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Kopf- und Gesichtsschmerzen ganzheitlich behandeln

Wie sie entstehen. Was Sie dagegen tun können. Mit vielen Alternativen zu Medikamenten. Zertifiziert von der Stiftung Gesundheit

von Kay Bartrow (Autor:in)
176 Seiten

Zusammenfassung

Nacken- und Spannungskopfschmerzen, Migräne, Gesichtsschmerzen oder Kieferbeschwerden sind weit verbreitet in unserer Gesellschaft. Der Leidensdruck ist so groß, dass viele Patient*innen aufZahnbehandlungen, Operationen oder Injektionsbehandlungen drängen – diese Therapien können jedoch unerwünschte Nebenwirkungen haben. Ein ganzheitlicher, körperorientierter Ansatz und zahlreiche Selbsthilfemaßnahmen haben sich deshalb bewährt. In seinem Ratgeber zeigt der Physiotherapeut Kay Bartrow, welche Ursachen Kopf- und Gesichtsschmerzen haben können, welche vorbeugenden Hilfen es gibt und wie man mit gezielten Übungen und ganzheitlichen Methoden die Schmerzen selbst lindern kann.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


VORWORT

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Liebe Leserin, lieber Leser,

statistisch betrachtet leiden 93 Prozent der Männer und 99 Prozent der Frauen wenigstens einmal in ihrem Leben unter Kopfschmerzen. Damit liegen Kopfschmerzen in der Liste von Erkrankungen, die in einem Menschenleben auf uns alle lauern, erst mal ganz weit vorne. Glücklicherweise sind sie in den allermeisten Fällen jedoch nicht lebensbedrohlich, sondern mehr lästig als gefährlich.

Die Einschränkungen, die Kopfschmerzen für das alltägliche Leben bedeuten können, sind jedoch nicht unerheblich und reichen von Konzentrationsschwäche und Schlafproblemen über die Vermeidung von Bewegung und Aktivität bis hin zu Aggressivität und einem permanent hohen Stresslevel.

Mit diesem Buch holen Sie sich das Wissen und viele Möglichkeiten, an Ihren individuellen Kopfschmerzauslösern zu arbeiten und so Ihre Ausgangssituation zu verbessern. Eine erfolgreiche Kopfschmerzbehandlung startet immer bei und mit Ihnen. Sie sind der zentrale Dreh- und Angelpunkt. Finden Sie heraus, welche Form von Kopfschmerzen Sie plagt und lernen Sie Ihre Kopfschmerztreiber besser kennen. Fundiertes Wissen und kontinuierliche Anwendung dieses Wissens führen zu einer besseren Kontrolle Ihrer Kopfschmerzen. Gehen wir es gemeinsam an!

Mit besten Grüßen aus Balingen

WAS SIE ÜBER KOPFSCHMERZEN WISSEN SOLLTEN

Bei allen chronischen Erkrankungen ist Wissen über das gesundheitliche Problem und dessen Ursachen ein wichtiger Schritt zur Kontrolle und Besserung. In diesem Kapitel erfahren Sie alles Wissenswerte über unser Schmerzsystem und lernen Ihre Kopfschmerztrigger kennen und kontrollieren.

Kopfschmerzen: Sie sind nicht allein

Viele Menschen mit Kopfschmerzen fühlen sich alleingelassen, nicht verstanden und gerade auch deshalb den Schmerzen hilflos ausgeliefert. Nichts scheint zu helfen. Hinzu kommt, dass es viele unterschiedliche Arten von Kopfschmerzen gibt und leider keine Behandlung garantiert erfolgreich ist – weder in Form einer Tablette noch einer einzelnen supereffektiven Übung. Vielmehr muss es ein Gesamtpaket an Möglichkeiten bringen.

Es gibt nicht die eine Behandlung mit garantiertem Behandlungserfolg, vielmehr muss es ein Gesamtpaket an Möglichkeiten bringen.

In der Medizin gibt es keine Garantie, auch nicht bei der Behandlung von Kopf- und Gesichtsschmerzen: Es gibt viele Ursachen, Auslöser und begünstigende Faktoren, aber nicht alle diese Schmerztrigger sind bei allen Kopfschmerzgeplagten vorhanden. Zudem gibt es viele verschiedene kleine Hilfen, die aber bei jedem Menschen wiederum unterschiedliche Effekte zeitigen.

Kopfschmerzen sind hochgradig variabel: Die einen haben den Kopfschmerz morgens nach dem Aufstehen, die anderen eher abends, wenn sie nach der Arbeit zur Ruhe kommen. Manche ereilt der Kopfschmerz bei immer derselben Tätigkeit. Nach dem Auftreten von gewissen Kopfschmerzen kann man tatsächlich die Uhr stellen, oder die Kopfschmerzen sind von bestimmten Körperhaltungen oder Gerüchen abhängig. Die Stärke der Kopfschmerzen hängt vielleicht auch von Dingen wie der Lautstärke von Geräuschen in der Umgebung, der Temperatur oder der Helligkeit im Raum ab. Die Kopfschmerzen mancher Menschen dauern nur zwei bis fünf Minuten, bei anderen sind es bereits drei bis sechs Stunden, und wieder andere werden gar tagelang von Kopfschmerzen gepeinigt. Kopfschmerz ist also nicht gleich Kopfschmerz.

Wenn Sie Kopfschmerzen haben, gehören Sie zu den zwei Dritteln der Menschen in Deutschland, die damit geschlagen sind. In der ärztlichen Praxis machen sie aber nur etwa vier Prozent aller Behandlungen aus. Kopfschmerzen sind zwar weit verbreitet, werden aber auf gesellschaftlicher Basis trotz medizinischen Fortschritts und Aufklärung nicht wirklich ernst genommen. Sie sind in den Medien zwar immer wieder Thema, werden im privaten Bereich jedoch oft einfach nur ertragen. Wer Kopfschmerzen hat, leidet also eher still für sich und holt sich nicht die möglichen Hilfen von Ärztinnen oder Therapeuten. Viele probieren es gern mit Selbstmedikation: Ibuprofen ist das am häufigsten eingesetzte Medikament bei Kopfschmerzen und wird gern in Eigenregie, also ohne ärztliche Kontrolle, eingenommen.

