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Qualitätsmerkmal Beziehung

Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz. Expertenstandard, interne Qualität und MDK-Prüfung

von Rainer Klein (Autor:in) Monika Hammerla-Claassen (Autor:in)
276 Seiten

Zusammenfassung

Die Beziehung zwischen Pflegekräften und Menschen mit Demenz ist intensiv, sehr nah – und sehr störungsanfällig. Der Mensch mit Demenz kann oft nur eingeschränkt interagieren und kommunizieren. Er braucht Kontakt, und kann ihn selbst nicht herstellen. Er leidet unter mangelnder Orientierung und fühlt sich oft allein gelassen.
Pflegekräfte stehen unter dem großen Druck, ihrer Arbeit und den Menschen mit Demenz in ihrer Einzigartigkeit gerecht zu werden.

„Beziehungsgestaltung“ ist der Schlüssel! So sieht es auch der aktuelle Expertenstandard, der von Anbietern von Pflegeleistungen umgesetzt werden muss.

Auf der Basis des Expertenstandards zeigen die Autoren dieses Buches, welche Herausforderungen Pflegekräfte zu meistern haben. Wo der Expertenstandard theoretisch bleiben muss, bieten die Autoren praktische Ideen, Konzepte und Handlungsmöglichkeiten.

Pflegepraktiker und Führungskräfte erfahren so, wie sie den Standard erfolgreich umsetzen – zum Vorteil der Betroffenen, der Pflegekräfte und der Einrichtungen, denn eine gute Beziehung ist ein Qualitätsmerkmal.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Danksagung

Der Plan, für das Pflege-und Betreuungspersonal und für Angehörigen von Menschen mit Demenz ein Buch zu schreiben kam mit dem Expertenstandard »Beziehungsgestaltung« für Menschen mit Demenz. Dieses Buch entstand auch auf Basis meiner jahrzehntelangen Erfahrung in Pflege und Betreuung, Beratung pflegender Angehöriger und dem Unterricht von Fachkräften für Gerontopsychiatrie und Betreuungskräften.

Bei der Vorbereitung dieses Buches ist mir von vielen Seiten Hilfe zuteil geworden. Prof. Dr.med. Johannes Kraft danke ich für den großen Beitrag »Diagnostik und Medikamente« sowie seine kompetente Beratung bei medizinischen Fragen. Rainer Klein, Diplom-Verwaltungswirt bei der Fachstelle für Pflege-und Behinderteneinrichtungen Qualitätsentwicklung und Aufsicht – FQA Bayern, danke ich für die Übernahme der rechtlichen Fragen.

Heike Schwabe, Vorsitzende der Deutschen Expertengruppe für Demenzbetreuung, gilt mein Dank für das Vorwort. Edi Sander Böhm sage ich ein herzliches Dankeschön für die vielen Stunden des Korrekturlesens.

Großen Dank sage ich Annette Kirchner, Pflegedienstleitung bei der Diakonie Weitramsdorf-Sesslach, der Pflegedienstleitung Silvia Herzig, Annerose Nitsche, ehemalige Pflegedienstleitung aus Helmbrechts, und Sebastian Raasch, Leiter der Tagespflege ASB Hamburg Langenhorn, für die guten Anregungen des Konzeptes. Karlheinz Pastoors und Dr. Anne Berniger für die Unterstützung bei den Tipps für Leitungskräfte. Dank an Sabine Gillde, die in Kunstfragen zur Seite stand. Claudia Flöer und Petra Heyde vom Lektorat Pflege der Schlüterschen Verlagsgesellschaft danke ich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit, das großzügige Eingehen auf Wünsche bei der Bearbeitung des Manuskriptes und der Drucklegung des Buches.

Meinem Mann, Prof. Dr. Horst Claassen, ein herzliches Dank für seine Geduld und allen Hilfen bei medizinischen Fragen.

Monika Hammerla Claassen

Vorwort

Noch ein Buch, welches sich in die mittlerweile die lange Reihe der Fachbücher zum Thema »Demenz« einreiht!

Brauchen wir das wirklich? Wissen wir nicht schon genug?

Ja, so könnte man denken, aber wird unser Wissen denn auch in der Praxis umgesetzt? Sind die Strukturen vorhanden, um dann mit gelungenen Prozessen gewünschte Ergebnisse zu erreichen?

Monika Hammerla Claassen hat genau an dieser Stelle angesetzt und ein Buch aus der Praxis für die Praxis geschrieben. Ihre vielseitigen Erfahrungen verknüpfen theoretische Grundlagen, ethische Wertedefinitionen und praktische Handlungsoptionen miteinander. Und dieses alles unter dem Aspekt der Beziehungsgestaltung in der Begleitung von Menschen mit Demenz.

Beziehung ist wesentliches Element jeglicher Interaktion und beeinflusst die Lebensqualität demenzerkrankter Menschen in besonders sensibler Weise. Sie kann positiv und öffnend gestaltet werden, aber auch negativ und störend. Beziehung kann stabilisieren und schwächen. Diese Effekte sind gerade im Rahmen der teilweise sehr restriktiven Schutzmaßnahmen (bedingt durch die Corona-Pandemie) in stationären Einrichtungen erlebbar.

Beziehung betrifft alle Ebenen eines Menschen, ganzheitlich. Sie stellt die Person in den Mittelpunkt des Handelns und zwar seine Perspektive, seine Identität und seine Autonomie.

Je mehr das Krankheitsgeschehen fortschreitet, desto mehr bedarf es kompensierender Unterstützungsangebote mit dieser Grundhaltung. Dann kann diese personenzentrierte Lebensbegleitung zu mehr Lebensqualität führen.

Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege veröffentlichte 2019 den Expertenstandard »Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz«. Er ist Grundlage vieler Qualitätsprüfungskriterien und in der nationalen Demenzstrategie als akzeptiertes Wissen (state of the art) mehrfach benannt.

Dieses Buch unterstützt die Implementierung und Umsetzung in die Praxis auf sehr anschauliche Weise!

Noch ein Buch in der Reihe? Ja!

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern viele gute Impulse und Anregungen für ihren anspruchsvollen Arbeitsalltag sowie viele bereichernde Beziehungen und Begegnungen.

Heike Schwabe

1. Vorsitzende der
Deutschen Expertengruppe
Dementenbetreuung

1.1Die Ist-Situation in Pflege und Betreuung

Bei einer immer knapper werdenden Personaldecke in der Pflege und im Betreuungsbereich steigt der Druck zeitlich und anforderungstechnisch. Das Personal kann vielerorts nur selten auf Menschen mit Demenz eingehen. Die tägliche Hast, oft verbunden mit mangelnden Fachkenntnissen hinsichtlich des Umgangs mit demenzerkrankten Menschen hat im Bereich der Altenhilfe harte Konsequenzen: Abwehr und Konflikte sind auf beiden Seiten. Das betrifft viele stationäre Einrichtungen, aber auch Tages- und Kurzzeitpflegen.

In den stationären Einrichtungen dominiert immer noch die Pflege, während die soziale Betreuung sich unterordnen muss. Der Alltag ist vielerorts institutionalisiert. Da wird um 6:15 Uhr geweckt, pünktlich um 12:00 Uhr gibt es Mittagessen und selbstverständlich auch feste Schlafzeiten, etc.

Aktivierungen oder die Teilhabe am Leben finden weder systematisch noch individuell zugeschnitten statt. Die Auswahl der Angebote ist oft nicht zielgerichtet, weil die Gruppen zu groß und inhomogen sind. Es gehört in vielen Einrichtungen zum Alltag, dass Betreuungskräfte ohne fachliche Begleitung durch eine Gerontopsychiatrische Fachkraft (GFK) losgeschickt werden.

Die genutzten Räumlichkeiten sind oft ungeeignet (zu groß, schlechte Akustik, mangelnde Ausstattung), es ist laut und unpersönlich. Unpassende Angebote führen zu Überforderungen – der Betreuungskräfte genauso wie der Betreuten.

Bei Menschen mit Demenz rufen solche Rahmenbedingungen eine Vielzahl von Reaktionen hervor:

Angst,

Hilflosigkeit,

Panik,

Rückzug,

herausforderndes Verhalten,

Hinlauftendenz,

Rückzug,

Regredieren.

Die Corona-Pandemie 2020 wirkte hier noch verstärkend: Statt Gemeinsamkeit wurde isoliert, manchmal sogar hinter geschlossene Türen »weggesperrt«. Aber die Menschen mit Demenz reagieren mit einer Fülle von u. a. Verhaltensäußerungen auf eine unangenehme Umgebung. Das wirkt zurück: Das Personal ist gestresst, hilflos, überfordert, sucht oft die Lösung in einer Erhöhung der Medikamentendosis. Das ist nicht in jeder Einrichtung so, aber »die Zahl der Antipsychotika-Verordnungen … in vielen Pflegeheimen [ist] zu hoch. … 41 Prozent der Demenzkranken im Pflegeheim erhalten mindestens einmal pro Quartal ein Antipsychotikum. Dabei verstößt die dauerhafte Gabe von Antipsychotika an Demenzkranke gegen medizinische Leitlinien.«1

1.2Beziehungsgestaltung – einfach unverzichtbar

Für Menschen mit Demenz ist es von außerordentlicher Bedeutsamkeit, dass und wie man ihnen begegnet. Eine Demenz zerstört nicht den Zugriff des Menschen auf seine Gefühle oder auf sein »Leibgedächtnis«, von dem Udo Baer2 so eindrücklich erzählt.

Der 2019 veröffentlichte Expertenstandard »Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz« kann und muss helfen, die unglückliche Situation, in der sich viele Menschen mit Demenz befinden, zu ändern.

Das Ziel ist ganz klar: Wenn es Ihnen gelingt, Ihre Wahrnehmung und Haltung zu schulen, die Bedürfnisse eines Menschen mit Demenz zu erkennen, dann werden Sie sein Leben verbessern – und zugleich Ihren beruflichen Alltag als Pflege- oder Betreuungskraft! Dies bedeutet: Sie müssen den Menschen mit Demenz als Mensch mit seinen gelebten Erfahrungen sehen und annehmen. »Wer krankheitsbedingt die Fähigkeit verliert, sich seiner selbst bewusst zu sein, braucht umso mehr den anderen Menschen, der ihn als Person/ Persönlichkeit wahrnimmt und achtet.«3

Ein würdevolles Leben mit Demenz kann in unseren Pflegeeinrichtungen nur dann gelingen, wenn Sie als Pflege- und Betreuungskraft aus Ihrer rein funktionalen Rolle heraustreten und eine person-zentrierte Haltung annehmen und leben. Viele Pflege- und Betreuungsmitarbeiter haben sich bereits auf diesen Weg gemacht und erleben täglich, wie entspannt ihre Arbeit dadurch geworden ist. Mit der person-zentrierten Haltung gelingt eine befriedigende Beziehungsgestaltung. Wer von uns möchte dies nicht an seinem Lebensende! Und es gibt selbstverständlich eine Fülle von Unterstützungsmöglichkeiten für alle jene Profis in Pflege und Betreuung, z. B. die Deutsche Expertengruppe Dementenbetreuung e. V.

1.3Wie Bindung entsteht

1.3.1 Bindungen

Mit der sog. »Bindungstheorie« werden die bahnbrechenden Arbeiten von John Bowlby (britischer Psychoanalytiker und Kinderpsychiater), Mary Ainsworth (US-amerikanisch-kanadische Psychologin) und James Robertson (schottischer Psychoanalytiker) zusammengefasst. Sie stellten sich die Frage, wie Menschen während ihres Lebens Beziehungen aufbauen und entwickeln.

Bowlby entdeckte dabei Zusammenhänge zwischen dem Bindungsverhalten und der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen. 1944 stellte er die These auf, dass eine Störung der frühen Mutter-Kind-Beziehung ein wichtiger Faktor für die Entstehung psychischer Störungen sei.

