Lade Inhalt...

Bindung und Demenz

So setzen Sie den Expertenstandard zur Beziehungsgestaltung um!

von Harald Blonski et al (Autor:in)
184 Seiten

Zusammenfassung

Eine gute Lebensqualität zu bieten: Dieser Anspruch
steht in der Versorgung von Menschen mit Demenz
ganz weit oben. Doch wie kann das gelingen? Was muss
berücksichtigt werden, und welche Bedeutung haben
Bindungsaspekte in diesem Zusammenhang?
Darauf geben renommierte Experten verschiedener
Fachrichtungen in diesem Buch kompetente Antworten
und zeigen passende Umsetzungen auf!
Nach einem intensiven Exkurs in die Bindungstheorie
wird’s praktisch. Ob Biografiearbeit, Mäeutik, tiergestützte
Therapie oder eine Behandlung auf humanistischer
Basis – alle Ansätze sind darauf ausgelegt, die
Pflege für Demenzbetroffene nachhaltig und qualitativ
hochwertig aufzubauen: Für eine erfolgreiche Beziehungsgestaltung zwischen Betroffenen und Pflegenden und nicht zuletzt auch für eine sinnstiftende, erfüllende Arbeit der Pflegekräfte!

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Vorwort

In einer Zeit, in der es nicht genügend Pflegefachpersonen in Alten- und Pflegeheimen und in Krankenhäusern gibt, in der es nicht genügend spezifische Qualifikation für die Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Demenz durch familiär, ehrenamtlich und professionell Helfende gibt, und in der die gesetzlichen Bedingungen ohnehin nicht einen ausreichend großen Rahmen setzen, um eine personorientierte und die Person fördernde Pflegequalität zu erreichen, in einer Zeit, in der eine bedarfsgerechte Versorgung von Patienten, die auch eine Demenz oder ein »mild cognitive Impairment« aufweisen, in Krankenhäusern nicht erfolgt, in der schon die häufige vorübergehende Desorientierung in Form des Delirs nur wenig Aufmerksamkeit erfährt, obwohl bekannt ist, dass sie bei einem Drittel der Betroffenen zu bleibenden kognitiven Defiziten führt, in einer Zeit, in der Demenz in Patientenverfügungen als eine gefürchtete Lebenssituation aufgeführt wird, für die Vorabverfügungen getroffen werden sollen, in einer solchen Zeit kommt ein Buch wie dieses gerade recht.

Der Begriff Bindung verweist auf die Notwendigkeit aktiver sozialer Anbindung und Einbindung, Integration und Inklusion eines jeden menschlichen Individuums, und – deutlicher noch – ein direktes, Personhaftigkeit ermöglichendes Zugehen. Und Bindung ist freilich nicht nur in eine Richtung gemeint, sondern Bindung ist das Medium einer Gemeinschaft, das »Zwischen« im Sinne Martin Bubers, das den Dialog ermöglicht. Dies gilt für jede Gemeinschaft, auch die professionell unterstützte Gemeinschaft für die Mitglieder, die aufgrund kognitiver Einschränkungen selbst das Zugehen und Mitgehen nicht mehr planend gestalten können, das Zugehörigkeitserleben nicht mehr aktiv erwirken können.

Spätestens seit Tom Kitwoods empirischen Arbeiten wissen wir – und engagierte Pflegende (Angehörige wie Pflegefachpersonen) erleben es tagtäglich –, dass die respektvolle aktive Einbindung in ein subjektiv sinnhaftes Miteinander in einer bedarfsgerechten Umgebung ausschlaggebend ist für die Überlebensdauer und die Lebensqualität von Menschen mit Demenz. Und spätestens seit Cora van der Kooijs Arbeiten über die Mäeutik und das Zeichnen des Personbilds wissen wir, dass das Wissen und Können dieser professionellen Methoden und Techniken eine Intuition berührt, mit der wir gewiss sind, dass der Schlüssel zum Erleben und Verhalten von Menschen mit Demenz das Einlassen auf die Zuwendung, die »Bindung« zwischen Personen, die Begegnung auf Augenhöhe ist. Diese Gewissheit gilt für das Miteinander unter Menschen überhaupt, zu Neugeborenen wie zu Angehörigen der verschiedenen Altersgruppen, in unterschiedlichen Lebenslagen, und eben auch für Menschen mit Demenz. Ohne Bindung zu anderen Menschen verkümmern wir als Person, also auch Menschen mit Demenz, die auf die Aufnahme und das Angebot einer Bindung besonders angewiesen sind, deren Bindungsangebote leichter ins Leere laufen können, die besonders verletzt werden können, wenn Bindung nicht angeboten oder eingeschränkt wird oder fehlt.

In einer Zeit, in der der gebotene Infektionsschutz im Rahmen der Covid-19-Pandemieeindämmung dazu führt, dass die oberflächlichen und schnellen Begegnungen, die flüchtigen Berührungen, die schrillen und lauten Wortwechsel unterbunden werden und die Bürgerinnen und Bürger auf ihr unmittelbares, engstes soziales Umfeld zurückgeworfen sind, tritt die Bedeutung der Bindung zu wichtigen und zu den nächsten Menschen sehr plastisch hervor. Wie tragfähig diese Bindung tatsächlich auch in Notlagen ist, welche Bedeutung und Integrität ihr auf essenzieller Ebene zukommt, wird jetzt – im Frühjahr/Sommer 2020 – unverkennbar offensichtlich. Menschen mit Demenz können diesen Prozess der Reduktion der sozialen Bezüge und Kommunikation nicht verstehen und nicht mittragen, und sie sind besonders gefährdet unter den Risikogruppen für einen tödlichen Verlauf der Infektion. Ihre Isolation zeigt ihre Angewiesenheit auf die Bindungsfähigkeit und -kompetenz der familiär und ehrenamtlich sowie professionell Helfenden unübersehbar deutlich. In dieser Zeit kommt ein Buch wie dieses sehr recht.

Ich wünsche dem Buch die Aufmerksamkeit, die dem Thema Bindung zu jeder Zeit und gerade in dieser Zeit gebührt. Ich wünsche dem Buch, dass es die Intuition darüber, welche existenzielle Bedeutung Bindung hat, laut werden lässt. Ich wünsche dem Buch, dass seine Beiträge die Essenz der Pflege, Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Demenz beleuchten und möglichst viele Leserinnen und Leser darin bestärken, sie in den beschriebenen Facetten zu gestalten.

Prof. Dr. Ruth Schwerdt

Einleitung

Die demografische Entwicklung in den westlichen Industrienationen, die durch die Alterung der Bevölkerung und eine hohe, fortwährend wachsende Zahl von Menschen mit einer Demenz gekennzeichnet ist, stellt auch in unserem Land eine der großen und dauerhaften gesundheits- und sozialpolitischen Herausforderungen dar.

Gegenwärtige Expertenschätzungen gehen von weltweit 35,6 Mio. Betroffenen aus und ernst zu nehmende Prognosen lassen bis zum Jahr 2050 einen Anstieg auf 115 Mio. erwarten. In der Bundesrepublik Deutschland sind Erhebungen aus dem Jahr 2017 zufolge fast 1,6 Mio. Menschen von einer Demenz betroffen.

Neben diesen Herausforderungen ergeben sich aus den vorliegen statistischen Zahlen und Daten sowie aus den Entwicklungen und Voraussagen, die man daraus ableiten kann, auch für die Pflege wichtige Fragestellungen und zukünftige Aufgaben.

Ein Thema, das von gesamtgesellschaftlicher Reichweite und Bedeutung ist, mit dem sich jedoch insbesondere Pflegeorganisationen und die dort tätigen Fachpersonen sowie Pflegende im privaten Umfeld wie in Familien verstärkt beschäftigen und auseinandersetzen müssen, ist der Erhalt und die nachhaltige Sicherstellung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz.

Im Zuge des fachlichen Diskurses und im Rahmen pflegewissenschaftlicher Erwägungen ist im Hinblick auf die benannte Thematik ein Umdenken bzw. eine Neuausrichtung auszumachen: Es sollen nicht länger die Beeinträchtigungen, die infolge einer Demenz bei den Betroffenen auftreten, oder die daraus resultierenden Herausforderungen bzw. problematische Situationen, die sich für die Pflegenden ergeben, im Vordergrund stehen. Vielmehr soll verstärkt die Lebensqualität des Menschen mit Demenz ins Zentrum der Bemühungen gerückt und zum Gegenstand der fachlichen Überlegungen und Reflexion gemacht werden.

Was bedeutet diese weitreichende, in Richtung eines Paradigmenwechsels weisende Umorientierung? Welche Aspekte, Fragen und Impulse ergeben sich insbesondere für die praktischen pflegerischen Tätigkeiten, für die Interaktionen, die intersubjektiven Prozesse, die Verhaltensweisen – kurz: für das Alltagshandeln und die Beziehungsgestaltung zwischen der Pflegeperson und dem Bewohner, dem Gast, dem Angehörigen, dem Menschen mit Demenz ganz allgemein, in der jeweiligen Situation jedoch stets gegenüber einem Individuum, einer Person?

Einige der wichtigsten Punkte, um die es bei den Bemühungen um eine nachhaltige Sicherstellung der Lebensqualität von Personen mit Demenz gehen muss, sind – von notwendigen sozial- und gesundheitspolitischen Maßnahmen abgesehen, die nicht Gegenstand dieses Buches sind – folgende:

die gemeinsame Ausarbeitung einer Organisationskultur, welche die Lebensqualität der Person / des Menschen mit Demenz ins Zentrum rückt;

die Kommunikation, Vermittlung und vorbildhafte Umsetzung von Leitsätzen und Prinzipien, über die diese Kultur für die Personen mit Demenz stets spürbar wird;

Konzepte, Mittel und Wege, Methoden, Verfahren und Interventionen, die dem Erhalt und der Förderung der sozialen und personalen Identität dienen und sie stärken;

über individuelle Interaktionsrituale, Gesten, Kommunikationsangebote etc. einen Beziehungsrahmen und eine Bindungsbasis schaffen, festigen und vertiefen, die dem Menschen mit Demenz Sicherheit und Vertrauen bieten;

die Wachsamkeit, Feinfühligkeit und Kreativität der Pflegenden anregen, fördern und stärken, Veränderungen, Erfolge und Anzeichen von Lebensqualität zu erkennen, einander mitzuteilen und daran gemeinsam verstärkt anzuknüpfen;

das Arbeiten in multiprofessionellen Teams.

Die in dem vorliegenden Buch präsentierten Beiträge sollen dazu anregen, durch Beziehungsgestaltung und Bindungsförderung unter ständiger Berücksichtigung und Orientierung an den Bedürfnissen und Bedarfen von Personen mit Demenz, deren Lebensqualität zu verbessern.

Im Einzelnen erwarten die Leserinnen und Leser folgende Themen und Inhalte:

Harald Blonski als Herausgeber widmet sich im ersten Beitrag der Geschichte und Entwicklung des Bindungsbegriffs. Im Zuge seiner Ausführungen geht er auf wesentliche theoretische Inhalte und grundlegende Konzepte der von John Bowlby und Mary Ainsworth entwickelten Bindungstheorie ein.

Die zentrale Bedeutung des Grundbedürfnisses nach Bindung und – damit auf das Engste verbunden – der Biografiearbeit für das Erkennen von Signalen durch Feinfühligkeit sowie das Verstehen und Erfüllen von Bedürfnissen arbeitet Wilhelm Stuhlmann in dem anschließenden Beitrag heraus. Darüber hinaus stellt er grundlegende Bindungstypen sowie die Arbeit mit dem Konzept der Bindungsressourcen vor.

Die Konzepte der Biografieorientierung und der person-zentrierte Ansatz nach Tom Kitwood weisen nicht nur inhaltliche Gemeinsamkeiten in etlichen Aspekten auf, sondern zeigen auch hinsichtlich ihrer Zielsetzungen einen beachtlichen Grad an Übereinstimmung. Was der Kitwood’sche Ansatz bedeutet, worauf genau er abzielt und inwiefern er die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz – insbesondere die Bindung zu ihnen – unterstützen, fördern und positiv beeinflussen kann, zeigt Maria Kammermeier in ihrem Beitrag auf.

Was kann die auf Cora van der Kooij zurückgehende mäeutische Methode bzw. der erlebensorientierte Ansatz in der Pflege und Betreuung von Personen mit Demenz bewirken? Auf diese Frage geben Jeanette Lösing und Elke Strauß vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrung Antworten und verdeutlichen anschaulich, worauf genau es bei der Anwendung und Umsetzung dieses Ansatzes geht bzw. ankommt.

Natalie Ogel erweitert mit ihren Ausführungen zur Selbsterhaltungstherapie (SET) nach Barbara Romero den Kanon an probaten und pragmatischen bindungsstärkenden Verfahren, wobei sie die Vorgehensweise bei der Anwendung der SET beispielhaft erläutert und vermittelt.

Welchen Beitrag Ansätze und Konzepte tiergestützter Therapie im Rahmen der Beziehungs- und Bindungsarbeit bei Menschen mit Demenz leisten können und wie sie in der Betreuung und Begleitung dieser Zielgruppe zur Anwendung kommen, stellen Leonina Kaestele und Kristin Bruks in ihrem Beitrag anschaulich dar.

Dass Spiritualität als eine »Haltung« angesehen werden kann, »die Bindung ermöglicht«, dass sie ferner als soziale Dimension und besonderes Moment in Beziehungen zum Ausdruck kommt und anzusehen ist, erläutert und begründet Carmen B. Birkholz im siebten Beitrag des vorliegenden Buches.

Abschließend will es der Herausgeber nicht versäumen, folgenden Personen, die auf verschiedene Weise zur Realisierung dieses Projekts und zum Erscheinen des Buches beigetragen haben, seinen herzlichen Dank auszusprechen: der Lektorin der Schlüterschen Verlagsgesellschaft, Frau Petra Heyde, die sich während der gesamten Projektphase stets freundlich, geduldig und kompetent mit kreativen Ideen, sachdienlichen Hinweisen und hilfreichen Vorschlägen eingab und engagierte; den Co-Autoren, die trotz zahlreicher und intensiver beruflicher und privater Verpflichtungen sowie z. T. unvorhergesehener Ereignisse ihre Arbeiten mit großem Engagement verfasst haben. Ein lobendes und anerkennendes Wort des Dankes gebührt zudem Frau Ulrike Müller-Haarmann für ihre Geduld und Beharrlichkeit, Ausdauer, Freundlichkeit und Akribie, mit der sie die Aufsätze im Kontakt mit allen Projektbeteiligten lektoriert hat.

Herzlich danken möchte der Herausgeber auch Prof. Dr. Ruth Schwerdt für ihre spontane Bereitschaft, ein Vorwort für das vorliegende Buch zu schreiben.

Ein Wort des Dankes richtet der Herausgeber schließlich an die Leser und Leserinnen, die dieses Buch erworben haben. Ihnen ist zu wünschen, dass der Erwerb und die Lektüre dieses Buches bzw. ausgewählter Passagen oder Beiträge daraus den Nutzen und das Wissen bringen, das sie sich mit dem Kauf erhofft haben.

Harald Blonski, Sendenhorst

»Die Bindungstheorie begreift das Streben nach engen emotionalen Beziehungen als spezifisch menschliches, schon beim Neugeborenen angelegtes, bis ins hohe Alter vorhandenes Grundelement.«1

1.1Einführung

Die Bindungstheorie des Psychoanalytikers John Bowlby (1907–1990), an deren Entwicklung seine Schülerin Mary Ainsworth (1913–1999) sowie der Schotte James Robertson (1911–1988) maßgeblichen Anteil hatten, befasste sich ursprünglich mit den Auswirkungen insbesondere frühkindlicher Beziehungserfahrungen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Der Erforschung der frühen Mutter/Vater–Kind-Beziehung2 folgten jedoch später auch eingehende Untersuchungen zu Aufbau und Veränderung enger Beziehungen über die gesamte Lebensspanne des Individuums hinweg.

