Lade Inhalt...

Mit meiner Tochter durch die Pubertät

Wie du sie unterstützt, wie du loslässt, wie ihr in Kontakt bleibt. Praktische Tipps, kluge Strategien, nützliche medizinische Infos

von Dr. med. Judith Bildau (Autor:in)
176 Seiten

Zusammenfassung

Wenn Eltern plötzlich schrecklich peinlich sind, zickige Wutanfälle oder schmollendes Türenknallen an der Tagesordnung sind und Themen wie die erste Liebe und die Menstruation im Raum stehen, kann das nur eins bedeuten: die Tochter ist in der Pubertät. Trotz Streit und Verständi-gungsproblemen brauchen starke Mädchen nun entspannte Eltern, die ihnen ein verlässliches Gegenüber sind, aber auch wissen, wann sie loslassen sollten. In ihrem neuen Ratgeber zeigt Dr. Judith Bildau, wie Eltern und Töchter ein gutes Team bleiben und wie ein gelassener Umgang mit typischen Stresssituationen gelingt. Außerdem liefert sie Informationen zur emotionalen und körperlichen Entwicklung von Mädchen – vom Zickenkrieg bis hin zum ersten Frauenarztbesuch

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Pubertät – allein das Wort löst bei uns Eltern schon einen kalten Schauer aus, der uns unangenehm den Rücken hinunterläuft. Möglicherweise flackern urplötzlich Bilder der eigenen Pubertät vor unserem inneren Auge auf und augenblicklich fühlen wir uns unwohl. Im Zweifel haben wir sogar das Gefühl, kurz unsere Eltern anrufen zu müssen, um uns nachträglich für all das zu entschuldigen, was wir ihnen in dieser Zeit angetan haben.

Die eigene Pubertät im Rückblick? – Anstrengend!

Wir erinnern uns zurück an unsere Gefühlswelt, die sich stündlich änderte und einer inneren Achterbahnfahrt glich. An den Wunsch, plötzlich und ohne besonderen Grund die ganze Welt umarmen zu wollen, beglückt von den unendlichen Möglichkeiten, die vor uns zu liegen schienen. Aber auch an das ohne Vorwarnung über uns hereinbrechende Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der tiefen Verzweiflung. Wir sehen unser junges Ich auf dem Bett liegen, über das Leben an sich und im Allgemeinen sinnierend und uns persönlich grundsätzlich unverstanden fühlend. Irgendwie war plötzlich alles anders. Wir fühlten uns anders. Wir sahen unsere Eltern anders. Und stellten von einem auf den anderen Tag alles in Frage. Ein merkwürdiges, teils beängstigendes Gefühl.

Manchmal so beängstigend, dass wir uns am liebsten im Arm unserer Mama verkrochen und laut „Ich will das alles nicht!“ gerufen hätten. Zornig darüber, der eigenen Gefühlswelt so machtlos ausgeliefert zu sein. Leider fanden wir unsere Mütter in dieser Zeit aber meistens doof. Vor allem wollten wir nie so werden wie sie. Von daher kam die Rückkehr in Mamas beschützende Arme nur im äußersten Notfall und höchstens für ein paar Minuten in Frage. Im nächsten Moment zeigten wir ihr lieber gleich wieder, dass wir sie im Grunde überhaupt nicht mehr brauchten und vor allem nicht wie ein kleines Kind mit ihr kuscheln wollten.

Und plötzlich stecken wir wieder mittendrin – diesmal als Eltern

Puh, auch im Nachhinein immer noch ganz schön harter Tobak. Mittlerweile selbst Eltern, erahnen wir, wie schwer diese Zeit damals für unsere Eltern gewesen sein muss. Wie anstrengend das Leben mit uns als pubertierendes „Etwas“ war. Nachträglich finden wir uns selbst in Vielem einfach nur total blöd, müssen sogar ein bisschen über uns schmunzeln, wenn, ja, wenn wir uns nicht auch an dieses Gefühl der eigenen Hilfslosigkeit erinnern würden, welches noch heute ein Grummeln in unserer Magengegend auslöst. Das Gefühl ist womöglich so stark, dass wir uns vornehmen, alles besser als unsere eigenen Eltern zu machen, wenn unsere Töchter nun in die Pubertät kommen. Nein, wir wollen niemals laut schreien, unsinnige Verbote aussprechen oder uns verständnislos ihnen gegenüber zeigen. Wir möchten sie unterstützen, sie begleiten, sie verstehen und bestärken.

Dieser innige Wunsch hält aber vielleicht nur so lange an, bis wir mal wieder einen Stapel dreckiges Geschirr unter dem Bett der Kinder hervorholen. Nicht weil wir einen Reinlichkeitsfimmel hätten, sondern weil wir uns ernsthaft vor Ungeziefer fürchten, das bald das Zimmer und schließlich die gesamte Wohnung in Beschlag nehmen würde. Noch weiter geschmälert wird der Ich-mache-es-besser-alsmeine- Eltern-Wunsch, wenn wir im Anschluss daran angebrüllt werden, dass wir nichts, aber auch gar nichts, im Zimmer unserer Tochter zu suchen und gefälligst ihre Privatsphäre zu respektieren hätten.

Gefolgt von der Aufforderung für morgen Lieblingsjeans und -pulli zu waschen. Aber bitte pronto. Möglicherweise wird unser Vorsatz sogar im Keim erstickt, wenn unsere Töchter uns vor ihren Freundinnen so behandeln, als ob wir geistig nicht zurechnungsfähig wären, wenn sie im Grunde unsere Daseinsberechtigung in Frage stellen. Wir sind einfach zu peinlich, um ihre Eltern zu sein. Das schmerzt. Das verletzt uns zutiefst. Und das ist auch neu für uns.

Klar, wir haben schon viele Phasen des Aufbegehrens mit unseren Kindern erlebt: die Autonomiephase, die Wackelzahnpubertät und so weiter. Schmissen sich unsere Töchter im Kindergartenalter beim Einkaufen laut brüllend auf den Boden, weil wir uns weigerten, den Schokoriegel zu kaufen, war das natürlich wahnsinnig anstrengend, oft auch zermürbend. Wir gingen oft auf dem Zahnfleisch, waren müde und verzweifelt. Getragen haben uns aber die feuchten Kinderküsse, das leise geflüsterte „Ich hab‘ dich lieb!“ vor dem Einschlafen und das nächtliche Kuscheln. Trotz allem waren wir während dieser ganzen Phasen „die Held*innen“ unserer Mädchen. Sie haben uns nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Sie haben uns trotz der vielen schwierigen Momente gezeigt, dass sie uns lieben, uns vertrauen und dass sie uns brauchen.

Diesmal ist es aber irgendwie komplett anders. Jetzt fühlen wir uns abgelehnt. Fremd unseren eigenen Kindern gegenüber. Manchmal so wütend auf sie, dass wir uns unserer ambivalenten Gefühle ihnen gegenüber schämen. Sie treiben uns in manchen Augenblicken so sehr zur Weißglut, dass wir uns fragen, was wir in ihrer bisherigen Erziehung falsch gemacht haben. Haben urplötzlich große Sorge, was einmal aus ihnen werden soll. Haben wir ihnen nicht gegenseitige Wertschätzung, Respekt und Einfühlungsvermögen beigebracht? Davon merken wir aktuell aber gar nichts. Wir erleben nun immer öfter unausgeglichene, in einem Moment fordernde, im anderen Moment abweisende, empathielose Kinder auf dem Sprung ins Erwachsenenalter, mit denen kein vernünftiges Gespräch mehr möglich ist. Und so sehr wir uns auch bemühen, wenn wir nun mit ihnen zusammen sind, gehen trotzdem immer wieder auch unsere Gefühle mit uns durch. Plötzlich verhalten wir uns so, wie wir uns niemals verhalten wollten, ärgern uns über unsere eigene Hilflosigkeit, sind zuweilen auch manchmal erschrocken über uns selbst im Umgang mit unseren Töchtern.

Starke Mädchen brauchen entspannte Eltern

Und genau hier soll dieses Buch ansetzen: Starke Mädchen brauchen auch, und gerade in dieser Zeit, entspannte Eltern. Sie brauchen Eltern, die ihrer inneren Unordnung einen äußeren ruhigen Rahmen geben. Eltern, die sich durch das Verhalten ihrer Töchter nicht automatisch selbst in Frage stellen oder gar an sich zweifeln und schließlich mit ihnen verzweifeln. Die bei jeder Stimmungsschwankung der Kinder mitschwingen. All das schafft nämlich noch mehr Verunsicherung.