So beschrieb Bowlby das »inner working model«, das sich in den ersten Lebensjahren durch die Interaktion zwischen Eltern und Kind bildet. Die Erfahrungen, die ein Kind in seinen frühen Lebensmonaten/-jahren macht, wirken sich auf sein späteres Verhalten aus.

Die Sensibilität der Bindungsperson, d. h. das richtige, angepasste, sofortige Reagieren der Bezugsperson auf die Bedürfnisse des Kleinstkindes, spielt dabei eine sehr wichtige Rolle und ist ausschlaggebend für die Entstehung des inneren Modells und den Stil der Bindung, den ein Kind in seinem Leben entwickeln wird.

Folgende Bindungsstile werden heute unterschieden:

a) »Sicherer Bindungsstil,

b) unsichere-vermeidende Bindung,

c) ambivalent-unsichere Bindung,

d) desorganisiert-unsichere Bindung.«4

Bei sicher gebundenen Kleinstkindern, die immer wieder eine Antwort, ein Spiegeln ihrer Bezugsperson erfahren, entsteht ein Urvertrauen. Durch diese feste Bindung kann das Kind in seiner Entwicklung entspannt und flexibel auf die Emotionen anderer reagieren. Es wird ermuntert, seine Umgebung zu erkunden, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Dies wirkt sich wiederum positiv auf das Verhalten und auf die Entwicklung der emotionalen Intelligenz aus.5

Dagegen wirkt sich eine Trennung zwischen Mutter und Kind in den ersten Lebensjahren negativ auf die emotionale Entwicklung aus. Kinder ohne sichere Bindung lernen nicht, angemessen auf ihre eigenen Bedürfnisse zu achten, d. h. zu reagieren. Sie tun sich schwer damit, Emotionen bei anderen Menschen zu erkennen. Je weniger aber ein Mensch die Handlungen, Gefühle und Antworten anderer versteht, desto weniger angemessen sind seine Interaktionen.

________________________

1 »Pflege-Report 2018: Zu viele Antipsychotika-Verschreibungen, Dekubitus-Fälle und Krankenhaus einweisungen in deutschen Pflegeheimen«. https://aok-bv.de/presse/pressemitteilungen/2018/index_20548.html

2 Baer U (2017): Das Herz wird nicht dement. Beltz Verlag, Weinheim.

3 Hametner I (2020): Demenz, Delir, Depression. Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover, S. 30

4 Vgl. Sulzbacher MK (2015): Emotionale Intelligenz und Autobiografisches Gedächtnis. Akademiker Verlag, Riga, S. 46–47

5 Vgl. ebd.

2.1Aus Bindung entsteht Beziehung und – Haltung

Wenn wir den Bogen zur Biografie der Pflegebedürftigen (image Kap. 2.9) spannen, erkennen wir schnell, wie frühere Erfahrungen wirken und welchen Einfluss sie auf jeden einzelnen Menschen ausüben. Denken Sie nur an die Kriegs- und Nachkriegsgeneration. Beim Expertenstandard zur Beziehungsgestaltung können Sie, als Mitarbeiterinnen in der Pflege und Betreuung, diese Erkenntnisse aufnehmen. Zudem haben natürlich auch Sie als Pflege- oder Betreuungsperson Ihre eigene Biografie, die in die Interaktion mit hineinspielt.

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Der Expertenstandard »Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz« ist wohl »eine der größten Revolutionen in der Geschichte der Pflege. Ein komplettes Umdenken in Haltung und im Handeln.«*

Das große Ziel des Expertenstandards: Jeder pflegebedürftige Mensch mit Demenz erhält Angebote zur Beziehungsgestaltung, die seine Gefühlswelt erhalten oder fördern. Er wird gehört, verstanden und angenommen und fühlt sich mit anderen Personen verbunden.

Das bedeutet für Beziehung und Bindung: Wenn mit der Demenz die Fähigkeit nachlässt, zu kommunizieren, sich an Dinge oder Personen zu erinnern, können vertraute Personen den Betroffenen helfen, die Brücken ins Gestern aufrecht zu erhalten, die ihr Leben bestimmten. Gute Freunde und enge Verwandte werden auch dann noch erkannt, wenn der Name schon lange nicht mehr erinnert wird.

* König J (2020): Beziehungsgestaltung mit Menschen mit Demenz. 50 Tipps für die Pflege und Betreuung. Schlütersche Verlagsgesellschaft Hannover, S. 8

Haben Sie sich freiwillig dafür entschieden, mit Menschen mit Demenz zu arbeiten? Das ist wunderbar, wird aber sicherlich nicht auf jede von Ihnen zutreffen. Aber jede von Ihnen braucht bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten für diese Arbeit:

Die Kommunikation mit Menschen mit Demenz ist einer Fremdsprache vergleichbar.

In Beziehung treten heißt: Achtsames Handeln zwischen den Pflege- und Betreuungskräften und dem Menschen mit Demenz. Im Arbeitsbereich bedeutet das: Nicht, was Sie machen, sondern wie Sie die Stunden im Arbeitsfeld verbringen, ist ausschlaggebend für die Beziehungsqualität.

Sie brauchen eine professionelle Herangehensweise. Die Pflege- und Betreuungskräfte müssen authentisch sein (image Kap. 2.10).

Beziehung und Bindung beginnt zu Hause in der Familie. Alle Menschen gehen unterschiedliche Bindungen ein. Da sind die festen, verbindlichen Beziehungen zu einem Menschen oder einer Gruppe. Im Umfeld pflegen viele Menschen Bindungen zur Arbeitsstelle, zur Nachbarschaft. Bindungen in der Freizeit sind häufig von langer Dauer, z. B. im Sportverein, im Chor, in der Wandergruppe etc. Viele Menschen entwickeln auch Beziehungen zu dem Umfeld, in dem sie leben, zu ihrer Heimat.

Mit dem Umzug in ein Heim vollziehen sich hier einschneidende Veränderungen, die weitreichende Folgen für die Betroffenen haben.

2.2Die Haltung im Umgang mit Menschen mit Demenz

2.2.1 Die person-zentrierte Haltung nach Tom Kitwood

Tom Kitwood (1937–1998) war britischer Sozialpsychologe und Dozent in den Bereichen Beratung, Tiefenpsychologie und Psychotherapie. Auf ihn geht das Centre for Applied Dementia Studies an der Universität von Bradford (Großbritannien) zurück. Kitwood entwickelte die sog. person-zentrierte Pflege (Person-Centred Care – PPC), zu deren Zielen es u. a. gehört, die Lebenssituation und -bedingungen von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen zu verbessern.6

Kitwoods Ansatz ist ein zutiefst menschlicher. Er verweigerte sich dem herkömmlichen Paradigma, dass eine Demenz eine »organisch bedingte psychische Erkrankung«7 ist, die zum Stoppen gebracht werden müsste. Kitwood verweist demgegenüber auf die Neuroplastizität des Gehirns und sieht es als ein Organ, »das zu einer kontinuierlichen strukturellen Adaptation« fähig ist.8

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Info

Mit dem person-zentrierten Ansatz erarbeitete Tom Kitwood ein neues Verständnis von Demenz. Er sah die rein medizinischnaturwissenschaftlichen Sicht- und Herangehensweisen bezüglich der Demenzerkrankung kritisch. Stattdessen hob er den wichtigen Stellenwert der Pflege- und Betreuungskräfte hervor, die für das Wohlbefinden der Menschen mit Demenz sorgen bzw. dieses fördern können.

2.2.2 Personsein und Depersonalisierung9

Im Mittelpunkt von Kitwoods Ansatz steht die »Person« bzw. das »Personsein«: »Es ist ein Stand oder Status, der dem einzelnen Menschen im Kontext von Beziehung und sozialem Sein von anderen verliehen wird. Er impliziert Anerkennung, Respekt und Vertrauen.«10

Damit erweitert Kitwood das Personsein erheblich. Person ist nicht nur jemand, der autonom und individuell lebt und handelt, denn da wären ja Menschen mit Demenz ausgeschlossen, wären keine »Person« mehr. Kitwoods neuer Bezugsrahmen lautet »Person mit Demenz«, nicht »Person mit Demenz«.

Eine Basis dafür sieht Kitwood bei Martin Buber, der von zwei Beziehungsarten spricht, wenn es um die Interaktion zwischen Menschen geht11:

1. Eine Ich-Es-Beziehung ist eine zweckgerichtete manipulative Form, die nicht über Banales oder Triviales hinausgeht.

2. Eine Ich-Du-Beziehung zeichnet sich durch Offenheit, Präsenz und Da-Sein aus. Im Vordergrund steht die Begegnung.

Wer nach Kitwood eine Person auf ihre Demenz reduziert, kommt über eine Ich-Es-Beziehung nicht hinaus. Die Beziehung, jede Interaktion, bleibt an der Oberfläche, eben banal oder trivial.

Wobei, so deutlich wird Kitwood hier, nicht jede Beziehung zwischen Pflege- bzw. Betreuungskraft gleich eine Ich-Du-Beziehung ist!

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Erst wer einen Pflegebedürftigen als Person wirklich ernst nimmt, sieht ihn auch als Du an.

Eine Ich-Du-Beziehung ist – so sieht es Kitwood – auch bei schweren kognitiven Beeinträchtigungen möglich. Doch das kostet mehr Mühe, als vielen Menschen bewusst ist. »Menschen mit Demenz sind oft einer Diskriminierung … in ihrer schärfsten Form ausgesetzt.«12 Für Kitwood steht hinter Diskriminierung oft Angst. Die Angst davor, selbst einmal demenzkrank zu werden, hilflos und verwirrt zu sein. Eine Angst, die nach Kitwood nicht nur Laien aufweisen, sondern auch Experten. So spricht Kitwood davon, dass es eine maligne, bösartige Form der Sozialpsychologie gibt, die die Demenzerkrankung eher noch verschärft und den Menschen mit Demenz in seinem Personsein verletzt.

Kitwoods Sozialpsychologie ist dementsprechend völlig anders aufgestellt. Er entwickelte von 1987 bis 1995 eine neue Sozialpsychologie und stellte während seiner Beobachtungsstudien 17 unterschiedliche personelle Detraktionen (Lächerlich machen, Infantilisieren) im Alltag der Pflege fest, die sich negativ auf das Personsein der Menschen mit Demenz auswirken. Auch Kitwood war zu dem Zeitpunkt schon klar, dass hinter diesen Detraktionen nicht immer böser Wille stand, manches war sogar gut gemeint, aber dennoch maligne, also bösartig:

1. Betrug (Da wird der Mensch mit Demenz getäuscht, abgelenkt oder manipuliert, um ihn zu einer Aktion, zum Mitmachen zu bewegen. »Kommen Sie, Herr X., der Bus fährt gleich.« Dabei soll Herr X. nur endlich aufstehen und aus dem Speisesaal gehen.)

2. Machtlosigkeit (Dem Betroffenen wird untersagt, seine Fähigkeiten zu nutzen. »Frau Y., das Messer geben Sie mir aber.« Obwohl Frau Y. damit nur Kartoffeln schälen wollte.)

3. Infantilisieren (Der Betroffene wird wie ein Kind behandelt. »Na, Frau Z., haben wir schön Heia gemacht?«)

4. Einschüchterung (Ängstigen oder mit körperlicher Gewalt drohen. »Wenn Sie nicht stillhalten, sage ich es dem Doktor!«)

5. Etikettieren (Der Mensch mit Demenz wird über seine Krankheit oder Verhalten einordnen. »Ja, so sind sie halt, die Menschen mit Demenz…«).

6. Stigmatisieren (jemanden wie einen Gegenstand oder Aussätzigen behandeln. »Sie verschütten doch immer den Kaffee!«)

7. Überholen (Handlungen oder Anweisungen erfolgen so schnell durchzuführen, dass die Person mit Demenz gar nicht verstehen kann, was gemeint ist).