Im Zuge dieser Erweiterung des Forschungsinteresses und -gegenstands wurde die Bindungstheorie über die Gebiete der Entwicklungspsychologie und Kleinkind-Pädagogik hinaus auch seitens anderer Disziplinen und für spätere Lebensphasen in ihrem Nutzen erkannt und aufgegriffen – ganz im Sinne des eingangs angeführten Bowlby-Zitats.3

So wird sie seit geraumer Zeit auch in Sparten und Praxisfeldern rezipiert und diskutiert, deren Klientel ein höheres oder gar sehr hohes Lebensalter erreicht hat, wie in der Gerontologie, der Altenhilfe/-pflege und in den Pflegewissenschaften.

Schließlich findet das Bindungsphänomen auch zunehmend und verstärkt Berücksichtigung im klinisch-therapeutischen und palliativen Bereich, z. B. in der Gerontopsychiatrie, in der (bindungsbasierten) Psychotherapie oder in Zusammenhang mit der Pflege, Betreuung und Versorgung von Menschen mit Demenz sowie von Palliativpatienten. Bezeichnenderweise betitelt Wilhelm Stuhlmann sein aktuell in dritter Auflage vorliegendes Buch zum Einsatz der Biografiearbeit in der Altenpflege »Demenz braucht Bindung«,4 und Jakob Johann Müller stellt seine – auch als Sachbuch erschienene – Dissertation unter das Thema »Bindung am Lebensende.«5

Nicht zuletzt sei an dieser Stelle auf den vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) herausgegebenen »Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz« hingewiesen, der auf die Bedeutung der »Bindungstheorie im Kontext Beziehungsgestaltung« eingeht und sie als ein »Konstrukt (…) von Relevanz« bezeichnet, weil in ihr »die Fähigkeit, Bindungen zu anderen Personen aufzubauen und damit einhergehend, Beziehungen zu gestalten, als Merkmal einer funktionierenden Persönlichkeit gesehen« wird.6

Zunächst aber gilt es, den Terminus Bindung sowie Ursprung und Entwicklung der Bindungstheorie eingehender zu betrachten und zu erläutern.

Mit Tanja Jungmann und Christina Reichenbach kann unter Bindung ganz allgemein »die enge soziale Beziehung zu bestimmten Personen, die Schutz oder Unterstützung bieten«,7 verstanden werden. Die sichere Bindung an die Eltern oder an eine andere Bezugsperson wurde bereits von Ainsworth als »verlässliche Basis« verstanden, als »eine unverzichtbare Voraussetzung, um das Leben optimal bewältigen und psychisch gesund bleiben zu können«.8

Nach Bowlby »wird Bindung durch mehrere verschiedene Verhaltensweisen vermittelt, deren offensichtlichste Schreien und Rufen, Babbeln und Lächeln, Sich-Anklammern, nicht nährendes Saugen und Fortbewegung zwecks Annähern, Nachfolgen und Suchen sind. (…) Die spezifischeren Verhaltensweisen, die Bindung ausmachen, lassen sich in zwei Hauptklassen gruppieren:

1. Signalverhalten, das bewirkt, dass die Mutter zum Kind kommt;

2. Annäherungsverhalten, das bewirkt, dass das Kind zur Mutter kommt.«9

Die Parallelen zwischen einzelnen Verhaltensweisen, wie man sie in der gerontopsychiatrischen Fachliteratur unter dem Begriff »Herausforderndes Verhalten« (engl.: »challenging behaviour«) subsumiert oder ihm zugeordnet findet (siehe dazu u. a. folgende Literaturhinweise10) und den von Bowlby an Kleinkindern beobachteten, sind augenfällig. Dies gilt auch für einzelne Indikatoren wie Angst/Ängstlichkeit, Nach- bzw. Umherlaufen oder Schreien, die in geriatrischen bzw. gerontopsychiatrischen Instrumentarien wie Cohen-Mansfield Agitation Inventory (CMAI) oder Neuropsychiatric Inventory (NPI) auftauchen.11

Unter Bindungsverhalten versteht Bowlby »jegliches Verhalten, das darauf ausgerichtet ist, die Nähe eines vermeintlich kompetenteren Menschen zu suchen oder zu bewahren, ein Verhalten, das bei Angst, Müdigkeit, Erkrankung und entsprechendem Zuwendungs- oder Versorgungsbedürfnis am deutlichsten wird«.12

Schließlich sei an dieser Stelle noch das Verständnis von Bindung angeführt, wie es durch Stuhlmann formuliert wird. Er begreift und definiert sie als »ein emotionales Band, das sich in den ersten Lebensjahren entwickelt, dessen Einfluss aber nicht auf diese frühe Entwicklungsphase beschränkt ist, sondern sich auf alle weiteren Lebensabschnitte erstreckt. Somit stellt Bindung eine emotionale und kognitive Basis während des ganzen Lebens bis ins höhere Lebensalter hinein dar. Bindungen beeinflussen die Art und Weise, wie wir Beziehungen wahrnehmen, bewerten und gestalten.«13

Warum ist es nun gleichermaßen wichtig und lohnend, sich mit der Thematik Bindung und Demenz zu befassen und warum gilt die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit diesem Thema als hoch aktuell – in der Heilerziehungs- und Altenpflege ebenso wie in der Betreuung, Begleitung und Versorgung von Menschen mit Demenz?

Die vielfältigen Formen und der hohe Grad der Belastung, denen sich Pflegepersonen in gerontopsychiatrischen Arbeitsfeldern bzw. in (teil-)stationären Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Demenz gegenüber sehen und denen sie ausgesetzt sind, war in der Vergangenheit wiederholt Thema in (Fach-)Medien und Gegenstand von Erfahrungsberichten.14 Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang nicht nur die physischen Belastungen, z. B. bei Tätigkeiten im Rahmen der Grundpflege, bei der Mobilisierung oder bei Toilettengängen, sondern vor allem auch die psychischen Belastungen15 durch »Herausforderndes Verhalten« (bzw. in problematischen Situationen, wie der Verfasser es angemessener bezeichnet findet; siehe dazu auch die Ausführungen am Ende des Abschnitts 1.9) sowohl im Zuge der professionellen Versorgung in Senioren- bzw. Pflegeorganisationen, in Krankenhäusern, Kliniken, Reha- oder Behinderten-Einrichtungen als auch in nicht öffentlichen, familialen Pflegearrangements.

Das geschilderte Szenario dürfte seine Brisanz und Relevanz in der Zukunft kaum einbüßen. Vielmehr könnte sich die Situation perspektivisch u. a. durch folgende Faktoren und Trends noch verschlimmern bzw. dramatischer gestalten:

durch den Mangel an qualifizierten Pflegepersonen (Stichwort »Pflegenotstand«);

durch den mit dem Lebensalter zunehmenden relativen Anteil an Personen mit Demenz unter den Bewohnerinnen und Bewohnern von stationären Pflegeeinrichtungen;16

durch das steigende Durchschnittsalter der – überwiegend weiblichen – Familienangehörigen, die zum größten Teil die Pflege in Privathaushalten leisten;

durch mögliche Epidemien oder Pandemien (Bsp.: Corona-Krise).

Unter den wichtigen Faktoren, die die Lebensqualität alter Menschen überhaupt und insbesondere die von Menschen mit Demenz ausmachen, kommt neben dem Milieu, wie später näher auszuführen sein wird (image Kap. 1.9), der Beziehung bzw. der Beziehungsgestaltung sowie Interventionen, die Beziehung fördern und intensivieren, eine eminente Bedeutung zu. In Kap. 3.1.1 des bereits erwähnten »Expertenstandards« wird unter Bezugnahme auf O’Rourke et al.17 auf den Begriff Beziehung näher eingegangen und betont, dass die Bindungstheorie einen »relevanten theoretischen Zugang zum Thema Beziehung (…)«18 darstellt.

Insofern kann mit Fug und Recht davon ausgegangen werden, dass die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem Thema Bindung und der Bindungstheorie in Zusammenhang mit dem Phänomen Demenz für alle Betroffenen und Interessierten von besonderer Wichtigkeit und großem Nutzen sein dürfte.

Auf die verschiedenen Arten und Formen von »herausforderndem Verhalten«, die aus der Sicht einer verstehenden Interpretations- und Deutungshaltung gegenüber Menschen mit Demenz im Sinne des NDB-Modells von Ann M. Kolanowski19 oder des person-zentrierten Ansatzes von Tom Kitwood auch als Bindungsverhalten interpretiert werden können, geht dieser Beitrag weiter unten ebenfalls nochmals näher ein.

1.2Ursprung und Entwicklung des Bindungsphänomens und des bindungstheoretischen Ansatzes

Die Bindungstheorie und mit ihr der Bindungsbegriffs wurden im Zeitraum zwischen 1930 und 1950 entwickelt. In diesen beiden Dekaden beschäftigten sich – weitgehend unabhängig voneinander – sowohl einige amerikanische als auch diverse europäische Forscherinnen und Forscher mit der Fragestellung, welchen Einfluss frühe Heim- und Klinikaufenthalte sowie häufig wechselnde Mutterfiguren auf die kindliche Entwicklung der Persönlichkeit nähmen.

Dieser Frage nachzugehen war auch das Ziel John Bowlbys, als er dem Ruf des britischen Psychiaters und damaligen Direktors der Mental Health Section bei der Weltgesundheitsorganisation, Ronald Hargreaves, folgte und von diesem im Rahmen einer Studie über die Bedürfnisse obdachloser Kinder mit der Bearbeitung relevanter psychischer Aspekte beauftragt wurde. Die Ergebnisse seiner Forschungstätigkeit fasste Bowlby in einem Bericht zusammen, der im Jahr 1951 als WHO-Monographie erschien20 und in dem er schildert, »welche Nachteile mangelnde mütterliche Zuwendung für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung haben kann, wie traurig Kleinkinder auf die Trennung von einer vertrauten, geliebten Bezugsperson reagieren und wie solche negativen Folgen vielleicht zu vermeiden wären«.21

Bei der Weiterentwicklung der Bindungstheorie sahen sich die mit dieser Thematik befassten Forscherteams u. a. mit der Anforderung und Erwartung konfrontiert, stichhaltige Hypothesen hinsichtlich der Verknüpfung früher Erfahrungen mit der Persönlichkeitsentwicklung zu liefern. Entsprechende Zusammenhänge und Interdependenzen sollten z. B. durch Vergleiche zwischen der Entwicklung hospitalisierter Kinder mit solchen, die in ihrer Herkunftsfamilie aufwuchsen, nachgewiesen werden.

Bowlby selbst strebte im Verlauf seiner Forschungsarbeiten die Entwicklung einer Theorie an, mit der er u. a. Phänomene wie Trennungsängste, Trauer, Abwehr, Wut, Schuldgefühle und Depressionen abdecken, »die klassische psychoanalytische Metapsychologie korrigieren und neue behandlungstechnische Varianten entwickeln wollte«.22

Dieses Ziel hatte der Londoner Psychiater und Psychoanalytiker mit der Formulierung seiner Bindungstheorie und ihrer Konzepte wie kindliche Bindungsqualität, Bindungsrepräsentation etc. erreicht. Sie wurden durch den – vornehmlich von Mary Ainsworth entwickelten – konzeptionellen Ansatz der Feinfühligkeit ergänzt und bereichert.23

Im Rahmen der Bindungstheorie bildet die Feinfühligkeit der Pflegeperson eine wichtige Basis für die Qualität der Bindung, die ein Säugling während seines ersten Lebensjahres ausbildet. Die Fähigkeit zur Feinfühligkeit ist eng mit der Funktion sog. Spiegelneuronen verbunden, einem Phänomen, von dem an späterer Stelle noch einmal die Rede sein wird.24

Die Bindungsqualität zwischen der Mutter und ihrem (12–18 Monate alten) Kind wurde durch Mary Ainsworth intensiv mit Hilfe eines von ihr entwickelten, standardisierten Verfahrens, des Fremde-Situation-Tests (FST), erforscht, einem aus acht aufeinanderfolgenden Episoden bestehenden Instrument. Das Ergebnis ihrer Untersuchungen führte Ainsworth zur Differenzierung zunächst dreier Klassen kindlicher Verhaltensmuster: Unsicher-vermeidende Bindung, Sichere Bindung und Unsicher-ambivalente Bindung. Diese Trilogie wurde später durch die amerikanische Psychologin Mary Main (* 1943) noch um ein viertes Muster, die Unsicher-desorganisierte/desorientierte Bindung, ergänzt.25

Als ein besonders interessanter Ansatz im Rahmen seiner Bindungstheorie ist Bowlbys Konzept der »inneren Arbeitsmodelle« anzusehen. Letztere entstehen, wie Bowlby behauptet, durch zahlreiche Situationen, in denen es zu einer Aktivierung des Bindungsverhaltens des Säuglings kommt. Nach Carl Eduard Scheidt26 haben verinnerlichte Arbeitsmodelle im Verlauf des Lebens einen wesentlichen Einfluss auf die Gesamtheit der Interaktion mit anderen Menschen. Die erlernten Erwartungen hinsichtlich des Verhaltens der Bezugsperson werden nach Ansicht des Freiburger Wissenschaftlers auf andere Sozialpartner übertragen. Dazu sei hier erläuternd angemerkt, dass sich Bindung bei Kindern nach Vollendung des zweiten Lebensjahres »nicht mehr nur auf der Verhaltensebene manifestiert (…). Ab der Beherrschung der Sprache und den verbesserten kognitiven und Gedächtnisfähigkeiten steht eine explizite Repräsentationsebene und ein zunehmendes Verständnis für mentale, innere Vorgänge bei anderen Personen und bei sich selbst zur Verfügung.«27

Im Anschluss und orientiert an Bowlby wurden dessen Grundannahmen und theoretische Perspektiven vielfältig aufgegriffen und – wie bereits angemerkt – auch auf andere Sach- und Wissensgebiete sowie spätere Lebensphasen übertragen. So machte es sich Mary D. S. Ainsworth zur Aufgabe, in ihrer Forschungstätigkeit auch Bowlbys Hypothese, das Bindungsverhalten sei »für den Menschen von der Wiege bis zum Grab charakteristisch«,28 durch entsprechende Untersuchungen zu untermauern. Die Ergebnisse dieser Intention dokumentierte die klinische Psychologin und Persönlichkeitsforscherin u. a. in ihrem Aufsatz »Attachment across the life span« (»Bindungen im Verlauf des Lebens«) aus dem Jahre 1985, an dessen Ende sie schreibt: »Ich glaube, daß die wichtigsten Elemente sowohl in sozialen Netzwerken als auch in sozialen Unterstützungssystemen die Beziehungen sind, die emotionale Bande begründen, und insbesondere diejenigen mit Bindungskomponenten, die für ein Gefühl der Sicherheit sorgen.«29

In aller Kürze kann die bindungstheoretische Position wie folgt zusammengefasst werden: Bowlby und seine Anhänger gehen von einem genetisch vorgeprägten Bindungsverhalten aus, das bei Primaten- und insbesondere bei Menschenkindern gleichermaßen nachweisbar ist. Jedes Kind hat eine angeborene Prädisposition, sich an seine Bezugsperson zu binden, wobei neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass sich der Bindungsaufbau nicht ausschließlich zwischen Kind und Mutter, sondern zugleich auch mit dem Vater oder sogar mit mehreren Bezugspersonen – im ersten Lebensjahr bis zu maximal drei Personen – vollziehen kann.