Andererseits müssen Eltern keinesfalls perfekt sein. Sie dürfen sich immer selbst prüfen, Fehler eingestehen, authentisch sein. Das wichtigste jedoch ist, genau in dieser Unperfektheit eine eigene innere Ruhe zu finden, eine Sicherheit, die sie gemeinsam mit ihren Töchtern durch diese schwierige Zeit trägt.

Doch wie schaffen wir es, zu dieser inneren Ruhe und Gelassenheit zu finden?

Verstehen und strategisch handeln – Wege zu einem besseren Miteinander

Um eure Töchter besser verstehen zu können, möchte ich euch im ersten Teil des Buches zunächst erklären, welche komplexen Veränderungen körperlich und auch seelisch in ihnen vorgehen. Im zweiten Teil zeige ich euch, mit welchen Strategien es euch gelingt, gemeinsam ein starkes Team zu bleiben, auch wenn sich nun in der Familie vieles verändert. Schließlich möchte ich mir dann mit euch ganz typische Alltagssituationen anschauen, euch die Hintergründe für das Verhalten eurer Töchter erklären und euch kluge und einfach anzuwendende Strategien für den Umgang damit an die Hand geben.

Eine zentrale Rolle spielen dabei die vier Prinzipien Verständnis, Sicheres Gegenüber, Loslassen, Da Sein, die ihr immer wieder wie Bausteine anwenden und zu einer soliden Grundlage im Umgang mit euren Töchtern machen könnt.

Da die Pubertät nicht nur eine große Veränderung für eure Töchter, sondern natürlich auch für euch Eltern bedeutet, möchte ich euch zwischendurch immer wieder Platz für eure eigenen Gedanken geben und euch dazu einladen, euch wichtige Fragen über eure eigene Person zu stellen: wie ihr im Rückblick eure eigene Pubertät seht, wie ihr euch in der Kommunikation mit euren Töchtern fühlt, welche Werte euch wichtig sind, nach welchem Weltbild ihr lebt. Die Beantwortung dieser Fragen kann euch dabei helfen, euch besser in eure Mädchen hineinzuversetzen und sie schließlich liebevoll begleiten zu können. Übrigens könnt ihr die Gedanken, die ihr euch dazu gemacht habt, hier ins Buch hineinschreiben, damit ihr sie später, wenn nötig, noch einmal lesen könnt.

Die Mädchensprechstunde – Antworten auf wichtige medizinische Fragen

Im letzten Teil dieses Ratgebers widme ich mich schließlich einer meiner Herzensangelegenheiten als Frauenärztin: Der Mädchensprechstunde. Tagtäglich kommen junge, sehr unsichere Mädchen in meine Praxis oder kontaktieren mich online, die Fragen zu allen möglichen medizinischen Themen rund um die Pubertät haben. Manchmal werden sie von ihren Müttern, seltener von ihren Vätern begleitet, die alle auch einen großen Informationsbedarf haben. Viele Eltern setzen sich mittlerweile auch über die sozialen Netzwerke mit mir in Verbindung, weil sie Hilfe in Bezug auf alltägliche medizinische Probleme ihrer Töchter benötigen. Wie kann ich meiner Tochter bei starken Regelschmerzen helfen? Soll ich sie gegen HPV impfen lassen? Welches Verhütungsmittel ist das richtige für sie? Häufig sind sie durch eine vorher durchgeführte Internetrecherche nicht besser informiert sondern eher verunsichert. Deshalb möchte ich hier nun medizinisch fundiert genau diese Themen besprechen, die so viele beschäftigen. Denn wenn wir unseren Töchtern auch in diesem Bereich informiert, sicher und beruhigend zur Seite stehen, geben wir ihnen den nötigen Halt und das gute Gefühl, sich auch bei diesen Themen an uns wenden zu können.

Übrigens: Wenn ich in diesem Buch von Frauenärztinnen spreche, sind selbstverständlich auch Frauenärzte gemeint, ich habe die männliche Form nur aus Gründen der besseren Lesbarkeit weggelassen.

Ich freue mich sehr darauf, nun mit euch auf die Reise durch die aufregende und spannende Zeit der Pubertät eurer Töchter zu gehen!

Eure Judith

image

Ich heiße Judith Bildau und lebe mit meiner Familie in Italien. Vor einigen Jahren haben wir unseren Traum wahr gemacht und sind zunächst nach Rom und schließlich in die Toskana gezogen. Mein Mann und ich haben insgesamt 5 Töchter. Ich bin mit Leib und Seele (Patchwork-)Mama und genieße unser – manchmal sehr trubeliges – Leben mit diesen wunderbaren Mädchen sehr. Jede einzelne von ihnen ist auf ihre eigene Art etwas ganz Besonderes. Mit zwei von ihnen haben wir bereits die Pubertät durchlebt, eine steckt gerade mittendrin und zwei wollen noch dorthin. Ihr seht, es wird nie langweilig bei uns!

Neben meiner Hauptaufgabe als Mama, arbeite ich als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, einfach ausgedrückt heißt das, ich bin Frauenärztin. Ich liebe meinen Beruf und bin sehr dankbar für die Möglichkeit, tagtäglich Frauen jeden Alters begleiten zu dürfen. Eine meiner Herzensangelegenheiten ist die Behandlung und Begleitung junger Mädchen. Es berührt mich jedes Mal sehr, wenn sie das erste Mal meine Praxis aufsuchen – meist unsicher, voller Fragen und auch Sorgen. Ich sehe es als meine Aufgabe, sie (und auch ihre Eltern) ernst zu nehmen, aufzuklären und ihnen in jeder Lebenslage mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Und genau das möchte ich nun auch mit diesem Buch tun.

DIE PUBERTÄT UNTER DIE LUPE GENOMMEN

Wegen Umbau geschlossen – diesen Baustellen-Hinweis könnten wir an manchen Tagen auch unseren Töchtern im Teenageralter um den Hals hängen, wenn sie mal wieder allzu tief drin stecken in ihrer Pubertät. Und hier handelt es sich nicht nur um ein paar kleinere Reparaturen – es ist ein Total-Umbau, der ihr Gehirn, ihren Hormonhaushalt, ihre Gedanken und Gefühle, eigentlich ihren ganzen Körper und ihre Seele betrifft. Und hier erfahrt ihr, was da genau mit ihnen passiert.

Was genau ist eigentlich „die Pubertät“?

Um eure Mädchen entspannt und sicher durch diese aufregende Zeit begleiten zu können, ist es für euch natürlich erst einmal wichtig zu wissen, was genau das eigentlich ist – die Pubertät. Deshalb möchte ich versuchen, diese besondere Zeit in Worte zu fassen. Wohlwissend, dass mir das nicht voll und ganz gelingen wird, denn dafür ist sie nämlich viel zu komplex, viel zu vielschichtig und, ja auch viel zu individuell. Ich versuche deshalb zunächst einmal wichtige Begriffe und Eckpunkte dieser so wichtigen Entwicklungsstufe unserer Kinder zu erklären. Auf geht’s!

Der Begriff Pubertät leitet sich von dem lateinischen Wort pubertas, Geschlechtsreife, ab. Doch das ist natürlich kein festgesetztes Datum, sondern wie eigentlich bei allen Entwicklungsphasen von Kindern, ist das Alter, in dem eure Töchter in die Pubertät eintreten, nicht in Stein gemeißelt, und sie erstreckt sich über eine große Zeitspanne, bei Mädchen grob gesagt etwa vom 10. bis zum 16. Lebensjahr. Dabei kann man beobachten, dass Mädchen insgesamt etwa 2 Jahre früher als Jungen pubertieren, und etwa ab dem 10. Lebensjahr meist die ersten körperlichen Veränderungen beginnen. Treten die ersten Pubertätszeichen vor dem vollendeten 9. Lebensjahr ein, spricht man von einer verfrühten Pubertät, der pubertas praecox. Eine verspätete Pubertät, pubertas tarda, beschreibt das völlige Fehlen von Pubertätszeichen bis zum 13. Lebensjahr.

Wusstet ihr, dass Mädchen immer früher in die Pubertät kommen und sämtliche körperlichen Veränderungen mittlerweile eher beginnen als bei der Generation davor? Das Brustwachstum zum Beispiel mit 10,5 Jahren. Die erste Regelblutung, auch Menarche genannt, mit 13,0 Jahren. Das ist im Schnitt 3,6 Monate früher als noch bei ihren Müttern, also bei euch Mamas selbst.

