik kommen müssten – unbedingt wieder auf die Ausbildungsstation – so groß ist die Zufriedenheit mit der A-STAR.

Immer wieder bringen Medizinstudierende und Pflegeauszubildende zum Ausdruck, dass das Vertrauen und die Wertschätzung, die ihnen auf der Ausbildungsstation vermittelt werden, ihre Selbsteinschätzung und persönliche Reife nachhaltig verbessern und fördern.

Wir haben im Oktober 2019 mit unserer interprofessionellen Ausbildungsstation A-STAR auf einer Überwachungsstation begonnen. Nachdem das Projekt vom Start weg von allen Beteiligten, Pflegekräften, Studierenden, Patienten und Angehörigen, eine überaus positive Resonanz erhielt, haben wir uns gemeinsam entschlossen, das Projekt auf die Intensivmedizin zu erweitern.

Im Mai 2020 eröffneten wir die erste Erwachsenen-Intensivmedizin-Ausbildungsstation in Deutschland. Wir nennen diese Station »I’M A-STAR«, was für Intensiv-Medizinische AusbildungsSTAtion Regensburg steht. Der Name impliziert bereits die fachliche und auch menschliche Weiterentwicklung, die intendiert ist.

Das Besondere an der A-STAR und der I’M A-STAR:

die interprofessionelle Ausrichtung mit Einbeziehung von Physiotherapie, Sozialpädagogen, Ernährungswissenschaftlern, Diabetesberatern, Wundmanagern,

die interdisziplinäre Ausrichtung, z. B. durch die Einbeziehung von Pharmazie-Studierenden im Praktischen Jahr,

das Lehrangebot im Bereich Management, das Grundlagen der Krankenhausbetriebswirtschaftslehre vermittelt,

die Forschungsausrichtung mit gemeinsamen klinischen Studien wie auch gemeinsamer Grundlagenforschung gemeinsam mit den Studierenden des Studiengangs Molekulare Medizin der Medizinischen Fakultät Regensburg,

die konsequente Strategie eines holistischen Ansatzes mit Kommunikationstrainings, Integration der Seelsorge am Klinikum und – über die Arzt/Pflege/Patienten-Situation hinausführend – der Integration der Angehörigen mit dem Ziel der Sicherung der Nachhaltigkeit der stationären Behandlung.

1.2.7 Empathische High-End-Medizin funktioniert nur interprofessionell

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Die Erkenntnis aus der bisherigen Projektlaufzeit lautet: »High-End-Medizin funktioniert nur gemeinsam und interprofessionelle Zusammenarbeit rettet Leben.«

Die transparente Kommunikation auf Augenhöhe fördert das Gemeinschaftsgefühl, die Mitarbeitermotivation steigt. Alle Mitarbeiter, der ärztliche und pflegerische Nachwuchs und die Patienten profitieren vom engagierten und motivierten Team und dem positiven Betriebsklima.

Die Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) versteht sich als Markenbotschafter für gelebte Interprofessionalität, die zukunftsweisend in der Kliniklandschaft sein wird. Die Führungskräfte und Mitarbeiter nehmen hier eine Vorreiterrolle zu Gunsten von interprofessioneller Zusammenarbeit und mehr »Miteinander« ein.

Der Erfolg des »Regensburger Modells«, das 2019 mit dem zweiten Platz beim Innovationspreis des Springer Medizin Verlages – für interprofessionelle Projekte im Gesundheitswesen – ausgezeichnet wurde, lässt sich z. B. in der Verbesserung der Leistungszahlen der Klinik messen.

Wichtig ist es, einen dauerhaften Veränderungsprozess einzuleiten, der immer wieder kritisch reevaluiert wird. Interprofessionelle Kommunikation auf Augenhöhe, Transparenz, Information, Wertschätzung und Miteinbeziehen sind die wichtigsten Säulen des »Regensburger Modells«. Für alle Mitarbeiter resultiert hieraus die Motivation und die Identifikation mit der Klinik.

Literatur

Aiken LH, Sloane DM, Bruyneel L, Van den Heede K, Griffiths P, Busse R, Diomidous M, Kinnunen J, Kózka M, Lesaffere E, McHugh MD, Moreno-Casbas MT, Rafferty AM Schwendimann R, Scott PA, Tishelman C, van Achterberg T, Sermeus W (2014): Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study. The Lancet. 383: 1824–30.

Palese A, Watson R (2014): Nurse staffing and education in Europe: if not now, when? Lancet. 2014; 383(9931):1789–1790. doi:10.1016/S0140-6736(14)60188-4

Diya L, Van den Heede K, Sermeus W, Lesaffre E (2012): The relationship between in-hospital mortality, readmission into the intensive care nursing unit and/or operating theatre and nurse staffing levels. J Adv Nurs. 2012;68(5):1073–1081. doi:10.1111/j.1365–2648.2011.05812.x

Kim Y, Kim SY, Lee K (2020): Association between registered nurse staffing levels and in-hospital mortality in craniotomy patients using Korean National Health Insurance data. BMC Nurs. 2020;19:36. Published 2020 May 7. doi:10.1186/s12912-020-00430-0

2  Change Management im interprofessionellen Kontext

Von Martina Oldhafer und Felix Nolte

Das Gesundheitswesen als Ganzes sowie die darin agierenden Akteure im Einzelnen stehen vor enormen und sich überdies mit einer ständig beschleunigenden Frequenz wandelnden Herausforderungen. Auf der einen Seite lässt sich ein zunehmend energischeres Eingreifen der Politik bzw. Legislative beobachten. Hierzu sei nur exemplarisch auf ein paar Punkte hingewiesen:

Pflegepersonaluntergrenzen,

gestufte Notfallstrukturen,

IT-Sicherheitsgesetz,

Entlassmanagement.

Diese Aspekte stehen stellvertretend für eine Vielzahl weiterer Themenbereiche und binden in ihrer praktischen Umsetzung tagtäglich enorme personelle – und damit ebenso monetäre – Kapazitäten.

Auf der anderen Seite nimmt der stetig wachsende Wettbewerbsdruck um immer knapper werdende Ressourcen für viele Krankenhäuser zunehmend dramatischere Formen an. Darüber hinaus sorgt der seit Jahren grassierende Pflegepersonalnotstand (wobei es im ärztlichen Bereich häufig kaum günstiger aussieht) bei praktisch allen verantwortlichen Führungskräften regelmäßig für Kopfzerbrechen.

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Deutlich geringere Beachtung findet in diesem Kontext hingegen diefundamentale Problematik, dass im Gesundheitswesen – insbesondere in Krankenhäusern – nach wie vor meist eine stark hierarchische und von traditionellen Paradigmen geprägte Unternehmenskultur herrscht.