Allerdings sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen und betont, dass das Grundbedürfnis nach Bindung und Beachtung lebenslang bestehen bleibt und sowohl für den Kontakt als auch für die Beziehung zu anderen Menschen von prägender Bedeutung ist und bleibt. Folglich ist die Bindungsqualität in der Form, wie sie sich in den ersten beiden Lebensjahren wesentlich ausbildet, »kein Fixum, sondern ein Kontinuum, das sich durch emotionale Erfahrungen in neuen Beziehungen zeitlebens in verschiedenste Richtungen verändern kann«.30 Bei tiefer gehendem Interesse an Bowlbys Bindungstheorie, insbesondere an deren speziellen Elementen, biografischen und historischen Hintergründen sowie theoretischer Weiterentwicklung, findet sich dazu reichhaltiges und aufschlussreiches Material in Jeremy Holmes’ Buch »John Bowlby und die Bindungstheorie«.31 Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Arbeit von Oriella Kahn.32

Mit Grossmann und Grossmann kann festgestellt werden, dass Bowlbys Bindungstheorie drei große Themen miteinander verknüpft, »die eine lange Tradition im europäischen Denken haben und die fest in der geisteswissenschaftlichen Literatur verankert sind (…). Zum einen greift sie die Tradition des Nachdenkens über das eigene Leben auf, wozu auch der uralte Streit gehört, ob es frühkindliche Einflüsse auf den Lebenslauf gibt oder nicht (…) Zweitens stützt sich die Bindungsforschung primär auf Beobachtungen als Methode ihrer Wahl; (…) Und drittens folgte Bowlby den Überlegungen Darwins, der den Menschen in seiner biologischen Verwandtschaft zum Primaten sah, und übernahm für die Bindungstheorie den ethologischen Bezugsrahmen der Verhaltensforschung (…)«,33 auf den der Verfasser später (image Kap. 1.4) näher eingehen wird.

1.2.1 Kritik an der Bindungstheorie

Die Bindungstheorie erfuhr seit ihrem Bekanntwerden aus unterschiedlichen Lagern fortwährend mehr oder weniger heftige Kritik. Diese konzentrierte sich u. a. auf den Vorwurf, Bowlby hätte sich nahezu ausschließlich auf die Mutter-Säugling-Bindung konzentriert und dabei die Bindung zwischen Vater und Säugling sträflich und ungerechtfertigterweise vernachlässigt, ein Vorwurf allerdings, gegenüber dem Holmes, wie in Fußnote 2 erwähnt, eine konträre Position einnahm.

Kritisiert wurde zudem die Überbetonung der Feinfühligkeit in ihrer Bedeutung für die Bindungsentwicklung sowie die daraus resultierenden Vernachlässigung anderer Einflussgrößen.

Cornelia Veith und Susanne Zoller-Mathies benennen in ihrer Übersicht über die Bindungstheorie mit Blick auf neuere Forschungsansätze u. a. die Kontinuitätsannahme und die »Laborsituation« »Fremde Situation«, die in der Literatur kritisch betrachtet werden. Was die Kontinuitätsannahme anbelangt, die davon ausgeht, die frühkindliche Bindungsqualität habe Auswirkungen »auf die spätere Persönlichkeitsentwicklung und den Aufbau sozial-emotionaler Beziehungen«, geben die Autorinnen die kritische Einschätzung Martin Stahlmanns wieder,34 nach der »eine zu eng ausgelegte Kontinuitätsannahme zu wenig permanent stattfindende komplexe Entwicklungs- und Interaktionsprozesse« berücksichtige und »sich im Extremfall auf monokausale Zusammenhänge« beschränke.35

Der vehementesten Kritik sah sich die Bindungstheorie durch die Vertreter der traditionellen Psychoanalyse ausgesetzt. Im Londoner Institut für Psychoanalyse stand Bowlby in engem Kontakt mit der Psychoanalytikerin Melanie Klein (1882–1960), die großen Einfluss auf ihn ausübte, von deren Positionen zur seelischen Entwicklung von Kindern er sich jedoch scharf abgrenzte. Damit stellte er sich gegen die damals nahezu dogmenartig vertretene Triebtheorie. Die Auseinandersetzungen gingen so weit, dass Bowlby vom Institut untersagt wurde, die Eltern der Kinder, die er behandelte, zu interviewen. Gleichzeitig bestanden grundlegende Differenzen zwischen Melanie Klein und Anna Freud (1895–1982). »Durch die Bindungstheorie mit ihren progressiven und theorieübergreifenden Inhalten geriet Bowlby rasch ins Kreuzfeuer.«36 Seine Positionen ließen ihn »aufgrund der damaligen Strukturen zum Außenseiter werden (…), zumindest in der psychoanalytischen Welt«.37 Als Folge wurde Bowlbys Bindungstheorie für die nächsten dreißig Jahre praktisch nur noch am Rande rezipiert.

Heidi Keller verleiht ihrer konfrontativ-distanzierten Sicht und Beurteilung der Bindungstheorie bereits durch den Titel ihres 2019 erschienenen Buches Ausdruck. Dieser lautet »Mythos Bindungstheorie«, und Keller unterzieht darin das von Bowlby, Ainsworth und anderen entwickelte theoretische Werk einer kritischen Beurteilung in verschiedener Hinsicht:

»Das erste ungelöste Problem der Bindungstheorie stellt sich«, so urteilt sie, »bereits bei der Definition von Bindung. Bowlby und Ainsworth sprachen von einem emotionalen Band. Damit können vielfältige Vorstellungen verbunden sein. (…) Eng verknüpft mit der Definitionsfrage ist der Geltungsbereich: Ist der Bindungsbegriff auf die gesamte Lebensspanne anwendbar – wie es z. B. im von Cassidy und Shaver herausgegebenen ‚Handbook of Attachment‘ gehandhabt wird – oder ist der Begriff auf die erste Beziehung bzw. die ersten Beziehungen beschränkt und sollte auf die ersten Lebensjahre begrenzt bleiben (…)?38

Als gleichermaßen unklar und ungenau sieht die Entwicklungspsychologin und emeritierte Professorin für Entwicklung und Kultur das Konstrukt des inneren bzw. internalen Arbeitsmodells an, über das sie nachfolgendes Urteil fällt: »Bei all den bereits erwähnten Schwierigkeiten, Bindung zu definieren, ist es nicht verwunderlich, dass auch die Definition des inneren Arbeitsmodells im Nebulösen verbleibt. Beim inneren Arbeitsmodell handelt es sich ebenfalls um ein Konstrukt, das nicht unmittelbar beobachtbar ist – es ist sogar noch schwieriger erschließbar als Bindung, da ihm keine direkten Verhaltensweisen zugeordnet sind.«39

Unklarheit sieht Keller zudem – und damit sei die Reihe ihrer definitorischen Bemängelungen an dieser Stelle beendet – beim Konzept der »Exploration« sowie bei der Abgrenzung der beiden Termini Bindung und Beziehung voneinander. Bezüglich des letztgenannten Problems herrscht Keller zufolge Ratlosigkeit. Der Kern der Diffusion liegt, wie sie meint, darin, »dass Bindung und Beziehung durch dieselben Verhaltensweisen hergestellt werden sollen, nämlich durch kindzentrierte Sensitivität«.40 Sie zieht schlussendlich aus der gesamten Diskussion folgende Konsequenz: »Anstatt sich weiterhin in definitorischem Wirrwarr zu verzetteln, wäre es für die Situation von Erzieherinnen hilfreicher, wenn sie besser auf Beziehungen in und mit Kleingruppen vorbereitet würden, statt auf die dyadisch exklusive Erwachsenen-Kind-Beziehung zu fokussieren.«41

Für mindestens ebenso gewichtig wenn nicht gar gravierender hält der Verfasser die »Abrechnung« Kellers mit der »kulturellen Blindheit der Bindungstheorie«42 sowie mit den »Fehldiagnosen und Fehlbeurteilungen«, die sie bei der Bindungstheorie in Bezug auf ethische Fragen identifiziert.43

1.3Der Beitrag von Karin und Klaus E. Grossmann zur Bindungsforschung

Im deutschsprachigen Raum haben Karin und Klaus E. Grossmann intensiv zum Bindungsphänomen geforscht und mit ihren neurowissenschaftlichen sowie psychophysiologischen Erkenntnissen, zu denen sie anhand jahrzehntelanger Studien und Langzeituntersuchungen gelangten, weltweite Anerkennung erlangt.

Einen interessanten Überblick über die Resultate und Erkenntnisse seiner umfassenden und tief greifenden Auseinandersetzung mit der Bindungsthematik veröffentlichte das Ehepaar in seinem Standardwerk »Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit«.44 Darin konstatiert es – u. a. auf die Forschungsergebnisse von Carol Magai et al., Phillip R. Shaver und Mario Mikulincer sowie Fang Zhang und Gisela Labouvie-Vief45 verweisend – zunächst ganz allgemein: »Die regulierende Wirkung, welche die Bindungsperson auf die Gefühle, das Denken und das Verhalten hat, nimmt im Alter nicht ab.« Weiter wird festgestellt, dass seitens der erwachsenen Kinder »die weiter bestehende Beziehung zu den alten Eltern und die gemeinsame Familiengeschichte nachweislich eine starke Wirkung auf ihr eigenes seelisches Wohlbefinden« haben.46 Als weitere positive Effekte gelungener Bindung führen die beiden Forscher an, dass sich bei alten Menschen, die an Demenz erkrankt waren, die Sicherheit ihres Bindungsmodells einerseits darin zeigte, dass sie über die »demenzspezifischen Symptome« hinaus keine zusätzlichen aufwiesen, wie z. B. Depressionen, und andererseits bei den Pflegenden in geringerem Ausmaß Schwierigkeiten »im Umgang mit der dementen Person«47 auftraten.

Diese auf der oben erwähnten Studie von Magai beruhenden Erkenntnisse konnten auch in Untersuchungen von Sonja Perren et al.48 bei älteren Ehepaaren nachgewiesen werden, bei denen ein Partner pflegebedürftig war: »Das persönliche Gefühl des Wohlbefindens des pflegenden Ehepartners hing sowohl von dem Bindungsmodell des Pflegenden wie auch von dem des pflegebedürftigen Partners ab. Ist die Demenz weiter fortgeschritten, werden Bindungsverhaltensweisen wie Rufen, Nähe- und Kontaktwünsche, Trennungsprotest oder Vermeidung bzw. Anklammern wieder deutlicher geäußert (…).«49

1.4Der Einfluss ethologischen Denkens auf die Bindungstheorie

Die Ethologie ist ein Teilgebiet der Biologie und wird auch häufig als Verhaltensbiologie bezeichnet. Ihr Forschungsgegenstand ist das entwicklungsgeschichtlich signifikante Verhalten einer Art in deren natürlichem Umfeld. Dabei wird dem Menschen keine Sonderrolle bzw. exponierte Stellung unter den Lebewesen zugedacht; vielmehr gilt er nach ethologischem Verständnis als ein Teil der tierischen Lebewesen in ihrer Gesamtheit.

Die Humanethologie hat sich der Suche nach solchen Verhaltensweisen des Menschen verschrieben, die in unterschiedlichen Kulturen in nahezu gleicher Ausprägung zu finden sind. Sie steht damit zumindest teilweise in Opposition zu psychologischen Auffassungen, nach denen der Mensch vor allem durch Erziehung und Lernen in seiner Entwicklung geprägt wird. In der jüngeren Vergangenheit haben sich allerdings die beiden konträren Standpunkte aufeinander zubewegt und insofern zu einem gewissen Konsens gefunden, als man sowohl angeborene Einflussgrößen als auch erlernte Muster als formende Elemente menschlichen Verhaltens anerkennt. Der ethologische Ansatz bei der Erforschung der Persönlichkeitsentwicklung bildet, wie Ainsworth und Bowlby selbst feststellen, das »Charakteristische an der Bindungstheorie«.50

Bereits vor den 1950er-Jahren interessierten sich beide für die zentrale Rolle, welche die frühen Interaktionen zwischen Kind und Eltern in dieser Entwicklung spielen. Nachdem Bowlbys Bemühungen, in den zu jener Zeit aktuellen psychoanalytischen Theorien angemessene Erklärungen für die Reaktionen von Kleinkindern auf die Trennung von ihren Müttern und die Entstehung des engen Bandes zwischen Mutter und Kind zu finden, nicht zu seiner Zufriedenheit verliefen, wendete er sich anderen Forschungsansätzen und Quellen zu. Im Zuge dieser Neuausrichtung stieß Bowlby auf eine Übersetzung von Konrad Lorenz’ Arbeit über Prägung, »spürte deren mögliche Relevanz für seine Problemstellung und begann, (…) sich mit ethologischer Literatur zu beschäftigen«.51

Als Bowlbys »Wegweiser« in die Ethologie kann der britische Verhaltensforscher Robert Aubrey Hinde (1923–2016) angesehen werden. Hinde war als Zoologe an der Universität Cambridge tätig und trug neben Nikolaas Tinbergen, Patrick Bateson und William Thorpe maßgeblich dazu bei, dass sich die Verhaltensbiologie, die sich vor dem 2. Weltkrieg in Großbritannien noch im Entwicklungsstadium befand, etablieren konnte.

Im Zuge seiner während der 50er- und 60er-Jahre entstandenen Arbeiten zu Themen wie Trennungsangst, Kummer und Trauer sowie zur Entstehung von Bindung durch genetisch verankerte Verhaltensweisen (Weinen, Saugen, Lächeln, Klammern, Nachfolgen etc.) verglich Bowlby seine neue ethologische Herangehensweise mit den seinerzeit maßgeblichen psychoanalytischen Theorien.

1.5Bindungsmuster und Bindungsverhalten

Mary Ainsworth entwickelte in den 1970er-Jahren, wie bereits erwähnt, ein Setting zur Erforschung kindlicher Bindungsmuster, das die Bezeichnung »Fremde Situation« (engl. »Strange Situation«) erhielt.

Ort dieser standardisierten, aus acht je dreiminütigen Episoden bestehenden Verhaltensbeobachtung war ein Wartezimmer mit Spielecke, wie man es häufig in Arztpraxen vorfindet. Nach Betreten dieses Raumes durch eine fremde Person und anschließendem kurzfristigen Verlassen desselben seitens der Mutter – eine für einjährige Kinder in unbekannter Umgebung belastende Situation – sollte das Bindungsverhalten der Kleinen beobachtet werden können. Waren die Mütter hingegen anwesend, sollten sich die Kinder sicher fühlen und in der Lage sein, die Umgebung zu erkunden.

Im Zuge der Auswertung ihrer Beobachtungen gelang es der Forscherin, die schon erwähnten Ausprägungen von Bindungstypen zu identifizieren, die sich innerhalb der Interaktion mit der Bindungsperson entwickeln können und in der einschlägigen Literatur auch als sog. Bindungsmuster (»patterns of attachment«) bezeichnet werden.

Zwischen Bindung und Bindungsverhalten gilt es nach Bowlby zu unterscheiden: Aktive ebenso wie passive Bindung setzt seiner Ansicht nach ein intensives Kontaktbedürfnis gegenüber bestimmten Personen voraus, das durch besondere Faktoren gesteuert wird und ein permanentes, weitestgehend stabiles und nicht an eine spezifische Situation gebundenes Merkmal des Bindungssuchenden darstellt.

Das Bindungsverhalten hingegen ist darauf ausgerichtet, in konkreten, z. B. angstbesetzten Situationen die Nähe eines vermeintlich kompetenteren Menschen zu suchen oder zu bewahren. Besonders deutlich tritt ein solches Verhalten nach Bowlby außer bei Angst auch im Falle von Müdigkeit, Erkrankung und einem damit einhergehenden Versorgungs- und Zuwendungsbedürfnis auf. Somit sieht Bowlby das Bindungsverhalten als die Absicht von Menschen an, in gewissen Situationen wie den zuvor beschriebenen, andere Menschen zu kontaktieren und deren Nähe zu suchen.