Glücklicherweise sind mehr als 92 Prozent aller Kopfschmerzen harmloser Natur: störend, unangenehm und mit teils großen Einbußen der Lebensqualität verbunden, aber nicht lebensbedrohlich. Dass Kopfschmerzen zum einen eher nicht lebensbedrohlich sind und sich zum anderen Betroffene oft keine allzu großen Hoffnungen bezüglich einer effektiven Behandlung machen, führt wahrscheinlich zu diesem „Ich probiere es mal selbst“-Verhalten. Dabei sind mittlerweile viele Formen von Kopfschmerz gut zuzuordnen und daher auch gut therapierbar. Auch wenn kein garantierter Behandlungserfolg zugesichert werden kann, besteht immer die Chance auf Besserung oder Linderung der Beschwerden. Es ist möglich, auch ein Leben mit Kopfschmerzen zu genießen – niemand muss sich seinem Schicksal einfach so ergeben.

Kopfschmerzen abklären lassen

Wiederkehrende starke Kopfschmerzen sind eine ernst zu nehmende Sache, die in eine ärztliche Untersuchung gehört.

Eine Sache vorab: Wiederkehrende starke Kopfschmerzen sind eine ernst zu nehmende Sache, die in eine ärztliche Untersuchung gehört. Vor allem, wenn die Kopfschmerzen bei Ihnen noch nicht sehr häufig aufgetreten sind und Sie noch am Anfang Ihrer „Kopfschmerzkarriere“ stehen, sollten Sie für Klarheit sorgen. Dabei gilt es zu unterscheiden, ob es sich bei Ihren Kopfschmerzen um eine „reine“ Kopfschmerzerkrankung handelt oder ob eine andere, möglicherweise ernsthafte Erkrankung zugrunde liegen könnte. In diesem Fall wären die Kopfschmerzen lediglich ein Symptom einer anderen Erkrankung und Sie bräuchten einen ganz anderen Behandlungsansatz.

Um genau dies abzuklären und den für Sie richtigen und effektiven Therapieansatz zu finden, sind vielfältige Untersuchungen erforderlich, die alle möglichen körperlichen Auslöser und Ursachen Ihrer Kopfschmerzen systematisch bewerten und eine etwaige Beteiligung beurteilen. Noch einmal zu Ihrer Beruhigung: Bei mehr als 92 Prozent aller Kopfschmerzen liegt keine ernsthafte Grunderkrankung vor, sie sind nicht lebensbedrohlich, sondern plagen uns einfach, bereiten uns einen unangenehmen Alltag und erschweren uns konzentrierte Arbeit – zum Teil jedoch immens und nachhaltig.

Unter den 30 häufigsten Diagnosen, die in allgemeinmedizinischen Arztpraxen in Deutschland gestellt werden, befinden sich erstaunlicherweise noch keine Kopfschmerzerkrankungen. Nach einer neuen Studie zu Kopf-, Rücken- und Nackenschmerzen in Deutschland verursachen Kopfschmerzen lediglich ein bis zwei Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage und nur etwa vier bis fünf Prozent der Behandlungsfälle in den Arztpraxen (allgemeinmedizinische Praxis und neurologische Praxis mit Kopfschmerzschwerpunkt). Aber: Die Zahl der tatsächlich von Kopfschmerz Betroffenen liegt deutlich höher, nämlich zwischen 50 und 70 Prozent, je nachdem, welche Studie man zurate zieht.

Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz, denn obwohl das gemeinsame Hauptsymptom – der Schmerz am, im und um den Kopf – vorhanden ist, zeigt die Erkrankung viele Gesichter. Sie beeinflusst durch die Lokalisation am Kopf, dem Hauptsitz unserer Sinne, direkt unsere Wahrnehmung und damit auch unmittelbar unsere Möglichkeiten, mit der Umwelt und unseren Mitmenschen zu interagieren. Erschwerend kommt häufig eine negative Beeinflussung von Beruf und Freizeitverhalten dazu. Kopfschmerzen und ihre Folgen verursachen immer wieder eine Begrenzung der Leistungsfähigkeit im Beruf. Zudem reduzieren viele Betroffene gezwungenermaßen ihre Sozialkontakte oder müssen sie aufgrund der Kopfschmerzen vehement einschränken. In einer akuten Kopfschmerzphase werden auch die Freizeitaktivitäten zwangsweise reduziert oder sogar komplett gegen null gefahren, von den Auswirkungen auf das allgemeine Familienleben einmal ganz abgesehen.

Wiederkehrende Kopfschmerzen bereiten nicht selten auch den Weg für weitere Begleiterkrankungen wie Rücken- oder Nackenschmerzen, Zähneknirschen oder -pressen, weitere Verspannungen und Schwindel oder Sehstörungen. Halten die Kopfschmerzepisoden über einen längeren Zeitraum an, können sich auch Ängste, Schlafstörungen oder Depressionen und andere chronische Beschwerden daraus entwickeln. Dann kann sich die Schmerzspirale weiterdrehen, und die schmerzbedingten Einschränkungen bahnen sich ihren Weg in unseren Alltag. Kopfschmerz ist also ein Nährboden für viele weitere Erkrankungen und reduziert definitiv die Lebensqualität.

Kleine Historie des Kopfschmerzes

Kopfschmerzen sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Seit der Mensch auf diesem Planeten wandelt, sind Schmerzen, unter anderem im Kopf- und Gesichtsbereich, quasi gratis im Gesamtpaket enthalten. Die Erklärungsansätze variierten in der Geschichte der Menschheit mit der Entwicklung des medizinischen Wissens von unheimlich und beängstigend (wenn in vorchristlichen Zeiten der Menschheit im Kopf herumkrabbelnde Insekten den Kopfschmerz auslösen sollten) über esoterisch- abenteuerlich (wenn von Dämonen, bösen Geistern oder gar Göttern als Auslöser für die Pein im Kopf die Rede war) bis hin zu lebensgefährlich (wenn aufsteigende Körperflüssigkeit aus den Organen für einen stark erhöhten Druck im Schädel verantwortlich gemacht wurde). Die Behandlung von Kopfschmerzen spiegelte dabei stets den momentanen Stand des jeweils gültigen medizinischen Wissens wider – oder in vielen Fällen auch die lebensgefährliche Unwissenheit.