8. Entwerten (Die Gefühle oder subjektive Realität des Menschen werden ignoriert. »Da ist kein Hund im Zimmer, nun stellen Sie sich doch nicht so an.«)

9. Verbannen (Jemanden körperlich oder seelisch ausschließen. »Sie gehören nicht in diese Gruppe. Gehen Sie raus!«)

10. Zum Objekt erklären (Die Person wird wie ein lebloser Gegenstand behandelt. »Hier, zieh Frau X. mal die Jacke über. Die steht da schon wieder nur halb angezogen herum.«)

11. Ignorieren (Die Person wird missachtet).

12. Zwang (Eine Person wird zu Handlungen gezwungen).

13. Vorenthalten (Einer Person werden Informationen vorenthalten, ihre Bedürfnisse werden weder erkannt noch erfüllt).

14. Anklage (Einer Person werden trotz fehlender Fähigkeiten Vorwürfe gemacht. »Herrgott, Herr Meyer, Sie sollen doch Ordnung halten!«)

15. Unterbrechen (Eine Person wird in ihrer Handlung unterbrochen, bei Überlegungen gestört, bei Mitteilungen unterbrochen).

16. Lästern (Eine Person wird gehänselt, es wird über sie gelacht).

17. Herabwürdigen (Einer Person wird vermittelt, sie könne nichts mehr, sei unnütz).

So furchtbar dies alles klingt und so oft es auch im Alltag vorkommt: Kitwood war der Meinung, dass das Pflegepersonal eine andere Sichtweise erlernen kann. Vorausgesetzt: Die Erkrankten werden als Person gesehen, nicht als Träger einer Erkrankung.

Beeinträchtigungen wie Angst und herausforderndes Verhalten lassen sich auffangen, sodass Person sich wohler fühlt. Ein respektvolles, kooperatives und offenes Miteinander ist nötig, um eine gute Arbeitsatmosphäre herzustellen. Außerdem brauchen gute Arbeitsbedingungen eine faire Entlohnung, Kommunikation auf Augenhöhe und Wertschätzung.

Doch auch jede Pflegende zeigt in ihrer Arbeit ihre ganz persönliche Handschrift, oder in Kitwoods Welt: ihr Lebenskonzept.

Kitwood beschrieb drei Typen von Pflegenden mit unterschiedlichen Lebenskonzepten:

1. Der fürsorglich Pflegende: Sein Lebenskonzept ist das des Retters. Er hat die Neigung, Bedürftige anzuziehen, ist besorgt und emotional.

2. Der einfühlsam Pflegende: Er kann erahnen, was andere denken und fühlen, ist fähig, sein Mitgefühl ausdrücken.

3. Der selbstaufopfernd Pflegende: Er verfolgt das Konzept des Märtyrers, befriedigt vor allem die Bedürfnisse anderer und erträgt sehr hohe Arbeitsbelastungen.

Jede Pflege- und Betreuungskraft bringt also ihr eigenes Lebenskonzept mit in den Arbeitsalltag. Das hat für Sie und Ihre Arbeit Konsequenzen:

Wichtig für Ihre Entwicklungsarbeit ist, dass Sie sich Ihrer eigenen Lage/ Ihres Lebenskonzeptes bewusst werden.

Sie brauchen eine tolerante Haltung sich selbst gegenüber, Selbstliebe und Selbstpflege.

Sie sollten Ihre eigenen Bedürfnisse kennen. Wer sich nur aufopfert, verliert seine Lebenskraft. Hier hilft es, wenn Sie Ihre Bedürfnisse äußern und auch Hilfe holen.

Sie müssen realistisch bleiben. Ihre Arbeit in der Pflege und Betreuung ist herausfordernd. Sie brauchen Phasen der Regeneration.

Wenn Sie sich dann in die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz begeben, finden Sie jene sieben Zugangswege, um sich in die Person mit Demenz einzufühlen können, von denen Kitwood spricht:

Biografische Daten einholen, anfangs können Sie bei Menschen in der Frühdemenz noch viel von seiner Welt erfahren.

Durch ungeteiltes Zuhören aus Geschichten der Kindheit oder Jugendjahren erfahren Sie auch viel von den Ängsten und Sorgen des Betroffenen.

Aufmerksames Zuhören in alltäglichen Situationen, Erleben verrät Ihnen in Metaphern viel über den Menschen.

Beobachten Sie das Verhalten gut, die meisten Verhaltensweisen und Handlungen lassen sich interpretieren.

Nutzen Sie Ihre Kreativität und Fantasie, um das Erleben von Demenz ansatzweise zu verstehen.

Bei Rollenspielen können Sie versuchen, sich in die Lage des Menschen mit Demenz hineinzuversetzen.

Je genauer Sie hinschauen, hinhören und mit allen Sinnen die Ihnen anvertrauten Menschen erspüren, umso schneller werden Sie die sechs Bedürfnisse nach Kitwood bei Menschen mit Demenz feststellen:

1. Liebe: Ein emotionales, bedingungsloses Geben. Menschen mit Demenz bringen ihre Gefühle offen und ehrlich hervor.

2. Trost: Aufgrund vielfältiger Verluste im Leben ist der Wunsch nach Trost bei Menschen mit Demenz besonders stark ausgeprägt.

3. Bindung: Der Wunsch ist bei zunehmendem Vergessen immer wichtiger. Bezugspersonen geben Halt.

4. Einbeziehung: Jeder Mensch fühlt sich in seiner Gruppe, in der er Wertschätzung erfährt, wohl, sie gibt ihm Sicherheit.

5. Beschäftigung: Durch die Biografie bekannte Vorlieben lassen das Selbstwertgefühl wachsen, das Gefühl »ich kann noch etwas« erfüllt mit Stolz.

6. Identität: Das ist die Lebensgeschichte, der rote Faden, wer war ich, wird dieses Erinnern brüchig, brauche ich Hilfs-Ichs die meine Lebensgeschichte kennen und diese im Alltag aufrechterhalten. Zitat Ende.

Kitwoods Blickrichtung zielt auf das Wohlbefinden und eine gelungene Beziehung zum Betroffenen, bei dem das Ergebnis auf Pflegende, Betreuende und Menschen mit Demenz positiv wirkt. In dieser aufmerksamen, wertfreien Begegnung können Pflege- und Betreuungskräfte den Menschen mit Demenz mit all ihren Facetten wahrnehmen. Diese Begegnungen sind neu, schön und ehrlich, vermitteln eine andere Sichtweise. Sie folgen damit den Forderungen Kitwoods:

Jeder Mensch bedarf der Anerkennung seines Wertes. Mit Respekt wird seine Würde gewahrt.

Jeder Mensch möchte tätig sein und braucht dafür individuelle Angebote.

Jeder Mensch möchte mit anderen in Kontakt treten und seine Kompetenzen werden je nach Möglichkeit gefördert.

Jeder Mensch braucht Hoffnung und Vertrauen. Alle Interaktionen müssen behutsam und fachgerecht ausgewählt werden.

2.2.3 Person-zentrierte Haltung

Als Pflege- und Betreuungskraft nehmen Sie dann eine person-zentrierte Haltung ein, wenn Sie den Menschen mit Demenz – trotz aller Defizite – als Person sehen und wahrnehmen, mit allem Respekt für seine Einzigartigkeit. So fördern Sie die Aufrechterhaltung seiner Persönlichkeit. Die betroffene Person erlebt ihr Umfeld vertraut, das alltägliche, empathische Miteinander von Pflege, Betreuung, Angehörigen usw. wirkt sich positiv auf sie aus. Dadurch kommt es ganz allgemein zu weniger Abwehr, weniger Medikamenteneinsatz, weniger Angst – und einem deutlichen Mehr an Vertrauen und ein Gefühl des Angenommenseins.

2.2.4 Die zwölf Aktivitäten nach Kitwood

In vielen Häusern ist der Tagesablauf für Menschen mit Demenz noch vom »Warten« geprägt. Für Menschen mit Demenz, die auf Impulse von außen angewiesen sind, um vergnügt aktiv zu werden, müssen Pflege- und Betreuungskräfte auf alle Möglichkeiten zugreifen, die es gibt. Neben den Aspekten der Lebensweltorientierung (image Kap. 5.1.3) sollten die zwölf Aktivitäten nach Kitwood beherrscht und gelebt werden sowie im Alltag immer mit einfließen.

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1. Anerkennen der Person

2. Verhandeln oder aushandeln

3. Zusammenarbeiten

4. Spielen

5. Timalation

6. Feiern

7. Entspannen

8. Validation

9. Halten

10. Erleichtern

11. Interaktion und Symbole

12. Geben

Anerkennen der Person

Jeder Mensch ist einzigartig und braucht Anerkennung. Dies gilt auch für die Realität oder die Wahrnehmung, in der sich der Mensch gerade befindet. Die Anforderung an Sie heißt: Sie lassen diese Wahrnehmungen gelten. Anerkennen der Person findet auf allen drei Ebenen der Kommunikation statt: verbal/sprachlich, nonverbal/körpersprachlich, paraverbal/sprachmelodisch.

Anerkennen heißt: Sie alle – Pflege-, Betreuungskräfte und Angehörige – sind empathisch im Alltagsgeschehen. Sie wissen um Bedeutung des Blickkontaktes. Sie hören freundlich zu, Ihnen ist bewusst, dass die Person mit Demenz Ihre innere Haltung erspürt. Gefühle werden nicht dement.

Verhandeln oder aushandeln

Der Wille des Menschen mit Demenz ist täglich neu zu respektieren, solange er sich verbal oder nonverbal ausdrücken kann. Die tägliche Interaktion beginnt früh mit dem Wunsch danach, wann er aufstehen möchte, was er essen möchte, wann er zu Bett gehen möchte, die Art und Weise, wie er sich beschäftigen oder nicht beschäftigen möchte.

Zusammenarbeiten

Sie unterstützen den Bewohner wohlwollend, geben sanfte Anleitung und zwängen ihn nicht in die Tagesschemata der Einrichtung. Je nach Fähigkeiten und Neigungen wird die Zusammenarbeit zu Beginn einer Demenz anders sein als in der mittleren und Spätphase.

Spielen

Als Pflegekraft sind Sie es gewohnt, Ihre Arbeit am Bewohner zu verrichten (Grundpflege, Nahrungsdarreichung, Toilettengänge, etc.). Hier ist ein Umdenken nötig! Pflegekräfte dürfen auch in Ruhe bei einem Bewohner sitzen! Ob Sie dabei etwas sagen oder einfach den Körperkontakt aufnehmen, ist egal. Kurze Aktionen, wie das Werfen eines Luftballons werfen oder das Zuprosten, nehmen dem Alltag die Gehetztheit.

Gesellschaftsspiele, die anfangs noch möglich sind, sollten, sobald eine Überforderung sichtbar wird, durch angemessene Angebote ersetzt werden (image Kap. 5.4). Die Freude am Spielen wird oft nonverbal ausgedrückt. Im späten Stadium einer Demenz wird bei Frauen das Spielen mit Nahrung oft beschrieben. Neutral betrachtet kann es eine sinnliche Erfahrung sein. Die Toleranz der Pflege und Betreuung muss vorhanden sein. Der Ausspruch »mit Essen spielt man nicht« wird Kindern eingeprägt. Verschwinden die Kontrollmechanismen, stellt das Befühlen von Nahrung kein Tabu mehr dar.

Timalation

Das Wort »Timalation« kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie »Ich ehre Dich«. Über sensorische Reize, bekannt auch aus der »Basalen Stimulation®«, können Sie damit alle Sinne einen Menschen gut erreichen. Sinnvoll ist diese Art der Kontaktaufnahme z. B. bei Menschen mit starken Wortfindungsstörungen. Bei allen Anwendungen, z. B. sanftes Ausstreichen am Körper, Kontakt mit taktilen Reizen, Streicheln eines Hundes, Riechen an bekannten Düften, Baden im Vollbad, entspanntes Liegen auf einer Vibrationsliege, wird Entspannung ausgelöst (image Kap. 5.5).