Der Hauptgrund dafür dürfte sein: Es geht den Mädchen (und natürlich auch den Jungen) in vielen Bereichen einfach so gut, wie noch keiner Generation zuvor. Ernährung, Gesundheit und Hygiene sind hierzulande mittlerweile auf einem so hohen Niveau, dass sich das Entwicklungstempo von Jugendlichen in den letzten Jahren immer weiter beschleunigt hat. So weit, so gut – vermutlich eine schlüssige Erklärung. Doch das ist sicher nicht der einzige Grund für dieses Phänomen und es lohnt sich, einen etwas genaueren Blick darauf zu werfen.

Offensichtlich scheint nämlich auch der stärkere Einfluss von Hormonen dafür verantwortlich zu sein. So haben viele Untersuchungen gezeigt, dass ein wichtiger Faktor für das immer frühere Eintreten in die Pubertät mit dem steigenden Körpergewicht unserer Kinder zu tun hat. Durch einen höheren Anteil von Fettgewebe produziert der Körper unserer Mädchen über verschiedene Mechanismen vermehrt weibliche Hormone. Außerdem wird auch ein Zusammenhang zwischen einer früheren Geschlechtsreife und Umweltgiften vermutet, wie zum Beispiel Bisphenol-A und Phthalaten. Sie kommen unter anderem in Kinderspielzeug, Verpackungen und Kosmetika vor und haben eine hormonelle Wirkung. Und auch die Hormongaben in der Massentierhaltung könnten einen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben.

Es gibt also verschiedene Erklärungsansätze, viele vermutete Einflussfaktoren. Und wie eigentlich immer ist davon auszugehen, dass es eben nicht nur die eine Ursache gibt, sondern dass eure Töchter durch ein Zusammenspiel vieler Faktoren immer jünger in die Pubertät eintreten – eine anstrengende, aber auch eine wunderbare und aufregende Zeit.

Wie sich nun der Körper verändert

Hat sich die körperliche Entwicklung eurer Töchter in den letzten Jahren im Gegensatz zu den Kleinkindjahren deutlich verlangsamt, so setzt jetzt quasi ein Entwicklungsturbo ein. Manchmal müsst ihr euch als Eltern nun vermutlich die Augen reiben, wenn ihr eure Mädchen morgens aus ihrem Zimmer schlurfen seht. Du meine Güte, sie sind schon wieder gewachsen! Und irgendwie schon wieder weiblicher geworden! Wo sind bloß die kleinen Mädchen hin? Vielleicht überkommt euch in dem einen oder anderen Moment dann eine gewisse Wehmut. Eure Kinder werden erwachsen! Und dieser Vorgang ist nicht mehr umkehrbar! Das kann schmerzen, bedeutet es nämlich auch, dass sie euch nun nicht mehr so brauchen wie früher und dass sie immer stärker ihre eigenen Wege gehen werden. Puh – da wird die eine oder der andere von euch sicher des Öfteren schlucken müssen.

Übrigens haben nun alle plötzlich auftretenden Veränderungen eurer Töchter ihren Ursprung in ihrem Kopf. In ihrem Kopf? Ja! Dort wird nämlich ein Botenstoff gebildet und ausgeschüttet, der letztendlich dafür sorgt, dass die weiblichen Geschlechtshormone gebildet werden. Viele verschiedene Zahnräder greifen hier auf faszinierende Art und Weise ineinander und sorgen nun dafür, dass sich der Körper eurer Töchter verändert: Die Brust fängt an zu wachsen, Schamhaare zu sprießen, es kommt zu einem Wachstumsschub und zum Einsetzen der Menstruation.

image

Neben diesen körperlich sichtbaren Veränderungen eurer Mädchen gibt es aber auch viele, die von außen nicht erkennbar sind. Besonders spannend ist hier die Reorganisation, also die Umstrukturierung, ihres Gehirns. Da diese Prozesse maßgeblich an dem veränderten Verhalten eurer Töchter beteiligt sind, möchte ich darauf im nächsten Abschnitt genauer eingehen.

Wie sich nun das Verhalten verändert

„Nicht Fisch, nicht Fleisch“ – so könnte man das Dilemma der Pubertät treffend beschreiben, denn es ist die Phase, in der die Jugendlichen nicht wissen, ob sie groß oder klein, Kinder oder Erwachsene sind. Dass dieses Dilemma, genau wie die Hormonproduktion, seinen Ursprung in ihrem Kopf hat, ist dabei besonders spannend. Tatsächlich ist es nämlich so, dass die Hirnforschung in verschiedenen Studien rund um den Globus herausgefunden hat, dass sich das Gehirn in der Pubertät in vielen Bereichen komplett umstrukturiert.

Einerseits ändert sich die Zusammensetzung der Hirnsubstanz: Die weiße Hirnsubstanz, also die, die aus den Enden der Nervenzellen besteht und die die dort gebildeten Informationen weiterträgt, nimmt deutlich zu. So werden verschiedene Hirnareale intensiver miteinander verknüpft. Andererseits organisieren sich auch ganze Hirnbereiche neu. Aber: Das alles geschieht nicht gleichzeitig! Manche Hirnbereiche strukturieren sich schneller um als andere, funktionieren bereits wie bei einem Erwachsenen, andere wiederum noch wie bei einem Kind. Es herrscht also zeitweise bei euren Töchtern ein echtes Chaos im Kopf! Und dementsprechend verhalten sie sich nun auch häufig.

image

Das Verhalten von Mädchen in dieser Entwicklungsphase erscheint vielen Eltern dann häufig sehr rätselhaft. Oft übertrieben emotional, unausgeglichen, ja, in einigen Situationen sogar beinahe melodramatisch. Vielleicht sind auch für euch die Verhaltensweisen eurer Töchter einfach nicht mehr nachvollziehbar und ihr habt das Gefühl, ihr könnt gar nicht mehr vernünftig mit ihnen sprechen. Schnell droht da der nächste Gefühlsausbruch und es werden Türen geknallt. Ihr verzweifelt daran, wenn ihr von ihnen keine Antwort auf die Frage Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? bekommt, nachdem sie wieder einmal in eine Situation geraten sind, in der sie auf einmal dringend eure Hilfe brauchen.

Die Wahrheit ist: Sie können gar nicht anders! Wenn ich das sage, geht es mir keinesfalls darum, den Jugendlichen einen „Freifahrtschein“ für unfaires Verhalten, mangelnde Kommunikation oder gar ungebremstes Ausprobieren von gefährlichen Situationen auszustellen! Was ich mir aber wünsche, ist, dass ihr dadurch, dass ihr versteht, was im wahrsten Sinne des Wortes in den Köpfen eurer Kinder vorgeht, genau die Eltern sein könnt, die diese jetzt brauchen. Versteht ihr die Veränderungen, die sie gerade durchleben, könnt ihr besser damit umgehen. Ihr macht nichts falsch, ihr seid keine schlechten Eltern, es ist ganz einfach der natürliche Lauf der Dinge. Eure Aufgabe ist es nun, eure Töchter stark, ruhig und wissend zu begleiten!

Wie sich jetzt die Seele verändert

Gleichen nun sowohl Körper als auch Gehirn einer Großbaustelle, verändert das natürlich auch die Seele eurer Töchter. Sie befinden sich schließlich auf dem Weg aus ihrer Kindheit hinaus, hinein in die Ungewissheit des Erwachsenenlebens. Und dieser Weg kann mitunter sehr steinig, oft auch schmerzhaft für sie sein.

Der Abschied von der Kindheit tut weh, ist andererseits aber auch gepaart mit der unbändigen Freude auf alles, was jetzt kommt. Es besteht also ein innerer Konflikt, zwischen klein bleiben und groß werden wollen. Mal überwiegt das eine, mal das andere.

Oft fühlen sich eure Töchter unverstanden. Sie können ja selbst kaum verstehen, was gerade in ihnen vorgeht, wie sollen sie es dann erst ihren Mitmenschen erklären? Und nicht selten sind sie geradezu erschlagen von der Erwartungshaltung, die plötzlich alle an sie zu haben scheinen – Eltern, Lehrer, Freunde.

Plötzlich haben auch die (sozialen) Medien und die dort vermittelten Schönheitsideale einen großen Stellenwert. Der Druck auf die Mädchen wächst ins Unendliche, wenn in der Werbung porentief reine Haut, in den Magazinen BH-Körbchengröße D und in den Musikvideos meterlange Beine als das Non-Plus-Ultra dargestellt werden, sie selbst aber gerade unter unreiner Haut, höchstens Brustknospen und ganz normalen Körperproportionen „leiden“.