Die ersten Hinweise auf Kopfschmerzen und deren Behandlung stammen aus dem 3. vorchristlichen Jahrtausend. Damals wurden Kopfschmerzen in vielen Kulturen hauptsächlich durch Geistervertreibung und spirituell inspirierte Rituale „beseitigt“. So wurde den vom Kopfschmerz Geplagten schon auch mal der Schädel geöffnet, um die Geister „freizulassen“ – ein Vorgehen, das für die Bertoffenen definitiv lebensbedrohlicher war als die Kopfschmerzen selbst. Andere Kulturen gingen etwas feiner vor und rieben Leidenden den Schädel in rituellen Zeremonien mit Fisch oder Knoblauch ein, um die bösen Kopfschmerzgeister durch üble Gerüche zu vertreiben.

Um das 5./4. Jahrhundert v. Chr. vertrat der antike Arzt Hippokrates die Theorie, dass aufsteigende Säfte aus den inneren Organen (hauptsächlich aus Leber und Galle) in den Kopf aufsteigen und das Blut vergiften. Basierend auf diesen Annahmen wurden Blutegel therapeutisch eingesetzt, um den Druck zu reduzieren und das Blut von Giftstoffen zu befreien. Vom frühchristlichen Rom bis ins späte Mittelalter galt ein reinigender Aderlass als probates Mittel gegen Kopfschmerzen und viele andere Krankheiten. Dabei wurde bei den Patienten an mehreren Körperstellen Blut abgelassen, was bei falscher Dosierung zum Tod führen konnte.

Auch andere Methoden waren nicht selten mit Gefahr für Leib und Leben verbunden, wenn Kopfschmerzen etwa mit sogenannten Brenneisen bearbeitet wurden: So sollte die im Kopf sitzende Feuchtigkeit oder Kälte, die damals unter anderem verantwortlich gemacht wurde, beseitigt werden. Bei den Völkern Südamerikas wurden Extrakte der Coca-Pflanze eingeträufelt, in der europäischen Heilkunde kamen Kräuteressenzen, Essigwickel und Opium zum therapeutischen Einsatz.

In nahezu der gesamten frühen Medizingeschichte wurden weniger die Ursachen von Kopfschmerzen in den Blick genommen, als vielmehr ihre Auswirkungen und die Vielfalt der zusätzlichen Symptome beschrieben. Entsprechend unzureichend waren die Hilfen und Behandlungsmöglichkeiten. In diesen Zeiten fehlte grundlegend das Wissen über die Ursachen von Kopfschmerzen, eine wissenschaftliche Herangehensweise und auch die technischen Voraussetzungen. Ein verlässlicher Erklärungsansatz, der zu einer zuverlässigen Behandlung hätte führen können, war nicht vorhanden. Erst mit dem Einzug einer gesteigerten naturwissenschaftlichen Neugier und einer zunehmend wissenschaftlich ausgerichteten Arbeitsweise in der Medizin konnten erklärende Ansätze für Kopfschmerzen entdeckt und erforscht werden. Diese Erkenntnisse halfen dabei, die grundlegenden Mechanismen von Kopfschmerzen besser zu verstehen und daraus geeignetere Behandlungsmethoden zu entwickeln.

Obwohl Kopfschmerzen auch in unserer Zeit nicht immer hundertprozentig exakt eingeteilt und zugeordnet werden können, leben wir heute medizinisch gesehen glücklicherweise in einer um vieles besseren und vor allem in einer hoffnungsvolleren Zeit: Die Erklärungen, Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert.

Wie unser Schmerzsystem funktioniert

Schmerz ist ein bisschen wie eine Alarmanlage. Er soll uns vor Gefahren warnen und vor Schaden schützen. Dabei ist nicht jeder Schmerz ein Zeichen für eine Gewebeschädigung, eine ernsthafte Erkrankung oder eine Verletzung. Die meisten Schmerzen sind eher als Nachricht unseres Organismus zu verstehen, die ungefähr lauten könnte: „Hallo – ich bin mit der momentanen Situation unzufrieden.“ Schmerz ist also vielmehr das Signal dafür, dass unser Organismus mit unserer momentanen Situation oder mit der aktuellen Art unserer Lebensführung nicht einverstanden ist.

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Summe der Wahrnehmung: Faktoren für die Schwellenwertmodulation: Jeder Input zählt

Wann diese Alarmanlage wie intensiv anschlägt, wird über viele Faktoren eingestellt und beeinflusst. Hier spricht man von der sogenannten Schwellenwertmodulation. Wir interpretieren Reize in verschiedenen Situationen auf unterschiedliche Art und Weise. Beispielsweise sind wir deutlich schmerzempfindlicher, wenn wir Streit mit dem Lebenspartner haben oder unsere Kinder krank sind oder Sorgen haben.

Alles Erleben in unserem Alltag, alle Reize, die wir über unsere Sinnesorgane aufnehmen, werden von unserem Nervensystem verarbeitet und beurteilt. Diese Informationen spielen beim Thema Schmerz eine große Rolle und drehen an unserem Schwellenwert zur Schmerzwahrnehmung. Je mehr Informationen über die Sinne aufgenommen werden, desto voller wird unser Wahrnehmungsspeicher und wir nähern uns dem Schmerzschwellenwert. Dann fehlt oft nur noch der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die gewichtigsten Faktoren sind dabei Stress, Ängste, emotionale Erlebnisse und der aktuelle körperliche Zustand.

Das Fass-Modell für Schmerzerleben

Jeder Mensch hat eine individuelle Schmerzschwelle und ein ureigenes Schmerzempfinden.

Jeder Mensch hat eine individuelle Schmerzschwelle und ein ureigenes Schmerzempfinden. Daher können Schmerzen auch nur schlecht zwischen zwei Individuen verglichen werden. Selbst wenn es sich um dasselbe Krankheitsbild und um ähnliche Schmerzen handelt, unterscheiden sich doch die Betroffenheit im Alltag und die tatsächlich wahrgenommene Schmerzstärke sowie der Schmerzcharakter.