Immer noch herrscht im Regelfall statt eines Miteinanders ein Gegen- oder günstigstenfalls Nebeneinander. Partikularinteressen einzelner Gruppen oder Personen spielen dabei nicht selten eine größere Rolle als auf interprofessionelle Kooperation und Zusammenarbeit fokussierte Handlungsmaximen. Insbesondere Pflegekräfte geraten hierbei aufgrund ihrer ständigen Nähe zu Patienten nicht selten zwischen die Fronten und werden inmitten der konkurrierenden Lager zerrieben.

Sicher kann es vor diesem Hintergrund aus Führungsperspektive sinnvoll und hilfreich sein, gezielt nach dem Warum zu fragen sowie eine analytisch geprägte und professionell strukturierte Vorgehensweise zu nutzen, um die offensichtlichen Herausforderungen anzunehmen und Veränderungen proaktiv anzustoßen. Meist stellt ein solches Vorgehen jedoch nur einen kleinen Teilaspekt im Rahmen einer ganzheitlichen Strategie dar, denn bei Kulturveränderungen geht es um das wirkliche Leben in seiner gesamten Spannweite: Um

Emotionen,

Ängste,

Motive,

Bedürfnisse,

Erwartungen,

Vertrauen,

Offenheit und

Kommunikation.

Natürlich ließe sich diese Liste noch um eine Vielzahl weiterer Faktoren ergänzen, doch wenn die eben formulierten Punkte in angemessener Weise Berücksichtigung finden, ist bereits eine recht solide Handlungsbasis gelegt, um erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit fördern zu können – und genau an dieser Stelle treten die originären Aktivitäten des Change Managements auf den Plan.

So lässt sich im Krankenhauskontext in den vergangenen Jahren immer häufiger beobachten, dass sich ehemals engagierte Pflegekräfte zunehmend aus der Arbeit am Bett bzw. am Patienten zurückziehen. Diese Tendenz ist dabei in vielen Fällen weniger auf monetäre Aspekte, als vielmehr darauf zurückzuführen, dass sich Pflegekräfte nicht angemessen in ihrer Arbeit respektiert und wertgeschätzt fühlen. Selbst die fortschreitende Akademisierung der Pflegeberufe hat hieran bislang nur wenig ändern können. Insbesondere im Rahmen umfassender Change-Projekte spielen jedoch Respekt und Wertschätzung eine maßgebliche Rolle, um Veränderungen auf Mitarbeiterebene erfolgreich anstoßen, umsetzen und nachhalten zu können. Prozesse können dokumentiert, visualisiert und geschult werden, doch am Ende basiert Erfolg auf der Akzeptanz an der Basis.

Sowohl klinische als auch organisatorische Prozesse werden kontinuierlich evaluiert und gegebenenfalls angepasst. In aller Regel verfolgen entsprechende Aktionen klar definierte Ziele und sind durch betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten bedingt. So wird versucht,

bestehende Prozesse effizienter zu gestalten,

schlankere Strukturen zu etablieren,

sich durch neue Therapie- und Behandlungsverfahren von Mitbewerbernabzugrenzen oder

das existierende Angebotsportfolio durch Neu- und Umbaumaßnahmen zuoptimieren.

Gleichzeitig lässt sich in der Praxis überdurchschnittlich häufig beobachten, dass Change-Projekte in Krankenhäusern bei den Mitarbeitenden und mittleren Führungskräften gleichermaßen auf enorme Skepsis und Veränderungsresistenz stoßen. Ursachen hierfür lassen sich sowohl auf struktureller als auch auf soziokultureller Ebene finden. Die strukturelle Hemmschwelle bilden dabei vor allem die traditionell stark ausgeprägten Hierarchien, die nicht selten eine offene und wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe erschweren und dazu führen, dass sich viele Mitarbeitende schnell übergangen fühlen oder selbst »als kleines Rädchen im System« wahrnehmen.

Auf soziokultureller Ebene herrschen indes wenig Zweifel, dass das Krankenhaus als Institution eine klassische Expertenorganisation mit hochspezialisierten Berufsgruppen verkörpert, wodurch an vielen Stellen ein ausgeprägtes Silodenken mitentsprechend problematischen Auswirkungen auf die interprofessionelle Kommunikation und Zusammenarbeit einhergeht.

Entscheidend ist dabei vor allem, diese Problematik anzuerkennen und gemeinsame Dialog- und Diskussionsformate zu entwickeln. Der angestrebte Dialog sollte sich in erster Linie um gemeinsame Ziele, gewünschte Formen der Zusammenarbeit sowie den persönlichen Austausch und nicht um die Fachlichkeit der berufsspezifischen Alltagsprobleme drehen.

Die in das Gesundheitswesen strebenden Menschen suchen meist vor allem nach Sinn und Werten und weniger nach Vorgaben, die häufig von »langgedienten« Mitarbeitenden nicht eingehalten oder regelmäßig hinterfragt werden. Dies kann bei Hygienethemen beginnen und nicht selten bei Verfahrensanweisungen enden. Erfahrung ist unzweifelhaft ein wesentlicher und wichtiger Wert in allem Handeln, darf jedoch nicht als pauschale Entschuldigung für prinzipielles Zuwiderhandeln genutzt werden, denn dann leiden Respekt, Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Um den Dialog offen und ehrlich führen zu können, sollten gleichzeitig auch kritische Fragen ausreichende Berücksichtigung finden. Diese könnten z. B. sein:

Welche Gründe führen zum Silodenken/Abgrenzungsdenken in unserer Klinik auf unserer Station/in unserem Bereich?

Was lässt uns unkooperativ und egoistisch werden?

Wie gehen wir mit dem Patientenerleben um?

Was erschwert die Zusammenarbeit? Wie macht sich das bemerkbar?

Welche Strukturen, Prozesse oder Instrumente stimulieren das Gegeneinander?

Welche Prozesse entsprechen primär den Vorlieben Einzelner?

Ist es in meinem Interesse, wenn ein Kollege versagt oder Fehler macht?

Ist es in unserem Interesse, wenn eine andere Station/Klinik schlechte Versorgung leistet oder einen schlechten Ruf hat?

Gibt es heimliche Agenden einzelner Führungskräfte? Werden Mitarbeiter dadurch instrumentalisiert?

Wenn wir kooperieren: Wird es wahrgenommen? Wird es wertgeschätzt oder verlieren wir dann an Ansehen und Macht?