Alles in allem ist das Leben in der Pubertät für eure Mädchen oft sehr anstrengend und lastet schwer auf ihrer Seele. Ihr als Eltern werdet sie nicht vor Trauer, Selbstzweifeln und Wut bewahren können. Das sollt ihr auch gar nicht, denn auch diese Phase ist immens wichtig für alle Kinder. Sie werden schließlich als Erwachsene daraus hervorgehen. Was ihr aber jetzt tun könnt, ist, verständnisvoll und geduldig an ihrer Seite zu stehen.

PLÖTZLICH IST ALLES ANDERS – SO BLEIBT IHR TROTZDEM EIN TEAM

Wenn die Kinder in die Pubertät kommen, steht mit ihnen oft das ganze Haus Kopf und manchmal wird auch an seinen Fundamenten kräftig gerüttelt. Die Rollen in der Familie werden infrage gestellt, die Sprache ändert sich und bis dahin gemeinsame Werte scheinen nicht mehr zu gelten. Dieses Kapitel verrät euch, was sich jetzt zwischen Eltern und Töchtern ändert und wie ihr mit den Bausteinen Verständnis, Sicheres Gegenüber, Loslassen und Da Sein, tragfähige Stützpfeiler für euer Familiengefüge errichten und damit den Zusammenhalt untereinander aufrecht erhalten könnt.

Bevor wir uns damit beschäftigen, was sich in eurer Familie bereits geändert hat oder wahrscheinlich noch ändern wird, möchte ich an dieser Stelle erst einmal an euch, stellvertretend für alle Eltern dieser Welt, ein großes Lob aussprechen für das, was ihr bisher geleistet habt. Chapeau! Ihr seid fantastisch und euch gebührt alle Bewunderung! Ihr habt über viele Jahre eure Bedürfnisse hintenangestellt, habt euer Herzblut in das Großziehen eurer Kinder gelegt und wahrhaft Meisterhaftes geleistet! Auch wenn euch das möglicherweise gerade in der ein oder anderen Situation nicht so vorkommen mag, aber: All das, was ihr in den letzten Jahren investiert habt, ist genau dort, wo es sein soll. In den Wurzeln und in den Herzen eurer Kinder. Nichts ist verloren und all das, was ihr gegeben habt, ist da, an Ort und Stelle, auch wenn es für euch gerade häufig nicht sichtbar ist. Die Betonung liegt hier auf gerade. Denn auch wenn es euch im Moment so erscheint, als würde diese oft schwierige Reifezeit eurer Kinder ewig andauern, so ist eines sicher: die Dauer der Pubertät ist begrenzt. Das ist allein schon so von der Natur gewollt und wird auch bei euren Töchtern nicht anders sein. Ganz sicher.

Die vier Bausteine des guten Miteinanders

Damit aber in der „heißen Phase“ der Entwicklung eurer Töchter zu Erwachsenen nicht euer ganzes Familiengefüge „in die Binsen“ geht, möchte ich euch vier Bausteine vorstellen, die ihr als Grundlage für ein einigermaßen harmonisches Miteinander mit euren pubertierenden Töchtern nehmen könnt.

Der erste Baustein ist das Verständnis. Wenn wir verstehen, welche Entwicklungen unsere Töchter gerade durchleben, welche körperlichen und auch mentalen Veränderungen, dann können wir entspannter mit ihrem Verhalten umgehen. Begreifen wir die Vorgänge, die sich in ihrem Inneren abspielen, sind wir ihrem Benehmen nach außen und uns gegenüber nicht mehr hilflos ausgeliefert.

Der zweite Baustein beinhaltet, unseren Kindern ein Sicheres Gegenüber zu sein, das keine, auch zeitweise unangenehme, Kommunikation scheut. Wir müssen zulassen, dass sich unsere Kinder an uns reiben. Streiten bedeutet nicht, dass wir eine schlechte Beziehung haben. Vielmehr müssen wir unseren Kindern signalisieren: Du darfst dich mit mir auseinandersetzen, du darfst sauer auf mich sein. Ich liebe dich trotzdem und unsere Beziehung ist unerschütterlich und sicher. Mädchen, die keine oder nur eine milde Pubertät durchleben, keine Konflikte mit ihren Eltern austragen, sind letztendlich nicht glücklicher als Mädchen, die sie mit allen Höhen und Tiefen durchleiden. Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Angst vor Auseinandersetzungen ablegen.

Der dritte Baustein ist das Loslassen. Wir müssen nicht nur lernen, unsere Töchter in der Pubertät loszulassen, sondern auch unsere eigenen Erwartungen und Vorstellungen abzulegen. Unsere Lebensweise ist nämlich nicht die einzig sinnvolle und richtige. Es gibt viele verschiedene Lebensstile und unsere Töchter dürfen nun ihren ganz eigenen Weg finden. Auch unsere Erwartungshaltung ihnen gegenüber sollten wir ablegen. Nur weil wir unsere Töchter immer für wahnsinnig musikalisch gehalten haben, müssen sie Klavierspielen nicht zwangsläufig mögen. Sie haben nun die Aufgabe, sich selbstständig kennenzulernen und auszudrücken.

Der vierte Baustein ist vielleicht der schwierigste. Er heißt Da Sein. Einfach anwesend und verfügbar sein, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, wenn wir gebraucht werden. Ohne uns aufzudrängen, ohne uns einzumischen. Auch wenn wir immer wieder weggestoßen oder abgewiesen werden. Wie ein Fels in der Brandung, ruhig und wissend.

Lasst uns nun gemeinsam herausfinden, wie wir diese vier Bausteine ganz praktisch im Alltag mit unseren pubertierenden Töchtern anwenden können.

Umbau der Familienstruktur_ – Warum sich nun die Rollen in der Familie ändern

Vielleicht fängt es damit an, dass Töchter ihre Mütter plötzlich von der Körpergröße her um ein paar Zentimeter überragen oder mittlerweile fast die gleiche Kleidergröße tragen. Spätestens dann, wenn Eltern das erste Mal den Satz: „Du hast mir gar nichts mehr zu sagen!“ oder „Ich kann sehr gut allein auf mich aufpassen!“ hören, dann wird klar, dass gerade kräftig an der bisher klaren Familienstruktur „Vater-Mutter- Kind“ gerüttelt wird.

Alte Rollen werden in Frage gestellt

Bislang war die Rollenverteilung innerhalb der Familie wie in Stein gemeißelt, jetzt wird sie auf einmal von Grund auf in Frage gestellt. Natürlich haben sich eure Töchter auch schon oft über euch geärgert, als sie noch kleiner waren. Denkt nur mal an die Wutausbrüche, wenn ihr den Fernseher ausgeschaltet habt, obwohl sie eigentlich noch weiterschauen wollten. Oder ihr ein weiteres Stück Schokolade verboten habt. „Blöde Mama, blöder Papa, ihr seid doof!“ hallte es euch da auch schon mal hinterher. Spätestens bei der Gutenachtgeschichte war dann aber wieder alles gut. Eure Beziehung, eure Rolle als Eltern, wurde nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Das ist nun anders. Jetzt stellen eure Kinder plötzlich eure gesamte Autorität in Frage. Wenn ihr jetzt als Eltern etwas sagt, fühlen sich eure Töchter sofort bevormundet. Abgesehen davon habt ihr wahrscheinlich eh keine Ahnung und solltet euch lieber raushalten. Eure Meinung ist unwichtig, zuweilen sogar unerwünscht. Wart ihr bislang die wichtigsten Personen im Leben eurer Töchter, fühlt ihr euch nun oft von ihnen abgelehnt. Plötzlich haben die Freundinnen scheinbar eine viel größere Bedeutung für sie. Stundenlang wird mit ihnen am Telefon geschwatzt und gekichert, obwohl sie doch gerade erst zusammen in der Schule gehockt haben. Gibt es noch weitere Geschwister in der Familie, sind diese nicht mehr süß, sondern nur noch nervig. Auf einmal verhalten sich eure Töchter wie „Fremdkörper“ im Familiengefüge – zwangsweise dazugehörend, nicht mehr gerne anwesend und vor allem nicht mehr bereit, ihre altbekannte Rolle als Kind einzunehmen. Die endlosen Diskussionen, die deswegen geführt werden, prägen nun den Alltag.

Besonders schmerzhaft ist das Gefühl, wenn eure Töchter nun betonen, dass ihr ihnen bestimmt nicht als Vorbild dienen werdet. Vor allem Mütter leiden oft darunter, wenn ihnen ihre Töchter ohne Umschweife klar machen, dass sie mit Sicherheit nie so werden möchten wie sie.