Bei den meisten Kopfschmerzerkrankungen ist das Nervensystem bereits sehr sensibel eingestellt und reagiert schon auf geringe Reize mit entsprechender Vehemenz. Das heißt, der Schwellenwert zur Schmerzwahrnehmung ist hier bereits sehr niedrig angelegt, und sehr alltägliche Kopfschmerztrigger wie ein Wetterumschwung, laute Geräusche oder ein Glas Wein reichen aus, um diesen Schwellenwert zu übersteigen und Kopfschmerzen auszulösen. Je höher der Input, desto dichter kommt die Reizaufnahme an den Schmerzschwellenwert heran. Wird dieser Wert überschritten, werden Schmerzen wahrgenommen.

Schmerz und Schmerzerleben sind damit immer eine individuelle Erfahrung und in dieser Individualität auch immer das Produkt unserer geballten Sinneswahrnehmung. Hat das „Fass“ (der Körper/die Psyche) bereits andere bestehende Vorerkrankunkrankegen (das Loch im Fass), können schon nicht mehr so viele Reize wie im „Normalzustand“ aufgenommen oder toleriert werden. Dann beginnt die Kopfschmerzepisode schon viel früher (Ihr Fass wird dann eher auslaufen) und Sie reagieren deutlich sensibler auf äußere Reize und Wahrnehmungen.

Lernen Sie Ihre „Fass-Füller“ besser kennen und kontrollieren Sie diese. Wenn Sie spüren, dass einer Ihrer „Füller“ übermäßig vorhanden ist und mächtig in Ihr „Schmerzfass“ einläuft, reduzieren Sie die anderen. Ein Beispiel: In Lebensphasen mit zunehmenden Schlafstörungen und Ärger mit dem Lebenspartner sollten Sie als Gegengewicht auf gesunde Ernährung und etwas mehr Bewegung achten. Wenn alle „Fass-Füller“ gleichzeitig außer Kontrolle geraten, ist dem Kopfschmerz Tür und Tor geöffnet. Üben Sie sanfte Kontrolle aus.

Coping: Strategien gegen Schmerzen

Hinter dem Begriff „Coping“ verstecken sich mehr oder weniger angemessene Bewältigungsstrategien.

Hinter dem Begriff „Coping“ verstecken sich mehr oder weniger angemessene Bewältigungsstrategien. Der moderne Begriff aus der Medizin und Verhaltensforschung beinhaltet also die Strategien, die gegen ein individuelles Schmerzerlebnis aufgefahren werden – also all das, was Sie gegen Ihre Schmerzen unternehmen. Wenn Sie den Begriff „Coping“ nachschlagen, finden Sie diese oder ähnliche Erläuterungen: „Coping beschreibt die Art und Weise des Umgangs mit einem als schwierig empfundenen Ereignis oder einer als schwierig empfundenen (Lebens-)Phase.“ Coping beschreibt demnach auch das Bewältigungsverhalten von Menschen mit chronischen Erkrankungen. Hier werden grundlegend zwei Wege unterschieden: adaptives und maladaptives Coping.

Adaptives Coping

Der große Nutzen von adaptivem Coping besteht in der langfristigen und nachhaltigen Lösung eines Problems oder in seinem Beitrag zur Verringerung von Symptomen. Adaptive Copingstrategien führen durch bewusstes Handeln und den Erwerb von Wissen zu einer positiven Veränderung der Situation, einfacher ausgedrückt, zu einer Lebensstilveränderung.

Hierunter fallen vor allem aktive Strategien wie gezieltes und kontrolliertes Bewegen, Sport, Entspannung oder Ausdauertraining. Hiermit können Sie die Dinge selbst in die Hand nehmen und lernen, die Situation wieder zu kontrollieren.

Maladaptives Coping

Hierunter sind Strategien zu verstehen, die sich durch einen hohen Ablenkungscharakter auszeichnen, ohne jedoch grundlegende Veränderungen der ungünstigen Situation zu bewirken. Diese Möglichkeiten entfalten häufig nur kurzfristige Wirkung und führen nicht selten zu einer Verstetigung (Chronifizierung) oder gar einer Verstärkung der Kopfschmerzsymptome.

Hier finden sich vor allem passive Strategien wie Ruhigstellung oder Schonung, die langfristig keine angemessene Veränderung oder Kontrolle liefern können. Medikamente sind ebenfalls in dieser Gruppe angesiedelt, wobei ein gezielter und ärztlich kontrollierter Einsatz durchaus dabei helfen kann, wieder vermehrt an aktiven Bewältigungsstrategien zu arbeiten.

Auslöser für Kopfschmerz

Die meisten Arten von Kopfschmerzen kommen nicht wirklich einfach so über uns. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Faktoren, die Kopfschmerzen auf den Weg bringen und ihre Entstehung erklärbar und nachvollziehbar machen.

Für nahezu jede Kopfschmerzform existieren individuelle Vorbedingungen.

 Für nahezu jede Kopfschmerzform existieren einmal individuelle Vorbedingungen, wie z. B. ein übererregbares Nervensystem oder eine deutlich veränderte Durchblutungssituation. Dies sind sogenannte biologische oder manchmal auch genetische Ursachen, die eine Kopfschmerzneigung stark begünstigen. Zu diesen kommen eine ganze Reihe von individuellen Treibern, auch Trigger genannt, die eine akute Kopfschmerzepisode auslösen, unterhalten oder chronifizieren.

Wichtig: Kennen Sie Ihre Trigger

Zu den Triggern gehören zunächst Reize, die von außen auf uns einwirken, denen wir uns jedoch mit etwas Übung auch entziehen können. Zum anderen machen bestimmte Verhaltensweisen und Gewohnheiten einen großen Teil dieser Trigger aus. Genau deshalb sind sie eine sehr individuelle Angelegenheit und können nicht für alle von Kopfschmerzen Geplagten verallgemeinert werden.

Das bedeutet dennoch, dass wir es bei den meisten Kopfschmerztriggern selbst in der Hand haben, wie stark oder deutlich sie sich auf unsere „Kopfschmerzwelt“ auswirken. Einige dieser Trigger können Sie gut durch Verhaltensänderung und etwas körperliches Training in die Schranken weisen; mehr dazu ab Seite 123.

Auslöser und Trigger für Kopfschmerzen gibt es viele. Sie sind dabei sehr individuell und meistens zwar harmlos, plagen uns aber dennoch ordentlich und vermiesen uns mit einer Kopfschmerzepisode so manchen Tag. Bei Frauen scheinen Stress, Schlafmangel und auch Hormonschwankungen ganz weit vorne zu liegen und eine große Rolle im Kopfschmerzgeschehen zu spielen.