2.1 Wie gelingt es, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen und Interprofessionalität gelebt wird?

Die meisten Beschäftigten im Krankenhaus wünschen sich ein gelebtes Miteinander im Arbeitsalltag und versuchen entsprechend regelmäßig, dies über informelle Netzwerkstrukturen für sich und ihr direktes Umfeld erlebbar zu machen. Doch zu häufig müssen sie feststellen, dass die vor Ort existierenden Voraussetzungen der Entwicklung einer »Wir-Kultur« entgegenstehen.

Wie bereits eingangs beschrieben, ist das Gesundheitswesen vor allem durch nach wie vor vergleichsweise starre Hierarchien sowie einen hohen Spezialisierungsgrad geprägt, wodurch eine offene und ehrliche Kommunikation tendenziell erschwert wird. Vorhandene (in der Regel sehr begrenzte) Ressourcen werden den einzelnen Spezialbereichen von zentraler Stelle aus zugewiesen. Übergreifende Kooperationsbestrebungen werden in der Konsequenz nicht selten von Interessenskonflikten und Konkurrenzdenken überschattet.

Dies bezieht sich natürlich nicht nur auf die unterschiedlichen Fächer oder Disziplinen, sondern auch auf die direkte und indirekte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Professionen. So leidige Themen wie die Unterstützung durch ein Sekretariat (Wer darf es nutzen? – Wer hat die Hoheit? – Wer wird zuerst bedient? etc.) können hier bereits eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellen, insbesondere dann, wenn die »Stelle« einem bestimmen Bereich zugeordnet ist und die Inanspruchnahme in der Konsequenz das Personalbudget in eben diesem Bereich schmälert.

An dieser Stelle bedarf es eines grundsätzlichen Umdenkens hin zu anderen Anreiz- und Kooperationsformen, deren Ziel in einer stärkeren »Wir-Orientierung« und dem Abbau von bereichs- und abteilungsbezogenen Egoismen liegen muss.

Einen durchaus interessanten Anknüpfungspunkt bieten hier die in anderen Branchen bereits seit einigen Jahren populär gewordenen, agilen Ansätze. Nun wird häufig behauptet, dass agile Methoden im Krankenhaus nicht nutzbar oder umzusetzen sind. Das mag für den Alltag zu einem gewissen Teil stimmen.

Klassisches Projektmanagement agiert in der Regel nach dem Wasserfallprinzip, mit klar definierten Projektstrukturen mit Projektplan, Meilensteinen und parallel laufendem Projektcontrolling. Diese Vorgehensweise stellt allerdings für viele Beschäftigte in der Pflege keine übliche Praxis dar.

Im pflegerischen Alltag gilt vielmehr die Devise, dass sich Abläufe in allererster Instanz an den individuellen Bedürfnissen der Patienten orientieren und nur selten nach Schema F ablaufen können. Genauso wie sich Bedürfnisse spontan ändern und unerwartete Zwischenfälle auftreten können, müssen Pflegekräfte ihre Planung kurzfristig adaptieren und Improvisationsgeschick beweisen. Denn nur so können sie den ständig wechselnden Herausforderungen adäquat begegnen.

Genau hier liegen in der Regel auch die Stärken der Pflege: Pragmatisch, erfahrungsorientiert und individuell auf spezifische Situationen reagieren zu können und gleichzeitig die wesentlichen Vorgaben einzuhalten.

2.2 Wie viel »agiler Change« ist im Sinne eines iterativen Vorgehens und Bottom-up möglich?

Agile Methoden sind im Gesundheitswesen bisher weitestgehend unbekannt und wenig erprobt. Iteratives Vorgehen, also eine Planung und Durchführung von Veränderungen auf Basis kurzer und flexibler Zyklen sowie Bottom-up im Sinne einer stärkeren Einbindung der Basis sind mindestens ebenso wenig verbreitet. Gleichzeitig ist das Thema Agilität in vielen anderen Wirtschaftsbereichen seit einigen Jahren quasi in aller Munde und wird hinsichtlich seiner Popularität derzeit nur von wenigen weiteren Themen, wie z. B. der Digitalisierung übertroffen.

Im Dschungel der bereits vorhandenen Lehrbücher, Ratgeber, Blogs und weiteren Informationsquellen stoßen Interessierte auf eine Vielzahl von teils sehr unterschiedlichen Auffassungen zum Thema Agilität. Dennoch lassen sich einige weitgehend anerkannte Grundprinzipien agilen Handelns durchaus erkennen. Diese sehr fundamentalen Merkmale können dabei erfahrungsgemäß am effektivsten anhand einer direkten Gegenüberstellung zu »klassischen« Mustern vermittelt werden (image Tab. 1).

Tab. 1: Grundprinzipien agilen Handelns vs. klassischer Methoden

Klassisch Agil

Definierte Prozesse

Pyramidenförmige Hierarchien

Kaskadenförmige Kommunikationswege

Strikte Trennung zwischen Planung (obere Ebenen) und Ausführung (untere Ebenen)

Anweisung und Kontrolle von oben

Mechanistisches Ursache-Wirkungs-Denken

Planung auf mittel- bis langfristiger Ebene

Rollenverteilung entsprechend Organigramm

Know-how durch Prozesse abgebildet und verfügbar gemacht

Operative Entscheide an der Spitze

Sequenzielle Vorgehensweisen

Verteilung von Entscheidungskompetenzen

Rollenverteilung entsprechend Regelwerk der agilen Methodik

Planung auf kurz- bis mittelfristiger Ebene

Know-how in Teams geteilt und verfügbar gemacht

Operative Entscheide an der Basis

Iterative Vorgehensweisen

»Wir« steht im Vordergrund

Kreativität und Innovativität haben hohe Priorität im Bereich Problemlösungsverhalten

Insgesamt entsprechen agile Vorgehensweisen damit deutlich besser den Vorstellungen und Erwartungen der jüngeren Generationen Y und Z, indem sie bewusst stärker auf das Prinzip setzen, eigene Ideen und Kreativität in das direkte Arbeitsumfeld einfließen zu lassen und dadurch mehr Autonomie- und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen.

Beide Generationen sind im Vergleich zu vorangegangenen Generationen wesentlich intensiver durch das Ideal geprägt, dass ihnen im Sinne persönlicher Selbstverwirklichung potenziell alle Wege offen stehen und kritisches Denken nicht nur erlaubt, sondern vielmehr gewünscht ist.