Die Familienstruktur gerät ins Wanken

Immer häufiger kommt es nun auch unter den restlichen Familienmitgliedern zum Streit. Mit dem kleinen Bruder, der sich nun zurückgesetzt fühlt, weil sich nur noch alles um die Launen der Großen dreht. Eltern, die sich streiten, weil sie das Gefühl haben, nicht an einem Strang zu ziehen, wenn es um den Umgang mit der renitenten Tochter geht. Die Mutter, die sauer, ja, vielleicht sogar zeitweise eifersüchtig, ist, weil der Vater sich immer wieder von seinem „kleinen Mädchen“ um den Finger wickeln lässt und deshalb von ihr das übrig gebliebene Maß an positiver Zuwendung bekommt. Der ungehaltene Vater, der findet, dass die Mutter sich bei der Tochter mittlerweile über jede Kleinigkeit aufregt und damit die Stimmung innerhalb der Familie kaputt macht. Ich könnte diese Liste ewig weiterführen. In vielen Familien ist die Atmosphäre extrem angespannt.

Vielleicht seid auch ihr immer öfter ratlos. Euer Idealbild von der „heilen Familie“ bröckelt gewaltig. Bis vor kurzem war doch noch alles gut! Ihr hattet nicht das Gefühl, dass eure Töchter unglücklich waren! Und jetzt?

Kluge Strategien, wie ihr euch als Familie neu aufstellen könnt

Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt, um unsere vier Bausteine des guten Miteinanders anzuwenden und in dieser Situation klug zusammenzusetzen!

Verständnis – Innere Unordnung zieht äußere nach sich

Wenn ihr versteht, warum eure Töchter nun auf einmal alles in Frage stellen, wie etwa eure gesamte Familienstruktur, die ihr in den letzten Jahren mit so viel Liebe und Hingabe aufgebaut habt, dann wird es euch leichter fallen, damit umzugehen. Auf den ersten Blick kann ihr Verhalten nämlich beinahe gemein, unfair, vielleicht sogar undankbar wirken und wenn ihr ehrlich seid, trifft es euch wahrscheinlich tief.

Deshalb ist es wichtig zu verstehen: Eure Töchter kämpfen aktuell mit ihrer inneren Unordnung. Sie wissen nicht, wer sie sind, wo sie stehen und erst recht nicht, wo sie einmal hinmöchten. Innere Unordnung zieht eine äußere Unordnung nach sich. Wer mit sich selbst nicht im Reinen ist, kann es auch nicht mit seiner Umwelt sein. Wer nicht weiß, wer er ist, kann auch nicht wissen, welche Rolle er eigentlich in einer Gemeinschaft spielt. Manchmal ist es sogar leichter, sich an äußeren Gegebenheiten zu reiben, statt sich einem inneren Chaos zu stellen. Und wenn sich andere auch schlecht fühlen, ist die eigene Unzufriedenheit oftmals leichter auszuhalten und das Gefühl der Einsamkeit besser zu ertragen.

Verbunden mit der Frage „Wer bin ich eigentlich?“ suchen eure Töchter innerhalb der Familie nun auch nach einer neuen Rolle für sich!

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Rolle eurer Töchter innerhalb der Familie ja auch tatsächlich ändert! Sie sind nicht mehr die kleinen Mädchen, die ihr vor allem beschützen müsst. Sie möchten nicht mehr ständig mit dem kleineren Geschwisterkind spielen. Sie werden immer mehr zu eigenständigen Personen, die Verantwortung übernehmen können und gehört werden möchten. Wenn es euch gelingt, diese Gedanken und Gefühle eurer Töchter zu verstehen, dann werdet ihr gleichzeitig erkennen, dass ihr als Eltern so gut seid, wie ihr seid. Ihr habt nichts falsch gemacht, sondern all das, was gerade passiert, ist ein ganz natürlicher Prozess eines gesunden (bald nicht mehr) Kindes. Wenn ihr selbst diese Sicherheit habt, dann könnt ihr diese im nächsten Schritt auch an eure Töchter weitergeben.

Sicheres Gegenüber – Ihr bleibt immer Eltern

Dadurch, dass eure Töchter ihre (neue) Rolle im Familiengefüge suchen, stellen sie zwangsläufig auch alte Rollenverteilungen in Frage. Hinzu kommt, dass in der Pubertät allgemein Autoritäten, also Menschen, die sagen, was zu tun ist (Eltern, Lehrer etc.), auf dem Prüfstand stehen. Hat der oder die mir wirklich noch etwas zu sagen? Will ich das überhaupt, was von mir gerade erwartet wird? Weiß ich nicht eigentlich besser, was gut und richtig für mich ist?

Es ist wichtig, dass ihr euren Töchtern in schwierigen Situationen signalisiert, dass ihr ihnen in dieser Zeit ein „Sicheres Gegenüber“ bietet. Ihr als Eltern stellt die Rollenverteilung innerhalb der Familie nicht grundsätzlich in Frage! Auch wenn alles unsicher erscheint, ihr seid und bleibt weiterhin die Eltern eurer Töchter. Egal, was passiert.

Auch in hitzigen Diskussionen solltet ihr deshalb darauf achten, dass ihr diese Ebene nicht verlasst und für sie ein Sicheres Gegenüber seid. Auch wenn ihr euch ungerecht behandelt fühlt, ist es nicht ratsam mit einem „Dann mache ich eben auch nichts mehr für dich!“ oder „Dann habe ich halt auch keine Lust mehr, deine Mutter/dein Vater zu sein!“ zu reagieren. Stattdessen solltet ihr besonders jetzt darauf achten, dass ihr weiterhin in der Rolle der Eltern agiert und dabei sachlich und lösungsorientiert bleibt. Genau diese Sicherheit wird euren Töchtern dabei helfen, ihre neue Rolle, als jetzt fast erwachsene Kinder, innerhalb der Familie zu finden.

Loslassen – Verabschiedet euch von alten Vorstellungen

Es ist, wie es ist: Eure Töchter werden groß. Das müsst ihr euch immer wieder sagen. Gut möglich und absolut verständlich, dass ihr den innigsten Wunsch habt, die Zeit zurückdrehen zu können und einfach nur eure kleinen, süßen Mädchen zurückhaben möchtet. Das ist aber leider nicht möglich. In vielen Situationen bedeutet das Zauberwort deshalb Loslassen. Signalisiert euren Töchtern auf liebevolle Weise, dass ihr sie, auch wenn es euch schwerfällt, großwerden lasst. Gesteht euch selbst eure Traurigkeit darüber zu, achtet aber bitte darauf, dass diese Trauer oder auch eure Verlustangst nicht euer Verhalten ihnen gegenüber bestimmt.

Eure Mädchen großwerden zu lassen, bedeutet auch hier, dass ihr nicht nur sie ziehen lassen müsst, sondern auch eure (alten) Vorstellungen von ihnen. Schenkt ihnen das wunderbare Geschenk des Vertrauens, dass sie sich gesund und zu ihrem Besten weiterentwickeln werden.

Da Sein – Halt geben, wenn ihr gebraucht werdet

Jedes Elternteil, das ein pubertierendes Mädchen zu Hause hat, kennt diese unbändige Wut, die man über das Verhalten der eigenen Tochter empfinden kann. Manchmal weiß man gar nicht, wohin damit. Dieses Gefühl steht euch als Eltern selbstverständlich zu. Eure Geduld und euer Verständnis werden oft auf eine sehr harte Probe gestellt.

Natürlich dürft ihr aussprechen, was euch verletzt hat! Natürlich dürft ihr auch immer wieder Grenzen ziehen! Um gemeinsam mit euren Kindern durch diese aufreibende Zeit zu kommen, ist es dennoch ratsam, nicht nachtragend oder zu stolz zu sein und stattdessen immer für ein klärendes Gespräch offen.

Gebt euren Töchtern, besonders nach einem Streit, die Möglichkeit, zu euch zu kommen. Dann solltet ihr für sie da sein, als das, was ihr seid: Eltern, die sie lieben!

Kommen eure Töchter zu euch und suchen eure Nähe, brauchen sie euren Halt, dann solltet ihr da sein, als das, was ihr seid: Ihre Eltern. Ein „Nein, jetzt will ich auch nicht mehr reden!“ oder „Nein, ich nehme dich jetzt nicht mehr in den Arm!“ verhärtet die Fronten. Vielmehr solltet ihr genau in diesen Momenten eure Töchter besonders fest drücken und ihnen signalisieren: Schön, dass du zu mir kommst. Ich halte dich.