Feste und Feiern

Feste und Feiern sind Ausdruck unserer Kultur. Das ist für Menschen in der letzten Lebensphase nicht anders. Feste zu feiern stärkt ihre kulturelle Identität und damit auch das Selbstwertgefühl der Bewohner und Gäste in Seniorenheimen.

Feste haben vielschichtige Bedeutungen für alle Menschen, also auch für Senioren. Feste dienen der Erholung, geben Sicherheit und Ablenkung, stimmen fröhlich, erhalten soziale Kontakte, heben das Wohlbefinden, fördern die Zugehörigkeit und Vertrautheit, vermitteln sinnlichen Genuss und Freude über Tage hinweg!

Person-zentriert (im Sinne Kitwoods) bedeutet hier ein passendes Angebot zu finden, das Wünsche und Bedürfnisse erfüllt. Große Feste sollten für die Personen veranstaltet werden, die es genießen können. Eine Festveranstaltung für alle, sei sie auch noch so gut gemeint, kann bei Menschen mit Demenz im fortgeschrittenen Stadium das Gegenteil von Wohlfühlen bewirken.

Menschen mit fortgeschrittener Demenz feiern gern in einer passenden Umgebung mit einer ruhigen Atmosphäre mit weniger Reizen. Mit Angehörigen, Torte und dem wohldosierten Einsatz von Musik (image Kap. 3.9 image Kap. 5.6.1) umgesetzt, kann ein kleines Fest sehr wohltuend sein.

Entspannen

Menschen mit Demenz sind nach Aktivitäten häufig schneller müde. Entspannen sollte daher zum Tagesablauf gehören. Bei einer gelungenen Milieugestaltung wird der Bewohner z. B. sein Sofa genießen. Langsame, angepasste Handlungen tragen ebenfalls zur Entspannung bei (image Kap. 5.1.3).

Validation

Validation bedeutet so viel, wie das Gesagte für gültig erklären, weder werten noch überreden. Es geht darum, das Lebensthema eines Menschen mit Demenz zu kennen und freundlich und zugewandt sein (image Kap. 2.5).

Halten

Oft haben Menschen mit Demenz den Wunsch, umarmt zu werden. Es gehört zu Ihrer Professionalität als Pflege- oder Betreuungskraft, diesen Wunsch zu erkennen und zu gewähren. Die Arbeit im Schutzraum einer Demenzabteilung erfordert von Ihnen, neben Fachwissen, auch Energie und Kraft. Halten ist auch Aushalten einer Situation, die nicht in die Norm passt. Dazu gehört es auch, dass Sie Angst und Wut aushalten und ruhig reagieren.

Erleichtern

Bei allen Verlusten, die bei einer Demenzerkrankung entstehen, können Sie den Menschen mit Demenz bei allen Handlungen helfen, die er vermutlich anstrebt. So vermitteln Sie Lebensqualität.

Und das ist Ihr Aufgabenportfolio: Informationen für die pflegebedürftige Person, die Angehörigen und Bezugspersonen über die demenzielle Erkrankung, die Ausprägung und die schwankenden Verläufe der Erkrankung. Informationen über mögliche beziehungsfördernde Unterstützungsmaßnahmen.

Allen Mitarbeitern muss bewusst sein, dass Menschen mit Demenz ein »Hilfs-Ich« annehmen. Pflegende, Angehörige können z. B. durch ein Fußbad Erleichterung schaffen.

Interaktion und Symbole

Eine stets gleiche Tagesstruktur und Rituale wirken sich sehr positiv auf Menschen mit Demenz aus. Für diese Gleichförmigkeit, gerade bei den Angeboten der Aktivierung (Singen, Bewegung, Redewendungen), müssen Sie als Pflege- und Betreuungskräfte ihr Fachwissen umsetzen. »Abstrakte Übungen« sind kontraindiziert. Stattdessen gibt es ein geschultes Team und Standards für alle Gruppen Das Team ist geschult, es gibt Standards zu allen Gruppen (image Kap. 5).

Geben

Wenn wir mit etwas zufrieden sind, bedanken wir uns oder überreichen kleine Geschenke. Genauso empfinden Menschen mit Demenz. Ob es ein Bonbon oder ein Stück Schokolade ist: Geben ist ihnen ein Bedürfnis. Als kompetente Pflege- oder Betreuungskraft kennen Sie diesen Sachverhalt und nehmen die Gabe freundlich dankend an.

2.3Wohlbefinden erkennen

Beim Wohlbefinden spielen vielfältige Faktoren eine Rolle. Das körperliche Wohlbefinden entsteht, wenn z. B. keine Schmerzen, Durst, Hunger, Obstipation, Infekte oder Nebenwirkungen von Medikamenten störend wirken. Psychisches Wohlbefinden entsteht etwa, wenn Menschen mit ihrer Umgebung im Einklang leben, Wertschätzung erfahren. Die Art und Weise, wie Mitarbeiter mit Bewohnern umgehen, wirkt sich ebenfalls auf das Wohlbefinden aus. Ein ruhiger, freundlicher Umgangston wirkt positiv auf die Bewohner. Ein stabiles, wohlwollendes Umfeld vermittelt Sicherheit.

Wohlbefinden hängt auch von äußeren Faktoren wie der Milieugestaltung (image Kap. 5.1.3) ab. Menschen mit fortgeschrittener Demenz reagieren auf fremde Umgebungen eher ängstlich. Ist es im Wohnraum zu laut, bemerken Sie dies sofort an den Reaktionen des Betroffenen.

2.3.1 Dementia Care mapping (DCM)13

Dementia care mapping (DCM) wurde von Tom Kitwood und Kathleen Bredin entwickelt. DCM dient als Evaluations- und Beobachtungsverfahren, das die person-zentrierte Pflege (und Betreuung) bei Menschen, die an Demenz erkrankt sind, verbessert. DCM soll als Instrument helfen, sich in den Menschen mit Demenz hineinzuversetzen. DCM ist geeignet, um die Teamentwicklung zu fördern, eine person-zentrierte Haltung einzunehmen. Daraus entwickelt sich für Menschen mit Demenz eine Lebensqualität. Die Mitarbeiter erfahren eine große Zufriedenheit und Sicherheit im Arbeitsbereich. Die Vorgehensweise bei DCM ist schnell erklärt: Bis zu acht Personen werden über mindestens sechs Stunden pro Evaluationseinheit beobachtet. Alle fünf Minuten erfolgt zu jeder Person eine Beobachtung hinsichtlich einer von 23 bestimmten Verhaltensweisen, z. B.:

»Hat Spaß und Muße.«

»Ist tätig, arbeitet.«

»Ist dabei und schaut zu.«

»Trinkt oder isst.«

»Zeigt Freude und Vergnügen.«

»Findet etwas spaßig.«

»Teilt sich mit, auch nonverbal.«

»Ist anschmiegsam.«

»Ist ablehnend.«

»Ist traurig.«

»Zeigt Stolz auf eigene Handlung.«

»Ist wach und beobachtet.«

»Ist entspannt und genießt.«

»Geht oder steht ohne Hilfe.«

Aus all diesen Daten wird erkennbar, wie ereignisreich oder ereignisarm der Tag war. Jeder Verhaltensweise wird ein Wert beigemessen, der sich aus affektbezogener Befindlichkeit und aus dem Kontakt, dem Anteilnehmen, ergibt. Die Punktezahl der Person wird aufgeschrieben. So zeigt sich, welcher Kontakt entstand, welche Tätigkeiten interessant waren, ob sich die Person zurückzog und wie die Person gewirkt hat (traurig, heiter).

Zu beachten ist grundsätzlich:

Alle erkennbaren Handlungen des Menschen mit Demenz haben einen Sinn und Zweck.

Die Pflege- oder Betreuungskraft muss den Wechsel zwischen Arbeit (aktiv) und Beobachten (passiv) erkennen.

Um die Zuverlässigkeit der Aussagen zu gewährleisten, werden die sog. Mapper (Beobachter) durch Regeln und Disziplin zur Objektivität geschult.

Der Mapper steht dem Team loyal und wertschätzend gegenüber, wenn er seine gesammelten Daten übergibt. Grundkenntnisse in Gruppendynamik sind vorhanden, der Mapper kann ein Gespräch moderieren.

Dem Beobachteten gegenüber hat der Mapper eine empathische Grundhaltung.

2.3.2 Heidelberger Instrument zur Erfassung von Lebensqualität bei Menschen mit Demenz (H.I.L.D.E.)

H.I.L.D.E. wurde am Heidelberger Institut für Gerontologie aus einem Forschungsauftrag für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entwickelt. Das Ziel war die Entwicklung eines praxistauglichen Instruments zur Erfassung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz in der stationären Altenpflege. Die Forscher gingen davon aus, »dass vielfach die kognitiven, alltagspraktischen und psychischen Ressourcen demenzkranker Menschen unterschätzt werden. … Dagegen zeigen neuere Forschungsarbeiten, dass Demenzkranke auch im fortgeschrittenen Stadium in der Lage sind, emotional differenziert auf Situationen zu reagieren.«14

Im Projekt wurden fünf zentrale Dimensionen15 identifiziert, die das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz ausmachen:

1. Wird auf Botschaften geantwortet? (Kommunikation)

2. Wie können und werden Traurigkeit, Ärger, Angst ausgedrückt? (negative Affekte)

3. Sucht der Betroffene Nähe und meidet er sie? (Körperkontakt)

4. Wie wird Wut, Ärger ausgedrückt? – Wird das zugelassen? (Aggression)

5. Wie weit kann sich der Betroffene frei bewegen und darf das auch? (Mobilität)

Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit elf Pflegeeinrichtungen verschiedener Trägerschaften durchgeführt. Zur Anwendung kam dabei ein Instrument, das die Pflegenden (die selbstverständlich geschult wurden) in die Lage versetzte, jeden Bewohner zu beurteilen (z. B. hinsichtlich seiner Erkrankung, evtl. Schmerzen, subjektivem Befinden/emotionalen Erleben etc.).

Am Projektende stand H.I.L.D.E. mit insgesamt sechs inhaltlichen Bereichen:

1. Kompetenzgruppeneinschätzung

2. Schmerzerleben und medizinische Versorgung

3. Objektive und subjektive Umwelt

4. Aktivitäten

5. Soziales Bezugssystem

6. Emotionalität16

»Das HILDE-Instrument liegt zurzeit in einer an den Ergebnissen der Praxisevaluation optimierten Version vor. Diese hat gezeigt, dass das Instrument gut in die alltägliche Pflegepraxis integrierbar ist und sich der mit durchschnittlich ca. 1,5 Stunden nicht unerhebliche Aufwand sowohl für die Bewohner als auch die beteiligten Pflegenden lohnt.«17

2.3.3 Assessment Lebensqualität und Wohlbefinden (ALeWo)

Das Assessmentinstrument ALeWO für Pflege- und Betreuungskräfte hilft, »das Wohlbefinden des einzelnen Kunden zielgerichtet zu erkennen.«18 »Wohlbefinden« wird dabei verstanden als subjektiv. Es »umfasst sowohl kognitive als auch emotionale Aspekte. … Für Pflegende und Betreuende bedeutet das, dass sie genau beobachten müssen, was Betroffene äußern bzw. durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringen.«19

Für ALeWo wurde ein Formular zum Erfassen von Wohlbefinden entworfen. Ein Formular, das alle Pflege- und Betreuungskräfte einsetzen können. »Das Wohlbefinden der Demenzbetroffenen muss von der Pflegefachkraft bis hin zur der gering qualifizierten Betreuungskraft ermittelt werden können – das macht ALeWo möglich.«20

Die Aufgabe der Pflege und Betreuung (im stationären wie im ambulanten Setting) ist die genaue Beobachtung des Bewohners, sein Verhalten im Tagesablauf in verschiedenen Situationen. Die Beobachtenden werden vor dem Einsatz geschult, um ein genaues wertfreies Beobachten zu ermöglichen. Eigene Empfindungen und Interpretationen von Verhaltensweisen der Bewohner dürfen nicht mit in die Beobachtungen mit einfließen, um das Ergebnis nicht zu verfälschen. Sinnvoll ist zu Beginn der Implementierung die Befragung aller Mitarbeiter zum Thema Lebensqualität, dieses ist die Basis für die Erarbeitung der Formulare. Durch Einbeziehen und Schulungen gelingt die Umsetzung besser, die Mitarbeiter haben einen Bezug zur Arbeit.