Auch das Ehepaar Grossmann führt Gründe für ein Verhalten an, das mit dem Ziel verbunden ist, in die Nähe der Bindungsperson zu gelangen und somit als Bindungsverhalten aufgefasst werden kann. »Dazu gehören a) Kommunikationsverhalten, das die Distanz zur Bindungsperson verringern soll (Schreien oder Rufen) b) Verhalten, das die Bindungsperson in der Nähe hält bzw. eine Trennung verhindern soll (Festhalten, Anklammern, Trennungsprotest) c) Unmittelbares Nähesuchen (Nachfolgen, Suchen).«52

Zwar wurden im Verlauf der zuvor erwähnten Studien hier Säuglinge getestet, die den drei Kategorien zugeordneten Verhaltensmuster werden allerdings auch all denjenigen Leserinnen und Lesern bekannt sein, die über Erfahrung in der Pflege und Betreuung von Personen mit Demenz verfügen. Die angeführten Verhaltensweisen werden, sofern sie den unter Punkt c) angeführten ähneln, häufig als besonders lästig oder »nervend« empfunden.

Untersuchungen zu den Ursachen dieses – im anglo-amerikanischen Sprachraum als »shadowing« bezeichneten – Verhaltens sind in der Fachliteratur kaum zu finden. Es wäre wünschenswert, dass sie in naher Zukunft Gegenstand entsprechender Forschungsprojekte oder eingehender Untersuchung würden. Diese »Leerstelle« bzw. Notwendigkeit betont auch Michael Barbrock, wenn er in seinem Beitrag zum Phänomen des »shadowing« feststellt, es fänden sich »in der fachspezifischen Literatur nur wenig Hinweise zu einem Verhalten, das die Beziehungsebene zwischen dem zu Betreuenden und der Pflegeperson so einschneidend schädigen kann wie das Shadowing«.53

1.6Alternative bindungstheoretische Konzepte

1.6.1 Der psychoanalytische Ansatz von Sigmund Freud

Das Interesse an und die Auseinandersetzungen mit bindungstheoretischen Fragestellungen bei Bowlby und Sigmund Freud (1856–1939) lassen Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen insofern erkennen, als beide Forscher sich anfänglich mit den Folgen gravierender frühkindlicher Deprivation befassten. Trotz dieses und anderer Berührungspunkte sowie der Tatsache, dass Bowlby die ursprüngliche Verwurzelung seines Denkens in der Psychoanalyse nie leugnete, sind die Differenzen zwischen Freuds psychoanalytischem Modell und der Bindungstheorie ebenso wenig von der Hand zu weisen wie die zwischen der letzteren und anderen – z. B. strukturellen – Ansätzen.54

Vornehmlich war es Bowlbys Missachtung der Triebtheorie (image Kap. 1.2.1), welche die psychoanalytischen Gegner von der Beschäftigung und Auseinandersetzung mit seinen Veröffentlichungen und Ansätzen abhielt und zu einer kritischen Distanz ihm gegenüber führte. Näheres zu den diesbezüglichen Kontroversen und Diskrepanzen findet man bei Peter Fonagy.55 Allerdings existieren – dies sei lediglich allgemein angemerkt – auch im Lager der zuvor angesprochenen Gegner bezüglich der Bindungsthematik durchaus keine einheitliche Positionen. Unter den Vertreterinnen und Vertretern der Psychoanalyse findet man im Umfeld und in der Nachfolge Sigmund Freuds unterschiedliche Strömungen und Modifikationen, denen u. a. der nordamerikanische strukturelle Ansatz und die Schule der britischen Psychoanalyse zugerechnet werden können. Der Verfasser belässt es an dieser Stelle bei einem kurzen Verweis auf die Freud’sche Position zum Bindungsphänomen (Leserinnen und Leser, die sich intensiver mit dem Thema Bindung und Beziehung in der Psychotherapie bzw. Psychoanalyse beschäftigen möchten, seien auf die entsprechende Fachliteratur bzw. auf spezifische Titel verwiesen.56)

Während sich Freud in seiner Abhandlung »Trauer und Melancholie« (1916)57 mit Verlust und Trauer auseinandersetzt und sich in »Hemmung, Symptom und Angst« (1926)58 dem Phänomen der Trennungsangst zuwendet – Phänomene also, die auch Bowlby in den Bänden II und III seiner »Trilogie«59 bearbeitet –, greift er die Entstehung der Bindung zwischen Mutter und Säugling unter Bezugnahme auf die Triebtheorie, konkret auf die Befriedigung der emotionalen, oralen Bedürfnisse durch das Saugen an der mütterlichen Brust, in seinen »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« (1905)60 auf.

Ungeachtet einiger Berührungspunkte und weniger Schnittmengen zwischen den Positionen Bowlbys und Freuds müssen mit Fonagy61 allerdings auch klar die Unterschiede gesehen und benannt werden, so u. a. hinsichtlich Freuds Fokussierung auf die sog. ödipale Phase (3. und 4. Lebensjahr), bezüglich seiner Erklärung für das Wiederauftauchen von Beziehungsmustern aus der Kindheit im Erwachsenenalter, bei der er auf den Wiederholungszwang bzw. den Todestrieb zurückgriff sowie schließlich im Hinblick auf seine Vorstellung von Entwicklung, die gewissermaßen mechanisch war bzw. eher linear als systemisch.

Resümierend kann festgehalten werden, dass es nicht zutreffend ist, die Bindungstheorie und Freuds Theorie als eng miteinander verwandt anzusehen.

1.6.2 Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood

Tom Kitwood (1937–1998) misst in dem von ihm entwickelten person-zentrierten Ansatz (engl. person-centred approach) im Umgang mit und in der Pflege von Menschen mit Demenz den Phänomenen Beziehung und Bindung eine wesentliche Bedeutung bei. Wie vor ihm Martin Buber62 sieht Kitwood Beziehung als etwas Grundlegendes an und stellt folgerichtig fest: »Wenn wir Demenz verstehen wollen, ist es meiner Ansicht nach entscheidend, Personsein im Sinne von Beziehung zu sehen. Selbst bei sehr schwerer kognitiver Beeinträchtigung ist oft eine Ich-Du-Form der Begegnung und des In-Beziehung-Tretens möglich.«63

Auf das Thema Bindung bzw. auf Bowlbys Bindungstheorie geht Kitwood im Zuge seiner Erörterung der psychischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz ein, die er um das zentrale Bedürfnis nach Liebe herum anordnet und die in ihrer Gesamtheit und engen gegenseitigen Verquickung »wie eine Art Kooperative«64 funktionieren. Diese Bedürfnisse sind nach Kitwood bei allen Menschen vorhanden, treten allerdings bei den meisten in der Regel nicht offen hervor, sondern werden erst dann offensichtlich, »wenn jemand unter starken Druck gerät, großer Entbehrung ausgesetzt ist oder eine Wunde aus früheren Zeiten schmerzhaft wieder geöffnet wird«.65 Bei Menschen mit Demenz sind diese Bedürfnisse, so der britische Theologe und Sozialpsychologe, aufgrund ihrer Verletzlichkeit und eingeschränkten Fähigkeit, die zur Bedürfnisbefriedigung erforderlichen Initiativen zu ergreifen, deutlicher wahrnehmbar, wobei das Bedürfnismuster je nach der Persönlichkeit und Lebensgeschichte variieren kann.

Wesentlich geht es im person-zentrierten Ansatz von Tom Kitwood und der Bradford Dementia Group – das sei noch einmal besonders betont – um die Anerkennung, Stärkung und den Erhalt des Personseins von Menschen mit Demenz, wie der Aufsatz von Maria Kammermeier »Die Person steht im Mittelpunkt« in diesem Buch anschaulich darstellt.

1.7Als störend und belastend empfundene Auswirkungen des Bindungsverhaltens von Menschen mit Demenz im Pflegealltag

Bindung und Bindungsverhalten wurden bereits zu Beginn dieses Beitrags als ein aktuell und relevantes Phänomen im Pflegealltag gerontopsychiatrischer und anderer Einrichtungen, aber auch nicht-öffentlicher Pflegesettings angesprochen.

Sowohl im privaten, familialen Umfeld als auch in der professionellen Pflege werden bestimmte Ausprägungen des Bindungsverhaltens von Menschen mit Demenz – bei allem Verständnis für deren Ursachen und Beweggründe – seitens vieler Pflegenden eher negativ erlebt und empfunden oder als anstrengend, belastend, störend und »nervig«. So klagt eine Anruferin am »Alzheimer-Telefon« der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V. Berlin: »Am meisten belastet mich, dass mein Mann immer meine Nähe sucht. Kaum dass ich aus der Türe gehe, ruft er schon nach mir.«66

Auch Nancy L. Mace und Peter V. Rabins verweisen in ihrem Buch »Der 36-Stunden-Tag« darauf, »dass vergessliche Menschen einzelnen Angehörigen von Raum zu Raum hinterherlaufen und verärgert sind, wenn der Betreuer einmal die Toilette aufsuchen (…) muss. Auch wenn sich Angehörige einmal ausruhen oder eine Tätigkeit zu Ende führen wollen, werden sie ständig unterbrochen. Wenige Dinge sind irritierender, als ständig verfolgt zu werden.«67

Dieses sog. »shadowing« (image S. 26 in diesem Beitrag), das sich darin äußert, dass eine Person mit Demenz einer Bezugs- oder x-beliebigen Person, die ihr gerade begegnet, ständig, immer wieder bzw. spontan nachläuft, wird von Letzterer meist als sehr belastend empfunden: als eine Art des Verfolgtwerdens auf Schritt und Tritt bzw. als ein Am-Rockzipfel-Hängen. Barbrock greift diese Variante von Bindungsmuster in seinem Artikel auf und beschreibt es dahingehend, dass »das Verhalten des Shadowings für Pflegepersonen und pflegende Angehörige (…) eine beinahe unerträgliche Einengung des persönlichen Bewegungsraumes und ein ständiges Eindringen in die Privatsphäre« bedeute, »was auf Dauer die Beziehungsebene stark belastet. Die Pflegepersonen fühlen sich bedrängt, was dazu führt, dass sie sich vermehrt zurückziehen, um ihren Freiraum zu haben. Bei der Person mit Demenz führt das zu einem Gefühl der Ablehnung, das Wut, Trauer oder Aggression auslösen kann.«68

Besonders belastend und herausfordernd wirkt das »shadowing« in Verbindung mit andauerndem und ständig wiederholtem Fragen, das oft mit fortwährend demselben Wortlaut nahezu gebetsmühlenartig »abgespult« wird: »Was soll ich denn jetzt machen?«, »Wann kann ich denn nach Hause?« oder »Wie komme ich denn jetzt nach Hause?« oder »Wann werde ich denn hier abgeholt?«

Diese und ähnliche Formen der Belastung können Pflegepersonen, insbesondere pflegende Angehörige, die in der Pflege und Betreuung eines Familienangehörigen auf sich alleingestellt sind, bis an die Grenzen des Ertragbaren und ihrer Kräfte bringen. So klagt die Tochter einer 76-jährigen, an Demenz erkrankten Frau: »Ich komme so an die Grenzen meiner Geduld. Ich bin eigentlich ein sehr geduldiger Mensch. Aber es fällt mir schwer, wenn ich innerhalb von Minuten immer wieder das Gleiche sagen muss. Immer wieder: gleiche Frage, gleiche Antwort! Mir kommt es manchmal so vor, dass die Gespräche immer reduzierter werden, als ob ein Band abläuft.«69 Ein Pfleger auf einer neurologischen Station erlebt und empfindet seine Situation wie folgt: »Was mich überfordert, sind die Dementen, weil es eben auch auffällt, dass mein Tagesplan, meine Struktur, die ich habe, durcheinander gebracht wird. Da kommt dann der Demenzpatient, der läuft mir in die Quere, der einfach nicht in meine Planung hinein passt oder auch mit dem Gehstock schwingt (…).«70

Die Diskrepanz zwischen der Einsicht in das Bedürfnis des Menschen mit Demenz und dem Verständnis für dessen Wunsch nach Zuwendung, Trost und Nähe einerseits und dem Druck, das eigene Arbeitspensum erledigen zu müssen (Vertragstreue/-erfüllung, vermuteter Anspruch bzw. vermeintliche Erwartung der Kollegen, es dürften/sollten keine Aufgaben und Obliegenheiten einer »Vorgänger-Schicht« unerledigt bleiben und auf die Folgeschicht »abgewälzt« werden) andererseits, wird seitens der Pflegemitarbeiter als Druck und Belastung, als innerer Treiber und Stressor empfunden.

Wenn Mitarbeiter aufgrund personeller Unterbesetzung bzw. fehlender personeller Ressourcen ihrer professionellen Verpflichtung sowie ihrem subjektiven Anspruch nicht gerecht werden können, Bewohner bzw. Klienten nach anerkannten pflegewissenschaftlichen Standards und möglichst so zu pflegen, dass ihre Tätigkeiten und Interaktionen keine personalen Detraktionen – d. h. Merkmale und Anzeichen, die dem Wohlbefinden der gepflegten Person abträglich sind – aufweisen, drohen Leitsätze und berufsethische Aussagen des Typus »Der alte Mensch steht im Mittelpunkt!« zu leeren Worthülsen oder sinnentleerten Floskeln zu verkommen. Es gesellt sich dann zu der gegebenen physischen Belastung ein weiteres, zusätzliches Dilemma in Form von psychischem Druck. Beide Stressoren gemeinsam führen immer häufiger zum Erleiden eines Burn-out oder münden und enden in stressbedingten psychosomatischen Krisen, wie zahlreiche Untersuchungen und Veröffentlichungen zeigen. Bei Dauerstress sind auch Herz- und Hirninfarkte keine Seltenheit und stellen insbesondere dann ein Risiko dar, wenn Träger oder Einrichtungen, aber auch Familienmitglieder es auf Dauer an Fürsorgeverhalten/-verpflichtung und (Mit-)Verantwortung fehlen lassen und Warnsignale nicht ernst nehmen.

Die als Belastung, Bedrohung oder Störung empfundenen Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz werden, wie bereits erwähnt, unter dem Terminus »Herausforderndes Verhalten« subsumiert und in der fachspezifischen Literatur näher beschrieben.

Als Ursachen dieses Verhaltens führen die Autoren der »Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe«71 unter Bezugnahme auf das NDB-Modell von Algase et al.72 und Kolanowski73 zum einen sog. »Hintergrundfaktoren« und andererseits »Proximale/Nahe Faktoren« an. Zu den erstgenannten gehören der neurologische und der Gesundheitsstatus, ferner demografische und psychosoziale Variablen, zu letzteren neben physiologischen und psychosozialen Bedürfnissen sowie funktionaler Performance die physikalische und die soziale Umgebung.

In diesen Empfehlungen heißt es: »Als Konsequenz aus diesem Modell [dem NDB-Modell von Algase et al. und Kolanowski] müssen Pflegende herausforderndes Verhalten auch immer unter dem Aspekt eines Anpassungsversuchs betrachten, und dabei konkret den Beitrag von Pflegebeziehung und Pflegeumwelt zu dem Verhalten beleuchten, um einseitigen, individualisierenden Symptomzuschreibungen entgegenzuwirken (…) Bestimmte Verhaltensweisen, wie Leben in der Vergangenheit, anklammerndes (Bindungs-) Verhalten, Apathie und vollständiger Rückzug dienen dem Verlangen, mächtige Gefühle wie Angst, Trauer, Verzweiflung zu bewältigen und sich zu schützen.«74 Johannes Kipp und Gerd Jüngling empfehlen, die »psychische(n) Erkrankungen nicht als einen Defekt, sondern als einen Selbstheilungsversuch nach einem erlittenen Verlust« anzusehen und von ihnen als »Kompensations- oder Adaptionsversuchen« zu sprechen.75

Dieses Zitat legt nahe, das Bindungsverhalten von Menschen mit Demenz, genau wie andere Verhaltensweisen – im Sinne eines »Verstehenden Ansatzes« –, als Äußerungen oder, treffender gesagt, als »Ver-äußerlichungen«, »Objektivationen« oder »Ausdrucksbewegungen«76 von dahinter verborgenen Gefühlen der Angst, der Verzweiflung etc. zu verstehen.