Diese Vorstellungen stehen jedoch in vielen Fällen auf geradezu konträre Weise den Strukturen gegenüber, die von jungen Menschen aktuell in der Praxis erlebt werden. Aufgrund dieser Tatsachen kann davon ausgegangen werden, dass Unternehmen in absehbarer Zeit geeignete Mittel und Wege finden müssen, um sich hinsichtlich der beschriebenen Zielgruppen als potenziell attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und dadurch auch zukünftig ausreichend qualifiziertes Fachpersonal akquirieren zukönnen.

Insbesondere innerhalb einer hierarchiegeprägten Unternehmenskultur bedarf es allerdings kleiner Schritte der Annäherung, da sich aus den tradierten Strukturen unweigerlich auch persönliches Ansehen sowie individuelle Vorteile und Rollenerwartungen speisen, die nicht ohne Weiteres über Bord geworfen werden können und sollen.

Ein im Krankenhauskontext bereits erprobtes Tool bilden dabei z. B. die auf dem Kanban-Prinzip basierenden Teamboards. Mithilfe von Teamboards lässt sich erfahrungsgemäß bereits nach recht kurzer Eingewöhnungszeit deutlich mehr Transparenz in die Prozessabläufe einer Station bringen und die daraus resultierenden Erfolge für alle Beteiligten erfahrbar machen. Bisher unbekannte Potenziale können gehoben und die Kommunikation verbessert werden, indem dank der übersichtlichen Visualisierung alle Teammitglieder die aktuelle Situation einschätzen können und die gemeinsamen Ziele kennen. Der gesamte Prozess wird dabei nachvollziehbarer und richtet den Fokus effektiv auf den Patienten.

Frühbesprechungen können sich in Stand-up-Meetings wandeln und dadurch klassische Meetingstrukturen verändern. Häufig bedarf es etwas Mut und Durchhaltevermögen. Sobald alte räumliche Strukturen wieder vorhanden sind, werden diese auch wieder in klassischer Weise genutzt. Stühle und Tische für kurze Besprechungen bilden dabei nicht das richtige Umfeld für Stand-up-Meetings und sollten sich, sofern räumlich möglich, außer Reichweite befinden, um gar nicht erst die Versuchung entstehen zu lassen, wieder in alte Gewohnheiten zu verfallen.

2.3 Braucht es gerade in Krankenhäusern eine Innovationskultur mit mehr Bottom-up und weniger Top-down?

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Die Erfahrung zeigt regelmäßig, dass Unternehmen mit einer Entscheidungsstruktur, die weniger durch ein Top-down und stattdessen stärker von einer Bottom-up-Mentalität charakterisiert ist, eine überdurchschnittlich ausgeprägte Innovationskultur aufweisen.

Um eine entsprechende Qualität in einem durchschnittlichen Krankenhaus zu etablieren, fehlt es allerdings in vielen Fällen an gemeinsamen Interessen, einem ausreichenden Maß an gegenseitigem Vertrauen sowie auch praktischen Handlungsoptionen. Oft sind Führungskräfte selbst auf der Suche nach neuen Vorgehensweisen oder Tools – schlichtweg Handwerkszeug –, die ihnen Erfolg garantieren. Um eine Fehlannahme bereits im Vorfeld aus der Welt zu schaffen: Ein solches Handwerkszeug existiert (leider) nicht.

Unzweifelhaft lassen sich auf dem Markt unzählige wertvolle und praktisch erprobte Methoden und Ansätze finden, doch liegt – gemäß unseren Erfahrungen – das größte Potenzial und die größte Chance in der Persönlichkeit und dem persönlichen Ethos der Führungskraft. Da spielt es keine Rolle, aus welcher originären Profession heraus die Führungskraft agiert. Vielmehr stellen sich die Fragen:

Verfügt sie selbst über ein gewisses Maß an Veränderungsaffinität und zudem über Nähe sowie Vertrauen zu ihrem Team?

Ist sie eine Führungskraft zum Anfassen und Ansprechen?

Treffen die genannten Merkmale auf die Führungskraft in ausreichender Weise zu, steigen automatisch die Chancen für gelungene Kommunikation und ein Wandel wird leichter möglich. Das Verbergen hinter Terminen, Mails und sonstigen »wichtigen Führungsaufgaben« stellt dagegen eher einen Hemmschuh dar.

Um Veränderungen nachhaltig umzusetzen, kommt dem immer wieder beschworenen »Abholen und Mitnehmen« der Beschäftigten entscheidende Bedeutung zu. Gerade im Zeitalter der zunehmenden persönlichen Entfremdung durch die immer intensivere Nutzung digitaler Medien ist das Bedürfnis des Menschen, »Face-to-Face« miteinander zu kommunizieren, eher gestiegen als gesunken. Insbesondere im Gesundheitswesen spielt dieser Umstand eine entscheidende Rolle.

Veränderungen stellen für die meisten Menschen schon rein evolutionsbedingt im ersten Moment eher eine Bedrohung als einen Segen dar. Schließlich könnte hinter jedem Felsen potenziell ein Säbelzahntiger lauern und sich jede unbekannte Pflanze als giftig herausstellen. Das, was positiv beurteilt wird, wird als Belohnung interpretiert. Die Informationsverarbeitung von Belohnungen hat somit eine appetitiv-motivationale und -volitionale Wirkung und basiert auf bzw. führt zu einem Wollen. Umgekehrt wird das, was negativ beurteilt wird, als Bedrohung interpretiert. Die Informationsverarbeitung von Bedrohungen besitzt also eine aversiv-motivationale und -volitionale Wirkung und führt entsprechend zu einem Nicht-Wollen.

70 bis 80 Prozent aller Entscheidungen sind unbewusst vorbestimmt und emotionsgesteuert und dies, obwohl wir doch so fest davon überzeugt sind, alles rein rational entschieden zu haben. Dass die tatsächliche Bedeutung rationaler Denkprozesse strukturell überschätzt wird, hat spätestens der amerikanische Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann in seinem empfehlenswerten Buch »Thinking fast and slow« (Kahnemann 2012) anschaulich auf den Punkt gebracht.

Folgende Aspekte beeinflussen den Change-Prozess im Gesundheitswesen immer wieder auf charakteristische Art und Weise:

2.3.1 Von der Experten- zur Innovationskultur

Die Expertenorganisation ist streng hierarchisch aufgebaut und lässt wenig Spielraum für Flexibilität. Expertenorganisationen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass sie nur begrenzt generalistische Aktivitäten und Denkansätze zulassen.

Eine Innovationskultur ermöglicht interprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit und könnte sich beispielsweise im Rahmen einer Innovationswerkstatt etablieren, also einem geschützten und allen Mitarbeitenden zur Verfügung stehenden Ort, an dem frei gedacht, experimentiert und hierarchieunabhängig miteinander kommuniziert werden kann.