»Der Nutzen von ALeWo lässt sich auf drei Ebenen fixieren:

1. Die Auswertung des ALeWo geht bestenfalls für den einzelnen Kunden mit einer Verbesserung seines Wohlbefindens einher.

2. Die MDK-Prüfkriterien werden mit einem geringeren Aufwand erfüllt, als es mit anderen Assessments der Fall ist. Somit kann mit dieser fachkompetenten Arbeit eine gute MDK-Note erzielt werden.

3. Über die Auswertung im Qualitätsmanagement kann es zu einer weiteren Steigerung der Lebensqualität der Kunden kommen. Dafür müssen die Ergebnisse zu Veränderungen auf der Strukturebene führen.«21

Beispiel Das richtige Zimmer für Frau X.

Beim Einzug in das Pflegeheim bekam Frau X. ein Zimmer zur Straße. Dass ihr das nicht gefiel, blieb zunächst unerkannt, denn verbal konnte sich Frau X. nicht mehr gut äußern. Aber eine Betreuungskraft entdeckte zufällig, dass Frau X. gern an einem Fenster zur Hofseite stand. Dort hörte Frau X. Gänse schnattern, Ziegen meckern und Hühner gackern. Ihre gesamte Körperhaltung entspannte sich, Frau X. lächelte. Hier war sie zu Hause, hier entspannte sie sich. Im Team wurde das Thema besprochen und der Umzug wurde durchgeführt.

2.4Die Kontaktaufnahme mit Menschen mit Demenz

Bei allen Kontaktaufnahmen sollten Pflege- und Betreuungskräfte ihr Gegenüber freundlich ansehen. Hilfsmittel wie Hörgeräte, Brillen, Prothesen etc., werden benutzt, solange sie akzeptiert werden. Weiterhin ist darauf zu achten, dass die Reize der Umgebung minimiert sind. Ein plärrender Fernseher oder das dudelnde Radio mit moderner Musik verunsichern viele Menschen mit Demenz.

Neben den Besonderheiten der Kommunikation aus Sicht der Betroffenen ist es wichtig, dass auch die Pflege- und Betreuungskräfte angemessen mit dem Betroffenen kommunizieren. Gut gemeinte Ratschläge wie »Jetzt streng dich doch an«, sollten unterlassen werden – der Betroffene bemüht sich meist ohnehin, sein Bestes zu geben. Sinnvoller ist es stattdessen, beruhigend auf ihn einzuwirken.

Druck erzeugt Gegendruck! Je mehr Maßregelungen, Korrekturen, offene, laute Kritik auf Menschen mit Demenz ausgeübt werden, desto mehr reagiert er mit Gegenwehr. Er kann sich nicht anders helfen, dies ist bitte immer zu bedenken! Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, Geduld zu haben. Fragen Sie ihm Gespräch nach, suchen Sie nach möglichst klaren Formulierungen und warten Sie auch mal einfach ab.

2.4.1 Die Kommunikation mit Menschen mit Demenz

Im Verlauf der demenziellen Erkrankung tritt ein zunehmender Verlust bisher gewohnter kommunikativer Fähigkeiten ein. In den Phasen der Demenzerkrankung bedeutet dies:

Zunächst vereinzelte, später häufige Wortfindungsschwierigkeiten, die die Fähigkeit zu formulieren mindern und damit das Ausdrucks- und Argumentationsvermögen beeinträchtigen,

Verminderung der Fähigkeit zur Herstellung logischer Zusammenhänge,

zunehmender Verlust von Kontrollmechanismen und in der Folge Neigung zu Kraftausdrücken,

Verlust des Vermögens, ganze Sätze sinnvoll zu bilden,

am Ende völliger Sprachverlust.

2.4.2 Wichtige Merkmale der Kommunikation mit Menschen mit Demenz

Sprachlicher Umgang

Anstreben eines funktionierenden Austausches,

Gute Verständlichkeit durch

langsames Sprechen und

ausreichende Lautstärke.

Bilden kurzer Sätze,

Verwenden von konkreten Begriffen, genaues Benennen von Personen und Dingen, Vermeiden von Pronomen wie »er, sie ,es, wir, ihr, sie«

dem Erkrankten Zeit zum Verstehen einräumen,

Überprüfen des Verständnisses beim Erkrankten,

Bereitschaft zum (mehrmaligem) Wiederholen des Gesagten,

Eingehen auf Äußerungen des Erkrankten und Hilfen bei der Formulierung,

Widersprüche in den Aussagen des Betroffenen möglichst übergehen,

Ernstnehmen von subjektiver Wortbedeutungsverwendung,

Themenwechsel mit langsamem Übergang vollziehen.

Außerdem ist zur Förderung der Konzentration der Betroffenen zu beachten:

Vermeidung von akustischen Störquellen, z. B. andere Gespräche im Raum (TV, Radio, sonstige Geräuschquellen).

Vermeidung von optischen Ablenkungsquellen, z. B. sich bewegende Personen, Tiere oder Fahrzeuge.

2.4.3 Nichtsprachlicher Umgang

Unterstützung des Austausches durch nonverbale Elemente, z. B. bei Ansprache, Berührung und Blickkontakt,

Erreichen des Kranken auf möglichst vielen sensorischen Ebenen (akustisch, optisch, taktil),

Ermöglichen angenehmer Sinneserfahrungen, z. B. Duft, Helligkeit, Wärme,

Bedachtsamkeit im körperlichen Umgang (vorsichtige Berührung mit langsamem Verstärken),

Angenehme, lebendige und fürsorgliche Gesprächsatmosphäre durch

beruhigendes Sprechen,

Sprechposition auf gleicher Augenhöhe,

Augenkontakt,

zugewandte Haltung und Gestik,

freundliche Mimik,

Bereitschaft zum Herstellen der Gemeinsamkeit, z. B. gemeinsame Heiterkeit, Lachen.

2.5Die Integrative Validation nach Richard® (IVA)

Die integrative Validation® (IVA) nach Nicole Richard22 steht auf vier Säulen23:

1. Wertschätzende Grundhaltung

2. Unterstützung der Wahrnehmungskompetenz der Pflegenden

3. Umgangs- und Kommunikationsweise

4. Verflechtung der IVA mit Disziplinen und Themenbereichen wie z. B. Hospiz- und Biografiearbeit, Körpersprache, Milieutherapie, Basale Stimulation® etc.

Dahinter steht ein Verständnis der Demenzerkrankung, dass geprägt ist vom Verlust des Bezugs zur Gegenwart, der fragmentierten Erinnerung an die Vergangenheit, aber dem Erhalt von Gefühlen und Antrieben als wesentlichen Ressourcen des Menschen. Die Integrative Validation nach Richard® ist eine Weiterentwicklung der Validation nach Feil. »Den Menschen soll das Gefühl vermittelt werden, dass ihre Gefühle wahrgenommen und angenommen werden, dass ihre persönlichen und lebenstragenden Antriebe akzeptiert werden und nach wie vor Gültigkeit besitzen.«24

Eine Demenz bedeutet eine zum Teil dramatische Veränderungen des Charakters eines Menschen, die in der Begegnung augenfällig werden und die auch nicht verharmlost, beschönigt oder ins Positive gewendet werden können. Eine Demenz ist auf der klinischen Ebene charakterisiert durch Verluste, durch Störung des Gedächtnisses, des Denkens, der Sprache oder des Urteilsvermögens.

Hinzu kommen Veränderungen bzw. Einschränkungen der emotionalen Kontrolle, der Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung und der sozialen Fertigkeiten. Aus diesen Veränderungen erfolgen viele der Schwierigkeiten, die Angehörige, Pflege- und Betreuungskräfte im Umgang mit den Betroffenen haben können.

Die bei Feil wichtige Frage nach den unerledigten Lebensaufgaben hat bei Richard jedoch keine zentrale Bedeutung. Bestandteile der IVA sind auch bereits vorher entwickelte Konzepte im Umgang mit verwirrten Personen wie der person-zentrierte Ansatz nach Kitwood, das Konzept der emotionalen Bindungssicherheit nach Bowlby etc.

Im Mittelpunkt der integrativen Validation nach Richard® (IVA) steht die Beziehung zwischen der pflegenden/betreuenden Person und dem Menschen mit Demenz. Hierbei werden die subjektive Erlebenswelt und die Gefühle des Betroffenen als valide, als gültig anerkannt und nicht infrage gestellt, wenn sie für die Pflegenden bzw. Betreuenden auch manchmal fremd und schwer verständlich erscheinen mögen.

Der erkrankte Mensch wird so angenommen, wie er ist, ihm wird Wertschätzung entgegengebracht, das Bemühen um Einfühlung und Verständnis steht im Vordergrund.

Im Mittelpunkt der IVA steht der Mensch mit seiner Würde, seinen Gefühlen, seiner Lebensgeschichte mit ihren wichtigen Aspekten und den daraus resultierenden Antrieben, seiner Sinnlichkeit und Wahrnehmungsfähigkeit.

Nur wenn es gelingt, den Menschen mit Demenz nicht (nur) durch den Filter seiner Erkrankung zu sehen, sondern seine (noch) vorhandenen Ressourcen wahrzunehmen und ein Verständnis für seine lebendige Innenwelt zu entwickeln, sein Verhalten zu verstehen und seine Gefühle nachzuempfinden, kann eine die Würde des Erkrankten wahrende, annehmende und partnerschaftliche Begegnung von Betreuungsperson und von Demenz betroffener Person gelingen.

Da der Mensch mit Demenz seine Fähigkeiten zur Kontaktaufnahme verändert bzw. verliert, er, wie Arno Geiger schreibt »nicht mehr über die Brücke in meine Welt gelangen kann«25, muss von der pflegenden bzw. betreuenden Person die notwendige und geeignete Brücke gebaut werden, um den betroffenen Menschen in seiner Identität anzusprechen.

Diese »Brücke« kann häufig und zunehmend nicht mehr auf verstandesmäßiger Basis errichtet werden, es kommt zur Überforderung (image Tab. 1). Stattdessen rückt die emotionale Bindung zwischen unterstützender und erkrankter Person ins Zentrum der Interaktion.

Tab. 1: Alltagsüberforderungen, die bei Demenz aufreten können

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2.6Herausforderndes Verhalten (HV) bei Menschen mit Demenz

Auch wenn im täglichen Umgang mit Menschen mit Demenz ein verständnisvolles und geduldiges Umgehen mit den Einschränkungen der Betroffenen gelingt, wird dies bei herausforderndem Verhalten der Betroffenen zunehmend schwierig. Hierzu zählen Aggressivität, ständiges Fragen, lautes Rufen, starke Unruhe wie auch Passivität und Zurückgezogenheit.

Herausforderndes Verhalten kann eine Reaktion sein auf eine nicht angemessene Kommunikation (z. B. Ausdruck von Zwang: »Sie müssen jetzt …«), auf eine belastende soziale Umgebung (Missachtung der Bedürfnisse durch andere Menschen, Einschränkung der Selbstbestimmung), auf eine unpassende räumliche Umgebung (Lärm, Einengung) sowie auf kognitive Überforderung.

Hier sollten Sie Ihren Blick ohne Wertung (»böse«, »aggressiv«, »nicht kooperativ«, »apathisch«) auf dieses Verhalten richten und versuchen, es aus der Sicht des Menschen mit Demenz nachzuvollziehen.

Dabei müssen Sie berücksichtigen, dass der Mensch mit Demenz durch sein Verhalten nicht mutwillig stört, sondern er den Eindruck hat, durch die Umgebung in seinem persönlichen Leben behindert zu werden und sich dagegen wehren zu müssen.