Auslöser für eine akute Schmerzepisode gibt es bei allen Kopfschmerzformen

 Trigger spielen für nahezu alle Kopfschmerzformen eine größere Rolle. Sie können als Auslöser einer Kopfschmerzepisode genannt werden, aber auch durch detailliertes Wissen und ein verändertes Verhalten zur besseren Kontrolle und Beeinflussung der Kopfschmerzepisoden genutzt werden. Ob Migräne, Spannungskopfschmerz oder andere Kopfschmerzformen: Auslöser für eine akute Schmerzepisode gibt es bei allen Formen.

Die hier dargestellten Auslöser und vorgeschlagenen Maßnahmen zur Prophylaxe gelten nahezu für alle Kopfschmerzformen. Oft macht die Summe und damit die Dosis aller Einflüsse und Faktoren den Kopfschmerz aus und leider auch erst so richtig übel. Kopfschmerz entsteht gern aus dem Einfluss vieler Faktoren, deren Bedeutung uns in den meisten Fällen nicht bewusst ist. Bei diesen mitentscheidenden Faktoren können Sie eine zeitliche Hierarchie erkennen: Es werden auslösende, unterhaltende und chronifizierende Faktoren unterschieden.

Auslösende Faktoren sind initial, also auslösend, am Start der Kopfschmerzen beteiligt. Sie sorgen wesentlich dafür, dass Ihr individueller Schmerzschwellenwert überschritten wird und Sie Kopfschmerzen bekommen. Diese Faktoren sind also direkt an der Entstehung beteiligt und liefern Ihren Kopfschmerzen die entsprechenden Startbedingungen. Je besser Sie es schaffen, diese Auslöser zu reduzieren, desto weniger häufig und weniger intensiv wird Ihr Kopfschmerz ausfallen.

Zu den am weitesten verbreiteten auslösenden Faktoren gehören Stress, Hormonschwankungen und Umwelteinflüsse wie starke Geräusche und Licht. An der Auswahl erkennen Sie, dass man diese Faktoren leider nicht immer direkt verantwortlich machen kann. Sie kommen manchmal einfach über uns und bestimmen unsere Geschicke. Wenn Ihnen diese auslösenden Faktoren jedoch bekannt sind, können Sie damit beginnen, sie zu reduzieren und ihren Einflussbereich zu beschneiden. Je mehr Sie über Ihre individuell vorhandenen auslösenden Faktoren wissen, desto besser können Sie diese mit der Zeit kontrollieren.

Unterhaltende Faktoren hingegen sind dafür verantwortlich, dass Sie Ihre Kopfschmerzen nicht durchbrechen oder reduzieren können, sondern diese sich ungehindert weiterentwickeln und steigern können. Bei den unterhaltenden Faktoren sind ein lauter Arbeitsplatz, stressige Terminplanung (obwohl Sie wissen, dass das nicht gut für Sie ist), zuckerhaltige Snacks zwischendurch (obwohl Sie wissen, dass Sie geregelte Mahlzeiten einplanen sollten), selbst verursachte Zeitnot (weil Sie mal wieder nicht Nein sagen konnten) oder schlicht Ihr Perfektionismus zu nennen. Hier kommen oft auch Persönlichkeitsmerkmale durch, die ihren Teil zum Kopfschmerzerleben beitragen und diesen weiter unterhalten können. Die unterhaltenden Faktoren können wir auch als „Fallen“ im täglichen Leben bezeichnen, in die wir trotz besseren Wissens immer wieder tappen.

In einer weiteren Faktorengruppe finden wir die gefährlicheren, die chronifizierenden Faktoren. Diese sorgen dafür, dass wir uns dem Krankheitsgeschehen ausgeliefert fühlen und häufig gerade die ungünstigen Reaktionen oder Verhaltensweisen in unserem Alltag bevorzugen. Einer der wichtigsten Punkte hierbei ist Wissen – oder vielmehr das noch fehlende Wissen. Wissen verleiht Macht und Kontrolle, auch über unangenehme Dinge wie Erkrankungen im Allgemeinen und über Kopfschmerzen im Speziellen.

Wer über seine Gesundheitsstörung wenig bis gar nichts weiß, fühlt sich ihr meist auch stärker ausgeliefert. Negative Wahrnehmungen wie Schmerzen oder Einschränkungen im täglichen Leben durch die Beschwerden brechen sich deutlicher Bahn in unsere Gedanken und Empfindungen. Dadurch sind diese negativen Erfahrungen auch besonders präsent und bestimmen mit ihrer überbewerteten Präsenz auch immer mehr unsere Gedankenwelt.

Gerade bei Erkrankungen mit einer sehr hohen Schmerzintensität sind negative Gedanken durchaus nachvollziehbar. Man macht sich Gedanken über ein starkes Schmerzerlebnis und entsprechend auch Sorgen über die möglichen Ursachen und über die weitere Entwicklung, obwohl diese Sorgen in den meisten Fällen in diesem Ausmaß nicht erforderlich wären. Wenn sich eine Erkrankung zu einer massiven Bedrohung entwickelt, die Ihre emotionale und vielleicht auch finanzielle Welt zu bedrohen scheint, sind Resignation und Hilflosigkeit die Folge – Einstellungen, die leider am wenigsten Aussicht auf Hilfe oder Veränderung versprechen.

Gewinnen Sie die Kontrolle über Ihr Leben zurück, indem Sie lernen, mit den Kopfschmerzepisoden besser umzugehen. Wenn Sie mehr über Ihre Erkrankung und vor allem über die Auslöser und ihre Behandlungsmöglichkeiten wissen, verliert die Situation bereits ein wenig an Schrecken. Sie sind nicht allein mit diesem Problem. Draußen in der Welt gibt es Millionen von Menschen, denen es ähnlich geht wie Ihnen. Und es gibt tatsächlich Hilfe bei einer Vielzahl von Experten im medizinischen Bereich. Holen Sie sich Hilfe, sorgen Sie für mehr Aufklärung durch Wissen und packen Sie Ihre Kopfschmerzen gezielt an.