2.3.2 Vom Silo-Denken zum Wir-Denken

Beim Silo-Denken sind verschiedene Bereiche der Organisation stark nach innen orientiert und pflegen nur wenig interdisziplinären Austausch. Dies kann so weit gehen, dass der interdisziplinäre und/oder interprofessionelle Austausch als »Verrat« an der eigenen Profession gedeutet wird. Insbesondere dann, wenn es um die Zuteilung von Mitteln bzw. Ressourcen geht.

Wer die Aufforderung zur besseren Zusammenarbeit ernst meint, muss sich von Diven und Supermännern, die sich durch ein hohes Maß an Konkurrenzdenken und aggressive Durchsetzungstechniken »auszeichnen«, konsequent trennen!

Diese Konsequenz fehlt jedoch in vielen Kliniken: »Aber die Zahlen stimmen doch…, die Patienten kommen wie von selbst!« Das mag so sein, doch wer die Einzelleistung bewusst fördert, sollte in der Konsequenz auch Einzelkämpferplätze für Einzelkämpfer schaffen und diese vom Team trennen. Und dies möglichst frühzeitig, bevor die Einzelkämpfer entweder den Teamgeist zerstören oder ein starkes Team damit beginnt, eine heimliche Agenda zu verfolgen.

2.3.3 Von der Fehler- zur Irrtumskultur

Im Kontext einer klassischen Fehlerkultur ziehen Fehler eine Bestrafung des Verursachers nach sich und werden daher nach Möglichkeit verschwiegen.

Eine Irrtumskultur geht grundsätzlich davon aus, dass niemand absichtlich einen Fehler begeht. Irrtümer ziehen keine Sanktionen nach sich, sondern bereichern die Organisation und werden von allen Beteiligten als Chance betrachtet. In der Folge steigt die Bereitschaft, einen Irrtum öffentlich zu machen, um dadurch ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen.

2.3.4 Von nicht gelebter Feedback-Kultur zur gelebten Stärkenorientierung

Bei einer nicht gelebten Feedback-Kultur wird nur wenig oder kein Feedback bzw. vorrangig negatives Feedback beim Auftreten von Problemen gegeben.

Stärkenorientierung, sowohl in der Kommunikation als auch in der Aufgabenverteilung, führt zu positiver Motivation und in der Folge zu verstärktem Engagement. Die Mitarbeitenden erfahren, in welchen Bereichen ihre ganz persönlichen Stärken liegen und fühlen sich ermutigt, diese aktiv in ihr Arbeitsumfeld zu kommunizieren und einzubringen.

2.3.5 Von reiner Prozess-Orientierung zu iterativem Vorgehen

Bei einer reinen Prozess-Orientierung basiert die Arbeit in der Organisation auf strengen – meist jedoch auf rationaler Ebene nicht begründbaren – Prozessvorgaben und lässt nur wenig Spielraum für individuelle Vorgehensweisen.

Iteratives Vorgehen bindet Mitarbeitende früher in die Prozessgestaltung ein. Prozesse werden über mehrere Feedbackschleifen gemeinsam zielorientiert erarbeitet. Hierbei herrscht eine vergleichsweise höhere Eigenverantwortung und Compliance sowie Nachhaltigkeit bei der Umsetzung.

Es ist ein Fehler, strukturelle Probleme auf Individuen zu übertragen. Es sind die institutionellen Strukturen, Prozesse und Entscheidungen, die die Menschen prägen. Es mag oft häufig wie ein Problem wirken, das den Menschen als Person betrifft oder das von einzelnen Persönlichkeiten ausgeht (»Die arbeiten nicht zusammen« – »Die geben ihr Wissen nicht weiter«…), doch tatsächlich verbergen sich im Hintergrund in den meisten Fällen strukturelle Probleme.

2.3.6 Von langfristigen Prognosen und Planungen zur Marktplatzkommunikation

Die Arbeit in hierarchischen Organisationen orientiert sich an meist nicht klar kommunizierten und für den Einzelnen nur schwer nachvollziehbaren Zielen.

Eine Marktplatzkommunikation bindet alle Mitarbeitenden immer wieder ein. Informationen lassen sich nicht einschließen und der sogenannte Flurfunk ist in der Regel destruktiver als eine offene sowie transparente Kommunikation – eben wie auf dem Marktplatz. Entsprechende Kommunikations- und Diskussionsformate können in regelmäßigen Zyklen veranstaltet werden und bieten allen Mitarbeitenden die Gelegenheit, auf niedrigschwelliger Ebene in den gemeinsamen Dialog zu treten.

2.4 Wie kann gelungene Kommunikation die interprofessionelle Zusammenarbeit verbessern?

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Info

Gelungene Kommunikation bildet im Krankenhauskontext einen entscheidenden Erfolgsfaktor, denn nur auf Grundlage gelungener Kommunikation kann Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit erzielt werden.

In direkter Konsequenz hängt somit ebenso die Qualität der Arbeit und am Ende des Tages gleichsam auch die ökonomische Situation maßgeblich von der Art und Weise ab, wie miteinander kommuniziert wird. Die direkte und unmittelbare Kommunikation vor Ort bildet den entscheidenden Faktor und besitzt eine nachhaltigere Wirkung als Mails, Aushänge und sonstige schriftliche bzw. elektronische Kommunikationsmedien.

Die Qualität eines Krankenhauses wird heutzutage zudem immer stärker durch die Patienten selbst anhand der gelebten Kommunikationsformen beurteilt. Hierbei spielt eine wichtige Rolle, inwieweit die für den Patienten relevanten Informationen zwischen Ärzten und Pflegekräften weitergegeben werden. Patienten gehen davon aus, dass dies automatisch und möglichst zeitnah erfolgt. Sie sind dann verwundert, wenn die eine oder andere Seite noch nichts von einem anstehenden Untersuchungs- oder Entlassungstermin weiß. Auch das wiederholte Abfragen behandlungsrelevanter Patientendaten wird vom Patienten nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit wahrgenommen, sondern – zutreffender Weise – als Hinweis auf mangelnden interprofessionellen Austausch interpretiert.

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Hinweise wie »Das wurde ich schon zum wiederholten Mal gefragt…« –»Sprechen Sie denn gar nicht miteinander?« sollten von allen Beteiligten als Warnsignal verstanden und die bisherigen gemeinsamen Kommunikationsmuster kritisch hinterfragt werden.