Wenn es zutrifft, dass »durch eine positive Pflegebeziehung als problematisch und störend empfundenen Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz in einem gewissen Grad entgegengewirkt werden kann«,77 scheint es folgerichtig und sinnvoll zu sein, besonderes Augenmerk auf diesen Aspekt zu richten.

Nachdem zuvor das Bindungsphänomen sowohl in seiner Bedeutung für die Person mit Demenz als auch bezüglich möglicher Konsequenzen für die Pflegepersonen näher betrachtet wurde, soll im folgenden Abschnitt der Zusammenhang zwischen Beziehung und Bindung in den Fokus gerückt werden.

1.8Beziehung und Bindung

Auf die Frage, in welchem Zusammenhang die beiden Termini Beziehung und Bindung zueinander stehen bzw. was sie voneinander unterscheidet, gibt Karin Grossmann eine Antwort, indem sie ausführt: »Für mich ist ein wesentlicher Unterschied, dass eine Beziehung zu vielen netten, zugewandten Personen da sein kann. Aber wenn diese Personen weg sind, dann leidet das Kind nicht. Es erwartet nicht von einer Beziehungsperson, dass sie sofort reagiert, wenn es Angst hat. (…) Bei einer Bindungsperson ist das Trennungsleid eigentlich das wesentliche Merkmal. Man kann das auch in der Physiologie feststellen.«78

In dem DNQP-»Expertenstandard zur Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz« wird festgestellt, dass Pflegearbeit Beziehungsarbeit bedeute. Dieses Statement wird im weiteren Verlauf konkretisiert und im Zuge dessen herausgestellt, dass »es in einem ersten Schritt« gelte, eine Beziehung anzubahnen, um darauf aufbauend in einem zweiten »die darüber hinausgehenden Pflegeinterventionen gemeinsam mit dem Pflegebedürftigen realisieren zu können. (…) Der besonderen Bedeutung der Beziehungsgestaltung als Kernelement pflegerischen Handelns entsprechend stellen auch viele Pflegetheoretikerinnen (…) die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden in den Mittelpunkt ihrer Pflegemodelle (…).«79

Die Expertengruppe, die im ersten Quartal 2016 ihre Arbeit am »Expertenstandard Beziehungsgestaltung« aufnahm, vertritt die Auffassung, dass mit der Bindungstheorie ein relevanter theoretischer Zugang zum Thema Beziehung gegeben sei. Vor dem Hintergrund dieser Theorie könnten Verhaltensweisen von Personen mit Demenz gedeutet und verstanden werden. So könne beispielsweise die Suche nach Nähe und Bindung als Versuch einer Person begriffen werden, ihrer (Trennungs-)Angst zu begegnen, die mit Gefühlen der Unsicherheit und Bedrohung einhergeht.

Nach Ansicht von Stuhlmann ist der Aspekt, »Bindung und Bindungsverhalten als Ressource zu sehen und in der Versorgung und Pflege von Personen mit Demenz nutzbar zu machen«, relativ neu. Bindung werde dabei als stabile und gefühlsmäßig wichtige Beziehung zu versorgenden Personen betrachtet, zu denen darüber hinaus aufgrund von Pflegebedürftigkeit, der eingeschränkten Alltagskompetenz u. a. eine spezielle Art von Abhängigkeit bestehe. »Das innere Bindungsmodell zur Wahrnehmung und Bewertung von Beziehungen wird dabei auch in Bindungssymbolen erkennbar, die mit den inneren Vorstellungen verknüpft sind.«80

Diese Bindungssymbole können ggf. durch beide Interaktionspartner bzw. Beteiligte an einer Pflegesituation wahrgenommen werden: Personen mit Demenz können, wie Untersuchungen zur Persönlichkeitsveränderung im Verlauf einer Demenzerkrankung zeigten, »auf Verhaltensmuster zurückgreifen, mit denen sie früher einmal erfolgreich waren oder bestimmte Situationen bewältigt haben. Im Altgedächtnis gespeicherte Erfahrungen von Kompetenz werden zeitversetzt auf eine Situation in der Gegenwart übertragen und zur Bewältigung eingesetzt.«81

Andererseits können bei Pflegepersonen situativ und im Kontakt zu Pflegebedürftigen mit bestimmten physiognomischen Merkmalen (»Pausbacken«, »Kulleraugen«, rundlicher Umriss des Kopfes) Reaktionen und Impulse fürsorglicher und beschützender Art ausgelöst werden – ein Phänomen, das in der Verhaltensforschung, Biologie und Psychologie unter dem Begriff »Kindchenschema« (Konrad Lorenz) bekannt ist. So konnte der Verfasser in einer Pflegeeinrichtung, in der er tätig war, beobachten, dass die Bewohnerin eines Wohnbereiches, die über die oben benannten Merkmale »verfügte« und zudem – auf dem Korridor umherwandernd – immer wieder nach ihrer längst verstorbenen Mutter rief, häufig durch die Mitarbeiterinnen ins Dienstzimmer begleitet wurde, um dort von ihnen besondere persönliche Zuwendung in Form netter Unterhaltung, Kämmen ihres Haares etc. zu erfahren.

Das geschilderte Vorgehen der Pflegepersonen könnte als ein Beispiel der Überversorgung interpretiert und kritisiert werden, das in einer übertriebenen Schutz- und Sorgemotivation auf Seiten der Mitarbeiter herrührt, als eine überzogene caritative Haltung, die zudem mit der Gefahr einhergeht, Entwicklungs-, Handlungs- oder Entscheidungsmöglichkeiten der Pflegebedürftigen einzugrenzen oder ungenutzt zu lassen.

Diese vermeintliche Gefahr, der in der Regel ein gut entwickeltes Diskriminierungsvermögen und die Potenziale »emotionale Intelligenz«82 der Pflegenden gegenübersteht, zwischen psychischen Bedürfnissen der zu Pflegenden einerseits und einer potenziellen Beschneidung und Eingrenzung ihrer handlungsbezogenen, voluntativen und Entscheidungsmöglichkeiten andererseits abzuwägen, lässt überleiten zu einem Aspekt, der im Rahmen der Bindungstheorie eine erhebliche Rolle spielt. Die Rede ist von einem Konzept, das in der Vergangenheit von verschiedenen Autoren aufgegriffen und behandelt wurde. Seinem Ursprung nach ist es im Wesentlichen auf Mary Ainsworth zurückzuführen, die es als »Sensitivity« (dt. Feinfühligkeit) bezeichnete.83

1.8.1 Das Konzept der (Stimulierenden) Feinfühligkeit

Die Feinfühligkeit der Pflegeperson bildet Brisch zufolge eine wesentliche Basis für die vom Säugling in dessen ersten Lebensjahr entwickelte Bindungsqualität. »Die Fähigkeit zur Feinfühligkeit und im weitesten Sinne die Empathiefähigkeit – die Fähigkeit, sich in die Handlungsabsichten und Motivationen sowie Gedanken und Gefühle eines Gegenübers hineinzuversetzen und dessen Innenwelt in der eigenen Innenwelt gespiegelt wiederzuerleben – geht auf die Aktivität von Spiegelneuronen im Gehirn (…) zurück (…).«84 Auf sie soll wegen ihrer Bedeutung für die Bindungsforschung insgesamt sowie für das Konzept der Feinfühligkeit im Besonderen ein wenig näher eingegangen werden.

Bei Spiegelneuronen handelt es sich um Nervenzellen, die sowohl »im eigenen Körper ein bestimmtes Programm realisieren können, die aber auch dann aktiv werden, wenn man beobachtet oder auf andere Weise miterlebt, wie ein anderes Individuum dieses Programm in die Tat umsetzt (…). Nicht nur die Beobachtung, jede Wahrnehmung eines Vorgangs, der bei anderen abläuft, kann im Gehirn des Beobachters Spiegelneurone zum Feuern bringen.«85

Das Phänomen der Spiegelneurone verlangt in Zusammenhang mit der Bindungsthematik gebührende Aufmerksamkeit und wird an späterer Stelle dieses Beitrags nochmals kurz erwähnt werden. Hier allerdings will es der Verfasser mit einem Verweis auf die inhaltlich wechselseitigen Bezüge zwischen bindungstheoretischen und neuroanatomischen bzw. neurophysiologischen Phänomenen bewenden lassen, wie sie auch in dem Meta-Ansatz von Thomas Fuchs zu finden bzw. aus diesem in vielfältiger Weise abzuleiten sind. Dieser Ansatz ist insofern interessant und bedeutsam, als er nicht nur neuronale Netzwerke und Schaltkreise, sondern das gesamte Gehirn in seiner Bedeutung für zwischenmenschliche, interpersonelle Prozesse zu erfassen und zu erforschen sucht. (Siehe zum Thema Spiegelneurone auch die Studien und Veröffentlichungen von Giacomo Rizzolatti et al. sowie von Joachim Bauer, zum Verständnis des Gehirns als Beziehungsorgan das genannte Werk von Thomas Fuchs.86)

Nun jedoch zurück zum Kernthema dieses Abschnitts – der Feinfühligkeit. Auch Grossmann und Grossmann greifen das Feinfühligkeitskonzept in ihren Arbeiten wiederholt und in unterschiedlichen Zusammenhängen auf und machen auf seinen Stellenwert aufmerksam.

In seinem Buch »Bindungen – das Gefühl psychischer Sicherheit« z. B. beantwortet das Forscher-Ehepaar die Frage, warum mütterliche Feinfühligkeit für das Kind so bedeutsam ist, folgendermaßen: »Wenn das kindliche Bindungssystem durch negative Gefühle wie Angst, Ärger, Wut, Trauer bei Trennung und Verlust erregt ist, ermöglichen feinfühlige Reaktionen eine Beruhigung der emotionalen Erregung.«87

Ob das von Wilfried Datler für den Bereich der Säuglingspflege und -förderung entwickelte und dort gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern erprobte Konzept der Stimulierenden Feinfühligkeit88 auch in die Pflege von Menschen mit Demenz transferiert und dort erfolgreich zum Einsatz gebracht werden könnte, untersuchte Stephanie Pfarr eingehender und kam zu dem Ergebnis, dass alte Menschen mit Demenz durchaus noch fähig seien, selbststimulierende Impulse zu setzen. »Damit die Impulse jedoch nicht verschwinden und unbemerkt bleiben, bedarf es einer sehr feinfühligen, sensiblen Wachsamkeit, um das Interesse als solches zu erkennen, es dann zu stärken und dem zu Pflegenden bei der Befriedigung seiner Bedürfnisse zu helfen.«89

Wer sich näher mit dem Ansatz der Stimulierenden Feinfühligkeit auseinandersetzen möchte, tut gut daran, sich flankierend mit dem ursprünglichen Feinfühligkeitskonzept von Ainsworth sowie mit dem der Basalen Stimulation® von Christel Bienstein und Andreas Fröhlich zu befassen, zwei Quellen, auf die Datler bei der Entwicklung seines Modells gleichermaßen zurückgreift.90

Darüber hinaus ist auf Monika Krohwinkels AEDL- und vor allem auf ihr ABEDL-Strukturmodell zu verweisen, die beide, insbesondere was den Aspekt und Stellenwert der Beziehung in Pflege-Dyaden anbelangt, viele Gemeinsamkeiten mit dem Ansatz der Stimulierenden Feinfühligkeit aufweisen. Ein Grund für diese Kongruenz mag darin gesehen werden, dass in allen drei Konzepten Berührungspunkte mit den Prinzipien der humanistischen Psychologie respektive zu den Kernaussagen und Grundannahmen des amerikanischen Psychologen und Psychotherapeuten Carl Ransom Rogers (1902–1987) auszumachen sind. So schreibt Krohwinkel in ihrer »Fördernden Prozesspflege« bekennend: »Auf dem Hintergrund christlich-humanistischer Werthaltungen und langjähriger praktischer Erfahrungen (…) haben mich (…) die Sichtweisen, Konzeptionen (…) und therapeutisch fördernden Methoden von Maslow und vor allem die von Carl Rogers«91 beeinflusst.

1.8.2 Bindung, Beziehung und Demenz bei Bère M. L. Miesen

Dem Zusammenhang zwischen Bindung, Beziehung und Demenz geht auch der DNQP-»Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz« nach und verweist auf die Arbeiten und Forschungsergebnisse des niederländischen Psychiaters und Bindungsforschers Bère M. L. Miesen (*1946), denen zufolge die Demenz eine »kontinuierlich fortschreitende Katastrophe und traumatische Erfahrung«92 darstellt, eine Erfahrung allerdings, bei der sich die Intensität des Erlebten im Laufe der Zeit nicht verringere, sondern vielmehr noch zunehme: »Die Erfahrung mit Demenz erodiert Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit und aktiviert deshalb Bindungsverhalten.«93 Entsprechend gibt der DNQP-»Expertenstandard« Miesen wieder: »Menschen mit Demenz sind im Verlauf ihrer Demenzerkrankung zunehmend abhängig von dem Gefühl der Sicherheit, sodass die Bindungstheorie als Ausgangspunkt genommen werden kann, um Verhaltensweisen (wie z. B. die Fixierung auf Eltern) von Menschen mit Demenz zu erklären (…).«94

Bère Miesen konnte aufgrund seiner in den 1990er-Jahren durchgeführten Studien die besondere Relevanz von Bindungsrepräsentation, wie der fiktiven Präsenz der längst verstorbenen Eltern, und Bindungsverhalten, wie Anklammern und Nähesuchen gegenüber Angehörigen, bei demenziellen Erkrankungen nachweisen, die denen bei Kindern ähneln: »Die Patienten verhalten sich so, als wären ihre Eltern lebendig und gegenwärtig, fragen oder verlangen nach ihren Eltern, zeigen aber insgesamt ein vermindertes Bindungsverhalten und können bei der vorgestellten Präsenz ihrer Eltern – vielleicht eine der sinnfälligsten Offenbarungen der Bindungsrepräsentanzen in späteren Lebensaltern – Beruhigung finden.«95

1.8.3 Beziehung und Bindung im mäeutischen Pflege- und Betreuungsmodell nach Cora van der Kooij

Das von der niederländischen Pflegeexpertin und Historikerin Cora van der Kooij (1946–2018) entwickelte »mäeutische Pflege- und Betreuungsmodell« basiert auf den vier Dimensionen Menschsein, Gesundheit und Krankheit, Pflegen und Betreuen sowie Umgebung, die als Teile eines Ganzen aufzufassen sind.

Das Modell stellt, wie andere, ähnliche Modelle auch, die Pflegebeziehung in den Mittelpunkt. »Es betrachtet die Erlebenswelten von Bewohnern und deren Angehörigen wie auch die Erlebenswelt von Pflegenden. Ausgangspunkt für Pflegewissen und Pflegequalität sind die positiven Momente von Kontakt und die sich daraus entwickelnden Pflegebeziehungen. Kontakt wird durch die sogenannte erlebensorientierte Pflege hergestellt.«96

Zwar behandelt van der Kooij in ihren Veröffentlichungen das Thema Bindung nicht explizit, begibt sich allerdings mit ihren Vorstellungen, ihrem Denken, ihren Konzepten und Grundannahmen in unmittelbare Nähe der basalen Konzepte und theoretischen Fundamente der Bindungstheorie.

Inwiefern dies der Fall ist und wo Verbindungslinien zur Bindungstheorie nach Bowlby und Ainsworth erkennbar bzw. Berührungspunkte zwischen dieser und dem mäeutischen Modell auszumachen sind, geht aus dem Aufsatz von Jeanette Lösing und Elke Strauß in diesem Buch hervor, der sich eigens mit dem mäeutischen Modell und den Möglichkeiten seiner (bindungs-)praktischen Anwendung und Umsetzung befasst (image Kap. 4).