Wird das Verhalten, mit dem sich der Mensch mit Demenz ausdrücken kann und will, nicht verstanden, sondern zurückgewiesen und eingedämmt, so wird sich dieser Mensch als gescheitert und/oder als Person nicht angenommen, als zurückgewiesen empfinden.

2.6.1 Rahmenempfehlungen bei herausforderndem Verhalten26

Weil die Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz höchst komplex und anspruchsvoll ist, v. a. bei sog. »Verhaltensauffälligkeiten«, wurde sog. Rahmenempfehlungen erarbeitet, die schlussendlich konsentiert wurden.

1. Verstehende Diagnostik:

Bemühen um ein Verstehen des Verhaltens (NDB-Modell),

Regelmäßige Fallbesprechungen.

2. Assessmentinstrumente zur Erfassung des herausfordernden Verhaltens.

3. Validieren

Einfühlungsvermögen in die Situation des Betroffenen,

Akzeptanz der Demenz und der daraus entstehenden Lebensweise,

Orientierung an den Gefühlen und Beweggründen des Betroffenen.

4. Erinnerungspflege,

5. Berührung, Basale Stimulation® und Snoezelen,

6. Bewegungsförderung,

7. Pflegerisches Handeln in akuten psychiatrischen Krisen von Betroffenen.

Die Autorin versteht die Rahmenempfehlungen ausdrücklich nicht als konkrete Handlungsanweisungen oder überprüfbare Kriterien, sondern als »einen Rahmen, in dem das konkrete Handeln stattfinden soll.«27

2.7Den Kontakt herstellen

Um den Kontakt zu einem Menschen mit Demenz herzustellen, ist es die Art und Weise der Kontaktaufnahme entscheidet. Die Kommunikation ist dabei auf drei unterschiedlichen Ebenen herzustellen:

1. Verbal: Die sprachliche Ebene, die bewusst und vertraut ist.

2. Nonverbal: Über Körpersprache, Mimik, Gestik (»mit Händen und Füßen«)

3. Paraverbal: Über Betonung, Stimmmelodie, Unterton

Kommunikation, also die Kontaktaufnahme mit Menschen mit Demenz, ist dann stimmig und glaubhaft, wenn alle drei Ebenen übereinstimmen und die gleiche Aussage machen. Dies ist in der Begleitung von Menschen mit Demenz besonders wichtig, da diese Menschen spüren, wenn Aussagen nicht stimmig, nicht echt sind. Durch die besondere Form der Kommunikation in der Integrativen Validation nach Richard®

wird dem Menschen mit Demenz vermittelt, dass er in seiner Einzigartigkeit angenommen, verstanden und wertgeschätzt wird,

kann eine zuverlässige Beziehung hergestellt werden, die Kommunikation vermittelt Zugehörigkeit, der Mensch mit Demenz fühlt sich wahrgenommen und nicht alleingelassen,

wird die »brüchig« gewordene Identität des Menschen mit Demenz gestärkt, indem die aktuellen Gefühle und Antriebe angesprochen, benannt, bestätigt und für gültig erklärt werden, so dass der Mensch mit Demenz sich darin wiederfinden kann.28

2.8Die Lebensthemen erkennen und berücksichtigen

Lebensthemen sind Teil der Grund- und Leitidee eines Menschen. Sie geben dem Leben Sinn und beantworten grundlegende Fragen des Menschseins: Wer bin ich? Wie sah meine Vergangenheit aus? Welche Zukunft habe ich?

Lebensthemen zeigen sich in den persönlichen Wünschen, Bedürfnissen, Hoffnungen und Sorgen, sie sind der Stoff, aus dem die Persönlichkeit beschaffen ist. Lebensthemen sind in ihrer Bedeutung so wichtig für die menschliche Persönlichkeit, dass selbst der Einfluss einer demenziellen Erkrankung diesen roten Faden des Lebens nicht völlig zum Verschwinden bringen kann. Deshalb spielen Lebensthemen auch bei Menschen mit Demenz eine bedeutende Rolle, auch wenn sie nur noch in Fragmenten erkennbar sind.

Symptome einer Demenz wie Angst oder Aggressivität können vermindert werden, wenn der Mensch mit Demenz in einfühlsamer Weise mit seinen persönlichen Lebensthemen (image Tab. 2) angesprochen wird.

Das bedeutet für Sie als Pflege- oder Betreuungskraft: Stellen Sie bei massiven Wortfindungsstörungen keine Fragen mehr, sondern sprechen Sie konkret einzelne Themen an: »Sie sehen heute gut aus!« – »Sie sind heute wütend.« – »Sie haben eine schöne Wohnung.« – »Sie kennen sich mit Tieren aus« usw.

Tab. 2: Beispiele für Lebensthemen

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2.9Die Biografie als Schlüssel zur Person

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Bei der Biografiearbeit handelt es sich um eine strukturierte Methode, Lebensdaten einer Person zu erfahren. Die Biografie eines Menschen zeigt seine Lebensgeschichte. Jede Person entwickelt aufgrund ihrer persönlichen Lebenshintergründe seine ganz individuelle Eigenschaft und Eigenart, im Leben zu reagieren. Alle diese Erfahrungen sind eingeprägt und nicht mehr löschbar.

Gerade bei der Demenz vom Typ Alzheimer wird das »Zurückgehen im Leben« beschrieben. Da sind die Mütter, die nach Hause wollen, die Männer, die mit der Arbeit beginnen wollen, je nach Lebensgeschichte immer individuell. In den stationären Pflegeeinrichtungen finden sich zunehmend »Kriegskinder«. Sie, die als Kinder mit auf der Flucht waren, reagieren in einer Demenzerkrankung auf eine individuelle Not. »Nahrungsmittel suchen, viel essen, fleißig, brav und tüchtig sein« – das sind nur einige Anforderungen, die an Kriegskinder immer wieder gestellt wurden. Durch biografisches Arbeiten gelingt es Pflege- und Betreuungskräften, die Bedürfnisse einer solchen »Kriegskindes« zu erkennen, zu verstehen und entsprechend zu reagieren.

Aber auch ansonsten helfen biografische Kenntnisse, den Menschen mit Demenz Sicherheit zu geben und Erleichterung zu verschaffen. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Lebensqualität aus.

Bis zum Lebensende greifen biografische Daten einer Person. Selbst wenn eine Person völlig verstummt, wird sie auf die direkte Ansprache (evtl. mit ihrem Vornahmen) reagieren.

Doch nicht Erlebtes wird erinnert, auch Gegenstände haben Erinnerungswert und lösen häufig starke Gefühle aus. Umso wichtiger ist es, dass liebgewordene Erinnerungsstücke nicht mit dem Einzug in eine stationäre Einrichtung verlorengehen, sondern bewahrt werden. »Wir sollten den Verwandten klar machen, dass bei Übersiedlung in Altersheime oder bei allfälligen Entrümplungsaktionen durch die Jungen, alte Kästen, etc. möglichst mitgenommen beziehungsweise aufbewahrt werden sollten. Erstens besitzt das alte Zeug einen hohen Erinnerungswert, jedes Ding ist erfüllt mit dem Leben der Mutter bis an den Rand und kann so die Erinnerung besser aufleben lassen, als ein Bild der Mutter in der Schublade und zweitens hebt es das Selbstwertgefühl.«29

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Abb. 3: Frau U. hatte immer Hunde, die Freude in ihr Leben brachten.

Im Pflege- und Betreuungsalltag sind biografische Kenntnisse – auch Geschichtswissen – eine große Ressource bei Männern, die sich Geschichtsdaten sehr gut merken, um Gesprächsthemen aufzugreifen und Erinnerungsarbeit zu leisten (image Kap. 6.7).

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Die Bedeutung der Biografiearbeit muss allen Mitarbeitern aus Pflege und Betreuung bekannt sein. Die Informationssammlung ist von einer Fachkraft sensibel zu erfragen und unterliegt dem Datenschutz. Die Befragungen sollten in einem angenehmen Rahmen zugewandt und empathisch umgesetzt werden.

Prägenden Einfluss auf die Befindlichkeit eines Menschen hat immer seine Stellung in der Geschwisterkonstellation. Ein Einzelkind wird sich anders erleben als ein Kind unter vielen Geschwistern, ein Erstgeborenes hat oft weniger Schwierigkeiten, Verantwortung zu übernehmen, als ein drittes oder viertes Kind. Ein behütetes Nesthäkchen tut sich später leichter damit, Zuwendung anzunehmen, als sein älteres Geschwister.

Früher mussten Mädchen häufig ihre kleinen Geschwister hüten und dies hatte für viele Frauen bis in ihr Erwachsenenleben prägenden Einfluss. Viele alte Frauen erzählten in einer Befragung30, sie wollten nie viele Kinder haben, so wie sie das von Zuhause kannten, immer wurde Verzicht von ihnen verlangt. Einige alte Rotkreuz-Schwestern wählten ihren Beruf, um sich nicht mit Kindern und Haushalt herumplagen zu müssen. Bei Menschen mit Demenz muss Ihnen als Pflege- oder Betreuungskraft bewusst sein, wie Kindheit, Erwachsenenalter des Betroffenen verliefen. Alle markanten Lebensabschnitte sind wichtige Türöffner!

Hierzu einige Beispiele, die Ihnen ein wenig näherbringen, wie die heute alte Generation ihre Kindheit bzw. Jugend verbrachte.

Die Hygienevorstellungen älterer Menschen, die vor 50 oder 60 Jahren erworben wurden, weichen oft von unseren modernen Vorstellungen ab. Bis in die 1960er Jahre wurde in Familien lediglich am Sonnabend gebadet. Unter der Woche wusch man sich in der Küche. Regelmäßige Zahn- und Mundhygiene waren nicht verbreitet. Erst seit den 1960er Jahren kann man von einer Körper- und Pflegekultur sprechen. Die jetzige Generation der Heimbewohner hatte bis auf wenige Ausnahmen nicht viel Kontakt mit der Freikörperkultur. Kinder sahen ihre Eltern nie nackt, auch in den Massenmedien gab es selten Darstellungen von nackten Menschen.

In der Beziehung zwischen Mann und Frau hat sich in den letzten 50 Jahren ein starker Wandel vollzogen. Heute hochbetagte Ehefrauen lebten früher überwiegend ein anderes Rollenbild, das wir heute als Frauen nur noch schwer nachvollziehen können. Durch viele Schwangerschaften und Geburten mussten Frauen oft mit Entbehrungen leben. Sie ordneten sich ihren Männern unter, lebten als Hausfrau und Mutter in einem engen Rahmen. Ein eigener Beruf war eher die Ausnahme als die Regel. Dieses Rollenbild ist fest eingeprägt. Bei fortschreitender Demenz wollen diese Frauen zu ihren Kindern und diese versorgen.

Bei Männern betrifft dies häufig ihre Rolle als Ernährer der Familie, die Tätigkeit in der Arbeitswelt, während der häusliche Bereich einschließlich der Kindererziehung meist zum überwiegenden Teil Aufgabe der Frau war.

Partnerwahl und Eheleben unterlagen bis in die 1950er Jahre strengeren Regeln als heute. Sexualität war meist ein tabuisierter und damit geheimnisvoller, angst- und schambesetzter Bereich. Aufklärung über die männliche und weibliche Sexualität und die damit verbundenen Körperfunktionen gab es kaum.

Haushalt und Mode waren im Leben der Frauen zentrale Punkte. Die Gründung eines eigenen Haustandes stand ganz oben auf der Liste. Mit der Hochzeit wurde eine Wohnung bezogen und die Frauen übernahmen die Verantwortung für die Familie. Schaut man 70 Jahre zurück, werden Sie als Pflege- und Betreuungskraft sicherlich verstehen, warum ein alter Mensch auf keinen Fall Brot wegwirft. Die heute 80- bis 85-Jährigen litten – in der Kriegs- und Nachkriegszeit – oft unter Hunger. »Carepakete haben mit das Leben gerettet« – diesen Satz werden Sie bei biografischen Gesprächen wahrscheinlich häufiger hören.