Mitarbeitende erkennen in aller Regel recht schnell, inwieweit die angeführten Argumente hinsichtlich der Notwendigkeit eines Wandels aus ihrer Erfahrungs- und Wahrnehmungsrealität heraus tragfähig erscheinen und welche Rolle sie selbst bei dem Wandel übernehmen sollen und können. Sie überprüfen in Millisekunden, ob sie grundsätzlich dafür oder dagegen sind. Authentizität und Glaubwürdigkeit der kommunizierenden Führungskraft sind dabei nicht nur zu Beginn eines Veränderungsprozesses entscheidend, sondern bleiben über den gesamten Verlauf einer der wichtigsten Parameter, von denen ein nachhaltiger Erfolg abhängig ist. Auch hierfür verfügen die meisten Mitarbeitenden in der Regel über sehr feine Antennen.

Dass Kommunikation einen der wichtigsten Aspekte in Veränderungsprozessen darstellt, muss an dieser Stelle kaum gesondert betont werden. Es bedarf einer klaren und professionellen Strategie hinsichtlich der Kommunikation des angestrebten Veränderungsziels. Dabei bildet die Frage nach dem »Was« nur einen ersten grundlegenden Schritt.

Das hier zugrundeliegende Prinzip lässt sich als das häufig beschworene Abholen und Mitnehmen der Mitarbeitenden zusammenfassen. Nicht selten werden diese quasi im Regen stehen gelassen, genauso wie der Fahrgast an der Bushaltestelle, der vom Busfahrer durch die regennassen Scheiben nicht gesehen wurde.

Bei allen Veränderungsprojekten lassen sich vier Mitarbeitertendenzen identifizieren:

1. Es gibt die Promotoren, die aktiv das Projekt vorantreiben, primär alles positiv sehen und die Umsetzung kaum erwarten können.

2. Diametral auf der anderen Seite stehen die Gegner, die die Veränderung nicht nur skeptisch sehen, sondern deren Notwendigkeit vollständig negieren und offen oder verdeckt aktiv dagegen intervenieren.

Beide Gruppen sind in der Regel ungefähr gleich groß und bilden in einem Unternehmen zusammen etwa ein Drittel aller Mitarbeitenden. Wer sind also die zwei weiteren Drittel?

3. Hier finden sich zum einen die Mitarbeitenden, die dem Veränderungsprojekt skeptisch (Skeptiker) gegenüberstehen, weil sie inhaltliche »Webfehler« entdeckt haben und ihnen Zahlen, Daten und Fakten fehlen oder nicht überzeugend erscheinen. Diese Mitarbeitenden sind in allen Projektgruppen diejenigen, die beinahe jede Diskussion mit »Ja aber…« beginnen und häufig objektiv durchaus wertvolle Hinweise und Anmerkungen in die Diskussion einbringen können, um auf potenzielle Risiken und Gefahren hinzuweisen.

4. Ein weiteres Drittel bilden die Mitarbeitenden, die sich durch das Projekt persönlich bedroht (Sicherheitsbedürftige) fühlen. Sie empfinden eine Bedrohung hinsichtlich ihrer Aufgabe, ihrer Reputation, ihrer Qualifikation und vielem mehr. Hier spielen vor allem Emotionen eine entscheidende Rolle. Diese Mitarbeitenden zu begeistern, stellt eine besondere Herausforderung dar und kann nur auf Basis frühzeitiger und regelmäßiger Informationsangebote sowie individueller Entwicklungsgespräche erreicht werden.

Alle vier Mitarbeitertypen werden in Veränderungsprojekten gleichermaßen benötigt. Dabei spielt die jeweilige Profession eine eher nachgelagerte Rolle. Entscheidend sind die persönlichen Skills, die jeder Einzelne mit- und einbringt. Es existiert kein Patentrezept im Umgang mit den einzelnen Typen. Im ersten Schritt ist es jedoch wichtig zu identifizieren, wer welche Sichtweise vertritt.

2.5 Was sollte im Change-Prozess an wen kommuniziert werden?

Entscheidend ist nicht nur, was kommuniziert wird, sondern wie wer mit welcher Glaubhaftigkeit, Durchdringung und Nachhaltigkeit kommuniziert. Das Krankenhaus als Institution ist eine klassische Expertenorganisation, in der diverse und meist hoch spezialisierte Berufsgruppen aufeinandertreffen und miteinander interagieren, um Krankheiten zu heilen, zu lindern oder den Patienten auf seinem Weg zu begleiten.

Gesellschaftlich betrachtet, ist das Krankenhaus in erster Linie ein Ort, an dem Menschen im Krankheitsfall medizinische oder psychologische Hilfe und Unterstützung im Genesungsprozess erhalten. Als Institution blickt das Krankenhaus hierbei auf eine lange Kultur- und Entwicklungshistorie zurück, die vor allem aus der Perspektive des Wissens über Erkrankungen und Therapiemethoden gegenüber den hilfesuchenden Patienten erfolgt.

Das Patientenverhalten sowie das Agieren der Professionellen im Krankenhaus sind heute dank Internet, Smartphones und entsprechend konzipierter Apps durch verstärktes Laienwissen und Mitsprachebedürfnis auf der einen Seite und die zunehmend kritischere Beurteilung des Verhaltens der Professionellen auf der anderen Seite geprägt.

Dieses Verhältnis wirkt sich auch maßgeblich für die geleistete Zuwendung und Unterstützung aus. Passt sich ein Patient den Rahmenbedingungen klaglos an und fügt sich den Anordnungen der Mitarbeitenden wird er als »angenehmer« Patient mit hoher Compliance wahrgenommen. Kritisiert und fordert er wenig, erträgt er ohne Nachfragen seine Behandlung, dann gilt er als ein »guter« Patient.

Bei interprofessioneller Kommunikation muss nicht nur an die fachliche Kommunikation gedacht werden, sondern auch daran, dass Kommunikation immer gleichzeitig mehrere Seiten einer Botschaft enthält:

Die fachliche Botschaft,

die emotionale Botschaft,

die persönliche Botschaft und

die Beziehungsbotschaft

sind zu beachten.

Die fachliche Botschaft entspricht den Fakten, die emotionale Botschaft zeigt die (gefühlte) Dringlichkeit und die damit verbundene Erwartungshaltung, die persönliche Botschaft ist die wahrgenommene Bewertung der Aussage und die Beziehungsbotschaft verdeutlicht, in welcher Beziehung die Kommunikationspartner zueinander stehen.

Daraus wird deutlich, dass es bei unterschiedlichen Wahrnehmungen, Empfindungen und Interpretationen leicht zu Missverständnissen kommen kann, die die interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation erschweren bzw. verhindern.

2.6 Wie sollte Kommunikation in Veränderungssituationen gestaltet sein, sodass Pflegekräfte gestärkt und Patienten unterstützt werden?