Viele Eltern neigen dazu, die Pubertät ihrer Töchter mit ihrer eigenen zu vergleichen: „Ich durfte das früher auch nicht!“ oder „Damals war so etwas undenkbar!“ Nicht selten werden auch alte Verletzungen oder Enttäuschungen, die die Erwachsenen in dieser Zeit erlebt haben, nun – unbewusst – auf ihre Kinder übertragen oder sie beeinflussen das Verhalten ihnen gegenüber. Sei es die erste Liebe, die von den eigenen Eltern nicht akzeptiert wurde oder die Ausübung eines besonderen Hobbies. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern, deren Kinder jetzt in der Pubertät sind, zunächst liebevoll mit ihrer eigenen abschließen.

Mach dir deine eigenen Gedanken

Hier kannst du deine Gedanken und Gefühle bezüglich deiner eigenen Pubertät aufschreiben. Wie hast du sie erlebt? Was fühlst du, wenn du dich daran erinnerst?

____________________________________________________________

____________________________________________________________

____________________________________________________________

____________________________________________________________

____________________________________________________________

____________________________________________________________

____________________________________________________________

____________________________________________________________

Diese 3 Grundgedanken können dir dabei helfen, deine eigene Pubertät zu verabschieden und Platz für die Pubertät deiner Tochter zu schaffen:

1. Die Zeit, in der du in der Pubertät warst, ist mit der heutigen Zeit, in der deine Tochter in der Pubertät ist, nicht vergleichbar. Deine Pubertät gehört der Vergangenheit an.

2. Deine Tochter verändert sich, sie wird vom Mädchen zur Frau. Auch du hast dich verändert. Du bist kein Kind, kein*e Jugendliche*r mehr, sondern ein gestandenes Elternteil.

3. Versuche für deine Tochter nun die Person, der Elternteil, zu sein, den du dir damals gewünscht und den du damals gebraucht hättest. Kluge Strategien, wie ihr euch als Familie neu aufstellen könnt

Außer Kraft gesetzt – Warum nun alte Regeln nicht mehr gelten

Vielleicht fühlt ihr euch auf einen Schlag in die Zeit zurückversetzt, als eure Kinder euch in Dauerschleife nach dem „Warum?“ gefragt haben. Das ist nun schon ein paar Jahre her und spielte sich in etwa so ab: „Warum darf ich vor dem Abendessen keine Schokolade essen?“ „Weil das nicht gesund für dich ist, mein Schatz.“ „Warum nicht?“ „Weil es besser ist, erst etwas Ordentliches im Bauch zu haben und danach den Nachtisch zu essen.“ „Warum?“ „Weil das eben gesünder ist.“ „Warum?“ „Weil das eben so ist.“ „Warum ist das denn eben so?“ „Na, weil ich das eben so sage. Punkt. Ende der Diskussion.“ Meistens war es das dann. Ihr wart womöglich nicht unbedingt zufrieden mit eurem Gesprächsverhalten, aber es wurde in der Regel auch nicht weiter hinterfragt. Im Zweifel ließen sich eure Töchter schnell mit irgendetwas anderem ablenken. Um es mal vorsichtig auszudrücken: Das hat sich nun ein kleines bisschen geändert.

Alte Regeln werden hinterfragt

Neben ihrer Rolle innerhalb der Familie und dem Infragestellen eurer Autorität als Eltern, hadern eure Töchter nun auch mit den von euch aufgestellten Regeln und lassen euch das tagtäglich spüren. Sei es, in dem sie ständig versuchen, mit euch irgendwelche Diskussionen anzufangen, penetrant nach dem „Warum“ fragen, sich mit euren Erklärungen nicht einfach so zufriedengeben oder sich sogar weigern, sich weiter an eure Regeln zu halten. Zum einen ist das wahnsinnig anstrengend für euch als Eltern, zum anderen macht es euch vielleicht auch große Angst. Unterlaufen eure Töchter nämlich plötzlich eure Regeln, habt ihr das Gefühl, die Kontrolle über sie zu verlieren. Das mag für einfachere Regeln gelten („Sonntagmorgen frühstücken wir als Familie zusammen“), aber auch für größere und solche, die gar nicht unbedingt von euch aufgestellt wurden („Du gehst in die Schule, auch wenn du Mathe nicht magst! Du kannst nicht einfach im Bett liegen bleiben!“). Gut möglich, dass ihr euch nun große Sorgen macht, dass sie anfangen, die Schule zu schwänzen, dort den Anschluss verlieren, abends länger wegbleiben als vereinbart und ihnen etwas passieren könnte.

Und genau aus diesem Grund ist es so wichtig, dass ihr, genau in dem Moment, in dem eure Mädchen damit beginnen, Regeln „außer Kraft“ zu setzen, mit ihnen in Kontakt und im Gespräch bleibt, eure Kommunikation mit ihnen nicht abreißen lasst. Denn wenn ihr ihnen zuhört, ihrer Meinung und ihren Wünsche Gewicht gebt, dann könnt ihr nicht nur gemeinsam neue Regeln aufstellen, sondern auch alte, wichtige unangetastet lassen.

Kluge Strategien für neue und alte Regeln

Auch hier können wir wieder mit unseren vier Bausteinen arbeiten:

Verständnis – Der Hunger eurer Töchter auf das Leben

Eure Töchter entdecken nicht nur sich selbst neu, sondern auch ihre Möglichkeiten. Auch wenn sie natürlich schon in jüngeren Jahren versucht haben, das ein oder andere Mal bestehende Regeln zu unterlaufen, so haben sie erst jetzt die richtigen Möglichkeiten dazu. Ihr könnt sie nicht mehr unentwegt kontrollieren – und wollt das ja eigentlich auch gar nicht. Sie sind nun mobiler und selbstständiger. Durch das Erlangen dieser „neuen“ Freiheiten ist es eigentlich logisch, dass sie schauen und austesten möchten, bis wohin diese reichen. Wo sind nun die Grenzen? Die haben sich nun in der Tat verschoben.

Hinzu kommt der Wunsch nach Autonomie, nach mehr Unabhängigkeit und eine große Lust auf das Leben. Wir haben ja bereits festgestellt, dass dies ein ganz natürlicher und sogar auch medizinisch erklärbarer Prozess ist. Dabei können die altbekannten Regeln einfach stören. Werdet ihr dann auch noch als Eltern, die diese Regeln bislang aufgestellt haben, in Frage gestellt, ist es möglich, dass eure Töchter diese Regeln schlicht und einfach nicht mehr anerkennen. Wenn ihr diese Vorgänge versteht, die meist alle gleichzeitig nebeneinander ablaufen, könnt wir nun auch nachvollziehen, warum sich eure Töchter so verhalten, wie sie es eben gerade tun: Sie diskutieren, rebellieren und testen aus.

Sicheres Gegenüber – Einen schützenden Rahmen geben

Wir haben im ersten Abschnitt dieses Buches gelernt, dass sich die Hirnregionen eurer Mädchen in der Zeit der Pubertät unterschiedlich schnell entwickeln. So haben sie einerseits großen Hunger auf neue Erlebnisse und Erfahrungen, andererseits aber noch nicht die Fähigkeit, ihre Gefühle zu kontrollieren und Risiken sicher abzuschätzen. Das heißt: Sie brauchen euch Eltern einfach als Menschen, die sie lieben und noch auf sie aufpassen. Ihr tut euren Mädchen jetzt keinen Gefallen, wenn ihr ihnen alles erlaubt und sie frei entscheiden können, was sie tun und lassen möchten. Dafür fehlt ihnen nämlich einfach noch die Fähigkeit zu beurteilen, was gut und was weniger gut für sie ist.

Vielmehr ist es nun wichtig, ihnen weiter das Gefühl zu geben, einen Rahmen zu haben, in dem sie sich sicher bewegen können. Ihr seid ihre Eltern. Das ist eure Rolle und die solltet ihr auch hier nicht verlassen. Deshalb gibt es Regeln, die nach wie vor gelten und die unumstößlich sind. Jedes Elternpaar darf diese natürlich für sich selbst festlegen, dabei sollte allerdings Einigkeit untereinander herrschen. Diese „festen“, unumstößlichen Regeln sollten zum Beispiel für die Schule und die Ausbildung ebenso gelten, wie für Absprachen darüber, wie lange die Mädchen abends weggehen dürfen.

Eure Töchter brauchen Grenzen! Sie geben ihnen den nötigen Rahmen, den sie brauchen. Feste und gemeinsam neu aufgestellte Regeln helfen nun Töchtern wie Eltern!