Im Folgenden schildere ich Ihnen die wichtigsten Kopfschmerztreiber und was Sie dagegen tun können.

Stress

Stress ist ein mehr als tückischer Trigger, der seine kopfschmerzauslösende Wirkung meist im Nachgang, in der eigentlichen Entspannungsphase, entfaltet. Besonders berüchtigt ist die sogenannte Wochenendmigräne: Nach einer stressigen Arbeitswoche im Büro, vielleicht noch mit viel Aufregung abends in der Familie, summieren sich die Reize über Tage und entladen sich dann in einem Migräneanfall am lang herbeigesehnten Wochenende, also genau in der Zeit, in der Sie sich eigentlich entspannen könnten – und auch wollten.

Wenn Stress und Situationen mit erhöhter körperlicher oder mentaler Anspannung bei Ihnen Kopfschmerzen auslösen, sollten Sie sich intensiv mit Entspannungsmethoden und -techniken vertraut machen. Diese können Ihnen eine wertvolle Hilfe sein. Informieren Sie sich über entsprechende Achtsamkeits- oder Stressbewältigungskurse und erweitern Sie Ihr aktives Repertoire an hilfreichen Entspannungsmethoden. Eine Vielzahl finden Sie auf den Seiten 156 bis 159.

Das Wetter

Als wissenschaftlich gesichert gilt der Zusammenhang zwischen Migräneattacken und dem Auftreten von Wetterphänomenen wie großem Temperaturabfall, Anstieg der Luftfeuchtigkeit und einem starken Abfall des Luftdrucks um mehr als fünf Hektopascal (hPa).

Weder können Sie das Wetter beeinflussen noch sich Wettereinflüssen komplett entziehen. Aber Sie können Ihrer bekannten Wetterfühligkeit Rechnung tragen, indem Sie sich nicht in der stärksten Mittagshitze in die pralle Sonne setzen oder indem Sie sich bei bestehender Zugluftempfindlichkeit mit einem Schal schützen. Wenn Wetterveränderungen bei Ihnen bekanntermaßen zu Kopfschmerzen führen, lohnt es sich auch, regelmäßig einen lokalen Wetterdienst zu verfolgen und mit entsprechend angepasster Kleidung einem anstehenden Kälteeinbruch zu begegnen. Seien Sie gewappnet!

Schlafprobleme

Regelmäßige Schlafzeiten helfen ebenfalls, die Anfälligkeit für Kopfschmerzen zu reduzieren. Nicht selten können Abweichungen vom gewohnten Schlafverhalten (z. B. Schlafrhythmus, Länge des Nachtschlafs) zu einer Kopfschmerzattacke führen. Dabei können manchmal auch scheinbare Kleinigkeiten wie das Fehlen des gewohnten Kissens oder der eigenen Matratze durchaus Faktoren für einen Kopfschmerz sein.

Analysieren Sie Ihre Schlafprobleme und überlegen Sie sich, in welche Kategorie Sie diese packen können: Haben Sie Einschlaf-, Durchschlaf- oder Ausschlafprobleme? Wenn Sie regelmäßigen Kopfschmerzen, auch Migräne, vorbeugen wollen, hilft ein durchstrukturierter Tagesablauf mit festgelegten Schlafensund Essenszeiten. Vermeiden Sie große Abweichungen von Ihrer Routine – vor allem sollten Sie am Wochenende nicht ewig lange ausschlafen. Je regelmäßiger Sie Ihren Tagesablauf und Ihre Schlafzeiten planen und durchführen, desto besser sind Sie vor Kopfschmerzattacken geschützt.

Nahrungs- und Genussmittel

Haben Sie eine nachgewiesene Nahrungsmittelunverträglichkeit, beispielsweise eine Gluten- oder Laktoseintoleranz, sollten Sie dringend Ihre Ernährung umstellen. Damit können Sie einen großen Einfluss auf Ihre Kopfschmerzepisoden ausüben. Viele Lebensmittel (z. B. Früchte, Kakao, Nüsse) oder auch Alkohol sind als Kopfschmerzauslöser bekannt. Oft wirken sie in Kombination mit anderen Begleitstoffen wie Geschmacksverstärkern (Glutamat) oder Farbstoffen ebenfalls kopfschmerzauslösend oder -verstärkend.

Flüssigkeitsaufnahme

Ein gesunder Organismus benötigt je nach Aktivität zwei bis drei Liter Flüssigkeit pro Tag, bei intensiverer Aktivität auch mehr. Wasser wirkt nicht nur als Lebensspender und sorgt für eine ausreichende „Schmierung“ aller Körpergewebe, sondern fungiert als eine Art Lösungsmittel: In Wasser kann unser Körper unter anderem Abfallstoffe oder Giftstoffe lösen und aus dem Körper transportieren. Fehlt dieses Transportmittel, kann es zu ungünstigen Anhäufungen bestimmter Stoffe im Körper kommen, die eine Kopfschmerzattacke ebenfalls begünstigen und auslösen können.

Trinken wird in der täglichen Beschäftigung und Routine gern vergessen oder geht in der allgemeinen Hektik eines Arbeitstages unter. Stellen Sie sich immer eine Flasche Wasser in Reichweite – so erinnern Sie sich stets ans regelmäßige Trinken. Ergänzen Sie Ihre tägliche Flüssigkeitsaufnahme mit ungesüßten Fruchtsäften oder verschiedenen Teesorten. Abwechslung und ein genussvolles Geschmackserlebnis sind ein wichtiger Schlüssel für die regelmäßige und ausreichende Aufnahme von Flüssigkeit.

Körperliche Anstrengung

Körperliche Anstrengung ist ebenfalls bestens als Kopfschmerztreiber bekannt. Während extreme Belastungen, wie sie bei einem hochintensiven Training entstehen, bekanntermaßen Kopfschmerzen auslösen können, wirkt ein moderat dosiertes sportliches Training eher vorbeugend und kann Ihnen dabei helfen, Ihre körperlichen Ressourcen zu stärken.

Vor allem ein leichtes (aerobes) Ausdauertraining ist geeignet, die Schmerzstärke Ihrer Kopfschmerzattacken mit der Zeit zu mildern oder sogar die Anzahl der Attacken selbst zu senken. Lassen Sie sich in Absprache mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Physiotherapeuten von Experten einen auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Trainingsplan erstellen. Der Faktor körperliche Belastung kann durch regelmäßiges Training positiv beeinflusst und in der Folge auch für Ihre gesundheitlichen Zwecke eingesetzt werden.