Die Pflegekräfte mitzunehmen, stellt bei Veränderungsprojekten in aller Regel das geringste Problem dar, da sie bereits aus ihrem Arbeitsalltag heraus handlungsorientiert und pragmatisch nach Lösungen im Sinne der Patienten suchen. Gleichsam bringt diese Berufsgruppe häufig ein starkes Interesse an gut funktionierenden Prozessen und reibungslosen Schnittstellen mit, da sie in der Praxis nicht selten die Hauptleidtragenden sind, sobald irgendwo der berühmte Fahrstuhl außer Betrieb oder wieder Stau vor dem OP-Bereich ist.

Schwieriger gestaltet sich hingegen die Mitnahme der ärztlichen Mitarbeitenden, die häufig eine deutlich höhere Beharrungstendenz zeigen. Veränderungen und neue Strukturen gehen nicht selten mit dem Risiko von Status- und Imageeinbußen einher, wodurch intuitive Abwehrmechanismen und verdeckte oder offene Boykottaktionen nur schwer vermeidbar werden. Auch hier ist gelebte interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation auf Augenhöhe von Vorteil und erleichtert tendenziell die gemeinsame Lösungsfindung.

Eine ebenso wirkungsvolle Methode findet sich in der Stärkenorientierten Kommunikation und Stärkenorientierten Führung. Hierzu bedarf es der intensiven Auseinandersetzung der Führungskraft mit den Mitarbeitenden.

Stärken benötigen keine Schulung, sondern ein Umfeld, um sich auszuprobieren und wachsen zu können. Viele Menschen bemühen sich ihr Leben lang, vermeintliche Unzulänglichkeiten auszumerzen. Dabei wäre es aus entwicklungspsychologischer Perspektive deutlich klüger, die Stärken vor den Schwächen in den Fokus zu rücken.

»Ich verliere schnell die Lust an Dingen.« – »Ich habe wenig Selbstvertrauen.« Solche Aussagen hört man oft, wenn Menschen beschreiben, warum ihnen bestimmte Aufgaben und Situationen Probleme bereiten. Sie reden oft so ausführlich über ihre negativen Eigenschaften, dass der Eindruck entsteht: Diese Person hat nur Schwächen. Endlos beschäftigen wir uns mit unseren Schwächen und verwenden unsere Energie vor allem darauf, diese abzubauen, statt unsere Stärken auszubauen. Das ist kein Zufall.

Im Beruf hält die Führungskraft gute Arbeit für selbstverständlich. Also verliert sie kaum Worte über Flexibilität oder Engagement, oder gar darüber, wie der Mitarbeitende seine Stärken noch besser entfalten könnte. Stattdessen kritisiert sie häufig, was nicht so gut lief. Deshalb ist es verständlich, dass viele Menschen vor allem danach streben, ihre Schwächen auszumerzen. Leider ist dieses Bemühen nur selten von Erfolg gekrönt. Denn wer damit beschäftigt ist, seine »Schwächen« zu beheben, statt seine Talente zu stärken, entrinnt nie der Mittelmäßigkeit. Nur wer seine Energie auf seine Stärken konzentriert, kann besondere Leistungen erzielen.

Zudem besitzen die meisten Menschen deutlich weniger Schwächen, als sie selbst von sich denken. Viele vermeintliche Schwächen entpuppen sich bei genauem Hinsehen oft sogar als Stärken. So arbeitet z. B. eine Person, die »zur Pedanterie neigt«, stets sehr gewissenhaft. Eine Eigenschaft, die nicht nur für Buchhalter wichtig ist. Zur Schwäche wird dieses Verhalten erst, wenn die Person eine Aufgabe wahrnimmt, bei der beispielsweise eher Schnelligkeit als Genauigkeit gefordert ist. Dasselbe Verhalten kann also gleichzeitig eine Stärke und eine Schwäche sein – je nachdem, wann es zum Vorschein bzw. zum Einsatz kommt.

Was benötigt die Führungskraft für eine stärkenorientierte Führung?

1. Positives Menschenbild bezüglich der Mitarbeitenden – wertschätzend, stärke- und zielorientiert,

2. Menschenkenntnis und Empathie,

3. Kenntnis über die wesentlichen Herausforderungen, denen die Teammitglieder täglich begegnen.

Wie sieht stärkenorientierte Führung aus?

1. Erkennen der Talente und Begabungen einzelner Mitarbeitender durch wertschätzendes Beobachten des Verhaltens. Dadurch entsteht ein Stärkenprofil der jeweiligen Mitarbeitenden. Diese Fremdeinschätzung sollte regelmäßig mit der Selbsteinschätzung der Mitarbeitenden verglichen werden. Auch das Erkennen der Motive und Zielvorstellungen der Mitarbeitenden kann eine weitere Strategie darstellen.

2. Ein stärkenorientiertes Feedback fördert Selbstbewusstsein und Resilienz – in der Folge sind Mitarbeitende besser imstande, auch die über ggf. defizitäre Leistung zu sprechen und deren Verbesserung zu initiieren.

3. Alle Managementtools können unter dem Muster der positiven Psychologie oder der Stärkenorientierung entsprechend angepasst werden. Dazugehören u. a. Zielvereinbarungen, Balanced Scorecard, Coaching u. v. m.

4. Am wirkungsvollsten ist im Berufsalltag nach wie vor – im Sinne einer Vorbildfunktion – authentisches Vorleben der gewünschten Führungskultur.

Was sind die Vorteile stärkenorientierter Führung?

1. Hohe Eigenmotivation der Mitarbeitenden. Es ist letztlich einfach: Wenn wir das tun, was uns leicht von der Hand geht und uns Energie gibt, gehen wir engagiert und zielstrebig ans Werk.

2. Bessere Leistungen der Mitarbeitenden, die sich bei bestimmten Aufgaben schwertun, weil sie entweder nicht über das nötige Talent oder die entsprechenden Fähigkeiten verfügen.

3. Führungskraft erhält Zeit für wirkliche Führungs- und Strategieaufgaben. Mitarbeitende übernehmen Verantwortung und agieren selbstbestimmt.