Andere Regeln sollten nun gemeinsam neu aufgestellt werden. Eure Töchter möchten nun nicht mehr jeden Sonntag gemeinsam mit euch frühstücken, sondern lieber ausschlafen, mit Freundinnen telefonieren oder einfach ihre Ruhe haben? Völlig in Ordnung! Vielleicht könnt ihr aber ein gemeinsames Frühstück pro Monat vereinbaren! Gemeinsam sollten jetzt alle Bereiche des Zusammenlebens besprochen werden, die jedem Familienmitglied wichtig sind. Denn gemeinschaftlich aufgestellte Regeln sind für alle viel leichter einzuhalten!

Loslassen – Mehr Freiheiten zulassen

Eure Aufgabe als Eltern liegt auch hier zu einem großen Teil darin, loszulassen. Eure Kinder ein weiteres Stück freizugeben, hinaus in die Welt zu entlassen. Deshalb ist es wichtig, dass ihr euch immer wieder selbst und ganz ehrlich überprüft: Glaubt ihr wirklich, dass diese einst aufgestellte Regel noch Gültigkeit haben sollte oder ist sie nicht eigentlich völlig überholt? Müssen eure Töchter wirklich in den Sommerferien mit euch in den Urlaub fahren oder wäre es nicht an der Zeit, sie an einer betreuten Jugendreise teilnehmen zu lassen?

Ihr als Eltern solltet eure einst aufgestellten Regeln ganz ehrlich überprüfen: Haben sie wirklich noch Gültigkeit?

Wenn ihr ihnen in gewissen Bereichen immer mehr Freiheiten zutraut, ihre Wünsche ernstnehmt und sie dabei liebevoll begleitet, dann werden sie auch den Regeln, die euch wichtig sind, bereitwilliger Beachtung schenken. Sie sehen nämlich, dass es euch nicht grundsätzlich darum geht, sie in ein starres Regelkorsett zu pressen, sondern dass ihr sie einfach nur beschützen möchtet.

Da Sein – Der gute Umgang mit gebrochenen Regeln

Auch wenn ihr ganz verantwortungsbewusste Töchter habt, es wird trotzdem passieren: Sie werden mal die Schule schwänzen, später als vereinbart von einer Party nach Hause kommen und dazu vielleicht sogar noch betrunken sein. Deswegen habt ihr keine „ungezogenen“ Töchter! Regeln auch mal zu brechen gehört dazu.

Hier sind einfach eure Reaktion und euer Umgang damit wichtig, ob und in wieweit sich Regelbrüche wiederholen. Natürlich dürft ihr enttäuscht, wütend und besorgt sein. Klar, ihr seid ihre Eltern und habt womöglich die ganze Nacht wach gelegen und voller Angst auf sie gewartet. Das sollten eure Töchter auch wissen. Bestrafungen wie Hausarrest, Kontaktverbot zu Freundinnen oder ähnliches sind trotzdem nicht sinnvoll. Das schafft Unverständnis, Wut – und am Ende Distanz. Wichtig ist es, genau jetzt im Kontakt mit ihnen zu bleiben: Warum haben sie die Schule geschwänzt? Wollten sie vor den anderen cool erscheinen? Hatten sie die Hausaufgaben nicht gemacht? Können sich eure Töchter euch anvertrauen, wissen sie, dass sie sich auf euch verlassen können, dann wird es für sie keinen Grund geben, euch anzulügen und zu hintergehen oder gar heimlich eure Absprachen zu brechen.

ERINNERE DICH AN DEINE „JUGEND-SÜNDEN“

Eltern vergessen oder verdrängen häufig, wie sie sich selbst in der Pubertät verhalten haben. Sie bewerten vieles, was ihre Kinder nun tun, aus ihrer heutigen elterlichen Sicht. Dadurch kann es an Verständnis fehlen. Verständnislosigkeit wiederum schafft Distanz. Dabei ist es besonders jetzt wichtig, nah und in Kontakt mit den Jugendlichen zu bleiben. Um sich besser in die pubertierenden Mädchen hineinfühlen zu können, hilft es deshalb, sich einmal an seine „Vergehen“ in der Pubertätszeit zu erinnern.

Mach dir deine eigenen Gedanken

Hier kannst du aufschreiben, wie du dich in deiner Pubertät deinen Eltern gegenüber verhalten hast und welche Regeln du verletzt hast.

_____________________________________________________

_____________________________________________________

_____________________________________________________

_____________________________________________________

_____________________________________________________

_____________________________________________________

_____________________________________________________

3 Grundgedanken, die dir dabei helfen können, nicht den emotionalen Kontakt zu deiner Tochter zu verlieren, auch wenn sie immer wieder versucht, Regeln zu unterlaufen:

1. Es ist gut und wichtig, dass deine Tochter zu Hause Regeln in Frage stellt, sie verändern möchte und darüber diskutiert. Zu Hause hat sie ein sicheres Umfeld, einen sicheren elterlichen Hafen und sie kann sich austesten. Es ist quasi der „Übungsplatz“ für das „echte“ Leben da draußen.

2. Dass deine Tochter immer wieder mit dir diskutieren möchte, bedeutet auch ein „Ich möchte mit dir in Kontakt bleiben.“ Sie möchte sicherstellen, dass du sie siehst, hörst und wahrnimmst.

3. Deine Aufgabe als Elternteil ist es, deine Tochter darauf vorzubereiten, einmal ohne dich leben zu können. Es ist deshalb wichtig, dass du sie jetzt sicher dabei begleitest, wenn sie sich selbst und Dinge austestet.

Verständigungsprobleme – Warum ihr euch einfach nicht mehr „versteht“

Manchmal seid ihr einfach nur noch verzweifelt. Egal, was ihr tut, egal, was ihr sagt, eure Töchter verstehen euch falsch. Inzwischen habt ihr mitunter sogar schon mal das Gefühl, sie WOLLEN euch geradezu missverstehen. Fragt ihr sie etwas, sucht ihr das Gespräch mit ihnen, antworten sie euch manchmal gar nicht. Hakt ihr nach, folgt eine patzige, zeitweise sogar verletzende Reaktion. Versucht ihr ruhig mit ihnen zu sprechen, reagieren eure Mädchen, für euch ohne ersichtlichen Grund, aufbrausend und ungehalten.

Es wird immer schwieriger mit euren Töchtern zu diskutieren, gemeinsam eine Lösung zu finden oder feste Absprachen zu treffen. Ihr ertappt euch dabei, dass ihr mit Engelszungen auf sie einredet, in der Hoffnung, sie irgendwie zu erreichen. Leider passiert oft genau das Gegenteil und sie machen erst recht dicht. Ihr fühlt euch vielleicht immer unwohler in eurer Rolle, merkt ihr doch, dass ihr immer fordernder und ungeduldiger in eurem Gesprächsverhalten werdet, in der Hoffnung, irgendeine Reaktion eurer Töchter zu erhalten. So wolltet ihr eigentlich nie werden! Die Rolle, die ihr mittlerweile innehabt, gefällt euch überhaupt nicht! Spätestens jetzt wird es bei eurer Kommunikation laut, häufig auch ungerecht (ihr fühlt euch einfach hilflos!) und irgendwann knallen die Türen.

Zwei verschiedene Sprachen und kein passendes Wörterbuch

Dazu fühlt es sich für euch manchmal so an, als ob ihr mittlerweile zwei völlig unterschiedliche Sprachen sprecht, aber kein jeweils passendes Wörterbuch habt, geschweige denn einen Übersetzer. Nicht nur das ganze Kommunikationsverhalten eurer Töchter hat sich verändert, nein, auch ihr Sprachgebrauch. Hört ihr ihnen zu, wenn sie mit ihren Freundinnen sprechen, sind sie euch fremd. Sie benutzen plötzlich die merkwürdigsten Wörter und insgeheim fragt ihr euch, ob sie überhaupt um deren Bedeutung wissen oder einfach nur „cool“ sein wollen. Versuchen sie dann, in dieser Form und mit dieser Wortwahl auch mit euch als Eltern zu sprechen, könntet ihr aus der Haut fahren. Nein, ihr wollt euch „nicht mal locker machen“, „euer Leben chillen“ oder „mal den Krampf rauslassen“. Ihr versteht eure Kinder nicht mehr, habt das Gefühl, auch dadurch den Zugang zu ihnen zu verlieren.