1.8.4 Jakob Johann Müller: Bindung am Lebensende

Die Bearbeitung und Auseinandersetzung mit dem Bindungsphänomen am Lebensende hat Jakob Johann Müller im Vorwort zu seinem Buch, verfasst von Klaus E. und Karin Grossmann, nichts weniger als deren wertschätzendes Urteil eingebracht, »in einer bahnbrechenden Untersuchung die psychischen Belastungen Sterbender, die in der Obhut von Palliativ- und Hospizpflege sind«,97 untersucht und erschlossen zu haben.

Müllers diesbezügliche theoretische und empirische Arbeiten erfolgten an der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Großhadern, einer Institution mit multiprofessioneller Ausrichtung, unter Einbeziehung von Professionen und Interventionen wie Palliativmedizin, Palliativpflege, Theologie und Seelsorge, Psychologie und Psychotherapie.

Ohne im Rahmen dieses Beitrags näher auf Einzelheiten zu den theoretischen Grundlagen, empirischen Zielsetzungen und methodischen Verfahren eingehen zu können, auf die Müller im Zuge seiner Forschungsarbeiten zurückgriff, seien hier in aller Kürze lediglich zwei basale Aspekte und markante Zusammenhänge angeführt, die den interessierten Leser zu näherer Beschäftigung mit dem Bindungserleben von Palliativpatienten und Hospizbewohnern anregen mögen:

1. Kontinuität und Veränderung der Bindungsrepräsentationen im Verlauf der Lebensspanne98 und

2. die Bedeutung der Bindungstheorie für die stationäre Terminalbegleitung.99

Bindungstheoretisch können einige Themenkomplexe in ihrer Bedeutung für das innere Beziehungserleben als besonders relevant bezeichnet und hervorgehoben werden. Es sind dies u. a.:

eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Todesangst,

die Schmerz- bzw. Symptombelastung,

die Trennung und Lösung von emotional bedeutsamen Beziehungen.

Beispielhaft soll die Relevanz dieser drei angeführten thematischen Komplexe anhand des letzten in den Worten Müllers konkretisiert werden. Er schreibt dazu: »Bindungsrelevant ist das Thema des Todes und Sterbens insofern, als es bedeutet, dass die Patienten von ihren Angehörigen scheiden, Patienten und Angehörige sich voneinander trennen, also die bestehenden Bindungen lösen müssen. Bereits die Entbindung aus dem vertrauten Umfeld und seinen Rhythmen, wie sie im Zuge einer stationären palliativen Behandlung erfolgt, nimmt die bevorstehende Trennung zu einem Teil vorweg und macht sie in gewissem Sinne handgreiflich: Die stationäre Einrichtung ist nicht nur palliativer Behandlungsraum, sondern auch ein Übergangsraum des Sterbens, der eigene räumliche Gegebenheiten, Rollen und Zeitrhythmen besitzt (…).«100

1.9Bindung und Milieu

Der Zusammenhang zwischen Bindung und Milieu soll an dieser Stelle ebenfalls nur grob skizziert und in seiner Tragweite und Bedeutung vor dem Hintergrund der Erfahrung des Herausgebers in der gerontopsychiatrischen Praxis aufgezeigt werden.

Der Milieubegriff wird dabei, wie in der aktuellen gerontologischen, gerontopsychiatrischen und pflegewissenschaftlichen Fachliteratur verbreitet, nicht allein unter materiellen, räumlichen und ähnlichen Gesichtspunkten der Strukturqualität eines gegebenen Wohnumfeldes betrachtet, sondern ganzheitlich. Dies soll heißen, dass über die »sächlichen« und technischen Gegebenheiten wie Mobiliar, Beleuchtung, Bodenbelag, Raumaufteilung, farbliche Gestaltung von Decken und Wänden etc. auch und vor allem soziale, sozialpsychologische und die Interaktion betreffende Faktoren und Aspekte eine gewichtige Rolle spielen (sollten): das Bewusstsein der pflegenden und betreuenden Personen, ein verstehender Zugang zum Menschen mit Demenz auf der Basis einer empathischen, feinfühligen Haltung als Voraussetzung für das Verständnis und die Deutung seiner Sinnsetzungsakte – wie zaghaft, verhalten, symbolisch verschleiert und scheinbar bezugslos diese auch immer erscheinen mögen – und seines Verhaltens.

In der professionellen Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz geht es darum, sich mit Feinfühligkeit und »mäeutischer Sensibilität« auf Spurensuche und Entdeckungsreise zu begeben, um in der Beziehung zu diesen Menschen auf Anknüpfungs- und Kontaktpunkte zu stoßen, über die »eine Tür zu der jeweiligen Person geöffnet« und ein Zugang zu ihr ermöglicht und gefunden werden kann.

Die zu Beginn dieses Beitrags geäußerten kritischen Vorbehalte gegenüber dem Begriff »Herausforderndes Verhalten« sind auch darin begründet, dass der Terminus aufgrund seiner tendenziell etikettierenden und stigmatisierenden Rezeption und Auslegung die Gefahr in sich birgt, ein stimmiges Milieu und einen verstehenden Umgang mit Personen, die an einer Demenz leiden, negativ zu beeinträchtigen. Die angesprochene Tendenz kann u. a. dann zu Unstimmigkeiten im Milieu und in der Beziehung führen, wenn selbst Verhaltensweisen wie »Leben in der Vergangenheit, (…) Apathie«101 oder »Wandern«102 (im Sinne von ständigem, rast- und ziellosen Umherlaufen) als »Herausforderndes Verhalten« bezeichnet und diesem Sammelbegriff zugeordnet werden.

Zwar betont das Autoren-Team der »Rahmenempfehlungen«, dass bei jedwedem Verhalten, so auch bei dem »Demenzkranker«103 »die Suche nach diesen Gründen die erste Handlungsmaxime«104 sein müsse; zwar führen die Autorinnen und Autoren in diesem Zusammenhang das »need driven dementia compromised behaviour model (bedürfnisorientiertes Verhaltensmodell bei Demenz), kurz NDB-Modell«105 an, das – auch im Sinne einer »verstehenden Diagnostik« – als ein sehr wertvolles Modell anzusehen ist, viele Gemeinsamkeiten mit den weiter oben skizzierten Konzepten aufweist und in etlichen Aspekten mit ihnen korrespondiert.

Dennoch wäre »Herausforderndes Verhalten« besser und treffender als »Verhalten in problematischen Situationen« bezeichnet, um mögliche persönliche Zuschreibungen und das Risiko der Stigmatisierung zu vermeiden. Zudem wäre mit der vorgeschlagenen Alternativbenennung die Möglichkeit gegeben, den/die verursachenden Faktor/en für die jeweilige Situation bzw. Problematik offen zu lassen und damit zu »neutralisieren«.

Es kann erwartet oder darf zumindest erhofft werden, dass mit dem Wechsel der grundlegenden Perspektive bzw. des Paradigmas im neuen »Expertenstandard«106 auch der inflationäre Gebrauch des hier kritisierten Begriffs perspektivisch rückläufig sein wird.

1.10Die neurobiologische Relevanz von Bindung

In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind im Rahmen neurobiologischer, neurophysiologischer und neuropsychologischer Forschung Untersuchungen zu Resonanzphänomenen – der spontanen Erwiderung eines Lächelns oder dem eigenen Gähnen bei Wahrnehmung einer anderen gähnenden Person z. B. – bzw. zur Identifizierung und Funktionsweise sogenannter »Spiegelneurone«107 durchgeführt worden, die die Grundlage von Empathie und Intuition bilden und starken Einfluss u. a. auf unser »Bauchgefühl« und unsere Liebesfähigkeit nehmen.

In Verbindung mit dem Bindungsphänomen hat Allan N. Schore u. a. die neurologischen Prozesse im Rahmen der Interaktion zwischen Mutter und Kind untersucht und dabei festgestellt, dass »die ›Erfahrung‹, die für die ‚erfahrungsabhängige‘ Reifung der Systeme – die die Gehirnorganisation in den ersten beiden Lebensjahren regulieren – benötigt wird, aus den spezifischen emotionalen Erfahrungen besteht, die in die affektregulierende Bindungsbeziehung zwischen Säugling und Mutter eingebettet sind. (…) Emotionen werden zunächst durch andere reguliert, im Verlauf der frühen Entwicklung werden sie als Ergebnis neurophysiologischer Entwicklungsprozesse jedoch zunehmend selbstreguliert (…).«108

Nähere Informationen über die Aspekte internen und externen »Funktionierens« und die neurowissenschaftlichen Grundlagen von Schores Theorie der Affektregulation stellt Eva Rass in dem von ihr herausgegebenen Buch bereit.109

Thomas Fuchs präsentiert in seinem Buch »Das Gehirn – ein Beziehungsorgan« eine phänomenologisch-ökologische Konzeption. Der Heidelberger Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie geht im fünften Kapitel seines Buches, das sich mit dem »Gehirn als Organ der Person« befasst, auf »Das »Bindungssystem« sowie auf »Das System der Spiegelneurone«110 ein.

Fuchs thematisiert damit zwei Systeme, die für das oben erwähnte Resonanzphänomen von maßgeblicher Bedeutung sind, auf die an dieser Stelle allerdings ebenso wenig eingegangen werden kann wie auf zwei andere, gleichermaßen bedeutsame und interessante Themenkomplexe, die er vorstellt und die ebenfalls das hier behandelte Bindungsphänomen tangieren: »Der Doppelaspekt der Person«111 und »Konsequenzen für die psychologische Medizin«.112

Vielmehr mag es hier genügen, einen Anstoß gegeben zu haben und vielleicht das Interesse zu wecken für das neurobiologische, -physiologische und -psychologische Paradigma auch in Zusammenhang mit bindungstheoretischen Fragestellungen in der Pflege, Begleitung, Betreuung und Versorgung von Menschen mit Demenz. Dass damit auf ein Forschungsgebiet und auf Forschungsaspekte verwiesen wird, deren Bedeutung und Ergebnisse auch für Disziplinen wie die Gerontologie, Gerontopsychiatrie und die Pflegewissenschaften höchst relevant sind, sei mit einem Zitat von Fuchs noch einmal hervorgehoben: »Das menschliche Gehirn ist nicht nur das komplexeste, sondern auch das anpassungsfähigste Organ, das wir kennen. Wie wir heute wissen, modifizieren alle unsere Erfahrungen, Wahrnehmungen und Interaktionen mit der Umwelt zeitlebens die neuronalen Strukturen. (…) Diese (…) Inkorporation von Erfahrungen in Gedächtnisstrukturen beruht darauf, dass die Funktionstätigkeiten des Gehirns seine eigenen Mikrostrukturen fortwährend verändern.«113

Ein Phänomen verdient es schließlich noch, aufgrund seiner neurochemischen Bedeutung und seines Bezugs zum Thema des vorliegenden Buches am Ende dieses Abschnitts erwähnt zu werden: Die Rede ist von einem Hormon, das Bauer zufolge 1906 von Henry Dale in der Hypophyse entdeckt wurde und 1927 den Namen Oxytocin – nach dem griechischen Wort »okytokos«, leicht gebärend – erhielt. »Heute bezeichnen wir diesen Stoff als Bindungshormon. In einschlägiger populärerer Literatur wird er auch als Kuschelhormon bezeichnet. (…) Erst 1953 konnte Vincent Du Vigneaud Oxytocin isolieren und synthetisieren.«114

1.11Bindung zwischen Mensch und Tier

Unter den verschiedenen Methoden, Konzepten und Interventionen für den Umgang mit und die Betreuung von Menschen mit Demenz haben die Ansätze tiergestützter Therapie in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit und verstärktes Interesse erlangt. Ungeachtet der Frage, wo eine sinnvolle Grenze in der Verwendung des Therapiebegriffs zu ziehen ist und ob seine Verwendung nicht gelegentlich »überdehnt« wird, sind die zuträgliche Wirkung und positiven Effekte durch die Begegnungen und Interaktionen zwischen Personen mit Demenz und Tieren wohl nicht zu bestreiten.

Diesem Tatbestand Rechnung tragend wurde dieser Thematik ein eigener Beitrag (von Leonina Kaestele und Kristin Bruks) in diesem Buch gewidmet (image Kap. 6). Darin wird die positive Wirkung tiergestützter Therapie ebenso aufgezeigt und belegt wie in der Veröffentlichung von Theres Germann-Tillmann et al. sowie durch die Untersuchungen von Andrea Beetz et al.115 Diese Autorinnen liefern ebenfalls zahlreiche Argumente und Belege dafür, welche Bereicherung und förderlichen Effekte der Kontakt zu Vögeln, die kontemplative Betrachtung sowie die fürsorgliche, ggf. begleitete Fütterung und Versorgung von Fischen im Teich oder Aquarium, das Streicheln und »Herzen« von Hund und Katze, Hasen, Kaninchen und Meerschweinchen, aber auch die Beschäftigung mit größeren Vierbeinern (Ponys etc.), bewirken kann.

Vor allem das sich entwickelnde Vertrauensverhältnis und die sich einstellende Zutraulichkeit infolge häufigeren, regelmäßigen Kontakts können als eine gute Basis und als Garanten für die Stabilisierung der Bindung zwischen Menschen mit Demenz und einem liebgewonnenen Tier, darüber hinaus jedoch auch für positive emotionale Empfindungen und infolgedessen für Wohlbefinden und die Steigerung der Lebensqualität angesehen werden.

Den zuvor geschilderten positiven Effekten steht vorübergehend oder auch länger andauernd die leidvolle Phase und Erfahrung gegenüber, dass ein Haustier, mit dem ein alter Mensch eine intensive Beziehung aufgebaut und mit dem er seinen Alltag samt der Freude und den Sorgen geteilt hat, das somit seinem eigenen Leben gewissermaßen einen Sinn gab, verstirbt. Im Falle des Verlustes eines Haustieres, welches häufig bei alleinstehenden älteren Menschen (mit Anzeichen einer leichten kognitiven Beeinträchtigung) deren einzig verbliebener »Mitbewohner« in der häuslichen Umgebung war, empfinden die Betroffenen häufig tiefe Trauer, großes psychisches Leid und seelischen Schmerz. Mit Sicherheit haben die Leserinnen und Leser zum großen Teil bereits die Erfahrung gemacht, dass durch einen solchen Verlust auch die Betroffenen selbst nicht mehr lang lebten, weil ihnen mit dem geliebten Tier ein unersetzlicher Verlust widerfuhr und sie danach jeglichen Lebenssinn und alle Lebensfreude verloren haben. Nicht umsonst hat bereits Bowlby die Themen Verlust und Trauer mit dem Bindungsphänomen in unmittelbare Verbindung gebracht.116

Des Weiteren sei in diesem Zusammenhang auf Werner Janzariks Begriff »Kontaktmangelparanoid«117 hingewiesen, das sich neben dem Führen von Selbstgesprächen bzw. von Gesprächen mit dem imaginierten früheren Ehepartner oder mit anderen Familienangehörigen noch in weiteren, ähnlichen Symptomen äußern kann wie in der Einbeziehung in das abendliche Gebet, im Versorgen »gewähnter« anwesender Töchter, Söhne oder Enkel mit Speisen und Getränken, dem Fortsetzen bzw. Aufrechterhalten der Fütterung oder aber der Bereitstellung des Fressnapfes bzw. einer Mahlzeit für das geliebte und nunmehr vermisste Haustier etc.