Zur Implementierung können folgende Schritte hilfreich sein:

1. Mitarbeitenden öfter Feedback zu ihren Stärken geben – ein Jahresgespräch ist nicht ausreichend.

2. Mitarbeitende wertschätzen – mit dem Fokus, was ist ihnen wichtig.

3. Sicherstellen, dass sich die Teammitglieder untereinander Unterstützung anbieten – und sie ebenso bekommen.

4. Leistungen sehen – erkennen und anerkennen.

5. Realistische Ziele vereinbaren und die Mitarbeitenden daran wachsen lassen und sie damit erfolgreich werden lassen.

2.7 Zusammenfassung

Veränderungen sind im Gesundheitswesen trotz ausgeprägter interprofessioneller Zusammenarbeit und Kommunikation insbesondere aufgrund der teils noch immer vorhandenen Hierarchie- und Spezialisierungshürden häufig mit nicht zu unterschätzenden Herausforderungen verbunden.

Die stärkenorientierte Kommunikation und Führung stellt hierbei ein Ansatz dar, um einen kulturellen Wandel in Krankenhäusern sowie anderen Gesundheitsorganisationen anzustoßen und zu fördern.

Des Weiteren lässt sich erkennen, dass die in anderen Branchen bereits weitverbreiteten agilen Ansätze auch im Gesundheitssektor wesentliches Potenzial besitzen, um einerseits deutlich flexiblere Planungs- und Steuerungsmuster sowie andererseits innovationsfreundlichere Beteiligungsmöglichkeiten zu fördern.

Es braucht ein vermehrtes »Wir« im Gesundheitswesen, um auch in Zukunft mit den ständig zügiger verlaufenden Entwicklungen schritthalten zu können. Ebenso ist eine besondere Sensibilisierung für Sprach-, Digital- und Prozesskompetenz für alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen notwendig.

Nicht einzelne Berufsgruppen sind die Verhinderer von Veränderungen, sondern der Einzelne, der die Chance als Ermöglicher nicht erkennt. Eine Ermöglicherstrategie aufzuzeigen, kann als eine der Hauptaufgaben des Change Managements im Gesundheitswesen verstanden werden.

Literatur

Kahnemann D (2012): Thinking, Fast and Slow. Penguin, London.

Oldhafer M, Schneider S, Beil E, Schmidt C, Nolte F ((Hrsg.) 2019 ): Change Management in Gesundheitsunternehmen. Die geheime Macht der Emotionen in Veränderungsprozessen. Springer Gabler Wiesbaden.

Oldhafer M, Nolte F, Spiegel AL, Schrabback U ((Hrsg.) 2020): Arbeitsbuch zu Change Management in Gesundheitsunternehmen. Wellenbrecher des Wandels – praktische Übungen und Werkzeuge. Springer Gabler, Wiesbaden.

3  Interprofessionelles Arbeiten

Stephan Schmid, Anna Mahnke, Martina Müller-Schilling

In diesem Kapitel möchten wir unsere Klinik – ganz praktisch – aus der Perspektive des klinischen Alltags und der praktischen Implementierung von IPZ in den verschiedenen Bereichen unserer Klinik vorstellen.

Die Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I am UKR ist eine Klinik mit den Schwerpunkten Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie, Diabetologie, Infektiologie, Intensivmedizin und Rheumatologie.

Im Folgenden (image Abb. 5) finden Sie das Leistungsspektrum unserer Klinik mit der Integration von IPZ in allen »Säulen der universitären Medizin – Klinik, Forschung und Lehre – mit Fokus auf die Ausbildung der Professionen und neue Führungsmodelle mit Integration aller Mitarbeiter als Führungskräfte in den Transformationsprozess:

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Abb. 5: Leistungsspektrum der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I und Integration von IPZ in Klinik, Forschung, Lehre und Management.

Das Team der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I verantwortet zwei Normalstationen mit Überwachungsmöglichkeiten (Stationen 14 und 15), eine Intensivstation (Station 92), sowie das Endoskopiezentrum und ist beteiligt an zahlreichen»Service«-centern für das UKR, wie z. B. das Ultraschallzentrum, die Ernährungsberatung, das Viszeralonkologische Zentrum, das Diabetologische Fußzentrum, die zentrale Notaufnahme, das Zentrum für Seltene Erkrankungen, dasInterdisziplinäreCentrum für Medikamentöse Tumortherapie Regensburg (ICT) und das Sarkomzentrum.

Abbildung 6 stellt die Zuständigkeiten unserer Klinik im ambulanten und stationären Bereich dar.

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Abb. 6: Spektrum der Ambulanzen, Funktionsbereiche und Stationen der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I.

Wir möchten im Folgenden – wir beginnen mit unserer Intensivstation – die Möglichkeiten von IPZ im praktischen Alltag aufzeigen.

3.1 Die Internistische Intensivstation 92 – High-End-Medizin und Empathie

Stephan Schmid, Georg Niederalt, Anna Mahnke, Martina Müller-Schilling

Die Station 92 der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Regensburg ist eine internistische Intensivstation mit 14 Betten. Der medizinische Schwerpunkt liegt in der Versorgung von Patienten mit gastroenterologischen, hepatologischen und infektiologischen Krankheitsbildern.

Ein besonderer Fokus ist die Betreuung von Patienten vor und nach Lebertransplantationen. Weitere Behandlungsschwerpunkte sind die Endokrinologie, die Toxikologie und die Onkologie sowie die Versorgung von Patienten mit kritischen Erkrankungen der Gallenwege und der Bauchspeicheldrüse. Im Laufe eines Jahres werden auf unserer Station ca. 650 Patienten betreut. Der Anteil der beatmeten Patienten liegt im Durchschnitt bei 60 Prozent.

Wir haben in unseren klinischen Alltag Strukturelemente eingefügt, die für Patienten und Angehörige, Pflegekräfte und Ärzte – in Ergänzung zum strukturierten Ablauf– Information und Weiterbildung beinhalten und zudem jedem Mitarbeiter jederzeit die Möglichkeit eröffnen, eine Ethik-Fallbesprechung oder eine Fach/Forschungs-Fallbesprechung zu initiieren.

Ganz praktisch haben wir hier gute Erfahrungen gemacht mit folgenden Maßnahmen:

Synchronisation der Tagesabläufe der Ärzte und der Pflegekräfte,

Duale Leitung der Intensivstation,

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842690684
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Altenpflege Interprofessionalität Krankenhaus

Autoren

  • Anna Mahnke (Autor:in)

  • Prof. Dr. Martina Müller-Schilling (Autor:in)

Anna Mahnke ist Gesundheits- und Krankenpflegerin. Sie arbeitet als Pflegedienstleitung am Uniklinikum Regensburg. Prof. Dr. Martina Müller-Schilling ist Fachärztin für Innere Medizin und Direktorin der Klinik für Innere Medizin I am Uniklinikum Regensburg. »Pflegende und Ärzte –im Regensburger Modell ist Interprofessionalität Chefsache!«
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Titel: Pflegende und Ärzte