Menstruation

Der Menstruationszyklus und der Gebrauch von Verhütungsmitteln (Anti-Baby-Pille) sind häufig an der Auslösung von Kopfschmerzen beteiligt. Kurz vor oder während der Menstruation sinkt der Östrogenspiegel ab. Es wird vermutet, dass dadurch auch der Serotoninspiegel stark ins Schwanken gerät und so eine Kopfschmerz- oder Migräneattacke begünstigt und auslösen kann. Wenn Sie auf den Beginn Ihrer monatlichen Regel mit verstärkter Kopfschmerzneigung oder gar mit einer Migräneattacke reagieren, können Sie vorbereitend für eine bessere Kontrolle Ihrer Situation sorgen.

Bei der medikamentösen Migräneprophylaxe ist zu beachten, dass Betablocker oder Antiepileptika nicht wirksam sind, da der Migräneschmerz durch den Östrogenabfall getriggert wird. Bei der Anwendung von Östrogen (es kann pharmakologisch zugeführt werden) sollten Nutzen und Risiken (Brustkrebs oder Thrombose können als Nebenwirkung auftreten) gut abgewogen und ärztlich abgeklärt werden.

Bei einem regelmäßigen Zyklus können normale Schmerzmittel (z. B. Naproxen), die vor dem Einsetzen der Monatsblutung eingenommen werden, Linderung verschaffen. Bleibt hierbei die Wirkung aus, können auch langzeitig wirkende Triptane in die Medikation einbezogen werden, die ebenfalls ein bis zwei Tage vor dem Beginn der Menstruation verabreicht werden. Reagieren Sie hingegen eher auf die Anti-Baby-Pille mit Kopfschmerzen, sollten Sie sich mit Ihrem Gynäkologen über Möglichkeiten unterhalten, ein anderes Präparat zu nutzen (mit weniger oder gar keinem Östrogenanteil). Eventuell ist auch eine sogenannte Dreimonats- oder Depotspritze eine mögliche Alternative.

Das Eisbergmodell

Das Eisbergmodell eignet sich gut zur Verdeutlichung der bekanntesten Kopfschmerztreiber. Jede Form von Schmerzerleben kann man mit der sinnbildlichen Vorstellung eines Eisbergs besser verstehen. Ähnlich wie bei einem echten Eisberg sind lediglich etwa zehn Prozent des ganzen Geschehens über der Oberfläche für uns sichtbar. Die anderen 90 Prozent befinden sich unterhalb der Oberfläche im Verborgenen, tragen aber immens zum Gesamtgeschehen bei. Tatsächlich bestimmen diese unsichtbaren 90 Prozent alles an der Oberfläche Sichtbare – in diesem Fall auch Ihre Kopfschmerzen, Ihr Schmerzerleben und seine Auswirkungen auf Ihren Alltag.

Jede Form von Schmerzerleben kann man mit der Vorstellung eines Eisbergs besser verstehen.

Sie selbst sind der Eisberg. Denn Sie vereinen Ihren „sichtbaren“ Kopfschmerz und alle „unsichtbaren“ daran beteiligten Faktoren in Ihrer Person. Die Kopfschmerzen symbolisieren quasi die Spitze des Eisbergs, also den sicht- und spürbaren Teil des Ganzen, das, was sich seinen Weg aus den Tiefen Ihrer Körperlichkeit und Psyche an die Oberfläche bahnt. Unter der Oberfläche lauern die Kopfschmerztrigger in Form von körperlichen und psychischen Faktoren, die es kennenzulernen und vor allem zu kontrollieren gilt. All diese Faktoren tragen entweder einzeln oder in Kombination mit anderen zu Ihrem sicht- oder besser wahrnehmbaren Kopfschmerz bei.

Im Anhang (siehe Seite 167) können Sie in Ihren eigenen Eisberg Ihre persönlichen Kopfschmerztreiber eintragen sowie Ihre hilfreichen aktiven und passiven Strategien.

FORMEN VON KOPFSCHMERZEN

Aus Beobachtungen, Untersuchungen, wissenschaftlichen Tests und Studien konnten wichtige Erkenntnisse über Vorkommen, Auftreten, verschiedene Erscheinungen sowie Symptome, Ursachen und Auslöser von Kopfschmerzen gewonnen werden. Das Wissen um besondere Kopfschmerzformen hilft Ihnen bei der Einstufung und Erklärung der eigenen Kopfschmerzerkrankung und vor allem bei der Entwicklung geeigneter Behandlungsstrategien.

Die richtige Diagnose stellen

Jeder wahrgenommene Schmerz ist einzigartig und ein ausschließlich individuelles Erlebnis. Mit diesem Wissen wurden Methoden zu Einteilung und Unterscheidung von verschiedenen Kopfschmerzen abgeleitet, die zur bestmöglichen Behandlung führen können. Und dieser Prozess der Erkenntnisgewinnung ist noch lange nicht abgeschlossen. Vielmehr erweitert und ergänzt die Medizin ihren aktuellen Kenntnisstand permanent, um möglichst viele und vor allem hilfreiche Tipps, Tricks und solide medizinische Behandlungsmöglichkeiten gegen Ihre Kopfschmerzen zu entwickeln.

Wer ein gesundheitliches Problem effektiv beseitigen oder reduzieren will, sollte möglichst viel darüber in Erfahrung bringen.

Wer ein gesundheitliches Problem effektiv beseitigen oder reduzieren will, tut gut daran, möglichst viel darüber in Erfahrung zu bringen. Wenn Sie die Ursachen, Auslöser und Treiber Ihrer Kopfschmerzen kennen, sind Sie auch in der Lage, geeignete Strategien dagegen zu entwickeln und Ihre Schmerzproblematik zu kontrollieren.