Das durch mangelnde oder gänzlich fehlende Sozialkontakte verursachte, von Janzarik näher beschriebene Phänomen findet sich in den bekannten Klassifizierungssystemen (ICD-10 oder DSM-IV) unter seiner ursprünglichen Bezeichnung nicht mehr, sondern wird dort den Rubriken »Schizophrenie« oder »Anhaltende wahnhafte Störungen« zugeordnet. Wie die Ergebnisse aktueller Studien zur Problematik bzw. pathogenen Auswirkung des Lebens in Einzelhaushalten oder Isolation (Bsp.: Abschottung bzw. Quarantäne während der Corona-Krise 2020) und der damit gegebenen Gefahr der Vereinsamung nahelegen,118 dürfte diese Form »wahnhafter Störung« allerdings faktisch bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben und zukünftig – angesichts der demografischen Entwicklung mit einem sich abzeichnenden wachsenden Anteil alleinlebender Senioren bzw. an Single-Haushalten – vermutlich noch an Bedeutung zunehmen.

1.12Resümee und Ausblick

In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Bindungsphänomen in seiner Bedeutung für Praxisfelder und Personengruppen, die mit der Pflege, Betreuung und Begleitung von Menschen mit Demenz befasst sind, noch nicht gebührend erkannt und berücksichtigt. Dies ist angesichts seines Stellenwertes bezüglich Fragestellungen und Perspektiven zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz, aber auch mit Blick auf die Pflegepersonen im öffentlichen und privaten Pflege-, Betreuungsund Versorgungsumfeld bedauerlich und es gilt nach Ansicht des Herausgebers, das Thema Bindung zukünftig in den benannten Sektoren verstärkt aufzugreifen (z. B. in Form von Projekten, Schulungen, Fort- und Weiterbildungen etc.).

Vor allem in Zusammenhang mit der Qualitätsentwicklung in der Pflege, mit der Frage von Nähe und Distanz, dem Auf- und Ausbau von Vertrauen, der Interaktionsgestaltung zwischen dem Menschen mit Demenz und der Pflegeperson sowie mit der Suche nach geeigneten119 Mitteln und Wegen und Methoden zur Verbesserung der Lebensqualität von Personen mit Demenz stößt der Themenkomplex Beziehungsund Bindungsgestaltung in der aktuellen pflegewissenschaftlichen Forschung und Diskussion auf hohes Interesse. Der Grund für die Wertschätzung gegenüber dem Bindungsphänomen kommt in der Auffassung der Expertengruppe, die an der Entwicklung des »Expertenstandards« beteiligt war, klar zum Ausdruck. Darin heißt es: »Für die Beziehungsgestaltung von Menschen mit Demenz in der Pflege ist das Konstrukt der Bindungstheorie von Relevanz. In der Bindungstheorie wird beispielsweise die Fähigkeit, Bindungen zu anderen Personen aufzubauen und damit einhergehend, Beziehungen zu gestalten, als Merkmal einer funktionierenden Persönlichkeit gesehen.«120 An anderer Stelle wird konstatiert, dass »Bindung (…) einen wichtigen theoretischen Zugang zum Themenbereich Beziehung in der Pflege von Menschen mit Demenz darstellt«.121

Dieses Buch und die in ihm vorgestellten Beiträge stellen den Versuch dar, das Konstrukt Bindung einerseits für Pflege- und Betreuungspersonen verständlich und greifbar werden zu lassen und andererseits für Personen mit Demenz im Pflegegeschehen und in der Betreuung und Versorgung erlebbar und spürbar zu machen.

Zwar mussten und konnten wichtige Aspekte der Bindungsforschung und Praxisfelder, in denen die Bindungsthematik ebenfalls von hoher Relevanz ist (Bsp.: Personbezogene Tätigkeiten in der hauswirtschaftlichen Versorgung), in diesem einleitenden Beitrag unberücksichtigt und ausgespart bleiben oder nur andeutungsweise, keineswegs jedoch in gebührendem Umfang erwähnt werden: so der Zusammenhang zwischen Bindung und Emotionaler Intelligenz,122 die Mimikresonanz123 als möglicher Weg zum Verständnis der Gefühle und Bedürfnisse von Menschen mit Demenz seitens pflegender und betreuender Personen oder H.I.L.DE, das »Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität demenzkranker Menschen124 oder das »Dementia Care Mapping (DCM)«.

Spezielle Perspektiven und einstweilen noch »weiße Flecke«, die seitens der Forschung zum Thema Bindung und Demenz in Zukunft grundsätzlich bzw. wo bereits geschehen, noch intensiver in den Blick zu nehmen wären und stärkerer Beachtung bedürften, betreffen u. a. die Fragestellung, inwiefern das Verhalten von Menschen mit Demenz tatsächlich mit der Bindungstheorie und deren Konzepten in Zusammenhang gebracht oder gar erklärt werden könnte.

Eine leichtfertig vorgenommene Gleichsetzung des Verhaltens von Menschen mit Demenz mit dem von Kleinkindern läuft – trotz vieler verblüffender Ähnlichkeiten wie Klammern, Nachlaufen, ständiges Herbeirufen, Fragen und Schreien – Gefahr, der erstgenannten Personengruppe allzu schnell und unbedacht eine Regression und infantiles Verhalten zuzuschreiben.

Daher müsste untersucht werden, ob den zuvor benannten Verhaltensweisen bei beiden Gruppen, Kleinkindern ebenso wie Menschen mit Demenz, dieselben Ursachen, Auslöser und Motive zugrunde liegen, sodass Vergleiche von Evaluationsstudien und Projektergebnissen überhaupt gerechtfertigt und verwertbar, der Transfer von Interventions-, Trainings- und Edukations-Programmen etc. vertretbar, Erfolg versprechend und sinnvoll wären.

Des Weiteren wäre zu eruieren, welche methodischen Verfahren zu einer Beantwortung der zuvor gestellten Frage führen könnten: ob nicht bereits bestehende und in der Vergangenheit bereits vielfach getestete, trainierte und angewandte Verfahren wie das »Dementia Care Mapping (DCM)«125 oder der von Mary Ainsworth entwickelte »Fremde Situation-Test (FST)« oder das »Adult Attachment Interview (AAI)«, ein von Mary Main entwickeltes, halb strukturiertes Erwachsenen-Bindungs-Interview, ggf. eine sinnvolle Ergänzung und Bereicherung darstellen. Bei Letzterem geht es um die retrospektive Erfassung von Bindungserfahrungen und deren Auswirkungen auf die gegenwärtige gedankliche und emotionale Einstellung zur Bindung an bestimmte Personen. Darüber hinaus wären als mögliche Instrumente das von der Ainsworth-Schülerin Patricia McKinsey Crittenden entwickelte »Dynamische Reifungsmodell der Bindung und Anpassung« (engl.: »Dynamic-Maturational Model of Attachment and Adaptation«, DMM) sowie das Konzept STEEP™ (»Steps Towards Effective and Enjoyable Parenting«, dt.: »Schritte in Richtung gelingender und Freude bereitender Elternschaft«) in Erwägung zu ziehen.

Ohne diese Instrumente und Ansätze hier näher vorstellen zu können,126 sei lediglich auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, diese vor einem Transfer und einer Anwendung in Bereichen gerontopsychiatrischer Pflege und Betreuung respektive in Bereichen und Institutionen zur Begleitung von Menschen mit Demenz in angemessener Weise anzupassen und zu verändern, ggf. auch zu hinterfragen, ob sie sich (je nach Entwicklungsgrad einer demenziellen Erkrankung z. B.) überhaupt für die betreffende Zielgruppe eignen.

Andererseits müssten nicht – und dies könnte als ein Vorteil gewertet werden – wie im Falle des FST »künstlich« Untersuchungs- bzw. Test-Settings konstruiert werden. Der Umzug in eine Pflegeeinrichtung und die Konfrontation des alten Menschen mit den daraus sich ergebenden vielfältigen »fremden Situationen« oder besser: befremdlich wirkenden, weil ungewohnten Erfahrungen, böten eine gute Gelegenheit, Reaktionen des betreffenden älteren Menschen auf derartige Eindrücke und das daraus resultierende (Bindungs-)Verhalten genauer zu untersuchen. Selbstverständlich verlangten die besonderen Anforderungen an die rechtlichen und ethischen Aspekte derartiger Projekte von allen Beteiligten ein hohes Maß an Verantwortung.

Die Bedeutung und der Stellenwert von Bindung werden, wie weiter oben bereits angedeutet (image Kap. 1.6.2), auch im person-zentrierten Ansatz von Tom Kitwood, der sie neben Geborgenheit, Identität und Einbindung/Inklusion zu einem der fünf Grundbedürfnisse von Menschen mit Demenz zählt, besonders betont. Diese Grundbedürfnisse können aber nur dann erfüllt werden, wenn die jeweilige Dienstleistungs-Organisation (Träger, Einrichtung, Tagespflege, Wohngemeinschaft, ambulante Dienste etc.) über ein solides Fundament verfügt, über einen angemessenen Rahmen samt Leitbild/Politik, über ein gelebtes, d. h. für den Kunden, Bewohner, Mieter, Gast etc. spürbares (und nicht nur für das MDK-Team nachlesbares!) Qualitätsmanagement-System verfügt sowie über eine nachhaltige Organisationskultur und gut fundierte, fachlich solide, dem Stand aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse entsprechende Konzepte in allen Leistungsbereichen und (Kern-)Geschäftsprozessen.

Diese Voraussetzungen sind, darauf sei am Ende noch einmal ausdrücklich hingewiesen, nur realisierbar, wenn eine gut durchdachte, nachhaltig wirkende Strategie vorliegt,127 die von einer verantwortungsvollen, werteorientiert agierenden Führung(sriege) auf der Basis einer spürbaren Unternehmenskultur verfolgt und perspektivisch umgesetzt wird.

All diese Maßgaben verlangen außer dem Vermögen, Mitarbeiterteams zu begeistern und zu motivieren, vor allem den Mut und die Bereitschaft, Prozesse, Strukturen und Gewohnheiten ggf. von Grund auf zu überdenken und/oder neu zu konzipieren – kurz: den Wandel zu gestalten.128

Mit einem Zitat hat dieser Beitrag begonnen, mit einem weiteren, an Menschen mit Demenz und Personen in deren Mitwelt gerichteten, soll er enden:

»Er [der Mensch mit Demenz] braucht Menschen, die ihn eben nicht reduzieren auf das, was er nicht mehr kann, sondern die ihm durch eine lebendige Beziehung die Möglichkeit geben, seiner Identität zum Ausdruck zu verhelfen. (…) Um zu seiner Identität zu gelangen, braucht der kranke Mensch die Begegnung mit einem anderen Menschen, er braucht ein Gegenüber, das in ihm die Ermöglichung von Identität wachruft und durch seinen Zuspruch auch tatsächlich Identität schafft.«129

Literatur

Ainsworth, Mary D. Salter (1967): Infancy in Uganda: Infant Care and the Growth of Love. Johns Hopkins University Press, Baltimore.

Ainsworth, Mary D. S.: Bindungen im Verlauf des Lebens (1985). In: Grossmann, Klaus E. und Grossmann, Karin (Hrsg.) (2011): Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. 3. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart: 341–366 (Erstausgabe Attachments across the life span. In: Bulletin of the New York Academy of Medicine. Vol. 61 No. 9 (1985): 792–812).

Ainsworth, Mary D. S.; Bowlby, John: Ein ethologischer Zugang zur Persönlichkeitsentwicklung (1991). In: Grossmann, Klaus E.; Grossmann, Karin (Hrsg.) (2011): Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. 3. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart: 70–90 (Erstausgabe An ethological approach to personality development. In: American Psychologist. Vol. 46 No. 4 (1991): 333–341).

Algase, Donna L. et al. (1996): Need-driven dementia-compromised behavior: An alternative view of disruptive behavior. In: American Journal of Alzheimer’s Disease. Vol. 11 No. 6: 10–19.

Barbrock, Michael (2015): Shadowing bei Menschen mit Demenz … wenn Nähe unerträglich wird. In: NovaCura. Bd. 46 H. 1: 42f.

Bauer, Joachim (2016): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. 23. Aufl. Wilhelm Heyne, München.

Bauer, Rüdiger (2018): Beziehungspflege. Kongruente Beziehungsarbeit für Pflege-, Sozial- und Gesundheitsberufe. 3., vollst. überarb. u. erw. Aufl. Hogrefe, Bern 2018.

Becker, Stefanie et al. (2011): H.I.L.DE. Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität demenzkranker Menschen (H.I.L.DE.). Huber, Hogrefe, Bern.

Beetz, Andrea et al. (2018): Tiergestützte Interventionen: Handbuch für die Aus- und Weiterbildung. Ernst Reinhardt, München.

Bienstein, Christel; Fröhlich, Andreas (2016): Basale Stimulation in der Pflege. Die Grundlagen. 8., durchges. u. erg. Aufl. Hogrefe, Bern.

Björk, Sabine et al. (2016): Exploring the prevalence and variance of cognitive impairment, pain, neuropsychiatric symptoms and ADL dependency among persons living in nursing homes: a cross-sectional study. In: BMC Geriatrics. Vol. 16 article number 154 [doi: 10.1186/s12877-016-0328-9].

Blonski, Harald (Hrsg.) (2006): Strategisches Management in Pflegeorganisationen. Konzepte, Instrumente und Anregungen. Schlütersche, Hannover.

Blonski, Harald (Hrsg.) (2012): Den Wandel gestalten. Change Management in Pflegeorganisationen. 2. Aufl. Mabuse, Frankfurt a. M.

Bowlby, John (1951): Maternal Care and Mental Health. Monographs of the World Health Organization 3. Genf; Kurzfassung: Child Care and the Growth of Love. Penguin, Harmondsworth 1953; deutsche Ausgabe: Frühe Bindung und kindliche Entwicklung. 7. Aufl. Ernst Reinhardt, München, Basel 2016.

Bowlby, John (2006a): Bindung. Ernst Reinhardt, München, Basel (Erstausgabe Attachment and Loss. Vol. 1: Attachment. Hogarth Press, London 1969).

Bowlby, John (2006b): Verlust. Trauer und Depression. Ernst Reinhardt, München, Basel (Erstausgabe Attachment and Loss. Vol. 3: Loss. Sadness and Depression. Hogarth Press, London 1980).

Bowlby, John (2018a): Trennung. Angst und Zorn. 2. Aufl. Ernst Reinhardt, München, Basel (Erstausgabe Attachment and Loss. Vol. 2: Separation. Anxiety and Anger. Hogarth Press, London 1973).

Bowlby, John (2018b): Bindung als sichere Basis. Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie. 4. Aufl. Ernst Reinhardt, München, Wien (Erstausgabe A Secure Base: Clinical Implications of Attachment Theory. Routledge, London 1988).

Bowlby, John (2019): Das Glück und die Trauer. Herstellung und Lösung affektiver Bindung. 6. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart (Erstausgabe The Making & Breaking of Affectional Bonds. Tavistock Publications, London 1979).

Bretherton, Inge (2016): Zur Konzeption innerer Arbeitsmodelle in der Bindungstheorie. In: Gloger-Tippelt, Gabriele (Hrsg.): Bindung im Erwachsenenalter. 3. Aufl. Huber, Bern: 65–92.

Brisch, Karl Heinz (2018): Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie. 15. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart.

Buber, Martin (2013): Ich und Du. Reclam, Stuttgart (Erstausgabe Insel, Leipzig 1923).

Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.) (2006): Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe. Witten.

Cohen-Mansfield, Jiska; Werner, Perla (1998a): The Effects of an Enhanced Environment on Nursing Home Residents Who Pace. In: The Gerontologist. Vol. 38 No. 2: 199–208.

Cohen-Mansfield, Jiska; Werner, Perla (1998b): Predictors of Aggressive Behaviors: A Longitudinal Study in Senior Day Care Centers. In: The Journals of Gerontology. Series B: Psychological Sciences and Social Sciences. Vol. 53B No. 5: 300–310.

Cummings, Jeffrey L. (1997): The Neuropsychiatric Inventory: Assessing Psychopathology in Dementia Patients. In: Neurology. Vol. 48 No. 5 (suppl. 6): 10–16.