Kluge Strategien, wie ihr wieder eine gemeinsame Sprache finden könnt

Setzen wir auch hier ganz gezielt unsere vier Bausteine wieder aufeinander:

Verständnis – Die neue Sprache schafft Distanz zu den Eltern

Sprache hat Macht, Sprache ist gewaltig. Wird sie gezielt eingesetzt, kann sie das Gegenüber herausfordern, berühren, aber auch tief treffen. Eure Töchter lernen in der Pubertät immer mehr, mit Worten und Ausdrucksweisen umzugehen. Sie sehen, welche Reaktionen sie damit bei anderen hervorrufen und dass sie damit erwünschte Ziele erreichen können. Sprache wird zu einem neuen und wichtigen Instrument.

Und nicht nur das: Sprache bietet den jungen Mädchen auch die Möglichkeit, sich weiter von ihren Eltern und überhaupt allen Erwachsenen abzugrenzen. Neue Wortschöpfungen, neue Begriffe zeigen: Hey, ich bin anders als du und ich möchte das auch sein! Die bisher bekannte Kommunikationsform, der gesamte Sprachgebrauch, wurde ja im Allgemeinen von den Erwachsenen geprägt. Eltern und Lehrer*innen bringen Kindern bei und leben ihnen vor, wie miteinander gesprochen wird. Die Jugendsprache distanziert sich davon, zieht eine Grenze zwischen den Generationen. Für Erwachsene ist sie oft unverständlich und hört sich manchmal geradezu komisch an – und genau das soll sie auch! Genau das ist ihr Sinn und Zweck!

Die Veränderung ihrer Sprache gehört also, wie im Grunde das gesamte Verhalten eurer pubertierenden Töchter, zu ihrem ganz natürlichen Ablösungsprozess dazu.

Eure Töchter haben nicht nur ein Verständigungsproblem mit euch, sondern auch mit sich selbst und das erschwert eine „vernünftige“ Kommunikation.

Schön und gut, aber warum ist, neben der Wortwahl, auch das gesamte Gesprächsverhalten eurer Mädchen plötzlich so unvorhersehbar, so wahnsinnig anstrengend für euch als Eltern? Zunächst einmal ist es so, dass eure Töchter vor allem mit sich selbst beschäftigt sind. Ihre Gedanken kreisen in Dauerschleife um sich selbst und versuchen ihre Gefühlswelt einzuordnen. Wer bin ich eigentlich? Warum fühle ich mich plötzlich so anders? Wirken sie auf euch deshalb oft abwesend, reagieren nicht darauf, wenn ihr sie ansprecht, so liegt es meist schlicht und ergreifend daran, dass sie sich gerade in ihrer eigenen Welt befinden. Es ist kein böser Wille von ihnen, dass sie es euch so schwer machen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Im Gegenteil: Es ist auch für sie selbst schwer! Gerade haben eure Mädchen nicht nur ein Verständigungsproblem mit euch, sondern in erster Linie mit sich selbst. Und das fordert sie in höchstem Maße.

Steckt ihr dann mit ihnen in einer Diskussion fest, ist häufig ein sachlicher Austausch von Argumenten kaum mehr möglich. Eure Töchter reagieren nicht selten hoch emotional und können ihre Gefühle, wie Ärger, Wut und Trauer, kaum unter Kontrolle halten. Wie wir oben bereits gelernt haben, hängt dies vor allem mit der langsameren Entwicklung der Hirnregionen zusammen, die für die Impulskontrolle zuständig sind. Übersetzt heißt das: Euren Töchtern fehlt hier noch ein wichtiges Werkzeug, das sie aber im Laufe der Zeit zur Verfügung gestellt bekommen werden.

Sicheres Gegenüber – Ihr seid starke standfeste Eltern

Für euch bedeutet das auch hier, dass ihr in eurer Rolle als „starke“ Eltern gefragt seid. „Stark“ bedeutet jedoch nicht, dass ihr euren Töchtern in Gesprächen und Diskussionen überlegen sein sollt, nein, sondern dass ihr ihnen ein sicheres und starkes Gegenüber bietet. Ihr seid ihre Eltern und in dieser Rolle seid ihr fest verankert. Wirken eure Töchter abwesend oder reagieren nicht auf eure Ansprache, dann nehmt das bitte nicht persönlich, reagiert nicht beleidigend oder verletzend sondern seht die schwierige Situation, in der sie sich gerade befinden.

Ihr als Sicheres Gegenüber sprecht sie deshalb ruhig und zielgerichtet an, wenn nötig berührt ihr sie leicht an der Schulter, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ihr solltet klar ausdrücken, was ihr gerade von ihnen möchtet: „Ich möchte jetzt mit dir über das kommende Wochenende sprechen.“

Eure Töchter haben vor allem in Diskussionen oft das Problem, ihre Gefühle nicht unter Kontrolle zu halten. Ihr helft ihnen am meisten, wenn ihr ihnen währenddessen ruhig und standfest in eurer Rolle als Eltern gegenübersteht!

Reagieren eure Töchter in Diskussionen sehr emotional, ist es auch hier wichtig, dass ihr das nicht persönlich nehmt oder euch in eurer Rolle als Eltern in Frage stellt. Ja, sie sind gerade wütend auf euch. Möglicherweise schreien sie euch an oder beschimpfen euch gar.

Sie sind sauer, fühlen sich schlecht und möchten das zeigen. Und sie wollen womöglich auch, dass ihr euch genauso schlecht fühlt wie sie. Habt ihr euch aber vorher ausreichend Gedanken über das Diskussionsthema gemacht (z. B. Ausgehzeiten am Wochenende, Übernachtung bei Freund*innen), solltet ihr jetzt besonders darauf achten, nicht ebenfalls aus der Haut zu fahren oder Türen zu knallen. Ein „Ich verstehe deine Enttäuschung, aber ich als deine Mutter habe das mit gutem Wissen so entschieden“ als ruhige und klare Erklärung ist hier deutlich zielführender. Ziehen sich eure Töchter dann schmollend zurück, müsst ihr das eben eine Weile aushalten und die von ihnen gewünschte Distanz zunächst einhalten. Ist einige Zeit vergangen, lohnt es sich auf jeden Fall, an die Zimmertür zu klopfen und erneut das ruhige Gespräch zu suchen.

Loslassen – Wenn ihr nicht mehr als wichtigste Gesprächspartner erwünscht seid

Ja, auch hier obliegt euch als Eltern die Aufgabe des Loslassens. Ihr müsst zum Beispiel lernen, euch von dem Wunsch zu verabschieden, dass mit einem Gespräch für jedes Problem eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann. In der Pubertät gehen die Wünsche und Vorstellungen von Eltern und Töchtern häufig so weit auseinander, dass das schlicht nicht möglich ist.

Habt ihr als Eltern bei einem Diskussionsthema eine Entscheidung getroffen („Ich entscheide, dass du am Samstag spätestens um 22 Uhr zu Hause bist.“), dann gilt es, wie oben bereits schon erwähnt, zu lernen, mit der Wut und Enttäuschung eurer Mädchen umzugehen, wenn sie eine andere Vorstellung haben. Auch das gehört nun dazu und lässt sich manchmal einfach nicht vermeiden.

Ihr solltet zudem erkennen, dass eure Töchter nicht immer mit euch kommunizieren wollen. So gerne ihr mit ihnen gerade jetzt im Gespräch bleiben möchtet, euch wünscht, dass sie euch alles anvertrauen – es ist wichtig zu akzeptieren, dass sie sich nun häufiger zurückziehen oder Dinge lieber mit ihren Freundinnen besprechen möchten. Zeigt ihr hier Verständnis, und setzt ihr sie nicht unter Druck und lasst los, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie bei nächster Gelegenheit wieder von sich aus zu euch kommen und das Gespräch mit euch suchen werden.

Eltern müssen lernen, dass sie nun nicht mehr die wichtigsten Ansprechpartner für ihre Töchter sind. Vieles möchten die jetzt lieber mit ihren Freundinnen und in ihrer ganz eigenen Sprache besprechen.

Autor

  • Dr. med. Judith Bildau (Autor:in)

Judith Bildau ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, Mutter von fünf Töchtern (drei eigene) und eine der gefragtesten Influencerinnen zum Thema Kindererziehung und Frauengesundheit. Ihre Artikel und Posts sind so beliebt, weil sie fundiert informiert und sich dabei auf Augenhöhe mit ihren Leserinnen bewegt. Neben ihrer Arbeit als Frauenärztin versorgt sie Eltern auf dem OnlineMagazin MutterKutter mit Tipps, veröffentlicht medizinische Fachbeiträge in Print und Onlinemedien oder schreibt über das anstrengende und trotzdem schöne Familienleben – ehrlich, fachkundig und von Herz
Zurück

Titel: Mit meiner Tochter durch die Pubertät