Überhaupt war die Ernährung vor 60 oder 70 Jahren eine völlig andere als heute. Es wurde vielleicht noch selbst geschlachtet. Gekocht wurde nach Rezept oder unter Anleitung der Großmutter oder (Schwieger-)mutter. Töchter aus gut situierten Familien besuchten Haushaltsschulen und erhielten alles, was sie für das Führen eines Haushaltes brauchten. Es gab keine Tiefkühlkost, alle Reste wurden verwertet, Kuchenteig wurde mit der Hand gerührt, auf dem Land buken die Bauersfrauen noch bis 1960 ihr eigenes Brot.

Es gab weder Waschmaschine noch Spülmaschine. Teppiche wurden auf der Stange ausgeklopft statt gesaugt. Der Garten war keine »Freizeitoase«, sondern diente dem Anbau von Gemüse und Anbau. Hühner oder gar ein eigenes Schwein wurden im Stall direkt am Haus gehalten.

Viele ältere Frauen erzählen von ihren schönen Kleidern, die sie auf der Flucht zurücklassen mussten oder vom Kleid aus Fallschirmseide, weil es nach dem Krieg keine Stoffe gab. Kleidung wurde vererbt, geflickt und aufgetragen.

Die Jahreszeiten strukturieren selbst heute noch unser Jahr, trotz Klimawandel sind sie deutlich spürbar. Gehen wir einige Jahre zurück, dann lag im Winter noch Schnee und es wurde anders gegessen: Kohl, Fleisch und Kartoffeln – was der Vorratskeller hergab (und was während des übrigen Jahres mühevoll angebaut, verarbeitet und eingelagert wurde). Im Herbst und Winter wurden Handarbeiten hergestellt, man hatte Zeit die Verwandtschaft zu besuchen. An die Festtagsessen in ihren Familien können sich Menschen mit Demenz noch gut erinnern. Das Essen im Frühjahr mit den ersten frischen Salaten, die beginnende Gartenarbeit ist vielen heutigen Bewohnern in Erinnerung.

Der Sommer war für viele Menschen die Erntezeit und später, ab den 1960er Jahren auch die Urlaubszeit. Beliebtes Reiseziel war Italien. Mit dem »Käfer« ging es über den Brenner, Spaghetti und Pizza galten als sehr exotisch.

Im Herbst begann in den Städten die Theatersaison, auch an diese Erlebnisse erinnern sich gut situierte Damen oft noch sehr gut.

Musik und Lieder werden im Kindesalter gelernt und sind lange abrufbar. Diese Vorlieben in der Musik sind den Angehörigen von Menschen mit Demenz oft gut bekannt. Falls keine Auskunft möglich ist, sollten Sie die Reaktionen der Bewohner beachten. Singen oder schunkeln sie mit, können Sie davon ausgehen, dass die Lieder und die Musik bekannt sind und gute Erinnerungen auslösen.

Musik ist in der Demenzbetreuung ein fördernder, tröstender und aktivierender Bereich. Sie

erleichtert die Kontaktaufnahme zum Menschen mit Demenz,

erschließt die Gefühlswelt positiv,

kann unruhige Erkrankte beruhigen,

kann heiter und fröhlich stimmen,

wirkt sich positiv auf den Kreislauf, den Puls aus,

vermittelt in der Gruppe das Gefühl der Geborgenheit, Schutz und Freude in der Gemeinschaft.31

2.10Die Verstehenshypothese

Ein angemessener, wertschätzender Umgang mit Menschen mit Demenz wird nur möglich, wenn Sie als Pflege- oder Betreuungskraft versuchen, das Verhalten einer Person zu verstehen. Erst so wird seine innere Motivation erklärbar. Um den Bedarf an Unterstützung und die Gestaltung der Beziehung angemessen zu gestalten, sollten Sie folgende Fragen stellen:

Kenne ich die Biografie des Bewohners?

Kenne ich seine Antriebe aus seinen Lebensthemen?

Was will der Mensch mit Demenz durch bestimmte Handlungen vermitteln?

Wie reagiert diese Person auf andere Menschen?

Wie könnte er sich selbst erleben?

Was wird mit einem bestimmten Verhalten kompensiert?

Gab es Copingstrategien32, die im Leben des Menschen mit Demenz erfolgreich waren?33

Durch die Einbeziehung der Betroffenen und der Angehörigen wird auf der Grundlage einer Verstehenshypothese (= Zusammenführung und Reflexion, Information und Beobachtung aus Sicht der Pflege, Betreuung und Angehöriger) eine angepasste individuelle beziehungsfördernde und gestaltende Maßnahmenplanung für den Tagesablauf erstellt. Bei den zu planenden Maßnahmen geht es mehr um das Wie als um das Was.

Definition Verstehenshypothese

Eine Verstehenshypothese »beruht auf der Entwicklung einer Hypothese [einer Annahme] über Erleben, Sinngebung und Verhaltensweisen des Menschen mit Demenz.«

* DNQP 2018, S. 29

Das Ziel der Verstehenshypothese ist es, den inneren Antrieb einer Person zu erkunden und die Frage zu klären, welche Problemlösung der Bewohner mit einem Verhalten erreichen will. Ist das Team nach Schulungen und regelmäßigen Besprechungen in der Lage, Verhalten individuell zu deuten, fallen vorgefertigte Meinungen weg (»Das macht Herr Maier immer so«). Verhaltensweisen werden differenzierter gesehen, nicht persönlich genommen oder auf sich bezogen (»Herr M. will mich ärgern«). Im täglichen Umgang entsteht eine entspanntere Atmosphäre.

Beispiele

Verstehenshypothese »Der Alltag von Frau Z.«

Frau Z. ist hochgebildet, eine »feine« Frau. Nach einem Sturz kam sie in eine Kurzzeitpflege, wo sie laut ihrem Betreuer tagsüber mit allen anderen Bewohnern am Tisch saß. Das war Frau Z. jedoch sehr unangenehm. Sie »sitze wie in einem Wartesaal«, teilte sie auf Nachfrage mit.

Der Betreuer veranlasst kurzfristig den Umzug in ihre Wohnung. Eine Pflegeorganisation betreut Frau Z. nun rund um die Uhr. Ihre Bezugspersonen kommen täglich für zwei Stunden zum Nachmittagsritual vorbei: Tee trinken, Spaziergang, Kunstbände anschauen, gemeinsames Singen. Die Verstehenshypothese bedeutet also in der Praxis, die Wünsche der Person zu kennen. Seit Frau Z. wieder in ihrer Wohnung lebt, wirkt sie in höchstem Maße zufrieden.

Verstehenshypothese »Das Bad für Frau S.«

Frau S. wurde streng katholisch erzogen. Freizügigkeit kennt sie nicht. Das Baden wurde jeden Samstagabend nach dem Hausputz durchgeführt. Nach ihrem Einzug ins Heim werden Gewohnheiten und Rituale von Frau S. erfragt, in die Themenfelder eingefügt und in der Tagesstruktur umgesetzt. Eine weibliche Helferin begleitet Frau S. in das Bad und unterstützt sie. So kommt es zu keinem Konflikt hinsichtlich ihres Bedürfnisses nach Einhaltung ihrer Schamgrenzen.

Verstehenshypothese »Der Schreibtisch für Herrn H.«

Herr H. war Maschinenbau-Ingenieur. Sein Sprachvermögen ist stark eingeschränkt. Bei der Nahrungsaufnahme besteht noch kein Hilfsbedarf, auch die Beweglichkeit ist gut.

Herr H. hatte zuhause seinen Schreibtisch, an dem er arbeitete. Beim Einzug wird der Schreibtisch wie zuhause vor das Fenster gestellt. Die Ehefrau bringt die »Arbeitsunterlagen«. Herr H. betritt das Zimmer und ist erfreut, seine Arbeit zu sehen. Wie daheim legt er seine Ordner von rechts nach links auf den Tisch. Gelegentlich trägt er etwas ein. In der Tagesstruktur ist diese Arbeit vermerkt. Eine artfremde Arbeit, z. B. im Garten, würde Herrn H. wahrscheinlich nicht so erfreuen.

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6 Möllering N (2012): Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz. Der person-zentrierte Ansatz von Tom Kitwood. Handout. FH Münster, S. 2 ff. https://www.dgpalliativmedizin.de/pflege/weitere-downloads.html

7 Kitwood 2008, S. 20

8 Ebd.

9 Vgl. zu diesem Abschnitt Möllering 2012

10 Kitwood 2008, S. 227 f.

11 Vgl. Buber M (1999): Das dialogische Prinzip. 10. Aufl. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh

12 Kitwood 2008, S. 32

13 Vgl. Riesner C (Hrsg.) (2014): Dementia Care Mapping (DCM): Evaluation und Anwendung im deutschsprachigen Raum. Huber Verlag, Bern.

14 Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg & Sektion Gerontopsychiatrie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg (2006): Projekt »Identifizierung bzw. Entwicklung von Instrumenten zur Erfassung von Lebensqualität gerontopsychiatrisch erkrankter Menschen in stationären Einrichtungen der Altenhilfe« – H.I.L.D.E. Abschlussbericht, S. 10

15 Ebd., S. 18

16 Ebd., S. 58

17 Vgl. »H.I.L.DE. – Heidelberger Instrument zur Erfassung der Lebensqualität Demenzkranker« (2003–2009), https://www.gero.uni-heidelberg.de/forschung/hilde.html

18 Kirchhof-Rode E (2013): Wohlbefinden und Lebensqualität bei Demenzbetroffenen. ALeWo – das praxisnahe Assessmentinstrument für Pflegekräfte. Brigitte Kunz Verlag, Hannover, S. 11

19 Ebd., S. 17

20 Ebd., S. 21

21 Ebd., S. 19

22 Vgl. Richard N (2016): Die Integrative Validation nach Richard@. 2. Aufl. Eigenverlag Institut für Integrative Validation GBR, Bollendorf

23 Vgl. »Definition Integrative Validation (IVA)«, https://www.integrative-validation.de/literatur/

24 Richard N (2004): Kommunikation und Körpersprache mit Menschen mit Demenz – die Integrative Validation (IVA). Pflege 5/2004, https://www.integrative-validation.de/literatur/

25 Geiger A (2011): Der alte König in seinem Exil. Carl Hanser Verlag, München, S. 11

26 Bartholomeyczik S (2006): Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2006): Aktuelle Forschung und Projekte zum Thema Demenz. S. 33 ff.

27 Ebd., S. 34

28 Vgl. Richard 2016, S. 5–19

29 Böhm E (2011): Verwirrt nicht die Verwirrten. Neue Ansätze geriatrischer Krankenpflege. Psychiatrie Verlag, Köln, S. 202

30 Hammerla M (2003): Häusliche Pflege von dementen Angehörigen und Möglichkeiten der Entlastung in der Stadt Rödental für pflegende Angehörige, Facharbeit.

31 Vgl. Sträßer E (1997): Mensch sein. Mensch bleiben. Alzheimergesellschaft Mittelhessen e. V. Wetzlar

32 Copingstrategien heißt, im Laufe des Lebens lerne ich mit einem bestimmten Verhalten Anerkennung zu erfahren, ich bin brav, ich bin humorvoll, ich bin fleißig, ich bin trotzig usw. Wenn diese Verhaltensweisen bei meinen Eltern eine positive Reaktion verursachten, werde ich diese Strategien mein Leben lang verfolgen.