Cummings, Jeffrey L. et al. (1994): The Neuropsychiatric Intentory: Comprehensive Assessment of Psychopathology in Dementia. In: Neurology. Vol. 44 No. 12: 2308–2314.

Datler, Wilfried; Isopp, Birgit (2004): Stimulierende Feinfühligkeit in der Frühförderung. Über progressive Veränderungen und das Erleben von Kleinkindern in Frühförderprozessen. In: heilpädagogik. Bd. 47 H. 4: 15–25.

Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (Hrsg.) (2018): Expertenstandard Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz. Sonderdruck. Osnabrück.

DIN Deutsches Institut für Normung e. V. (Hrsg.) (2017): Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Belastung. Teil 1: Allgemeine Aspekte und Konzepte und Begriffe (ISO 10075-1:2017); deutsche Fassung EN ISO 10075-1:2017. Beuth, Berlin.

Dreyer, Rahel (2017): Grundlagen der Bindungstheorie. In: TPS spezial – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. Sonderheft Herbst 2017: 22–25.

Eilert, Dirk W. (2013): Mimikresonanz. Gefühle sehen. Menschen verstehen. Junfermann, Paderborn.

Elvén, Bo Hejlskov et al. (2020): Herausforderndes Verhalten bei Demenz. Bedürfnisse erkennen und gelassen darauf eingehen. Ernst Reinhardt, München.

Fonagy, Peter (2018): Bindungstheorie und Psychoanalyse. 4. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart (Erstausgabe Attachment Theory and Psychoanalysis. Other Press, New York 2001).

Fonagy, Peter; Campbell, Chloe (2017): Böses Blut – ein Rückblick: Bindung und Psychoanalyse, 2015. In: Psyche. 71. Jg. H. 4: 275–305.

Freud, Sigmund (2000a): Trauer und Melancholie. In: Sigmund Freud Studienausgabe. Bd. III: Psychologie des Unbewußten. Fischer, Frankfurt a. M.: 193–212.

Freud, Sigmund (2000b): Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. In: Sigmund Freud Studienausgabe. Bd. V: Sexualleben. Fischer, Frankfurt a. M.: 37–80.

Freud, Sigmund (2000c): Hemmung, Symptom und Angst. In: Sigmund Freud Studienausgabe. Bd. VI: Hysterie und Angst. Fischer, Frankfurt a. M.: 227–308.

Fuchs, Thomas (2017): Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption. 5., aktual. u. erw. Aufl. Kohlhammer, Stuttgart.

Germann-Tillmann, Theres et al. (2019): Tiergestützte Interventionen. Praxisbuch zur Förderung von Interaktion zwischen Mensch und Tier. 2., überarb. und erg. Aufl. Hogrefe, Bern.

Gloger-Tippelt, Gabriele (2012): Entwicklungswege zur Repräsentation von Bindung bei 6-jährigen Kindern – Fallbeispiele. In: Scheuerer-Englisch, Hermann et al. (Hrsg.): Wege zur Sicherheit. Bindungswissen in Diagnostik und Intervention. 2. Aufl. Psychosozial-Verlag, Gießen: 193–222.

Goleman, David (2015): Emotionale Intelligenz. 25. Aufl. dtv, München (Erstausgabe Emotional Intelligence. Why it can matter more than IQ. Bantam, New York 1995).

Grossmann, Karin; Grossmann, Klaus E. (2017a): Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. 7. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart.

Grossman, Karin; Grossmann, Klaus (2017b): Nicht einmischen – unterstützen! In: TPS spezial – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. Sonderheft Herbst 2017: 12–15 (Interview-Zusammenschrift aus der DVD »Bindung und Beziehung«).

Grossmann, Klaus E.; Grossmann, Karin (Hrsg.) (2011): Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. 3. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart.

Haberstroh, Julia (2008): Berufliche psychische Belastungen, Ressourcen und Beanspruchungen von Altenpflegern in der stationären Dementenbetreuung. Logos, Berlin (Psychosoziale Interventionen zur Prävention und Therapie der Demenz Bd. 1).

Höwler, Elisabeth (2008): Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz. Erleben und Strategien Pflegender. Kohlhammer, Stuttgart.

Holmes, Jeremy (2006): John Bowlby und die Bindungstheorie. 2. Aufl. Ernst Reinhardt, München, Basel (Erstausgabe John Bowlby and Attachmment Theory. Routledge, London, New York 1993).

Howe, David (2015): Bindung über die Lebensspanne: Grundlagen und Konzepte der Bindungstheorie. Junfermann, Paderborn.

Jacob, Louis et al. (2019): Relationship between living alone and common mental disorders in the 1993, 2000 and 2007 National Psychiatric Morbidity Surveys. In: PLOS ONE 14 (5) [doi: 0.1371/journal.pone.0215182].

Janzarik, Werner (1973): Über das Kontaktmangelparanoid des höheren Lebensalters und den Syndromcharakter schizophrenen Krankseins. In: Der Nervenarzt. Jg. 44: 515–526.

Jungmann, Tanja; Reichenbach, Christina (2009): Bindungstheorie und pädagogisches Handeln. Ein Praxisleitfaden. Borgmann, Dortmund.

Kahn, Oriella (2015): Bindungstheorie und Bindungsstörung nach John Bowlby und Mary Ainsworth. Studienarbeit: Wie Kinder sich an Bezugspersonen binden. Universität Koblenz-Landau.

Keller, Heidi (2019): Mythos Bindungstheorie. Konzept · Methode · Bilanz. verlag das netz, Weimar.

Keysers, Christian (2013): Unser empathisches Gehirn. Warum wir verstehen, was andere fühlen. 2. Aufl. Bertelsmann, München.

Kipp, Johannes; Jüngling, Gerd (2007): Einführung in die praktische Gerontopsychiatrie. Zum verstehenden Umgang mit alten Menschen. 4., aktual. Aufl. Ernst Rheinhardt, München, Basel.

Kitwood, Tom (2019): Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. 8., erg. Aufl. Hogrefe, Bern 2019 (Erstausgabe Dementia Reconsidered. The Person Comes First. Open University Press, Buckingham 1997).

Kolanowski, Ann M. (1999): An Overview of the Need-Driven Dementia-Compromised Behavior Model. In: Journal of Gerontological Nursing. Vol. 25 No. 9: 7–9.

Kolanowski, Ann M.; Whall, Ann L. (1996): Life-span perspective of personality in dementia. In: Image: Journal of Nursing Scholarship. Vol. 28 No. 4: 315–320.

Kooij, Cora van der (2017): Das mäeutische Pflege- und Betreuungsmodell. Darstellung und Dokumentation. 2., überarb. u. erg. Aufl. Hogrefe, Bern 2017.

Krohwinkel, Monika (2013): Fördernde Prozesspflege mit integrierten ABEDLs. Forschung, Theorie und Praxis. Huber, Bern.

Mace, Nancy L.; Rabins, Peter V. (2012): Der 36-Stunden-Tag. Die Pflege des verwirrten älteren Menschen mit Demenz. 6., vollst. überarb., erw. u. aktual. Aufl. Huber, Hogrefe, Bern 2012.

Magai, Carol et al. (2016): Attachment in Middle and Later Life. In: Cassidy, Jude; Shaver, Phillip R. (Hrsg.): Handbook of Attachment: Theory, Research, and Clinical Applications. 3. Aufl. Guilford Press, New York: 534–547.

Main, Mary; Hesse, Eric (2017): Desorganisiertes Bindungsverhalten bei Kleinkindern, Kindern und Erwachsenen. Zusammenbruch von Strategien des Verhaltens und der Aufmerksamkeit. In: Brisch, Karl Heinz et al. (Hrsg.): Bindung und seelische Entwicklungswege. Grundlagen, Prävention und klinische Praxis. 4. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart: 219–248.

Main, Mary; Solomon, Judith (1990): Procedures for Identifying Infants as Disorganized/Disorientated during the Ainsworth Strange Situation. In: Greenberg, Mark T. et al. (Hrsg.): Attachment in the Preschool Years. Theory, Research, and Intervention. The University of Chicago Press, Chicago, London: 121-160.

Maio, Giovanni: Demenz – oder die durch Beziehung gestiftete Identität. In: Müller, Oliver; Maio, Giovanni (Hrsg.): Orientierung am Menschen. Anthropologische Konzeptionen und normative Perspektiven. Wallstein, Göttingen 2015: 470–482.

Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) (Hrsg.) (2009): Grundsatzstellungnahme Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen. Essen.

Miesen, Bère M. L. (1993): Alzheimer’s disease, the phenomenon of parent fixation and Bowlby’s attachment theory. In: International Journal of Geriatric Psychiatry. Vol. 8 No. 2: 147–153.

Miesen, Bère (2006): Attachment in dementia: Bound from birth? In: Miesen, Bère M. L.; Jones, Gemma M. M. (Hrsg.): Care-Giving in Dementia: Research and Applications. Vol. 4. Routledge, Hove, New York: 105–132.

Mitchell, Stephen A. (2003): Bindung und Beziehung. Relationales Denken in der Psychoanalyse. Psychosozial-Verlag, Gießen.

Müller, Jakob Johann (2018): Bindung am Lebensende. Eine Untersuchung zum Bindungserleben von PalliativpatientInnen und HospizbewohnerInnen. Psychosozial-Verlag, Gießen.

Müller-Hergl, Christian (2004): Wohlbefinden und Methode: Dementia Care Mapping. Zur Analytik zentraler Begriffe. In: Bartholomeyczik, Sabine, Halek, Margareta (Hrsg.): Assessmentinstrumente in der Pflege. Möglichkeiten und Grenzen. Schlütersche, Hannover.

Neidhart, Kristel (1983): Niemand soll mich so sehen. Protokoll einer Pflege. Rotbuch, Berlin.

O’Rourke, Hannah M. et al. (2015): Factors that Affect Quality of Life from the Perspective of People with Dementia: A Metasynthesis. In: Journal of the American Geriatrics Society. Vol. 63 No. 1: 24–38.

Perren, Sonja et al. (2007): The impact of attachment on dementia-related problem behavior and spousal caregivers’ well-being. In: Attachment and Human Development. Vol. 9 No. 2: 163–178.

Pfarr, Stephanie (2012): Ist Stimulierende Feinfühligkeit in der Pflege demenzkranker Menschen von Bedeutung? Eine psychoanalytisch-pädagogische Studie in einem Wiener Pflegeheim. Diplomarbeit Universität Wien.

Rass, Eva (Hrsg.) (2012): Allan Schore: Schaltstellen der Entwicklung. Eine Einführung in die Theorie der Affektregulation mit seinen zentralen Texten. Klett-Cotta, Stuttgart.

Rizzolatti, Giacomo et al. (2002): The Mirror System in Humans. In: Stamenov, Maxim L.; Gallese, Vittorio (Hrsg.): Mirror Neurons and the Evolution of Brain and Language. John Benjamins, Amsterdam 2002: 37–59.

Schauenburg, Henning; Strauß, Bernhard (2002): Bindung und Psychotherapie. In: Strauß, Bernhard et al. (Hrsg.): Klinische Bindungsforschung. Theorien – Methoden – Ergebnisse. Schattauer, Stuttgart: 281–292.

Scheidt, Carl Eduard (2012): Bindungsverhalten. In: Senf, Wolfgang; Broda, Michael (Hrsg.): Praxis der Psychotherapie – Ein integratives Lehrbuch. 5. Aufl. Thieme, Stuttgart: 97–100.

Scheuerer-Englisch, Hermann et al. (Hrsg.) (2012): Wege zur Sicherheit. Bindungswissen in Diagnostik und Intervention. 2. Aufl. Psychosozial-Verlag, Gießen.

Schieche, Michael (2017): Skala der Geborgenheit. In. TPS spezial – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik. Sonderheft Herbst 2017: 36–39.

Schore, Allan N. (2003): Zur Neurobiologie der Bindung zwischen Mutter und Kind. In: Keller, Heidi (Hrsg.): Handbuch der Kleinkindforschung. 3., korr. u. erw. Aufl. Huber, Bern u. a.: 49–80.

Shaver, Phillip R.; Mikulincer, Mario (2004): What do self-report attachment measures assess? In: Rholes, W. Steven; Simpson, Jeffry A. (Hrsg.): Adult Attachment. Theory, Research, and Clinical Implications. Guilford Press, New York: 17–54.

Snell, Bruno (1952): Der Aufbau der Sprache. Claassen, Hamburg.

Stahlmann, Martin (2007): »Der verwässerte Kern« oder Bindung ist nicht alles. In: Unsere Jugend. H. 2: 50–60.

Strauß, Bernhard (2014): Bindung. Psychosozial-Verlag, Gießen.

Stuhlmann, Wilhelm (2018): Demenz braucht Bindung. Wie man Biographiearbeit in der Altenpflege einsetzt. 3., aktual. Aufl. Ernst Reinhardt, München 2018.

Tönnies, Inga (2009): Abschied zu Lebzeiten. Wie Angehörige mit Demenzkranken leben. 3. Aufl. BALANCE buch + medien, Bonn.

Veith, Cornelia; Zoller-Mathies, Susanne (2008): Die Bindungstheorie. Überblick und neue Forschungsansätze. Sozialpädagogisches Institut, Fachbereich Pädagogik, SOS Kinderdorf (Hrsg.). Innsbruck; https://www.sos-kinderdorf.at/getmedia/c23cbf7c-4f49-4e04-a6f1-cac063c305b2/Veith_Bindungstheorie (15. 5. 2020).

Walper, Heike (2016): Basale Stimulation in der Palliativpflege. 2., überarb. Aufl. Ernst Reinhardt, München.

Wood, S. A. et al. (1999): Assessing the Impact of Neuropsychiatric Symptoms on Distress in Professional Caregivers. In: Aging & Mental Health. Vol. 3 No. 3: 241–245.

Zhang, Fang; Labouvie-Vief, Gisela (2004): Stability and fluctuation in adult attachment style over a 6-year period. In: Attachment and Human Development. Vol. 6 No. 4: 419–437.

https://www.deutsche-alzheimer.de/unser-service/archiv-alzheimer-info/stress-bei-der-betreuung-demenzkranker.html (15. 5. 2020).

_________________

1Bowlby 2018b: 98.

2Jeremy Holmes schreibt in seinem Geleitwort zu Bowlbys Buch, Bowlby habe »immer betont, dass Mütter und Väter dafür zuständig sind, dem Kind eine sichere Basis zu bieten« (ebd.: VIII).

3Zum Beispiel Howe 2015.

4Stuhlmann 2018.

5Müller 2018.

6DNQP 2018: 21.

7Jungmann; Reichenbach 2009: 15.

8Bowlby 2018b: 99. Bowlby bezieht sich dabei auf Ainsworth 1967.

9Bowlby 2006a: 236f.

10Bundesministerium für Gesundheit 2006; MDS 2009: 78–81.

11Siehe dazu Cohen-Mansfield; Werner 1998a u. 1998b; Cummings et al. 1994; Cummings 1997; Wood et al. 1999. Eine Übersicht gibt MDS 2009: 94–96.

12Bowlby 2018b: 21.

13Stuhlmann 2018: 12.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842690707
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Oktober)
Schlagworte
Betreuung Kommunikation Biografiearbeit Altenpflege Tiere als Helfer Lebensqualität Demenz

Autor

  • Harald Blonski et al (Autor:in)

cand. phil. Harald Blonski ist Pädagoge (M.A.), Dipl.-Sozialpädagoge, Diplom-Psychogerontologe und Auditor für QM-Systeme. Er verfügt über langjährige Leitungserfahrung in der stationären Altenhilfe. Mit Beiträgen von: Dr. Carmen Birkholz, cand. phil. Harald Blonski, Kristin Bruks, Maria Kammermeier, Prof. Dr. Leonina Kaestele, Jeanette Lösing, Natalie Ogel,Prof. Dr. Ruth Schwerdt, Dr. Wilhelm Stuhlmann, Elke Strauß
Zurück

Titel: Bindung und Demenz