Ursachen kennen – geeignete Strategien entwickeln

Kopfschmerzen entstehen aus den verschiedensten Gründen und können eine riesige Menge an Ursachen haben. Dementsprechend vielseitig und variabel sollte eine mögliche Behandlungsstrategie aussehen. Eines der wichtigsten Kriterien, die solch eine Strategie erfüllen muss, ist, diesen unterschiedlichen Auslösern Rechnung zu tragen. Im Klartext bedeutet das: Da es sehr viele mögliche Ursachen und Auslöser für verschiedene Kopfschmerzerkrankungen gibt, kann es auch nicht nur eine mögliche Strategie zu deren Erleichterung oder Beseitigung geben. Damit die Behandlungen die bestmöglichen Effekte entfalten können, sollten diese stets an etwaige Auslöser und Ursachen angepasst und entsprechend ausgewählt werden. Sie sollten sich also zunächst einmal Klarheit darüber verschaffen, welche Form von Kopfschmerzen Sie plagt, um dann über geeignete Strategien zu deren Behandlung finden zu können.

Wenn Sie mit Kopfschmerzen zu Ihrem Arzt gehen, können Sie eine Differentialdiagnose erwarten. Diese ärztliche Untersuchung dient dazu, die Kopfschmerzen zunächst von anderen Krankheiten abzugrenzen. Folgende Untersuchungen sollten gemacht werden:

Untersuchung der Wirbelsäule – besonders Halswirbelsäule (Beweglichkeit der Gelenke/Druckempfindlichkeit der Muskulatur und des Bindegewebes)

neurologische Untersuchung (Reflexe, Sensibilität, Kennmuskeln, Motorik, Koordination)

Kontrolle von Herzfrequenz und Blutdruck

Untersuchung der Blutgefäße

Herz- und Lungenfunktionstests

Untersuchung des Bauchraums und der Haut Untersuchung der Nerven im Kopf (Schädel und Gesicht)

Die Klassifikation von Kopfschmerzen

Mittlerweile werden mehr als 300 verschiedene Kopfschmerzformen beschrieben, um eine möglichst effektive und passende Behandlung zu ermöglichen. Sie werden in der sogenannten ICHD- 3 (International Classification of Headache Disorders/Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 2018 in der 3. Auflage veröffentlicht) von der IHS (International Headache Society/Internationale Kopfschmerzgesellschaft) in drei Hauptund 14 Untergruppen ausführlich definiert.

Primäre Kopfschmerzen

1. Migräne

2. Spannungskopfschmerz

3. Trigemino-autonome Kopfschmerzen

4. Andere primäre Kopfschmerzformen

Sekundäre Kopfschmerzen

5. Kopfschmerz durch Verletzung von Kopf oder Halswirbelsäule

6. Kopfschmerz durch Gefäßstörung an Hals oder Kopf

7. Kopfschmerz durch nichtvaskuläre intrakranielle Störung

8. Kopfschmerz durch eine Substanz oder deren Entzug

9. Kopfschmerz durch eine Infektion

10. Kopfschmerz durch Störung der Homöostase

11. Kopfschmerz durch Erkrankungen von Schädel, Nacken, Augen, Ohren, Nase, Nebenhöhlen, Zähnen, Mund und anderen Kopf- oder Nackenstrukturen

12. Kopfschmerz durch psychiatrische Störungen

Neuropathien und Gesichtsschmerzen

13. Schmerzhafte kraniale Neuropathien und andere Gesichtsschmerzen

14. Andere Kopfschmerzformen

Die klare und eindeutige Diagnose einer Kopfschmerzform gestaltet sich in der Praxis manchmal schwierig, da es nicht immer leichtfällt, die vorhandenen Symptome mit allen wichtigen Erscheinungen des Krankheitsbildes umfassend zusammenzutragen und so eindeutig zwischen den einzelnen Kopfschmerzformen zu unterscheiden.

Bei dem Klassifikationsmodell der einzelnen Kopfschmerzformen gibt es sogenannte „Klassiker“. Davon spricht man in der Medizin, wenn ein Betroffener die absolut typischen Symptome und Begleiterscheinungen für eine bestimmte Kopfschmerzform zeigt. Als besonders typisch für eine Migräne können Schmerzattacken von mehr als vier Stunden Dauer, ein einseitiger starker bis sehr starker Kopfschmerz, zudem Übelkeit und Erbrechen sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit bezeichnet werden. Diese unterscheiden sich von den typischen Erscheinungen eines Spannungskopfschmerzes, und diese wiederum von den typischen Erscheinungen anderer Formen. Bei einem Spannungskopfschmerz wären schon eine Dauer von 30 Minuten und beidseitige mittelstark bis starke Kopfschmerzen ausreichend, und von Licht- und Lärmempfindlichkeit tritt nur eine auf.

Ungünstigerweise gibt es aber auch sogenannte Mischformen, die eine eindeutige Zuordnung manchmal mehr als herausfordernd gestalten. Mischformen sind Kopfschmerzen, die sowohl der einen als auch der andere Gruppe zuzuordnen sind. In der Praxis sind das dann z. B. beidseitige migräneartige Kopfschmerzen mit einer Dauer von zwei Stunden bis zu drei Tagen, die einmal klopfend und ein anderes Mal drückend sein können. Und genau da wird die Sachlage knifflig und fordert die akribische Zusammenarbeit von Betroffenen, Ärzten und an der Behandlung beteiligten Therapeuten.

Details

Seiten
ISBN (ePUB)
9783842630086
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (September)
Schlagworte
Übungen Dauersitzen Bewegungsmangel vielsitzen Spannungskopfschmerz Bewegung Haltung Selbsthilfe Beschwerden Migräne Kopf Gesichtsschmerz akute Schmerzen Behandlung Kopfschmerzen

Autor

  • Kay Bartrow (Autor:in)

Kay Bartrow hat sich seit vielen Jahren als Autor von Bewegungsthemen etabliert. Er ist Physiotherapeut mit Fortbildungen in Manueller Therapie, Medizinischem Aufbautraining und medizinischer Trainingstherapie in Balingen. Zudem hält er Fortbildungskurse für examinierte Physiotherapeuten und hält Vorträge zu medizinisch gesundheitlichen Themen. Aus seiner langjährigen Arbeit als Physiotherapeut weiß er, dass Schmerzgeplagte ihre Beschwerden häufig selbst mit gezielten Übungen in den Griff bekommen können. Autorenwebsite: http://www.physiotherapie4u.de/
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Titel: Kopf- und Gesichtsschmerzen ganzheitlich behandeln