33 Vgl. DNQP 2018

3.1Aufgaben der Leitung

Das Management hat eine wichtige Aufgabe für die fachliche Weiterentwicklung. Anforderung an die Einrichtung – Der Expertenstandard »Beziehungsgestaltung« erfordert dabei ein komplettes Umdenken von der Leitung bis hin zur Reinigungskraft. Nötige Voraussetzungen für die Implementierung des Expertenstandards Beziehungsgestaltung müssen immer von der Leitung ausgehen:

Veränderungen werden von der Heimleitung erkannt und in Informationsveranstaltungen allen Mitarbeitern bekannt gegeben. Motivierte Mitarbeiter sind notwendig, um den Prozess mitzutragen. Die Leitung und der Träger müssen die Entwicklung der Implementierung mittragen, diese Haltung überträgt sich auf die Mitarbeiter!

Die Leitungsebene klärt zeitliche und personelle Ressourcen, denn diese sind ein entscheidender Faktor zum Gelingen der Implementierung.

Die Leitung räumt finanziellen und zeitlichen Freiraum ein. Verordnete Projekte wecken selten persönliches Interesse und sind daher ineffizient. Das Engagement der Projektgruppe zieht das restliche Team mit.

Die Leitung trägt Sorge, dass auf jeder Station eine Fachkraft für Gerontopsychiatrie tätig ist, der Fachkraft wird ermöglicht, ausschließlich für ihre Bewohner und Angehörigen, die Betreuungskräfte und für andere Professionen da zu sein.

Der langjährige Heimleiter Karl-Heinz Pastoors sprach auf einer Fachtagung 2006 in Bad Arolsen von den Veränderungen, die zunächst Verlust bedeuten. »Vertrautes wird fremd, d. h. Handlungsmuster, Gewohnheiten, Arbeitsabläufe oder Einstellungen passen nicht mehr zu den neuen Aufgaben. Es unterlaufen mehr Fehler, gerade weil das Neue nicht vertraut ist. Man durchlebt zuerst das Tal der Tränen. Zweifel tauchen auf, ob man Veränderungen gewachsen ist.

Veränderungen sind eng verbunden mit Unsicherheit, sie destabilisieren. Es wird gefragt, ob das Alte, das Bewährte nicht mehr gut genug ist, ob die Arbeit überhaupt noch Sinn macht. Man erinnert sich daran, dass oft schon nach Wochen der Wunsch da ist, das Alte wieder herauszuholen. Das war doch gut. Weil bei Veränderungen erst einmal die Fehlerquote steigt oder ein größerer Zeitaufwand notwendig ist, dauert es geraume Zeit, bis der Erfolg der Veränderung nachhaltig sichtbar wird. Diese Phase des Misserfolges zu durchstehen, erfordert Kraft und Selbstdisziplin.

Nur in einer Atmosphäre der Wertschätzung können Veränderungen nachhaltig initiiert werden. Das der, der nichts riskiert, wenig zustande bringt, ist allen klar. Riskieren meint, etwas beginnen, dessen Ausgang ungewiss ist.

Wenn Führungskräfte die Zweifel und Anregungen von Mitarbeitenden akzeptieren, so kann auch ein kritischer Mitarbeiter im wahrsten Sinne des Wortes zum Mit-Arbeiter, also zum Unterstützer werden, und für seinen Bereich Verantwortung übernehmen.

Wenn Mitarbeiter ihre Bedenken und Vorbehalte offen äußern, können die Führungskräfte ihre Ziele transparenter darstellen. Gerade in dieser ersten Phase haben Führungskräfte die Aufgabe, auch kleine, erste Erfolge sichtbar zu machen und die Mitarbeiter dafür zu loben.

Wer Verantwortung für andere hat, kann sie auf verschiedene Weise wahrnehmen. Er kann andere klein machen, damit er an seine eigene Größe glauben kann. Er kann abhängige Menschen um sich sammeln, deren einzige Aufgabe es ist, den Chef zu bewundern. Wir müssen allerdings wissen: Von Bewunderungszwergen wird allerdings nichts Kreatives ausgehen.

Manchmal höre ich unter Führungskräften einen gewissen Stolz heraus, wenn sie sagen, dass sie unter 12 Stunden am Tag nicht nach Hause kommen. Unter Unternehmern – auch von sozialen Einrichtungen ist folgender Spruch sehr beliebt: »Wir lieben die 38,5-Stunden-Woche so sehr, dass wir sie pro Woche gleich zweimal arbeiten.«

Wir sollten in unseren Gruppen ein Klima schaffen, in dem man nicht denkt, dass wir ausschließlich Arbeitstiere sind, obwohl wir manchmal oder sogar fast immer hart arbeiten. Wir achten darauf, dass jeder Mitarbeiter die Chance bekommt, die vorhandenen Fähigkeiten und kreativen Potenziale zu entwickeln.

Es ist doch fatal, dass sich viele unserer Mitarbeiter erst nach Feierabend im aufrechten Gang bewegen und das unternehmen, was sie im Unternehmen nicht unternehmen durften. Sie erbringen in der Freizeit oft Spitzenleistungen: beim Hausbau, Sport, handwerklich, künstlerisch – und das alles nach dem Lustprinzip. Das sollte uns zu denken geben. Ich glaube allerdings nicht, dass Mitarbeiter nur des Geldes wegen ihren Job machen, sondern ihr Bestes geben wollen, dass sich etwas an ihrem Arbeitsplatz, in ihrem Heim, in ihrer Wohngruppe entwickelt. Und – ich spüre sehr genau, dass unsere Mitarbeiter sehr genau auf das achten, was ich sage, tue und entscheide.

Eine Führungskraft muss das leben, was sie lehrt. Worte und Handlungen müssen im Einklang sein. Dadurch ist die Führungskraft eindeutig und berechenbar. Dies schafft Vertrauen. Dazu gehört auch das Eingeständnis eigener Fehler und Schwierigkeiten. Man muss den Mitarbeitern vermitteln, dass trotz aller Schwächen und Widerstände ihre Wertschätzung erhalten bleibt.

Es gibt eine Reihe von Untersuchungen am Arbeitsplatz. Das Ergebnis in Kürze:

Mitarbeiter wünschen, dass man die Wahrheit erfährt, dass einem Vertrauen entgegen gebracht wird, dass man sich gegenseitig unterstützt, dass Neues ausprobiert wird, um die Leistung zu verbessern, dass man gelobt wird, wenn es angebracht ist, dass man für ein integeres, moralisch einwandfreies Unternehmen arbeitet.

Immer wieder höre ich den Satz: Von den Bewohnern erfahre ich Anerkennung und Wertschätzung, aber von den Kollegen und Vorgesetzten fehlt diese Anerkennung.

Meine Aufgabe als Führungskraft ist die: Stress zu reduzieren, den meine Mitarbeiter haben, damit die guten nicht wieder nach ein paar Jahren das Haus verlassen. Nicht wie kriege ich neues Personal, sondern wie erhalte ich die Motivation und die Arbeitskraft meiner bestehenden Mitarbeiter.«

3.1.1 Der Projektfahrplan – das strukturiertes Vorgehen

Dr. Anna Maria Berninger

Die Leitung ist immer Auftraggeber einer Veränderung.

Die Leitung ist überzeugt von Notwendigkeit und Nutzen und steht voll hinter dem Änderungsprozess und dem neuen Standard.

Die Leitung beauftragt den »Veränderungsmanager« schriftlich. Das erfolgt in Form eines Projektauftrags bzw. Projektvertrags. Dieser muss so eindeutig wie möglich formuliert sein. Das ermöglicht es allen Beteiligten, immer wieder auf den ursprünglichen Auftrag und die ursprünglichen Absprachen zurückzukommen (und sich nicht im Projekt zu verirren).

Die zugesagten Ressourcen werden durch die Leitung mit Priorität 1 zur Verfügung gestellt. Möglicherweise werden für die Umstellungsphase zusätzliche Ressourcen (zeitbegrenzt) benötigt.

Alle Projektaktivitäten werden schriftlich festgehalten (ZDF, Zahlen Daten Fakten). Das Dokument ist allen Projektbeteiligten zugänglich.

Zeitplan einhalten! Es gibt regelmäßige Reviews, die Fortschritte aufzeigen und die Möglichkeit geben, bei Problemen rasch und gemeinsam gegenzusteuern. Alle Reviews folgen dem gleichen Schema, das zu Anfang des Projektes festgelegt wird.

Erfolgreich abgeschlossene Teilschritte feiern. Ruhig innehalten und das Erreichte erst einmal etablieren, bevor es zum nächsten Schritt geht. (Einüben!)

Jedes Projekt hat ein definiertes Ende. Wenn die –im Projektplan eindeutig dargestellten- Ziele erreicht sind, folgt die Endphase, in der die Nachhaltigkeit der Veränderungen verfolgt wird. Dies Phase, die gerne unterschätzt wird, gibt die Möglichkeit, die veränderten Prozesse einzuüben, über einen längeren Zeitraum den Erfolg nachzuverfolgen (und zu feiern) und wenn nötig noch kleinere Korrekturen vorzunehmen.

Mit welcher Projektmanagementmethode gearbeitet wird, ist letztendlich abhängig von der Größe und Komplexität des Projekts, von den vorhandenen Projektkompetenzen und dann ist es noch ein wenig Geschmackssache. Es gibt eine Vielzahl Projekt- und Änderungsmanagementmethoden, die alle zum Ziel führen. Wichtig ist nur, sich am Anfang auf die Methoden zu einigen und diese im Laufe des Projekts auch konsequent beizubehalten.

Für weitreichendere Informationen und Anleitungen lohnt es sich gegebenenfalls einen routinierten Änderungsmanager und Projektberater hinzuzuziehen.

3.2Aufgaben der Fachkraft für Gerontopsychiatrie, Fachlichkeit

Die gerontopsychiatrische Fachkraft (GKF) hat eine medizinische Ausbildung und eine Weiterbildung in Gerontopsychiatrie (kennt Kommunikationstechniken wie Integrative Validation nach Richard® und Demenz care mapping (DCM), Pflege- und Betreuungsmodelle (image Kap. 3.7) und verfügt über die Weiterbildung in Gerontopsychiatrie und Geriatrischer Rehabilitation (Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie).

Die Gerontopsychiatrische Fachkraft (GKF)

hat den »Rundumblick«,

weiß um die Angebote für die noch aktiven und interessierten Bewohner mit Interesse,

weiß um die Angebote für Bewohner mit fortgeschrittener Demenz,

kann Anzeichen für somatische Beschwerden wie Obstipation, Schluckstörungen, Harnwegsinfekten Deprivation im sehr späten Stadium einer Demenz erkennen (image Kap. 5.3 ff.).

3.3Demenzformen – die Reisberg-Skala

Vor mehr als 20 Jahren beschrieb der amerikanische Arzt Dr. Barry Reisberg als erster die Alzheimer Demenz in sieben Phasen. Seine bahnbrechenden Ergebnisse und Veröffentlichungen machten ihn zu einer der Koryphäen in der Erforschung dieser Krankheit. Seine Einteilung erlaubt es, gezielter einzuschätzen, mit welchen Möglichkeiten und Grenzen Sie arbeiten können, wenn es darum geht, Menschen mit Demenz zur Bewegung zu motivieren.

In den sieben Phasen nach Reisberg werden die Symptome der Alzheimerdemenz detailliert erfasst, Defizite und Ressourcen sind gut darstellbar.

Vorteil: Genaues Erkennen an den Symptomen, welche Ressourcen bzw. Defizite vorliegen – und welche Maßnahmen in allen Lebensbereichen geplant werden können.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842690912
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Kommunikation Demenz Beziehungsgestaltung Altenpflege Demenzpflege Delir

Autoren

  • Rainer Klein (Autor:in)

  • Monika Hammerla-Claassen (Autor:in)

Monika Hammerla ist Fachpflegekraft für Gerontopsychiatrie und Geriatrische Rehabilitation sowie Fachtherapeutin für Gedächtnistraining (Stengel Akademie Stuttgart) und Fachbuchautorin. Rainer Klein ist Diplom-Verwaltungswirt (FH) und arbeitet für die Heimaufsicht in Coburg. „Pflegende haben es in der Hand, aus einem losen Kontakt eine echte Beziehung zu machen.“
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Titel: Qualitätsmerkmal Beziehung